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ler gute Kamerad. Eine Ncujahrserzähluüg. Glockenklang? Ja, morgen ist der erste Tag des neuen Jahres! Henny Seefeldt stand vom Fen sterplatz auf und ging mürrisch und zwecklos in das Zimmer hin ein. Gleichgültig streiften ihre Blicke dabei die hübsche, anhei melnde Einrichtung, die noch von der Aussteuer ihrer verstorbenen Mutter herstammte, in Gedanken trat sie vor den hohen Pfeilcrfpie gel, der schon so viele verschiedene Bilder wiedergegeben hatte. Einst auch das einer schönen, strahlenden Henny, die erwar tungsvoll in das Leben geblickt und neugierig darauf gewartet, in welcher Gestalt sich ihr das Glück wohl nahen würde. Sie hatte gar nicht gewußt, daß es ihr Leben lang neben ihr ge wandert. mit ihr auserzogen war; daß es aus ernsthaften braunen Augen oftmals forschend in die ihren geblickt hatte, und daß es Walter Hein hieß und ihr Pfl-.ge bruder war. Erst an jenem als der junge, neugebackene Dok tor in's Zimmer gestürzt war mit einem Veilchenstrauß iu der Hand ack. welche Qual, sich Das wieder zu vergegenwärtigen, und doch welche Süßigkeit zu gleich, noch einmal die Worte zu hören, in denen der unbewußt lievte Mann um ihre Liede ge worben. Dazu hatten die Fest glocken geklungen, die neue Hoff nung, neues Leben in glückliche, wie bedrängte Herzen sangen. Unter dem weihevollen Geläul waren dann Vater und Mutier gekommen und hatten ml, tiefer. Rührung das einzige Kind in d e Arme genommen und den Her zensbund mit dem lieben söhn gesegnet. Und beute? Draußen war! es frostig, grau gewordenes Schnee lag auf den Strafen.! durch die ein scharser Wind Pfiff i die Glocken läuteten wie sonst j das Fest der Hoffnungen ein aber sie klangen dumpf wie Sterbeglo cken. die noch einmal für Älles ertönten, was das einsame, al ternde Mädchen besessen und vcr — liebende Eltern, Glück und Jugend. Mit Bewußtsein blickte sie einmal in den Spiegel und schüt tete mit bitterem Lächeln den Kopf. Nicht alt, at>er auch nicht mehr, jung, ein kaltes, stilles. ErnstesGe sicht, mit traurig blickenden Au gen. ein strenger Zug um den einst so lieblichen Mund, der sich mit den Jahren noch mehr vertiefen und heftig ableugnen wird, daß dieselben Lippen, die er auch jet>t umgibt, einst heiß und feurig küssen konnten. —- Es ist schon lange her. s-.gte Henny mit bebender Stimme und zuckenden Lippen. Und nach kurzem Wehrei. seht Henny sich alljährlich wie deut in das fernste, dunkelste Eckchen ih res Wohnzimmers und läßt die Tage der Rosen und die darauf folgenden der Dornen an sich vor überziehen und in ihrem Herzen jauchzt und weint die verlorene Jugend. Walter Hein war ein statiner und tüchtiger Mann geworden, nachdem er ein ausbrausender, be geisterungsvoller Jüngling gewe sen. Er hatte allezeit vieleFrcun de gehabt, aber nie einen so guten Kameraden, wie seine Pflege schwester Henny. Freilich war er ja ihr Lehrer gewesen, aber das hatten Beide im Lause der Zeit vergessen er pflegte oft. wenn ibn einer ihrer Einfälle in Er staunen setzte, kopfschüttelnd aus zurufen: Und das ist ein Mäd chen! —Es gibt doch nur eine Hcnny. Und sie? Als sie als reizendes, einziges Töchler chen, reicher, sie tern in die Gesellschaft geführt wurde, und die Männer sich ihr zu nähern suchten mit Schmeiche leien. thörichtem Hofmachen und meistens wohl auch mit ernsthaf ter Bewunderung ihrer reizvollen Person sie konnte oft mit ver lassenen Blicken die ganze Gesell schaft mustern und innerlich da bei denken: Wie Walter ist keiner unier Allen! Und dann kam der Schluß labres heran, und nach mehr . jähriger Trennung kehrte er in das Elternhaus zurück. AmMor- gen des ersten Januartages empfing' sie ihn allein sie sprachen nicht, ihre Blicke ruhten innig ineinander, und als sein Mund endlich Worte fand, waren es warme Liebesworte und die Bitte, sein guter Kamerad möchte sich ihm nun für das Leben anvertrauen. Dann kamen selige Wochen voll sehn suchtsvoller, jugendlicher Träume, voll grenzenloser An betung des Geliebten aber was war 'nur das? Inmitten des Frohgefühls bes Besitzes faßte sie es Plötzlich weh müthig an, und sekundenlang fühlte sie einen dumpfen Schmerz. Walter !war immer der gleiche, herzlich, lieb, Zärtlich, aber die leidenschastlicheThor !heit des Gefühls fehlte ihm. — Lieb:? 'er sie etwa nicht? In kurzen, bangen Augenblicken durchschoß sie die Frage, aber Wunsch und Selbstschätzung ga ben ihr bald die frohe Zuversicht wie der. Einmal hatte sie ihn geradezu g'> da hatte er gelachi, sie einen H'tz- genannt und gemeint, trotz aller anders lautenden mannhaften Aus sprüche, müsse naturgemäß die Liede -der Frau eine heißere, ausschließlichere sein, als die des Mannes, weil sie nicht durch Beruf, öffentliches Leben u. f. w. > begrenzt sei. „Was ich an Liebe zu geben habe, !gehört Dir, mein Kamerad, unv Tu wirst mit der Zeit diese treue, inn'ge Zuneigung böher stellen lernen, als vas unruhige Flackerfeuer, nach dem Du zu verlangen scheinst. Das ist mir versagt!" Wehe ihr, daß sie ihm geglaubt, daß sie tiefer und fester an ihm hing, so daß das, was kam, sie sast den Ver stand gekostet. Ihre Base Gertrud kam in's Haus. Die Waise sollte bei den Elrern blei ben. wenn sie in nicht allzulanger Zeit mit Walter verbunden sein würde. iSie war ein schönes, leichtlebiges, lu stiges Ding. Jedermann scherzte mit ihr. Jedermann liebte sie. Auch Henny widerstand ihr nicht. Sie begriff sie in ihrer ernsten, pflicht treuen Art wohl nicht, wenn sie tau send Dinge vornahm, durcheinander warf und liegen ließ, wenn sie ihr ge meinsames Zimmer in die tollste Un ordnung brachte, lachend Besserung versprach, und es am nächsten Tage ärger trieb, als zuvor, aber sie verzog sie wie die anderen alle. Nur Walter machte eine Ausnah me. Er beobachtete sie oft kopfschüt telnd, er machte einmal einige scharfe Bemerkungen über ihre geschäftige Un thätigkeit, und dann ließ er sie unbe achtet. Es schien ihm schwer zu wer den, mit ihr zu sprechen, wie auch ihr, der Redegewandten, in seiner Gegen wart oft die Lust zu scherzen verging und sie mit scheuen, ängstlichen Blicken fein Gesicht streifte und aufzuathmen schien, wenn er sich entfernte. Henny versuchte zwischen den lieben Menschen zu vermitteln, aber sie mußte es auf geben, so schroff wies ihr Bräutigam sie ab. > Und die Wochen vergingen. Henny ward unruhiger und geschäftiger, die Zeit ihrer Hochzeit nahte, und sie war !mit Walter etwas weniger zusammen jwie sonst. Aber seine Veränderung .mußte ihr doch auffallen, seine Einsil bigkeit, seine Lauheit, die dann durch eine auffallende Zärtlichkeit ersetzt wurde. Er sah krank aus, und seine Augen blickten müde. Da fragte sie eines Tages ihre Mut ter erregt, was es wieder zwischen Gertrud und Walter gegeben habe. Gertrud weine, wolle aber nicht ant worten, und Walter liefe im Zimmer umher und sage gar nichts. Henny jedoch schüttelte den Kopf und sagte, sie wolle nachsehen, aber im Gegensatz zu den leichten Worten, die sie aus sprach, preßte ein uuendlich schweres Gefühl ihr Herz zusammen nnd lang sam ging sie die Treppe hinunter zum Wohnzimmer. Sie trat leise ein, ihr Bräutigam konnte sie nicht sehen und sie hatte Zeit, sein Gesicht stumm zu betrachten. Ein tiefes Entsetzen sie. Wie sah das liebe, frische Gesicht so gramvoll und verstört aus, wie düster und gequält blickten die braunen Augen er seufzte schmerzlich und brütete dumpf vor sich hin. —Da kroch wie eine häßlich.' Schlange der Argwohn, nein, eine Ge wißheit über ihr Herz. Von Leiden schaft durchflammt, trat sie vor ihn hin. und wie ein heiserer Schrei ent rang es sich ihren Lippen: „Walter, Du liebst Gertrud?" Der Mann blieb sitzen —er sah mit deinselb-n trostlosen Gesicht aus und murmelte ein tonloses „Ja." Dann eine endlose Pause alle Qual, alle Sehnsucht der kommenden Jahre sind Nichts gegen den zerschnei denden Schmerz dieser wenigen Minu ten. „Und nun?" fragte Henny end lich. „Laß mir Zeit," sagte Walter, „ich muß davon los kommen, und Du, mein guter Kamerad, tvenn Du erst mein Weib bist" er bricht ab und blickt unsicher an ihr vorbei. Empörung und Scham ersticken für einen Augen blick in ihr die Liebe. „Das wagst Du mir zu bieten, Du, der Du jeden meiner Gedanken kennst, oh" ein leiden schaftliches Schluchzen läßt sie nicht weiter sprechen. Da springt er aus, nimmt trotz ihres Widerstrebens ihre Hände u. sagt flehend: „Du hast recht, ich erniedrige uns Beide mit solck>?n Worten so bitte ich denn, gib mich srei und laß mir nur Deine treue schwesterliche Freundschaft." Sie hatte ihn freigegeben. De müthigung, verschmähte Liebe. Verbit terung und Haß haben sich tief in sie oersteckt und Worte sprechen gelernt, die alle, selbst ihre Eltern zu täuschen ver lstanden; von der herzlichen Freund schaft, die sie und Walter immer für einander empfunden, die sie mit heiße ren Gefühlen verwechselt und von deren Nichtigkeit sie sich durch Gertrud's Da zwischen'.unst glücklicherWeise zur rech ten Zeit überzeugt hatte. Sie verstand Unbefangenheit zu heucheln, auch ihrer Base gegenüber, die ihr mit strömenden .Thränen um den Hals flog denn ih !rer Vermittlung war es ja zu danken, daß sich so plötzlich ein überreiches Glück über sie ergoß. ! Bis sie das Haus verlassen, blieb die neue Verlobung geheim. Walter mußte auch erst sich eine lohnende Kundschaft erwerben er nahm tiefbewegt Ab schied von .Henny, die ihm nnr kühl Glück wünschte u. die Erwartung aus sprach, ihn nie wieder zu sehen. Dumpf und still hatte sie darnach ihr Leben vertrauert. Nie wieder war einem Mann die Gelegenheit geworden, sich ihr zu nähern; als treue, sorgsame Tochter pflegte sie ihre Eltern, die mit der Zeit der Tochter Leid empfanden und trostlos und vergeblich Abhülfe suchten. Mit Walter war jeder Ver kehr allmälig abgebrochen; man hörte nur zufällig einmal, daß seine Frau unwirtschaftlich und unverständig u. die Ehe eine unglückliche sei. Die Mutter hatte dann versucht, mit Henny darüber zu sprechen uud nicht ohne eine gewisse Befriedigung, aber sie unter nahm es nicht zum zweiten Mal, denn Henny hatte auf das Bestimmteste ver sichert, daß sie durchaus keine Vorliebe !mehr für die Personen habe, die ihr so schwere Kränkung zugefügt Ha iben. Arme Henny, in den Nächten weinte sie lange, lange Stunden, und ihre Au gen verloren darüber frühzeitig den Glanz und die Jugend ging vorüber in hoffnungsloser Trauer. Sie schloß sich an Niemand an, und als die Eltern starben, stand sie ganz allein da. Aber das war ihr recht was sollten ihr Andere, die alle mehr oder minder ein frohes Leben kannten. Für sie war Alles dunkel; alles Glück, alle Freude hatte für sie in den wenigen Monaten ihrer so jäh' abgebrochenen Verlobung aufgehört, war versunken —unwieder- bringlich dahin was darnach kam. war dunkel und grau und nur so konn te und mußte es bleiben, bis sie die ver blichenen Augen schloß. So war aus dem jungen blühenden Mädchen fast eine alte Jungfer geworden, ohne daß sie selbst es gemerkt. Die Tage vergingen in gleichmäßiger, peinlicher Erfüllung der kleinen Pflichten, die sie sich selbst auferlegt, und in den Näch ten träumte sie zuweilen von Jugend und Glück. Da, vor wenigen Wochen war sie aus ihrem Dahinbrüten aufgerüttelt worden. Man hatte ihr einen Brief mit einer allzu bekannten Handschrift gebracht. Wie sie diesen Mann geliebt hatte Thränen stürzten aus ihren klugen, als sie die lieben krausenßuch staben sah, als sie den Namen „Walter Hein" unter deni langen Schreiben las. Was konnte er von ihr nach so lan gen Jahren noch wollen? Sie wurde blaß und roth, als sie es las Worte voll überzeugender Wahrheit, schlicht, und doch hoffnungsvoll. Sie richteten sich an den guten Kameraden von ehemals. Es ging ihm, Walter, sehr schlecht. Seine Frau war in ei nem Jahre todt er viel beschäftigt und seine vier Kinder vernachlässigt ohne Liebe. Denn er, der nicht die ! Macht gehabt hatte, Gertrud glücklich zu machen, getraute sich mit dem Her zen auch nicht an diese armen, kleinen Geschöpfe heran, die verschüchtert und ohne Liebe um ihn herum lebten. Er könnte ihr nicht Alles mittheilen, was ihm aus dem Herzen läge, schrieb .er, aber wie er geistig in ständiger Be ziehung zu ihr geblieben wäre, so hoffe er auch trotz der langen Zeit un dAl lem, was zwischen ihnen läge, aus bei ihr. Sie sollte seine flehentliche Bitte, noch jetzt sein Weib zu werden, nicht zurückweisen. Weiter konnte Henny nickt lesen. — Erst hatte ihr Herz stürmisch geschla- gen und Heller Jubel, fast wie in den ferneren Jugendtagen strömte heiß in ihr auf, aber dann trat sie an den Spi egel und musterte erbarmungslos ihr verblühtes, blasses Gesicht, blickte in die scharsen, freudlosen Augen ihres Spiegelbildes und damit stieg ein wil der Grimm in ihr auf. „Du, Du hast mich zu dem gemacht, was ich bin, ein verbittertes, alterndes Mädchen, Du, dem meine ganze heiße Liebe gehörte, nud jetzt, nun Du nicht aus noch ein weißt, wagst Du es, mir den Schatten des Glücks zu bieten, das voll und ganz mir zukam." Und sie vertiefte sich in die bitteren Gedanken und tödtete die leise Sehn sucht nach ihm, seinen Kindern und einem Heim und schürte den alten Zorn, daß er zu hohen Flammen aus wallte und in diesem Augenblick jedes weichere Gefühl erstickte. Und in dieser Stimmung schrieb sie dem harrenden Mann einen kühlen, höflich ablehnenden Brief. Das war ihre Rache für die verlo rene Jugend, und fie war süß! Aber ! blieb sie das auch? Nein, nein dann vergingen einige Tage. Eine ei genthümliche Unruhe ergriff Henny. Sie traf die Festvorbereitungen für ih ren kleinen Haushalt, sie las, arbeitete aber es kam ihr alles so zwecklos 'vor. „Für wen thue ich das Alles — für mich und immer für mich," sagte sie. Und dann legte sie die Hände in den Schooß nnd träumte vor sich hin. In ihrem Kopfe summte es. die Augen j brannten ihr. Ich werde krank wer den, dachte sie angstvoll, das macht die Ausregung mit der abgethanen Sache. —Abgethan? Klang nicht die flehende Bitte des einst so heiß geliebten Man nes wieder und wieder in ihren Oh ren? Gesellten sich nicht noch Kinder stimmchen dazu, die ihr zärtliche Kose namen gaben? „Nein, nein. Du kommst zu spät— Versuchung ich bin einsam gewor den dnrch seine Schuld nun will ich es auch bleiben." Aber nicht lange, und sie verwarf auch das. Bittere Reue bereitete sich in ihr aus zwecklos, nur für sich, zum Schaden hatte sie dem noch ein mal zögernd sich nahenden Glück die Thür gewiesen, nun war unwieder bringlich Einsamkeit und ein verfehl tes Leben ihr Loos. So war die liebliche Weihnachtszeit vergangen, der letzte Tag des alten Jahres in's Grab gesunken, und als sie aus ihren Träumen erwachte, leuch tete der Morgen des neuen Jahres freundlich lächelnd durch die Scheiben. Bitterlich weinend saß sie in ihrer Ecke und lauschte den Neujahrsglocken, die einmal schon so gut verheißend für sie verklungen waren. Diesmal hatten sie wieder ein Glück, wenn auch im Herbst ihres Lebens, einläuten sollen. Und heiße Sehn sucht nach Dem. was sie vor Kurzem noch schroff zurückgewiesen, floß in ihr über, und das Herz wollte ihr brechen. Sie verbarg das Gesicht in beiden.Hän den und hörte nicht, daß die Thür sich öffnete. Alles ist still, nur ihr Schluchzen vernehmbar und der ferne Glockenton, der hinein dringt. Aber dann breitet ein süßer Frühlingsduft in dem Ge mach sich aus Veilchen!—Er dringt zu der Trauernden, daß sie erstaunt ausblickt, und da, da — Mitten im Zimmer steht ein kleines Mädchen und sieht aus ernsthaften braunen Augen aus die Aufjauchzende. Mit einem dicken rosigen Händchen reicht sie ihr einen großen Beilchen strauß entgegen und aus den sie umschlingenden Armen mit süßem, schüchternem Gesichtchen aufblickend, plappert sie. wie man es ihr vorgesagt: „Ich bin Papas Jüngste und bringe einen Neujahrsgruß: „Die Veilchen all' soll ich Dir weih'n. Und Du sollst unsere Mutter sein." Und durch die geöffnete Thür schrei tet das alte, verlorene Glück. undHen ny fliegt ihm entgegen, und auferstan den ist die alte Liebe, die alte Kame radschaft und die alte Hoffnung. Und draußen läuten die Glocken so glückverlMend zum neuen Jahr! Zwischen Lipp und Bechers Rand Eine gelungene Bewahrheitung des Sprüchworts „Wer Anderen eine Gru be gräbt, fällt selbst hinein" hat Paris geliefert. Dort war eine Madame de Berny ihres Mannes überdrüssig ge worden und suchte Gründe zur Ehe scheidung. Aber obgleich sie ihm durch Privat - Detektivs scharf nachspüren ließ, wollte sich kein Haken finden las sen. Da mußte Hr. de Berny eine Geschäftsreise nach Algier machen, und Frau de Berny engagirte eine sehr hüb sche und fesche Soubrette, um auch nach Algier zu reisen und. wenn mög lich. ihren Gatten zu verführen, und leider der Plan gelang. Frau de Berny konnte jetzt ihren Scheiß Dungsprozeß anstrengen; aber ach bei der Verhandlung kam die Ver schwörung an's Tageslicht und, ob wohl die Scheidung ausgesprochen wurde, erklärte das Gericht sie als mit schuldigen Theil und sprach ihr das Recht zur Wiederverheirathung ab. Und Frau de Berny ist jetzt schlimmer daran, als zuvor. (5m Liedes-Thrrmoilirter. Ein französischer Psychologe, der als äußerst scharfsinniger Beobachter von seinen Bekannten fast gefürchtet wird, erklärt, auf den ersten Blick er kennen zu können, ob ein Mann ver liebt sei! Weiter behauptet der durch aus nicht zerstereuteGelehrte, imStan de zu sein, sofort mit größter Exakt heit festzustellen, in welchem Stadium seiner Leidenschaft sich der Liebende be findet, wenn er ihn einige Minuten bei'm Essen beobachten kann. Die Art und Weise, wie ein Mann seine täglichen Mahlzeiten einnimmt, ist der untrüglichste Gradmesser sür die au genblickliche Beschaffenheit seiner Ge fühle. Allerdings ist dies eben nur bei einem Manne zutreffend das weib liche Geschlecht besitzt nach Meinung des galanten Franzosen eine größere Verstellungskraft und empsindet nie ganz so intensiv. Also, um nun zu den interessanten Beobachtungen des gallischen Menschenkenners zu kom men. so sollen folgende Anzeichen stets maßgebend sein: Entwickelt einMann einen ganz enormen ungewöhnlichen Appetit, dann befindet er sich im ersten Stadium einer neuen großen Leiden schaft. Er hat „sie" kennen gelernt, ist Feuer nnd Flamme und schwebt in beständiger Erwartung; Erwartung aber macht hungrig. Um zu erfahren, welche Fortschritte er in seiner Liebe macht, hat man nur nöthig, ihn weiter bei seinen Mahlzeiten zu beobachten. Erscheint er bald daraus unnatürlich appetitlos, still u. zerstreut, so ist ihm etwas Unangenehmes zugestoßen. Ein Anderer ist ihm bei „ihr" zuvorgekom men; er hat nur noch wenig, oder gar keine Hoffnung. Bessert sich sein Ap petit bald, so hatte das Unangenehme nicht viel auf sich; die Flamme seiner Gefühle lodert wieder mächtig empor. Je näher der Augenblick kommt, da er sich erklären, desto auffälliger nimmt seine Eßlust ab. Sein Gesicht aber ist stets von einem Schimmer der Verklä rung Übergossen, seine Augen leuchten und er erröthet bei jeder Kleinigkeit. An dem Tage, da sich sein Schicksal entscheiden soll, ißt er überhaupt nichts. Zerstreut spielt er mit Messer und Gabel, zerschneidet sein Fleisch sehr kunstgerecht, und merkt er. daß man ihn ansieht, dann schiebt er schnell die Gabel in den Mund gewöhnlich aber war sie leer. Am nächsten Tage kann nun allerdings ein Blinder mer ken, ob der Freier angenommen wurde oder einen Korb erhalten hat. Im er steren Falle ißt er entweder sehr viel, oder gar nichts, aber bald nimmt sein Appetit wieder normale Dimensionen an, die sich nur dann verändern, wenn er mit „ihr" Zank gehabt hat. Doch äußert sich ein derartiges Vorkommnis; nach der Erklärung etwas anders, als vorher. Ist der glühende Liebhaber tüchtig von seiner Angebeteten abge kanzelt worden und vielleicht gar mit Recht, dann läßt sich der Gekränkte et was ganz besonders „Gutes" serviren und ißt mit wahrer Wuth darauf los. Haben sich die Lebenden wieder ausge söhnt und iff gar „sie" es gewesen, die ihr Unrecht eingestand und Abbitte lei stete, so merkt man dies sofort an der rührenden Gutmüthigkeit, mit welcher der selige Verliebte Alles, was man ihm vorsetzt, ohne Ansehen der Qua lität verspeist. Selbst angebranntes Fleisch, kaltes Gemüse und harte Kar toffeln erregen sein Mißfallen nicht im Geringsten. Es giebt eine Kategorie Verliebter, die sich fast immer in einem derartigen Stadium befinden, und die se Spezies bildet in ihrer absoluten Gleichgültigkeit in Bezug aus kulinari sche Genüsse das Entzücken ller Pen sionswirthinnen! Versteigerung des See's von Neun. Eine sonderbare Versteigerung soll demnächst von Gerichts wegen in Rom stattfinden, nämlich die des Sce's von Nemi, der noch ganz andere Dinge als Fische enthält. Im Alterthum, als noch dunkle Forsten seine Ufer begrenz ten, war seine glatte, glänzende Was serfläche für die religiöse Phantasie der Spiegel der Diana. Im Tempel, der sich an den Fluthen erhob, brachte man der Göttin nicht nur blutige Menschenopfer dar. sondern ein seltsa mer Brauch erhöhte noch die Schrecken des Ortes; jeder Priester mußte seinen Vorgänger mit eigener Hand tödten und, wenn er „rer nemorensis" gewor den war .lebte er in peinvoller Erwar tung des verhängnisvollen Tages, an dem ihn das gleiche Loos traf. In späteren Zeiten, als mildere Gesittung in Latium herrschte, spiegelte sich in den Fluthen des See's der Glanz der rauschenden Cäsarenseste. Prunkvolle Triremen schwammen darauf, mit Ti berins und seinen Günstlingen und Eourtisancn an Bord; Gesänge, La chen und Ruderschlag störten das re gungslose Schweigen des See's. Vor nicht langer Zeit entdeckte man Trüm mern von diesen Dreideckern, die seit Jahrhunderten aus dem Grunde ge ruht hatten; man fand Metallstücke, Wolss- und Löwenköpse, Medusen häupter aus Bronze von wunderbar schöner Arbeit, auch Inschriften, die bezeugen, daß eine der Triremen der Diana geweiht war. Man yofft aber, noch viel kostbarere Dinge aus dem Grunde des See's zu siuden, und so läßt man den Schatten des Tiberius uud den blutigeu Kultus der Diana unter den Hammer des Versteigere kommen. Prosit Neujahr! Sakra! Woas? Die Glock'n läuten? Ja, was soll denn dös bedeut n? Jessas, 's is ja Neujahr heut! Prosit! Grüß enk, tiabe Leu:'! Schau, grad is a Jahr vergangn: Halt! Da muß i doch anfang'n. Muß a guater Bua tver'n, Mia nit mehr mn's Rauf'n schesr'iu „Woas? Du willst mißeisall klatsch'n? Da, Du Lausbub, hast an Watsch'n! Jessas! I wollt' niinma rauf'n? Schau, da laß i halt dös Sauf'n!" „Servus, Sepperl! Magst a Maßer! „I natürli! Her dös Glaserl!" Kruzitürk'n! Schaugt's den Rausch! 's kommt vom guat'n Vorsatztausch! 's Rauf'n, 's Sauf'n muß i treib'n! Schau, da muß Halt's Busserln bleibt „Reserl. Deandl? Welch' a Lust!" Jessas na! Da hab i's büßt! QDu mein! Wie i 's auch mache, 's guat wer'n is a schwere Sache! Na. so bleib' i. wie i war: Grüeß enk! Servus! Prost Neujahr! Das Besicht des Reporters. Um die Mitternacht' ge Stunde Wälzt er sich in seinem Bette, Spricht von geisterhafter Runde, Die er zu besicht'gen hätte. Sieht im Traume Hunde, Katzen, Lebende und Schaukelpferde, Papageien, bunte Spatzen, Eine kunterbunte Heerde. Wagen sieht er voller Lasten, Kleiderstoffe, Stickereien; Vollgepfropft ist Korb und Kasten Mit den schönsten Spezereien. Sieht auch Zwei- und andere Raver, Apparate, Instrumente, Glas, Metall und Holz unv Leder Mischt im Zug sich ohne Ende. Und mit einem Weihnachtsbaum? .Kommt Knecht Ruprecht auf demßade, Der erklärt ihm dann im Traume Diese nächtlich? Parade: Daß sich hier 'mal in? Gemische All' die Dinge zeigen wollten, Die auf keinem Weihnachtstische Wie er oft schrieb fehlen sollten. Tie Bürgschaft. Dyonis, ein Bösewicht. Ueber Domon hält Gericht. Attentat total mißglückt, Thäter deshalb nicht bedrückt, Drei Tag' Urlaub er erhält, Bürgen er dem König stellt, Eilt zur Schlvester Hochzeitsfest. Muth. Humor ihn nicht verläßt, Sündsluthregen, Wasser wächst . . . Brücke fortgeschwemmt . . . verhext. Schwimmens kundig, erster Preis . . Rettung, User . . Nässe . . Schweiß, Räuberbande kommt sogleich, Wird gedroschen windelweich. Hitze wie in Kamerun . . . Großer Durst. . . kein Stündchen ruh'n Endlich sprudeln silberhell. Dresdner „Felsenkellerquell." Herzerquickend köstlich Naß; Hier zu „löschen" Heidenspaß, Angst um treuen Freund sehr groß' Zweie munleln „Jetzt geht's los!" Nach der Stadt im Windesflug; Um den Galgen Volks genug. Henker zieh'n schon Seil empor . . . „Halt! Halt!" riesenhaft Tenor, König hört die Mär erstaunt. Ausnahmsweise gut gelaunt: „Brav, Distanzmarsch; Siegeslohn! Skat zu Dreien, Schwiegersohn!" Unangenehm berührt. Herr: „Nicht wahr, ich tanze jetzt recht ungeschickt? Ja, ja, es aeht nicht mehr so flott wie damals, als wir Beide noch die Tanzschule besuchten." Dame (pikirt): „Aber wer wird denn aus der Schule plaudenl* 5