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Er fühlte sich so wohl, so froh. Er war ja jetzt nach langen Jahren wie her in der Heimath, in der lieben, theuren Heimath! Was auch die Fremde im rauschen den Wechsel des Lebens dem Manne bieten mag, so lange sein Herz gesund, ist und warm und kräftig schlägt, so lange wird er sich dort am wohlsten fühlen und immer wieder nach dem Orte zurücksehnen, wo seine Wiege stand, wo die sorgende Hand der Mut ter rhn geleitet, nach der Heimath, in der die Wurzeln seiner Kraft fußen! Und wie die schlichte Heckenrose Dem, der sie recht zu betrachten versteht, lie 6er ist. als die vollblühende Marschall Niel, so haftet auch am Heimathboden ein Erdgeruch, dem sich alle Wunder der Ferne nicht vergleichen lassen. Die liebe Heimath, das theure Vaterhaus, das ihxtr, das ist, das wird alle Zeit bleiben das wahre Eden des deutschen Mannes, der deutschen Frau! Wie wohnlich das niedere große Zimmer, in dem fte zu Dritt um den runden Tisch saßen! Der Vater im Lehnstuhl, sich allmählig in eine mäch tige Rauchwolke einhüllend, Jakobäa auf dem steifbeinigen Sopha, genau auf dem Platz, auf dem ehedem die gute Mutter gesessen, Kurt dicht Das Dreiaestirn. "Roman von Dane v. Sptelberg. (Fortsetzung.) Dann schwiegen Alle still. Unten an den Stufen der Veranda standen Oheim und Nichte einige Schritte da von, den Hut in der Hand, der Amt mann Piesecke oben auf der Veranda, mit der fleischigen Rechten wohl zum hundertsten Male die weiße Schürze glatt streichend, die Wirthschafterin. Und dann bogen plötzlich vom Dor fe her die beiden Füchse mit der Jagd kalesche um die Ecke und dann sprang, ehe der Jochen noch halten konnte, ein junger Offizier mit einem Satze zum Wagen heraus. ..Kurt, mein Junge, mein lieber, •haderer Junge!" ..Mein theurer. geliebter Vater! Vater und Sohn hatten sich innig umschlungen, und es schien beinahe, «ls wollten sie sich nimmermehr los lassen, so fest lag Brust an Brust. „Kurt. Junge Du erstickst mich ja!" sagte der Alte endlich. „Laß doch los. hier giebt's doch noch mehr Menschen, die Dich in der Heimath begrüßen wollen. Die Jakobäa da vor Allem!" Kurt Stetten stand einen kurzen Augenblick fast fassungslos vor dem jungen Mädchen. So schön hatte er Jakobäa doch nicht in der Erinnerung gehabt. Das war ja eine Thusnelda, eine germanische Frauengestalt von vollendeter Schöne. Hoch und statt lich von Wuchs, mädchenhafte Schlanr heit mit frauenhafter Fülle veremi gend. ein Antlitz, wie aus Marmor gemeißelt, -wei große blaue Augen voll Güte und Sinnigkeit. über der weißen Stirn die glattgescheitelte üppige blonde Flechtenkrone. Ja, konnte das denn die kleine Jakobäa sein, die er so oft auf den Knieen geschaukelt hatte? ..Willkommen daheim, Vetter, innig willkommen!" sagte sie mit weicher, wohllautender Stimme und streckte ihm die Rechte hin. und er war schon im Begriff, sich über diese zu beugen, um einen Kuß auf die schlanken, kräf tigen Finger zu drücken. „Ho hoho! Das fehlte noch! rief der Alte lachend dazwischen. „Soll das eine neue fränkische Mode sein, oder hast Du Angst vor meinem klei nen Haustyrannen?! Gleich auf der Stelle gebt ihr euch einen ordentlichen Kuß. wo er hingehört! Vetter und Base, und solche Alfanzereien, das fehlte gerade noch!" Und gehorsam dem Gebot. Beide er r'öthend wie die Kinder, küßte Kurt fte auf den rosigen Mund.' den sie ihm willig darbot, und dann schüttelte er dem Amtmann und der alten Mari attne Linken die Hände. bane* ben mit leuchtenden Augen und klo pfenden Pulsen. Sonst hatte der Vater erzählt von seinen Thaten in Krieg und Frieden, vom alten Fritz und von Ziethen aus dem Busch, von dem tapferen Grafen Schwerin und dem kühnen Seydlitz. heute war Kurt's Tag heute mußte er berichten von sei nen Erlebnissen, und dann holte der Vater die große Karte hervor und ver folgte mit dem Finger auf ihr des Sohnes Züge: Katzbach Warten burg Leipzig Rhein La on Paris! „HalloH. mein Junge. Paris, da Hütt' ich dabei sein mögen! Und nun gar mit dem Kerl, dem Napoleon, nach Elba! Wetter, was hast Du doch Alles erlebt!" Jakobäa interessirte sich, als der Vetter von dem Auftrag des Kaisers gesprochen, vornehmlich für den klei nen König von Rom. „Und Du hast wirklich die Locke des armen Kindes erhalten?" fragte fte lebhaft. „Ja. Jakobäa. das habe ich. Nicht ohne 'Schwierigkeiten freilich, denn man bewacht österreichischerseits den kleinen König ohne Königreich, das arme Kind, dem der Vater so ferne gerückt ist. daß er ihn wohl nie km nen lernen wird, mit mißtrauischen Augen. Man fürchtet wohl, daß Napoleon seinen Sohn entführen las sen könnte. Aber ich habe, nachdem mich die Kaiserin Marie Luise im al ten Schloß Rambouillet bei Paris empfangen hatte, doch auch das Kind, einen Knaben mit großen träumeri schen Augen, gesehen. Die Kaiserin hatte jede Verbindung mit ihrem Ge mahl abgelehnt eine der Kammer frau war menschlicher. Sie ver schaffte mir eine Locke des Haares vom Haupte des Kindes, das so schwer an der Last eines großen Na mens zu tragen haben wird. Ich hoffe, die blonden Strähnen werden den Vater erreicht haben!" «Der Alte grollte ein wenig: ,Mra fe Gottes! Und wahrlich eine ver diente! Ich dächte, es müßte noch le bendig genug vor euch stehen, welches Unheil dieser Korse über uns Alle gebracht hat. Ich kann kein Mitleid für ihn und sein Blut halben ich will auch nicht." Kurt wollte absichtlich nicht weiter auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vater und ihm einge hen. er fuhr daher fort: „Am glei chen Tage, an dem ich in Rambouil let war, am 29. Mai, starb in ihrem Schlosse Malmaison des Kaisers erste Gemahlin, die schöne, unglückliche Jo sephine." „Wir haben ein kleines Medail lonbild der Kaiserin hier," warf Ja kobäa ein. „Ein kranker französischer Offizier ließ es zurück." iKurt horchte auf: „Der Vicomte Labourd-Macard?" fragte er. „Derselbe!" «antwortete der Vater für sie. „Jakobäa's 'besonderer Schutzbefohlener. Ich habe Dir wohl geschrieben, wie sie ihn aus den Hän den unserer wüthenden Bauern befrei te und ihn Pflegte ich habe ihr ihren Willen gelassen, obschon „Großohm, er war krank! Machen Sie sich nicht hartherziger, als Sie sind, Großohm!" „Bin ja schon stille, Kind," lachte der Alte. „Siehst Du, so geht es mir immer mit der Jakobäa: die führt ein Regiment, gegen das Keiner auf kommt. Nimm Dich in Acht vor ih ren Taubenhändchen sind Kral len darunter!" „Davon hdb' ich noch gar nichts gespürt. Vater!" Kurt haschte eines der so gefährlichen Händchen und streichelte es, bis es die schöne Besi tzerin fortzog. Der Vater aber stand auf. schenkte die Römer mit duftendem Rheinwein voll und sagte: „Nun laßt mir aber die Franzosen und Alles, was mit dem Pack zusammenhängt. Mag sie nun 'mal nicht leiden! Dafür wol len wir nachholen, was wir schon längst hätten thuit sollen. Stoßt an, Kinder: unser König soll leben und unser wiederbefreites Vaterland." Sie saßen lange beisammen an je nem ersten Abend, aber Kurt Stetten war am nächsten Morgen doch schon zu guter Stunde auf. Im Hause war noch Alles still, nur auf dem Mrthschaftshofe hielt Amtmann Piesecke schon mit einigen Knechten eine kleine Abrechnung, allem An scheine nach, weil «besagte Uebelthäter in ihrem Unverstände gemeint hatten, den Tag der Ankunft des jungen gnädigen Herrn noch nachträglich durch allzulange Ruhe feiern zu dür fen. Kurt ging durch den im Morgen thau liegenden Garten, klinkte die Thür nach dem Dorfwege auf und schritt über den freien Platz dem klei nen Kirchlein zu. das unter hohen Linden halb verborgen mitten im Dorfe stand. Das Grab der früh verstorbenen Mutter war sein Ziel. Als er aber über die Hecke schaute, die den Friedhof umzäunte, sah er, daß ihm eine andere 'schon zuvorge kommen war: Jakobäa. Leise stieß Kurt die Kirchhofspfor te auf und trat neben die Base. Als sie ihn erblickte, übergoß dunkles Roth ihre schönen ebenmäßigen Züge. Er reichte ihr wortlos die Hand noch einige Minuten standen fte so neben einander, dann schritten sie langsam dem Ausgang zu. „Ich danke Dir, Jakobäa, daß Du für das Grab der Mutter so liebevoll gesorgt hast," unterbrach er endlich das Schweigen. „Ich danke Dir auch für alle Liebe, die Du dem Va ter entgegenbringst." Sie schüttelte mit einem leisen lieblichen Lächeln das schöne Haupt. „Wenn hier Jemand zu danken hat, Kurt, so bin wahrlich ich es. Wer hat denn der armen' Waise großmii» thig sein Haus geöffnet und \ihr eine lveue Heimath geschaffen? Deine El tern, Vetter und so lange ich ath me, werde ich Ihnen dankbar sein." Em Strahl warmen Empfindens war über ihre Züge geglitten. Kurt meinte in ihren blauen Augen den Widerschein einer edlen Sele lesen zu können. „Du bist so gut, Jakobäa!" sagte er innig und beugte sich auf ihre Hand. „Nicht doch. Kurt!" entgegnete sie, ihm langsam ihre Rechte wieder ent ziehend. „Ich bin nicht gut, ich be mühe mich nur, nicht undankbar zu sein. Und es wird mir ja so leicht gemacht, denn alle Welt ist gut zu mir. Ich könnte viel besser sein, als ich bin: Du hörtest ja gestern, daß der Ohm mich steine Haustyrannin schalt." Ein heiteres Lächeln breitete sich über ihr Gesicht und ganz unwill kürlich mußte Kurt an ein anderes Lächeln denken, das ihn noch vor we niflcn Wochen bezaubert hatte, an ein reizendes Grübchen und zwei leuch tende Augenstern«! Wie verschieden doch diese beiden Mädchen waren, Louisen und Jako bäa! Jede vollendet schön in ihrer Art, und Jede doch ganz anders in jeder Einzelheit ihrer Erscheinung, ih res Wesens! Jakobäa Louisen! Die deutsche Edeljungfrau die schöne Franzö sin! Von dem jede Fiber anregenden Liebreiz der Frauen ihrer Nation umsponnen die Eine, umgeben noch dazu von dem Reiz des Geheimniß vollen die Andere strahlend in hehrer Schönheit und Reine, schlicht und klar, wie einer der im Buchen Wälde versteckten Seen der lieben Hn math! „Du träumst, scheint mir, Kurt!" unterbach Jakobäa seine wandernden Gedanken. «Zum Träumen ist Kremmrode ein schlechter Ort. Wir leben hier der Gegenwart und mur ren nicht, wenn sie einmal recht pro forsch ist. Prosaisch wie die Früh suppe, die ich sogleich dem vorerwähn ten Herrn vorsetzen werde, der wohl mehr an Mokka oder Thee gewöhnt sein dürfte." „Da irrst Du aber gewaltig, Jako bäa! Ich freue mich sogar auf unser heimisches Süppchen, vorausgesetzt, daß es die brave Marianne noch so gut zu 'bereiten versteht, wie ehedem. Doch sage, hast Du noch ein Stünd chen Zeit für mich übrig? Ich hätte Dir noch etwas zu erzählen." .^Selbstverständlich, Vetter." Et schob ihren Arm unter den sei nen und führte sie zu dem langen Wandelgang unter der schattigen Ka stan»enreihe am Gartenthor. Dort setzten sie sich nebeneinander auf eine Bank, und er begann unvermittelt mit so ernster Stimme, daß sie er staunt zu ihm aufsah: „Ich habe Dir einen Gruß aus Frankreich zu bestel. len, Jakobäa es ist der letzte Gruß eines Sterbenden." Es war als vb sie ahnte, wer es sein könne. „Der Mkomte?" flüsterte sie leise. Er beobachtete sie scharf. In feiner Seele hatte die Sorge gelebt, daß Ja kobäa dem ritterlichen Manne eine wärmere Herzensneigung bewahrt ha ben möchte. Aber er sah, daß er sich ge täuscht hatte. Wohl nahm ihr Ge sicht einen ernsten, traurigen Aus druck an, und ihre Augen feuchteten sich, aber von einem verzweifelten Schmerz war in ihnen nichts zu le sen. Aus dm blauen Sternen sprach nur ein edles, schönes rein menschli ches Mitgefühl. Beruhigt fuhr et fort: „Ja Jako ibäsa, er starb in meinen Armen." Und dann erzählte er, wie das gekommen, erzählte auch von Madame de Vernier und von Louison, wie man einer lie ben Schwester beichtet. Sie hörte ihm schweigend zu. Die Augen zu Boden gesenkt, aus der sonst so glatten Stirn eine leichte Fal te, die stets erschien, wenn sie ange strengt nachdachte. Als er geendet hatte und sie sra gend anschaute, nahm sie seine Rechte fest zwischen ihre beiden Hände: „Mein armer Kurt, wie leid Du mir thust! Mein Herz sagt mir. daß Du leidest wenigstens gelitten hast! Aber ich denke und hoffe, Du hast das schon überwunden, ohne daß Du selbst es Dir gestehen willst. Und daß Du überwindest, ist ja unbedingt notwendig." Eine flüchtige Rothe färbte ihre woiße Stirn. „Jawohl! Sieh, Kurt, der gute Ohm würde ja. so lang er lebt, nie zugegeben haben, daß Du eine Französin heirathest, und Du hättest es doch gethan Du weißt, es hätte ihm das Herz gebrochen! Und dann, Kurt so schön und anmuthig Mademoiselle Louison sein mag, so sie stockte, und die Rothe auf ihren Wangn vertiefte sich. „Vollende nur, vollende nur tch höre!" warf er bitter ein. „Vielleicht bin ich ungerecht, und wenn ich's bin, will 'ich ihr im Herzen Abbitte thun aber ich komme nicht über das Empfinden hinweg, daß Du, lieber Vetter, nur eine Schach figur Im Spiel der beiden Damen ge Wesen bist. Man hat den preußi schen Offizier, den Adjutanten vom Hauptquartier des Feldmarschalls, ausnutzen wollen. Das Mädchen liebte Dich nicht sie empfand keine wirkliche Neigungg für Dich, Kurt, das kannst Du mir glauben!" „Ich habe auch kaum zu hoffen ge wagt, Jakobäa, daß wenn dem so wäre," entgegnete er trübe. „Es war ein Traum. Zerstöre mir wenigstens nicht das Schönste, was von den flüchtigen Träumm bleibt: die Er inneriung!" „Ich habe Dir weh gethan? Sei mir nicht böse. Kurt," bat sie herz lich. Er schüttelte den Kopf. „Weh ge than? Ja, es schmerzte, Jakobäa! Aber Dir zürnen ntmmermhr! Ich weiß ja, wie gut Deine Worte gemeint waren!" Sie standen von der Bank auf und gingen schweigend neben einander auf die Dorfaue hinaus, die einzige Stra ße von Kremmrode entlang bis zu den kleinen Kathenhäusern am Aus gang. Es war lebendig geworden inzwischen im Dorf. Die Männer zogen zur Arbeit, die Frauen kamen mit den Kiepen auf dem Rücken aus den Gehöften, um auf's Feld hinaus zugehen oder in den Wald. Hier und dort erklang schon der gleichmäßige Klang der Dreschflegel oder der schril le Ton des Sensenschärfers, denn der zweite Heu schnitt stand vor der Thür. Ueberall wurden Kurt und Jakobäa begrüßt und nach der derben Art der märkischen Bauern angesprochen. So waren Beide bis an das letzte Gehöft gekommen, ein kleines. Haus mit bemoostem Strohdach. Vor dem Hause stand ein uralter Lindenbaum, und in dem Vorgarten blühten die Sonnenblumm. „Wohnt hier noch der alte Rade macher Wienke? Oder hat der schnür rige Kauz schon das Zeitliche geseg net?" fragte Kurt. Jakobäa wies mit der Hand nach einem halboffenen Schuppen: „Da steht er ja selbst an der Hackebank." In diesem Augenblick trat der Al te, eine gebeugte Greisengstalt mit verrunzeltem Gesicht, aber merkwürdig scharfblickenden, funkelnden Augen, auch schon aus seinem Schuppen her aus und zog das Käppchen: „Unter thänigsten guten Morgen, gnäd'ger Herr Junker! Guten Morgen wünsch' ich, gnäd'ges Fräulein. Wer in die Heimath kehrt zurück, der findet, wenn er sucht', sein Glück! Mög's wahr sein, junger Herr!" „Danke schon, Wienke! Immer noch frisch zu Wege und immer noch ein Reimchen an der Hand?" Kurt hatte die Gartenthür aufgestoßen und war zu dem Greise herangetreten, um ihm die Hand zu reichen, wie das in der Mark allgemein Gebrauch ist. Jako bäa blieb außerhalb stehen. „Untertänigsten Dank zu be fehlen. Herr Hauptmann, wenn die alten Knochen auch nicht immer recht wollen. Und was das Reimen an betrifft, gnäd'ger Herr, so kommt's selten mal vor, daß mir noch 'was einfällt. Wenn's Herze gar zu schwere drückt, das Reimen Einem selten glückt," Dabei fuhr sich der Alte mit der umgekehrten Hand über die Augen, und um den zahnlosen Unterkiefer zuckte es ganz seltsam, hart und wehmüthig zugleich. „Was fehlt Euch denn. Meister Wienke?" fragte Stetten erstaunt, denn in seiner Erinnerung schwebte der Alte ihm als ein wunderlicher, aber immer lustiger Mann vor. Jetzt schlug der Greis die Augen auf. glitt mit der schwieligen Rechten langsam über die weißen borstigen Haarstoppeln auf seinem Kinn und meinte: „Seit sie erschossen das Sohnskind mein, wie kann ich denn da lustig sein?" Es klang ganz weh leidig aus dem Bauernmunde, das gereimte Wort. Einst mochte der Alte zu frohen Scherzen gereimt ha ben, jetzt fügten sich ihm die Sprüch lein zu bitterem Ernst. Jakobäa war dicht an den Zaun herangetreten und sagte erklärend zu dem Vetter: ,Mrl Menke kam im Jahre 1811 mit den nach Rußland durchziehenden Franzosen in Streit und wurde von ihnen erschossen. Der Großohm hat es Dir seiner Zeit ge wiß geschrieben." Der Alte hatte Jakobäa jedes Wort gleichsam von den Lippen abge lesen. Jetzt nickte er wiederholt mit dem Kopf, als ob er das, was sie gesagt, nach besonders bestätigen müs se. „Moll, woll, junger, gnäd'ger Herr, so war's! Blos weil ich nicht gleich die letzte Ziege im Stall herge ben wollte, und weil, was mein Soh nessohn war, nicht leiden mochte, daß sie den Großvater prügelten bis aufs Blut blos deshalb haben sie ihn erschossen, die Hundskerle. Draußen 'bei der großen Eberesche vor dem Dorf meinen Karl! Jawoll, das haben sie und nu sagen Sie mal dem Fräulein hier, wie man's mit den Franzmännern machen muß, junger gnäd'ger Herr, denn was das gnäd'ge Fräulein ist, die reißt Unsereinem solch' verfluchten Kerl noch aus den Zähnen, wenn man ihn schon fest hat und Unter den weißen Augenbrauen schoß ein bitterböser Blick zu dem jungen Mädchen hinüber. „Hier Hab' ich ihn, hier vor meinem Hause gefunden, die Hände hochhebend, daß ich ihm 'n Stück Brod geben sollte jawoll! und dann Hab' ich ihn reingenommen in die Stube, und beim lieben Gott im Himmel, ich Hab' nur immer an meinem Karl gedacht, ich hält' ihn abgeschlachtet, wie 'n Schwein, wenn da d«s gnäd'ge Fräu lein nicht gekommen wäre!" Jakobäa hatte sich hoch aufgerich tet. „Sprech' Er nicht so sündhaftes Zeug. Rademacher, und denk' Er da ran. was ich Ihm schon hundertmal gesagt, ich und der Pastor. „Mein ist die Rache, spricht der Herr!" so steht es in der heiligen Schrift." „Jawoll: und Zahn um Zahn das steht such drin! Auge um Auge und Blut um Blut! Die Hunde Habens um uns nicht verdient, und Einer von der Sorte ist wie der Andere! Was der an meinem Kind gethan, das rechne ich den Andren an!" Durch Stetten's Geist waren selt same Gedanken gezogen, während der Alte sprach. Hier also hatte Ga ston um ein Stück Brot gefleht, hier hatte Jakobäa ihn errettet aus den Händen des rachsüchtigen Greises hier hatten die zitternden Hände des alten Mannes, den Kurt sonst als ei nen gutmüthigen Menschen kannte zu rächen gesucht, was ganz Frank reich tausendfach an der deutschen Nation verschuldet. Das war der Fluch des grausamen Krieges, der hier im stillen Frieden dieses Dorfes fast zu einem fürchterlichen Drama geführt hätte, zu einem Drama,. das freilich, er wußte es, feines Gleichen so manches hatte in deutschen Lan den. War's doch ein offenes Ge heimniß, daß das erbitterte geknech tete, ausgesogene Volk hier und dort die aus Rußland zurückkehrenden Franzosen, die sich elend und zer schlagen, waffenlos der Heimath zu schleppten, niedergemacht hatte wie Wölfe. „Ihr solltet Euch schämen, Rade machet, und froh sein, daß Euch das gnädige Fräulein vor so großem Un recht bewahrte!" ließ er jetzt den Al ten an. „Nicht an Euch fcaj die Vergeltung des geschehenen Frevels! Habt Ihr denn nicht gesehen, wie das Geschick Gericht gehalten hat über die Franzosen und ihren Kaiser?" „Macht mir meinen Karl nicht wieder lebendig, junger Herr!" „Das nicht, Rabemacher, aber denkt doch, wenn Euch nun der Karl im Kriege gefallen wäre?" »Ja im Krieg! Das ist nicht unter'm Ebereschenbaum! Wie 'n Hund haben sie ihn erschossn, un ich Hab' dabei stehen müssen mit den Fäusten aufm Rücken gebunden ich, sein Großvater! Gelobt Hab' ichS an jenem Tag, daß ich den Feind noch treffen mag!" Und wieder blickte er mit einem bitterbösen Blick auf Jakvbäa, die ihm ruhig in's Auge schaute. „Komm, wir wollen gehen, Jako 6äa," sagte Stetten. „Ich spreche ein andermal mit Euch, Rademacher ein andermal, und ich denke, ich finde Euch dann verständiger!" „Weiß nicht, junger Herr! Weiß nicht: der Franzmann trieb's bei uns zu arg, ich haß ihn noch. lieg' ich im ©arg!" Dabei zog der Alte sein Käppchen vnd humpelte nach seiner Hobelbank in der Scheune zurück. Kurt konnte den ganzen Tag den Gedanken an den alten Rademacher nicht aus dem Sinn verlieren. Wie oft hatte er nicht als Knabe neben dem Manne gesessen und zugeschaut, wie sich unter den geschickten Händen des Allerweltbastlers die Hobelspäne kräuselten, wie sich die Speichen in die Radnabe fügten, wie er für die Mutter die Milchkübel in Stand brachte, Zäune ausbesserte, Bänke schnitzte und Gartentische zurechtzim merte. Und wie hatte er sich im mer über die seltsamen Verslein ver gnügt. die in unerschöpflicher Man mgfaltigkeit von den Lippen des Mannes strömten. Er erinnerte sich recht gut, wie man ihm damals schon erzählt hatte, daß der Wienke in sei nen jungen Jahren Diener bei dem Herrn von Kleist auf Groß-Ritzow gewesen sei und von diesem sich die wunderliche Art, die Quintessenzen seiner Reden in artige gereimte Sprüche zu «bringen, angewöhnt hat te. Wie oft hatte der Vater nicht lachend das schöne Carmen citirt, das der Rademacher zu Kurt's Geburt dem gnä'ogen Herrn gewidmet hatte, und das mit dem herrlichen Schluß endete: „Thun Sie, gnäd'ger Herr, nun sterben. Dann thut der Junker Alles erben! Doch hat's damit noch gute Zeit. D'rum rufen wir Kremmroder Leut': Es lebe unser Gutsherr heut!" Und in dies harmlose Kinderge müth hatte der Krieg, der erbar mungslose. ein derartige Verbitte» rung getragen! Einige Tage frohen, friedlichen Beisammenlebens vergingen, dann lenkte Stetten seine Schritte wieder nach dem kleinen Hause am Dorf ausgang. Diesmal traf er den Al tm aber nicht in der Werkstatt, son dern in der Stube. Er saß gerade -beim Vesperbrod und schaute ganz verwundert auf, als der Offizier in die Stube trat. Aber es flog doch etwas wie die Erinnerung an ver gangene Tage durch feinen Geist, denn als er aufgesprungen war, um den vornehmen Besuch würdig zu begrii ßen, meinte er gleich: „Wollen der gpäd'ge Herr Junker vielleicht wieder 'mal 'n kleines Schiffchen gebastelt haben, wie dunnemals? 'n kleiner Kahn aus Pappelholz, das war ja doch Ihr ganzer Stolz, und hatten wir erst 'n Segel drhan, dann waren der Herr Junker der Steuermann!" „Damit ist's nun wohl vorbei. Wienke!" entgegnete Stetten, sich ei nen Stuhl heranziehend. „Ich kom me heute wegen einer anderen, ernste ren Sache. Ich will Euch ins Ge bet nehmen wegen des Franzosen und vor Allem wegen Eures häßlichen Hasses auf das gnädige Fräulein. Ihr solltet Euch schämen, Radema eher!" Der ganze Gösichtsausdruck des° Greises veränderte sich wie im Flu ge, und mit einem Male wurde es Kurt Stetten klar, daß der arme alte Mann in seinem Haß geistig nicht ganz zurechnungsfähig war. Er schob sich, ohne gleich zu antworten, um dm Tisch herum, und erst als er auf der anderen Seite stand, Stetten ge rade gegenüber, meinte er langsam: „Na da sparen sich der gnäd'ge Herr die Mühe. Der Karl, der fiel von ihrer Hand, d'rum Tod dem ganzen Franzosenland! Hätt' ich ihn, den Parlezvous, nur noch mal hier heut' wollt' ich die Fensterladen schon zu machen, daß kein Frauenzimmer dazukäme!" 1 „Wie war's denn eigentlich, Ra demacher?" fragte Stetten. „Na, seh'n Sie, junget Herr hier hott' ich ihn!" Et zeigte auf ei nen Stuhl neben dem braunen Ofen. „Et hatte gerade seinen Rock ausge zogen, weil er 'ne Wunde an der Schulter gehabt hat. Und seh'n Sie ich mit 'nem Messer auf ihn los— 's war ja blos fo'n schwaches Mann chen, hätt' ihn durch und durch ge stachen. Aber feh'n Sie, gnäd'ger Herr, wie ich so das geseh'n habe mit dem klebrigen, schwarzen Blut auf dem Hemde, da Hab' ich an meinen Karl denken müssen, wie wir den von der Ebersche holten, wo ihn die Fran zosen hatten liegen lassen. Und da wurde mir mit einem Male ganz ko misch zu Muthe und das war sein Glück ich könnt nicht gleich zuste chen. Aber da klopft's auch schon an die Thür, und gleich d'rauf steht das gnäd'ge Fräulein vor mit. Wollt' mir 'ne Suppe bringen, dieweil ich vorher nicht recht zuweg gewesen, und nu sieht sie die Bescheetung und blaß wie der Tod, aber mit so 'net festen Stimme, wie der alte gnäd'ge Herr sie auch manchmal haben kann, wenn er sehr ungnädig ist, fährt sie auf mich los. Ja, ja, die Weiber! Und was die gnäd'gen sind, nu ganz besonders! Na, und da kehrt er sich um, der Ftanzos, und fällt ihr vor die Füße, und sie ruft den Johann, der draußen mit 'nem Korb stand, und ich hatt' mein Messer umsonst geschliffen. Jawohl, so war's und da haben sie ihn nach dem Schloß ge bracht und ich Hab' nischt behalten, wie seinen alten Rock. Da hängt er! Ist immer gut, fo'n Angedenken so that ich an die Wand ihn henken— weil ich nämlich den Kerl selber nicht an den Nagel da hängen gekonnt. Träum' -aber manchmal er wär's!" Kurt Stetten stand aus und schritt cuf jden französischen Ofsizietsrock zu, der wirklich gerade übet der Bett lade des Rademachers an der Wand hing. Er war zerschlissen von Wind und Wetter, ausgebleicht und halb vermodert, kaum daß sich die Gtadab zeichen noch erkennen ließen. Und hier und dort, auf dem ganzen Rü cken und an den Schößen, schien ein scharfes Messer selbst die Lumpen nicht verschont zu haben. Stet ten mochte nicht fragen, er fühlte, daß der Greis feinen ohnmächtigen In grimm noch an dem Rock ausgelassen hatte. Aber warum zitterte doch die Hand Kurt's so, als er die Uniform umwandte und mit den Fingern über die Brust strich? War's nur ein Wat tirung? War es ein flacher, eingenäh ter Gegenstand, der sich hier deutlich abzeichnete? (Fortsetzung folgt.) Eine Abfertigung. Der Bauer Steffen kommt bot's Gericht, um in einer Grundbuch- Angelegenheit sei nen Namen unter ein Aktenstück zu setzen der Richtet fragt ihn etwas' höhnisch: „Können Sie auch schrei ben?" Steffen (beutet auf bie Un terschrift bes Richters auf bet Vor labung) unb meint: „Wenn's nicht' schönet zu sein braucht1, als das kann ich's schon." dar,.