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Der SomAgs-MchmöM 51. Jahrgang. Reue „Wanderlust." Nach Bavarien, nach Bavarien Möcht' ich jetzt iiiit Stangen salinen, Wo sich noch ein Jeder duzt. Wo, noch nackt als wie ein Splitter, Schon der Säugling seinen Liter Aus dem grauen Steinkrug lutzt— Dahin, Aller, las mich ziehn! Zanzibare, Zanzibare, Ties allein ist beut' das Walire, Wo der Moltke Wißmann heißt. Wo aus srisch erfundiieii Seen Subscribirte Flotten gehen Und der Schwarze wird geweißt— Dahin, Alter, laß mich zieh»! Nach Kam rune, nach Äam'ruke, Wo schwarz weiß-roth aus Kattune Teutschland seine Flagge hißt, Wo vor Groß und Rlein-Popoe Man jetzt bummelt im Cauoe Und auf nackte Wilde schießt — Tahi», Alter, laß mich ziebn! Nach d!m freien Congoslaale Ich schon larg' ein Sehnen hatte» Seit Herr Stanley ihn entdeckt, Wo der Strom im Sand verschwindet, Man die Mohren furchldarschindet, Und uns noch kein Zoll erschreckt,— Dahin, Alter, laß mich ziehn! Nach Wim und nach Uganda, Bagamoja und Uwanda Sind die Zeiten sehr geneigt. Wo der Rohstoff gratis wachset, Nichts besteuert, nichts betaxet Und kein Sozialiste streikt— Dahin, Alter, laß mich ziehn! L'aß mich ankern in Japanen, Wo gemalt auf Porzellanen Uns der Älapperstorch gefällt. Wo man Alles renovirte Und noch jeder Deputirte Seine Jungfernrede hält— Dahin, Alter, laß mich ziehn! Helgolande, Helgolande, Das mir längst im Herzen brannte, Nur daß ich es nicht gestand. Wo sich Deutschland seewärts schützet Und uns Afrika Nichts nützet, Das nun auch mein Baterland— Dahin, Alter, laß mich ziehn Pie Todte. Schwerfällig, mühsam arbeitete sich das Dampfboot den hoch geschwollenen Fluß hinauf. Ein feiner, kühler Abend ncbel strich langsam über den dnnklcn Strom. Auf dem Verdecke war nur der Steuermann auf der Brücke und ein Matrose bei'm Schornstein, außer uns Beiden, die wir uns nicht vor der Abend kühle fürchteten.—Zu beiden Seiten des Flusses weithin dehnte sich die einförmig ebene Landschaft. Nur hie und da, hart am Wasser, ein einzelnes kleines Häuschen mit ein paar Bäumen davor und in der Ferne einige Häusermassen, die man bei der rasch einfallenden Dämmerung an den gelben Lichtfunken der Fenster erkennen konnte. Da steigt es bei einer Flußbiegung vor uns auf, drohend, eine mächtige Steinmasse; Thürme und hohe Mau ern, trostlos und erschreckend, —das Ge fängniß.- Das Gebäude steht hart am Flusse, daß das Wasser den Fuß der Mauern umspült, mit dumpfem, eintönig gur gelndem Laute. Samstag, den 2t. Februar !89t. Und nun diese Reihen kleiner, vergit terter Fenster, vier Reihen eng über ein ander, jedes dieser Fenster eine schwache, von schwarzen Linien durchkreuzte Licht släche; und hinter jedem dieser von Wei tem wie Spinnwcb aussehenden (Zisen gitter quält sich in der trüben, üchtlec reit Luft des Gefängnisses eine arme Menschcnscelc. Ein gefangener Mensch! — Er sieht nichts mehr von der Welt, er hört nur das Wasser in der Nacht ran nen und rauschen; seiu Mund öffnet sich nur, um die ihm mit jedem Tage mehr zum Ekel werdeude Gcfangcncnkost hin unterzuwürgen, diese Garküchenspeise, die keinen Geschmack hat, die wie Wasch dunst riecht, und über die er sich endlich doch macht, weil sich ihm der Magen umkehrt vor Hunger und Wider willen. Da hocken sie, die Verbrecher, zwischen diesen vier kahlen Wänden, die ihre enge, wesenlose Welt begrenzen, ohne daß sie je ein lächelndes Mcnschcngesicht erbU cken, nnr zuweilen, mit jähem Schreck, die kalten, forschenden Augen des Schließers, der argwöhnisch durch das Schiebloch dcr Thür in ihre Zelle späht. Und nur auf Minuten sehen sie den Himmel übe? sich und dürfen Lnft schö pfen; aber die Luft des Gesangenenhoses, umschlossen von unerklimmbaren Mau ern; wo sie nichts sehen als ein paar Wesen, die gleich ihnen hier zur Strafe eingepfercht sind in den rothen Ziegel haufen! — Dcr eine Gedanke, immer nur, hält sie noch aufrecht, daß sich einmal wieder die schweren, eisernen Thore össnen werden, um sie hinauszuwerfen in's Sonnen licht, in das Licht der Sonne, die dann ihren Angen fo weh thun wird, daß sie sich nicht mehr zurecht finden in dcr ih nen fremd gewordenen Welt.— Die Uhr des Gefängnisses schlägt, langsam mit schrill verhallenden Klän gen. Wieder eine Stunde! Und mir ist, als hörte ich all' die hundert einge kerkerten Wesen hinter den dunklen Mauern, wie befreit von einem Alp, aufseufzen: Wieder eine Stunde vor bei! Es war aber nur mein Begleiter ge wesen neben mir, der die Augen nicht ließ von den vergitterten Fenstern; dcr sich dann abwandte mit plötzlicher Be wegung, als wollte er mir etwas verber gen —dann aber, nach einer Weile, blickte er mich wieder ganz ruhig an, und mir war, als nickte er mir zu. — Wir hatten uns d'raußcn bei einem Freunde vor einigen Wochen kennen ge lernt, zusällig, und hente ebenso zufällig waren wir uns wieder bei ihm begegnet und fuhren nun gemeinsam nach dcr Stadt zurück. Mir war dcr Assessor schon vorher be kannt gewesen, wie wohl den Meisten in der Stadt, weil er ganz plötzlich, ohne recht ersichtlichen Grund, seinen Beruf aufgegeben hatte. Er war aus dem früheren sehr lustigen Freundeskreise herausgetreten, ließ sei nen Familienverkehr, trotzdem er ein Kind dcr Stadt war, völlig einschlafen und sing an, ein einsamer Mensch zu werden,den man nnr selten mehr zu sehen bekam. Wir hatten an dem Tage viel von Menschen und Menschenschicksalen ge plaudert; Vieles und Trauriges, und so kam eS wohl, daß er sich traute, mir sei ne einfache Geschichte zu erzählen, im Dunkel; während wir uns an die Brü stung des Danipsers lehnten und ans das Wasser starrten, das glucksend den vor wärts drängenden Rumpf des Schiffes umrauschte; während wir uns mehr und mehr dcr Stadt näherten, die im rothen Dunstschleier, wie geheimnißvoll, vor uns lag. Er sprach in die Nacht hinein, als ob er das Alles nicht mir erzähle, sondern sich selbst—gleich als ob ich gar nicht ne ben ihm saß, still und regloS Sie haben sich gewiß schon gefragt, ich weiß es nebenbei von unferem Freun de, weshalb ich meine Jurisprudenz an den Nagel gehängt habe. Um was wohl anders als um eine Frau; ein Mädchen, nachtürlich! Es sind nun zwei Jahre her, als ich ihr zum ersten Male begegnete, in lusti ger Gesellschaft, als Freundin eines mei ner Bekannten. Es ist ja nun einmal ein altes Leid, nicht hinwegzutilgen, daß wir—ich meine alle Menschen aus unseren Kreisen —so selten dcr Erste sind bei einem Mäd chen, und fast nie der Letzte, fast nie mals Ich weiß noch j>>tzt genau, seltsamen Eindruck sie an dem Abend aus mich machte. Ich war ganz wie in Un ruhe. Und dann immerwährend verfolgten mich ihre grauen Augen, immer glaubte ich sie vor mir zu sehen, von den feinen, dunklen Wimpern überschattet, die dem schmalen Gesicht eine so unendliche An muth verliehen, etwas so kindlich Lie bes. Ich sah sie wieder, und mit jedem Male verketteten wir uns mehr und mehr.... Es zog sich noch einige Wochen hin — dann wurde sie ganz mcin. Ich glaube, es kann keine Zeit mehr geben, wo ich zufriedener war, als da mals, in jenen Tagen unserer Liebe. Und das ist ja das Gefährliche für uns Männer, daß, während eine Frau ent weder mit dem Herzen, oder dem Ver stände, oder nur den Sinnen liebt, wir Männer nur zu oft mit Allem lieben, was wir haben; daß wir, ohne zu beden ke», uns ganz wegwerfen, daß wir die ganze aufgespeicherte Fülle von Herz und Gemüth, die in unserem Alltagsleben keinen Platz finden kann, in diesen Stunden des Alleinseins mit dem Wesen, das uns der Zufall mehr als unsere Wahl in die Arme gelegt hat, verschwen den und vergeuden. Vergeuden! das heißt für gewöhn lich, denn man selbst glaubt ja nie daran, daß das Mädchen es nicht werth sein könne; weil man Alles in sie hinein trägt, was man begehrt; weil man sich Nr. immer und oft mit vollem Bewußtsein täuscht; und doch verdient es keine ein zige— aber auch keine Damals lagen mir solcherlei Gedan ken ganz fern —und jede Stnnde, die ich dcr Welt, in dcr ich sonst gelebt, abrin gen konnte, widmctc ich dem' Alleinsein mit meinem Lieb. Sie war still und bescheiden, wenn wir allein waren; von ruhiger, herziger Hei terkeit mit de» Anderen. Niemals in den vielen Monaten, die wir zusammen lebten, habe ich je ein unschönes Wort von ihr gehört, nie eine Bewegung gesehen, die nicht von Fein heit und Anmuth zeugte, nnd niemals auch duldete sie je, daß ich mich im Ge ringsten gehen ließ. Oft und lange grübelte ich darüber, wie das wohl kommen mochte, da sie doch auS bescheidensten Verhältnissen hervor gegangen war, da sie ich vermochte es mir nicht zu verhehlen, wenn ich es mir auch nie recht vorstellen konnte, noch wollte eine Vergangenheit hinter sich hatte. Aber ich hütete mich ich hatte fast Angst, je Etwas von ihrem früheren Le ben zu erfahren; ich wußte nnr, daß sie nach dem Tode ihrer Mutter eine Zeit lang Verkäuferin gewesen war. Von jedcr Nachforschung aber hielt mich jene instinktive Furcht ab, die nur zu sehr berechtigt ist, immer und immer wieder. So täuscht man sich, so lügt man sich etwas vor, bis man es selbst glaubt, nnd wenn dann endlich dcr Augen blick kommt, daß dicse hohle Sclbsttüge in sich zusammenbricht, dann klagt man nicht sich selbst an, sondern giebt stets den Anderen die Schuld, die es doch nicht verdient haben.... Später erst habe ich ein Wort ver standen, das ich einmal bei Friedrich Nietzsche sand: Unser Verbrechen gegen Verbrecher besteht darin, daß wir sie wie Schufte behandeln. Unser Verbrechen gegen Verbrecher! In jener Zeit hätte ich kein Wort die ses Satzes begriffen.— Einmal, im müdem Hochsommer, ging ich im Abenddämmcrn mit meinem Lieb an dcr hohcn Gesängnißmaucr vor über. Ich fühlte, wie ihr Arm in meinem schauderte, und zum ersten Male über kam auch mich eine Art von Grauen. Ich zog sie schneller sort, damit wir die kahlen, hohen Mauern nicht mehr zu sehn brauchten. Das war nichts für sie. Wir hatten einen so herrlichen Spa ziergang gemacht, weit außerhalb der Stadt, die Brnst crsülll von Frohgesühl und glücklicher Zusriedenheit. Und da zum Unglück suhr gerade einer von den Wagen in das Thor, die Git terlhür siel schwer zu, und wir mußten sehen, wie die Gefangenen ausstiegen, einer nach dem anderen, in ihrer Sträf lingskleidung, die sie von allen anderen Menschen absondert. Und neben mir rauschte ihr knistern des Kleid, und ihre seine schmale Hand krampfte sich fest in die Falten meines