Newspaper Page Text
2 Fritz, dem Tante Lorchen jetzt einen flchcnuichcn Blick zuwarf, erzählte sehr ernst von seiner Wirthin, an der er die ganz entgegengesetzte Erfahrung gemacht habe, obgleich sie so kurzsichtig sei. daß sie bci'm Abstauben immer die Nippsigu ren mit der Nase umwerfe. Schließlich entschied sich Malchen doch für die Wittwe. Noch an demselben Abend bestellte Lorchen die Wohnung, und Fritz warf, ein Liedchcn trällernd, den Bries in den Kasten. Einige Wochen später —an einem schönen Julimorgen befand sich Fritz mit den beiden Tanten auf dem Bahn hof. Fräulein Malchen war etwas ver stimmt über die nicht unbedeutende Ue berfracht, welche sie zu zahlen hatte. Kein Wunder: die beiden Damen führ ten ihre eigenen Betten mit. Nun saßen sie endlich zufrieden in ih rem Coupe dritter Klasse. Fritz über reichte jeder der Tanten einen Blumen strauß ; sie warfen noch einen liebevollen Blick auf den hübschen Jungen; der Zug sauste davon, und drei Taschen tücher flatterten lustig im Winde. Gegen Abend kamen unsere Reisenden wohlbehalten in ihrem Gebirgsdörscken an. Ein kleiner Junge erbot sich, sie zu Frau schwendet, ihrer Wirthin, zu füh ren. Nachdem sie etwa zehn Minuten ge wandert waren, sahen sie ein einsam stehendes, einstöckiges Häuschen idyllisch mit wildem Wein umrankt. Aus einem der kleinen Fenster guckte, sich neugierig umschauend, ein altes Mütterchen, deren weiße Nachtmütze im Dämmerungsschein noch schneeiger erglänzte, und deren auf fallend lange Nase vom Schein der uu tergeheudeu Sonne röthlich beleuchtet wurde. Inzwischen hatte sich der zahnlose Mund der Alten zu eiuem grinsenden Lächeln geöffnet : „Do sin kewiß meine lieben Freileins aas Perlin," rief sie. „Es is Sie Alles hibsch hergerichtet, spazieren Sie nur gefälligst hinein." Damit verschwand sie vom Fenster und kam eilig zum Hause heraus. Malchen erschrak zuerst bei dem An blick der Nase, erholte sich aber bald da von ; denn bei näherer Betrachtung sah die Alte ganz gemüthlich aus. Sie führte die Damen in ihr Zimmer, das schmuck und behaglich aussah. Mutter Schwendet war es schon ge wöhnt, daß ihre Miether sich wohl bei ihr sühlten, und nahm Lorchen's Aeu ßerungen der Freude und Malchen'S gnädige Blicke wie einen schuldigen Tri but entgegen. Dann entfernte sie sich, um ihrem Gästen Zeit zu lassen, den Reisestaub abzuschütteln. Nachdem Das geschehen, setzten sich Beide auf die Veranda und genossen die herrliche Landschaft. In Lorchen's poetischem Gemüth schlugen alle Saiten an. Sie sühlte sich wieder jung wie damals, als sie liebte ; o selige, nie vergessene Zeit! Im Uever schwang der Empfindungen glitt sie zu den Füßen ihrer Schwester nieder, nahm deren Hände zwischen die ihren und rief: „O, Malchen, wie herrlich, daß wir auf diesem köstlichen Fleckchen Erde vier volle Wochen genießen dürfen !" Malchen warf einen gnädigen Herr scherblick auf die Schwester, strich ihr über den ergrauenden Scheitel und sprach in ihren sanftesten Tönen: „Mein liebes Kind, ich hoffe, auch ich werde mich hier wohl fühlen, obwohl ich den unangenehmen Eindruck von vor hin noch nickt ganz überwunden habe. Doch zunächst laß uns den Wünschen unseres Magens gerecht werden ; ich ge stehe, mich hungert." Lorchen erhob sich. „Wünschest Du nach der langen Fahrt vielleicht etwas Warmes zu genießen?" „Nein, nein," wehrte Malchen, „heute noch nicht, da muß ich mich erst bei Ta ge gründlich von der Sauberkeit unserer Wirthin überzeugen, ehe ich mir Etwis von ihr bereiten lasse; bestelle für jetzt nur etwas Brod, Butter und Schinken und einen Trunk Bier dazu." Lorchen verschwand. Inzwischen war es dunkel geworden. Die Schwestern saßen am Tisch, über welchen ein schneeweißes Leintuch gebrei tet war. Bald erschien Frau Schwende! mit dem Abendessen, wünschte den Damen einen „knden Abbedid" und zog sich zu rück. „Jetzt spüre ich einen ganz tüchtigen Hunger," sprach Malchen und wollte sich eben eine große Scheibe Schinken nehmen ; sie zog jedoch die Gabel un verrichteter Sache zurück, und ihre Bra uen zogen sich drohend zusammen. „Was ist denn Das ?" rief sie, „sieh' Dir doch 'mal den Schinken an!" Der Anblick, der sich jetzt Fränlein Lorchen darbot, war auch für ihr sanf tes Gemüth zu viel, sie prallte entsetzt zurück. „Pfui," schrie sie, „Das lebt und webt ja, Das kribbelt und Wibbelt!" Malchen hatte sich zu ihrer vollen Höhe erhoben. „Das ist der Ansang !" Sie sah Lor chen vorwurfsvoll an. „Was wird noch kommen? Du weißt, Eleonore" —so nannte sie die Schwester nur in sehr ern sten Momenten „Nichts in der Welt erregt mir so fürchterlichen Ekel, wie Maden." Sie schauderte. Lorchen eilte hinaus, um Frau Schweudel zurufen; das ooipus äelioki wurde ihr gewiesen. „Jo, jo," sagte diese mit großer Ruhe, „do scheinen en baar Moaden d'rus zu sein, Dos gann Sie schon bassiren in' Sommer ; ich wärd's mer tranßen mol kenauer pesehen, ich pin Sie nämlich en pischen kurzsichtig. Wenn die Freileins den Schinken nich mägen, doa wärd' ich Ihnen en boar Eier gochen." Sprach'S und verschwand mit dem Schinken. „Das scheint ja hier so Mode zu sein." ries Malchen. Lorchen's Stimmung wurde immer beklommener. Frau Schwendet erschien wieder freundlich lächelnd aus der Schwelle. „Nu pring ich Sie aber scheene srische Eier, meine kutsten Freileins, die wer den Sie 'mol brächdig schmecken, kanz brächdig," wiederholte sie, ahnungslos, daß diese Dialektuüauce nicht gerade da zu beitrug, die Eßlust ihrer Gäste zu er höhen. Sie stellte die Eier aus den Tisch und blickte die Damen recht zutraulich an. „Barmherziger Himmel." kreischte Malchen sich erhebend, „Das ist zu viel!" Lorchen war kreidebleich in ihren Stuhl zurückgesunken, einer Ohnmacht nahe. „Herr Jemersch, Herr Jemersch!" schrie Frau Schwendet in den höchsten Fisteltönen, „was is denn bassirt, mein kutstes Frcileiu wird mer doch nich ster ben ?" Und sie wollte sich Lorchen hülfreich nähern. Doch jetzt riß Malchen die Ge duld. Wie eine gereizte Löwin sprang sie vor, streckte beide Arme abwehrend gegen ihre Wirthin auS und brüllte mehr, als sie sprach: „Hinaus, gleich hinaus !" „Aber nu hert's mer doch aus," rief Frau Schwende!, die nun ebenfalls ihre Gelassenheit verlor, „ich soll mer wohl gar in meinen eignen Hause 'rausschmei ßen lassen? Nehmen Sie's mer nich ibel," dabei machte sie eine nicht mißzu verstehende Bewegung nach ihrer Stirn. Lorchen war wieder zu sich gekommen. Sie erhob beide Hände und sprach : „Liebe Frau Schwende!, seien Sie nicht böse, aber an Ihrer Nase hängen drei dicke Maden, und davon ist unS so unwohl geworden." „Weiter Nichts?" erwiederte die Frau uud wischte-mit dem Rücken ihrer Hand über ihr: Nase, wodurch die drei Maden eineS plötzlichen Todes verstarben, „die sin kewiß von' Schinken hängen geplie ben, als ich mer den näher besehen hab' ich pin Sie en pischen kurzsichtig." Und sie entfernte sich gekränkt. Inzwischen war Malchen zu einem Entschluß gelangt. Sie legte ihrer Schwester die Hand schwer auf die Schul ter und sagte: „Es ist gut, daß wir noch nicht aus gepackt haben ; wir reisen noch heute zu rück." Lorchen war wie gebrochen. „O, Malchen," jammerte sie, wäh rend große Thränen über ihre Wangen rollten. „Laß uns wenigstens eine Nacht bleiben, morgen in aller Frühe suchen wir uns ein anderes Quartier." Malchen hörte Nichts mehr. Sie sah, hier galt es, ihren letzten Trumpf auszuspielen. Sie warf sich auf einen Stuhl, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und hauchte mit ersterbender Stimme: „Eleonore, willst Du mich hier begra ben? Eine Nacht in diesem Hause ich sühle es—würde mich todten." Da half nur der Fahrplan, aus wel chem man ersah, daß in 1H Stunde ein Nachtzng nach Berlin ging. Frau Schwendet wurde von der Wendung der Tinge unterrichtet; sie erhielt ein kleines Abstandsgeld und war zum Erstaunen ihrer Mietherinnen mit Allem einverstan den. Die Letzteren erfuhren freilich nie, daß die gute Frau ihren späteren Som mergästen mit Vorliebe die schreckliche Geschickte erzählte, wie sie beinahe zwei wahnsinnige alte Jungfern in's HauS bekommen hätte; der liebe Gott habe sie aber gnädig davor bewahrt. Fritz, der per Depesche von der An kilust der Tanten unterrichtet worden war, hatte sich zum Empsang derselben pünktlich aus dem Bahnhof eingefunden. Sein Erstaunen war grenzenlos. Doch erst zu Hause in ihrem Wohnzimiüer, an dem Malchen's Blicke mit so strahlen der Freude hiugen, als hätte sie es seit einem Jahre nicht gesehen, wurde Fritz das Eutsetzlicke mitgetheilt. Dieser schauderte. „Sieh'st Du, Lorchen," ries die ältere Schwester, „auch Fritz wäre unter sol chen Umständen nicht geblieben." „Der Himmel behüte," rief dieser mit dem Brüstten der Ueberzeugung und be deckte das Antlitz entsetzt mit beiden Hän den, denn das verhaltene Lachen drohte ihn zu ersticken. „Das Reisegeld hat unS Unglück ge bracht," jammerte Malchen, „ich mag es nichk, es brennt mir in den Händen." „Nun, da weiß ich einen Ausweg," meinte Lorchen, und ihr gutes Gesicht nahm zum ersteuMal, seit sie die drei Ma den erblickt hatte, wieder einen frendigen Ausdruck an. „Gieb Fritz die noch ge bliebene Summe zu einer Reife, d. h. wenn er sich nicht vor dem Unglücksgelde fürchtet," fügte sie mit einem schalkhaften Blick auf den Neffen hinzu. Fritz erklärte, indem er der besten al ler Tanten dankbar zunickte, daß er sich stark genug fühle, um den bösen Zauber, der in dem Gelde stecke, zu besiegen ; und einige Tage später wagte er mit ritterli chem Muthe eine Reise in's Riesenge birge. Von jedem Berggipfel schrieb er den Tanten eine überglücklich lautende Post karte. Nach vierzehn herrlich verlebten Tagen war er wieder da, frischer und fröhlicher, denn je. Im Vertrauen ver sicherte er Tante Malchen, daß es zwar schön sei da oben, aber nirgends so sau ber, wie in ihrem behaglichen Heun. Als aber Tante Malchen in die Küche ging, um das Essen zu bereiten, schlang er den Arm um Tante Lorchen und sagte: „So, Tautchen, die Hälfte des Reise geldes bringe ich Dir zurück, bewahre sie gut auf, wir wollen weiter sparen, dann machen wir im nächsten Sommer zusam men eine Ferienreise und lassen Tante Malchen zu Hause." Fürstliche Gespenster. Von Eduard von Sacher-Majoch. Nicht von jenen wollen wir sprechen, welche an verschiedenen Orten, am Lieb sten in Fürstenschlössern ihren mehr oder minder tendenziösen Spuk treiben, son dern von solchen, die bei Hellem Tage unter den Menschen wandetten, von fürstlichen Personen, welche als todt galten und trotzdem eines Tages zurück kamen, zuweilen, um mit mehr oder we niger Glück ihre wirklichen oder ange maßten Rechte geltend zu machen. Eigentlich liegt dieser historischen Er scheinung eine uralte Sage zu Grunde der Held im Berge. Wir haben die se Sage in Deutschland wiederholt, wir haben Friedrich den Rothbart im Kyff häuser sowohl, als im Unteröberg, wo heute noch aus der Welserhaide der alte dürre Birnbaum steht, welcher au dem Tage wieder grünen und blühen soll, wo der Kaiser mit seinen Necken aus dem Berge brechen wird. Dieselbe Sage er scheint bei den slavischen Böhmen, wo eine Anzahl Helden in dem Berge Bla nik schlafen und eiueS TageS auferstehen werden, um ihr Volk zu befreien. Fer ner bei den Südslaven. Eines der interessantesten dieser fürst lichen Gespenster war der König von Portugal, Dom Sebastian. Derselbe siel oder, besser gesagt, soll gegen die Mauren gefallen sein in Tanger in der Schlacht bei Alzira am 4. August 1578. Thatsache ist, daß seine Leiche nicht auf gefunden wurde. Es traten in der Fol ge vier Personen auf, welche sich für Dom Sebastian ausgaben. Bei den ersten Drei ist anzunehmen, daß sie sich nur ihre Aehnlichkeit mit dem jungen Könige zu Nutzen machten sowie die Un sicherheit über sein Ende und Abenteu rer waren, welche sich den Thron von Portugal oder wenigstens irgend welche Geldvortheile zu erobern hofften. Viel ernster erscheinen die Ansprüche des vierten der sogenannten falschen Dom Sebastiane, welcher nicht allein eine überraschende Aehnlichkeit mit dem Könige für sich hatte, sondern auch eine wahrhaft fürstliche Haltung und in sei-