Newspaper Page Text
Fern i. Erzählung von Mari e v. Buu se n. Zum ersten Male traf ich die Beiden in Wiesbaden. Dorthin hatte ich meinen Sohn begleitet; vom Manöver her litt er anßheu matismus und wollte ihn hier los werden. Im Kurgarten bemerk ten wir allmorgentlich einen im Rollstuhl gefahrenen, etwa sechs jährigen Knaben, und an dessen Seite einen jugendlich aussehen den Herrn. Die Beiden schienen sich viel zu erzählen, und gerade bei'm Lachen hatte der vermuth liche junge Vater etwas selten Ge winnendes. Sie interessirten mich, uud da die alte Exzellenz Rollhofen Je dermann kennt und Alles weiß, bat ich sie um Auskunft und be-! schrieb ihr das Paar. Schon nach deu ersten Worten unterbrach sie mich. „Gewiß, natürlich, das ist Kuno Dommen. Ach Gott, ist das rührend." Und sie holte Athem. „Also die Dommen's sind aus Frankfurt, so 'ne Art Patrizierfamilie. Sie wissen ja. die sich ebenso gut. wie Unsereins vorkommt. Der Vater hatte sich von der Bank zurückgezogen, war von Friedrich Wilhelm dem Vier-> ten geadelt worden und baute sich bei St. Goar herum das große Schloß Rheinblick, welches so an Stolzenfels erinnert. Seine Frau war eine Lobingen, eine von den fränkisvM Lobingen's. und sie hatten nur den einen Sohn. Ehe dieser großjährig war, verlor er beide Eltern und l?eirathete. ganz jung, eine bildhübsche Cousine/ welche bei der Geburt des ersten Kindes starb. Und als er 'mal mit Ferni spielt nnd ihn in den Armen hoch empor schleudert und das Kind vor Vergnügen nur so kreischt, prallt das Köpfchen mit aller Gewalt an den Kronleuchter. Erst hielt man den Kleinen für verloren, dann wurde er durchge-! bracht, aber eine Gehirnerwei-j chung befürchtet. Schließlich hat er sich geistig normal entwickelt, ist aber hoffnungslos gelähmt. — Nun lebt Kuno Dommen blos für das Kind, hat Alles aufgegeben, seine Stellung am Landgericht in Koblenz. Alles, um jeden Winter nach dem Süden zu reisen. es ist ein Jammer um ihn ein so reizender Mensch." Es hatte mich kalt überlaufen;' meine Sck.waacrm li?ß e'nst in! meiner Gegenwart ibr Kindchens fallen. Gott sei Dank, erholte sich völlig, aber dieser Augenblick und die nachfolgenden Wochen haben mich lange verfolgt. Mit! erneuten Antheil beobachtete ich im Kurgarten das Paar; als nes Tages Exzellenz Rollhofen vorbeikam, stellte sie ihn vor und von da an verkehrten wir viel mit einander. Näher trat ich ihm aber erst eines Nc-chmittags im Biebricher Park. Mein Sohn hatte mit einigen anderen Herren einen Ausflug nach dem Nieder wald - Denkmal Hr. von Dommen hatte jedoch ab-l gesagt, da es dem kleinen Ferni etwas schlechter ging, und so fuh ren wir Beide mit dem Kind bei prachtvoll warmem Herbstwetter nach Biebrich. Der Kleine saß in der Sonne und spielte mit den Kastanien, welche ihm der Dieners sammelte, sein Vater und ich gin-' gen in der uraltenKastanien-Allee auf und nieder. Jenseits vom' etwas verwilderten Rasen schim merten Schwäne aus dem von herbstlichen Bäumen umschatte-! ten Teich. Auch jetzt kann ich ue Schwäne und fallende gelbe Blätter sehen, ohne daß mir Kuno Dommen's fein geschnitte nes Gesicht vorAugen tritt, so wie er neben mir gehend die traurige Geschichte erzählte und traurig vor sich hinschaute. Er hatte mir gesagt, so schnell, wie ich. hätte noch kein Fremder sich jemals mit Ferni befreundet. Darauf schilderte ich ihm das lange Krankenlager meines so begabten, so anziehenden, armen verstorbenen Kindes. Vielleicht ' wurde ich etwas ausführlich und vergoß wohl einige Thränen, aber er war sehr feinfühlig und theil nehmend. meinte, wem es selber so schwer ergangen, könne mit Anderen empfinden, und so all mälig gerieth er auf die eigene Vergangenheit. „Da sprechen die Leute von der Unmöglichkeit eines vollkommenen Glückes! Die Ilse und ich lieb- ten uns während der Brautzeit mit ersten warmblütigsten Leidenschaft. — Aber in der Ehe wurde unsere Liebe noch weit tiefer, noch weit schöner. Es ging uns ja äußerlich recht gut. trnr hatten wohl ziemlich Alles, was sich die Menschen meistens wünschen, aber im Vergleich zu unserem In- und Fürein anderleben erschien uns das Uebrige für wesenlose Zuthat. Auch genossen wir unser Glück mit Bewußtsein; als das Kind erwartet wurde, fanden wir, daß nichts, gar nichts uns mangle. Am Jahrestage nach unserer Ver lobung, zehn Tage nach Ferni's Ge burt, war sie todt. Sie war vor ihrem Ende ganz klar und ganz ergeben, so schwer ihr der Abschied auch wurde. „Nicht wahr, mir zu Liebe wirst Du so sür unseren Kleinen sorgen, daß ich ihm nie fehle, daß ihm nichts entgeht." lch glaubte es zu thun. Dann aber kam das Unglück. Er erblaßte und die Lippen zitter ten. Erst nachdem er seine Stimme wieder vollständig in der Gewalt hat te. suhr er fort: „Wissen Sie, gnädige Frau, seitdem ist ja manclies Jahr ver gangen, und in einer Weise, wie man es im ersten Schmerz sür ausgeschlos sen hält, macht das Leben sich wieder geltend. Aber ich bin kein sreierMann werde es niemals sein. Alles. Uvas in mir einigermaßen etwas taugt oder taugen könnte, wurzelt in meinem iVerb.ältniß zum kleinen Ferni. Sein durch mich verschuldetes Unglück kann ich nie abwälzen, das Wort, welches ich meiner sterbenden Frau gab. nie einlö sen, aber ich kann mich doch wenigstens für ihn hingeben. ? Nun nennen ja c.lle vernünftigen Leute dies ein phantstisch übertriebenes >Sichaufopfern; sie sagen, man wäre nur einmal jung, wäre seiner eigenen Persönlichkeit doch auch etwas schuldig und dergleichen. Wahrscheinlich wür de ich einen Anderen ebenso verständig beurtheilen, aber ich weiß, daß mein Leben so und nur so verlausen kann u. muß. Allerdings ist es ja recht anders ge worden, als wie ich cs mir als zwan ziajähriger Mensch gedacht." Und schweigend gingen wir im fal lenden Laub. Da tönte das schrille Stimmchen: „Pava, Papa:" Er eilte mir voraus, und seufzend betrachtete ich die schön gewachsene, schlanke Gestalt. Zusam ineii spazierten wir dann unier den be schnittenen Linden vor dem melancho lischen, verfallenen Schloß der ent thronten nassauischen Dynastie; un zählige trübe, ungeöffnete Fenster, von den Zinnen waren viele der so lustig verschnörkelten Statuen gestürzt. Ferni war ein neenig reizbar, gedul dig heiterte fein Vater ihn auf. Es war ein lebhafter, etwas unschöner Junge, hatte nichts Einschmeichelndes, noch Zinbunliches im Wesen, aber der leidende Ausdruck des Kindergesicht chens war so rührend, daß man ihm gut sein mußte, und manchmal lächelte er mit dem einnehmenden Lächeln sei nes Vaters. Oft besprach Jener mit mir den Charalkr des Knaben, die Schwierigkeiten gerade dieser Erzie hung. „Strenge," so meinte er, „ist ja bei Ferni ausgeschlossen, nur durch sein Herz kann ich auf ihn wirken." Mir erschien dieser pädagogische Grundsatz, auch in diesem Ausnahmefall, recht an fechtbar; ich drang auf die Nothwen digkeit der, wenn auch noch so zarten, immerhin sesten Hand. Doch über zeugte ich ihn nicht. „Der Ferni ist eben ein eigen entwickelter Charakter in einer eigenen Lage, man darf ihn nicht wie andere Kinder behandeln." Aber trotz auseinander gehender- Meinungen hatte ich doch sein Ver trauen erworben, gern erklärte er mir alle Kurversuch?, alle ärztlichen Hypo thesen. Anscheinend hatte er diese Fra gen ziemlich eingehend studirt, und auch auf anderen Gebieten überraschten uns! seine klaren und sestbegründeten An sichten. Neben der neuesten Kunst und Literatur hatte die Sozialpolitik ihn am Meisten gefesselt; mein Sohn macht selber etwas in Staatssozialismus u. ärgerte sich fast über Dommen's gründ liches Wissen. „Wenn er sich nur der Sache widmete, wir haben gescheidte, unabhängig gestellte Leute so bitterlich nöthig! Vielleicht nimmt der liebe Go:t dieses kreplige Wurm bald zu sich," schloß er mit dem sehr unechten Cynis mus unserer jungen Männer. Wir schieden mit allseitigem, herzli chem Bedauern. Zu Weihnachten schickte ich dem kleinen Ferni die neuesten Aus schneide- und Klebe-Bogen. zu Neujahr erhielt ich von Dommen einen warmen, ! ausführlichen Brief, und im Lauft des ! Winters trafen An-emonen aus San Nemo für mich ein. Aber dann, wie es so geht, verlor sich der Faden und wir hörten vier Jahre Nichts von ihm. bis er eines schönen Tages in Verlin bei uns vorsprach. Er sei mit dem Kleinen in der Bergmann'schen Klinik, eine mit Elektrizität verbundene Kur würde versucht. Nein, besser ginge es leider noch nicht, etwas auf und ab, aber vom Flecke wäre man noch immer nicht ge rückt. Nun sahen wir uns ost; da wir im Erdgeschoß wohnten, konnte auch der Kleine leicht in seinem Rollstuhl her auf befördert werden. Was war der Kuno Dommen doch anregend und an ziehend! Nach der Wiesbadener Zeit wollte mein Mann seinen Namen gar nicht hören, behauptete, das wäre wohl so ein „Gesühlssimpler, recht geschaf fen. um weichherzige Frauen zu beste chen." Jetzt aber konnte ich triumphi ren, jetzt gerieth mein guter, im Grun de sehr anerkennender Bernhard gänz lich unter Dommen's Zauber. Ich aber ängstigte mich innerlich um unseren Freund. Ich fand ihn aufge legter. lebhafter, wie damals, jedoch so zersplittert, jedoch so zerfallen! War das auch einDasein sür einen zweiund dreißigjährigen, begabten jungen Mann! Die einzig oder minder male Zeit bildeten die paar Dienst- Übungen bei den Dinieldorfer Küraf ' streu. und bei jeder dieser Gelegenhei ten lxute es Nervenkrisen des Kleinen gegeben. Nur monatweise lebten sie 'auf dem schönen Schloß Rheinblick, wo die Weinberge und alles Andere ver packtet waren und das große Gebäude hausfrauenlos, ungemüthlich erschien. !Dann die Winter im Süden u. dann Meran oder Norderney oder eineChar- Eonsultation in Paris. „Wo sich der Papa aber himmlisch unter hielt," wie Ferni altklug bemerkte. Ja. der kleine Ferni! Für seine zehn Jahre war er un heimlich aufgeweckt; statt Freimarken sammeln'oder Jndianergeschichten zu verschlingen, las er mit Vorliebe 'Romane oder horchte dem Gespräch der Envachsenen. Oft mischte er sich in dieses ein. legte eine vorwitzige Schla gfertigkeit an den Tag. Nur zu deut lich erkannte ich. wie er bei solchen Be merkungen aus die belustigten Necke reien der Großen rechnete. Ich erkun digte mich nach seinem Stundenplane; er lernte leicht, aber ungern. Oft hatte man schon mit Hauslehrern gewechselt, er schloß sich an keinen an. auch nur selten an andere und dann nur an weit ältere Kinder, wollte beinahe nur sei nen Vater, oder allenfalls seinen ihn ivergötternden Diener Plusow um sich dulden. Unzweifelhaft liebte er seinen i.Vater, aber giebt es in solcher Liebe znicht ebenso viele Strahlenbrechungen, solch? Liebe nicht fast ebenso leicht verzerrt und verunedelt, wie diejenige zwischen Mann und Frau? Nur der ausschließliche Besitz des Vaters genüg te ihm; daß dieser AbeNÄs ausging, konnte er ja nicht verhindern, aber er iMt an quälender Eisersucht, wenn je- sich länger, wie gewöhnlich, von ihm entfernte, sich mehr, wie gewöhn lich. mit anderen Leuten abgab. Vom Vater verlangte er das Unmöglichste, was bot er als Gegengabe dar? Wenig noch weniger Dank. ! So unmöglich es gerade mir früher erschienen wäre, hier verkehrte ich täg lich mit einem armen, kranken Kinde, und sast eine Abneigung entwickelte sich in mir. Ich gedachte des Spruches der !Marie Ebner-Eschenbach: „Verwöhnte Kinder sind die unglücklichsten; sie ler nen schon in jungen Jahren die Lei den des Tyrannen kennen." Inwiefern begriff Kuno Dommen die Lage, inwiefern litt er darunter? Ich wurde mir hierüber nicht recht klar, hatte auch nicht eingehend und allein mit ihm gesprochen. d>a außer meinem Mann die zum Besuch bei uns woh nende Schwägerin meines Sohnes im mer zugegen war. Wir hatten einen äußerst hübschen, ungezwungenen Ver treter. besuchten gemeinschaftlich Aus stellungen. Reichstagssitzungen. Eon zerte, Theater, ost verbrachte er den Abend auch ganz gemüthlich bei uns. Diese hochgradige Anhänglichkeit wur de mir aber eines Tages erklärlich. Der kleine Ferni hatte seinem Vater einen längeren „Urlaub" gegeben, es war ein sonniger Tag. Ende Februar, aller Scknee war fortgethaut und wir gin gen in der milden, winterlichen Tod tenstille am Havelufer spazieren. Mein Mann und ich haben immer den Gru newald gemocht mW ihn ganz nett ge funden, aber augenscheinlich sind wir recht zurückgeblieben, denn die Extase dieses verwöhnten Rheinschloß - Besi tzers und Europareisenden war uns äußerst überraschend und wenig ein leuchtend. Er war ganz hin. „Nein, diese in die Unendlichkeit verschwin dende Welt der oiolettgraucn Niesen stämme, diese sern vorbeiziehenden ho hen. weißeii Segel, diese breite schwer müthige Wasserfläche mit den matt dämmernden Ufern!" Die Adda. welche zum Malen inßer lin war, schwärmte im selben Ton. „Im Atelier ist eine Schweizerin, als sie zum ersten McU Tegel und Saat winktl erblickte, hat sie fast geweint, und sagte, das Eis wäre in ihr ge schmolzen. bis jetzt hätte sie die Natur nur oerstandesgemäß bewundert, aber diese hier spräche zu ihrer Seele." So gingen die Beiden in der lebhaf testen Unterhaltung vor uns her. Und wie es bei Eheleuten, die bereits ihre silbern? Hochzeit gefeiert haben, öfters vorkommt, dachten wir dasselbe, sahen das Paar an und uns an und lächel ten. Ich kann gar nicht sagen, wie un beschreiblich mich der bloße Gedanke an eine solche Möglichkeit erfreute. So oft sagt man, zwei Menschen seien für einander geschaffen, aber hier war es doch thatsächlich der Fall; hier war es für Beide in gleiches Glück. Ich knechte die Adda ss gern, und sie that mir leid. Verwaist und blutarm, stand sie jetzt mit siebenundzwanzig Jahren zwischen der Alternative, bei ihren oerheiratheten Geschwistern ab wechselnd zum Besuch herum zu woh nen. oder in einem holsteinischen Stif: ihr Leben zu beschließen. Dabei war sie äußerst seinfühlend und liebens würdig. sehr pflichttreu, sehr echt. Ohne schön zu sein, hatte sie sowohl Rasse, wie eine gewinnende Armuth, hatte dem Kuno Dommen doch anschei nend gesall-en. Und wie herrlich für ihn! Eine Frau, die seinem Kinde die liebevolle, aewissenhaste Mutter wäre, eine Frau, die ihn verstehen würde, sei ne Jn.eressen theilen könnte unv dabei ihm den festen, sicheren Halt verliehe! Wunderschön malte ich mir Alles aus. glaubte auf Wolken zu wandeln und fah verklärt vor mich her. Als wir uns trennten, war er sicht lich aufgeregt, sie aber verschlossen, zu rückhaltend und befangen. Ich be schwor meinen Mann, sie nicht zu n?- cken; er versprach es, und trotz seiner Vorliebe für harmlose Anzüglichkeiten hielt er mannhaft sein Wort. Am nächsten Abend hatten wir uns zu ei nem populären Philharmonie-Konzert verabredet; bei diesen Gelegenheiten wären die Logen nie überfüllte da kön ne Plusow deu kleinen Ferni leicht her ausbringen. Die Phantastische Symphonie von Berlioz wurde vom Blindworth-Con- her wiederholt; mir eine der be ängstigendsten Compofitionen, die ich kenne, aber Dommen liebte sie. und >Adda wünschte, sie kennen zu lernen. Mein Mann blieb natürlich zu Haus, seit unserer Verlobung hat man ihn noch in keinem Conzert erblickt. In der heitersten Stimmung verlief das Mit tagessen: wir fuhren nun nach der Bernburgerstraße, richteten Ferni mög lichst bequem in seine" Logenecke ein. wobei Adda eine zurückhaltende, mir jedoch bemerkbare, sanfte Fürsorge an den Tag legte. Erst wurde das mir so sympathisch? frühlingsfrische Siegfried - Idyll ge geben, dann etwas edel sinnlich Hin reißendes von Weber. Ich saß bei'm Kleinen, neben mir war ein leerer Platz. dann kam Kuno Domrnen unv darauf Adda. Sie sprachen leise zusammen, ihren Augen, ihren Lippen, ihrem gan zen Wcftn sah ich die glückliche Erre gung an. Als ich später meinen Mann darüber berichtete, konnte ich keine Thatsachen anführen, aber vollkommen sicker wußte und weiß ich. daß die Bei den sich damals, wenn auch wohl ohne eigentliche Aussprache, gefunden hat ten. Sowie die Pause vor der nie begann, setzte sich Adda zum kleinen Ferni und srug ihn freundlich, ja. lie bevoll. wie ihm die Musik gefallen hät te. Und da bemerkten wir, daß sein Gesicht sich entstellte, es wurde feuer roth und von den leidenschaftlichsten Gefühlen verzerrt. Er antwortete kurz und unhöflich, rief seinen Vater her bei. welcher sehr verlegen ihm besänfti gend die Hände streichelte und ihm ir gend was erzählte. Adda und ich sa ßen zusammen, ich machte krampshafte Bemerkunger. über den neuen Diri genten. über den Zug in den Logen und über die komischen Tischgruppen unten im Saal. Die Pause schien mir end los. Dann strömten schwarz die Mu siker aus die Estrade, rückten ihre No ten zurecht und der Kapellmeister nä herte sich seinem Pult. Wir nahmen unsere Plätze wieder ein. Kuno Däm men stand auf um sich wie vorhin ne ben Adda zu setzen. ..Nein. Papa," rief heiser der kleine Ferni. „Tu sollst nicht zu Fräulein von Lomnitz!" „Ferni. was fällt Dir ein." sagte Herr von Dommen leise und streng. „Du sollst nicht mit ihr sprechen, weder jetzt, noch jemals." und er brack in heftige Thränen aus. „Ferni, Du bist aufgeregt und weißt deshalb gar nicht, wie ungezogen Du Dich benimmst, wenn Du ruhiger bist, wirst Du um Entschuldigung bitten!" ..Nein, nein." schluchzte er und sal Atda haßerfüllt an. „ich weiß rech gut, was ich sage und warum ich sage. Sie soll nicht zu uns gehören,! Niemand soll zwischen uns kommen. Du mußt bei mir bleiben, nur bei bleiben, sonst liebst Tu mich nicht!" Zögernd, ergrimmt, beschämt rückte Herr von Dommen einen Sessel an den Rohrstuhl heran. Das Kind ergriff seine Hand und starrte ihm in's Ge-^ ficht- ! Ich stand aus und setzte mich zu Avda. Natürlich sah ich sie nicht an,> aber ihre Hände welche auf der Brii-- stung das Conzenhftt hielten, zitier ten, und mit eii:er i faltete sie beide iider's Linie. Mein Herz, mein Gehirn waren zu geschnürt unc U.er. Es war vorbei, oas fühlte ich instinktiv. Adda war stolz, wie nur arme Menschen es sind, aber selbst tvenn si? diese Demüthigung vergessen, hätte, was war dieser Auf tritt anders, als die grelle Beleuchtung unverrückbarer Thatsachen. Sie so 'wohl, wie er. wie ich, hatten optimisti ' scher Weise die si-eghaste Berechtigung einer reinen, schonen Neigung über schätzt, hauen oie Sachlage zu leichthin! igenommen. Jetzt kam der Schiffbruch;- 'gegen all' diese unselig verkehrte Lieve. siegen die eiserne Logik jahrelanger, 'verhängnisvoller Gewohnheiten zer-' !prallten Hoffnung und Glück. Wie grauenvoll war nun die fol-! Agende Stunde. Diese spukhaste, alp e>rück.nve Munt und dieses bppnotisi ren'de Wahnsii'.nstraum - Motiv. Vor 'unseren traurig erregten Augen die gielle Alltäglichkeit der behaglich am > Tische sitzenden Menge; strickende ! Mütter, geputzte Töchter, aufge schwemmte Studenten, leise mit Bier ! l'eru mhu schen de Keline r. Als der sich hcrte, sah ich nachdrücklich nach der lUhr, slüster!? vornehmlich der A?da zu. wenn es ihr nickt unangenehm wäre, wollten wir jetzt aufbrechen, ich hätte meinem Mann frül>esNachhause kommen versprochen. Mit dem letzten Akkord erhoben wir uns schnell, ich ! schüttelte Herrn von Dommen hastig die Hand, Adda grüßte k>öflich von Weitem uud wir oerließen die Loge. An der Thüre halte sich Ad-da's Aermel an der Klinke fest, ich half ihr und sah, wie Kuno Dommen schmerzlich nach ihr heraufsteirrte: sie wandte den Blick. Wir sprachen kaum ein Wort, und zu Hause angekommen, ging sie gleich auf ihr Zimmer. Was für Kämpfe in ihm vorgingen, was für Auftritte und Erklärungen u. ! Beschwichtigungsversuche zwischen Ba sier und Sohn stattfanden, werde ich ja niemals erfahren. Wer ihn und Ädda zusammen gesehen hat, weiß, wie schwer es ihm werden mußte, zu ver zichten, in so wenig würdevoller Weise >zu verzichten. Am nächsten Tage kam er nicht, am Tage darauf schickte erßlumen, schrieb. Prvsessvr Bergmann gedächte Ferni End der Woche zu entlassen, er selber würde auf jeden Fall voe sei wer Abreise herankommen. „Allerdings werde ich Ihnen wcder dann, noch jemals genügend sür alle empfangene Güte zu danken vermö gen." Zwei Tage lang horten wir Nichts von ihm, dann, am Freitag, machte er Besuch, zur Zeit, in nr, wie er wußte, mein Mann und ich stets spazieren gehen. Er frug nur nach mir und hinterließ feierliche Abschieds karten. Ich war froh, wie er fort war; bis dahin kon-nte die Spannung nicht wei chen. Ich beobachten, wie Adda bei je dem Hausthürklingeln zuckte, bei jeder Postankunft nervös nach den Briefen blickte. Sie sah jammervoll aus. Was mag sie in den Tagen, in den Nächten in ihrem so freundlich mit Blumen und Photographien geschmückten Zimmer chen durchaewacht, 'durchgelitten haben. Natürlich hätte er sich schriftlich oder mündlich mit ihr auseinandersetzen müssen. Er wird es sich ernstlich über legt haben, und vielleicht aus ehrlicher Ueberzeugung, vielleicht aus sittlicher Feigheit dasSchweigen erwählt haben. Für ihn war Das zweifellos leichter, und ich glaube nicht, daß Männer sich oft in die Gefühle von Frauen herein versetzen. Ich hütete mich wohl, die Angelegen heit auch nur auf das Leiseste zu be rühren, statt wie früher 'den fröhlichen Neckereien meines Mannes vorzubeu gen. mußte ich ihn bitten, m Adda's Gegenwart nicht zu gedrückt zu erschei nen. den Kuno Dommen nicht anders. Die früher, zu erwähnn. Waren wir Min. brach er schonungslos über die sen den Stab. „Vor Allem muß ein Me?nn ein Mann fern, Kinderwärterin pielen ist nun 'mal für unsereins kein lassender Beruf. Er l>at die Adda auch iar nicht verdient, ich habe keine Spur Achtung für ihn übrig." Begreiflicher Weise war mein Urtheil milder. Ich gedachte seiner Worte: „Was nur ir- gend in mir gut ist oder sein könnte, wurzelt in meinem zum Kleinen. Ich bin nickt frei und werde es niemals sein. Ferni's durch mich verschuldetes Unglück kann ich nicht abwälzen, aber ich kann mich wenig stens hingeben." H H Als ich in diesem Herbst mit meinem Mann in Wiesbaden war, erblickte ich eines Morgens auf der Kaiserstraße das wohlbekannte Gesicht des guten Plusow. Wir begrüßten uns erfreut. „Na, wie geht es denn bei Ihnen?" „Danke untertbänigst, doch so ziem lich. Nach Professor v. Bergmann war es ja mit dem einen Arm etwas besser, aber der Rücken ist immer egal. Jetzt ist er bald vierzehn, und hat 'nen Willen —oh jeh! Und furchtbar ge fck>eidt! So 'ne ganze Liste von ollen Kaisern schnurrt er nur so herunter, aber ordentlich lernen mag er nicht oft. und mit all' den neuen Hauslehrern ist es immer dieselbe Quälerei!" „Und was macht der gnädige Herr?" „Danke unterthänigst. ganz gut.— Wir waren 'mal ausnahmsweise der ganzen Frühling und Sommer aus Rheinblick." „Das war 'mal schön!" „Ach ja." aber er läckelte etwas zweifelnd Zum Kaffee war ich bei der alten Excellenz Rollhofen und erwähnte so sort unseren gemeinsamen Freund. „Er wollte heute Nochmittag noch herankommen. Hm! Es geht nicht gerade besser. Der Junge ist. Gott verzeih mir's, ein kleiner Satanskno chen; Dommen ist noch immer sein Sklave, und wie jeder Sklave sucht er sich zu entschädigen. Den Sommer über hatte er Tanten und Schwäge rinnen mit ihren Familien bei sich zu Besuch, aber lange hielten sie es nicht abs. Von wegen der „Bibliotheka rin." Ja, ja! Schließlich ist er auch nur sechsunddreißig!" „Und was machen seine Beschäfti gungen?" fragte ich in der Hoffnung, Erfreulicheres zu vernehmen. „Ich weiß nicht recht; er erwähnt ja aller Hand Pläne und Entwürfe. Ich glaube nicht, daß viel dabei heraus kommt. Der Professor Binneg, der früher so große Stücke auf ihn hielt, zuckt jetzt die Achseln und nennt ihn einen wohlmeinenden Dilettanten." Es kam anderer Besuch u. schließ lich auch Kuno Dommen. Ich zog ihn M den Erker, und wir plauderten, wie früher, oder fast wie früher. Anschei nenduvünschte er sich nach Adda zu er kundigen und wußte nicht recht, wie. Endlich fragte er: „Und Fräulein von Lomnitz hat sich verheirathet? Geht es ihr gut?" „O ja. danke schön." anitwortete ich matt. Meinen wirklichen Ein druck durfte ich ja nicht sagen. Ueber haupt denke ich, allerdings oft, aber nie gern an die Adda. Nach dieser Sache mit Dommen war sie sehr ge saßt, aber sehr gebrockten. Da hielt ein Jugendfreund, ein Hauptmann v. Scholz, um sie an, ein tüchtiger, nur besonders unbeliebter Offizier, pflicht treu, aber nörgelnd, nervös und hypo chondrisch. Dankbar empfand sie fei lte Treue; ihre Lage war recht freud los, so sagte sie zu. Hätte sie ihn glück lich gemacht, würde ihm das, glaube ich. genügt haben. Aber er ist ebenso mißmuthig und reizbar, wie je." Eine Pause war entstanden.- Jetzt begann Herr von Dommen: „Wenn Sie ihr einmal schreiben —" Rührte den Satz nicht zu Ende. Unter dessen. hatten sich Excellenz Rollhofen's Besucher verabschiedet, und sie sehte sich zu uns. Für ihre neunundsiebzig Jahre ist sie noch fabelhaft frisch, ih rer allseits gefürchteten Offenheit ist sie sich gewiß selber nicht bewußt. Wir sprachen über den kleinen Ferni. über seine Gesundheit, seine Erziehung, seine Entwickelung. Er seufzte: „Es ist eine äußerst schwierige Aufgabe." „Ja, lieber Herr von Dommen." meinte die Excellenz. „Sie allein ha ben sich die Aufgabe so erschoert. Sie haben viel auf dem Gewissen. Nicht nur ihr eigenes, dock etwas nutzloses und verfehltes Leben, auch natürlich nicht Ferni's Unfall. Aber durch ihre Schuld ist er ein verzogener, unglück licher Egoist geworden, und das muß sich ja rächen." Mit fahlgrauem Gesicht stand er auf. Göttlich und menschlich. Hat auch ein röines Herz im hohen Streben Einmal gefehlt, so braucht es nicht zu beben Vor Gottes Strafgewittern. Nur vor der Philister Einheit Und des Alltags platter Gemeinheit Mag es wob! zittern. 3