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Durch Suggestion. von K o p v e l. WFanny's Gatte, der Bankier Müller, lebte ganz seinem Berufe widmete seiner schönen Frau Wcht jenes Maß zärtlicher Aus dessen jedes Weib, >d besonders in der Ehe, nun nnal bedarf, um sich halbwegs ücklich zu fühlen. Sie war Un frieden und langweilte sich; skar Berg, der dies spürte, be arb sich um ihre Gunst und andte dabei geschickt jene alltäg hen Mittel an, welche leider so iufig die gewünschte Wirkung >en. Einmal heftete er sich wie r Schatten an sie. dann schien sie oft wieder kaum zu kennen, heuchelte jetzt Gleichgültigkeit, inn Eifersucht und so zwang er e von Tag zu sich mit ihm i beschäftigen. Ein Anderer merkte dies Alles > sah mit wachsendem Verdruss ie Oskar's berechnendes Spiel l wirken begann. Auch Well er huldigte Fanny, freilich in üner stillen und unpersönlichen rt, ja mehr, er liebte sie. Aber z zu sagen nur für sich, nur mit !inen heimlichsten und verschäm tsten Gefühlen, so etwa nach dem r's Bescheidene und Wunschlose mgestimmten Satze Göthe's, Wenn ich Dich liebe, was geht's )ich an." Sie war ihm ein ideal, das besitzen zu wollen Ei ern gar nicht einfällt. Darum mpfand er es, als ob ihm in's Innerste gegriffen würde, wie er >ie Entwickelung der Dinge wahr ?ahm. Er ging zu Oskar und prach seine Meinung über dessen Handlungsweise unverholen aus. 5s gab einen sehr gereiztenWort vechsel zwischen den Beiden, und ?ann kam es zu einer heftigen Zcene. Wellner. zewvrden, wie alle passiven Na-! turen, wenn sie zur That gereizt oerden, lehnte den gewöhnlichen Zweikampf ab. Er lönne weder chießen, noch fechten, und so lan-. ;e ernste Sachen parodistisch ab-! gemacht werden, möge allein Zufall, der blinde, blöde Zufall entscheiden. Alfo ein sches Duell. Er zog das schwar ze Loös. Sterben! Gut. Daran ist nichts zu än )ern und am Ende ist es gar nicht, so schrecklich, wenn man nur sein Leben richtig gelebt h.':t. dieser Günstling des Zufalles,! soll er. doppelt bevorzugt, in ih-. Ren Armen des reinen Thoren cken dürfen? Nein, und nein u. nein! lind woher Oskar'sMacht über sie? Durch den Zwang wirkte er. Seine Begierden er wie Kletten nach ihr. daß diese an ihre Einbindungen und danken sich klammerten und sie keine Freiheit mehr finden konnte. Warum nicht ein Ithun, nur mächtiger, packender,! auf einmal, durch ein pelndes? Ihren Willen beugen, ihre Phantasie in Fesseln legen. Suggestion üben. Ja das! Wellner schrieb einen langen Brief. Dann sagte er: „So ge schieht hoffentlich das Dumme stricht zwecklos," und dann sehr stark: „Ich will." Darauf schoß er sich vor dem Spiegel in die Schläfe. Denn er war ein kor rekter Mensch. -i- ch q Fanny durchmaß mit unglei chen Schritten erregt ihr lilasei denes Boudoir. Sie erwartete Oskar, er mußte kommen. Nach den hastig gestammelten Worten von gestern und dem raschen brennenden Kusse im Logendun kel gab es kein Schwanken mehr. Man brachte ihr einen Brief. Von ihm? Sie war enttäuscht: er hat den Muth verloren. Rasch riß sie den Umschlag auf und schaute nach der Unterschrift: Wellner. Erleichtert athmete sie auf ah. etwas Gleichgültiges, Oskar kommt doch noch und warf den Brief auf ein Tischchen. Und sie horchte weiter aus jedes Geräusch draußen, fiebernd in Ungeduld. Die Zeiger der Uhr schienen still zu stehen und sie suchte nach einer Beschäftigung, um die Nervosität abzulenken. Richtig, was will denn dieser Wellner von mir? Sie las, er bleichte, grisf schwankend nach ei nem Stuhl. Was war das? Träumt sie? Die Kniee zitter ten, sie mußte sich setzen. Und nochmals las sie den glühend- sten, wahnwitzigsten Liebesbrief ihres Lebens . . . „Die äußere Komödie ist ja gleich giltig: ich sterbe, weil ich Sie liebe. Hätte ich gesprochen, würden Sie mich vielleicht erhört haben, und ich belüge mich selbst, wenn ich jetzt sage, das durfte nicht sein, ich wollte den Ver lust meines Ideals Sie nicht durch den Ihres Gewissensfriedens bezahlen lassen, aber gönnen Sie mir diese To deslüge, nachdem ich die nöthige Le benslüge nicht gefunden habe. Doch Eines ist wahr, heilig wahr: Sie müssen mich jetzt lieben, ich will es, verstehen Sie wohl, Sie müssen mich lieben, ich will es . . ." Ein beinahe verächtliches Lächeln huschte über ihr Gesicht, erstarrte aber plötzlich —er ist ja todt! In stum pfem Brüten saß sie regungslos da. Und durch das eintönige Grau nebel haft verschwommener Empfindungen ! zuckte es immer wieder: er ist todt 'gestorben, weil er mich liebte. Das Stubenmädchen übergab ihr Oskar's Visitenkarte. Sie schrie auf. Jetzt, wo Jener vielleicht verröchelt, sollte sie Oskar gegenübertreten? nicht, nicht! Und auf einmal 'kam ihr dieser lebende Liebesbewerber so entsetzlich banal vor ... . und der Todte so bedeutend. Sein Gesicht tauchte vor ihr auf, in fast greifbarer Deutlichkeit, blaß und ernst. Sie hatte gar nicht geahnt, daß sie ihn so genau kannte. Zug um Zug . . . Oskar's Be such wurde schroff abgelehnt. Gott sei Dank, daß diese Störung vorüber war. Da konnte sie jetzt ruhig wieso es möglich war, daß Wellner, Arthur Wellner Um Got teswillen und mit jäher Schnell kraft sprang sie auf vielleicht hat er es noch nicht gethan, vielleicht lebt er noch, vielleicht ist er noch zu retten . . . sie will hin in seine Wohnung, im näch sten Kaffeehaus kann man ja das Adreßbuch nachschlagen, sofort hin zu ihm Halt, die Zeitung! Am Ende .. . . Eilig durchstöbert sie die Spalten Selbstmordrubrik, richtig, da steht es schon . . . Motiv unbekannt . . . hart schlug ihr ohnmächtiger Kör !per zu Boden. Bald erholte sich Fanny. Und jetzt > hatte sie eine furchtbare, unerklärliche !Angst: daß man ihr Geheimniß er-' rathen könnte. Sie verbarg denßrief! im Busen, netzte die Augen mit kaltem' Wasser und legte Rothanf. Als ob sie eine Schuld zu verbergen hätte, kam! es ihr vor. Zur Speisestunde wich sie ihrem Manne aus; sie hatte Migräne. Und den ganzen Tag mußte sie an Wellner denien, es Hais nichts. Abends hatte sie in eine Gesellschaft zu gehen. Eine Weigerung wäre auf gefallen. Jeder sprach von Wellner. Und nur Liebes. Fanny hakte ein unendlich wehes Empfinden. Dieser Mann, den Alle lobten, war aus dem Leben geschieden, wcll er sie liebte. Die Leute hätten das nicht begriffen, sie verstand es. Und es rührte sie un beschreiblich, kaum tonnte sie die Thrä nen zurückhalten. Oskar war anwesend. Ihr schien !das wie eine Beleidigung gegen den Todten. Sie wich 'hm aus und war bereit, ihn in's Gesicht zu schlagen, wenn er, wie so oft, Cimlich ihre Hand würde. Wellner und wieder Wellner. Es machte Fanny traurig, daß man bei aller Güte von ihm so kühl, wie von einem Fremden red-te, so ohne tiefere Ergriffenheit. Und doch war es ihr wieder recht. Er gehörte ihr nur ihr. Aber ahnen durfte si? es nicht lassen, um keinen Preis. Auf den Sarg Wellner's ließ sie durch eine Blumenhändlerin einen mächtigen Jmmortellenkranz mit schwarzen Bändern legen. Mit der Schlauheit eines liebenden Weibes das alles erreicht, ohne sich zu verra then, hatte Fanny sich eine Photogra phie Wellner's zu verschaffen gewußt. Und während man ihn begrub, kniete sie in ihrem Boudoir vor seinem Bilde und stammelte in krampfhaftem Schluchzen heiße Absckiedsworte. WaS ihr, da er noch lebte, unmög lich erschienen wäre, Fanny trauerte um Wellner, er süllte ihre Gedanken u. ihre Träume aus, daß er in den Tod gegangen war, weil er sie gen?bt hatte, und als sie es unbemerkt thun konnte, fuhr sie hinaus zu seinem Grabe, und war unglücklich, wie nur je ein Weib es an einem solchen Orte gewesen . . . Sie liebte den Todten. Lebensweisheit. Wer trotz eifrigen Bestrebens In dem Sommer seines Lebens Nicht den grünen Zweig erklommen, Dem wird leer der Herbst verrinnen Und des Winters rauh beginnen Kann gewiß ihm auch nicht frommen. Variante. Viele Töchter ver derben dem Freier die Luft. Zu Strasburg auf dcr Schanz.. Ein steierisches Bollsbild von Peter R o i e g c, e r. Schon zur Sommerszeit war die oben im Hochgebirge liegende Hütte kaum zu finden, im Winter aber war zudem noch alles eingehüllt in Schnee und Nebel. Und zur Stunde auch in Nacht. Da durften sich die beidenGe ! selten schon auseinanderthun in der ! Hütte und das Herdfeuer anmachen. Jetzt konnte sie der aufsteigende Rauch nicht verrathen. Ter Kleine, ein rothbärtiger Glatzkopf, weidete eme Gemse aus; der andere ein schlanker, hagerer Mensch mit langem, schütte rem Schwarzbartanflug im blassen Gesicht und in einem alten Militär- Schnee in einen Holzzu 'ber und stellte ihn auf den Herd, da !mit das Wasser werde. Die beiden Männer sahen an Gewand und Kör per so verkommen und bedenkkich aus, daß man ihnen die Wahl dieses un wirthlichen Aufenthaltes gern glaubte. „Du, Fölzl." sagte der Rothe mit einer schier zarten Fistelstimme, „nächst Jahr kommt?üe Fastenzeit früher!" „So!" sagte der Andere. „Ja, Fölzl, wir müssen sparsam sein. Das ist die letzte." Er meinte die Gemse. „Ter Widl kommt nicht mehr, weil er kein Geld kriegt, das Pulver ist verpufft und ich soll des Hungers sterben, deinetweg, Geizhals du, verdächtiger! Oder willst mich le bendig braten, weil du das Feuer so in's Dach jagst?" „Die Hütte soll niederbrennen," sagte der Fölzl mißmuthig. „Mir wär' es schon am liebsten, meiner Seel. 'Todt möcht ich sein. Oder wieder einmal Lent' sehen. Jetzt, wenn Weihnachten kommt, gehe ich hinab in das Thal. Will doch endlich wieder einmal weißt Rückli mich ver langt's immer einmal nach einer Kir che nglocke." „Und mich nach einem Wirthshaus, ja, Fölzl, wir gehen miteinand. Aber nimm Deinen Geldsack mit, daß man dich unterwegs berauben kann." „Deine Späße sind ranzig," sagte der Schwarze im Soldatcnmantel. „Du weißt, daß ich den letzten Thaler ! nicht hergebe. Er ist meiner Mutter ! Taufthaler." Der Rückli hielt die baumrinden farbigen Hände über denßauch zusam men und sagte zärtlich: „Der Tauf thalr, dcr von Muttcrl! Eiirr Freu de, was du für ein frommes Kind bist. Und unschuldig wie die Engel! Nur daß du dich vor den Gendarmen fürch test, macht dich noch liebenswürdig." „Fürchtest du nichts, Schweizer?" fragte der Fölzl. „Du hast mir doch erzählt, daß du vom Bahnhof den Postbeutel gestohlen hättest!" „Gestohlen hättest —! Grober Fle gel! Weil ich gemeint hab', es könnt' ein Brief für mich dabei sein. Nichts Ordentliches darin gefunden, habe den Beutel rcdlicherweise auf die Straß: geworfen, wo ihn jeder Postknecht auf heben kann." „Besser bist dran, wie ich." bemerkte der Fölzl, wären'd er getrocknete Pilze in das Wasser warf. „Mick, wenn sie verwischen, bringen sie blos ein bissel um." „Geh'. Prahler!" „In allem Ernst. Weil es schon das drittemal ist." „Das drittemal, sagst?" „Daß ich ihn-.'n durchgegangen bin vom Militär. Das erstemal in Graz, wie ich heim will, da haben sie mich nach ein paar Stunden schon erwischt. Eine Woche Stockhaus. Das zweite mal voriges Jahr im Krieg. Auf >dem Rückzug von Königgrätz denke ich mir: Die schönste Gelegenheit—ohne Urlaub heimzu, in's Gebirg. Kein Hahn kräht danach. Glücklich über Linz her. Da hat mich ein Weibsbild verrathen. Da-' zumal. Freund, haben sie mich auf der Stell' wollen erschießen. Fahnenflucht. Aber sie haben mich begnadigt. „Wenn Du noch einmal desertirst," Hai er da mals gesagt, der Hauptmann, „'dann wirst Du erschossen ohne Pardon!" Ein halbes Jahr später bin ich halt wieder fort." „Gelt, Fölzl. weil's lustiger ist in der Wildniß ein Raubthier wie bei den Kaiserlichen in der Kaserne, das gute Gewand. >die Herrenkost all' Tag! Muß ganz abscheulich sein." „Rückli, das verstehst Tu nicht." Am nächsten Tage war der Weih nachtsabend. Die beiden Flüchtlinge verhandelten miteinander. Sie wollten nach Oberklausen hinabgehen, in's Dorf. Der Fölzl war bereit, dem Rückli seinen Silberzehner zu geben, das einzige Geldstück, das er nebst dem Taufthaler noch besaß. Dafür mußte der Rothe Mäntel tauschen, so daß er den Soldatenrcck und der Soldat den Lodenrock anzog. Zur größeren Si^ cherheit. Weiter bedingte der Fölzl sich !aus, daß der Andere sich nicht an seine Fersen hänge, sondern ihn allein gehen ! lasse. Der Hirt hatte im Herbste wohl die Schaassckeere vergessen, die auf der WanDleiste lag. Mit dieser großen Scheere schnitten sie nun einander die Bärte weg. Dann kam ein großes Wa sck?en mit Schn:e. Nach dieser Verschö nerung hatte der Rückli unter dem brei ten Glatzschädel ein lächerlich kleines, krebsrothes Gesichtlein, eine winzige ! Stumpfnase drin und zwei Luchsau gen, die unerhört nahe aneinander stan den. Der Fölzl hatte ein fast schönes, .jugendliches Antlitz, nur eingefallen, ldie Wangen waren bei'm Scheuern mit Schnee rosig geworden-. Die runden Augen aber blieben in Schwermuth. Dann sind sie hinab gegangen ! Stunden weit in's Thal. Der Fölzl für sich allein, der hielt sich stets an die Wälder, und als er Oberklausen vor sich liegen sah, wartete er die Abend- Dämmerung ab. ehe er hinschlich zur Kirchhofsmauer. > Er möchte dock wieder einmal in Gemeinschaft gläubiger Menschen sein. jEs ist so kalt, so öde ausgestoßen !zu sein! Ist es denn wirklich ein Ver brechen, daß er nicht leben kann ohne !die Heimath? Alles von sich zu schie ben, Nichts zu thun und Nichts zu ver langen vom Kaiser und Reich, als ein armes, kummervolles Leben im Ge birge! Und deswegen verfolgt, geäch tet! Im blätterlosen Gestrüpp an der !Mauer kauerte er. Das war nicht !>veit von der Stelle, wo seine Eltern Die Füße grub er tief in den Schnee, daß sie nicht erfrieren konnten. Friedsam war die Nacht. 'Die Sierne waren wie silberner Sand an den Himmel hingestreut. An den lßerghängen die Lichter auch glitten i thalwärts und wieder bergwärts, der 'Kirche zu, die über dem Dorfe auf dein Hügel stand. Nahe an ihm gingen sie vorüber und die hohen schmalen Kir chensenster bekamen allmälig den rosigen Schein, der sich zu einer lich ten Gluth steigerte, weil drinnen schon Hunderte von Kerzen brannten. Leise und in hoher Feier begann das Tönen der Orgel. Dem armen Flüchtling wurde es warm in 'der Brust. Jetzt sifselt Etwas über den Schnce boden heran, an der Mauer hin und zischelte beständig: „Fölzl-Bruder!" Das war der Nücklc. Der Flüchtling hüstelte. „Ah. da bist Du ja! "sagte der Ro-! the, „aber daß Du Dir Nichts einbil dest! Es ist schon wieder Nachfrage nach Dir. In aller Wahrt>eit, die Einhörner sind unten im Wirthshause. Nur zwei. Mich haben sie wollen be ehren, weil ihnen der Rock bekannt vor kam. Nur hat ihnen der alte Lump nicht gefallen, der drin steckt. Dich wollen sie haben und meinen, hersür gangen könntest Du sein, aus die Weihnachten. Solche Nasen! Sie kommen zur Kirche her, das hab' ich Dir stecken wollen. Guten Abend!" In die Kirche also heute nicht, das wäre heut' ein zu gefährlicher Ort. Da trachtete der Flüchtling nach einem bes seren Versteck. In einem Winkel des Kirchhofes war das Beinhaus. Es war halb verschüttet, verschneit und mit Struppwerk umgeben. Zwischen dem Wust guckte das schwarze Loch ei ner Wölbung hervor. Da hinein kroch Fölzl, aber es tvar ein ungutes Kauern auf den harten Knochen und Todten fchädeln. Doch wenigstens fühlte er sich hier sicher. Von der Schädelstätte aus sah er durch's Kirchensenster gerade die ver goldete Statue des heiligen Apostels Paulus, die er als Knabe so oft trachtet hatle. Aus seinem Brüten weckte ihn der Festgesang: „Stil ke Nacht! Hei li ge Nacht!" Mit 'gar ter Violinbegleitung sang es auf den? Chor eine Frauenstimme. Eine Stim me, die Was ist denn das? Das ist die Mutter! Das ist die Mutter! In glühender Erregung aufsprang der Bursche, daß die Knocken kollerten, mit wenigen Sätzen war er am Kir-! chenthor. Dort standen sie. Der Eine faßte ihn am Arm, der Andere leuchtete ihm mit einem Streichholz in das Gesicht. „Ich glaube, er ist es," sagte der Gendarm. „Wollen Sie uns Ihren Namen sa gen?" „Der Rechte wird's schon sein." ant wortete der Flüchtling in trüber Ge lassenheit. Jetzt haben sie ihn mit dem Stahl kettlein geschlossen. Er hatte die Hän de gleich selbst dazu gekreuzt, er war ja schon Sachverständiger darin! „Meine Herren!" sagte er. „machet Euch die Mühe kurz. Ihr wißt, was mit mir jetzt geschehen wird. Mir ist es recht, nur daheim, daheim machen wir's ab. Da gleich hinter der Mauer.' Ich bitte drum! Ich bitte drum!" „Was wollen Sie >t.ine Umstände jetzt. Wir marschiren ab." Da hub der arme Bursche an, gar sonderbar zu reden. „Nicht wahr, ihr guten Herren," —! sagte er, dieweilen sie selvander hinab schritten die Kirchentreppe, „aus diesen sännen Gerrebren habt Ihr j schon immer einmal einen Schuß ge than, der dem nicht gut gewesen ist, er getroffen? Habt Ihr leinen barmherzigen im Rohr? Schenket mir !jhn! Nur daß ick daheim schlafen — Ihr dürst nicht?" „Lassen Sie derlei Späße. Jetzt marsch!" „Ihr dürft nicht? Na gut. Dann weiß ich ein Mittel, das- Ii? dürft." Kaum die letzten Worte gesprochen, machte er einen weiten Sprung die letz ten Stufen hinab, und in großen Sät zen blinkende Schneefeld da hin. „Halt! Halt! Halt!" Er hielt nicht, da knallte der Schuß. Der Gendarm hatte sich sckwer zu rechtfertigen. Er hatte schlecht getrof fen. Nack dem Bein hatte er gezielt, den Hals hatte er durchbohrt. Im halbverfallenen Gewölbe, auf den Knochen, von da aus er vorhin in Erinnerung an seine seligeKindbeit die Ehristmette mitbegangen hatte, lag jetzt sein kalter Leib. In der Morgendämmerung des Christtages stand der Strolch sinnend davor und erwog, in welcher der Ta uschen wohl der Tausthaler stecken moch te. Endlich wendete er sich ab. schüt telte den Kopf und gixte bei sich: '„Nein, dieses Geschäft wär' mir denn zu schmutzig." Nein-Sager im Bundeshaus. Protest und Versperrungs - Politik sind zwei Worte, welche im parlamen tarischen Leben der Neuzeit viel zu be deuten haben. Man braucht nur flüch tig die Berichte über die Borgänge in ! gesetzgebenden Körperschaften unseres Landes nnd anderer Länder zu lesen, um sich davon zur Genüge zu über zeugen. Nersperrung durch ganze Par teien oder Partei - Bereinigungen ist in den letzten paar Jahren ein beson ders häufiges Beispiel gewesen. Ne ben solchen Gelegenheit - Sensationen schen Körperschaft einzelne Indivi duen, welche sich einen ständigen Na men als „professionelle Nein-Sager" machen und ihre Einsprache sehr oft auch dann erheben, wenn es sich um die geringfügigsten Dinge handelt, und selbst wenn gar keine Prinzipienfragen auf dem Spiele stehen. In unserem Bundes - Volkshaus oder Eongreß sind solche ständige Nein Sager verhältnismäßig sehr zahlreich, namentlich in der Abgeordneten-Halle. Sie gehören theilweise zu den bemer kenswertheiten Ersck)einungen im Eon greß, und manch: der berülMtesten parlamentarischen Namen älterer und neuerer Zeit gehören dieser Liste an, welche freilich auch viele wadenkneifen de Kleinmeister untersten Ranges um faßt, denen es meistens blos darauf ankommt, sich eine wohlfeile Populari tät durch recht Freigiebige Anwendung des Wörtchens „Nein" oder „Ich Pro testire" in allen möglichen Fällen zu erwerben, sogar ohne Rücksicht auf Schädigung der berechtigten Interes sen Einzelner oder des ganzen Publi kums. Diese Sorte hat Amos I. Eum mings im Auge, wenn er diese Nein- Sager „Giftpilze" nennt. Er giebt freilich zu, daß manche Nein - Sager dem Volke und seinem Geldbeutel schon sehr werthvolle Dienste geleistet haben. Es ist nicht immer möglich, diese beiden Klassen streng von einan der zu trennen. Vorwiegend gilt das Neinsagen na türlich den Verwillignngen, großen und kleinen. Die Geschäftsregeln, wie sie'gegenwärtig im Bundes - Abgeord netenhause bestehen und gehandhabt werden, scheinen besonders günstig für die Entwickelung des berussmäßigen Neinsagers zu sein. Diese Regeln tref fen nämlich keine besondere Verfü gung für die Erörterung irgend einer Vorlage, die mit Verwilligungen ver bunden ist, ausgenommen die regulä ren Verwilligungs - Vorlagen selbst, das übrige Kroppzeug von derarti gen Vorlagen kann nach diesen Regeln niemals von selbst auf das Tapet kom men. außer auf besondere Weisung des - Ausschusses selber. Die einzige sonstige Art, sie vor das Haus zu bringen, besteht darin, daß um einhellige Zustimmung des Hauses zur Berathung der beireffenden Vor lage ersucht wird, vorausgesetzt, daß der „Ezar" Reed, oder wer sonst den Sprecherposten einnimmt, überhaupt bewogen werden kann, von einem sol chen Ersuchen Vermerk zu nehmen. Ge schiebt Letzteres, dann ist der „große Augenblick für den kleinen Neinsager" gekommen. Sobald die Vorlage heruntergelesen ist, erhebt er sich mit einer Geberde, als ob er eineni überwältigenden Pflicht gefühl folge, und ruft: „Herr Spre cher, ick protestire". Der Sprecher sieht ihn einige Augenblicke sest an und spricht dann gelassen das Wort: „Ein spräche ist erhoben". Damit ist ge wöhnlich die Vorlage wieder todt und begraben, es sei denn, daß es dem Mitgliede, welches das Ersuchen ge stellt bat, privatim gelingen sollte, de? Neinsager zur Zurückziehung seine Einwanves zu bewegen. Allermeisten aber findet solches Zureden taube Ob ren, und es bleibt dabei, daß die Vor läge „einstimmig" abgemurkst ist. Wie es bei diesem System l>ergehei kann, davon hier ein erbaulickes Bei spiel: Ein Kaufmann hatte übermä Bige Gebühren. welche ihm ein Zoll Abschätze? auserlegte, unter Protest de zahlt und bei der Gesammtbehörde der Zollabschätzer Berusung dagegen einge legt. Ehe über diese Berufung ent schieden werden konnte, hatte aber der Zollerheber das Geld bereits dem Schatzamte zugeführt. Daher war. trotzdem jene Vehörde zu Gunsten des 'geschädigten Kaufmannes entschied Rückerstattung des Geldes nicht mehr möglich, außer durch einen besondere? Erlaß des Eongresses. Eine diesbe zügliche Vorlage wurde eingebrack auch vom Ausschuß für Ansprück günstig einberichtet. Nach den Ge schästsregeln jedoch konnte sie nu' durch ein Ersuchen lim „einhellige Zu jstimmung" zur Berathung gebrach. ! werden. Sofort war der professionell. -Neinsager zur Stelle und gab der Vor läge kalt lächelnd den Todesstoß. Die !ser Vorgang wiederholte sich in einer 'Session nach der anderen, und voll< 'sechs Jahre verstrichen, ehe der Kauf inann das ihm unrechtmäßig abgenom mene Geld zurück erhalten konnte! Ab gesehen von seinen Scheerereien, verlor ser auch die Zinsen aus sein Geld für diese ganzen sechs Jahre und mußtc sehr froh sein, daß er überhaupt ctwcu kriegte. Solche Beispiele, und noch viel trau rigere, ließen sich massenhaft anführen vc,n Bcslret>eii, sich vel seine? Wählern populär zu machen, hat de: berufsmäßige Neinsager meist nick das geringste Interesse an dem betref senden Gegenstand, den er auch gar nicht geprüft zu haben braucht, da ei ja nicht verpflichtet ist, seine Gründe anzugeben. Ueberdies werden manch mal auch die widrigsten persönlichen Ränkesüchteleien und Feindschaften auf diesem Wege besriedigt. Das Neinsagen kann, wie gesagt, auch von einem ernsten Pflichtgefühl diktirt sein. Der berühmteste Nenrsa ger höherer Klasse in unserem Eongreß war bekanntlich W. S. Holman von Indiana; in manchen Fällen wenig stens hat er sich unzweifelhafte Ver dienste durch das Schleudern des kal ten Nein Blitzstrahles erworben. An dere Berühmtheiten auf diesem Gebiete waren Samuel I. Randall, „Black" Kilgore und Lewis Beach. Währenc der jetzigen Eongreß - Tagung hat de; Neinsager aller Schätzungen gleich falls viel zu bestellen. Große Wohlthat. Mut ier: „Das sind Beamte der Stadt, die jfür ihre Einwohner sorgen und den ken. Da mußt Du auch hübsch artia und dankbar sein!" Junge: „Da? gilt doch nur sür große Leute. Was hab' denn ich ihnen zu danken?" Mutter (nach einigem Besinnen): „Nun, bist Du denn nicht schon bei der Volkszählung wiederholt mitgezählt worden?" Kindermund. „Tante," sragte Aenncken. „was ist denn ein „Flegel?" „Ein Flegel, mein Kind, ist ein wilder Jung? von fünfzehn Ja hren." „O," ruft Linchen, „müssen die aber viel aushalten!" „So, wa rum denn?" „Nachbars Emma sag te, sie hätten gestern den ganzen Taa mit vier Flegeln gedroschen." Vom Nord land. A.: „Ick war im letzten Sominer in Schweden. ich sage Ihnen, wundervoll, groß artig, namentlich Wisby, Die Ruinen st-adt, davon machen Sie sich gar keine Vorstellung. Wisby müssen Sie fick einmal ansehen!" B.: „Ack. ich bin gar nicht so Wisby gierig!" Zeichen der Besserun g.— A.: „Wie geht's denn dem Herrn Oberförster?" B.: „Bedeutend bes ser, gestern Hot man noch geglaubt, es ginge mit ihm zu Ende, und heute lügt er schon wieder wie ge druckt!* " 7