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Der ÄimlW-ÄmsMimil, 43. Jahrgang. Weihnachten 188«. Von Theodor Klrebhoff, EanFranziiro. TAus „Bolladen und Neue Gedicht«/') Hört! die Weihnachtsglocken schlagen Bei des Westens gold'nem Thor, Und wie aus der Jugend Tagen Strebt ein glänzend Bild empor. Mit den Kindern freu'n die Alten Heute sich und werden jung Bei vergang'ner schöner Tage Seliger Erinnerung. Mit krystall'nem Griffel malet Jetzt der alte Boreas In der Heimath, glückumstrahlet, Blumen an das Fensterglas. Hier im sonn'gen Goldland spendet Bunte Gaben die Natur, Und es prangen uns're Häuser In dem sarb'gen Schmuck der Flur. Doch im hellen Stübchen flimmert Hier, wie dort der Tannenbaum, Goldgeschmückt und lichtumschimmert, Wie ein holder Mährchentraum. Santa Claus, der brave Alte, Mit Knecht Ruprecht nah' verwandt, Bringet zu der Kinder Jubel Schätze aus dem Feenland. Uns'rer Ahnen rauhe Hände Zündeten im wilden Tann Bei dem Fest der Sonnenwende Mächt'ge Freudenfeuer an. Aus dem Flammenschein der Wälder Kam der Weihnacht heit'res Licht, Weil der Heiland heut' geboren Mit des Friedens Glanzgesicht. Deutscher Sitte ist entsprungen Dieses Fest, ein Liebessest! Ist zu jedem Land gedrungen, Bon dem Ost zum fernen West. Wir, die Söhne deutscher Erde, Feiern's hier am stillen Meer. Kinderjubel! -- Christbaumschimmer!— Hebt die Römer! trinkt sie leer! Weitmachtszauöer. „Und sie zogen aus und solgten dem Stern." Ein Stern war es und ein gro ßer goldener noch dazu, welcher den drei Gesellen allabendlich das Ziel wies. Er hing in einer krummen, schmalen Gaffe über einer schmutzigen Thür, und durch diese betrat man einen dunstigen Raum, dasSchenkzimmer des „Goldenen Sterns." Ein kleines Hinterstübchen war den drei Gesellen vorbehalten, sie hatten sich das Recht auf dasselbe ehrlich ersessen; und der Wirth konnte sich nicht erinnern, das; es seit Jahren je ein Abend gewesen wäre, an dem nicht mindestens Einer von den Dreien Im Stübchen hinter einer Flasche Wein ge seffcn und dazu eine lange Pfeife geraucht hätte. Die drei Freunde kamen stets an einem bestimmten Orte zusammen, machten dann einen Spaziergang um die halbe Stadt herum und ließen sich endlich im „Goldenen Stern" nieder, um bis in die späte Nacht hinein zu zechen und sich an allerlei Ge sprächen zu ergötzen. Nur außerordentliche Umstünde vermochten den Einen oder den Samstag, den 22. Dezember 1883. Anderen, an einem Abende fernzubleiben, und solche kamen selten genug vor. Es waren keine jungen Gesellen mehr, die aus Luft am Trinken zechten, sondern gescheid te, ehrbare Männer, auch nicht schlechten Herzens, aber doch für Welt und Mensch heit nicht mehr nütze, als wären sie Gespen ster gewesen. Sie thatenNiemandem Etwas zu Leide, doch auch Nichts zu Freude; da aber die Welt das Schlimme gewohnt ist, so rechnete man es ihnen hoch an, daß sie so friedfertig still ihres Weges gingen und sich nicht Kümmerten, was Andere thaten. Der Aelteste unter den Dreien war frei lich einst ein Anderer gewesen, ein reicher, vornehmer Herr, der große Güter besaß, deffen schönste Zier ein holdes Weib und ein fröhlicher Knabe waren. Weib und Kind waren jung gestorben, und derßeich thum war dahin, wenn auch übergenug dem Manne verblieb, um so behaglich zu leben, als er es nur wünschen mochte. Aber er zürnte der Welt, die er genau ken nen gelernt hatte, und sie erschien ihm schlecht, greulich, und die Menschen waren ihm Geschöpfe des Elendes. Und doch wußte er von Jammer und Noth weniger zu erzählen, als der Freund, der Rath, wie er hieß, welchem seit seiner Geburt die bleiche Sorge treue Begleiterin gewesen war, bis sie endlich den Mann verließ, als dieser unempfänglich geworden war für Luft und Freude. Dem Kinde hatte sie die Jugend vergiftet und den Jüngling zu Bo den gedrückt, daß er nicht ausschauen konnte zu dem hellen Lichte; sie ließ ihn frei, als ihm gleichgültig schien, ob es Lcnz oder Winter sei—rings um oder in ihm. Jeden kargen trockenen Bissen hatte er hart er kämpfen müssen, und doch hatte er einmal einen vermessenen Wunsch gehegt, ge liebt. Seine Vermessenheit war gedemii thigt worden, und seitdem grollte er um Dessen willen, waZEine ihm gethan, Allen. Ein loser Schalk war der Dritte; Dem war es nie zu gut und nie zu schlecht ergangen, mit Witzen und Schelmenstreichen hatte er sich durch das Lcben gedrängt, Viele ergötzt und sich selbst mit Scherzen um jedes ernste Glück betrogen. Er spottete über Alles, daß Alle lachten, ihm selbst war dabei oft zu Muthe, als müßte er über sich weinen, daß er nichts Anderes konnte, als ein ar mer Schalk zu sein. Sie zogen auch heute, am Ehristabend, zum „Stern." Den Spaziergang hatten sie abgekürzt, das Hasten und Drängender Menschen aus den Gaffen war ihnen un leidlich geworden. „Heut' wird wieder viel unnützes Geld sür unnütze Geschenke hinausgeworfen wer den," bemerkte mürrisch der alte Herr. „Da wird es ein Prunken und Prangen geben, und dabei laufen Hungrige durch die Straße, und füllt Asylhaus sich das mit Halberfrorenen, mit Weibern und Kindern, die ein Stück Brod als Weihnachtsgeschenk hinnehmen müssen. Es ist ein Elend—!" „Ja, ein Elend ist's," meinte der Rath. „Wie Mancher, der es könnte und wollte, dars sich an solchen Tagen nicht an Kinder lust freuen." Der Schalk lachte: „Nun, so wünschte ich, daß Dir das Christkind einen kleinen zappelnden Schreihals bescheere; möchte Dich sehen, wenn Du ihn die halbe Nacht auf den Armen wiegen und einschläfern müßtest." Der Rath steckte das Kinn tiefer in den aufgeschlagenen Rockkragen und seufzte, fagte aber Nichts darauf. Schweigend nahmen sie im „Goldenen Stern" ihre Plätze ein. Der geschäftige Junge—den „Leibpagen" nannte ihn der Schalk —wel- cher ihnen bei'm Ablegen der Oberröcke hülfreich gewesen, wartete jetzt auf ihre Befehle. „Trinken wir heute Sekt," schlug der Schalk vor, „damit wir auch Etwas vom Christabend haben. Uebrigens gehen fünf Flaschen auf meine Rechnung; ich habe heute Geld, das mir in's Haus geflogen ist und wieder fortfliegen möchte." Die Anderen nickten, und damit war's gut. Der Bursche brachte den Sekt und füllte die Gläser, dann winkte ihm der Rath zu, er solle gehen. Die drei Gesel len liebten es, ungestört zu sein, ob sie nun plauderten oder still ihren Gedanken nach hingen. Heute wollte es mit dem Plau dern gar nicht gehen; der Schalk, der tags über sonst allerlei Scherzreden, Anekdoten und Geheimnisse auflas, hatte heute keine Ausbeute mitgebracht, denn Niemand hatte ihm Rede gestanden. Und die Anderen waren gar in feltsam trüber Stimmung „Seid Ihr denn verhext?" murrte end lich der Schalk. „Welcher Kobold hat Euch denn die Köpfe verrückt?" Da ereignete sich etwas Seltsames. Eine seineStimme, so lieblich und zart, wie der Klang eines Silberglöckchens, sagte plötzlich: „Ich war es." Der Schalk fuhr aus seinem Sitze herum, und die Anderen sahen erstaunt auf. Die röthliche Flamme der Lampe, die über ih rem Tische hing, ward immer kleiner und kleiner, und doch wurde es Heller in dem engen Stübchen; es war aber ein so eigen artiges Licht, sanft, Wiedas Mondlicht und doch nicht so kalt, sondern herzerwärmend, wie Feuer der Lenzsonne. Die niedrige Decke stieg mächtig höher und höher, be gann sich zu wölben und dabei zu leuchten und zu funkeln. Die Wände rückten lang sam in die Ferne, bis man die häßlichen Kleckse und den Schmutz an ihnen nicht mehr sah, ein Klingen und Singen wie von unendlicher Ferne bewegte die Luft, die sich mit einem Wohlgeruche erfüllte, er srischend, wie Tannen-Waldodem und be rauschend, wie Gewürz indischer Blumen. Das ging langsam vor sich und doch wie der so schnell, daß die drei Gesellen ihrer Gedanken nicht Herr werden konnten. Jetzt sahen sie auch den Träger der Stimme, ein kleines Männchen mit einem Kindergesichtchen und doch dabei uralt, als wäre es schon jung gewesen, als die Welt ihren ersten Morgen sah, und immer nur jung geblieben. Wie groß das seltsame Männchen in seinem bunten Kleide sei, konnten die Freunde nicht recht bestimmen, denn die Gestalt schien zu schwanken, als schwebe sie in einem seinen Nebel, der die Umrisse verzerre; auf dem Kopse hatte es Etwas, wie eine spitze Mütze, das aber ei gentlich eine Flamme zu sein schien, denn es leuchtete so seltsam und erfüllte mit lieb licher Helle den Raum. „Ich bin es," fagte das Männchen noch einmal, und jetzt fand der Schalk wieder seinen allen Muth: „Sehr angenehm, Sie kennen zu lernen. Dürfen wir um Ihren werthen Namen bitten?" gab er zur Antwort. Nr. 306. „Welchen Namen? Ich habe gar viele Namen geführt, seit ich unter den Menschen wandle. Heutzutage und hier zu Lande nennt man mich auch das Christkind!" „Habe schon lange gewünscht, Ihre wer the Bekanntschaft zu machen," meinte der Schalk und lächelte spottend. „Bin sehr überrascht, offen gestanden, hätte ich Sie mir anders vorgestellt." „Ich habe auch verschiedene Gestalten: immer die, welche der Mensch mir gibt, der mich in sein Herz einließ. Nur Solchen, denen ich fremd bin, erscheine ich so, wie es mir beliebt." „So, so? Ihre greisenhafte Jugend soll wohl eine Anspielung daraus sein, daß wir drei schon alte Knaben sind! Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches? Dars ich Ihnen ein Glas Sekt anbieten?" Das Männchen sah den Schalk an, und er senkte den Blick; dann streckte es die seine zartc Hand aus, und, o Wunder, die schien sich zu recken und zu strecken von der Decke des Raumes bis zu der Ecke, in wel cher Jener saß, und fuhr ihm leise über das Gesicht. Da wurde es ihm plötzlich hell und licht im Kopse, und aller Witz und Spott war ausgelöscht, wie wenn eine Hand krause Zeichen von einer Tafel wischt. „Ihr Armen!" hub jetzt die liebliche Stimme wieder an. „Ihr dauert mich in Euerer Verlassenheit, Ihr habt nicht nur mir, sondern allen meinen Brüdern, den guten Geistern, Euer Herz verschloffen. Darum bin ich heute gekommen, um Euch ein Geschenk zu bringen." Das Männ chen griff nach seiner Mütze, strich mit der Hand über diese weg und hielt dann ein kleines Flämmchen in den Fingern, die so fein und so rosig waren, wie die eines Neugeborenen. „Dir, mein Freund!" es wandte sich an den alten Herrn, „ist's im Schicksalsbuche vorgeschrieben, daß kein Sprosse Deines Blutes Dir die Hand reicht, wenn der große Abend für Dein Leben hereinbricht. Ich darf aber Dein Geschick lindern und Dir Liebe gewähren, indem ich Dich fähig ma che, Liebe zu geben. Du hast die Noth der Welt geschaut und kennst das Elend; Tu kennst es, hast aber nie begriffen, woran es Dich mahnt. Du sollst Dich än dern." Das Männchen streckte die Hand aus, das Flämmchen hüpste weg, wie ein Feuerstrahl zog es durch den Raum, und der verlosch in der Brust des alten Herrn. Das heißt, ?r erlosch nicht, sondern flammte in seinem Herzen fort. „Du sollst die Kinder der Fremden und Elenden lieben, die Kinder, die keinen Erzeuger mehr ha ben, wie Du keinen Erzeugten. Und sie werden Dich lieben und die Welt Dich seg nen, und Du wirst glücklich sein." Wieder griff das Männchen nach seiner Mütze, und ein zweites Flämmchen tänzelte unruhig auf seiner Hand. „Du," redete es den Rath an, „darfst noch genießen je nes Glückes, das Deinen Freunden versagt bleibt. Es ist Dir schon seit Langem na he, aber Dein Eigensinn und Trotz wehrten ihm, Deine Schwelle zu übertreten. Banne den Trotz! Ein Herz schlägt sür Dich, Du ahnst es wohl." Der Rath nickte und sagte leise vor sich hin: „Fräulein Marie, ich weiß es, sie ar beitet immer an dem Fenster, das meinein gegenüber liegt. EI? muß sich sehc