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DU Stnwtztn,. NovÄette-don Ar a n z Wichinanm 1. AktA d, so eine Amazone der Wis senschaft möchte ich such noch kennen ler nen, ehe ich ins Philistertum ützergehe", inetnte in lachender Bierlausie Felix Gpfelmanp. „das ist ja wohl die größie Sehenswürdigkeit Zürichs, und da du schon drei Semester hGr bist, mußt du die Eorte ja näher kennen." Meinst du eine gekämmte der unge kämmte?" „Wieso?" „Nun. die gekämmten stammen aus Deutschland und den sonstigen europäi schen Kultxrländern; die ungekämmten lind Russinnen. Im Uebrigen unterschei den fie sich nicht viel." „Da wäre mir der Originalität hal ber schon eine ungekämmte lieber." „Aber was willst du denn mit solch ei ner Bekanntschaft eigentlich bezwecken?' fragte Ernst Ostermann. Felix zuckte die Achseln. „Himmel, kannst du dumm fragen! Was bezweckt man denn damit. einFrauenzimmer ken nen zu lernen?" „Na. Liebschaften sucht man besser anderswo. Ich kenne einige von den Russinnen. Sibirische Eisb!öcke sage ich dir. Thee und Brot lassen das Blut kalt, und viel mehr haben die nicht zum Leb:n. Für einen Don Juan wie du ist da nichts zu machen." In dem etwas blasirten Gesicht des jungen Mediziners zuckte es eigenthüm lich. „Weißt du. in einem dekadenten Zeitalter reizt einen nur noch oas Beson dere. Sonst habe ich ja schon alles ken nen gelernt „Sogar die erste Stufe zum Ehe mann." „Ja, es war eine dumme Geschichte, ober sie zeigt dir, daß ich doch nicht bloß ein Don Juan bin." „Nun, da hast du einmal einen Anfall von Philistrofität gehabt." Der Mediziner wurde ernst. „Du irrst dich. Ich habe Hilda wirklich eine Zeit lang geliebt; aber sie war eben eine Be kanntschaft vom Ballsaal. und das :st ein gefährliches Ding, wenn es sich um die Ehe handelt." „Natürlich", pflichtete Ostermann bei. „Man lernt das Weib nur unter den Augen einer Gardedame kennen, und das ist alles mehr Kunst als Natur." „Es war noch ein glücklicher Zufall, daß meine zukünftige Schwiegermutter erkrankte, und ich dadurch Gelegenheit hatte, öfters mit Hilda allein zu fein. Da erschien mir meine Liebe bald wie ein Fasckingstraum -am Asckermittwoch. Ich hatte einen glänzenden Tand geliebt, hinter dem sich nur ein nacktes Nichts barg. Wenn du einmal Heirathen willst, Ernst —" „Ich denke nicht daran." „Gleichviel, so rathe ich dir. nimm nur eine, mit der du vorbe? schon lange und vertraut unter vier Au?cn hast ver kehren können. Ich habe genug und bleibe gern, was ich bin: ein flotter Junugesell." „Darum scheint es dir auch mit dem Examen nicht zu eilen." „Wozu? Ich stehe mit meinem Vermö-1 gen allein in der Welt. Und wenn man nicht zu arbeiten braucht, so muß man wenigstens dafür sorgen, daß das Geld unter die Leute kommt. Offen gesagt, sind mir auch die vielen kleinen Aben teuer des Herzens lieber als das eine große der Ehe." „Die Ansicht schmeckt recht modern, alter Junge. Aber an meiner Hilfe soll es dir schließlich nicht sehlen. Wenn du willst, mache ich dich mit der russischen Kolonie bekannt. Es ist ein guter Be kannter von mir, ein Deutsch - Russe aus Riga, dabei, und in meiner Gesell schaft wird man dir kein Mißtrauen entgegenbringen. Nur bezweifle ich, daß es dir in dem Kreise gefällt. Bier, Kar ten und Flirt fehlen da ganz. Du wirst dich schwerlich für diese trockenen, ar beitsamen Leute begeistern können." „Nun, nun, du brauchst die Geschichte nicht so ernst zu nehmen", meinte Felix, sein Glas leerend und sich erhebend, „es ist ja schließlich nur ein Spaß, und den Rückzug kann man jederzeit antreten." —Auf der Straße trennten sich die bei >en Freunde. „Und wann wirst du bezüglich der Russen Wort halten?" fragte Felix. „Morgen, nach dem Kolleg." „Gut, ich werde mich bemühen, so früh aufzustehen, daß ich nach den Vor lesungen rechtzeitig am Platze bin", rief der Mediziner lachend. „Hör einmal, das hast du mir aber nicht gesagt, daß ich einen solchen Pas sionsweg gehen müsse, um zum Ziele zu gelangen". sagte am anderen Mittag Felix Spielmann und blickte verblüfft Zu dem blauen Wirthshausschild- auf, vor dem Ostermann stehen blieb. „Vege tarianische Speisehalle und alkoholfreies Restaurant", las er. „Dort hinein soll ich wirklich?" „Laß alle Hoffnung fahren, ehe du eintrittst", deklamirte Ostermann lach end. „MeinFreund wird schon dort sein, beinahe die ganze russische Kolonie speist da drinnen." „Männlein und Weiblein?" fragte Felix, noch immer zögernd und miß trauisch das Haus betrachtend. Der andere nickte. „Aber noch ist es ja Zeit zur Umkehr." „Nun", lachte Felix, „man kann es ja einmal wagen. Aber eigentlich graut mir vor der nüchternen Gesellschaft." „So schlimm ist es nicht. Sie tragen von Natur eine Begeisterung in sich, die wir erst in uns hineingießen müssen." Felix glaubte nicht recht daran, kopf schüttelnd folgte er dem Freunde. 'Sergius Ostrakoff wollte sich eben setzen, als ihn Ostermann auf die Schul ter schlug: „Will euch heute auch einmal Gesellschaft leisten. Darf ich dir meinen Freund vorstellen? Herr cand. med. Fe lix Spielmann." Der Russe verbeugte sich. „Sie treffen fast lauter Kollegen an unserem Tische. Auch hier, meine Freundin Nadina Or dynow gehört zur gleichen Fakultät." Felix machte große Augen. Eine Freundin war ihm doch eigentlich ein neuer Begriff. Nun, es bedeutete wohl etwas anderes. Aber wie ein Liebespaar sahen diese beiden doch wieder nicht aus. Die junge Dame mit der blassen, bei nahe krankhaften Gesichtsfarbe trug ei nen schwarzen Rock und eine dunkle Bluse; beides kleidete die mehr hagere als schlanke Gestalt so unvorteilhaft wie möglich. Ueberhaupt schien das Aeußere, aller weiblichen Natur zuwider, dieser Studentin gar nichts zu gelten. Sie gehörte wirklich Zu den Ungekämm ten. wenigstens hatte die Art, wie sie das braune Haar aus dem Kopfe trug, durchaus keine Ähnlichkeit mit emer von der Mode anerkannten Frisur. Sie sind auch ein Anhänger der Pflanzenkost?" fragte sie freundlich. Spielmann gerieth fast etwas in Ver legenheit. „O. ich will nur einmal einen Auch machen. Ich denke, so als Kater frühstück muß das ganz gut sein. ver setzte er dann scherzend. Nadina schien ihn nicht recht zu ver stehen. „Wir sind im Prinzip auch Nicht Sklaven eines bestimmten Ernahrungs systems, nur wählen wir das billigste. Was liegt daran, wovon man lebt, wenn man nur satt wird! Das Dasein ist so Burz und doch brauch! es so viel. Felix hatte fich gesetzt und starrte mit komischer Verzweiflung auf eine Liste von Getränken, die ihm gereicht worden war. Leise den Freund anstoßend, sagte -er flilsternn: „Rathe mir doch was M man denn ha trinken? Das ist ja hier der reinste Mäßigkeitsverein!" Wenn du dich bei den Russen beliebt machen willst", entgegnete Ostermann. „so bestelle kalten Thee; es ist ihr Lieb l lingsgetränk." i „Meinetwegen", seufzte Felrx mit l tragischer Miene. Nach einer Weile aber ' schien es ihm, als sei dieser Trank gar nicht so übel. Die Müdigkeit, die er nach der Kneiperei des verflossenen Abends noch in sich gespürt, wich, und er fühlte sich angeregt. Und während er mit Ser gius in eine interessante Unterhaltung über die Zustände seiner Heimath ge rieth, blickte er von Zeit zu Zeit nach der bleichen Russin hinüber, deren graue Augen ihn prüsend zu beobachten schie nen. „Sie werden auch Ihr Examen bald machen?" fragte sie über den Tisch. „Ich habe eigentlich noch nicht viel daran gedacht", entgegnete er offenher zig- „Nicht?" meinte sie ganz erstaunt. „Aber wozu sind Sie dann auf der Uni versität?" Felix verstummte. Solch kitzlige Frage hatte ihm noch keiner seiner Kommilito nen vorgelegt. Und die war. eigentlich gar nicht zu beantworten. „Nun, ich meine", sagte er ausweichend, „daß es mir gerade nicht so darauf ankommt, et was früher oder später fertig zu werden." „Da ist es bei uns anders", mischte sich Sergius ein. „wir können unser Ziel nicht schnell genug erreichen. Nadina und ich studiren jeden Abend gemeinsam; wir wohnen im gleichen Hause, und meistens finden sich auch noch einige Freunde ein. Wir hoffen noch am Ende dieses Se mesters das Examen machen zu können." „Das könnte ich wohl auch", meinte Felix ein wenig nachdenklich, „wenn es sein müßte —" „Lange genug hast du ja studirt", lächelte Ostermann. „Wenn Sie an unseren Revisionen theilnehmen wollen, sind Sie uns jeder zeit willkommen", bemerkte die Russin. Ein wenig voreilig sagte Felix zu; im nächsten Augenblick empfand er schon et was wie Reue. Aber der jungen Dame einen Korb zu geben, wäre doch eine Be leidigung gewesen, und so bot sich ja die beste Gelegenheit, öfter in diese seltsa men graublauen Augen zusehen. Im Nothfall konnte man sich immer noch aus der Schlinge ziehen. „Schade, daß Herr Ostermann nicht auch Mediziner ist. Juristen sind wenig unter uns, und die kommen bei Sascha Andrejanow zusammen." Spielmann fand das nicht sonderlich schade, die Gegenwart des Freundes be gann ihn zu bedrücken wie sein böses Ge wissen, und er schämte sich des Zweckes, der ihn hierher geführt hatte. Nach Abenteuern sahen diese Leute gar nicht aus. „Bist du nun abgekühlt?" fragte Ostermann, als sie eine Stunde später wieder auf der Straße standen, in spöt tischem Tone. Felix machte ein sonderbares Gesicht. „In gewissem Sinne ja. Aber wer weiß, ob nicht die Eisblöcke, für die ich diese Russen hielt, selbst ausgebrannte Krater von neuem Feuer fangen lassen können." Am nächsten Vormittag bereits stellte sich Spielmann in einem medizinischen Kolleg ein, das er belegt, aber seit Wochen geschwänzt hatte. Es war besonders zahlreich von Studentinnen besucht. Nadina saß auch dort, mitten zwischen ein paar jungen Russen. Sie las eifrig in ihrem Kollegienheft und schien sich um die männliche Nachbar schaft nicht im mindesten zu kümmern. Auch von den anderen, die fast alle schon in der Mitte der zwanziger Jahre stan den. sah Felix keine mit ihrem Nachbar kokettiren. Einige waren mit Brief schreiben beschäftigt, andere spitzten ihre Bleistifte oder blätterten in Büchern. Und als der Professor seine Vorlesung begonnen, schrieb Niemand so eifrig nach wie diese Studentinnen. Auch Felix Spielmann machte sich an die Arbeit. Er hatte einige Male bemerkt, daß Nadina zu ihm herübersah, und es genierte ihn. müßig dazusitzen. Am Mittag sand er sich wieder in dem vegetarischen Speisehause ein, gründli cherer Studien halber, wie er vorgab. Er bestellte von den vorhandenen Gerichten, und merkwürdiger Weise das Essen schmeckte ihm ganz gut. Da Ostermann nicht gekommen war, fühlte er sich heute freier und unterhielt sich lebhaft mit Na dina, die wieder ihm gegenüber saß. „Sergius und ich." erwiderte sie aus seine Frage, „stammen aus dem gleichen kleinen sibirischen Städtchen Narym, das Sie wohl kaum dem Namen nach kennen werden." „Allerdings nicht. Und so weit muß ten Sie reisen, um eine Quelle der Weis heit zu finden!" „Man nimmt gerne Armuth und Ent behrung auf sich," rief Nadina. „man fühlt kein Opfer, wenn es die Wissen schaft vergoldet." Felix begann etwas wie Bewunderung für das schlichte Märchen zu fühlen Er mußte immer wieder in diese Augen bli cken, die jetzt in einem so warmen Glänze aufleuchteten. „Aber wenn Sie von unseren Hoch schulen wieder in Ihre Heimath zurück kehren," meinte er, „wird doch auch Ihr Loos nicht viel von dem Ihrer anderen studierten Landsleute verschieden sein." ~O doch." antwortete Nadina begei stert. „Wenn wir einmal die Erkennt niß gewonnen haben, so tragen wir eine andere neue Welt in uns, die uns glück lich sein läßt, wenn wir der Menschheit dienen können. Und bietet sich dafür ein schönerer Beruf als der des Arztes?" „So werden Sie nach beendetem Stu dium wieder nach Ihrem weltfernen Hei mathsort zurückkehren?" fragte Felix in einem Tone, der wie bedauernd klang, „zurückkehren als Pioniere, nein ich möchte sagen als Missionäre der Wissen schaft?" Nadinas Augen glänzten noch wärmer auf, sie warf ihm einen dankbaren Blick zu. „Sie verstehen uns. Sie haben das rechte Wort gesagt. Um für unsere lei denden Brüder zu wirken, ist auch die entlegenste Stätte auf Erden groß genug, und nur, wenn man ein solches Ziel vor Augen hat, erscheint das Leben als Mit tel zum Zweck in seinem rechten Werthe." Felix verstummte. Diese magere, unscheinbare Russin erschien ihm plötz lich wie eine Heldin, vor der er sich selbst klein vorkam. Am Nachmittag blieb er zu Hause und saß zum ersten Male seit Monaten bei den Büchern. War doch Nadina. als man nach dem Essen aufgebrochen, einen Augenblick neben ihm stehen geblieben und hatte gesagt: „Wenn Sie Lust ha ben, heute Abend mit uns zu arbeiten, so kommen Sie um sieben Uhr in die Wohnung meines Freundes. Es wird Sergius freuen." Der Blick ihrer Augen hatte Felix ge sagt, daß auch sie sich freuen würde; und pünktlich stellte er sich ein. 2. Sergius Ostrakoff hatte eine schlichte Stube inne. Das Gleiche war bei seiner nebenan wohnenden Freundin der Fall, deren Wohnung Abends den beiden als eine Art gemeinsamen Familienzimmers diente. Auf einem kleinen Tische bro- l delte der Samowar. Nadina saß an dem Fenster, und ihre schlanken weißen Hände glitten emsig mit der Nadel über ein einfaches schwarzes Kleid. „Ich muß jede Minute benutzen, um meine Toilette im Stand zu halten," sagte sie lächelnd, „die Schneiderinnen sind hier so theuer, und was man übrig hat. muh man für Bücher aufwenden." „Ja. ja, Nadina ist eine wahre Künst lerin," bestätigte Sergius, „dieses Kleid ! hat sie letzten Monat selbst gemacht und !sich das Geld für den Stoff durch Stun ! dengeben verdient." Felix wollte ihr ein Kompliment über ihre Geschicklichkeit machen, aber sie sprang auf und sah nach dem Samo war. „Der Thee ist fertig, und die Anderen werden gleich kommen. Wollen Sie an unserer bescheidenen Mahlzeit theilneh men?" Felix sah sich erstaunt nach dieser Mahlzeit um. Aus dem Tische stand nichts als ein Teller mit weißem Brod. Er dankte, er habe schon gegessen. Es war nicht wahr, aber lieber wollte er hungern, als von dieser Armuth etwa an nehmen. Er erinnerte sich des Geldes, das er in seinem Portemonnaie trug, aber er konnte doch diesen seinen Kommi litonen kein Almosen anbieten. Indessen nahm er sich vor, bei dem nächsten Besu che etwas zur Verbesserung dieser Bett l lerkost beizutragen. „Am Abend muß man sich schon da mit behelfen," meinte Nadina, „dafür lebt man ja Mittaas um so besser." Felix sühlte sich förmlich beschämt. Er hatte am Mittag gesehen, daß sie nur Semmelklöße und grünen Salat geges sen, das Billigste, was auf der Speise karte stand. Und das alles nur um der Wissenschaft willen, als deren Jünger er bisher nichts gethan hatte, als die Tage todtgeschlagen, das Beste und Theuerste gegessen und getrunken und die Nächte ! durchjubelt! I Nach und nach fanden sich noch ein paar russische Studenten und Studentin nen ein. Die Ersteren fielen durch eine besondere Korpulenz auf, ihnen mußte es wohl besser gehen als den Mädchen. Als sie aber ihre weiten Mäntel aufknöpften, löste sich das Räthsel. Einer nach dem andern brachte ein paar Scheite Holz her vor; es war das spärliche Feuerungsma terial, das sie sich beschaffen konnten. Da heim reichte es nicht hin, um ein warmes Zimmer zu schaffen, aber hier, wo Jeder etwas beisteuerte, konnte man den alten grünen Kachelosen genügend damit hei zen und sich für einige be haglichen Zimmers erfreuen. Sie schie nen vorher Alle gefroren zu haben, denn allmählich rötheten sich die bläulichblas sen Gesichter, und in die erstarrten Glie der kam Leben und Bewegung. Noch nie waren Felix die Stunden in der Kneipe so rasch verflossen wie jetzt die Zeit bei der geistigen Arbeit, die den klei nen Kreis bis Mitternacht zusammen hielt. Beschämt mußte er sich eingeste hen, daß diese armen Russen mehr wuß ten als er. Auch Nadina würde, selbst wenn er sich in der kurzen Zeit noch alle Mühe gab, ein weit besseres Examen ma chen als er. Als man endlich die Bücher bei Seite gelegt, wurde noch eine Weile geplaudert, und obwohl das Zimmer schon kalt ge worden und der Thee längst ausgetrun ken war, ging es heiter und fröhlich zu. „Uns fehlt nur eins," sagte Nadina, zum ersten Mal seufzend. „Musik/Sie wissen nicht, wie wir daran alle mit dem Herzen hängen. Aber das hat keiner von uns erschwingen können. Anfangs, als wir nach Zürich kamen, glaubten Sergius und ich, uns ein Klavier miethen zu können. Doch der Verlust, den wir beim Umwechseln der Rubel erlitten, war so groß, daß der Gedanke gleich wieder fallen gelassen werden mußte. Michael Oginsky be saß früher eine Harmonika, aber die hat er längst in's Leihhaus gebracht." „Ich habe ein gutes Piano zu Hau se," sagte Felix rasch. „Darf ich Sie morgen alle zu mir einladen? Es wird mir eine Freude sein, Sie mit einem kleinen Abendessen bewirthen zu kön nen, und dann kann nach Herzenslust gespielt werden." Zu seiner Verwunderung folgte der Einladung ein allgemeines Schweigen. Endlich nahm Nadina, die das Pein liche desselben empfand, das Wort. „Verzeihen Sie, wenn wir von Ihrer Liebenswürdigkeit keinen' Gebrauch ma chen. Wir sind mit unserem Leben zu frieden und begehren nichts anderes. Jede Aenderung desselben könnte Träu me erwecken, welche die Wirklichkeit nicht erfüllen kann. Besser, wir bleiben in unserer Welt und heißen mir den will kommen. der sie aus freien Stücken mit uns theilen mag." Felix schwieg. Das Selbstbewußt sein. das aus diesem armen, doch so stolzen Mädchen sprach, ließ ihn jeden Versuch, sie umzustimmen, als nutzlos erkennen. Am folgenden Tage aber keuchten vier Dienstmänner mit einer schweren Last zu Sergius Ostrakosss Wohnung hin auf. Sie brachten ein Klavier, und als Nadina. die sich eben im Zimmer des Freundes befand, es als einen Irr thum zurückweisen wollte, überreichten sie ihr ein Briefchen mit einer Visiten karte Spielmanns, darauf stand ge schrieben : „Da Sie nicht zu mir kommen wol len. so gestatten Sie mir wenigstens, daß ick zum. Dank für die liebenswürdi ge Ausnahme in Ihrem Kreise mit ei nem. für mich überflüssigem Gegenstand meiner Wohnung zu Ihnen komme, da mit der ernsten Arbeit der Lohn der hei teren Kunst nicht fehle." Da ließ die Studentin das Instru ment an den einzig freien Platz des kleinen Zimmers stellen, und als man am Abend die Bücher beiseite gelegt hat te. lauschte Felix in seltsam glücklicher Stimmung den ernst-traurigen Weisen russischer Nationallieder. In dem Bli cke, mit dem Nadina ihm an diesem Abend die Hand drückte, glaubte er et was mehr gesehen zu haben, als bloße Dankbarkeit. Seit jenem Tage arbeitete er mit sei nen neuen Freunden um die Wette. Er glaubte alle Achtung des Mädchens zu verlieren, wenn er nicht gleichzeitig mit ihr das Examen bestände. Seine rei chen Mittel vergessend, lebte er fast wie die dürftigen Russen, aß unv trank mit ihnen. Nur eines quälte ihn das Verhältniß Nadinas zu Sergius. Es war doch kaum denkbar, daß in den Her zen der beiden nur die stille Flamme der Freundschaft glühte, wenn er auch nie ein Zeichen größerer Vertraulichkeit hatte wahrnehmen können. Plötzlich, mitten in all seinen Plä nen und Entwürfen, wurde er auf das Krankenlager geworfen. Eine heftige Erkältung schien es anfangs, und mit Eigensinn wehrte er sich gegen Fieber und Schwäche. Er wollte jetzt durch aus sein Examen machen und hatte kei nen Tag mehr zu verlieren. Aber je heftiger er sich sträubte, desto schlimmer wurde sein Zustand, und eines Tages fand ihn seine Hauswirthin bewußtlos vom Sofa auf den Boden gesunken. Der Arzt wurde geholt und stellte Ty phus fest. Wenn der Leidende nicht sorgsame Pflege fand, war sein Trans port ins Krankenhaus unvermeidlich. Die Wirthin, die wußte, daß es auf die Kosten bei ihrem Miether nicht ankom me, verließ sogleich das Haus, um eine barmherzige Schwester zu besorgen. Da begegnete ihr auf den Stufen eine junge Dame, von der sie beinahe er schrak. Es war Nadina, die das Aus bleiben Spielmann's in ihrem Kreise beunruhigt hatte und die selbst kam, um nachzusehen. Ihr blasses Gesicht wur de noch bleicher, als sie den Grund er fuhr. „Kehren Sie um, gute Frau, der Weg, den Sie machen wollen, ist un nöthig ich selbst werde das über nehmen." Mit großen Augen starrte die Frau sie an. „Sie, Sie wollten aber wie können Sie —" Eine helle Räthe schoß in den Wan gen der Russin auf. „Ah, Sie wissen nicht ich studire, werde selber Arzt." „I dann freilich ist es etwas an deres." Klopfenden Herzens folgte Nadina der Frau. Sie mußte den Kranken so gleich sehen, und wie sie ihn so auf dem Lager ausgestreckt blickte, kraftlos und fiebernd, ohne Besinnung, da drängten sich Thränen in ihre Augen. Sie ließ sich zeigen, was der Arzt verschrieben, und schüttelte den Kopf. „Holen Sie Wasser vom Brunnen, damit wir kalte Wickelungen machen können." Sie faßte die Hand der Frau und sah ihr ernst in die Augen. „Und hören Sie, wenn Sie ein gutes Werk thun wollen mir zuliebe, so geben Sie dem Kranken nichts von dieser Medi zin." „Aber der Doktor hat doch —" „Er ist ein alter Herr, nicht wahr? Die Wirthin nickte. „Ich wußte es. Unv das da" sie wies auf das Rezept „steht auf einem veralteten Standpunkt, den die moderne Wissenschaft längst überwunden hat. Ich werde selbst etwas mitbringen. Die Hauptsache aber ist die Kaltwasserbe handlung." Die Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen, aber Nadinas Wesen und Auftreten hatten doch etwas so Si cheres und Gebietendes, daß sie keinen Widerspruch wagte und alles zu befol gen versprach. Drei Wochen später erwachte Felix zum erstenmal wieder zu klarem Be wußtsein. Verwundert blickte er sich um und sah eine Frauengestalt an sei nem Lager sitzen. Er erkannte sie. „Sie, Frau Birkner, ah, nicht wahr, ich war krank, und Sie haben mich gepflegt?" Die Wirthin wurde verlegen. „Nicht ich. Es ist nur gerade ausnahmsweise, daß ich hier sitze, da das Fräulein zum Essen gegangen ist." „Das Fräulein?" wiederholte er ver stört. Ach, er merkte wohl, daß er noch krank war. die Phantasien, die ihn so toll und bunt umgaukelt, wollten noch immer nicht weichen. „Nun ja, Sie wissen doch das russische Fräulein, das beinahe Tag und Nacht an Ihrem Lager gesessen und Sie gerettet hat, als der Doktor Sie schon aufgegeben hatte." Spielmann preßte beide Hände gegen die dumpfe Stirn; aber sie war feucht und kühl, er fieberte nicht mehr. „Wie, Frau Birkner, sprechen Sie die Wahrheit?" Nadina hätte mich —" „Gewiß, bei dem alten Herrn wärep Sie verloren gewesen. Er glaubt zwar, daß er sie gerettet habe, aber das Fräu lein hat heimlich alles fortgegossen und selbst andere Medizin von der Apotheke mitgebracht. Doch Sie dürfen sich nicht aufregen. Ich hätte Ihnen das gar nicht sagen sollen. Schlafen Sie jetzt nur wieder." „Nadina, meine Retterin!" stammel te er und fiel in die Kissen zurück, um tief und fest zu entschlummern. Als er nach Stunden wieder erwachte, dünkte ihn all das Gehörte ein närrischer, wüster Traum. Nadina mußte ja in zwischen schon das Examen gemacht ha ben und mit Sergius in die Heimath zu rückgekehrt sein. „Nadina!" seufzte er halblaut den Namen des jungen Mäd chens vor sich hin. „Sie ist hier," sagte eine sanfte Stimme. Der Genesende rieb sich die Augen. Jetzt erst erkannte er. daß die an seinem Lager Sitzende nicht die Wirthin, son dern eine dunkelgekleidete Mädchengestalt war. Aber er traute seinen Augen nicht. „Gespenster verfolgen mich." stöhnte er, „immer noch, überall, o, ich muß wohl sehr krank sein!" Da legte sich eine schmale, durchsichtig blau geäderte Hand auf seine Stirn. „Sie waren es, mein Freund, aber Sie sind es nicht mehr." Mit irren Blicken starrte er sie an. „Nadina, wie kommen Sie hierher? Ich glaubte der Frau nicht, die mir sagte, daß Sie wollten ja um diese Zeit schon wieder im fernen Osten sein, nachdem Sie Ihr Examen gemacht —" „Ich hatte noch hier zu thun," erwi derte sie einfach, doch mit besonderer Be tonung. „Und das Examen ?" „Ich habe es noch um ein Semester verschoben, bis ich es mit Ihnen machen kann. Nur Sergius und die anderen Freunde sind sort." Wie ein Blitz zuckte es durch seine Seele. Sie war geblieben, seinetwegen, um ihn zu pflegen! „Nadina, wie konn ten Sie das thun?" Sie verstand den Sinn seines Aus rufs. „Bin ich nicht Aerztin." gab sie zurück, „und ist es nicht gleich, wo ich der leidenden Menschheit helfe, ob hier, ob in Rußland? Ich sehe Sie gerettet das gilt mir mehr als der Erfolg vor einer Prüfungskommission." „Nadina," brach er aus, „und ich habe geglaubt, daß die Wissenschaft beim Wei be das Herz ertödte!" „Das Gefühl schläft nie für den, der es zu wecken versteht, und Sie verstanden es durch die Freude, die Sie uns mit dem Instrument machten. O, denken Sie nicht schlecht von meinen Landsleuten. Wir mögen wohl manche Fehler haben, aber dankbar sind wir stets gewesen." Dankbarkeit! Das also war es! Er hatte nach dem Anfang ihrer Worte et was ganz anderes erwartet als diesen Schluß. Die Enttäuschung drückte ihn nieder. Er fand den Muth nicht mehr, sein Herz vor ihr zu erschließen. Wozu auch? Um eine Ablehnung zu erhalten wie damals, als er sie und die Ihren in seine Wohnung geladen? Ihre Antwort würde wieder gerade so lauten, mit dem gleichen bescheidenen Stolze oder der glei chen stolzen Bescheidenheit. Sie fühlte sich ja zufrieden in ihrem Leben und be gehrte nichts anderes. Nein, sie sollte und mußte in ihrer Welt bleiben, er wollte ihre Kreise nicht stören und ihr das Peinliche einer Antwort ersparen. Seine Lippen blieben geschlossen, und müde lehnte er sich in die Kissen zurück. Die mit der Kraft des Körpers wie derkehrende Klarheit des Geistes befestigte Felix nur noch mehr in seinem Ent schlüsse. Wie auch die Seligkeit der Ge nesung, die ihn mit heißer Sehnsucht nach neuem Leben, nach Sonne und Glück durchströmte, das Schweigen schwer machte, er überwand sich und schwieg. Bald aber begann ihn noch etwas anderes zu quälen. Er konnte es sich nicht ver hehlen, daß auch Nadina sich verändert hatte. Kein Zweifel, das Opfer, das sie ihm aus Dankbarkeit gebracht, lastete schwer auf ihr. Bei ihren geringen Mit teln mußte es ihr ja hart genug werden, noch ein ganzes Semester länger zu stu- diren. Wenn sie nur nicht so stolz, so schrecklich stolz gewesen wäre! Wie gern hätte er ihr Alles gegeben, dessen sie zu einem behaglichen Leven bedurfte, aber immer wieder mußte er den Gedanken verwerfen, denn das Weib, das er heim lich mit so heißer Gluth liebte, vielleicht zu beleidigen, ging über seine Kraft. Die gewohnten Zusammenkünfte mit den Russen zu gemeinsamen Studien hat ten ihren Reiz für Felix verloren. Seit Ostrakoffs Fortgang fanden sie nicht mehr auf Nadinas Zimmer statt; eine andere Studentiy kochte den Thee und besorgte das kärgliche Abendbrot. Um Nadina zu sehen, war er noch einigemal hingegangen, aber ihr Anblick hatte ihm immer Schmerz bereitet. Jetzt war es klar, was er früher so oft bezweifelt hatte: sie liebte dennoch Sergius Ostra koff. Und nun verzehrte sie die Sehn sucht nach dem Fernen. Ihre Wangen waren noch blasser geworden, sie wurde traurig und still, und in den sonst so ru higen grauen Augen leuchtete es bisweilen wie von einem geheimnißvollen Feuer. Obgleich er seine Hoffnungen begraben hatte, konnte er es doch nicht ertragen, sie um einen anderen leiden zu sehen. So wurde auch er in des Mädchens Nähe finster und schweigsam. Nur selten sa hen sie sich noch und wenn es geschah, so kürzten sie ihr Zusammensein mög lichst ab, als fürchteten sie, ihre Gedanken zu verrathen. Ahnte sie seine Gefühle, konnte sie wirklich in seiner Seele lesen? Der Ge danke erschreckte ihn und doch war dieser Blick, mit dem sie ihn bisweilen verstoh len ansah, nicht anders zu deuten. Es war Mitleid, stilles Mitleid mit ihm, was aus ihren Augen sprach. Diese Erkenntniß gab den Ausschlag. In ihm bäumte sich Alles auf. er wollte kein Mitleid, und darum mußte er Zürich so schnell wie möglich verlassen. Ein Vorwand war leicht gesunden. Es schien doch vortheilhafter, fein Exa men auf einer deutschen Universität ab zulegen. So verließ er mitten im Semester die Stadt. Nadina und alle seine russischen Freunde gaben ihm zum Bahnhof das Geleit. Es war ihm eine Erleichterung, nicht allein von dem Mädchen Abschied nehmen zu müssen, und auch sie schien absichtlich ein letztes Alleinsein vermieden zu haben. An dem warmen, feuchten Schimmer in ihren Augen sah er, daß er ihr doch als Freund lieb und werth gewesen sein mußte. Ja, ihre Stimme klang sogar ein wenig unsicher, als sie, ihm die Hand drü ckend. sagte: „Ich danke Ihnen, daß Sie uns immer ein treuer Kamerad gewesen sind." „Fräulein Nadina." erwiderre er, sich gewaltsam beherrschend, „ich werde Sie nie vergessen. Sie haben nicht nur mein Leben, auch meine Seele gerettet und ei nen neuen Menschen, einen ernsten Jün ger der Wissenschaft aus mir gemacht. Möge der Dank, den ich Ihnen nicht ab tragen konnte. Sie überall als Segen auf Ihren Lebenswegen begleiten!" Als der Zug davvnrollte. als er die wehenden Tücher, die geschwenkten Hüte nicht mehr sah. warf er sich in die Kissen zurück und schloß die Augen. Dankbar keit. Dankbarkeit das war Alles, was übrig geblieben war von seinen Hoff nungen und Träumen. Wie entsetzlich kalt ihm das warme, schöne Wort heute klang! Sie hatten sich versprochen, einander zu schreiben, und eine Zeitlang hielten sie Wort. Aber es war, als fänden sie beide nicht die rechte Freude daran. Der Briefwechsel begann zu stocken, zuletzt schlief er ganz ein durch Spielmanns Schuld, denn er wollte ein Ende machen. Ihre letzte Nachricht war von Zürich ge kommen. Sie hatte das Examen bestan den und kehrte nun in ihre ferne Heimath zurück. „Und zu ihm," fügte Felix in Gedanken hinzu. Jetzt wurde sie Ostra koffs Weib und hatte ihn bald vergessen. Im Dienste der Wissenschaft, dem er sich sortan mit Feuereifer widmete, glaubte auch er es zu können. Jn Indien war die Geißel der Völker, der Schrecken des Mittelalters wieder er wacht. „Der schwarze Tod", die gefürch tete Pest, stand drohend an den Grenzen Europas und griff bereits mit den tät lichen Krallen nach dem Südosten Ruß lands hinüber. Opferfreudige, muthige Aerzte zogen nach dem Morgenland, mo derne Ritter, um den türkischen Lind wurm zu bekämpfen. Der Fahne, die im Dienst der Mensch heit wehte, war auch Doktor Felix Spiel mann gefolgt und hatte sich in Trieft der zu eingehender wissenschaftlicher Unter suchung der Krankheit ausgesandten Pestkommission angeschlossen. Doch in Konstantinopel, wo er an der internatio nalen Konferenz zur Ergreifung geeig neter Schutzmaßregeln theilgenommen hatte, trennte er sich von den Kollegen, die Bombay, den Ursprungsherd der Seuche, aufsuchen wollten. Die Kennt niß der russischen Sprache, die er theils zu Zürich im persönlichen Verkehr, theils durch spätere Studien sich angeeignet, befähigte ihn, die schon weit näher dro hende Gefahr an der Grenze von Turke stan aufzusuchen. Durch Afghanistan war die furchtbare Krankheit in einzelne Gegenden Bocharas verschleppt worden und zuletzt in der Ortschaft Karakatak verheerend aufgetreten. Durch die Krim und das Innere Rußlands eilte er so schnell als möglich der Gegend des Aral sees zu, um endlich nach mühsamen Fahr ten die Grenze zu erreichen. Aber in dem letzten größeren Orte Amantai fand seine Reise plötzlich und unerwartet ein Ende. Wie ein fahles Leichentuch hing der einfarbig graue Himmel über der Erde, und dort, wo im Süden des Ortes die kahle Steppe sich ins Endlose verlor, strebten in düster qualmenden Wolken zahllose schwarze Rauchsäulen in die un bewegte Lust. In stundenweitem Kreise ausgedehnt, hielten bei immer brennenden Wachtfeuern die Kosaken das unglückliche Karakatak mit eiserner Mauer umschlos sen, und Niemand durfte bei Gefahr, auf der Stelle erschossen zu werden, den dem Verderben geweihten Ort verlassen. Verdrossen schritt der junoe Arzt ne ben dem Jsprawnik, dem ersten Polizei beamten des Kreises, durch die schmutzi gen Gassen des armseligen Amantai. Es war ihm zu Sinne wie einem kampfes freudigen Soldaten, der, fern den Schlachtendonner hörend, seit Stunden verurtheilt ist. müßig in der Reserve zu bleiben. „Und ist denn wirklich gar keine Aus sicht. daß ich die Kosakenkette passiren darf?" fragte er noch einmal. „Für einen Arzt sollte doch eine Ausnahme ge macht werden." Der kleine runde Beamte mit dem ro then Gesicht zuckte die Achseln. „Es darf niemand weder hinein- noch hinausgelas sen werden ohne kaiserliche Erlaubniß; und bis wir die erhielten, ist hoffentlich die Seuche längst erloschen." „So kann ich wieder umkehren und habe die ganze Reise umsonst unternom men !" rief Felix ärgerlich. „Warum wollen Sie denn nicht hier Ihre Studien machen?" „Hier, was sagen Sie?" Ich fürchte, Sie werden bald Gele genheit genug dazu haben." Er wies nach einem kleinen baufälligen Häuschen, das von der Straße entfernt, unter dem j Abhang einer niederen Hügelwelle lag. „Gehen Sie das dort an unserem Kran kenhause ?" Der Arzt fuhr betroffen zurück. „Ein schwarzes Kreuz ; was bedeutet das?" „Daß der schlimme Gast, den Sie su chen, bereits bei uns eingekehrt ist." „Die Pest ist hier ?" sraate der Mann der Wissenschaft beinahe freudig. „Zum Glück bis jetzt nur ein einzel ner Fall. Das Haus ist deshalb streng isolirt und darf von Niemand, auch von Ihnen nicht, betreten werden. Der Er krankte ist selbst ein Arzt, der in Karaka tak Hilfe leisten und Studien machen wollte." „Ein Fremder?" fragte Felix über rascht. „Ja, aber ein Russe, Doktor Ostra koff. Er mußte hier bleiben und wurde nach kurzer Zeit von der Seuche befal len." „Ostrakoff!" murmelte Felix, und es glitt wie ein Schatten über sein Ge sicht. „Ich kannte einen dieses Namens aus der sibirischen Ortschaft Narym —" „Er ist dorther gekommen," bestätigte der Jsprawnik. „Und wer pflegt den Unglücklichen?" „Die Krankenschwester und seine Ge fährtin." Der Gelehrte zwang sich gewaltsam zur Ruhe, während eine von Ge danken seinen Kopf durchwirbelte. „Seine Gefährtin ? Das heistt —" „Die Dame ist auch Aerüin." Ja, ja. und natürlich seine Frau." „Nein, ein Fräulein Ordynow, die zugleich mit ihm hierher gekommen ist." Felix schoß das Blut ins Gesicht. häm merte durch seine Adern und ließ sein Herz hörbar klopsen. Wenn Nadina nicht auch jetzt nicht Ostrakosss Weib war, so war alles ein Trugbild seiner Einbildung gewesen, und sie hatte nie mals Liebe zu Sergius gesüblt! Jetzt mußte er bleiben, um zu erfahren, ob das Herz dieses Weibes in Wahrheit nicht lieben konnte. Wie aber sollte er zu ihr gelangen, wenn der Beamte auf seine: Vorschrift bestand und nicht einmal dem Arzte Zutritt gewährte? Die Mauer, die ihn von Nadina trennte, deuchte ihm schrecklicher als die gefürchtete Krankheit. Aber um nicht alles zu verderben, durfte er vorläufig nicht wagen, den Ortsge waltioen zu erzürnen. Er wollte sich eben verabschieden, um in sein wenig erfreuliches Loais zurück zukehren, als sie zur Seite treten muß ten, um dem Geistlichen, einem alten ge beugten Mann in abgetragenem Talar, Platz zu machen. „Wohin. Väterchen ?" fragte der Js prawnik. Der Priester wies mit dem Blicke nach dem unheimlichen Häuschen. „Der Kranke da drinnen hat nach dem Em pfang der Sterbesakramente verlangt." „Steht es so schlimm?" rief Felix bestürzt. „Die Pest läßt keinen mebr los, den sie einmal gepackt hat," meinte der Beamte, „und auch Ihr. Väterchen, dürft das Haus nicht betreten." „Ich weiß, nur durch das geschlossene Fenster werde ich dem Leidenden das Allerheiligste. zeigen und ihm die Abso lution ertheilen." Es war für den jungen Arzt keine schrecklichere Marter denkbar, als die Ge liebte in jenem Hause des Grauens und Todes zu wissen, ohne zu il>r klangen zu können. Die Nacht vermöge er kaum ein Auge zu schließen. Früh erhob er sich und schlich auf Seitenwegen dem Ende des Ortes zu. Wenigstens sehen mußte er die von der Welt Ausgeschlosse ne, wenn es auch nur ein flüchtiger Blick durch das Fenster war. Die Wärter, die das Haus bewachten, hatten sich in wohlberechneter Entfernung auf den Bo den gelagert und beachteten ihn nicht. Sein Fuß und Athem stockten. Hin ter dem niederen Fenster erschien das bleiche Gesicht eines jungen Weibes. „Nadina!" wollte er rufen, da sah er, daß er sich getäuscht hatte. Es war die Krankenschwester, die zu warten schien, daß Jemand vorübergehe. Denn als sie ihn bemerkte, winkte sie mit der Hand und klebte gleich darauf einen mit gro ßen Buchstaben beschriebenen Zettel an die Innenseite der Scheibe. Fiebernd vor Aufregung las er dessen Inhalt. Ostrakoss war in der Nacht ge storben, und auch Nadina fühlte sich un wohl. Die Schwester bedurfte dringend ärztlicher Hilfe und eines Beistandes, um den Todten aus dem Hause zu schas sen. Tödlich erschrocken eilte Felix zur Wohnung des Jsprawniks. konnte ihm der Beamte den Zutritt nicht mehr versagen. „Wenn Sie die Behandlung der Neu erkrankten freiwillig übernehmen und sich auf vierzehn Tage isoliren lassen wollen, steht nichts im Wege," lautet die Antwort. Eine halbe Stunde später überschritt Doktor Spielmann die gefürchtete Schwelle, mit allem ausgerüstet, was er für die Zeit feinerGefangenschaft brauch te. Das Herz klopfte dem muthigen Manne, nickt weil er vielleicht für im mer von Welt und Leben Abschied nahm, sondern in der Furcht, auch Nadina schon dem Tode geweiht zu finden. Die Schwester, die ihn hatte kommen sehen, empfing ihn hinter der Thür, die sie schnell wieder schloß. Sie wies nach rechts hinüber. „Dort ist des Fräuleins und mein Zimmer, da drüben liegt der Todte." Er öffnete ein wenig die Thür. „Fräulein Ordynow Nadina, darf ich eintreten?" Ein leichter Schrei wurde drinnen hörbar. „Wer ist draußen, Schwester?" rief eine matte Stimme. „Ich, Doktor Felix Spielmann. Ihr alter Freund und Kollege," antworte er. „Kommen Sie nur." Sie zog die Decke fester über sich. „Aber wie ist das möglich, was führt Sie Rußland und in diese Einsamkeit?" Mit großen, erschreckten Augen starrte sie auf den Eintretenden. „Der gleiche Drang des Wissens und Erkennens wie bei Ihnen, Nadina." Mit wenigen Worten hatte er das Nö thigste berichtet. Doch sie konnte sich lange nicht fassen, und ihre Auaen blick ten ihn mit grenzenlosem Staunen an. „Gestern Abend noch hörte ich zu meiner größten Ueberraschung," fuhr der Arzt fort, „daß Sie und Ostrakoff hier seien." „Der Arme," seufzte Nadina, „er ist ein Opfer seiner Pflicht geworden." Sie schwieg eine Weile, dann ging ein leises Lächeln über ihren blassen Mund. „Nun sitzen "Sie gerade so an meinem Lager, wie ich einst an dem Ihren —" „Und hoffentlich mit dem gleichen, glücklichen Erfolge murmelte er, denn eine erstickende Angst schnürte ihm die Brust zusammen. „Wie fühlen Sie sich, Nadina?" Sie senkte den Blick, ein leichter Schauer durchschütterte ihren zarten Körper. Ich bin auf das Schlimmste gefaßt. Wenn ich nur aufstehen könn te! Aber diese Müdigkeit ist schreck lich, ich bin wie gelähmt." Draußen vor dem Fenster erschienen die Männer, die der Jsprawnik mit dem Sarge sandte. Felix wollte ihr den Anblick ersparen und richtete sich vor ihr auf, aber sie hatte die düsteren Ge stalten schon bemerkt. „Nun bringen sie ihn sort —" „Ich werde mit der Schwester alles besorgen," fiel er rasch ein, ihren Muth und ihre Fassung bewundernd. „Bringen Sie dem Todten einen letz ten, stummen Gruß von mir, da ich selbst nicht Abschied von ihm nehmen kann." sprach sie leise vor sich hin. „Er ist gestorben wie ein heldenmütiger Krieger auf dem Schlachtfelde, wie ein braver Kamerad, dem ich noch einmal die Hand drücken möchte. Sergius und ich. wir waren Freunde von Kindheit an und immer, immer gute Kollegen." Felix Spielmann that einen tiefen Athemzug, er konnte nicht mehr an sich halten, unüberlegt brach es von seinen Lippen: „Nicht mehr wirklich nicht mehr?" Sie sah verwundert zu ihm auf. „Was meinen Sie?" „Daß es eine Zeit gab. in der ich glaubte, Sergius Ostrakoff stände Ihrem Herzen nahe." Sie schüttelte den Kopf, und eine feine Röthe überflog ihre Wangen. „Niemals! Wie kommen Sie darauf?" Er antwortete nicht und verbarg fei ne Belvegung, indem er die aus Sub limatgaze gefertigte Sicherheitsmaske vor das Gesicht band und einen schon mit Karbol durchtränkten Rock anleg te. Als er sich wieder umwandte, sah er Thränen in ihren Augen. „Er war der erste," flüsterte sie, „wer wird der nächste sein?" Der Arzt ergriff in heftiger Bewe gung ihre Hände. „Nicht Sie Nadina, nicht Sie! Sie sollen und müssen le ben!" Sie lächelte still. „Was liegt an mir!" versetzte sie mit ihrer sanften, traurigen Stimme. „Ich stehe allein, habe nichts auf der Welt als meine Wis senschaft. Aber Sie müssen heimkeh ren zu den Ihren." „Zu den Meinen?" Sie wissen ja, daß ich ohne nahe Verwandte bin." „Aber haben Sie denn nicht —" Er verstand, was sie sagen wollte. „Weib und Kind? Nein, ich bin un vermählt geblieben, Nadina." Sie athmete rascher, und die Puls schläge nahmen zu. doch ehe sie antwor ten konnte, trat die Schwester herein, und der Arzt folgte ihr, um dem todten Kollegen den letzten Liebesdienst zu er weisen. Eine Viertelstunde später war die traurige Arbeit gethan, die Lei che in lx,i Sarg gelegt und schnell zur Thür l 'ausgeschoben, um von den draußen Wartenden so r ch wie möglich auf dem schwarzen Ka"ren davonge führt zu werden. Als Felix zu Nadina zurückkehrte, bemerkte er, daß sie vor Ermattung ein geschlafen war. Vorsichtig zog er sich wieder zurück und begab sich in das armselige Gemach unter dem Dache des Häuschens, das ihm die Schwester für die Zeit der Jfolirung angewiesen hatte. Am Nachmittag, da die Erkrankte erwacht war, trat er mit tief ernster Miene wieder an ihr Lager, und seine Stimme zitterte leise, als er fragte: „Glauben Sie wirklich an eine An steckung?" „Ich muß wohl," meinte sie resignirt, „obgleich ich mich jetzt ein wenig besser fühle." Felir blickte prüfend in ihr Gesicht. Sie sah in der That weniger leidend als am Morgen aus und saß halb aufgerich tet auf dem Lager. „Und Sie haben die Diagnose selbst gestellt?" „Noch nicht." Er athmete aus. Noch war das Furcht bare nicht Gewißheit. Vielleicht täuschte sie sich. Er wollte von der Hoffnung nicht lassen. „So gestatten Sie mir. die Untersu chung vorzunehmen." Sie ließ ihn gewähren, und als er al les geprüft, sich nach allen Symptomen erkundigt, fragte sie gefaßt: „Nun, sprechen Sie mir ein Todesurtheil. Kol lege ?" „Nein, im Gegentheil," entgegnete er zuversichtlich, „ich finde nicht das gering ste Anzeichen, das für eine Erkrankung an der Pest sprechen könnte. Ihr Un wohlsein ist nichts als die begreifliche Folge körperlicher und seelischer Ueber anstrengung." „Sie sind ein Optimist." lächelte sie ungläubig. Ihr Blick streifte die Ge fährtin. der vor Ermüdung die Augen zufielen. „Sie haben lange genug bei mir gewacht, Schwester; legen Sie sich ein paar Stunden schlafen. Tollte es schlimmer mit mir werden, so ist ja der Doktor da." „Machen Sie mich doch glücklich, in dem Sie mir glauben, Nadina," bat Fe lix, als sie allein waren. Sie schien vor sich hinzuträumen. „Wer dem Tode ins Auge sieht," flüsterte sie, „der lernt das Leben lieben." Dann machte sie eine Bewegung, als wollte sie den Gedanken mit Gewalt von sich schüt teln, und blickte ihm ernst und fest in die Augen. „Wenn ich es thäte, wenn ich Ihrer Versicherung glaubte, so dürfte ich Ihnen niemals sagen, was Sie doch hö ren sollen, hören müssen, ehe ich gehe. Was dem Lebenden verboten ist. steht -dem Sterbenden frei und ohne das würde mir der Abschied zu schwer." Er begriss nicht, wo sie hinaus wollte, aber eine dunkle Ahnung durchschauerte ihn. „Sprechen Sie, Nadina!" bat er leise und stehend. „Zuvor, als ich dem Erwachen nahe war, hatte ich einen Traum, den gleichen, den ich schon einmal vor Jahren träumte. Damals wollte ich alles, was das Herz in heimlichen Nächten sann und dachte, in den Eiswüsten meines kalten Hei Mathslandes begraben. O Felix!" schrie sie plötzlich auf. und ihre zitternden Hände suchten die seinen, „warum muß test du noch einmal wiederkommen, da schon alles vorüber war! Man sollte nur einmal Abschied nehmen im Leben. Wer den ersten übersteht, dem bricht der zweite das Herz!" „Nadina. du —" stammelte er erstar rend, und seine Stimme ward von dem klopfenden Herzen erstickt, „du sprichst es aus, was ich nie zu hoffen, nie zu geste hen wagte —" „Nein," stieß sie hastig hervor, „sage das nicht aus Mitleid!" ..Bei allem, was mir heilig ist, schwöre ich dir. daß ich dich nie. nie vergessen konnte!" Sie sah ihn groß, staunend an. „Das sollte ich glauben? Und damals, als ich schon wähnte, das beseligende Wort von dir zu hören, damals schwiegst du!" „Nadina." er umklammerte in hef tiger Erregung ihre Hände „ein un seliges Mißverständniß hat uns um Jahre des Glücks betrogen! Du sprachst von Dankbarkeit, als ich von Liebe reden wollte; und dann —Sergius, derUnglück licbe ich glaubte nicht an Kamerad schaft zwischen Mann unv Weib, ich konnte den Gedanken nicht los werden, daß er dir mehr sei. O, hättest du da mals den Muth gefunden wie heute, mir die Augen zu öffnen!" Sie lag einen Augenblick ganz still, wie berauscht von einem süßen Traum, an dessen Wahrheit sie nicht glauben konnte. „Durfte ich es denn", flüsterte sie endlich, „mußte ich mir nicht sagen, daß das Opfer für dich zu groß war?" „Welch ein Opfer?" „Ach, Felix, du bist reich, aus guter Familie. Wie konnte ich denken, du wer dest die arme russische Studentin zu dei nem Weibe machen." „Nadina". er drückte ihre Hände an seine Brust „als ich die Bekannt schaft mit dir suchte, dachte ich nur an ein pikantes Abenteuer. Mit Beschämung gestehe ich es. Aber dein großes edles ! Herz hat mich besiegt, ich lernte dich ach ten und lieben. Dich zu gewinnen, ward mein höchster Wunsch. Aber ich glaubte, du liebtest einen anderen. Jetzt ist das Mißverständnis das uns trennte, besei tigt. Jetzt halte ich dich und lasse dich nicht mehr. Willst du mein sein?" „Ich bin eS, seit ich dich kenne!" ju belte sie. „Und jetzt —" sie brach plötz lich ab, ihr Blick wurde trüb und dann brach sie in heftiges Weinen aus. „Ach, Felix, Felix, was träumen wir da! Ich werde ja sterben?" „Nein. Nadina! Du wirst leben und als mein geliebtes Weib!" rief er. sie umfangend. Aber sie war ganz außer sich, und es kostete ihm alle Mühe, sie zu beruhigen. Erst als die Schwester wieder erschien, gelang es ihr, sich gewaltsam zu fassen. Und Tag um Tag verging, ohne daß Nadinas Befürchtung sich bewahrheitete. Der Arzt war doch klüger gewesen als die Aerztin. Am Ende der Woche war es ihr selbst klar, daß von einer Ansteckung keine Rede sein konnte. Es war wirklich nur ein Schwächezustand gewesen, und jetzt, da es in der unfreiwilligen Gefan genschaft nur noch Ruhe und Erholung gab, begann sie wie junges Lenzgrün im ersten warmen Sonnenstrahl sich zu ent falten. Felix, der mit Nadina nur selten al lein sein konnte, vertiefte sich auf seiner armseligen Kammer in die wenigen mitgenommenen Bücher. Mit der Au ßenwelt verkehrten die Eingeschlossenen nur durch Zettel, die ihnen ans Fenster geklebt wurden, oder die sie selbst daran befestigten. So erfuhren sie. daß sich im Orte kein weiterer Krankheitsfall ereig net hatte, und gaben zugleich von ihrem eigenen Wohlbefinden Kunde. Vierzehn Tage waren seit Sergius Ostrakoffs Tod vergangen, da klopfte am Morgen der Jsprawnik in eigener Person mit seinem kurzen Knotenstocke ans Fenster. „Ihr dürft öffnen!" schrie er, und als die Schwester von der Er laubniß Gebrauch machte, streckte er furchtlos den dicken, rothen Kopf herein. „Die gesetzliche Jsolirzeit ist abgelaufen.' Was im Hause ist, darf wieder heraus." Felix und Nadina wechselten einen Blick seliger Freude. „Und dürfen wir nun nach Karakatak hinüber?" > Der Beamte machte eine abwehrende Bewegung. „Ueberflüssig. Da drüben giebt es für Sie nichts mehr zu thun." „Ja, ist denn die Pest —?" „Die Kosaken haben sie ausgehungert. Aus Mangel an Opfern ist sie erloschen. In Karakatak giebt es keine lebende > Seele mehr, das Torf ist niedergebrannt ! worden und die Truppen sind gestern i abgezogen." „Eine Radikalkur, sckauerlick, aber > erfolgreich", murmelte Felix. Und als sie durch die niedere Thür ausathmend ins Freie traten, ergriff er der treuen Gefährtin Hand. „Jetzt, Ge liebte, geht es nach Westen, der Freiheit und dem Glücke entgegen. Wir bleiben Kollegen fürs ganze Leben. Nicht wahr?" „Auf ewig!" sprach sie bewegt und ver senkte mit seligem Vertrauen den Bliö in seine Augen. Die Sonne. (Von Anna Ritter.) Wie bist Du schön, wenn Tu der müder Erde Den Flammenmantel um die müde Glieder schlägst Und in den Staub des Welkens und Vergehens Die Keime schon des künft'aen Früh lings legst! Wenn Du, dem Wald das sterben zu versüßen, Ihn einmal noch mit bunten Farben schmückst. Das dunkle Thal, den Strom zu seinen Füßen. Mit Deinen Strahlen golden über brückst. I Wenn Du der Blüthe, die der Herbst vergessen, !Das warme Lächeln Deiner Gnade schenkst. Die späte Frucht, des Weines volle Traube, Mit herber Kraft und Süßigkeit durch tränkst. Wenn Du das Meer, das Dir entgegen fluthet. Mit hellen Lichtern spielend überhauchst, Der Wolke Saum, die Dir vorüber wandert, In wundersame Purpurtöne tauchst. Wenn Tu dem Greis die welken Hände streichelst Und Dich in's Lockenhaar der Kinder schmiegst, Der Sehnsucht, die. des ErdenwallenS müde. Ten Himmel sucht, liebreich entgegen fliegst! In heil'gen Händen trägst Du Licht und Schönheit Und pflanzest in die bange Dunkelheit Der Winternacht Dein leuchtend Frie denszeichen, Als Himmelsbotin einer fchön'ren Zeit! Reue. Schwer die Brust von Reu' und Herze leide, Zieht ein Knabe durch die grüne Heide. „Sonne, lichte Sonne", spricht er fle hend, „Alles wissend bist du, alles sehend; Gieb mir Kunde von der Magd, der blas sen, Tie ich einst am Quell im Wald verlas sen." Sonne spricht: „Ich sah auf meinen Gange Manch verlass'nes Weib mit bleicher Wange, Aber die du ließest grambeladen, Sah ich nicht auf meinen lichten Pfa den." Als der Mond erscheint zur Abendstunde. ??raat der Knabe auch den Mond um Kunde. „Sahst du nicht von deiner Himmels hohe Jene eine, die ich ließ im Wehe?" Spricht der Mond: „Wohl sah ich man ches arme Weib, gequält von übergroßem Harme, Aber jene, die du einst betrogen, Sah ich nicht von meinem Himmels bogen." Leis im Grase flüstern zwei Narzissen: „Weder Mond nock Sonne kann es wis sen, Wo sein blasses Liebchen ist zu finden. Doch wir Blumen könnten's wohl ihm künden, Die wir in der Erde uns verbergen. Bis der Lenz uns weckt aus unsern Sär gen." Registrators - Rache. Er: „Ich freue mich auf den ersten Abend nach meiner Pensionirung." Sie: „Was wirst Du dann machen?" Er: „Dann setz' ich mich von acht bis els an den Stammtisch im „Hecht" mei nem Chef gegenüber und bei sämmtli chen Witzen, die er erzählt, zuck' ich mit keiner Miene!"