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Der ÄlMgg-WlWickill, 52. Jahrgang. Hcrbst-Abrnd. Ueber'm dunkel» Tauneuwalde Rothe Abeudjouiiengluth! Und am Fuß der grünen Halde ' Klar und frisch des Stromes Fluth ! Gold'ne Wollen aufwärts steigen ; Und ein derl'sllici! tiefes Schweigen Auf dein schöne',« Bilde ruht. Also ruht auch meine Seele, Kaum van leisem Wunsch erregt. Alles Künftige befehle Ich dem Gott, der treu mich tragt. Muß nach seinem Sinn und Wallen Toch die Zukunft sich gestalten, Bis d:e Feierstunde schlägt! In Vertretung des Liebhabers. Es liegt jetzt verloren und weltver gessen mitten in einem hügeligen, grün heiteren Buchenwald, daS ehemalige Kloster des heiligen Wolfgang. Aller dings steht heute keine Kapelle, kein Re fektorium, kein Krenzgang mehr, kein Glöcklein mehr läutet zur Messe, und keines Mönches Tritt hört man mehr durch die geweihten Räume hallen es ist längst Ruine geworden, eine stille, leblose, traurige Ruine, Ueberreste des alten RömerwalleS, deS Limes, der sich kaum hundert Schritte hinter der Ruine des Klosters vorbeizog vermögen nns auch viel Denkwürdig keiten im Bereiche der Historie zu er zählen, aber nun ist Alles überwuchert von Farrenkräutcrn, Nesseln, Himbeer sträuchern und Gräsern, und in den Kronen der vielhunde tjährigen Bucheu- und Eichenstämme singt der Wind manche aumuthlge und manche traurige Mähr, die sich auf diesem ehrwürdigen und geweihten Boden abgespielt. An der östlichen Seite der Ruine ziehen sich in einem hufeisenförmigen Bogen die Maucrreste der Klostergar tcnnmsricdigung in den Wald hinein, hie und da durchbrochen, zerbröckelt nnd zcrsallen, kaum noch bis znr Brusthöhe den Boden überragend. Oben darauf aber blüht der zierliche Mancrpfeffer, und hochhalmige Grasbüschel haben ihre genügsamen Wurzeln in die Spal ten und Ritzen des Mauerwerks ver senkt. Ungefähr in der Mitte dieses Bogens steht eine riesenhafte Buche, deren mächtige Kroue sich weit über die stillen Ruinen ausbreitet, als wollte sie diese vor einem scrueren Zornesaus brnch des Himmels schützen. Die Hand eines gefühlvollen Hand werkers hat unter ihrem Laiu dache eine Bank aus knorrigen Eichenusten er richtet, gerade gegenüber dem alten Klosterbrunnen, von dem nur die Um mancrung und das Wasser die Jahr hunderte überdauert haben. Als ich einmal hinauskam zu dieser idyllischen Trümmerstätte mitten im lebendigen, grünenden Walde, war es Sonntag. Es war ein schöner, klar blauer Sonntag, uud daß er gerade zur Neige ging, Das war das Schönste an ihm. Also an einem Sonntag Abends kam ich auch eiunial da hinaus. Wie ich mich der Bank nähere, die Samstag, den 12. November 1892. unter der mächtigen Buche steht sehe ich recht? bei Gott ! ist DaS nicht ein weißeS, wallcudes Kleid? Ja, sreilich, das ist ja eine herzige Maid ! Dieser entzückend schöne Kopf mit dem üppigen hellblonden Lockenschwall, die ses cngelgleiche Antlitz mit den erglühen den Wangen, dem versührerischen Lip penpaare wie groß, wie voll sie die klaren, blanen Augen auf mich heftet wie war ich überrascht vou dieser lieb reizenden Erscheinung! Seltsam, daß sie mich so starr uud fest auschaute, wie ein überirdisches Wesen, uud ich den Blick nicht von ihr wenden mochte daß ich o Gott! da saß ja noch ein junger Mauu an ihrer Seite, ihre Hand in der seinen haltend und den Arm nnl ihre Hülste legend. Wie schade! Nicht deshalb dieser Seufzer, weil ich vielleicht eiu zärtliches tvw-ir-wte gestört habe, sondern weil ich in diesem Moment eine egoistische Anwandlung verspürte. Ich hätte kal ten Blntes den glücklichen Liebhaber in den Erdboden versinken sehen können, und ich wäre wohl nicht zu blöde ge wesen, seinen Platz einzunehmen. Der Anblick des jungen Mannes hatte mir wieder die kalte Bernuuft zurückge geben, ich sah mir deshalb die Umge bung des bcueidcnswcrthen Paares et was genauer an und entdeckte z» seinen Häupten im Stamme der Buche ein großes Herz mit den Initialen zweier Namen, die erst ganz frisch eingeschnit ten waren. Nun seufzte ich uoch einmal: Wie schade! Diesmal aber war es wirklich das Bedauern darüber, daß ich zwei glücklichen Menschenkindern, die sich eben erst gefunden und verbunden hat ten, so unzart den süßen Traum der Liebe verscheucht hatte. Dieses Be wußtsein erzeugte eiu gewisses Rcncgc fühl in meinem Herzen über meine all zu starke Annäherung, ich hielt eS des halb für wohlaustäudig, mich etwas seitwärts in die Büsche zn schlagen. Aber merkwürdig! Soviel ich mich auch zu „drücken" bestrebte, ich drückte mich immer in der Nähe jener Bank und jener mächtigen Bnche hcrnm, ge rade wie die Katze um den heißen Brei. Ich kann es der schönen Leserin nach sühlen, wenn sie mit dem Kopfe schüt telt nnd sagt : Ein wunderlicher Heili ger ! Ja, ia! Aber Tu lieber Gott! Es giebt ja auch „falsche Heilige," nnd man hat sogar eiu Theaterstück darüber geschrieben. Als ich dieses znm ersten Äiale sah, schüttelte ich auch mit dem Kopse und sagte: DaS sind eher wun derliche Heilige, diese Helden, der Autor aber ist bestimmt einer. Nun kurz und gut ich war nicht aus der Nähe dieses Paares zu bringen. Inzwischen war es anch schon bedenklich finster geworden, nnd ich wunderte mich, daß die Beiden immer noch auf der Bank faßen, denn ich konnte deutlich das weiße Kleid durch die dunkle» Stämme hindurch schim mern sehen. Es ward immer noch sinsterer. Schon kaincu überall die Sterne am Nachthlm- mcl hervor, Lcnchtkäscrchen schwirrten nmhcr, zuweilen ries ein Uhu durch die nächtliche Stille des Waldes. Die Bei den aber blieben immer noch sitzen. Das ist aber unerhört! Ich schämte mich vor mir selbst, nm so mehr, als ich jetzt sah, daß sie sich endlich erhoben und langsam, die Wangen auciuander gelehnt, durch die Dunkelheit des Waldes dahiu schritte«. Dabei sah ich immer das weiße Kleid zu mir herüberschimmcrn wie eine heitere Verheißung. Sie mußten offenbar von meiner NäheNichts mehr ahnen, denn sie sahen sich mit keinem Blicke ängstlich um, ga ben sich vielmehr dem süßen Gekose nnd Geplauder uugciiirt hin. Auf einmal sehe ich, wie die weißge kleidete Gestalt eine Seitcnbewcgnng nach rechts macht und zu gleicher Zeit mit dem Arme nach Etwas zu haschen scheint. Ich glaubte schon, es wäre dem cngclgleicheii Wesen etwas Mensch liches zugestoßen, wollte mich schon in Trab setzen, wollte schon zu Hülfe eilen, als ich mit helltönender Stimme, so rein wie Silber, die Worte vernahm: „Hcrrmann! Ein Glühwürmchen! Sieh' doch, wie schön! Fange mir doch eins bitte!" Nun sah ich auch erst, wie hier und dort uud überall, meteorglrich, die flim mernden Lenchtkäferchcn auftauchten, hin und her irrlichtcrirten uud wieder in Nacht versanken. „Ich werde gleich eins haben !" gab Hermann zurück. „Sieh' dort, Otti, dort ist ein ganz großes!" „Ach ja! und dort auch cius, das muß ich mir saugen!" Dabei Uesen sie in ganz entgegengesetzter Richtung aus einander, der Eine nach links, der An dere nach rechts. „Wie schade! Jetzt ist's wieder fort!" flötete Otti enttäuscht, „aber da ist wie der eins!" „Beinahe hätte ich das ganz große gehabt!" scholl Hermann's Stimme schon iu ziemlicher Entfernung. Dabei aber entfernten sich die Liebenden immer mehr. Den jungen Mann in dunkler Kleidung konnte ich schon nirgends mehr gewahren, das wcißschimmcrnde Kleid aber hatte ich immer im Ange behalten. Ich sah, wie die Gestalt immer wieder einen Satz machte und immer wieder zn haschen versuchte, aber auch immer mehr nach rechts abkam. Ich fing nun wirklich auch an, nach Glühwürmchen zu haschen, nnd merk würdig ich bemerkte gar nicht, wie sich diese leuchtenden Thierchen nnd ge rade diejenigen, nach denen ich fahndete, instinktiv nach der weißgekleideten Ge stalt hinzogen ich bemerkte in Folge Dessen auch nicht, wie ich nnch dieser mehr und mehr näherte. Als ich sie vielleicht zwölf Schritte vor mir sah, kam mir unwillkürlich die Idee: Hei, das wäre ein Glühwürmchen für Dich, das lohnte sich schon zn sangen, das ist jedenfalls das ganz Große! Aber wie fangen, ohne daß ihr Hermann Etwas davon zu hören bekommt ? Da stand ich nun weiter kam ich nicht mit dem Meditiren. Nr. 272. Plötzlich höre ich in ganz unmittel barer Nähe von mir einen leise ansge stoßencn Ruf: „Hermann!" Es klang, als ob sich die Rufende vor ihrer eigenen Stimme fürchtete. Im selben Moment sah ich es vor mir. WaS? Das weiße Meid natürlich. Es überkam mich in diesem Augenblick ein wonniges Zittern das dumme Laub, daß es so raschett unter den Fuß tritten. Unwillkürlich bleibe ich stehen. Sie ruft noch einmal in demselben leisen Tone: „Hermann!" Soll ich ihr sagen, daß ich nicht ihr Hermann sei? Gott bewahre, Das könnte sie zum Tode erschrecken. Ich mache wieder einen Schritt auf sie zu — ich weiß immer uoch nicht, wie ich die ses großen Glühwürmchens habhaft werde» könnte wie tölpelhaft, es knackt ein Zweig unter meinem Tritte. — Blitzschnell wendet sie sich nach mir um: „Ach Da bist Du ja!" Uud fast gleichzeitig fliegt sie mir mit einem tiefen Seufzer au die Brust, an den HalS. Bei.Gott, uuu hatte ich das große Glühwürmchen gar ' auch ge fangen. Ich weiß nicht, wie mir geschieht, ich bin ganz vou Sinnen, ich lasse im er sten Schreck meinen Stock fallen, hüte mich aber natürlich, ihn aufzuheben. Nu», denke ich, solche Momente hat mau nicht alle Tage. Du gesällst Dir eigentlich nicht übel in der Rolle des Hermauu. „H.riiiann! mein Rabe! mein Prinz! mein Alles!" haucht sie fortwährend hervor. Oh, wie sie mich an ihre Brust preßt, wie ihre Brust sich hebt, wie heiß ihr Athem geht! Welche Gluth, welche Leidenschaft in solch' einem jungfräu lichen Herzen brennen kann. Ich biu kaum uoch meiner Sinne mächtig. Wie eherne Bauden halten mich diese weichen Arme nmschlungcn. „Wie froh ich biu, daß ich Dich wie der habe! ODu bist schlecht, daß Tu davongelaufen bist, mich iu stocksinfterm Walde allein lassen wolltest. Aber ich halte Dich, ich lasse Dich nicht mehr los!" Sie stößt es hervor mit glühen dem, fliegendem Athem. „Geliebter Hermann, Du Einziger, Du redest ja gar Nichts ! Sprich doch etwas, soll ich Dir den Muud össnen?" Sie zieht mich wieder sester an sich, sie preßt mich abermals an ihre Brust, ich fühle ihr Herz häiumern, das meinigc klopft wie zum Zerspringen. Ich bin in fatalster Lage, ich beiße mir aus die Lippen, um den Muud nicht aufzuthuu, deiiil wenn ich es thue, muß sie vor der fremden Stimme erschrecken. Was thun? „Still," flüstere ich so leise als mög lich, um mich nicht zn verrathen. „Ich glaube, man belauscht uns, ich habe Tritte rascheln höreu !" „O Gott ! Hermann, schütze mich !" flüstert sie ängstlich, sich wieder inniger an mich schmiegend. „Still, Otti, es geschieht Dir kein Leid!"