Newspaper Page Text
Der Deutsche Korrespondent. Baltimore, dcu 12. August IBBS. Durchlaucht'S Forelle». Man hat über das Kapitel der Geistes gegewart schon oft und viel hin und h.>r geschrieben, und man muß gestehen, es er füllt einen jedesmal mit einer gewissen Hochachtung, wenn man sieht, wie es Je mand' in einer kritischen Laune gelingt, durch rasches und besonnenes Eingreifen ein Unglück zu verhüten. Als ein gewiß in seiner Art einzig dastehendes Beispiel von Entschlossenheit und Geistesgegenwart möge folgende kleine Geschichte aus dem Leben des Bahnhossrestaurateurs Herrn August Gottlieb Schwabe dienen. Es war an einem der letzten Julitage 186—, als wie ein Blitz aus heiter'm Himmel Vormittags II Uhr 10 Min. die Depesche aus der fürstlichen Residenz ein getroffen war, Durchlaucht werde mit fei nem Expreßzuge gegen zwei Uhr P. passi ren. Durchlaucht wünsche seiner Gewchn heit gemäß nur ein einfaches Diner einzu nehmen, dessen Hauptbestandteil ein Ge richt Forellen zu bilden habe. Herr Schwabe solle das Diner im Salonwagen serviren lassen. So unerwartet diese Nachricht auch ge kommen war, einen Mann, wie Herrn Schwabe, konnte dieselbe nicht auS der Fas sung bringen. Da Forellen auf dem Bahnhofe nicht vorhanden waren, so be fanden sich bereits nach wenigen Minuten mehrere Kellner aus dem Wege nach der ziemlich entfernten Stadt, um dort die nö thigen Fische zu besorgen, während man in der Küche mit den eingehendsten Vor bereitungen zu dem Diner beschäftigt war. Kur; nach Zwölf konnte man bereits Herrn Schwabe im Frack und weißer Halsbinde auf dem Perron aus- und abgehen sehen, während er mit der Miene eines seiner verantwortlichen Stellung wohlbewußten Mannes den bläulichen Rauch einer EU garre von sich blies. Der Zeiger auf der Bahnhofsuhr wies aus halb Eins, von den Boten war noch Nichts zu sehen. Herr Schwabe zündete sich mit pedantischer Sorgsalt eine neue Cigarre an. Minute auf Minute verstrich; es mußte jetzt in der That befremden, daß noch kein einzi ger von den Kellnern zurück war, indeß war ja noch immer Zeit genug vorhanden. Mehrere Personenzüge kamen von ver schiedenen Richtungen an und Herr Schwabe hatte alle Hände voll zu thun, um den Wünschen der Passanten gerecht zu werden. Als indessen kurz nach Eins der letzte derselben wieder verschwunden war und noch immer keiner der Kellner sich sehen ließ, fing die Situation denn doch an, unangenehm zu werden. Vergehens versuchte Herr Schwab, die immer höher steigende Besorgnis; niederzukämpfen; zum ersten Male in seinem Leben sühlte er, wie ein kalter Schweiß seine Stirn bedeck te. Wieder und wieder nahm er sein Lorgnon hervor, um den Weg zu mustern, auf dem die Boten kommen mußten, — Nichts zu sehen. Von der Stadt herüber erschollen die Gleckensckläge der Thurmuh rcn, ein Viertel nach Eins; Herr Schwabe lächelte schon längst nicht mehr, aber ge treu seinen Grundsätzen wußte er sich zu beherrschen. Eine wahrheil eiserne Rahe schien diesem in seiner Art bewunderungs würdigen Manne innezuwohnen, denn mit fester Hand zündete er von neuem seine Cigarre an. Es war eine förmliche Befriedigung für den Unglücklichen, sich die Folgen der nun wohl schon unvermeidlichen Verspä tung in möglichst grellen Farben auszu malen. Durchlaucht's Jähzorn war be kannt; das Schlimmste, selbst die Gefähr dung seiner Stellung, war zu erwarten, 4 falts Serenissimus über seine scheinbare Nachlässigkeit in Zorn gerathen würde. Endlich, endlich erschienen die Boten. Staubbedeckt und von dem langen Umher lausen beinahe erschöpft, vermochten sie kaum noch das traurigeßesultat ihrerßemü hungen zu berichten, und es erschien sasi wie Ironie, als einer von ihnen mit ängst lichem Zögern ein wahrhast schäbiges Ex emplar von einem Fiscke hervorbrachte, das sich allerdings als Forelle auswies, indeß hinsichtlich seiner Kleinheit und Ma gerkeit jeder Beschreihung spottete. Wie vernichtet hegab sich Herr Schwabe in die Küche zurück, um wenigstens die übrigen, für den Nothfall zubereiteten Speisen anrichten zu lasten. Da plötzlich, was war das! Ein wahrhaft dämonisches Lächeln glitt über seine verstörten Züge, seine Augen funkelten, und mit einem mächtigen Satze sprang er auf ein Fäßchen zu, in dem zier lich geschichtet die Bewohner der Nordsee, biedere Häringe, ihrem Schicksale entgegen sahen. Erstaunt starrte das Küchenperso nal aus den Prinzipal, der trotz Frack und Mancketten sechs der settesten unter den nichtsahnenden Fischen ihrem Behälter entnahm und unter der Pumpe mit einem fürchterlichen Wasserstrahls bearbeitete. Hatte Wahnsinn den unglücklichen Mann erfaßt? Wollte Herr Schwabe Durch laucht's erpropten Gaumen mit Häringen täuschen? Undenkbar! Nur mit Grauen befolgte die Köchin die Befehle Schwabe's, der immerfort still vor sich hinlachte, und binnen wenigen Minu ten lagen die Häringe, von heißem Master übergössen und von Weinlaube freundlich umgeben, auf der zierlich gearbeiteten Porzellanschüsul. In der That mußte der, welcher nur in einiger Entfernung das sauber angerichtete Diner mit seinem Hauptbestandtheile, derForellenschikssel be trachtete, unwillkürlich mit einem gewissen Neid an den Glücklichen denken, sür den alles dieses bestimmt war. Punkt zwei Uhr fuhr der fürstliche Ex preßzug in die Bahnhofshalle ein. In majestätischer Ruhe stand Herr Schwabe, umgeben von einigen seiner Kellner, inmitten des Perrons. Der Zug hielt, Thüren wurden ausge rissen, Bediente sprangen herbei, Adjutan ten und andere Offiziere sprangen aus den Wagen hervor. Langsam avancirteHerr Schwabe einige Schritte gegen den Salonwagen, während die Kellner an ihm vorbeieilten, um die Tafel zu decken. Durchlaucht wurde am Fenster sichtbar, und in eleganter Verbeu gung sank Herr Eckwabe nach vorn über. In diesem Augenblicke eilte Jean, der Oberkellner, die dampfende Forellenschüs sel kühn aus den Spitzen seiner Finger ba lancirend, aus dem Speisesaale hervor, ge folgt von seinen Trabanten, die beladen mit Schüsseln, den Spuren ihres Vorbil des folgten. Serenffsrmus schmunzelte, die Fahrt hatte in ihm einen seltenen Appetit er weckt. Aber was war das! Keine fünf Schritte mebr von dem Sa lonwagen entfernt, glitt der unglückliche Jean aus und stürzte mit einem halb un terdrückten Sckmerzensschrei der Länge nach auf die schmutzigen Steinplatten des Perrons. „Um Gottes Willen Durch laucht's Forellen!" Mehr konnte Herr Sckwabe nicht hervorbringen. Wie be täubt vor Schreck und Angst stierte cr aus den unglücklichen Jean herab, der wim mernd unter einem Trümmerhaufen von Scherben, schmutzigen Fischen und Butter sauce ein Bild des Jammers sich krümmte. „Durchlaucht'? Forellen, um des Him mels Willen. Durchlaucht's Forellen!" Serenissimus, der erst allmählig die traurige Wahrheit zu ahnen begann, ge ruhte unterdessen. ein Fenster zu öffnen und den unseligen Schwabe heran zu rü stn. „Lassen Sie es gut sein, lieber Schwabe; der Mann konnte nichts dazu? allerdings unangenehm, aber man wird sich zu Helsen ivisten; lasten Sie es gut sein." „O, diese Schande," wagte Herr Schwabe wie vernichttt zu stottern, „daß auch gerade mir dies—" „Es ist gut, es ist gut," tröstete Durch laucht, der sich auf die Lippen beißen mußte, um uucht laut auszulachen, „ein solches Malheur kann ja Jedem passiren, lassen Sie die anderen Speisen besorgen, lieber Schwabe." Durchlauckt schloß das Fenster, indem cr in ein munteres Lachen ausbrach: „Fa mose Szene das! Ganz samos, werden dem armen Schwabe unser besonderes Wohlwollen aussprechen müssen." Durchlaucht's unschuldiges Gemüth hat nie ersahren, aus welch' schändliche Weise der listige Schwabe ihn düpirt hat. Noch ost pflegte er lachend von der drastischen Szene zu berichten, wie Herr Schwabe vor den schn utzigen Ueberresten seiner Forellen gestanden habe. Faust und Handschuh. Das gegenseitige öffentliche Verhauen zweier sogenannter PreiSfechtcr zahlt stch hier zu Lande ganz vortrefflich, wie die jüngste derartige Schaustellung in Madi son Square Garden wieder einmal be wies, wo sich zehntausend Personen, kei neswegs die niedrigste Klasse der Bevölke rung repräsentirend, zusammengefunden, um eines solchen erquickenden Schauspiels theilhaftig zu werden. Was sich aber hier bezahlt, das findet auch seine Pflege, u n t e r dem Gesetz, wenn es sein kann, g e gen das Gesetz, wenn letzteres die lächer liche Prüderie besitzt, nicht einsehen zu wollen, daß Geld niemals stinkt, und daß jeder Gelderwerb, mag er auch noch so we nig ehrbar sein, zu den unveräußerlichen Reckten des freien amerikanischen Bürgers gehört. Ein solches „unamerikanisches," gewissermaßen nur durch momentane mo ralische Verirrung der Gesetzgeber zu Stande gekommenes Gesetz ist dasjenige, welches menschliche Preiskämpfe oder sol che, welche durch den komo B»i>ioiis zwi schen Thieren veranstaltet werden, mit klaren Worten verbietet. Was die Thiere anlangt, so hat sich ihnen das fragliche humane Gesetz als passabler Schutz be währt, zumal da es sich die mit Mitteln gut versehene Bergh'sche Anti-Thierquä ler-Gesellschaft zur speziellen Aufgabe ge setzt, seine strikte Befolgung zu überwa chen. Um die menschlichen Preiskämpfer bekümmert sich keine Gesellschaft, und so ist es denn gelungen, dem Gesetze bezüglich ih rer eine artige Nase zu drehen, seine Um gebung zu einer sehr leichten Sache z« macken. Es heißt nämlich in demselben, daß solche Kämpfe verboten seien, wenn die Kämpfenden sich „mit den Fäusten" bearbeiten. Ziehen sie Glacehandschuhe über die Fäuste, so ist dies, nach der hier beliebten Auslegung des Gesetz's, kein Faustkamps mehr, möchte auch dabei das Blut in Strömen fließen. So läßt man denn bei öffentlichen pugilistischen Schau stellungen die Gladiatoren Handschuhe »ragen, und nennt ihr gegenseitiges Ver dämmern nicht „Faustkamps," sondern: „den Gegner außer Zeit ichlagen," d. h. der Sieger muß den Besiegten innerhalb eine? gewissen Zeit so jämmerlich z«sam° mengeklopst haben, daß dieser nicht im Stande ist, es länger auszuhalten. Wie sehr solche barbarische Schaustellungen dem Amerikaner cm's Herz gewachsen sind, be weij't wohl am besten der Umstand, daß selbst respektable Preßorgane dem Unsuge nicht entschieden entgegen zu treten wagen, sondern ein Langes und Breites über die „männliche Kunst derSelbstvertheidigung" saseln, und die Behauptung aufstellen, daß solche öffentliche Kämpfe zu deren Pflege beitragen, d. h. daß man in Folge derselben aushören werde, zur Vertheidi gung seines Lebens und Eigenthums sich aus Dolch und Pistole zu verlassen, viel mehr der eigenen Muskelkraft die gebüh rende Pflege angedeihen lassen werde. Leider wird diese Pflege so lange nicht viel nützen, als nicht auch unsere Herren Mörder und Spitzbuben zur gleichen Ue berzeugung gelangen. Fahren diese fort, Messer und Pistole vorzuziehen, so werden wir mit aller Kultur der eigenen Muskel kraft nicht viel gegen sie auszurichten ver mögen. Was unser Nowdv-Element un ter der „männlichen Kunst der Selbstoer theidigung" versteht, wiedie famose Schau stellung in Madison Sauare Garden aus dieses gewirkt hat, mußte die Polizei New ?)orks und Brooklvns in sehr unangeneh mer Weise in Erfahrung bringen, denn die Schlägereien und der dem polizeilichen Einschreiten entgegengesetzte Widerstand haben sich in der auffälligsten Weise ver mehrt. Seit der englische „Thug" seinen amerikanischen CoUegen „außer Zeit ge hauen," sind diesseits und jenseits des East-Rivers schon nahezu ein Dutzend Po lizisten bei der Vornahme von Verhaftun gen „außer Zeit gehauen worden." Da nun ein ähnliches skandalöses Schauspiel und eine ähnliche Verhöhnung des Ge setzes, wie sie jüngst in Madison Square Garden vor den Augen von IV.VVV „un ordentlicher Personen" (notabene im Sinne des Gesetzes) praktizirt wurde, bereits für Mitte kommenden Monats angekündigt ist, so kann man es Herrn Bergh, dem Präsi denten d->r Gesellschaft mit dem unaus sprechlichen Namen, nur Dank wissen, wenn er in einem an den Mavor gerichte tenßriefe ernstlich dagegen Protest einlegt. Er hat seiner Zeit die texanischen Ochsen erfolgreich gegen die Grausamkeiten der spanischen Stierkämpfer geschützt, er hat die von unmusikalischen Schlafmützen mit Ausrottung bedrohte Familie Kater Murr's gerettet—nun erhebt er zur Abwechslung seine Stimme auch einmal für Geschöpfe, die dem äußeren Anscheine nach zum Men schengeschlecht gehören, in Wahrheit aber nicht einmal die Intelligenz, noch die son stigen guten Eigenschaften feiner legitime» Schützlinge aus der Thierwelt besitzen. Im Mmen der Steuerzahler New-Porks richtet er an den Mayor die Frage, wie es komme, daß die Stadt jährlich Millio nen aufwende, um eine gute Regierung zu erzielen und die Ordnung ausrecht zu er halten, daß aber gleichwohl solche skanda löse und unsere Civilisation beschimpfende Vorkommnisse, wie das geschilderte, nicht verhindert würden? Ob ihm der Mayor antworten wird? Vielleicht beruft er sich auf den Satz, daß ein Narr mehr fragen taun, als zehn Weise zu beantworten vermögen. Wenn er aber anch der an ihn gerichteten Aufforderung Folge lei sten wollte, was würde es Helsen? So lange die Gerichle den lächerlichen Hand sckub'Trick gutheißen, ist die Polizei dem Uniuge gegenüher völlig machtlos. Aller» diiigs sollte wohl nochmals ein energischer Versuch gemacht werden, ob nicht in New- Aork cin höherer Nichter zu finden, der eZ nagen würde, einer so offenbaren Verhöh nung des Gesetzes die Spitze zu bieten.