Newspaper Page Text
Die Baronin. Erzählung von Maravonßerks. „Warum sehen Sie mich so an?" „Ich staune, Baronin, daß Sie so gar nichts Fürchterliches an sich ha ben " Baronin Nemo lacht amüsirt. Die ses leise, melodische Lachen erfüllt den ganzen eleganten Salon, in dem ihr an einem Herbstsbende Geza von Tarhozi gegenübersitzt, während ihr Mann auf dem weichen Teppich lautlos auf- und niedergeht. Tarhozi und Baron Remö sind Ju gendfreunde, doch hat ihn Letzterer heu te zum ersten Male seiner zweiten Frau vorgestellt. Baron Remö hat nämlich vor kaum Jahresfrist zum zweiten Male geheirathet und cs vermieden, seine Ju gendfreunde in sein Haus zu ziehen. Wozu auch? Sie waren alle elegante Lebemänner gewesen, besonders er als Wittwer, und ein oder das andere Er lebniß konnte so scherzweise zutage tre ten das einer maßlos eifersüchtigen Frau besser verschwiegen blieb. Schließlich aber war ihm die Einsam keit auf Schloß Botrock doch zu eintönig gewesen, und zur Herbstjagdzeit hatte er seinen Freund Geza von Tarhozi herausgenommen. Baronin Remö hat ihr leises ironi sches Lachen, das ihre schönen blenden den Zähne verführerisch durchblicken läßt, verklingen lassen.. „Sie haben wohl gehört, daß ich schrecklich eifersüchtig bin —" „Allerdings, Baronin, ich habeAehn liches gehört." „Wirklich?" Baronin Remö neigt ein wenig wie denkend das Haupt. „Man hat Ihnen das erzählt, natürlich alle Welt sagt es, aber glauben Sie mir, ich bin gar nicht eifersüchtig —- daß ich meinen Mann so beobachte, hat einen ganz anderen Grund. Es hat mich immer empört, daß man uns Frauen so dupirt jeder, auch der be ste Mann hat seiner Frau gegenüber einen Grad von Verlogenheit, der im Grunde niederträchtig ist..." „Du gebrauchst starke Ausdrücke, meine Liebe." „Viel zu schwache, mein Lieber! Wenn ich mir vorstelle, daß auch mein Mann mich vielleicht mit einem heim lichen,moquantenLächeln hinters Licht führt, könnte ich Alles thun, um ihm die Maske herabzureißen. Ich möchte an Einem dieser Bande von Ehemän-- nern wenigstens ein Exempel statuiren, daß unser Verstand klar genug ist, ihre Schliche und Kniffe zu durchschauen." „Und dieser Auserwählte bin ich!" ergänzte Baron Remö mit einem tragi schen Seufzer... „Gratulire aber Baronin sind zu strenge die meisten Ehemänner träu men gar nicht von solchen Treubrü chen." „Das meine ich auch nicht. Ist es einmal so weit, hätte ich an dem Manne nichts verloren. Aber die unzähligen kleinen, feinen, raffinirten Schachzüge dieser fortgesetzten Duperie macht es mir Vergnügen, immer wieder aufzu decken, ich parire sie gewissermaßen wie ein geschickter Fechter..." „Wollen Sie mir das deutlicher er klären. Baronin..." „Gerne; beispielsweise lasse ich mei nen Mann nie hinter mir gehen, wenn wir ein Restaurant, einen Ballsaal ver lassen, wo es schöne Mädchen und Frauen versammelt gab. Ich bin sicher, daß er sich im Augenblick, wo er die Nachhut bildet, umwendet und einen sehr verän derten Blick zurückwirft. Diesen Ehe mannsblick im Rücken der ahnungs .os abrauschenden Gattin —, die da durch würdig wird, das Kapitol zu ret ten, habe ich hundertmal beobachtet, und immer hat er mich empört. Diese Duperie, wie ich sie hasse!" „Duperie, das ist eine einfache Ge wohnheitsfache aus der Leutnants zeit, Baronin, aber gerade Ihr Gatte ist ja das Muster eines Ehemannes." „Aber ein Muster ohne Werth." lacht die Baronin fröhlich. „Urthei len Sie selbst. Kürzlich waren wir in Wien, nachdem wir uns beinahe sieben Monate im Lande verbauert hatten. Wir promeniren über den Ring, und da und dort kommt eine auffallende Mondaine. eine hübsche Frauenerscheinung, an uns vorüber. Meinen guten Sandor reißt es in allen Gliedern, sich umzusehen, und er verfällt auf ein geniales Mittel " „Kein wahres Wort!" „Doch, doch, ich wünschte mir da mals eine neue Frühjahrsjacke, und bei jeder Beaut6, die er sich con amore ansehen wollte, sagte er heuch lerisch: Meinst Du nicht, so etwas könntest Du Dir machen lassen, diesen Schnitt, diese Farbe. Dabei konnte er ganz ungenirt stehen bleiben und der Betreffenden nachsehen. Das Auf sallende war nur, daß. wenn ich ihm zu Hause die Modejournale vorlegen wollte, er durchaus kein Interesse für meine Frühjahrsjacke hatte, ja, sie brummend wegschob. So hatte ich den ganzen Humbug bald heraus " „Ich habe eben Rücksicht mit Dei nen Nerven " „O, diese Männer! Si sind alle unaufrichtig gegen uns Frauen." „Baronin sind unbarmherzig." „Wetten wir, daß nicht vierund zwanzig Stunden vergehen, ohne daß Ihr Beide als gute Freunde irgend eine Duperie an mir versucht aber wetten wir auch, daß ich sie parire." „Einverstanden, Baronin, aber der Wettpreis?" fragte Geza von Tar hozi belustigt. „Lebenslängliche Gefangenschaft Sie müssen meiner Freundin Rifa Ihre Hand anbieten " „Gräfin Rifa ist entzückend. Sie wissen vielleicht, daß ich sie sehr be wundere, aber meine Freiheit..." „Es scheint, daß Sie fürchten, die Wette zu verlieren?" „Nein nein, ich halte die Wette." Ein galanter Kuß auf die Hand der schönen Hausfrau, und die beiden Herren ziehen sich lachend Arm in Arm in das Rauchzimmer zurück. „Sage mir nur", beginnt Geza von Tarhozi, nachdem er sich behaglich in einen Fauteuil zurückgelehnt und eine Cigarre angezündet hat, „bist Du wirklich ein solches Ungeheuer von Unaufrichtigkeit gegen Deine char mante Frau?" „Kein Gedanke das Unglück kommt daher, daß ich ein einziges Mal aufrichtig mit ihr war." „Wieso?" „Du weißt, ich bin zum zweiten Male verheirathet. nun, ich habe ihr erzählt, daß ich in erster Ehe gewisse unerlaubte Briefchen und dergleichen immer in meine landwirthfchaftlichen Bücher legte, da war ich sicher, daß sie meine damalige Frau nie auf schlägt seitdem glaubt mir die zweite Gattin nichts mehr ... „O Nemesis! Aber wie kann man auch so etwas erzählen!" „Aber das geschah ja zu einer Zeit, wo ich in Nanine nur eine Bekannte sah, keine Ahnung hatte, daß ich mich in sie verlieben und sie Heirathen würde " „Solche Dinge muß man eben vor- hersehen. Regieren heißt vorhersehen und so regiert eben sie. A propos. weißt Du. daß die Tolnajs ganz nahe von Euch in Bad Vichuje sind? " „Was auch mein Freund Fe rencz?" „Der Kavallerie-Oberleutnant? Gewiß, dann seine beiden Schwestern Irma und Ilona, die Mutter, der Vater Alle sind dort. Ich fahre von hier zu ihnen hinüber; komm' doch mit..." „Das geht nicht; Du weißt doch, ich habe mich seinerzeit um die Aeltere. um Irma, beworben. Die Geschichte ist auseinandergegangen, wir sind ganz gut geblieben, aber meine Frau, weißt Du, würde es doch nicht gern sehen ..." „Schade.. j „Ja, wirklich schade; den Ferencz hätte ich wirklich gern begrüßt; ein slot i t'es Haus..." „Weißt Du was, sage Deiner Frau. ' wir fahren zum Bischof Ermely nach Szent-Kereszt; sie hat Dich ja selbst ge ! mahnt, daß Du einen Besuch dort schul- dest; statt dessen machen wir aber einen > kleinen Rutscher nach Vichnje." Baron Remö steht entschlossen aus und begiebt sich zu seiner Frau. Mit einer ärgerlichen Miene erkünstelter Langweile theilt er ihr mit, er habe ganz vergessen, daß er ja heute zum Bischof zum Diner geladen sei. „Auch Tarhozi?" fragt die Baronin. „Auch Tarhozi ich bitte Dich, ma- che kein so enttäuschtes Gesicht." ! Die Baronin sagt kein Wort mehr. Sie schellt nur dem Diener und befiehlt ihm, seinem Herrn einen kleinen Toilet- tenkoffer herzurichten. „Wozu?" fragt der Baron. „Nun, zum Diner wirst Du doch im ! Frack erscheinen müssen. Ich begreife ' Deine Frage nicht!" „Allerdings allerdings hm hm —" Tarhozi, der eben eintritt, giebt dem Gespräch schnell eine andere Wendung, und die Baronin entfernt sich, indem sie liebenswürdig behauptet, selbst nach schauen zu müssen, damit ihrem Manne kein Toilettendetail zum Diner mangele. Die Herren sind unterwegs. Ein herr lichs Wetter; in Vichuje hat eben die ! Nachmittags-Kurmusik begonnen. Sie treffen die Tolnajs. nehmen ein Eis mit ihnen und verplaudern ein paar lustige Stunden. Die Geschichte ist ganz harmlos. Baron Remö findet Irma ver !blühi, reizlos und vergleicht sie im Gei lste mit seiner lebensprühenden jungen Frau, sehr zum Vortheile der Letzteren. Um sieben Uhr sind sie auf Schloß Botrok zurück. „Nun, war es langweilig bei eurem Bischof?" lacht die Baronin, welche die Herren im Zimmer ihrer Mannes auf sucht, wo der Diener eben den Toiletten koffer geöffnet und die Kleider herausge legt hat. „Entsetzlich, Baronin, wenn das Essen nicht so brillant gewesen wäre," lügt Herr von Tarhozi unverschämt. „Also große Gesellschaft ist der Frack Dir recht gekommen?" „Selbstverständlich, ohne den wäre es nicht gegangen," sekundirt Baron Remö mit halbabgewendetem Profil. Die Baronin läßt ihre Blicke lustigt von Einem zum Andern gleiten: „Das heißt ihr seid überhaupt nicht beim Bischof gewesen. Oder," die kleine Frau nimmt den Frack ihres Gemahls vom Tische und hält ihn hoch, „hast Du ihn etwa so angehabt?" Verblüfft schauen die beiden Herren auf die in Rede stehende Salonkleidung, die allerdings sonderbar aussieht. Beide Frackschöße sind mit vielen kleinen Na deln an den Rücken gesteckt. Die Baronin hat das eigenhändig be sorgt, beoor der Frack in den Koffer kam. Verdutzt sehen sich die beiden Herren an, und da ihnen keine passende Ausrede ein fällt, gestehen sie Alles. Die Baronin lächelt fein und wendet sich zu Tarhozi : „Wissen Sie, daß Gräfin Risa Nach mittags gekommen ist? Sie ist im blauen Salon, leisten Sie ihr ein wenig Gesell schaft, ich habe mit meinem Manne zu reden." Die beiden Paare, die sich nun aus Schloß Botrok befanden, hal ten voraussichtlich einen ziemlich ver schiedenen Gesprächsstoff, jedenfalls aber vereinigte sie der Abend in glücklichster Stimmung. Gräfin Risa hatte sich m:t Geza von Tarhozi verlobt, und alter goldener Tokayer Wein und perlender Champagner floß auf das Wohl des jungen Paares und der liebenswürdigen Sckloßbesitzer. Am Abend, als die Herren wieder al lein im Rauchzimmer blieben, fühlte sich Baron Remö vlötzlich von den Armni seines Freundes umschlungen. „Mensch ich bin überglücklich aber Eines schmerzt mich tief, wir müs sen für dieses Leben scheiden." „Warum?" „Mit Deiner Frau lasse ick Risa nicht umgehen das wäre zu gefährlich I" Schuldig gesprochen. Aus dem Ungarischen von Martha E i s e n st a e d t. „Nun tragen Sie den Sachoerhalt vor!" Ein leises Flüstern ging durch den überfüllten Verhandlungssaal, als der junge, elegante Angeklagte sein Geständ niß begann : „Das Ganze ist sehr einfach, geehrter Gerichtshof. Ich werde es in aller Kürze erzählen. Seit meiner frühesten Jugend lebte ich auf großem Fuße, ich verschwen dete riesige Summen, um meine noblen Passionen zu befriedigen, ich wurde von dem Rausche des Lebens und dem Dä mon des Geldes fortgerissen ich ha zardirte beim Kartenspiel und bummelte vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Toch so war ich glücklich. Ich fühlte, daß dieses ruhelose Leben meine Nerven in stetem Fieber erhielt. Viele Nächte hindurch floß der Champagner in Strö men, während die Zigeuner ihre vielfa chen Weisen spielten bald klagend, bald jubelnd, sinnebethörend und herz zerreißend. ich hatte nie genug davon. Blindlings rannte ich in die Gefahr und als ich unter mir den tiefen Ab grund sah. wich ich nur um ein Haar breit zurück ich kam zu mir. Doch nicht lange dauerte mein Schwanken und Ueberlegen. Niemand kann seinem Schicksal entgehen, so ist und war es in den Sternen geschrieben, und ich bin Fatalist. Meine Stunde hat geschlagen, die Momente des Rausches sind verflogen und das Geständniß. das ich Ihnen jetzt ablegen werde, ist die reine Wahrheit " Die Damen neigten sich neugierig dem blassen jungen Manne zu; es wurde mäuschenstill, alles verstummte. Dort in den letzten Reihen saß eine rei zende junge Blondine, die ihr parfümir tes Battist - Taschentuch nervös an ihre Lippen preßte wer weiß, warum sie plötzlich so tief erröthete und ihre weißen runden Schultern wie Espenlaub zit terten ? „Ich liebte eine Frau!" Tief und er bittert klang seine Stimme durch den Saal, forschend schauten die Damen sich um und jene schöne Blondine dort in der Ecke oerbarg ihr Gesichtchen ganz in ihr Spitzentuch. „Doch warum klage ich Jemanden an? Ich war der Schuldige und ich soll es nun auch büßen. Daß ihren blinden, närrischen Launen nur der Glanz, der Pomp imponirte, was kann sie dafür? .... Sie betete das Gold an und mich damit. Wir waren quitt miteinander. Mit verschwenderischer Freigebigkeit streute ich das flimmernde Gold auf ihren Weg; als ich meinen letzten Tausendmarkschein für die Launen und Champagnerge.age der schönen Frau bezahlt hatte, fühlte und wußie ich trotzdem, daß dem noch nicht genug war . . . und ein Gedanke reifte in mir... was soll ich noch weiter leugnen? Ein Dieb bin ich! und nun richten Sie über mich! . . . Bei Kommerzienraths war ich einge laden und während eines harmlosen Ge sellschaftsspieles erfuhr ich zufällig, wo die gnädige Frau ihren Schmuck ver wahrt. Da überfiel mich neuerdings der Dämon des Goldes, ich lechzte nach Schätzen und blindlings warf ich meine Ehre hin, um wieder reich zu sein. Mein Antlitz brennt vor Scham, da ich es ge stehen muß, daß ich schuldig bin möge mich die strafende Hand der Gerechtigkeit erreichen ich ersann sofort den Plan; die Gelegenheit schien mir günstig, denn der Kommerzienrath sollte noch denselben Abend verreisen. Da galt es, nicht weiter zu zögern —es war tiefe Nacht. Gleich einem Schatten eilte ich durch die Stra ßen, daß mich Niemand erblicke und mei nen dreisten Plan mir vom Gesicht ab lese. Noch einmal regte sich in mir das Gentil-Blut, empörte sich die Kavalier- Ehre, doch vergebens! Der Teufel des Goldes hörte nicht auf die warnende Stimme des Gewissens. Ich kannte den Weg genau, ich schwang mich über den Gartenzaun. Der Wachthund bellte nicht einmal, denn er erkannte mich, we- delte freudig mit seinem Schwänze; mich' berührte diese Ehrlichkeit des Hundes unangenehm, nicht einmal ein Hund setzte es voraus, daß ich ein Dieb sein könnte. Durch den Hof gelangte ich in den Korridor aus dem Zimmer der > gnädigen Frau blinkte mir das rosafar- bene Licht der Nachtlampe matt ent-! gegen —" Da machte der Angeklagte eine kleine Pause, die Damen horchten mit zurück gehaltenem Athem auf seine Worte... „Dieses matte Licht zeigte mir den! Wandschrank—ich zerbrachdenSchmuck-, kästen und stürzte mich wie ein Tiger auf meine Beute. Eben in diesem Augenblick kehrte der! Kommerzienrath heim, er hatte seinen Plan geändert und war nicht abgereist. Ich wollte mich flüchten, doch dies gelang ! mir nicht und in meiner Verzweiflung zerbrach ich das Salonfenster. In einer Minute war das ganze Haus alarmirt;! wüthend, mit blitzenden Augen stand der' Rath vor mir, schleuderte den Handschuh! mir hin ... und forderte Genugthuung ... auf Leben und Tod. Im ersten Mo-! ment konnte ich mir gar nicht vorstellen, worauf er zielte. Herr, sagte ich ihm. ich bin ein Dieb,! lassen Sie mich festnehmen! Ich warf ! ihm den Schmuck vor die Füße " Ein tödtliches Schweigen herrschte im i Saale, die Richter spielten nervös mit! ihren Bleistiften und jene schöne Blon-! dine dort in der Ecke des Saales horch-! te mit bleichen Wangen und weit geöff-, neten Augen aus seine Worte. „Und wenn ich Sie bitten würde,! geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß sich Alles so zugetragen hat, wie Sie es eben vorgetragen haben, was wür-! den Sie darauf antworten?" Diese Frage wurde durch den Kom- - merzienrath an den Angeklagten ge richtet. „Ich würde sagen. .... ich würde sa- > gen," erwiderte der junge Mann mit trauriger, zitternder Stimme, „cs ist lächerlich, einen Dieb um sein Ehren- > wort zu bitten." Der Herr Rath erbleicht und die Ruhe im Saale wurde noch er drückender. noch schwerer. Mit tief gesenktem Haupt hört der Angeklagte das Urtheil seiner Richter an. Nur um seine Lippen zuckte es! bitter, während in seinen Augen ein. gefahrdrohendes Feuer aufloderte und fein Antlitz sich purpurroth färbte. Und jene strengen, unerbittlichen Richter fällten ein strenges und unerbittliches Urtheil! „Nehmen Sie das Urtheil an oder wollen Sie dagegen appelliren?" frag te der Präsident. Seine Stimme klang dumpf, wie wenn sie aus dem Grabe käme „Ich nehme es an!" und damit verließ er langsam mit mechanischen Schritten den Saal, ohne sich umzudrehen. In ihrem nach Heliothrop duften den Boudoir auf seidenweicher Otto mane hingestreckt liegt lachend die Frau des Kommerzienraths. doch die ses Lachen ist so herzzerreißend, so wehedoll, so bitter Aber die Ehre des Herrn Gemahl ist gerettet! In der zlmlode. Nach der Erzählung eines französischen Offiziers. Von I. Clar e t: e. Mitte Februar erhielt unser General aus Tuyen-Quan böse Nachrichten. Die Chinesen hatten dort die kleine Garnison des Kommandanten Domin 6 eingeschlos sen und machten Tag für Tag Angriffe auf die Zitadelle. Nach einem furchtba ren. anstrengenden Marsche zum Entsätze unserer Tapferen standen wir Ende Fe bruar nur noch 8 Kilometer von Tuyen- Quan. Kein Feind war zu sehen. Plötz lich. am 2. März, als die tonkinesischen Hilfstruppen bis an die Arme in hohes Gestrüpp und Buschwerk eingedrungen waren, erhalten sie einen wahren Hagel von Kugeln und sehen Tigerkatzen gleich die „Schwarzflaggen" sich auf die Ver wundeten stürzen, um ihnen den Kopf ab zuschneiden Wir sind in Uuoc, gegenüber den wahrhast furchtbaren und mit vielem Ge schick von dem alten General Liuh-Vinch- Phuoc aufgeworfenen festen Stellungen. Zwischen uns und Tuyen-Quan befindet sich das Heer Uun-Nams, tüchtige Sol daten, von denen viele geschworen haben, lieber zu sterben, als zurückzuweichen, und die zum Zeichen dieser Absicht ein ro thes Kreuz sich auf die Stirn eintätowi ren ließen. Diese Fanatiker müssen wir zunächst vertreiben oder vernichten, ehe wir der Garnison Hilfe bringen können. „Voran! Leute, voran! Taran! ta ran! taran! tarataratata, tarataratata!" Das leife Kommando zum Chargiren wird gegeben. Zweimal greift die Ma rine-Infanterie und ein Bataillon meiner Turkos die Chinesen an. Zweimal trei ben die Chinesen sie zurück. Man ist nur noch 200 Meter vom Feinde entfernt, als die Nacht hereinbricht. Zweihundert Meter. Und der Regen fällt! Die Leute stöhnen in dem Buschwerk. Man zündet, um die Verwundeten zu bergen, feuchtge wordene Zündhölzer an ... Welch' furchtbare Nacht dieser kalte Regen, diese Feinde in der Nähe, die fortwäh rend schießen, das Geräusch der Kugeln das sind Eindrücke, die man nie ver gißt Ich hatte mich so nahe an die chinesi schen Linien geschlichen, daß ich die Schwarzflaggen sprechen hörte. Plötz lich eine Salve und dann rollt mir eine Masse zu Füßen. Ich bücke mich und vermuthe ein Sprenggeschoß ... Aber es war ein Kopf, der abgeschnittene Kopf eines französischen Bauernburschen, den die Chinesen uns als Drohung und War nung schickten. In maßloser, stummer Wuth erwartete ich mit einem wilden Gefühl nach Rache den Morgen. Endlich brach der trübe, graue Märzmorgen an, der uns so furchtbare Verluste bringen sollte... . Voran! Algerier! Voran! Die Freunde harren Eurer! Und nun zum Sturm! Zum Sturm auf die chinesischen Verschanzungen! Es handelt sich darum, den Klauen dieser Gelbgesichter die Belagerten zu entreißen, die in banger Sorge auf unsere Truppen warteten. Zum Sturme! Ha, wie sie voranstürmten, meine afrikanischen Kin der mit den himmelblauen Uniformen! Die Kugeln pfeifen, die Kanonen brül len. Voran! Voran! Schon sind die Turkos in den Schanzen, stürzen sich aus die Freiwilligen mit dem rothen Kreuz auf der Stirn, erdrosseln die Chinesen, wüthen wie Wölfe unter den Schwarz flaggen, die sich wie Löwen vertheidigen. ... Niemals habe ich früher noch später wieder eine Erdscholle so von Blut durch tränkt gesehen! Nachdem die Verschanzungen genom men sind, verfolgen meine Schützen die „Himmlischen" und entreißen ihnen ihre Fahnen mit dem Todtenkopf ... Meinen Leuten voranstürmend, mit dem Revol ver in der Hand, trieb ich die fliehende Horde vor mir her. Auf halbem Wege machte ein Haufe der Schwarzflaggen bei einer Art verlassenen Pagode Halt und eröffnete, da sie mich nur von wenigen Soldaten begleitet sahen, ein heftiges Feuer, um uns den Weg abzuschneiden. Meine Turkos waren rasend vor Wuth. Wir drangen in den grasbedeckten Hof, der vor jeder Pagode liegt, dann in drei Sprüngen in die Pagode selbst, aus der die Schüsse fielen. An der Pagode be findet sich keine Thür, wir sahen nur ein schwarzes Loch, das von den Kugeln ge rissen ist. Wir traten ein. Eine Salve tödtet mir zur Seite drei Mann, und ich dringe fast allein in diese lackirte und ver goldete Zufluchtsstätte, in deren Hinter grund uns die Schwarzflaggen, wuth schäumenden Ebern gleich, erwarten. Ich werde immer dieses Schauspiel vor Au gen sehen: Die Leichen auf dem Boden, die Säulen mit den vergoldeten In schriften und den bizarren Zeichnungen von Grimassen schneidenden Göttern und lebenden Wesen, dann den ganz grünen Gott, den unsere Soldaten den Teufel nannten, die bewaffneten und schießenden Gelbgesichter und endlich im Hintergrun de mitten unter diesen bemalten Götzen bildern und an die rothen Wände gelehn ten Schwarzflaggen eine Statue Buddhas, die, ganz von rothem Golde, unter den Strahlen der Sonne blitzte. Eine Kugel schlug durch meinen wei ßen Tropenhelm, und wir iünf Leute, die wir in die Pagode gedrungen waren, wurden gezwungen, zurückzuweichen, da wir von den Chinesen umzingelt waren, die aus allen Ecken und Enden hinter den Götzenbildern hervor mit eigenthümli chem Knurren aus uns eindrangen und einem meiner Turkos den Kopf mit dem Säbel abschlugen, der gefahrdrohend um unsere Köpfe pfiff. Es gelang uns, aus dieser vernichten den Pagode, die buchstäblich Menschen ausspie, zu entkommen und uns hinter einen aufgeworfenen Schützengraben zu retten. Wir eröffneten nun ein lebhaftes Feuer auf die Burschen und zwangen sie durch einige wohl gezielte Schüsse zur ei ligen Flucht. Aber bei diesen listigen Gelbgesichtern muß man immer auf der Hut sein. Der Gedanke tauchte in mir auf, daß in der Pagode noch etliche auf der Lauer lägen, um uns zu überfallen. „Warten wir noch einen Augenblick!" rief ich meinen Turkos zu, die sich fchon hin ter den Schützengräben hervorwagten. Wieder mußte ich an den Buddha denken, der soeben ganz friedlich dem Morden zu gesehen hatte: „Wenn sie nur nicht den Buddha mitgenommen haben!" Kaum hatte ich das gesagt, als ein Helles, kindliches Lachen zu meiner Sei te sich hören ließ. Einer meiner Tur kos, 25 Jahre alt und schön wie eine an tike Bronzestatue, richtete sich in die Höhe und sagte zu mir: „Mein Kapi tän, Du willst den Buddha haben? Du sollst ihn haben!" Während ich ihm noch zurief: „Mo hamed! Mohamed! Ich verbiete Dir ! ...." lies er schon davon und wand sich wie eine Katze durch das dunk le Loch der Pagode. Ich folgte ihm und rief auch die beiden anderen Afrikaner herbei. > Ich hatte Recht mit der Annahme, daß die Pagode nicht leer sei. Um den goldenen Buddha standen vier oder fünf Gelbgesichter. Freiwillige mit dem rothen Kreuz, von denen, die geschworen hatten, lieber zu sterben als zu fliehen, hoch aufgerichtet, wie Dog gen, denen man die Beute entreißen will. Mohamed war auf sie zugelau fen. Nachdem er sein Gewehr abge feuert. drehte er es um und ließ den Kolben wuchtig auf die Schädel nieder sausen Aber nach wenigen Augen blicken hatte auch ihm schon der scharse Säbel den Kopf vollständig abrasirt und vor uns lag der zuckende Stumpf Plötzlich ging eine erschreckende, häß liche und doch heroische Sache vor sich. Aus dem Haufen todter Chinesen erhob sich ein Wesen, ein blutjunger, halbnack ter „Himmlischer", mit einem Bajonnet stick in der Brust. In Strömen floß das Blut aus der klaffenden Wunde. Mit der rechten Hand klammerte er sich an das Piedestal Buddhas, während sei ne krampfhaft geschlossene Linke uns mit einem langen, sichelförmig ge krümmten, blutbefleckten Messer be drohte. In glühender Inbrunst umarmte er das große Bild aus Gold, das ironisch über'der blutigen Umgebung strahlte, und in dem Augenblick, da einer meiner Turkos sich näherte, um ihn zurückzu stoßen. stieß der kleine Chinese einen gellenden Schrei aus und warf sich zwi schen Buddha und den Turko. Wuth und Schrecken malte sich auf dem gelben Gesichte ab. und während das Blut sei ner Wunde das rothe Gold der Statue überrieselte, schwang er über dem Kopfe des Turko das Messer, das vielleicht so eben Mohamed-ben-Sa,'d getödtet hatte. Aber der Algerier heftete mit schnel lem und gewaltigem Stoß des Bajon netts den kleinen Chinesen an den So ckel der Statue, wie man einen Käfer auf einem Brettchen aufspießt, und das Haupt des „Himmlischen" fiel unter kur zem Röcheln auf die Füße Buddhas zu rück. Seine Lippen aber suchten beim letz ten Seufzer die Füße Buddhas, um ihnen einen Kuß aufzudrücken. Ueber Monomische Fortschritte im X!X. Jalirljnndert. Von W. Mundloch. Mit gerechtem Stolz blickt der Astro nom auf das nun seinem Ende nahende Jahrhundert zurück. Weiß er doch am besten den Werth des ungeheuren Fort schritts zu schätzen, welcher in allen Zwei gen seiner Wissenschaft erreicht worden ist. Es war dieser Periode vorbehalten, Entdeckung auf Entdeckung zu häufen, welche das über dem hellen Sternenhim mel immer noch schwebende Dunkel we sentlich zu erhellen vermochten. Am Ende des vorigen Jahrhunderts kannte man im Sonnensystem noch so we nige Weltkörper, daß sie sich mit Leichtig keit herzählen lassen. Es waren die Pla neten Merkur, Venus, Erde, Mars, Ju piter, Satur und Uranus, d:e Satelliten von Erde, Jupiter, Satur und Uranus und die Sonne.. Im Ganzen waren es sieben Planeten, siebzehn Monde, von denen einige noch ungewiß, und eine Sonne. Jm Laufe dieses Jahrhunderts wurde die Asteroidengruppe entdeckt, wodurch das Sonnensystem bis jetzt um etwa 460 kleinere Planeten bereichert worden ist. Ein großer Planet Neptun —, dessen Entdeckung den Raum des Sonnensy stems um die Hälfte seines Durchmessers erweiterte, wurde nebst einem ihn beglei tenden Monde entdeckt. Zwei neue Sa telliten des Mars und je ein neuer Mond des Jupiter und des Saturn; ferner ein neuer, wenn auch sehr kleiner Nachbar- Planet unserer Erde Eros —, das alles sind Früchte der astronomischen Forschung des 19. Jahrhunderts. Aber alle diese Entdeckungen würden von geringerer Wichtigkeit sein, wenn nicht auch die Mittel gefunden worden wären, mit deren Hilfe die Astronomen mehr und mehr das innere Wesen der fremden Weltkörper erforschen konnten. Der Einführung der Spektralanalyse ist es zu verdanken, daß wir gegenwärtig über den physikalischen Zustand der Sonne mehr wissen als ehemals, wo noch jedes Mittel zu einer solchen Untersu chung fehlte. Die Sonne war ein Ob jekt der Spekulation und deshalb gab es gar verschiedene Hypothesen über den Zustand des Centralsternes, von welchem unser ganzes Sein und Wohlbefinden abhängia ist. Man besaß ja nichts wei ter als das Teleskop, welches die Sonne als einen glühenden Ball zeigte. Bei Gelegenheit totaler Verfinsterungen er blickte man noch einen brillanten Licht schein die Corona —. von welchem man nicht einmal mit Bestimmtheit sa gen konnte, ob derselbe der Sonne oder dem die Sonne bedeckenden Monde ange höre. Ueber diese und andere Fragen in Be zug auf die Sonne hat die Spektralana lyse Aufklärung gegeben. An die Stelle der früheren Hypothesen wurde eine, bei allen Nachuntersuchungen bestätigte Theorie von der Beschaffenheit unseres Centralsternes aufgestellt. Nach dem Physiker Kirchhoff besteht die Sonne aus einem festen oder tropfbar-flüssigen, in der höchsten Gluthhitze befindlichen Kern. Die Elemente oder Urstoffe, aus welchen die Sonne besteht, sind dieselben, welche auch in der Erde enthalten find. Der glühende Kern ist von einer gasartigen Hülle, welche in der Nähe der Sonnen oberfläche anders als in den höheren Schichten beschaffen umgeben. Die Umgebung der Sonne näher zu untersuchen, hatten sich bei der letzten totalen Sonnenfinsterniß gm 28. Mai d. I. die Astronomen als eine der Haupt aufgaben gestellt. Ter Erfolg war nicht der erhoffte und zwar, wie berichtet wird, infolge eines technischen Fehlers. Um recht große und damit gut sichtbare Spektra zu erhalten, hatten die Astrono men für die Teleskope, mit welchen die Spektralapparate verbunden werden, starke Vergrößerungen angewandt. Tie Folge war, daß infolge der zu starken Vergrößerung sämmtliche Spektra gegen alles Erwarten undeutlich ausfielen. Tiefer Mißerfolg wird, wie's ja oft ge schieht, dazu dienen, künftige Beobach tungen erfolgreicher zu gestalten. Diese Untersuchungen gelten naturgemäß in er ster Linie der Lichlkrone der Sonne, welche in blendendem Sonnenlichte sonst nicht gesehen werden kann uno deshalb ihrer Seltenheit wegen eine um so schö nere Erscheinung ist. Die Wichtigkeit der Untersuchung der Sonnen - Corona beruht darauf, daß man hofft, durch ge nauere Kenntniß derselben immer mehr von dem physischen Zustand: des Son nenkörpers zu erfahren. Eine sehr wichtige Bereicherung der astronomischen Wissenschaft ist Schiapa relli's Theorie, welche aus seinen Un tersuchungen der Sternschnuppen und Kometen hervorging und in welcher er den Nachweis führt, daß beide mit ein ander identisch sind. Die Sternschnup pen sind einzelne staubartige Körperchen von derselben Art, aus deren massenhaf ter Anhäufung die Konieten und die, unsere Sonn? umkreisenden Meteor schwärme bestehen. Auch die Saturn ringe wurden als eine sehr dichte An sammlung solcher kleinen Körper er kannt. Es ist ferner der Nachweis ge führt worden, daß tagtäglich eine große Menge so kleiner Körperchen, zuwei len auch größere Meteoriten auf die Erde niederfallen. Dagegen wollte zu Anfang dieses Jahrhunderts die Gelehr tenwelt von dem Herabfallen kosmischer Stoffe auf die Erde noch nichts wissen. Was darüber berichtet wurde, hielt man für Täuschungen oder gar für Ausflüsse des Aberglaubens. Und wie steht es nun mit der Kennt niß solcher Weltkörper, welche uns am nächsten und mit den Teleskopen am besten zu erreichen sind? Ist es bei den Riesenfortschritten der Naturwissen schaften doch sonderbar genug, daß wir den Weltkörper, welchen wir bewohnen, noch sehr wenig kennen. Da ist ein ganz geringer Theil der Oberfläche, nur einige tausend Fuß tief, von welchem die Wissenschaft Kenntnisse besitzt, welche auf sinnlicher Beobachtung be ruhen. Es ist etwa der sechsiausendste Theil des Erdhalbmessers. Sobald aber die wissenschaftliche Forschung sich tiefer in den Schichtenbau wagt, ist sie auf die Spekulation angewiesen, da es physische Mittel zu einer solchen Untersuchung nicht giebt. Darum geräth sie in das Reich der sehr dehnbaren Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, und der Streit der verschiedenen Meinungen beginnt. Als ein gewaltiger Hemmschuh des Fortschritts erweist sich das Festhalten an der veralteten Laplace'schen Hypo these, nach welcher der Schichtenbau durch gewaltsame Katastrophen, durch das Hervorbrechen der gluthflüssigen Masse aus dem Erdinnern, welche jedesmal al les Leben zerstörte, entstanden sein soll. In der Zwischenperiode der soll dann jedesmal ein neues Leben auf der Erde entstanden sein. Diese Hypothese, welche sich "in den herrschenden Kreisen der geologischen Wissenschaft bis zur Ge genwart erhalten hat. läßt sich mit neue renEntd>:ckungen, besonders aber mit der Darwin'schen Entw.ckelungstheorie nicht vereinigen. Eines neben dem Andern ist physisch absolut unmöglich, und Eines von Beiden kann nur wahr sein: entwe der die Lehre von den Perioden mit ihren Katastrophen oder der Darwinismus. Und dennoch bestehen beide neben einan der, ein wissenschaftlicher Wider spruch! Aber während die Entwicklungs lehre Darwin's und seiner Nachfolger frisch vorwärts schreitet, ist die Geolo gie die Geschichte der Erobildung seit einem Jahrhundert um keinen Schritt weiter gekommen. So wird es auch blei ben, so lange die sogenannten „Grund pfeiler" dieser Wissenschast fortbestehen und so lange jeder Jünger dieser Wisse nschaft, welcher an der alten Lehre Zweifel laut werden läßt, geächtet wird. Nicht allein die Geologie, sondern auch die Astronomie leider unter diesen Zu ständen; denn in vielen Fällen beruft sich ohne weitere Untersuchung die eine Wissenschaft auf die andere. So heißt es oft in astronomischen Schriften: „Da die Geologie lehrt, daß das Innere der Erde glühendflüssig ist —" u. s. w. Der Mond ist nach dieser geologischen Lehre gleichfalls ein ehemals gluthflüssiger Körper. Der Astronom untersucht ihn mit dieser Voraussetzung und entdeckt, daß er fest, folglich abgekühlt und er starrt ist. Er sucht nun nach Gründen, die gegenwärtige Formation der Mono- Oberfläche aus dem Erstarrungsprozeß zu erklären; ein solcher muß stattgefun den haben, da er wie die Geologie lehrt einstmals gluthflüfsig gewesen ist. Da hatte Herschel, welcher durch ein großes Teleskop die Mondoberfläche un tersuchte, die Ringgebirge gesehen, welck) über den ganzen Mond zerstreut sind. Er hatte sich geäußert, daß die Forma tion des Mondes den Eindruck mache, als sähe man im Teleskop eine Menge ausgebrannter Krater. Diese Aeuße rung hat ihm so manchen Verdruß berei tet; denn wiederholt mußte er sich gegen die Behauptung verwahren: Herschel habe gesagt, die Mondoberfläche bestebe zum großen Theil aus ausgebrannten Kratern. Das aber behaupten viele Astronomen noch heute trotz Herschel's Verwahrung und damit kommen sie leicht über die Schwierigkeit hiniveg, diese Erscheinung durch die von den Geo logen behauptete ehemalige Gluthflüssig keit zu erklären. Betrachten wir nun die ringförmigen Gebilde auf dem Monde, so stellt sich heraus, daß sie ob groß, ob klein von gleicher Art sind und daß deshalb eine Unterscheidung zwischen „Kratern" und „Ringgebirgen" gar keine Berechti gung hat. So befindet sich z. B. nahe dem Centrum der der Erde zugekehrten Mondseite eines der Ringgebirge, welches einen inneren Durchmesser von 52 eng lischen Meilen hat. Weiter nach rechts und nach unten zu liegt ein anderes dieser Ringgebirge von etwa vieruno dreißig Meilen. Auf der viel größeren Erde giebt es nur zwei Krater, deren Oeffnung resp. 3 und 2 englische Mei len im Durchmesser hat. Bei anderen Vulkanen mißt die Krateröffnung )500 bis 5000 Fuß und die meisten sind noch kleiner bis zu fünfzig Fuß hinab, so daß sie aus einer Entfernung des Mondes mit den gegenwärtigen Hilfsmitteln zum Theil gar nicht gesehen werden könnten. Auf der Erde wird die Zahl der thätigen und erloschenen Vulkane von einigen Forschern auf etwa fünfhundert, mit Hinzuziehung der zweifelhaften auf etwa sechshundert geschätzt. Einzelne For scher behaupten dagegen, daß die Zahl nahezu neunhundert betragen müßte. Nach den neuesten Untersuchungen soll cs 672, darunter 270 tbätige Vulkane geben. Unter allen Umständen erreicht die Zahl derselben nicht einmal ein vol les Tausend. Dagegen beträgt die Zahl der sogenannten Krater auf der uns zu gewandten Seite des Mondes fünfzig tausend, müßte also für den ganzen Mond auf hunderttausend veranschlagt werden. Dies sind Tinge, die wir zu einem Vergleich benutzen, um uns die Frage: ob wir es auf dem Monde wirklich mit Kratern zu thun haben? beantworten! zu können. Die Erdoberfläche ist näm lich 13,4 Mal größer als die Oberfläche des Mondes. Die letztere ist noch nicht ganz so groß wie der amerikanische Kon tinent, selbstverständlich Nord- und Südamerika. Und auf einer solchen Fläche sollten sich mindestens hundertmal mehr Vulkane als auf der ganzen Erde befunden haben? Sollten wirklich auf dem Monde je fünfzehnhundert Vulkane auf einem Raum gestanden haben, der auf der Erde nur einen einzigen Vulkan besitzt? Solche Vergleiche und Fragen würden für die Anhänger des Alten sehr unbequem sein und sie werden deshalb in ihren Kreisen auch niemals aufgestellt. Nein, diese Ringsorm ob klein oder groß ist eine eigenartige Bildung auf der Mondoberfläche und der Ursache die ser Erscheinung nachzuforschen, sollte eine Aufgabe der astronomischen Wissen schaft fein. Es mag das vielleicht zu mühevollen Untersuchungen führen, de ren Resultat für den einzelnen Forscher immerhin zweifelhaft sein würde. Viel leichter und der wissenschaftlichen Zunft gegenüber viel weniger gefährlich ist cs, zu behaupten: „Herschel sagt, es sind Krater," und viel schwieriger und ge fährlicher ist es, eine etwa gewonnene neue Theorie gegen die wissenschaftliche Zunft zu vertheidigen. Leider herrschte auch in der Wissenschaft der alte Zopf: Autorität. Wer einmal einen Ruf als großer Entdecker erlangt hat. der ist ab soluter Herrscher. Wer hätte es gewagt, zu Humvoldt's Zeiten auch nur eine klei ne naturwissenschaftliche Broschüre zu veröffentlichen, die nicht von dem Mei ster fanktionirt war? Der große Hum boldt ist und ach wie bald fast ver-! gessen, aber sein Einfluß wirkt leider noch lähmend genug auf die Wissenschaft > fort. Im Vereine mit Leopold v. Rauch hatte er die Laplace'sche Theorie mit sei- nem Stempel versehen, und ganze Li-! bliotheken sind gefüllt mit der alten! Lehre. Da heißt es, "im Interesse oes Alten diese Lehre zu vertheidigen und mit ihr alles, was unter ihrer Glan.;- und Autoritätsperiode geschrieben und > begründet wurde. Stellen wir uns nun die Sache einmal unabhängig von der Laplace'schen Hypo these vor, so werden wir leicht zu an deren Refutaten gelangen. Alle Körper des Sonnensystems, das wird von jedem Astronomen angenommen, bestehen im Großen und Ganzen aus den Elementen. Alle enthalten auch verhält- > nißmäßig eine gleiche Menge Sauerstoff ! und Wasserstoff, die beiden Elemente. > aus denen das Wasser besteht. Also auch ! auf dem Monde muß es Wasser in irgend; einer Form geben. Der Temperatur des. Mondes entsprechend kann es dort nur! in gefrorenem Zustande vorkommen. Es > ist demnach anzunehmen, daß der ganze! Mond mit einer Eiskruste überzogen ist. Daraus wäre nun leicht die Thatsache zu erklären, daß in geschichtlicher Zeit deut lich erkennbare Veränderungen auf der Oberfläche des Mondes stattgefunden haben. Die auf der Erde in derselben Zeit vorgegangenen Veränderungen des j Festlandesfind dagegen so unbedeutend daß sie aus der gleichen Entfernung nicht j zu erkennen sein würden. Es würde nun die Aufgab? des Phy-' fikers aus einem folcben Zustands der Mondoberfläche die Ursachen der ei gentlichen Formation zu ergründen. Schon mehrmals haben Physiker oer-! sucht, die Krater- oder Ringform der Er- Hebungen auf dem Monde dadurch zu er- klären, daß im Laufe der Zeit an solchen Orten größere Meteore auf den Mond > niedergefallen seien. Das würde sich > kaum erklären lassen, wenn die Mond oberfläcke aus erstarrten Gluthmassen. j also aus Gestein bestände. Dagegen würde ein niederfallendes Meteor auf gletsche:artigem Eise nicht nur einen Eindruck machen, sondern durch den An-! prall würde die Flugkraft in ein Quan-' tum Wärme umgesetzt werden, welche sehr wohl eine Schmelzung der Umgc-! bung zur Folge haben könnte. Vielleicht! würde der entstehende Wasserdampf sich! wieder in Eisnadeln, alfo in Schnee ab wandeln. Und diefer mag wieder bei der Bildung des Ringwalles eine hervor ragend- Rolle spielen. Wir haben näm- - lich in Betracht zu ziehen, daß ein Me-! teor iuf den Mondboden viel stärker als auf den Erdboden aufschlägt. Mit kos- mischer Geschwindigkeit kommt es da!',er gezogen und wird durch die Erdatmos-! phäre so sehr verlangsamt, daß es fast nur mit gewöhnlicher Fallgeschwindigkeit den Boden trifft. Anders auf dem Mond-, dessen Atmospbäre im Verhält-j niß zu der unserigen fast gar keine ist. Dort schlägt ein Meteor, welches senk recht auf die Mondobenläche zueilt, mit kosmischer Geschwindigkeit auf und der Effekt niuß das Freiwerden einer großen Menge con Wärme sein- Vielleicht finden die Physiker auch eine! andere Erklärung. Aber die ringför- z migen Erhebungen können auch in dem Falle, daß man an einen früheren Gluth-' zustand glaubt, vor einer vorurtheilZ freien Berurtheilung als ausgebrannte Krateröffnungen nicht bestehen. Wenn die üordscc hilft. Novelle von Dietrich Theden. Sirke Hoid, der Krämer von Horbig in Nordfriesland, stand vor der Thür sei- nes einsamen Hauses und unterhielt sich mit einem jungen Manne. „Wieder mal mit dem Schießzeug, Christen?" fragte er, „Ihr wißt ja, Vater Hoid, ich habe mein Vergnügen daran." „Na ja, und als ick jung war dein ! Alter und ich haben uns auch darauf vri ! standen. So 'n bischen lustig knallen und treffen" er streichelte den Hund des Jägers „na. Puz, dann giebt's für dich ja auch zu thun. Wenn der La- den nicht immer gewesen wär, Christen, ich hätte mir den Pulverrauch auch noch öfter um die Nase gehen lasfen. Aber wenn sich einen langen Tag kein Mensch sehen läßt u. man hat dem Haus nur auf fünf Minuten den Rücken gekehrt, kommt sicher einer. Und dann geht der Aerger und das Gerede los, daß man nicht bei der Hand ist, wenn man gebraucht wird" „Ich denke, Eure Jwe ist doch da" Ja, jetzt, Christen. Aber die ist doch auch nicht so groß zur Welt gekommen und als sie endlich groß geworden war, na, da hatte ich das Schießen doch mal verlernt und wollte auf meine alten Tage nicht wieder von vmn anfangen. Bin auch was bequem und steif geworden, Christen kurzum, die Geschichte geht nicht mehr. Ich weiß nicht, was das Reißen in meiner Schulter wieder soll, das auf Unwetter hinaus will, wo n-.cht mal ein Wölkchen am Himmel zu ein decken ist. Ist dir eine Katze über den Weg gelaufen, Christen?" „Bewahre. Dirk Peph's Jüngste" -- „Die Helge? Sieh an, da kann es dir, ja an Glück nickt fehlen. Na. wenn du zurückkommst, kehr ein bei uns, Chri sten; die Jwe soll sür einen guten Kaf feepunsch Sorge tragen." „Ja, Vater Hoid. Aber ob sie's für mich gerade gern thut?" Sirke Hoid that, als ob er den Ein wand nicht gehört hätte, ging in den La den, kehrte mit einem Stückchen Mett wurst zurück, ließ den Hund daran schnüffeln und warf es im Bogen in einen der breiten Gräben des Marschlandes. „Nu apportir mal, Puz!" Mit einem Satz war der Hund in dem Graben, fischte den Bissen auf und brach te ibn seinem Herrn. Der Krämer lachte. „Zum Lohne laß dir's schmecken, Puz". ermunterte er. Aber Puz war gut gezo gen. 'Er richtete die klugen Augen auf den Gebieter und verschlang den Bissen erst, nachdem der Jäger seineZustimmung zu erkennen gegeben hatte. „Hab' ich der Jwe was gethan?" fragte Christen den Alten etwas unvermittelt. „Weiß ich nicht, Jung", wehrte dieser ab. „Frag sie doch setz ihr doch den Kopf zurecht! Ich weiß selbst nicht, was in sie gefahren ist. Zu allen ist sie freund lich, blos zu dir" Er brach den Satz ab. „Ach was, werde einer aus den Wei bern klug! Meine Alte war auch so und hatte mich doch gern. Wenn du das Mä del zur Frau haben willst, du weißt ;a, daß es mir recht ist. Christen; aber dar über in's Reine kommen mußt du allein mit ihr. Was. Puz, kann er nicht den Schnabel aufthun?" Christen schulterte die zum Uebersetzen der Gräben mitgenommene lange Sprin gstange, reichte dem Alten die arbeitsharle Hand und sagte wortkarg: „Auf Wieder sehen am Abend." Sirke Hoid schüttelte ibm die Rechte. „Schieß nicht zu viel Löcher in die Lust Adjüs, Christen!" Er blinzelte hinter dem jungenManne her und dann, ohne sich umzuwenden, heimlich über die Schulter nach einem der gardinencerhängien Stubenfenster. Was ec vermuthet hat. erwies sich als richtig: die weiße Gardine bauschte sich leicht, als würde sie von einem Luftzug ins Zim mer gezogen. z Sirke schmunzelte, trat in den Haus flur und rief durch die halboffene > benthür: „He, Jwe!" „Ja. Vater?" kam es gedämpft von . innen zurück. „Besuch da eben. Christen Nörre , bro" „So?" „Ist an den Teich gegangen, zur En ! tenjagd. Ich soll dich grüßen von ihm." ! „Dante" ! Sirke Hoid zog die Thür weiter auf und fragte: „Wo steckst du denn?" Sie stand aus einem Stüh" und putzte an einem altmodischen L-chrank herum. ! „Ich habe noch zu thun", entschuldigte ! sie „Dann will ich dich nicht lange stören. ! Hast du Christen gesehen?" i Sie war zu stolz, um zu lügen. Ja." „So! Und konntest nicht mal zum Vorschein kommen?" i Sie putzte, ohne zu antworten, wei- ter. „Kommt der Pegh oder der Hansen ! oder vei großmäulige Sören Lornsen, ! gleich bist du auch da. Warum nicht auch bei Christen? Hat er dir was ge than?" wiederholte erNörrebro's Frag. „Nein. Vater." „Na also warum sonst nicht?" „Tas weiß ich nicht', entgegnete sie verlegen. Sirke ging in den Laden und machte sich zu schaffen. Aber ich weiß es! sprach er in Gedan ken mit sich selbst und nickte dazu. Ab und zu kam er wieder in die Stube. „Tas verfluchte Reißen ist wieder da", warf er hin. drückte eine Gardine beiseite und sah hinaus. ! Eine winzige weiße Wolke im Him > melsblau fiel ihm auf. „Aha, die Luft ist nicht rein: Sturm zeichen", brummte er. „Tie Nachmit- tagsonne ist stechend, und die Möoen find ! unruhig am Ende setzt es noch heute i was." Die Wolke streckte sich zusehends, neue ! tauchten am Horizont auf, und nach ein paar Stunden drohte eine dunkle Ge- witterwand vom Himmel nieder, die ein Unwetter in nahe Aussicht stellte. Ter Wind strich von der See her ins Land und nahm an stärke zu, bis er . sich gegen Abend zu einem Sturm aus ! gewachsen hatte, der die Gewitterwolken ! jäh emporraffte und mit Tonner und Blitz über die Ebene trieb. ! Sirke Hoid schloß forgsam die Thüren und Fenster und spähte über dasWiesen ' land nach dem Deich zu. od er Christen Nörrebro's schlanke Gestalt noch nir- gends bemerken könnte. „War nicht Vollmond vorgestern?" fragte er Jwe. „Ja", bestätigte das Mädchen einfach. „Hm! Wenn wir da nicht eine Schreckensnachl erleben, Kind. Wenn wenigstens der Christen zurück wäre" Tie Möoen schwankten in unsicherem Fluge dicht über demßodcn dahin, schös sen empor und drängten, taumelnd und oont Winde aus ixr Flugbaon gerissen, wieder zur Erde. Durch die rasch eim brechende Dunkelheit klang ihr liches Kreischen doppelt unheimlich. Jwe wollte das Abendessen bereuen. Aber der über das Haus Sturmwind riß die Funken vom Herde durch den Schornstein und ließ die Flammen hoch aufzüngeln ; oder er drückte aus der Höhe auf die brennen den Holz- und Torfstücke des offenen Herdes, daß die Flammen auf den Stei nen breit umherleckten, die Funken kni sternd sprühten und der Qualm in Wöl ken in die Küche drang. Dabei rüttelte der Sturm an den Fenstern, fauchte und heulte um das Haus, daß Jwe vom Herde zurücktrat, die Hände ineinanderschlang und wie j wesend vor sich hinbrütete. Blitz folgte auf Blitz, Bonner auf Donner. Ein schwerer Gewitterregen, mit Hagelstücken untermi'ct t, prancite gegen die Scheiben und sie cinzu schlagen. Sirke Hoid war nicht der Mann, der sich vor dem Rasen der Natur fürchtete. Und es war nicht das erste Mal, daß er den Zorn der entfeffeltcn Elemente ken nen lernte. Aber er wanderte unruhig im Hause bin und her. horchte auf das Donnern und Heulen draußen lind gespannt und mitunter eigenthümlich forschend auf sein Kind.^ Bei einem krachenden Schlag, der das Haus erzittern ließ, wiederholte er sein: „Wenn nur der Christen zurück war.l" und bemerkte an den Wimpern s eine Thräne, die sich langsam bervorae stöhlen hatte. Er wollte auf fein Kind zutreten, besann sich aber und setzte sein unruhiges Wandern fort. Rabenschwarze, nur vom Blitz un heimlich durchleuchtete Nacht lagerte über dem Marschland. Die Wetterfalme auf dem Dach des Krämerhauses kreischte mit den erschreckten, stürm- und regen gepeitschten Möven um die Wette. Zlvei Springstangen und eine Leiter, die an, einer Wand des Hauses befestigt waica, wurden herabaerissen und schluaen dröh nend gegen eine Thür. Tie Regenflu.:i drang durch den Schornstein und quoll in schwarzglänzender Lach unter der Hausthür durch auf den Flur. Die Flamme einer Petroleumlampe im Zimmer zuckte blakend durch den Cy linder auf und der Docht mußte niedri ger geschraubt werden. Der Qualm aus der Küche verbreitete sich in Flur uno Laden und Zimmer und füllte noch die Luft mit branolgem Dunst, als das Feuer auf dem Herde längst erloschen war. Jwe war still ins Zimmer gekommen. Ihr sonst blühend gerötbetes Gesicht war bleich und starr, die Lippen lagen auf einandergepreßt, die großen Blauaugen waren verdunkelt, und über dem weiß lich schimmernden Blondhaar schwebte in dünnen, grauen, abdämpfenden Schwa. den der Küchenrauch. Das Wogen des Busens und die Starre des Gesichtes verriethen ihre Erregung. Aber kein Laut kam über ihre Lippen, und nur der räthselbafte tiefe Blick ibres Augenpaa res streifte zuweilen wie fragend oder hilfesuchend die knorrige Gestalt oder die undurchdringlich verschlossenen Züge des Vaters. Keiner von beiden dachte daran, ger aufzusuchen, auch nicht, als die Mit lernacht herangekommen war. De, Sturm heulte mit unoersiegiem Unge stüm. Der Regen goß in Strömen, das Gewitter übte feine Schrecken mit unge milderter Gewalt. „Der Deich hält," versicherte der Altt nach langem Schweigen im halben Selbstgespräch. „Ter hält, davor ist mir nickt bange. Aber Christen wo ist Christen? Der Jung hat" seins Stimme sank zum Flüstern „viel leicht einen Kummer Herr Gott, wenn ihm nur nichts passirt wenn er nur zurückkommt! Die Nordsee beißt nicht umsonst die Mordsee, und die Fluth . kommt noch einmal so rasch, wenn oer Sturm sie jagt" Jwe horchte plötzlich auf, und jede Muskel ihres Anlitzes spannte sich. Von der Hausthür kam ein Dröhnen, als würde sie mit Fäusten searbeitet. Auch der Alte wurde aufmerksam. Aber ehe er noch auf den Flur eilen konnte,.wurde am Fenster ein Gesicht er kennbar, und Christen Nörreöro trom melte mit den harten Fingerknöcheln ge gen die Scheiben. „Holla ho ja!" schrie Sirke Hoid und eilte, um zu öffnen, i Der Sturm warf ihm den Ankömm- ling fast in die Arme, und Puz drängte sich winselnd mit unter das schützende Dach. ..Jung, Jung!" jubelte der Krämer einmal über das andere. „.Herr Gott j sei Tank, daß du da bist!" Christen blieb auf dem Flur stehen. „Guten Abend," sagte er ruhig und nickte Jwe zu. „'Reinkommen kann ich nicht und muß auch gleich weiter, nach Hause." j Das Mädchen verharrte wie gelähmt und starrte mit weitgeöffneten Augen auf den Mann, der kaum noch zu erken nen war. ! Das Haar hing ihm in triefend nas sen Strähnen über die Stirn, von den l Fetzen der Kleidung strömte das Waffer auf die Diele. Ten Rock hatte er preis geben müssen, die Weste war aufgerissen, die Aermel des Hemdes waren moorig schwarz, die Schäfte der Stiefel mit ! Schlamm gefüllt bis obenbin. „Mein Gott. Christen," stotterte Sirkz Hoid erschreckt, „bist du so nah am nas sen Grab gewesen?" Christen Nörrebro schüttelte den Kopf. „Nein, ich wäre schon lange heil heim, denn ich kenne mich aus. Aber der kleine Jens Nissen die Leute waren beim ' Heuen gewesen war draußen verges sen worden, und den mußte ich bolen. Er kam mir auf einem Heufeimen entge gengetrieben, und ich konnte ihn in's Boot nehmen. Aber dann wollte der Sturm uns nicht an's Land lassen. Di Wogen trugen uns immer bis dicht an den Deich und rissen uns wieder mit zurück. Wie lange sie uns herumgewor fen haben, weiß ich nicht; aber sie haben es endlich doch gut gemeint und uns in die Bucht von Emmelsbüll gespült, ws wir uns auf den Deich retten konnten. Die Blitze zeigten ihn uns und den jäm merlich heulenden Puz hoch oben." „Von der Bucht bis Nissen's Hof M zwei Stunden. Christen! Selbst wen der Junge heil geblieben war: er hat doch unmöglich gehen können?" „Gehen? Nein, das nicht. So'n achtjähriges Küken ist ja leicht zu tra gen." Sirke Hoid konnte sich den Schre ckenskampf ausmalen, den der so an spruchslos Berichtende mit den aufge wühlten Fluthen und dem mordgierigen Schlamm des angeschwemmten Vorlan des zu bestehen hatte, und er grisf nach Chriften's beiden Händen. Jwe hatte sich langsam erhoben und war in den Thürrahmen getreten. strich sich mit ver zitternden .Hand über die hohe weiße Stirn, umfaßte mit schwimmendem Blick den Mann vor ihr, und plötzlich stand sie mit ;wei hastigen Schritten vor ihm, warf die Arme hoch und schlang sie mit einem Schrei um sei nen Nacken. Sirke Hoid trat überrascht zurück. „Wenn die Nordsee Hut" mur melte er glücklich vor sich bin. bückte üch zu dein freudig winselnden Puz nieder und klopfte ihm das nasse I>ell. „Ja, Jung, wenn die Nordsee hilft"...