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2 schaffen, und dann, Ida, wenn Sie es sehen, dann werden auch Sie rufen: „Die Lebenden haben Recht !" und Sie werden danach handeln! Ein Le bender wird den Todten in Ihrer Seele tödten, und —"" „Nein!" unterbrach sie schroff. „Nein, niemals! Reden Sie nicht mehr davon ich will's nicht hören!" Er erbleichte neuerdings bis in die Lippen. „Ist Das Zhr letztes Wort?" „Mein letztes." „Nun, dann leben Sie wohl!" Er sprach mit Aufbietung seiner gan zen Selbstbeherrschung, machte ihr eine Berbeugilug uud ging mit festen Schrit ten, in stolzer Haltung hinaus. Es war ihm anzusehen, daß er end lich, endlich den schweren über sich selbst errungen hatte. Sie fühlte das, und daß er niemals wiederkommen wer de. Zhre erste Regung war's, ihn zurück iuruseu, allein der Trotz verwehrte ihr'S. Die Thür siel hinter ihm in's Schloß er war fort auf Nimmerwieder kehr! Sie wußte es. Es mußte sein, und wenn sie auch nicht in Haß und Groll hatte von ihm scheiden wollen es war nun einmal so weit, und besser ein Ende mit Schick ken, als Schrecken ohne Ende. 2. Unruhig, erregt, beinahe fiebernd ging sie im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb sie, wie von einer ge heimnißvollen Macht angezogen, vor dem Bilde ihres verstorbenen Mannes stehen und betrachtete es mit schmerz lichem Blicke. dachte an ihr kurzes Eheglück—es währte nnr drei Jahre, und ihr Mann hatte sie so über alles Maß geliebt, daß er voll Eifersucht sie von der Welt ganz abschloß. Und einmal gab es einen bösen Aus tritt zwischen ihnen. Die junge Fran lehnte sich gegen die scsAbschlicßnngssystcin desGattin offen auf, es kam zu leidenschaftlichen Vor würfen und Klagen uud zu harten Wor ten, n. das Ende davon'war, daß sie die Gatten wochenlang erbittert, beinahe feindlich, gegenüberstanden. Aber es kam es doch zu der Ausföhuung, und in der überwältigenden Seligkeit des uen geschlossenen Friedens gelobten sie sich, Eines nur für das Andere zu leben und zu sterben gelobten sich Liebe, Treue für Zeit uud Tod. Kurz darauf mußte Richard in ge schäftlichen Angelegenheiten verreisen. Er blieb ein Bierteljahr fern, und als er wiederkam, schien er seiner jungen Frau etwas verändert; er sah bleich und befangen, fast gedrückt aus. Auch saud sie ihn öfter, wennsie nnver muthet in sein Zimmer trat, in tiefes Sinnen versunken dasitzen, den Blick in's Leere gerichtet, und dabei gab er sich auch oft ungemein nervös—ner vös bis zur Zerfahrenheit. Nun quälte sie im Stillen die Be fürchtung, daß er ihr irgend ein Ge heimnis verberge, und sie zermarterte sich ihren Kopf, was es wohl sein könnte fragen, forschen wollte sie nicht. Er sollte es ihr selbst sagen, er selbst viel Vertrauen zu ihr haben, ihr Alles, was ihn anbetraf, frei zn bekennen. So ging ein Jahr vorbei, dann kam die schreckliche Stunde, wo Richard am Typhus erkrankte, und neun Tage spä- ter der grauenhafte Augenblick, wo er dahinschied in der Blüthe seiner Zahre verzweifelnd darüber, sein schönes, heißgeliebtes Weib verlassen zu müssen, noch mehr aber gequält von dem Pein vollen Gedanken, sie könnte später einen Anderen mehr lieben als ihn und ihn vergessen. Am meisten aber quälte ihn ein Anderes, das in Worte zu kleiden er nicht den Muth fand. Als er ihn endlich doch fand, da war es bereits zu spät—er konnte nicht mehr sprechen; so mußte er denn sein Geheim niß mit sich in's Grab nehmen und mehr als das: die Freiheit seiner jnngen Frau. Sie wußte eS nicht, ahnte es nicht, sie deutete es falsch und handelte danach. Trostlos, verzweifelt über.das frühe Sterben des geliebten Mannes, be stürmt von reuigen Gedanken über ihre so oftmals an den Tag gelegte Unver nunft und Undankbarkeit, leistete sie ihm Angesichts des Todes freiwillig noch einmal den Schwnr ewiger Trene. Ihr wurde dabei leichter um das Herz' und sie wähnte, ihr Gelöbnis stets heiteren Geistes, frohen Muthes halten zu kön nen. Und wieder wollte er sprechen und konnte nicht. Nur sein Auge sprach mit einem Blicke so voller Jammer, Angst und Qual, daß ihr daS Herz vor Weh zerspringen wollte. Sie errieth ihn nicht, verrieth nicht, daß er an der Schwelle der Ewigkeit alle menschliche Selbstsucht und Ungerechtig keit abgestreift hatte und sie frei machen wollte. Ihr schien es nur, als spräche bittere? Zweifil aus feinem Blick, und um ihm auch den letzten Zweifel zu be nehmen, sprach sie noch einmal laut und feierlich: „Ich schwöre es !" Ta kämpfte der Sterbende den letzten Kampf mit dem entfliehenden Leben. In seinen Zügen arbeitete es schmerz lich, als er mit übermenschlicher An strengung der Lebenskrast die schwinden den Lebensgeister bahnen wollte. Und es gelang ihm. Er richtete sich halb auf „Nein!" kam es von seinen mehr und mehr erbleichenden Lippen, gewalt sam hervorgestoßen, nnd sonst Nichts als dieses eene Wort. Denn im näch sten Augenblicke sank er todt zurück. Fünf Zahre waren seitdem hinge schwunden. Sie waren ihr recht lang, manchmal auch etwas .bang gewesen, ihre Unfreiheit hatte sie in so manchen Augenblicken gedrückt, doch tapfer hatte sie sich immer wieder überwunden. Nein! Er durfte ihr nicht schwer fallen! Es war süß und erhebend, eine TaukeS- und LiebeSschnld abzutragen, und Richard hatte sie ja auch in wandel loser, nicht wankender Treue geliebt. Doch wie sie so in ernsten Sinnen auf sein Bild sah, da schien es ihr ur plötzlich, als prägte sich auf diesem sein geschuittenen Männerantlitz keine Güte, keine Großmuth, keine Menschenliebe aus. Zeder Zug schien ihr herzenkalt, selbstsüchtig, und der Ausdruck der hel len Augen so stolz, herrisch, zwingend, daß es ihr wehe that. Wenn sie ihn sür besser gehalten hätte als er es wirklich gewesen war! Wenn er Sie preßte die Hände au die Brust und starrte beinahe entsetzt das Bild an. Belebte es sich wirklich, oder schien es nur ihrer aufgeregten Phantasie, als ob die von einem braunen Barte halbver hüllten Männerlippen da oben ein Lächeln grausamen Triumphes umspielte ein Lächeln, das sagen wollte: „Ell ies nutzlos ich halte Dich ich lasse Dich nicht frei !" Ein Schauder flog sie an das Bild wurde ihr unheimlich. Rastlos schritt sie im Zimmer auf nnd ab. Regen schlug noch im mer an die Fenster so monoton, daß es schien, als wollte es für Zeit und Ewig keit nicht aufhören. Trüb, grau und kühl und düster war's zum Sterben traurig, zum Verzagen trostlos, so wie in Jda's Seele. Jede Sekunde schien ihr eine Ewig keit voll dumpfer Qual. Uud war es nicht, als folgte ihr allüberall hin das Augenpaar dort oben mit dem herrisch zwingenden, erbarmungslosen Blicke, der ihr zu sagen schien : „Laß alle Hoff nung fahren Du gehörst mir !" Entsetzen faßte sie; dann fiebernde Erregtheit. Weh' über sie. daß sie kein Kind be saß ! Das wäre Trost und Halt gewe sen in ihrer elenden Vereinsamung in ihrer schrecklichen Verlassenheit. Uud plötzlich überkam sie ein qualvolles Ver langen nach Trost, ein rasendes Be gehren nach Zärtlichkeit. Dort, in dem Nebenzimmer, das sie, weil es sein Arbeitsraum gewesen, nach seinem Tode pietätvoll hütete, konnte sie finden, was sie suchte. Der Schreib tisch, daran er einst gesessen, barg Zärt lichkeit und Trost. Dort hatte er die Briefe an die Braut geschrieben dort lagen sie auch, von ihrer Hand ver wahrt. Sie flog hinein, sie eilte an den Schreibtisch und zog die rechte Seiten lade auf. Daraus entnahm sie einen mit Gold beschlagenen Ebenholzkasten, stellte ihn auf den Tisch uud wollte den kleinen Schlüssel, den sie au einer seinen Goldkette um den Hals trug, hervor ziehe. Ausgelegt und ungeduldig zerrte sie zn stark an dem Kettchen, es riß ent zwei, und der Schlüssel flog in die offene Lade hinein. Es klang hohl. Sie wurde stutzig. War da etwa noch ein Fach verborgen? Sie snchte, prüfte, tastete immer der selbe hohle Klang, und endlich fand sie auch die fast unsichtbare Feder. Ein Druck, uud vor ihren erstaunten Blick lag das Geheimfach, dessen Vorhanden sein sie nicht geahnt, offen vor ihr. Sie griff hinein und zog ein in weißes Papier gehülltes flaches Päckchen her aus. Dem Anschein nach enthielt es Briese, und etwas Steifes, Festes lag auch dabei—es fühlte sich wie eine Pho tographie an. Eine Weile starrte sie mit scheuer Neugier das Päckchen an, dann össncte sie entschlossen das roihe Band, den stark vergilbten Umschlag. Obenauf lag ein Bild das Bild eines jungen Weibes voll Liebreiz und anmuthiger Schönheit. Rasch wandle sie es um. Da stand auf der Rückseite ia zierlichen Schrift zügen die Widmuug: „Zur Erinnerung au Deine Alma. Prag, im Juni 1666." Im Juni jenes Jahres hatte Richard in Geschäftsangelegenheiten, die ihn unerwartet lauge von Wien fernhielten, zuerst in Berlin, hierauf in Prag ge weilt, und dann dann kam er so ver ändert zurück und war so seltsam—lan ge, lange Zeit uud auch vor seinem To de. Ihr flimmerte es vor den Augen, in ihrem Kopfe schwirrte, brauste, dröhnte es. Sie preßte die sieberkalten Hände an die hämmernden Schläfen, sie zwang sich mit Aufbietung ihrer ganzen Wil lenskraft zur Ruhe und machte sich so dann an das Lesen der Briefe, aus de nen hervorging, daß Richard jene Alma die damals als Schauspielerin in Prag weilte, im Theater kennen gelernt, sich in sie verliebt, so leidenschaftlich, so maßlos, daß in ihm der Wunsch ent stand, seine Ehe scheiden zu lassen, was vielleicht auch geschehen wäre, hätte Al ma der unbesiegbaren Hindernisse wegen, die sich der Wiederverehelichunq in den Weg stellten, darein gewilligt. Das aber that sie nicht, so sehr sie ihn auch liebte. Und dieser Mann hatte es noch auf dem Sterbebette über sich vermocht, sie, die so grausam verrathene zurückgesetzte Gattin, um ihr Lebens- und ihr Men schenrecht, nin ihre Willensfreiheit ver kürzen zu wollen! Ein heiliger Zorn erfüllte sie. Doch nein, nein ! das konnte ja nicht sein, das war unmöglich, daß Richard eines solchen Frevels fähig gewesen wäre! Sie rief sich Alles in's Gedächtniß zurück insbesondere die Stunde sei nes Sterbens. Er hatte etwas sagen wollen und jener letzte Blick, so voller Jammer, Angst und Qual O, nun erst konnte sie ihn deuten nun erst wußte sie, daß Richard ge storben war, trostlos darüber, daß er ihr nicht mehr beichten, ihre Kette nicht mehr sprengen konnte. Nur eiu Wort noch hatte er hervorgebracht Auch das verstand sie nun, versand nuu, was dieses „Nein" bedeuten sollte seinen Verzicht und mehr als Das ; sein bewußtes und entschiedens Verbot ihres Schwures. Eine furchtbare Erschütterung kam über sie. Qualvolles Mitleid mit dem Armen, der so schwer gestorben war, weil er sein Vergehen nicht sühnen konnte. Und doch empfand sie gleich zeitig auch ein überflnthendes Gefühl von Freude. Sie war nun frei, nicht mehr des Todten Sklavin. Und nun nun glomm es auch in ihrer Seele auf--erst leise, dann in auflodernder Flamme die Liebe zu dem Manne, den sie vor wenigen Stunden erst so schwer gekränkt, so tief beleidigt hatte, und mit erdrückender Schwere fiel es ihr auf das Herz: „Wenn er nun unversöhnlich wäre?" Sie ächzte leise auf und sank in die Kniee. Schutzsuchend, flehend streckte sie die Arme aus, sie faltete Hände, und in er sticktem Tone rief sie verzagend: „Erich Erich vcrgieb!" 3 Und er vergab ihr, als sie nach schwerem, vielrägigem iiampsemil ihrew Stolze in einem Briese unumwunden Abbitte leistete dafür, daß sie ihn so schwer gekränkt hatte. schrieb ihr sehr kurz, sehr kühl, sehr höflich, er habe länger keinen Grund mehr, ihr zu grollen da sie ihn ja nicht mit Ueberlegung verletzen wollte. Sie möge also vollständig beruhigt sein uud sich nicht mehr mit fen quälen. Sie fühlte sich darüber schwer ent täuscht, bitterlich beschämt. Sie hatte ja mit Sicherheit darauf gehofft, daß er auf ihre Zeilen hin und gleich selbst wieder kommen würde. So oft die Glocke im Vorgemacht ertönte, schrak sie jäh zusammen und