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5 Doktorsfrau angetroffen. Sie war "überglücklich, mit ein paar kraushaari-! gen Buben an der Hand. Nur die äl-1 teren Jahrgänge schüttelten, wenn auf sie die Rede war. ihre Hauben und brummten unversöhnt: „Sie hat sich dem Teufel ergeben! . Der dänische Gesandte. Von Marie Peper. - Zu den zahlreichen Freunden, welche sich mein Vater als Bürger und Meister der Stadt G. erworben hatte, gehörte auch ein reicher Gerbermeister Namens Jens Berg. Er war ein geborener Däne und hatte sich durch Fleiß und Sparsam keit in verhältnißmäßig kurzer Zeit ein! Vermögen erworben; seineFrau war eine Bürgerstochter aus wohlhabender Fami- i lie; sie war klein, dick, kurzsichtig und hieß Mienel. . ! Eines Morgens, als mein Vater in. seiner Werkstatt beschäftigt war, trat' Berg herein. Seüi Gesicht trug einen ärgerlichen Ausdruck, und er fragte mei-j nen Vater, ob er Zeit hätte, eine Flasche Wein mit ihm zu trinken. Mein Vater erwiderte: „Ich nehme mir welche," und! sie gingen in die auf derselben Straße gelegene Weinstube. Wein löst bekannt lich die Herzen und die Zungen, und so erzählte denn Berg bei der zweiten Fla sche. daß er großen Aerger im Haus habe, seine Frau koche so schlecht und so knapp, daß er sich vor seinen Gesellen und Lehr-! jungen schämen müsse. „Wozu spart sie denn." fuhr er fort, „wir haben ein be-! zahltes Grundstück nebst Geschäft mit > großen Außenständen und keine Wenn ich ihr 'mal einen rechten Streich" spielen könnte! Du hast immer so gute Einfälle; denke ein wenig darüber nach; nur eins sage ich Dir: Geld muß es ko-. sten." Mein Vater versprach, sich die Sache zu überlegen, und beide schieden mit Hän dedruck. Zwei Tage später spazierte mein Va ter sehr vergnügt zu Berg's hinunter.' Letztere wohnten außerhalb der Stadt; sie saßen bei Ankunft meines Vaters ge- rade in einem auf einer kleinen Anhöhe erbauten Sommerhäuschen und grüßten ' ihn schon von Weitem mit einem herzli-! chen „Guten Morgen, Herr Gevatter". Nachdem die zweite Begrüßung vorüber und er Platz genommen hatte, fragte . Mienel: „Was giebt's Neues in der i Stadt?" „Heute bringe ich eineNeuigkeit, welche Sie, besonders aber den Jens ren wird." j „Und das wäre?" < Mienel' Neugier war zu entschuldi i - gen, denn damals hatte die Stadt noch! keine Eisenbahn, und selten wurde die Eintönigkeit des Alltagslebens durch un-! gewöhnliche Vorfälle unterbrochen. „Im braunen Hirsch ist der dänisches Gesandte angemeldet." erwiederte mein Vater auf die Frage Mienel's; „der Herr Bürgermeister sagte es mir im Vorbei-! gehen und meinte, es wäre doch schicklich, wenn Jens, als der einzige hier lebende Däne, ibm seine Aufwartung machte." I „Das will ich mir erst überlegen," sagte Berg trocken, aber Mienel erwieder- , te hochmüthig: „Wenn es der Herr Bür germeister wünscht, wirst Du gehen." Nachdem sie noch eine Stunoe geplau- ' dert hatten, ging mein Vater wieder nach Hause. Am nächsten Tage erhielt Berg vom Bürgermeister ein Schreiben, in tvelchem ihm dieser mittheilte, daß mor- gen, Donnerstag, der dänische im braunen Hirsch eintreffen würde und die Höflichkeit es erfordere, daß er, Berg, ' als einziger in der Stadt lebender Däne, ' den hohen Würdenträger bewillkommne. I Als Berg das Schreiben gelesen hatte, ' sagte er ärgerlich zu Mienel: „Da muß 5 ich allerdings gehen, obgleich mir gar- > nichts daran liegt; mache mir meinen < Frack, die schwarzen Beinkleider und weiße Weste zurecht und besorge ein neues ' bellseidenes Halstuch." Mienel war ganz stolz, holte sogleich die Kleidungsstücke, l untersuchte mit peinlicher Genauigkeit die Taschen, Aufhänger und Knöpfe, und, als das beendet, ging sie zur Stadt und ' kaufte ein psirsichblüthenfarbenes nes Halstuch. Die Bekannten, welche sie auf ihrem Wege traf, fertigte sie kurz ab n-'i dem Hinweis, daß sie in einer äu-" Berst wichtigen, internationalen Mission ' zur Stadt gekommen und daß die Ein wohner derselben in einigen Tagen besser wissen würden, wer sie, Mienel Berg, sei. Die Leute schüttelten den Kopf und vunderten sich über das hochtrabende Gebahren der Gerbermeisterin. Am nächsten Vormittag um elf Uhr Mg Berg zur Staatsvisitte in die Werk statt meines Vaters. ..Was nun?" fragte er lachend. „Werde es Dir beim! Frühschoppen erzählen." l Mienel ging unterdessen ungeduldig im Zimmer auf und ab; zuweilen sie sich an die Hausthür, um zu sehen. ob ihr Mann noch nicht komme; das Es-j sen ließ sie total verbrennen. Endlich kam Berg an, und sofort ging sie ihm entgegen, um zu erfahren, was der Ge sandte gesagt hatte. „Laß mich nur erst in's Haus treten, dann sollst Du alles erfahren." Mienel's Neugier erreichte den höchsten Grad. „Erzähle doch endlich", bat sie. „Nun", begann Berg, „der Gesandte war sehr erfreut, einen Dänen hier zu finden; ich sagte ihm, daß es mir sehr gut gehe, schönes Wohnhaus, ausgedehnten Gar ten und gut gehende Gerberei besitze, und daß ich die liebenswürdige Tochter eines wohlhabenden und angesehenen Bürgers geheirathet habe." Mienel wars bei diesen Worten den Kopf zurück. „Er fragte mich nun über alles", fuhr fort, „betreffs der Größe von Haus und Garten, auch, ob die Gerberei maf-! siv gebaut sei, kurz, ich konnte nicht um-! lud ihn sür morgen zum Abend-! Brot ein. Nun, Mienel, thue Dein Bestes, denn eine solche Ehre widerfährt unserem Hause nie wieder." Mienel subr die große Ehre in alle Glieder; sie! wäre beinahe umgesunken. Berg ging so- > fort in die Werkstatt und holte zwei den einen schickte er zum Damenschneider, den anderen zur Koch frau mit der Bitte, sobald als möglich bei ihm zu erscheinen. Nach Verlauf einer Stunde trafen beide ein und Berg setzte dem Schneider auseinander, daß das Brautkleid seiner bis zum Nachmittag des nächsten Tage modernisirt und mit einerSchleppe versehen werden müsse, er solle die ganze Nach: daran arbeiten. Zum Glück hatte Mienel noch fünf Ellen Stoff liegen. > Nachdem die Toiletten-Angelegenheit erledigt, kam die Küchenfrage an die Reihe. Die Kochfrau machte verschiedene Vorschläge, und Berg entschied sich in .jedem Falle für das theuerste; sie mußte sogleich im Hause bleiben, um die > Früchte zu kochen. Berg ging zur Stadt, ! um den Wein zu bestellen und noch ver- ! schieden? Gäste einzuladen. Auf den! Einspruch Mienel's. baß sie selbst guten Wem im Keller hätten, antwortete er kurz: „Alles zu leicht; erst ein schwerer Rheinwein, dann Champagner!" Nun begann ein tolles Wirthschaften. Das Haus wurde vom Boden bis in den Keller hinunter gescheuert und die Gar tenanlagen gesäubert. Am nächsten Tage war alles blitzblank. An den Fen stern hingen schneeweiße Garidnen, die Thüren glänzten wie frisch lackirt und die Schlösser funkelten, als wenn sie von Gold wären. Ein lieblicher Braten-! Duft durchwehte das Haus, und nachdem Mienel sich nochmals überzeugt, daß alles in Ordnung sei, begann sie sich j anzukleiden. Das lilaseidene Kleid war sehr hübsch garnirt und eine lang Schleppe daran, dazu eine Haube mit langen, breiten, weißen Bändern und verstreuten Rosenknospen bedeckte ihr Haupt; sie sah aus wie ein aufgeblasener Frosch: als sie sich jedoch im Spiegel be trachtete, nahm ihr Antlitz einen wohlge fälligen Ausdruck an. Berg hatte einen feinen Fächer mitgebracht und zeigte ihr, wie sie denselben handhaben müsse; auch er hatte sein Festgewano angelegt. Nach und nach erschienen die Gäste. Endlich schlug es acht Uhr und zehn Minuten später suhr eine Equipage vor. Berg ging schnell hinunter, um den Gesandten zu empfangen und ihn in's Speisezim mer zu geleiten. Letzterer war ein Mann von imponirender Gestalt; ein schwarzer Vollbart umrahmte sein Gesicht; er trug ein braunes Sammetkostüm, kurze Ho sen, braunseidene Strümps?. Schnallen schuhe. Wams und Mantel, reich mit At las besetzt, und Barett mit langerStrau ßcnfeder. Für den Kenner schien der Anzug einer Theatergarderobe entlehnt zu sein. Zuerst stellte Berg seine Frau dem Gesandten vor, und als diesem Mienel die Hand reichte, küßte er diese galant, j indem er eine tiefe Verbeugung machte. Mienel wäre vor Scham am liebsten in die Erde gesunken: das schickte sich nicht für eine ehrsame Handwerkersfrau; sie knixte und verwickelte sich fortwährend in ihre Schleppe. Nachdem die Vorstel lung der übrigen Gäste beendet, setzte man sich zur Tafel. Der Gesandte saß auf dem Ehrenplatze, neben ihm Berg, Mienel, und hierauf folgten die . anderen Gäste. Die Unterhaltung war animirt; Berg und der Gesandte tranken tüchtig und stießen häufig mit der Frau Wirthin an. Mienel konnte vor lauter Ehrerbietung weder essen noch trinken, und im Stillen dankte sie Gott, als der letzte Gang aufgetragen wurde. Daß der Gesandte plattdeutsch und ihr Mann dänisch sprach, bemerkte sie nicht. Endlich kam der Champagner; der Gesandte erhob sein Glas, sagte et was, das Niemand verstand, und stieß wieder mit Mienel an. Berg verdol metschte, daß der Gesandte auf ihr Wohl .ein Glas geleert habe; Mienel wurde purpurroth und konnte weiter nichts thun, als knixen. Nach Ablauf einer ! weiteren halben Stunde verabschiedete sich der Gesandte und Mßte wiederum 5 Mienel's Hand. ! Nachdem auch die übrigen Gäste ge lgangen. Mienel sich ihres des entledigt und an Stelle desselben ihr blau gedrucktes Hauskleid angelegt hat te, und Berg im Schlafrock, mit der lan gen Pfeife im Munde, auf dem Sopha ruhte, sagte seine Frau zu ihm: „Wie viel doch ein Gesandter trinken kann! !Erst hat er zwei Flaschen Rheinwein !und dann zwei Flaschen Champagner' ! getrunken." „Die Herren sind daran ge wöhnt" erwiderte Berg; „sie trinken nie Wasser; da solltest Du erst den schwedi schen Gesandten sehen, mit dem ich in Berlin zusammen gespeist; ein jovialer Herr; es ist nicht unmöglich, daß auch er eines Tages uns die Ehre erweist und bei uns ißt." „Um Gottes Willen", sag-1 te Mienel, „das war ein theurer i Abend!" ! Drei Tage waren vergangen, als ein Verwandter der Berg'schen Familie die-! selbe aufsuchte und den fee mit ihnen einnahm. brachte natürlich Mienel das Gesprächs aus den Besuch des dänischen Gesand ten. .„Schweig'doch still davon; die ganze. ' Stadt lacht über Dich, daß Du Dich hast vom Schneider Sämann so narren las sen!" ! '.„Der Sämann war ja gar nicht zu gegen."" „Freilich war er dabei; er hat den Gesandten gespielt." Wäre in diesem Augenblick eine Bombe durch's Dach geflogen und erplo-! dirt, Mienel wäre nicht mehr erschro cken. als über diese Mittheilung. Ra send vor Wuth stürzte sie aus dem Zim mer in die Werkstatt ihres Mannes,! und im höchsten Zorn schrie sie denselben j an: „Also auf diese Weise wird bei das Gelö zum Fenster hinausgeworfen! und ich zum Gelächter der ganzen Stadl! gemacht; der Sämann, der Schalks- , narr, war der Gesandte." Berg hatte sie kommen sehen und war aus diesen Wuthausbruch vorberei-! tet. „Ja", sagte er, „der Sämann war der dänische Gesandte, und fährst sort, so miserabel und so knapp sü-r uns und unsere Leute zu kochen, wie früher, so spielt er auch noch den fchwedi-! .schen!" l Von diesem Tage an kochte !gut und reichlich; als aber die Fastnacht kam. versöhnte sie sich mit dem weiland' Diplomaten und lud ihn an jenem Ta ge zu einem Schöpsenbraten ein, der von .einem Hunde herstammte, und zu Pfannkuchen, die in Leinöl gebraten waren. So rächte sich Mienel am däni schen Gesandten. Edtlttein-zwchaiinmnyfn. Von Theo. Seelmann. Wenn auch das Frauenherz sonst schon Verlangen trägt nach jenen glitzernden, farbensprühenden Steinen, die in Verbindung mit den edlen Metal ' len die entzückendsten Schmuckstücke lie fern, so wächst der Wunsch nach ihrem Besitz noch mehr in der Zeit der winter lichen Feste, wo sich öfter denn je Ge legenheit bietet, Hals und Arm mit dcn glänzenden Kleinodien zu schmücken. Leider können die echten Edelsteine nur von einer kleinen Minderzahl erworben werden. Aber wie viele von den nen. die das gleißende Geschmeide der Juwelierläden zieren, sind wir!lich echt? > Denn die Technik, die sür alles Rath l weiß. hat Edelsteinimitationen geschaf fen die an Glanz und Farbe ihren na türlichen Vorbildern nicht nachstehen ' und die außerdem den schätzenswerten Vorzug haben, bedeutend, wohlfeiler zu sein als jene. Das Material, aus d-em die Pasten, wie man die Edelsteinimitationen nennt, hergestellt sind, ist Glas, aber kein ge wöhnliches, sondern ein sehr sorgfältig zubereitetes und mit bestimmten Zusätzen versehenes Glas. Denn von seiner Gute ! hängt in erster Linie die Vortrefflichkert der' daraus geschliffenen künstlichen ! Edelsteine ab, wenn sie überhaupt mit echten Edelsteinen rioalisiren und nicht zu jener werthlosen Jahrmarkts ' Waare herabsinken sollen, bei der ein Blick genügt, um ihren Ursprung zu er > kennen. Dieser letzteren sind die Pa > ften so weit überlegen, wie das Gold >dem Talmi. Man bezeichnet das für . die Edelsteinimitationen dienende Glas ! zumeist als Straß. Es zeichnet sich aus durch eine vollkommene Farblosigkeit, die die höchste Klarheit und Durchsichtig keit bedingt. Daher können zu seiner Fabrikation auch nur Materialien von der größten Reinheit verwandt werden. Unter diesen Umständen gebraucht man auch für die Grundsubstanz nur die reinste Form des Quarzes, den wasser hellen Bergkrystall. da Quarz, der auch nur in Spüren eisenhaltig ist, den Glas fluß farbig macht. Ebenso muß das kohlensaure Kali, das zugesetzt wird. ganz frei von irgendwelchen Bennengun- gen sein. Ein wichtiger Bestandtheil ist ferner die Mennige, die aus chemisch rei jnem Blei gewonnen wird. Von mehr nebensächlicher Bedeutung ist der Borax, der die Schmelzbarkeit befördert, und ein kleiner Zuschuß von weißem Arsenik. Zuweilen ersetzt man das kohlensaure Kali auch durch Thallium. Die Misch ungsverhältnisse, in denen man die ein zelnen Bestandtheile gebraucht, sind ver schieden. ' Bei einer der am meisten üb lichen Mischungen verwendet man 32 Prozent Bergkrystall, 50 Prozent Men nige. 17 Prozent kohlensaures Kali, 1 Prozent Borax und j Prozent Arsenik. Der Prozentsatz an Mennige oder, was dasselbe besagt, der Bleigehalt ist insofern von wesentlichem Einfluß, als ein stark bleihaltiger Straß ein große Lichtbewegung und Farbenzerstreuung besitzt. Geht die Mennigbeimischung bis zur Höhe der angegebenen Mischung, so gewinnt man eine Paste, die das Feuer und das Farbenspiel des Diamanten ausweist. Noch mehr gesteigert wird die Lichtbewegung und die Farbenzerstreu ung, wenn neben einem starken Bleige halt statt des kohlensauren Kalis Thal lium verwendet wird. Zur Herstellung des Strasses werden alle Stosse fein pulverisirt und innig mit einander vermischt. Die Masse wan dert dann in den Glasofen, wo sie in den sogenannten hessischen Tiaeln bei einer möglichst gleichmäßigen und nicht zu hohen Temperatur zusammengeschmol zen wird. Die nachfolgende Erkaltung muß ganz langsam vor sich gehen. Da bei dars die Schmelze durchaus nicht an gerührt werden, weil sonst größere Luft blasen entstehen, die sofort die Unechtheit der Steine verrathen. Handelt es sich um die Erzeugung farbloser Schmuck steine, so ist damit die Fabrikation be endet. Der Straß wird dann nur noch .zerschnitten und die einzelnen Stücke ! werden wie die echten Edelsteine geschlif ! fen. Beabsichtigt man aber die Nach ahmung farbiger Edelsteine, so muß nun die Färbung des Strasses vorge kommen werden. Zu diesem Zweck !wird der Straß, also das fertige, farb lose Glas pulverisirt und mit dem eben falls fein zertheilten Färbemittel zu sammen durchgesiebt, so daß sich beide > Stoffe innig mit einander vermischen. Als färbende Bestandtheile verwendet man Metalloxyde oder Chorsilber, für Grün Chromoxyd oder Kupferoxyd. Setzt man dazu etwas Kobaltoxyd, so geht die Farbe in's Bläuliche, bedient man sich aber eines geringen Zusatzes von Spießglanzglases. so entsteht ein gelbgrüner Farbenton. Für Blau be nutzt man Kobaltoxyd, giebt man dazu noch etwas Braunstein, jo wird die Färbung mehr violett. Für Roth ver wendet man Goldoxyd. Goldchlorid oder Goldpurpur. Schon ganz geringe Mengen der Metalloxyde reichen hin, um das Glas zu färben. Durch eine größere oder geringere Beigabe des färbenden Zusatzes hat man es dann ! ganz in der Hand, den Grad der Fär bung derjenigen des nachgeahmten ech ten Steines genau anzupassen. Wie stark die färbende Kraft der Metalle ist, kann man daraus ermessen, daß ein Theil Gold 10,000 Theile Straß tief rubinroth färbt. Sind der Straß und das Metalloxyd pulverisirt und mitein ander vermengt, so wird die Masse im Glasofen geschmolzen, gegen 30 Stun den im Fluß gelassen und darauf all mählich abgekühlt. Die weitere Be handlung gleicht derjenigen bei der Her stellung farbloser Edelsteine. Neuerdings versucht man sogar, Pasten zu erzeugen, die außer den äu ßerlichen Eigenschaften noch die charak teristischen Bestandtheile der nachge ahmten Steine besitzen, so daß ein? ober flächliche chemische Untersuchung den Anschein der Echtheit ergeben kann. So komen nach den Untersuchungen von Professor Bauer aus Glas hergestellte, grüne Steine in den Handel, die dem Smaragd ähneln und die auch 7 bis 8 Prozent der dem Smaragd eigenen Be ryllerde enthalten, die sonst im Glase fehlt. Zur Nachahmung undurchsichti ger Edelsteine, wie es der Türkis ist, bedarf man natürlich auch eines un durchsichtigen Glases. Ein solches er hält man. wenn man zu dem puloerisir ten Straß eine kleine Menge von Zink oxyd oder auch Knochenasche hinzusetzt und dann diese Stosse zusammen schmilzt. Als Färbungsmittel werden auch hier Metalloxyde verwendet, bei spielsweise sür die blaue Farbe des Türkis etwas Kupferoxyd mit einem kleinen Zusatz von Kobaltoxyd. In ähnlicher Weise lassen sich andere un durchsichtige Edelsteine, wie der Opal und der Chalcedon, herstellen. Das Aussehen aller dieser Imitatio nen ist ein so täuschendes, daß es einer sehr großen Uebung bedarf, um sie mit dem bloßen Auge von den echten Stei nen zu unterscheiden. Diamanten vom reinsten 'Wasser sowohl, als auch die farbenprächtigsten Rubine. Smaragde. Saphire und Topase weiß die Industrie in Fülle zu schaffen. Der Glanz, den sie beim Schleifen erhalten, ist ausge zeichnet. aber sie haben doch einen Feh ler: eine zu geringe Härte. Die Här te der Edelstein-Imitationen ist in der Regel noch nicht so groß wie diejenige des gewöhnlichen Fensterglases. Infol ge dessen werden sie nicht nur in ver hältnißmäßig kurzer Zeit matt, sondern auch ihre Ecken und Kanten verlieren bei längerem Gebrauche ihre Schärfe. Die Weichheit ist denn auch ein Erken nungsmerkmal der Unechtheit. Die Imitationen kann man mit einer har ten Stahlspitze leicht ritzen, während dies bei den echten Steinen nicht der Fall ist.. Ebenso hinterläßt ein Alu miniumstift, der über die Imitationen geführt wird, auf diesen eine silberige Linie, auf den echten Steinen dagegen nicht. Und endlich entdeckt man unter der Lupe in den ersteren gewisse Unre gelmäßigkeiten, die sogenannten Schlieren, die sich in den letzteren nicht vorfinden. Ist daher auch für den Fach mann eine Täuschung ausgeschlafen, so doch keineswegs für den Laien, und oft genug wird dieser das Opfer eines Be trugs. Eine Reise dnrch das Ammen- Mein nach dem Planeten Neptun. O Von W. Gund lach. Es hat für den Menschen einen eigen thümlichen Reiz, sich einmal in der Phan tasie in ganz fremde Gegenden zu oer setzen. Noch ist wenig mehr als ein hal bes Jahrhundert Verslossen, da man in Europa noch von dem fernen Lande Amerika sprach, in dessen Ländereien mit ihrem zahlreichen Wildstande. dem frucht baren jungfräulichen Boden und den dich ten Wäldern der Freund der Landwirth schaft das Paradies des europamüden Bauern verlegte. Es war eine beschwer liche und gefahrvolle Reise nöthig, um das gelobte Land in einem Segelschiffe zu erreichen. Noch während des Bürger krieges bedurften die Nachrichten zwei volle Wochen, um nach Europa's Konti nent zu gelangen. Dann aber, als nicht nur immer schnellere Dampfschifffahrt eingeführt, sondern auch mit gutem Er folg die überseeischen Telegraphenkabel gelegt wurden, verschwand nach und nach die Ferne zwischen der alten und neuen Welt. Wenn nicht in manchen europäi schen Ländern eine engherzige Voreinge nommenheit gegen alles Fremdländische herrschte, so müßten, bei dem so lebhaf ten Verkehr. Amerika und die europäi schen Länder jetzt so vertraut mit den Zu ständen und Sitten der überseeischen „Nachbarn" sein, als ob sie gar nicht durch Meere von einander getrennt wa ren. Afrika wurde bis in die neueste Zeit der „dunkle" Erdtheil genannt. Er war es nicht nur der Hautfarbe seiner Bewoh ner wegen, sondern er war den Forschern bis auf wenige Küstenstriche „dunkel", d. h. unbekannt geblieben. Es galt als aus gemacht, daß wir die uns zugängliche Seite des Mondes besser als die Erdober fläche kannten, von welcher ein großer Theil noch unbekannt geblieben war. Kaum mehr als ein Vierteljahrhundert ist nöthig gewesen, um jene Meinung vollständig zu beseitigen. Gegenwärtig ist das Innere Asrika's kein unbekanntes Land mehr, und so ist es mit fast allen Gegenden der Erde bis weit nach den Po larregionen. Wohin soll sich nun der Gedanke wen den, um sich eine fremde Gegend, welche noch kein menschlicher Fuß betreten hat, vorzuzaubern mit geheimnißvollen Rei zen ? Auch die Phantasie verlangt nach Befriedigung, indem sie sich dorthin sehnt, wohin der Zutritt dem physischen Menschen verschlossen ist. Darum war es die Reise nach dem Monde, welche ehe mals die Menschen so sehr beschäftigte, wenn sie ihre Phantasie in die Sternen welt hinausführte. Den Monbphanta sien folgten die Berichte von den Marsbe wohnern. und die Sensationspresse war bemüht, der leichtgläubigen Menge einen Stern zu schildern, wie er in einer solchen Weise gewünscht eristirt. Mars sollte Aehnlichkeit mit der Erde haben, eine Behauptung, welche allen astronomischen Erfahrungen und physikalischen Grund sätzen zuwiderläuft. Schon die viel ge ringere Schwere auf jenem Planeten ist dem Erdbewohner fremd und macht feine physische Existenz dort unmöglich. Und nun gar die Atmosphäre. Wir könnten besser in der geringen Lust leben, welche wir in doppelter Höhe unserer höchsten Gebirge vorfinden würden, als in der Marsatmosphäre auf dem Boden jenes Planeten. Die Lufthülle des Mars würde uns als gar keine Luft erscheinen, und sie ist der äußerst dünnen Mondatmosphäre, von welcher man lange Zeit glaubte, daß sie gar nicht vorhanden sei. viel ähnlicher als derjenigen, in welcher wir auf Erden athmen. Aber trotz der großen Verschiedenheit der Lebensbedingungen könnte man sich in der Phantasie auf den Mars versetzen, wenn es bei den Phantasievorstellungen .bliebe. Als man aber, und zwar unter Beihilfe wirklicher Astronomen. die leicht gläubige Masse zu täuschen versuchte, in dem man ihr sogar von wirklich ausge führten Signalen der durch nichts bewie senen Bewohner jenes Planeten sprach, da war es an der Zeit, diesem Unfug ent gegenzutreten. Am wirksamsten in der Bekämpfung der verbreiteten Irrthümer haben sich wohl die Berichte der Astrono men der Lick-Sternwarte erwiesen. Ge stützt auf ihr vorzügliches Beobachtungs material zeigten sie, daß wir vom Mars bis jetzt nicht mehr wissen, als daß er dunklere und hellere Schattirungen aus seiner Oberfläche zeigt. Wodurch sie her vorgerufen werden oder was sie sind, weiß noch Niemand zu sagen. Deshalb kann noch gar keine Rede davon sein, zu entscheiden, ob Mars ein solcher Pla net ist. auf welchem sich Leben überhaupt entwickeln kann oder nicht, vielweniger noch, wie dieses Leben beschaffen ist. Wer Kindern Märchen erzählt, die sie ja so gerne hören, und sie dadurch zu be lehren sucht, der wird bald finden, daß das junge Gemüth sowohl für die in je nen Erzählungen enthaltenen Naturfchil verungen. als auch für die Schicksale der handelnden Personen sehr empfänglich ist. Bei einer rechten Auswahl des Stof fes bildet derselbe einen besseren Moral lehrer als die oft sehr unnöthigen und ii. der Regel schlecht angebrachten Ermah nungen. Man wird aber auch dafür Sorge tragen, daß die Kinder wissen, was an solchen Märchen nur Phantasie gebilde sind. Wenn man aber dieselben den Kleinen als Wahrheiten vorlegt, oder sie auch nur bei dem Gedanken läßt, das das eine oder andere Wunder wirklich geschehen könne, so betrügt man die Kin der um ihren gesunden Verstand. In solcher Weise wird das kindliche Gemüth zum Aberglauben geführt, und in dem kindlichen Verstände wird die Hoffnung erregt, daß man das Ziel, nach welchem man strebt, durch wunderbare Fügungen erreichen könne, statt es aus dem Kampf platz der Arbeit zu erobern. Es giebt ja leider Menschen genug, die in besseren Verhältnissen leben würden, wenn sie, an statt auf Zufälle und Glücksumstände zu hoffen, thatkräftig wirkten und arbeite ten. Und wie man Kinder mit den Mär chen auf unrichtige Wege leiten kann, so jauch das große Kind: die Masse. Sie ! greift mit wahrer Begierde nach den ihr aufgetischten Märchen, und es ist selbst verständlich. daß dadurch die allgemeine Bildung nicht gefördert wird. Es sind bereits zwei Jahrzehnte ver gangen, als er Verfasser unter der Ueber schrift: „Auf dem Mars" eine ima ginäre Phantasie-Reise nach jenem Planeten schilderte, und zwar mit der Absicht, die wirklich erforschten physika lischen und astronomischen Verhältnisse jenes Weltkörpers zu erklären. Wec jene Schilderung gelesen hatte, wußte aber auch sicher, daß er in der Reisebe schrcibung und .n den Naturschilderuu acn nur ein Phantasiebild vor sich hatte, aus welchem er das Wirkliche leicht her ausfinden konnte. Die Schwere in ih.er fremdartigen Erscheinung giebt allein Gelegenheit genug zu manchen ergötzli chen Schilderungen; dann kommt die dünne Atmosphäre, die von dort viel klei ner erscheinende Sonne, die kleinen Marsmonde mit ihren absonderlichen Bewegungen und dazu die verschiedenen Stellungen, welche während des Aufent haltes auf dem Mars der helle Planet Erde mit seinem deutlich sichtbaren Monde einnahm. alles das gab Ge legenheit zu mancherlei belehrenden Dar legungen. Von den Sensationsnachrich ten. die direkt von Mors bezogen wurden, war zu jener Zeit noch nichts bekannt. Sie waren das Produkt einer späteren Zeit, also weiter sortenwickelten „höheren" Kultur. Wenn man in früherer Zeit auf schlecht ten Landstraßen eine Tagereise Zurück legte, so war das schon eine „große" Reise, wie man sie jetzt in einer Stunde mit der Eisenbahn macht. Das lohnt sich heut zu Tage nicht mehr; eine „Reise" muß viel größer sein, und sie muß wach sen mit den Einrichtungen und Bequem lichkeiten des Menschentransport-.. Die sich früher mit einer Svmmerreise nach den Catskills begnügten, machen gegen wärtig eine größere Tour kyirch's Land oder gar über den Ozean. Und wer sich oor zwanzig Jahren mit einer Reise nach dem Mars vollständig befriedigt fühlte, den treibt es heute gleichfalls weiter hin aus. Hinweg geht es durch den Raum, linweg über die Bahnen des Mars, der Asteroiden, des Jupiter, des Saturn und des Uranus bis dorthin, wo Neptun, ver im Jahre 1846 von Leverrier entdeckte Planet, steht. Selbstverständlich mußte ich eine, für meine Reise geeignete Zeit wählen, und das konnte nur ein Tag sein, an welchem sich Neptun in der Opposition befand. Denn so befinden sich die beiden Plane ten in der nächsten Stellung zu einan- der, indem die Erde zwischen Sonne und Neptun steht. Die Zeitdauer der gro ßen Reise brauchte nicht berücksichtigt zu werden, da die Phantasie mit der Ge schwindigkeit des Gedankens reist, gegen welche die Fortpflanzung des Lichts noch ein wahrer Schneckengang ist. Hat doch das Licht volle vier Stunden nöthig, um von der Sone aus die Entfernung von sechshundert Millionen geographischen Meilen bis zum Neptun zurückzulegen. Eine solche Strecke aber erfordert für den Gedanken so viel wie gar keine Zeit, und bums! da landete ich auf dem fernsten Genossen unseres Sonnen- Systems. Wie das so im mer geschieht, war mir in mei nen verworrenen Phantasieträumen die Reise ganz aus dem Gedächtniß ge schwunden. und als mich die Erschütte rung erweckte, war ich selbstverständlich der' Meinung, auf meinem gewohnten Lager zu erwachen. Mit Erstaunen aber sah ich, daß ich mich in ganz frem der Umgebung und. was noch sonder barer, unter freiem Himmel befand. Fast genau im Zenith stand Venus, der helle Äbendstern. den ich aber noch nie mals in dieser Weise gesehen hatte. Allmälig aus dem Halbschlaf in den wachen Zustand übergehend, hatte ich mir schon gesagt, daß Venus niemals im Zenith stehen könne und daß sie, ob gleich der hellste Stern am Erdhimmel, so groß und hell niemals zuvor erschie nen sei. Endlich, ermuntert durch das Nachdenken, erkannte ich. daß es gesche hen war, wie ich es von der gütigen Fee „Phantasie verlangt hatte. Ich war gar nicht auf der Erde; ich lag auf dem Planeten Neptun. Wir sprechen gewöhnlich von einer Gruppe der „größeren" Planeten und von einer andern, welche aus den „klei neren" besteht. Mit ersteren meinen wir Jupiter. Saturn. Uranus und Nep tun. mit den letzteren die vier sonnen nächsten: Merkur. Venus, Erde und Mars. Von jenen ist Neptun der kleinste, obwohl er an Volumen noch vierzigmal die Erde, den größten in der Gruppe der kleineren Planeten über trifft. Doch sonderbar war es; an statt auf dem Neptun einen stärkeren Druck als auf der Erde zu empfinden, erschien es mir, als ob ich mich hier so gar ein wenig leichter fühlte. Ich hatte mich doch durch genaue Information über Neptun auf die Reise vorbereitet und kannte somit seine von den Astrono men gemessene Größe ganz genau. Ich sah meine Notizen durch und nun wur de mir der scheinbare Widerspruch klar, indem ich es unterlassen hatte, die ver schiedenen Elemente, welche die Schwre auf der Oberfläche eines Weltkörpers bestimmen, mit einander zu vergleichen. Es ist ganz richtig, daß Neptun eine größere Masse hat, den er übertrifft da rin die Erde sechzehnmal. Er übt des halb aus seinen Mond eine viel stärkere Gravitation aus. Sein Mond ist von dem Centrum des Planeten nur den zwanzigsten Theil weniger als der Erd mond von seinem Umlaufscentrum ent fernt, und dennoch muß sich der Nep tunsmond in weniger als sechs Tagen um seinen Planeten schwingen, um mit seiner Flugkraft die größere An ziehungskraft seines Planeten auszu gleichen. Was aber die geringere Schwere auf der Oberfläche des Planeten betrifft, das ist hauptsächlich die Größe, in welcher die Masse sich ausdehnt das Volu men. Neptun hat fast nur den fünften Theil der Erddichtigkeit. Darum ist seine Oberfläche von dem Mittelpunkt des Planeten, in welchem die Gravita tion der ganzen Masse vereinigt ist. so weit entfernt, daß schon dadurch die Schwerkraft etwa um den zehnten Theil geringer als auf der Erde wird. Wäre die Oberfläche Neptuns ebenso weit, wie die der Erde, vom Centrum des Pla neten entfernt, so müßten auf seiner sechzehn Mal größeren Masse die Ge genstände auch sechzehn Mal schwerer sein. Aber der Planet ist so groß, daß seine Oberfläche fast 4z Mal weiter als die der Erde von ihrem Centrum entfernt liegt. Da nun mit der größeren Entfernung die Schwere quadratisch abnimmt, so muß sie auf dem Neptun geringer als auf der Erde sein. Wie schnell sich Neptun um seine Achse schwingt, das ist noch nicht durch astro nomische Beobachtung oder Messung er mittelt worden; nur mit Hilfe der Pho tometrie gelangte man zu der Rotations bestimmung von ackt lndem sich nun der große Planet in so kurzer Zeit um seine Achse dreht, ist die Wir kung der Zentrifugalkraft groß genug, um wenigstens in der Nähe des Aequators einen Einfluß auf den Druck auszuüben, d. h. der Druck gegen den Planeten wird durch dieCentrifugal kraft theilweise aufgehoben. Indem so mit der Druck, welchen mein Körper er leiden mußte, um etwa zwanzig Pfund vermindert wurde, war es selbstverständ lich, daß ich diese Aenderung vortheil haft empfand. Es war gerade die Mittagsstunde, als ich dort anlangte, denn über mir, fast genau im Zenith stand der Stern, den ich zuvor halbträumend sür die Venus ge halten hatte, der aber nichts anderes als die Sonne war. Es war allerdings eine sehr kleine Sonne, aber dennoch größer und Heller, als Venus von der Erde er scheint. Obgleich aus Neptun wegen der großen Entfernung das Licht und die Fläche der Sonnenscheibe nur etwa den tausendsten Theil dessen beträgt, wie es die dreißigmal nähere Erde erreicht, so genügt dieses Licht doch vollständig, um den Neptun hundertmal stärker zu beleuchten als der volle Mond mit seinem reslektirten Lichte die Erde. Im Ver hältniß zu Venus, von der Erde aus ge sehen. erblickt man von Neptum aus die Sonnenscheibe in einer dreißig Mal grö ßeren Fläche, als der beleuchtete Theil 'der Venus ist, welchen sie zur Zeit ihres größten Glanzes der Erde zuwendet. Die Hauptsache aber ist, daß wir von Venus nur reslektirtes Licht erhalten, während die Sonne mit eigenem Glänze auf Nekiun hernieder scheint. Während selbst Astronomen die Son ne. wie sie aus Neptun erscheinen muß. mit unserem Anblick des Planeten Venus, zu vergleichen pflegten, ergiebt sich aus den photometrischen Messungen doch eine ganz andere Beleuchtung jenes fernen Planeten. Bei uns kann aller dings zur Zeit ihres größten Glanzes die Venus auf der Erde einen erkenn baren Schatten erzeugen, wenn diese Er scheinung nicht durch Mondschein oder künstliche Beleuchtung gestört wird. Da gegen aber ist das Licht, welches der volle Mond auf die Erde wirft. 1815 Mal Heller als Venuslicht. Aber der Son nenschein. welcher den Neptun erreicht, übertrifft unsern Vollmondschein um 214 Mal. Also verliert der Vergleich mit unserm Venusschein gänzlich seinen Werth, wenn wir berechnen, daß das Sonnenlicht auf Neptun 388,000 Mal stärker als das Venuslicht auf der Erde ist. Und wenn es nicht so wäre, wie sollte es denn möglich sein, in so unge heurer Ferne von der Erde einen Plane ten zu erkennen, der doch kein eigenes Licht ausstrahlt, sondern nur erborgtes Sonnenlicht reflektirt. Im Allgemeinen, das bemerkte ich bald, sah es auf dem Planeten wenig er mutigend aus. Ein Baum, ein Strauch, ja nicht einmal eine der nie drigsten Pflanzen war sichtbar. Und doch befand ich mich ganz nahe am! Aequator. Allerdings das Sonnenlicht war nur dürftig und wenn uns die große Zahl zur Vergleichung mit dem Venus- j licht auch groß erscheint, so haben wir immer zu bedenken, daß die Sonne hier nur mit dem tausendsten Theil der Leuchtkraft, welche sie der Erde zuführt, wirken kann. Und jetzt kaum eine Stunde nach meiner Ankunft ist es schon viel dunkler geworden, denn die Sonne hat sich schon stark dem Horizont zugeneigt. Dauert es ja doch nur zwei Erdstunden von Mittag bis Sonnenun tergang. Da ist es wahrlich kein Wun der, daß unter einer so dürftigen Be-! leuchtung kein Pflanzenwuchs stattfin den kann. Und nun noch der so lockere Erdboden, wie locker hingestreuter Sand und Asche. Bei dem Anblick der so schnell nieder sinkenden Sonne wäre die Furcht vor der kommenden kalten Nacht sicher gerechtfer tigt gewesen. Aber ich hatte schon be merkt, daß dem Boden eine Wärme ent strömte, welche fast mehr als angenehm war. Woher die Wärme kam? Ja wäre ich ein verstockter Anhänger alter, einmal zur Gewohnheit gewordenen Lehren, so hätte ich mir gesagt: Die kommt i aus dem Innern Neptuns, das sich noch im Gluthzustande befindet. Aber ich > glaube einmal nicht an die Feuersgluth! im Erdinnern und auch nicht an Gluthkern Neptuns. Die fortwährende Molekularbewegung im Schichtenbau der Erde genügt vollständig, um die innere Wärme zu erklären. Wir dürfen nur dabei das Gesetz der Erhaltung der Kraft berücksichtigen, welches darauf basirt ist, daß jede mechanische Bewegung, nachdem .sie aufgehört hat, in eine gleichwerthige Menge Wärme umgefetzt worden ist. In der sechzehnmal größeren Masse des Nep tun ist die Molekularbewegung und folg lich die Umwandlung der mechanischen Kraft in Wärme viel grüßer und dadurch erklärt sich leicht die dem Boden des Pla neten entströmende Wärme. Inzwischen war die Sonne unterge gangen. Nun mußten die Sterne sicht bar werden. Aber das sah hier ganz an ders aus als in einer Erdnacht. Ich sah eine Menge Sterne, doch nur als einen Gürtel, der den Aequator zu umgeben schien. Das war sonderbar. Denn die Fixsterne können hier keine sichtbare an dere Stellung haben, als von der Erde aus gesehen. Ist auch die Entfernung! zwischen diesen Planeten sehr groß, so ist sie doch unbedeutend im Verhältniß zu den Fixsternen. Die Nichtsichtbarkeit ei nes großen Theils des Sternenhimmels mußte eine Ursache haben, die in der Nep tunsatmosphäre zu suchen ist. Ich über dachte mir die Zustände der anderen Pl?- > neten, so weit ich dieselben aus den astr?- nomischen Schriften kannte. Da war der große Jupiter, welcher eine mit Waj ferdampf erfüllte Atmosphäre hatte. Da war Saturn doch halt, ich Hab's! Ju piter und Saturn haben dunklere uno hellere Streifen, welche, parallel dem Aequator, diese Planeten umgeben. Hier, dieser Boden sagt mir, daß das Wasser Neptuns, wie das des Jupiter, als Dampf in der Atmosphäre enthalten ist. Wasserdampf macht allerdings die Luft ganz besonders klar; aber wenn sich der Dampf zu weißen Wolken verdichte!, wie sie besonders im Winter den Hoch bahnlokomotiven entsteigen, dann wird er undurchsichtig. Wie aber kommt es. daß über dem Aequator und seiner Umgebung die Atmosphäre durchsichtig ist, und wei ter nördlich und südlich nicht? Nun, sür diese Erscheinung müssen wir die schnelle Umdrehung des Planeten um seine Achse verantwortlich machen. Die Erde rotirt in vierundzwanzig Stunden, wobei sich ein Punkt am Aequator dreißig Mal schneller als ein Eisenbahnzug Ein Punkt am Neptunsäquator bewegt sich aber noch dreizehn Mal schneller.md die Atmosphären der Planeten machen d'e Rotation mit, wobei jedoch das Träg heitsgesetz sich geltend macht. Auf der Erde entsteht eine Verschiebung der Luft strömungen in der entgegengesetzten Rich tung der Erdrotation und dasselbe muß aus Neptun, aber in viel stärkerem Maße, geschehen. Indem sich die Atmosphäre mit dem Wasserdampf herum schwingt, wird der schwerere Theil, das Wasser, dorthin gedrängt, wo die Beweaung der Rotation am schwächsten ist. nämlich nach den Polen. Dagegen bleibt in der Aequatorialgegend die Atmosphäre durch sichtig. weil dieser sich am schnellsten be wegende Theil, den Wasserdampf nach Nord und Süd fortschleudert, ehe er zur Verdichtung gelangt. Konnte ich auch nicht die ganze Hälste der Hohlkugel überblicken, welche unseren Sternenhimmel bildet, so orientirte ich mich doch bald, da ich im Osten das ganze Sternbild des Orion stehen sah. Von den Sternen erster Größe wurden im Laufe der Nacht außer denen d-L „Orion" nur der Aldebaran des „Stier". Procyon des „kl. Hund" und zuletzt Regulus im „Löwe" sichtbar. Bald nach Mitternacht aber stieg im Osten der Mond herauf, ein merkwürdiger Anblick. Wenn man nicht schon zuvor weiß, wie der Neptunsmond von seinem Planeten aus ungefähr erscheinen wird, so kann es leicht kommen, daß man die Erscheinung nicht so bald bemerkt. Der Mond Nep tuns wird, ebenso wie der Planet selbst, nur von dem tausendsten Theil des die Erde bescheinenden Sonnenlichtes er leuchtet. Nun aber sieht man den Mond aus ziemlich großer Entfernung, wäh rend uns die Beleuchtung der Planeten oberfläche aus unmittelbarer Nähe entge genstrahlte. Trotzdem mir das alles be kannt war, machte es doch einen trüb seligen Eindruck, als die mattblasse Licht gest'alt des letzten Mondviertels im Osten herausstieg. Da jener Mond sich in dem fünften Theil der Zeit unseres Mondes um seinen Planeten schwingt, so erwar tete ich, daß man deutlich seine Fortbe wegung über den Fixsternhimmel erken nen würde. Denn während unser Mond im Verlaufe von 24 Stunden 13 Grad ' des Kreises fortrückt, muß jener in dersel ben Zeit 61 Grad durchkreuzt haben. Und so war es auch. Ich konnte deutlich seine Fortbewegung am Sternenhimmel von ! West nach Ost erkennen. Da der Planet ! selbst sich in dem dritten Theil der Zeit der Erdrotation, also in acht Stunden, um seine Achse bewegt, so zogen die Fix sterne dreimal so schnell von Ost nach West fort, was sich mit Leichtigkeit beob achten ließ. An ihnen aber glitt der Mond in jeder Stunde um Grad von West nach Ost vorüber. Doch der Mond zeigt an jedem Abend zwei verschiedene Bewegungen, die wir selbst auf der Erde beobachten können. Die eine ist von West nach Ost gerichtet und sie entsteht aus der Bahnbewegung des Mondes um die Erde. Wenn wir in der Nähe unseres Mondes einen Fixstern sehen und ihn mit der Stellung des Mon des vergleichen, so werden wir finden, daß dieser in einer Stunde um einen halben Grad weiter nach Osten steht. Die an dere Bewegung des Mondes ist die schein bare, welche aus der wirklichen Bewe ! gung der Erde um ihre Achse entsteht. ! Wenn wir da als Merkzeichen einen ! Schornstein oder einen Thurm in's Auge ! fassen, so erkennen wir. daß der Mond in i einer Stunde um fast 15 Grad weiter ! westlich steht. Er rückt scheinbar nach i Westen, weil derSckwrnstein oder Thurm sich mit der Erdoberfläche nach Osten dre hen. Ebenso rückt der Neptunmond, aber mit der breifachen Geschwindigkeit, aus dieser Ursache nach Westen fort. Da er aber eine viel schnellere Bahnbewegung. als unser Mond, nach Osten zu besitzt, so gleicht sich die scheinbar zusammenge setzte Bewegung dadurch einigermaßen aus. Während aber unser Mond von einer bestimmten Stunde an, im Laufe einer Erdumdrehung, also in 24 Stun den um etwa dreizehn Grad nach Westen fortgezogen ist. hat der Neptunsmond schon in den acht Stunden einer Plane tenrotation 20H Grad in derselben Rich tung zurückgelegt. Das waren die Er scheinungen. welche ich an dem blassen Begleiter Neptuns machen konnte. Die Phasen jenes Mondes entwickeln sich sehr schnell, doch läßt die Kürze der Tage und Nächte eine sichtbare Phasenänderung kaum zu. Wenn der Mond von Sonnen untergang bis Sonnenaufgang sichtbar bleibt, was ja nur vier Erdstunden dau ert, so hat sich die Phase noch nicht einmal um so viel geändert wie an unserem Monde von einem zum anderen Abend. Nach einem kurzen Schlafe auf dem lockeren und deshalb ziemlich weichenßo den erwachte ich. Die Sonne war bereits hoch über den Horizont gestiegen, fo daß sie die Hälfte des Weges bis zum Meri dian zurückgelegt hatte. Noch hatte ich mir nicht recht einen Plan für die Zu kunft auf diesem Planeten zurecht ge macht. Sollte ich eine Reise nach Norden oder Süden machen? Eisenbahnen gab es hier nicht und die bahnlosen Wege auf diesem großen Planeten waren weit. Und was würde ich dort sinden? Die ei genthümliche Art der Sternbedeckung hatte es mir zur Gewißheit gemacht, daß in jenen Zonen der Himmel bedeckt und folglich der Boden dunkel sein müsse. Wie ich noch so amUeberlegen war, wur- de es sehr schnell dunkel um mich her; aber es ging bald vorüber. Eine Wolke war vorüber gezogen und hatte mir einen Vorgeschmack dessen gegeben, was in je nen Zonen eine tägliche und dauernde Erscheinung sein mußte. Aber einen kleinen Versuch wollte ich doch wagen. Ich nach Süden zu und das Gehen machte mir Vergnügen, weil ich mich leichter als auf dem Boden derEroe fühlte. Schon nach wenigen Stunden war ich im Bereich des ewig bedeckten Himmels, obwohl von Norden aus der Äequatorregion sich noch einiges Licht verbreitete. Hier aber wurde der Boden feucht und verbreitete einen unangeneh menDunft, der mich nöthigte, sofort wie der umzukehren. Aus dem verdichteten Wolkendampf senkte sich eine nebelartige Feuchtigkeit hernieder, welche auf dem warmen Neptunsboden wieder in Dampf verwandelt wurde. Das war allerdings kein Aufenthaltsort für lebende Wesen, besonders wenn sie an die schöne, leben ausströmende Erde gewöhnt sind. Der Mond mußte heute später als ge- j stern aufgehen. Aber das ging alles schrecklich schnell. .Hätte ich nur dort den Tag in vierundzwanzig Stunden ge theilt, so wäre jeder derselben gleich un sern zwanzig Minuten gewesen. Heute mußte der Mond also noch keine Stunden, eine Zeit von etwa 27 Erdmi nuten. später als gestern aufgehen, und dann war seine Phase ein wenig kleiner als das letzte Viertel geworden. Es war kaum lohnend, darauf zu warten. Aller dings, wenn ich eine Sonnenfinfterniß beobachten könnte —, aber auch das er schien mir nicht lohnend genug, weil ja der Kontrast zwischen der Dunkelheit während derselben und dieser elenden Beleuchtung lange nicht so groß als aus der Erde war. Und wann mag eine solche Sonnenfinfterniß stattfinden? Ich mußte dabei eingeschlafen sein. Denn ich erwachte, als es Heller Tag war. Was. so hell? und gar ein Bett, in dem ich erwache? Ich bin doch aus dem Neptun, habe doch seine Sonne und seinen Mond gesehen. Draußen im Speisezimmer schlägt es sieben Uhr. Nur schnell hinaus, damit Niemand et was von meinen Phantasien gewahr wird, denn ich habe noch immer genug an dem Spott und Hohn, die ich ertragen mußte, als ich vor zwanzig Jahren vom Mars zurückkehrte. Aber schnell will ich niedersch.eiben. was ich gesehen habe, und meinen Lesern es so darstellen, als hätte ich das nur so meiner Phantasie entnommen. Sie brauchend ja nicht zu wissen; aber ich weiß.daß ich wirklich auf dem Neptun gewesen sein. Oder bilde ich's mir nur ein? z!ie silberne Mir. Erzählung von A. Fromme. In der kleinen Vorstadtstraße stan den die Frauen in der Hausthüre und sprachen miteinander: „Ob sie wohl bald kommen? Und wie sie auss/hen mag? Ungeheuer reich und vornehm soll sie ja sein, da ist es doch ein Wunder, daß sie nicht zu stolz ist, die Winkler. die doch nur eine arme Schusterstochter ist, zu besuchen und wenn sie zehnmal ihre Schwiegermutter ist. Wenn man denkt, daß die Alte einen Professor zum Sohn hat! So etwas erlebt man nicht alle Tage und die Ehre eines solchen Besuches wird unsereinem nicht blühen!" Die beneidete Wittwe Winkler ging unterdessen in nicht unbeträchtlicher Auf regung in ihrem Zimmerchen hin und her. strich immer wieder das weiße Tisch tuch auf dem Kaffeetisch glatt, rückte an den Tassen, zwei vergoldeten mit Rosen bemalten und einer einfachen weißen, jagte die Fliegen von dem Zuckerschälchen und dem Kuchenteller sort und glättete zur Abwechselung ihr grauwollenes Staatskleid und die Bänder ihrer Hau be, die ihr gutes, altes, runzeliges Ge sicht einrahmte. Es war ein hochwich tiger Tag für sie. Ihr Sohn, ihr Stolz und Abgott, der sich, von ungewöhnlicher Begabung und rastlosem Fleiß unter stützt, eine angesehene Stellung und ei nen Ruf in der Gelehrtenwelt erworben hatte, der Professor Fritz Winkler, führte ihr heute nach zweijähriger Ehe, zum ersten Male seine junge Frau zu, eine schöne Dame aus angesehener Familie. Sie hatte sich aus falscher Scheu gewei- gert, zur Hochzeit zu kommen, und da der Sohn an einer Universität des Aus- landes lebte, war ihr auch der Weg zu i ihm zu beschwerlich. Das Herz schlug der alten Frau hef tig. als sie Schritte die Treppe herauf kommen hörte, einen festen, männlichen Schritt, den sie sofort erkannte, obgleich sie ihn seit Jahren nicht gehört hatte, und einen anderen, leichten. Sie konme kaum „Herein" rufen, als es klopfte, und nun trat das Paar ein: ein stattlicher Mann mit einem klugen, edlen Gesicht ! und eine elegant und vornehm aus sehende Dame. „Hier bringe ich dir meine Frau, Mutter," sagte der Pro- fessor. Die alte Frau knixte, sie wagte heute nicht wie sonst, den Sohn zu umarmen, er kam ihr so fremd vor. neben der schö nen Fremden. „Guten Tag, lieber Sohn," sagte sie und litt es verschämt, daß er sie auf die Wange küßte. „Seien Sie mir schön willkommen, gnä —". zur ! rechten Zeit fing sie einen warnenden ! Blick von ihrem Sohne auf und verbes serte sich: „meine Liebe. Es ist so 'hübsch von Ihnen, daß Sie mich be j suchen. Wie geht es kleinen Harry?" Der fremdartige Name kam ihr unbeholfen über die Lippen. „Ich danke Ihnen, liebe Mama," sagte ! die Schwiegertochter freundlich. „Wir haben ihn ganz wohl und in bester Obhut verlassen." Mit verlegenem Lächeln und Hände reiben führte Frau Winkler ihre Gäste an den Kaffeetisch, holte die Kaffeekanne aus der Küche und begann einzuschenken und zum Zulangen zu nöthigen. Ein ordentliches Ge>spräch aber wollte nicht in Gang kommen. Der Professor beobach tete von der Seite die Mutter, die ihm heute gar nicht so recht gefallen wollte wio sonst; die junge Frau sah sich mit großen, kühlen Augen in der Umgebung um, die sie ganz fremd anmuthete, und die Alte betrachtete ängstlich und ver stohlen die Beiden. Endlich sah der Professor nach seiner Uhr und stand auf. „Ich habe, wie Ella weiß, einen Kollegen aufzusuchen. Ich lasse sie dir hier, liebe Mama, in einer halben Stunde bin ich wieder da." Die Augen der jungen Frau baten: „Nimm mich doch mit." aber der Mann lehnte mit kaum merklichem Kopfschüt teln ab; er ging und die beiden Frauen blieben allein. Die junge Frau sah sich im Zimmer um und bemühte sich, einen Gegenstand zu entdecken, an den sich eine Unterhal tung knüpfen ließe. Es war aber gar nichts da, nicht einmal ein Bild. „Haben Sie kein Bild von Fritz aus seinen Knabenjahren?" sragte sie. „Nein," entgegnete die alte Frau. „Dazu hat es nie gereicht. Mein gu:c? Mann starb ja, als Fritz kaum zwei Jahre alt war; und was solch ein klei ner Kerl an Kleidern und Stiefeln zer reißt, bis er groß ist, das ist gar nicht zu glauben. Da verbieten sich alle über flüssigen Ausgaben. Aber wenn es Ih nen Vergnügen macht, etwas aus feinei Kinderzeit zu sehen, da habe ich man' cherlei." Sie öffnete ein kleines Schränk chen. „Das habe ich alles verwahrt, sehen Sie es sich an, bitte." Die junge Frau betrachtete ein Stüci nach dem andern, weniger weil di Sachen sie interessiren. als um die Zeit schicklich hinzubringen. Es war nichts besonderes da: .Hefte, mit mehr oder lveniger kindlichen Schrulligen gefüllt, Schulbücher, welche die sorgsame Hand der Mutter nochmals zusammengeheftet hatte, einiges billiges Spielzeug, Defoe's Robinson. „Von meiner lieben Mutter, Weihnachten 1868", las Frau Ella halblaut. „Das ist das einzige Lesebuch, das ich ihm habe schenken können," sagte die Mutter, welche ab und zu ging. „Doch jenes Bilderbuch kauste ich ihm, als er am Scharlachfieber krank lag, es hat ihm viel Vergnügen gemacht." „Was ist das?" fragte die Schwieger tochter und nahm ein in Seidenpapier gehülltes Päckchen heraus. Sie öffnete es. es enthielt eine silberne Taschenuhr von achtbarem Umfang. „Hat ihm die auch gehört? Sie ist ganz neu, wie?" „Ich hatte sie für ihn gekauft", sagte die Wittwe Winkler zögernd, und von einem fragenden Blick der jungen Frau ermuthigt, fuhr sie fort: „Sehen Sie. er war schon auf der Universität und hatte noch keine andere Uhr, als eine ganz alte, schlechte, die sein Vater schon von seinem Vater geerbt hatte, ein Ding wie eine Butterbüchse." Sie lachte ein wenig. „Da sagte ich mir: das geht nicht so. eine ordentliche Uhr muß er haben, und ich überlegte, wie und wo ich das Geld dazu sparen konnte. Mein Sohn brauchte nichts mehr von mir, er hatte Stipen dien und gab Unterricht, folglich durfte ich nur an mir selber sparen, und das war ja leicht; aber es konnte nur sehr wenig auf einmal sein. Indessen mit der Zeit hatte ich doch das Geld beisam men und konnte die Uhr kaufen, die ich > mir längst bei dem Uhrmacher ausgesucht hatte. Ich erwartete meinen Sohn zu den Ferien, um ihm zum Empfang die Uhr auf den Tisch legen, zwischen Blu men, daß sie sich recht hübsch ausnahm. Aber er kam einenTag früher, als ich ihn erwartete, und das war gut für uns beide, denn im Gespräch zog er eine Uhr aus der Tasche, eine viel schönere, zierlichere als diese, mit goldenem Rand, und wie ich ihn verdutzt ansah, lachte er über mich und erzählte, daß er für eine gelehrte Arbeit einen Preis bekommen habe, der liebe, gefcheidte Junge! und für einen Theil des Geldes hatte er die Uhr gekauft." „Und was wurde aus dieser?" frug Ella. „Gar nichts", antwortete die alteFrau einfach. „Ich sagte nichts davon, es hatte ja keinen Zweck mehr." „Aber warum denn haben Sie —" „Warum ich sie behielt? Zuerst schämte ich mich, sie dem Uhrmacher zurückzu geben, dem ich so viel von der Freude vorgeredet hatte, die mein Sohn daran haben würde. Dann aber war sie mir lieb geworden. Sie glauben nicht, wie viele Freude ich an jeder Kleinigkeit hatte, die ich zurücklegen konnte, und wie glücklich war ich erst, als ich sie kaufte! Wohl zehnmal des Tages legte ich sie mitten auf den Tisch und malte mir sein Erstaunen und seine Freude aus. Nun. das war dumm; aber es kam noch etwas hinzu. Sie hat mir damals gesagt und sagt mir immer noch, was die Glocke geschlagen hat, ich meine, daß die Zeit herum ist, wo ich etwas für meinen lieben Sohn thun kann, daß er mir ganz aus den Händen gewachsen unü mir weit vorausgegangen ist, und daß ich ihn nie mehr einhole. Sie thut mir jetzt gut, wo ich sie sehe", fuhr die alte Frau mit unsicherer Stimme sort. „Denn wissen Sie, es ist ein eigenes Ding, wenn man den Sohn, der einem, als kleines Kind wenigstens ganz gehört hat, an der Seite einer ganz Fremden sieht und sich sagen muß: ver gehört er jetzt." Sie machte sich im Zimmer zu schaffen und redete dabei weiter.' „Mit Ihnen wird das ganz anders sein, Sie sind eine schöne, vornehme, kluge Dame, l und wenn Ihr kleiner Engel eines Ta- ges ein Mann geworden ist und Ihnen > seine Braut bringt, so wird sie, mag sie ! selber noch so vornehm sein, zu Ihnen aussehen und stolz ar;f Sie sein." ! Die junge Frau hielt noch immer die Uhr in der Hand, aber diese Hand zit j terte, sie suchte nach Worten, und endlich kam es schüchtern über ihre Lippen: „Ich habe meineMutter sehr srüh ver loren und bin wohl noch nicht lange ge l nugMutter, um ganz zu wissen, was da ! heißt. Aber wenn Gott mir meiner I Kleinen erhält, so wird auch er einei > Tages meinen Händen entwachsen sein l und ich werde dann nicht wie Tu das Recht und den Trost haben, mich auf di Erinnerung an ein selbstloses ! gebrachtes Leben zu stützen. O liebe, ! liebe Mutter, wie reich bist ! Du einen an Deinen Sohn . oergeben konntest!" ! Sie sprach die letzten Worte schluch zend an dem Halse der alten Frau. ! „Du liebe Zeit", sagte diese und wischte sich die Augen, „was ist darüber denn groß zusagen! Ich bin ja seine , Mutter, und Sie nein, ich oerstehe ! Tu bist ein prächtiges, liebes Herz. Jetzt ! aber höre auf zu weinen, was soll der i Fritz sagen, wenn er uns in Thränen findet? Das kennt er von mir gar nicht." j Als der Professor nach weit mehr als ! einer halben Stunde eilig ins Zimmer trat, fand er die beiden Frauen mit hei term Gesicht vor demSchränkchen sitzend. „Sie hat sich alles angesehen. Fritz", > rief die Mutter, „und Deine ersten Schuhe habe ich ihr schenken müssen." „Ja, und für Dich habe ich ein Ge schenk", sagte die junge Frau mit einein lächelnden Blick auf ihre Schwiegermut ter und schob die Uhr in die Tasche; „ein Geschenk, das ich Dir Abend geben werde, wenn wir beide allein sind; an ders will das die Mutter nicht. Da wirst Du erst einsehen lernen, Du ge dankenloser Sohn, was Du an ihr hast."