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Kroat bittet höchstens um ein paar Kreu zer für Schnapps, und wenn ich ihm einen Zwanziger schenke, küßt er mir die Stiesel dafür." „Na, meinetwegen! Bei mir findet man Nichts, denn ich bin schwarz, wie gewöhnlich aber Du trägst immer ein kleines Kapital in der Tasche. Nimm Dich in Acht!" Sie hatten noch nicht fünf Minuten mit einander geplaudert, als sich ihnen schon ein bis an die Zähne bewaffneter riesengroßer Kroat, der das Deutsche ein wenig radebrecht?, freundlich schmun zelnd näherte. „Schamsta!" grüßte er, liebenswür dig mit dem Kopse nickend. „Servus!" dankten die Komiker. ."Schenken's bisli wos orme Soldot!" „Nix Praz!" sagte Scholz, indem er alle seine Taschen umdrehie. „Nix, nix? Orme Herr!" bedauerte gutmüthig der Kroat. „Du auch nix?" frug er Nestroy, „bitt', bitt', nur klane Kreuzer für orme Soldot!" Nestroy lüftete feine gut gespickte Sei deubörse. durch welche Zwanziger, Tha ler und sogar einige Dukaten schimmer ten, und reichte dem Kroaten großmü thig ein paar Silbermünzen. „O brave, gute Herr!" dankte der Kroat gerührt. Dann setzte er hinzu, indem er mit dem Finger auf die Zwan ziger in der Börse tupfte: „Dos, dos auch für orme Soldot, bitt', bitt'!" Nestroy reichte ihm einen Zwanzi ger. „Ondern auch, bitt', bitt', für orme Soldot!" Nestroy zog fein Gesicht ein wenig in die Länge, aber er mochte sich vielleicht denken, derKlügeregibt nach, und reichte dem Kroaten alle Zwanziger, dann auch die Thaler, denn der Kroat hörte noch nicht auf zu tupfen. Endlich tupfte er auch aus die Duka ten. Nesiroy's Gesicht wurde noch bedeu tend länger. „Das das gilt Nichts!" sagte er. „Es sind nur Spielmarken, mein Kame rad!" „Komrod nimmt Spülmorken auch, bitt', sür orme Komrod!" Nestroy gab ihm nun den ganzen Beu tel. Aber der arme Soldat hörte noch nicht aufzutupfen. < Sanft und zart, wie n verliebter al ter Herr das Näschen eines hübschen Mädchens tupft, tupft er milder Spitze feines Zeigefingers die schwere goldene Uhrkette des unglücklichen Komikers. „Dös—dös schön—serr schön!" Nestroy's Gesicht zog sich zehn Ellen in die Länge, denn ihm ahnte das Fürchterlichste. „Onschaun lo„e, onschauu orme sol dot! bitt', bitt'!" Nestroy machte kleine Aeuglein, krauste die Nase, krümmte den Mund, zog einen Fuß in die Höhe, als ob er mit seinem bekannten diabolischen „Xiok!" den Kroaten zurückschrecken wollte. Aber der starke, baumlange Kroat blinzelte so bedeutungsvoll, spielte so naiv mit sei nen Pistolen im Gürtel, tupfte so fleißig an die Uhrkette und bat so zuckersüß, daß Nestroy ja ein Menschenfresser oder ein Rüste gewesen sein müßte, wenn er dem kindischen Manne die Freude verdorben hätte. Langsam, aber sehr langsam zog er die Uhr aus der Tasche und zeigte sie, ohne sie aus der Hand zu lassen, dem armen Soldaten. „O —dös ichön—serre schön!" rief die ser begeistert, das große Maul spitzend, als ob er Nestroy küssen wollte. „O— o, so woS Hot orme Soldot not!" „Es wär' auch Nichts sür Euch, lie ber Herr Kamerad, denn es ist keine Militär-, sonden, eine ganz ordinäre Civiluhr. ..Lieb' ich Civil.—bitt', bitt' ols An denken on brove Civil!" „Aber —es ist ein miserables Zeug —" „Auch ein miserobles Zeug >s' gut ge nug für orme Soldot." „Sie ist nix nutz —sie geht schlecht." „O, sie geht gut, wenn's geht zu orme Soldot, bitt', bitt' gor schön!" Und indem der arme Soldat gar so schön bat, fing er mit der einen Hand etwas stärker zu tupfen an, indeß die andere Hand den Kolben seiner großen Pistole streichelte, und Alles so beschei den. wie eine erste Sängerin, und so zuckersüß, wie ein Steuerexekutor, daß es unmöglich war, ihm länger zu wider stehen. Nestroy krauste die Nase, als ob er Pulver röche, würgte und gurgelte, als ob ihm ein kleiner Kapuziner in die un rechte Kehle gerathen wäre, und ließ seine schöne kostbare Ankeruhr mit der schweren goldenen Erbftnkette in die Hand des vraven Kroaten gleiten. Der brave Kroat küßte mit Thränen der Dankbarkeit im Auge, die Hand sei nes edlen Wohlthäters, sondirte dessen lange Linie von der Kravatte bis zum Stiesel, ob nicht irgendwo noch ein Plätzchen zum Tupfen wäre, und legte die Hand militärisch grüßend an die Kappe. „Schamsta!" sagte er. „Servus!" antwortete Nestroy ge dehnt und Grimassen schneidend, und der Kroat entfernte sich, um die Uhr dem ersten besten Inden für ein paar funkelnagelneue Zwauziger zu ver kaufen. „Es sind recht liebe Leut', die Kroa ten!" bemerkte Scholz malitiös. „Hol' sie der Teufel!" donnerte Nestroy ingrimmig. „O, ich wünschte, wie Nero, sie hätten alle einen Hals, um mit einem einzigen Streich Alle auszurotten." Ter Tempel zu Jerusalem. Die „Wiener Allgemeine Bauzeitung" hat in ihren Heften I—4 von 1893 eine Abhandlung über den „Tempel zu Je rusalem" von Heinrich Becker, dem Frankfurter geographischen Schriftstel ler, publizirt. Die Schrift enthält vier Kapitel: 1., „der Tempel des Salomo." 2., „der Umbau durch Zerubabel und Herodes." 3. „der Felsen-Dom von Kai ser Constantin," 4. „der Kunstwerth des Tempels." Der Verfasser Hai sich an die Frage gewagt, die im Jahre 1875 von einem Congreß von Architekten, Ar chäologen und Theologen nicht gelöst wurde. Jener Congreß sprach die An sicht aus, der Tempel sei zwar von Sa lomo ervÄut, der gewaltige Unterbau aber nur theilweise von Salomo herge stellt und später erst von Herodes d. G., sowie von den Römern vollendet wor den. Tann rühre auch der heute noch stehende Felsen-Dom weder von Con stantin, noch einem Khalifen, fondern vom Kaiser Justinian her. Der Ver fasser weist nun in geologischer und me teorologischer Begründung nach, daß der Tempelberg „Moria" aus einem Jura- Gebirge besteht, in dem Sand- und Kalkstein-Lagen wechseln. Diese stehen in schräger Neigung zu Thal; von der Sonne werden sie ausgeglüht, dann von den Regengüssen aufgelöst und hinab gestürzt. Diese zu sichern, mußte salomo die riesige Mauer bauen. sie ist heute noch 54 Meter hoch entdeckt wolden mit Blöcken von 8 bis 10 Meter Länge und 4 bis 5 Meter Breite. Solch' riesige Arbeit vermochten weder HerodeS, noch die Römer zu vollbringen, denn jener war ein „Miethling," diese aber Fremd linge. Nur ein souveräner Herrscher von Macht und dem Reichthum eines Salomo vermochte 80,000 Bauleute und 70,000 Lastträger aufzubieten, um das Ungeheuere zu vollenden. TerTeni pel wurde zweimal zerstört: durch Nebu cadnezar, dann durch Titus. Keiner von diesen konnte aber die ungeheueren Mauern stürzen. Nehemia baute in 52 Tagen die Mauern und binnen einem Jahr den Tempel wieder auf. Es war nur das Holzwcrk verbrannt und ein zelne Mauerstücke geborsten. Trotzdem kein Krieg bis zu HerodeS Tempel und Mauern zerstörte, waren zerfallen in Folge der ungeheueren Regengüsse, welche die unter dem Tempel herziehen den Höhlen, sowie die großen Wasserbe hälter sprengten und in gewaltigem Felsenbruch die Rieseumauer zu Thal stürzten. Auch Titus hatte nicht mehr, als das Holzwerk verbrannt. Ein mörderisches Klima — 8 Monde Gluthhitze. 4 Monde Regensturz verwüstete aber die Trüm mer zu einem Schutthaufen. Die fromme Kaiferin Helena, die Mutler Constantin's des Großen, fand zu Beth lehem die Höhle, in der Jesus geboren sein sollte; zu Jerusalem die Stätte, wo sein Kreuz lag, und die dritte, wo er nach ihrer Meinung begraben wurde. Sie vermochte veu großen Sohn, daß er diese Orte mit Tempeln verherrlichte. Zu Bethlehem entstand eine Basilika; zu Jerusalem an der Krcnzcs-Stclle eine zweite; dann über dem Felsen „Moria" in dem die Kaiserin die Grabstätte wähnte ein dem römischen „Pan theon" nachgebildeter Kuppel-Bau. An den Bau - Formen weist der Verfasser nach, daß diese drei Werke nur zu Con stantin's Zeit entstanden sein konnten. Aus der hohen Stellung Constantui's gibt er gleichfalls den Nachweis, d> ß wie nur ein souveräner Köuig von Js real den Tempel mit feiner gewaltigen Terrasse vollführen auch nur der uni versale Beherrscher vom ganzen Römer- Reich, der enthusiastische Veiehrer des Christenthums, den zweiten Bau, deu Felsen-Dom, an dessen setzen konnte. Es solgen in spannender Ent wickelung die politischen und staats wirthschaftlichen Motive, sowie die Er klärung von den Bauformen, deren planvolle Eöenmäkigkeit den Baukünst ler in Staunen setzt. Tann werden die Zeitgeschichte, die Einweihung des Tem pels durch Salomo, die Ausstellung der Chöre durch Esra und Nehemia, das erste Laubhüttenfest, die Erlebnisse von Jesus Christus, die Passionsgcschichlc u. s. w. in die Beschreibung eingesloch ten. Damit wird ein ebenso künstlerisch exaktes, wie kulturgeschichtlich fesselndes Bild von dem Bauwerk gegeben, welches unter allen auf der Erde stehenden für die gebildete Menschheit von dem höch sten Interesse ist. Neue Bezeichnung. —„In ei ner Gesellschaft fragt eine Dame einen Künstler, was er eigentlich male. Hier auf erwidert der junge Mann: „Thiere!" „Ah," bemerkt die Dame, „Sie sind also Veterinär-Maler!" „Ter Schaute vom Vullenwintel." Eine bekannte Berliner Figur, der „Narr vom Bullenwinkel," ist dieser Tage gestorben. Viele Berliner, die in der Gegend des Hausvoigtei - Platzes wohnten oder dort verkehrten, werden den sonderbaren Alten gekannt haben, der ein Menschenalter hindurch tagtäg lich die Geschäfte des HauSvoigteiplatzes besuchte und sich durch sein anssälliges Benehmen und auch seine groteske Klei dung in den Kreisen der Consektionäre den bezeichnenden Beinamen „Schaute vom Bullcniviukcl" erworben hat. Der alte Herr, der auf den Sammelnamen Müller hörn-, war ein eigenartiger Kauz; in der größten HuudStagshitze trug er einen Winterüberzicher. der Hals war mit einem dicken Tuch, die Hände mit Wild - Lederhandschuhen bedeckt. Schweigend trat er. überall geduldet, in die Läden und beobachtete stundenlang das geschäftliche Treiben. Er war na türlich die Zielscheibe des Spottes der Angestellten, die den Alten ost in arger Weise hänselten. Die größten „Bären" wurden ihm ausgebundcn, ohne daß er die oi't unzarte Witze jemals übel ge nommen hätte. Vor mehr, als sünfzehn Jahren wurde eine „Thal" des Narren viel besprochen. Der Inhaber eines Geschäftes am Hausvoigteiplatze hatte sich durch ver fehlte Börsenspekulationen dem Banke rotte nahe gebracht. Von der bevorste henden Pleite hatte Müller bei einer Nachbarfirma gehöit; anf die lieblosen Bemerkungen, die über den unglücklichen Spekulanten gemacht wurden, erwiderte der alte Herr: „Der I. wird Euch noch Alle auslachen." lind damit verließ der Alte den Laden und ging schnurstracks zu T. Was er in dem Comptoir des vordem so angesehenen Kaufmannes gethan, hat man erst später erfahren. Jedenfalls erholte sich der Letztere sehr bald, sein Geschäft ging flotter und flotter, und nach einem Dezennium war er „Markmillionär" geworden. Der Alte hatte ihm ein größeres Kapital ge liehen und damit Hrn. X. vor dem Ruin bewahrt. Solche Streiche hat sich Mül ler des Oestcren geleistet, und mancher Coniptorist ?c. weiß dem sonderbaren Alten noch heute Dank. Die größte „That," durch welche Müller je die Nachbarschaft in Aufruhr brachte, ist wohl die folgende gewesen : Vor etwa 10 Jahren wurde ein junges Mädchen, die Tochter einer blutarmen Wittwe, aus einem Cousektionsgeschäfl des Hausvoigteiplatzes entladen, weil sie einen kühnen Griff in die Ladenkasse ge than haben sollte. Alles glaubte an die Schuld des Mädchens, nur Müller nicht; er nahm sich des Mädchens an. und bald bemühte sich ein Rechtsanwalt cisrigst um die TicbstaylSassairc. Leider vergeblich. Der Makel blieb auf dem Mädchen sitzen. Das genirte aber den Alten nicht : der KO-jährige Mann war so von der Unschuld desMädchens über zeugt, daß er dasselbe bald darauf an den Altar führte. Erst ach mehreren Jahren kam es an den Tag, daß er Recht gehabt: die Kassirerin des Ge schäftes, aus welchem Frau M. entlas sen worden war, wurde als die Diebin entlarvt. Seit seiner Verheirathnng hat der alte Herr die Besuche in den Lä den nach und nach aufgegeben. Mit zärtlicher Sorgfalt von seiner getreuem Gattin gepflegt, ist M. vor einigen W ochen in hohem Alter gestorben. Wenige alte Freunde aus der Confeklionsbranchc gaben ihm das Ehrengeleit auf seinem letzten Wege. 3