Newspaper Page Text
weichen. „Das ist ja ein completter Ueberfall!" rief der Alte. „Ich will zwar dem Lebensglück meiner Nichte nicht hindernd in den Weg treten, aber als ihr Bormund habe ich die Verpflichtung, ihr Leben nach jeder Richtung hin sicher zu stellen." Dann verfinsterte sich plötzlich seine Miene, er ging auf die auf dem Tische liegenden Aktenbündel los, blättelte darin und hielt eine lange Lifte dem bestürzt dastehenden Liebhaber unter die Nase; „da steht es, lesen Sie," rief er, „Gerichtssekretär Karl Müller in der vorletzten Stufe eingeschätzt. Gehalt 750 bis WO Mark einem so natorisch ar men Manne kann ich meine Nichte un möglich geben und damit Basta! Zah len beweisen!" Dem Sekretär stand der schweiß aus der Stirne, allein kühn erwiderte er: „Herr Stadtralh, zunächst beträgt mein Gehalt jetzt bereits 1200 Mark und steigt voraussichtlich noch in diesem Jahre, serner beziehe ich als festes Gehalt für meine außergerichtliche Thätigkeit bei verschiedenen teilen gegen 800 Mark, einige Tausend Mark habe ich ferner von meinen Eltern geerbt nnd legt ich glaube doch, daß diese Sum men ausreichen werden, eine Frau mit so geringen Ansprüchen, wie Ihr Fräu lein Nichte es ist, standesgemäß zu er halten." — Eine Weile hatte der Stadtralh stau nend zugehört, jetzt aber sprang er aus, zornroth im Gesicht wie ein colorirter Truthahn und wars die Aktenbündel auf den Tisch, daß die Fugen krachten. „Herr bedächte ich nicht die Anwesen heit meiner Nichte, so vergäße ich mich und wiese Ihnen eigenhändig die Thür Sie wagen es, vor meine Augen zu treten als einer, der über 2000 Mark bezieht und sich aus weniger, als die Hälfte einschätzen läßt?— Einem notori schen Betrüger, einem Manne, der Staat und Stadt jährlich systematisch schädigt, soll ich meine Nichte anver trauen? 'Nimmermehr! Ich bitte Sie, sich zu entfernen und sich die Nichte eineo Betrügers aufzusuchen. Zerschmettert wankte der arme Ge richlssekretär hinaus wie der begossene Pudel eines Gerbers, dem die Felle weg geschwommen. Fräulein Lenchen aber lag bereits in sanfter Ohnmacht auf dem Sopha, aus welcher sie erst nach einer Biertelstunde der Ruf des Dienstmäd chens „Fräulein, die Schneiderin ist da!" erweckte. Fast ein Jahr war in's Land gegau gungen, seitdem der gestrenge Herr Stadtrath in so unzweideutiger Weise den Anbeter seiner Nichte zur Thür hin. auscomplimentirt hatte. Allein Lenchen war nnn einmal eine jener romantischen Naturen, wie sie heut' zu Tage nnr noch in Romanen und Humoresken vorkom men, welche eine einmal gefaßte Liebe selbst aus den Wunsch eines Stadtra thcs von Pumpelhauseu nicht so leicht wieder über Bord Wersen und noch man ches Mal hätten die vom Berschöne rungSverem zu Pumpelhauscn in's Le ben gerufenen Anlagen am neuen Thor in trauter Abendstunde in sanften Lie besfeufzer Lcucheu' hören können wenn sie eben Ohren gehabt hätten. Auch hente wandelten Beide wiederum auf den schattigen Pfaden entlang, vor bei Lenchen fest den Arm um ihren ge liebten Gerichtssekretär schlang. Tann aber blickte sie ihm wehmüthig iudicAu geu und seufzte: „Ach Karl, Karl, nun wird es wohl gar Nichts aus unserer Bereinigung werden, mein Onkel wird sich nimmer erweichen lassen." „Nimmer?" fragte Karl erstaunt, „ich glaubte, die Zeit würde einen lindernden Einfluß aus sein starres Gemüth aus üben. Wenn er Deine rothgeweinlen Aeuglein sieht, so muß er ja doch Erbar men mit uns haben. Doch warum fürchtest Du Dies, Gelieble?" „Ach, ein Umstand ist es, der uns sonst unendlich glücklich machen würde. Mein Onkel ist stolzer geworden, viel stolzer, als vorher, er ha'l nämlich—sünfziglan fend Mark geerbt!" ..Fünfzigtauseiid Mark," wiederholte Karl, dem es bei dem Gedanken an eine so Summe allerdings etwas schwin delig zu werden begann, „fünfziglanseno Mark!" Doch plötzlich leuchtete über fein schwermülhiges Gesicht ein leiser Hoffnungsschimmer. „Lenchen!" rief er zuversichtlich aus, „ich habe einen Gedanken —er könnte uns retten!" „WaS? Wie?" rief Lehncheu freudig erstaunt. „Die sünfzigtaufend Mark!" inbelte Karl, „ich kenne Deinen Onkel zu gut, er ist iu Geschäftssachen etwas zerstreu! am letzten Ouartalsansang ist die neue Einschätzung gewesen vielleicht könnten wir ihn in eigener Falle fan ge. Willst Tu mir eiucu Gefallen thu?" „O, tausend für einen, Geliebter!" siehe, bitte, noch heute Abend in den Stcncrlisten, welche Dein Onkel be sitzt, nach, wie hoch er gegenwärtig ein geschätzt ist. Du brauchst mir nur die Steuerstufe mitzutheilen, alles Uebrige weiß ich. Bis morgen früh erwarte ich Deine Nachricht und trifft meine Ah iiniig ein—fo bin ich morgen Vormittag bei Deinem Onkel, nm jetzt, nach einem Jahre, mit nunmehr größerem Rechte wieder um Deine Hand anzuhalten. Es gilt schnell handeln, Geliebte, noch heute müssen wir das Werk beginnen!" War ihr auch der Zusammenhang etwas unklar, so vertraut: Leuchen doch, wie alle Liebenden, ihrem Geliebten viel zu sehr, als daß ihr ein Zweifel an dem Gelingen seines Planes ausgestiegen wäre. Jubelnd sagte sie ihre Beihülfe zu, nachdem ihr Karl fest versprochen hatte, daß ihrem Oukel kein Leid gesche he solle und dieses Versprechen durch das sicherste Pfand einige herzliche Küsse—bekräftigt hatte. Richtig, am nächsten Vormittag wan delte der Gerichtssekretär in demsclben Frack, mit demselben Eylinder und der selben weißen Binde, wie bei seinem letz ten unglücklichen Bersuch, ohne dasselbe große Bouquet der Wohnung des Stadtrates zu. Für das Letztere barg er dies Mal in seiner Brusttasche eine süß duftende Karte feiner Heißgeliebten, auf welcher die Worte standen: „Theuer ster Karl, Einziggcliebtcr! Onkel noch immer in der zehnten Küsse, herzige Gruß. Lenchen." Heut' lag etwas männliches, energi sches in seinen Tritten, dies Mai betrat er nicht die Wohnung des wie ein Lämmlei, das i die Höhle des Tigers, sonder wie ei Tiger, der in die Höhle des Lämmleiiis tritt. Es war dies Mal zur Zeit der festge setzten Sprechstunde, also durfte der Ge richtssekretär des Empfanges anch ohne vorherige Anmeldung sicher fein. Der Herr Stadtrath maß den Eintretenden vom Kopf bis zu den Füßen. Dann fragte er kühl: „Sie wünschen, Herr Sekretär?" Müller hob sich in seiner ganzen im ponierenden Größe empor, dann aber erwiderte er ruhig: „Ihnen zu Ihrer Erbschaft gratulircu, Herr Stadtrath." „Was geht Sie Das an?" fragte der Stadtrath unwillig. „Mehr, als Sie vielleicht glauben, Herr Stadtrath. Morgen kommt die Regierunas-Behörde zur Revision der Steuercinschätzuug. Mir sällt die Be arbeitung der Anklagen wegen Betruges in Folge zu geringer Einichätzung zu. Herr stadtrath haben sünszigtausend Mark geerbt und sind immer uoch in derselben Stufe." Wie vom Donner gerührt war der Stadtrath bei den letzten Worten des Sekretärs —der nicht umsonst das Wort „Betrug" so schars betont hatte, zusam mengesunken. Das Entsetzliche war ja wahr! Er hatte vergessen, seine Mehr- Einnahmen durch die Erbschaft, auch iu der angegebenen Steuerstufe Ausdruck zu geben und—war dadurch, wie er frü her sich >a selbst ausdrückie, zum Betrü ger an Staat und Eommune geworden. „Ich unseliger Mensch!" winselte der Stadtralh. der sich schon im Geiste um Amt und Repntaiion gebracht sah, „ich bin verloren!" „Aber Onkelchen, Dir soll ja Nichts geschehen, Karl hat es mir sesl verspro chen," rief da plötzlich Lenchen, die an der halbgeössnete Saloiithür gehorcht und nun in's Zimmer gestürzt war und liebkosend an seinem Halse hing, „ach bitte, aber gieb mir nur Karl meinen Karl!" „Wenn er sich die Nichte eines Betrü gers aussuchen will," wimmerte der Stadtrath —„so nehme er Dich!" Jubelnd nmhalste Lciichen ihren Karl, während sie sich über ihre ee Titula tur offenbar freute, Karl aber klopfte dem gebrochenen Alten auf die Schulter uud rief: „Nicht eines Betrügers, son dern eines ehrlichen Mannes' Noch heut' ist es Zeit, den Fehler wieder gut zu machen. Heut' Abend erst werden die Listen auf dem Gericht geschlossen." Bon Hoffnung neu belebt erhob sich der Stadtrath, umfaßte deu glücklichen Bräutigam und rief: „Meine Nichte ge hölt Ihnen, Herr Müller. Jetzt aber eile ich auf das Gericht, mci Einkom mcu um vier Stufen höher cinzuschätz-u, kommen Sie mit!" „Gewiß Onkelchen!" rief der Sekre tär, „und ich bin dabei, denn auch mich drängt es, da meine Nebeneinkünfle im mer höher werden, jetzt neben dem glück lichen Menschen, auch ein grundehrlicher zu werden." Schnurstracks eitlen die beideu „Be trüger" zum Gericht, um nach einer Stnnde grundehrlich zu dem überglück liche Lenchen zurückzukehren, welche ih res Karl Schlauheit nicht genug preisen konnte. ?!us dem Tagcbuchc cinrs (sjn brcchrrs. Ein Bursche vou unendlichem Humor, mslrahlt von der sounig-behaglichsten Souveräneläl des Lasters, ist der Wie ner EinbrecherGroschl, der eine Unmenge von Räubereien ans dem Gewissen hat und über alle seine Thateu getreulich und beschaulich Buch sührte. Alle, die das Glück hatte, de gcuialcn Spitzbu be kennen zu lernen, schildern ihn als einen Jüngling von gefälligen Manie ren; er ist ein sinniger, stiller Mensch, der mit einem wahren Bienenfleiße Alles zusammen trug, was nicht niet ulid nagelfest war. Groschl halte aber auch literarischen Ehsgeiz; er wollte eine Geschichte der allen schlecht verwahrten Häuser Wieu's schreiben, wegen Zeit mangels führte er indeß blos ein Tage buch. Vou diesen Auszeichnungen gibt die „N. Fr. Pr." u. A. folgende ivie- der: 3. April 1893. Wie Herrlich, daß der Frühling naht! Die Böglein singen in den Lüsten, und einige Partie'n zie hen schon auf's so daß ich endlich meine Sehnsucht, die Leute zu besuchen, ersüllen kann. Ich gebe ihnen die Ehre; dasür nehme ich ihnen auch Etwas. Als ich gestern meine falschen Nachschlüssel musterte, siel mir folgendes Gedicht ein: Einbruch des Frühlings. Veiie zieln durcli meui GeiiiüNi Melanie, Klinge. Neiiier Dieirich. ilin.',, >iluig luiiaus in's Kling hiüauü bIS an das sie utilechl verschließen, i.l> lass' sie grüße. 5. April. Heute Besuch gemacht. Leider Nie mand zu Hanse getroffen. Die Herr fchaften werden sehr bedauern, mich nicht getroffen zu haben. Eine Kasse ange bohrt; sie war klug und gab nach. Meh rere Perlenschnüre, welche als unver zinstes Kapital dalagen, sofort in ein Bersatzamt getragen. Ich bin mit gro ßer Auszeichnung, beinahe mit Mitge fühl behandelt worden. 8. Mai. Die Lerche jubelt immer lauter; es ziehen immer mehr Lente aus's Land. Selige Zeit der ersten Einbrüche! Heute Nacht habe ich im Bette einer Gräfin geschlafen, welche zufällig verreist ist. Ich begreife die verzärtelten Menschen nicht, welche behaupte, iu einem frem den nicht süß träumen zu können. Morgens erfrischt aufgewacht und alle Schmucksache und silbernen Eßbestecke zusammen gerasfr. Da ich mich nach der Arbeit sehr abgespannt sühlie, trank ich aus das Wohl meiner abwesenden Wir thin ein Gläc-chen Liguör, das mir der Znfall aufwartete. 7. Juni. Nicht zu vergessen! Ich habe noch Bc such zu machen bei (solgen 42 Namen bekannter Hausbesitzer). Ge stern Nacht bei Tänzerin übernach tet, welche schon aus Ferieu gegangen ist. Welcher Bersall der Kunst bot fich mir in dieser Wohnung dar! Kein ein ziger Diamant und lauter Vcrfatzzettel! niemals werde ich mich durch einen berühmten Künstlernamen verblenden lassen. Mich so zu mystifizircu! schänd lich! Habe ich denn meine Zeit gestoh len? 22. Juni. Heute im altehrwürdigen Scholtenhof eingebrochen. Es überkam mich wie ein heiliges Gefühl, als ich die stillen, hoch gewölbten Gänge betrat. Man kann hier sehr ruhig und gewissenhast, wie in einer Bibliothek arbeiten nnd wirklich ernste Resultate erzielen. Was mich am meisten freut, ist, daß ich hier nicht blos wieder viele silberne Eßbestecke, sondern auch einige Lieder von Franz Schubert gesunden habe, da ich für diesen Meister immer eine Faible halte, weiler das rei zende Ständchen: „Leise mit gekrümm ten Fingern" componirte, welches ich im mer siinline, wenn ich ein wenig die Schlösser probiren muß. Als ich mich im Zimmer umblickte, wo ich in tiefster Zurückgezogenheit meinem Berufe lebte, nur allein mit meinen Instrumenten nnd meinen Büchern, siel mir der Vers von Göthe ein: Tie die e-n guter Mensch be:.-at, Ist eiiigeiveihi! Wie schon gemeldet, hat Groschl im Gefängnisse Selbstmord begangen. Viele Menschen weiden roh, so bald sie vor Wuth kochen. 5