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4 Der Girnkler. ? ? Von Hugo SaulnS. V ü—ooo—oo-oc>oooooä Im bunten Gauklerkleide Aus Sammt und Heller Seide So tret' ich vor euch hin. Mit meinem Korb voll Worten Beweis ich allerorten, Daß ich ein Künstler bin. Die Worte stehn, ihr Lieben. Auf Kugeln aufgeschrieben Bon Farben aller Art. Nun seht auf meine Hände, Ich wähle draus behende Stets Farben, gleich gepaart. Mit meinen raschen Griffen Nicht gleich euch zu verblüffen, Nehm ich erst zwei und zwei; Ich werf sie in die Höhe Und prüfe erst und sehe, Ob ich bei Stimmung sei. Noch nie so gut, wie heute! Nun merkt auf mich, ihr Leute, Schaut meiner Bälle Schatz! Aus ellier Hand zur andern Seht durch die Luft sie wandern Und wechseln ihren Platz. Nun fliegen zehn, nun hundert; Je mehr ihr euch verwundert, Je sich'rer meine Hand! Sie kommen hoch im Bogen Zur andern Hand geflogen, Und keins fällt in den Sand. Von all dem Kugelschwirren Will's vor den Augen flirren, Und Schwindel faßt euch an? Ich bitt euch, schaut genauer! Euch faßt ein Wunderschauer, Ihr seid in meinem Bann! Ihr hört die Kugeln singen, Ihr hört die Bälle klingen, O, wundersüßer Klang! Ein Zauber in den Lüften! Vor Farbe, Klängen, Düften Wird euch die Seele bang! Bewundert meine Stärke! In solchem Feuerwerke Bin Meister ich allein! Steht, lauft mir nicht von dannen! Die Seelen zu entbnnnen. Kassier' ich Groschen ein. Ihr wollt auch Sinn beim Spiele? Entfesselte Gefühle, Ein lyrisch Dichterlied? O. Undank ohnegleichen! Wahrhaftig, sie entweichen! Und ich bin matt pnd müd! Opfermut. Erzählung aus drr Gegenwart von Wilhelm Arminiue. Also, gnädige Frau Edelgard, was den Burkhard Gundling vom Howe anbetrifft... Wehren Sie, bitte nicht ab! Sie stehen selbst völlig unantastbar da. Sie haben nicht nach ihm gefragt! Ich stelle das ausdrücklich fest. Und wenn ich in Ihren werthen Zügen so etwas wie Melancholie oder Rührung ... Doch, mit Verlaub, ich seh' da ge rade die Marie. He, Schwester Marie, mein Andenken an den belgischen Chas seur ist mobil geworden. Die Kopf binde bitte, ja?... Wie? Sie, ver ehrte Frau, verstehen dergleichen auch zu behandeln?!... Nun Ihre leich ten Finger lassen beinahe daraus schließen... ich glaube fast... in der That. es geht! Es geht faktisch!... Na, dann, Schwester Marie, ich danke, danke vielmals! Ihnen bleibe ich ja noch! Der Granatsplitter im Knie, nicht war? Wer wird auch mich alten Junggesellen hier fortholen? Privat pflege ist nur für Auserwählte des Herzens. Aber wunderbar das Ganze... Frau Edelgard als Ange hörige vom Rothen Kreuz in Feindes land ... weiß eine Binde zu behan deln, wie früher eine Ananas ... und muß mich, ausgerechnet mich als erstes Objekt unter die barmherzigen weißen Fingerlein bekommen! Soviel Lärm um nichts, wie, schöne Frau? .Wo soviel Bessere darauf warten, Bekannte aus jenen holden Tagen in Ostende auf den Boulevards von Brüssel... Ja, vor sechs Wochen, meine verehrte Fra, das Dutzend von glänzenden Verehrern... an ihrer Spitze der Herr Gründlich vom Howe mit seinen Dua litäten ein deutsches Wort reicht da nicht aus man spreche: mit sei nem Fond von Solidarität... Wer kann neben dem auch in der Wert schätzung einer gewissen verehrten Dame bestehen! Wenn ich mir in schüchternster Bescheidenheit erlaubt hatte, die Dneue des exquisiten Schwarms zu bilden, das Flirtge triebe ein bißchen aus der Ferne zu be obachten, zu studieren, zu kritisieren es war schon zu viel der Keckheit. So ein überlästiger Minenspäher, ein arg listiger Spötter, oder wie nannte Ihr schöner Mund doch den Ueberzähligen, Lästigen? Kumpan des Bösen! Der hatte nichts mit den Auserlesenen sel ber zu schaffen! Die Blicke damals puh! Hab' ich's denn so arg ge macht? Verehrte gnädige Frau! Auf den Knien würde ich rutschen notabene ohne den Granatsplitter Ihre Verzeihung erflehen! Ihre Ver zeihung! Aber darf ich denn noch überhaupt um die betteln?... Sie kennen ia meine ganze Teufelei noch Des Landwehr in annes Hcrrenp a r t i e. „Feldpost karte: „Lieber Bruder Walter! Die herzlichsten Grüße von unserer Her- nicht völlig! Wollen Sie alles hören? Ja?! Ich bin gerade in der rechten Beichtstimmung und wenn Sie auch nicht wie ein Pater dreinschauen der Name des Herrn Gründlich oder Gundling mit den Dualitäten, der hat's gemacht... Hinter Namur ist's gewesen Dragoner und Ulanen sind zusammen auf den Feind losgelassen. Neben mir der Ulanenoffizier der Herr mit dem Fond der Herr vom Howe zeigt mit der Plempe nach irgend einer Gegend rechts und schreit mich an: „Ans den Busch da müssen wir zu!" Ich sehe, er hat recht, wir würden den zermürbten Haufen voll ends zertheilen. Aber mein Teufel kitzelt seinen Kumpan: „Schwadron links, schiycnkt" geht mein Kommando an die Dragoner, und nun hab' ich mich richtig durchzusäbeln durch das Gros der belgischen Feindesrotte, und die Teufelsbrut wird zäher, je weiter meine Brave eindringen. Aber wie wir dann glücklich nicht mehr ein noch aus wissen und also gehörig im Wurst kessel drmsitzen, wer schreit mich da zum zweitenmale an? Der edle Ritter vom Howe. Ist mit all leinen Duali täten, seinem Fond von Solidität auf einmal neben dem Leichtfuß und wirft mir bloß so einen Seitenblick zu als wie: „Dummer Teufel, mit Deinem Ungeschick!", daß mir alle meine Sün den gegen ihn am Duai von Ostende und auf dem Boulevard von Waterloo einfallen, ich aber auch die Sonne jener Glanzzeit vor mir leuchten sehe und in mich gehe... alles unter mörde rischestem. wütendstem Dreinhauen auf das belgische Pack... Ja... lächeln Stie nicht so melancholisch, gnädige Frau... ich hab' daß wirklich ge konnt... auf Ehrenwort das Ehrenwort eines Kumpans des Bösen! „Elender Knabe", hab' ich mir zuge schrien und mit gehörigem Schenkel schluß und Säbethieb nachgeholfen, „du hast sie ja gar nicht verdient ge habt, di: l-errliche Zeit des sorglosen Schlenderns am Meeresstrand! Die be —se—ls— gcndc Nähe darf ich poetisch werden, gnädige Frau? Aber lachen Sie doch! Gso: die beseli gende Nähe unseres Zentralgestirns! Aber hab' ich weiter gedacht ist denn der Herr mit den Dualitäten wirklich verdienstvoller nach dieser Seite hi? Und bloß weil er mich bei Ihnen ausgestcchen hat, Gnädigste, nein, weil er mich auch noch dazu vor der schmachvollen Teilnahme an der Zahl der „Vermißten" bewahrt gehal ten, und werfe ich denn nun so beim Einhauen einen fürchterlichen Haß aus ihn, verwünsche seine Nähe und hätte ihn sicher gelassen, wenn das bei der drängenden Masse von Tier- und Menschenleibern nur gegangen wäre! ... Nun dürfen Eie aber"kelne um-' florten Aeuglein bekommen. Frau Edelgard, über mein allzu böses Herz, denn zum Teufel, dem unerwünschten Herrn ging es- verwünscht gut! Und wenn unsere Schar auch kleiner und kleiner wurde; wir waren nebeneinan der und blieben nebeneinander, hart Sattel an Sattel. Ja... und dann ... hier merlte ich doch etwas von sei nen Dualitäten. Denn peinvoll zu sagen der Schwerenöter hat mich schließlich vor der Gefangenschaft be wahrt. Er hieb mich, einfach glanz voll tapfer, aus den feindlichen Chas seurs heraus, blieb selber heil und gesund und verschaffte mir die Freude, Ihnen von seiner Bravour erzählen zu löi'.nen, als von einem... Wie? Was? Einem schön erdachten Mär chey! sagen Sie?... Aber potz auch! So ungläubig? Und nun gar Tränen an den Wangen?!... Ja... verehrte Frau... als Angehörige vom Noten Kreuz Püffen Sie doch etwas stärker Nerven ... Nanu? Den Zeitungswisch hier soll ich lesen?... Ist's eilig?... Wirklich hochgradig eilig?... Na... geben Sie!... Also! Mit Genehmi gung des Kommandanten der Marken ... Ist's das nicht? Hier?! Aha .. Gefecht bei Namur... Ein Helden stücklein... Rittmeister von Brünneck verstand es, mit einer Handvoll Dra gonern die schon umzingelte und auf gegebene Ulanenabteilung unter Kom mando des bekannten Herrn G. von Howe freizumachen, unter schwersten, eigenen Gefahren den gestürzten Of fizier herauszuhauen und vor der Ge fangenschaft zu bewahren. Hahaha! Zum Lachen das! Aber beste, g-nädigc Frau, glauben Sie doch das nicht... Wie? Sie sagen, Sie hätten meinen Augen immer, mehr vertraut als mei nen Worten?! Ja dann halten Sie das Gedruckte hier womöglich für echt? ... Das aber... das... das stellt ja meine ganze Geschichte auf den Kopf? So meinen Sie, ich hätte damals in der schwersten Not meines Lebens an Sie gedacht, an Ihren tiefen Kummer, wenn jener Herr mit seinen Dualitä ten im Kriege übel abschnitte? Hätte das sogenannte Heldenstücklein für Sie gethan?!.., Ja, mein Gott, dann aber würden, Sie ja annehmen, daß ich... Sie... liebe... liebe mehr denn mein Leben?!.... Und Sie? Sie selber?... Wie? Frau Edelgard, ich! den Herrn mit den Dualitäten? Den anderen... den Spötter... still im Herzen getragen?... Schon damals und auch jetzt noch? Den zerhauenen Invaliden?... Und entführen wollen Sie ihn in Privatpflege?... Aber dann lsiitte ja... Frau Edelgard, liebe Frau Sis du er ich ja denn! Ja! Schwester Marie, Hurra, ich komme in Privatpflege! renpartie. Jetzt werden wir uns nach Paris ansehen und die Franzo sen imsere bekannten Hülseiisrüchte schmecken lassen. Tie Belgier haben Ter Teutsche Korrespondent, Baltimore, Md., Sonntag, den 10. Januar 1918. Der „Brief." Eine NeujahrSrrzählung von K. L. Die Dämmerung lag bereits über der Stadt, als Dagobert Röhrborn aus der Bahnhofshalle trat und, eine Operettenmelodie pfeifend, die sechs Stufen hinunter schritt, um den kurzen Weg nach seiner Jung gesellenwohnung zu Fuß zurückzu legen. Er kehrte gerade von der Weihnachtsfeier im Elternhause zu rück. Trotz des ziemlich schweren Handkoffers, dessen Last ihm unge wohnt war, lehnte er die Hilfe eines nickelsüchtigen Buben ab. Und das hatte seine guten Gründe; denn in seiner Börse war eine schreckliche Ebbe. Die Reihe daheim, die zu beschenken ihm ein frohes Bedürfnis gewesen war, durfte sich sehen lassen! Und er hatte nickt geknausert! Dann zeigten sich allerlei'Nebenkosten, für die ihm vorher' Vk?" Ueberschlag gefehlt; die Reise selbst forderte auch ihr Sümm- gut: er hatte sich tat sächlich bis guf den letzten Nickel aus gegeben, nls-^dris' niedliche kleine Me- ai seiner Uhrkette aus einem Schaufenster der Heimatstadt in sein Eigentum übergegangen war. Ein Präsent, das er sich selbst machte, um ein kleines blondes Löckchen darin un terzubringen, das als eine Art Talis man mit ihm auf die Reise gegangen war. Es hatte ein paar Tage vor dem Fest noch hinter einem feinen rosi gen Mädchenohr gesessen, das über den plötzlichen Frevel des kühnen Räu bers dunkelrot geworden war. Unv erst als Fräulein Jngeborg sich durch scheuen Umblick nach dem Flügel hin überzeugt hatte, daß ihre Cousine und deren Partner weltvergessen in der „Götterdämmerung" herumfingerten, war ihre Hand unter dem reizenden Vorwand, ihn zu strafen, Über die seine hingeglitten und dort natürlich gefangen genommen worden. Dieses schlanke Fräulein Jngeborg aber erwartete ihn heute Abend um acht Uhr auf der Strandpromenade. Sein Herz sing an zu tanzen bei dem Gedanken. Er war ei Glückspilz. Das war nicht zu bestreiten. Denn so schön und anmutig und dabei ge scheit und wacker war keine von allen denen, die ihm bisher begegnet auf seinem Lebenswege. Ob sie eine nen nenswerte Mitgift hatte oder nicht, war ihm unbekannt. Aber sic war die Nichte seines Brotherrn. Und man würde ihr zuliebe ganz sicher eine Stellung in dem großen Fabrikbetriebe für ihn finden, die leinen Fähigkeiten entsprach "n'nh sich aller Existenzfragen elender Art überhob. Der alte Fa brikherr war freilich ein ziemlich ver schlossener, grüblerischer Mensch, bei dem man nie wußte, ob man sich sei ner Zufriebenbeil erfreute oder schlecht angeschrieben stand. Aber hatte er nicht immer gewis senhaft seinen Posten ausgefüllt und manchmal auch über seine Pflichten hinaus gearbeitet? Ein einziger klei ner Vorfall nur machte ihm Sorge. Kurz vor den Weihnachtstagen hatten sie im Konto, zusammengestanden. Chemiker, Kassierer und Buchhalter. Da hatte er die Frage getan, wie der Chef es eigentlich zu Weihnachten halte, und auf die betrüoeude Auskunft hin, daß der alte Wellmann vo Weih nachten keine Notiz nehme, ein bißchen kecker als sonst bemerkt: „Js aber 'ne sehr nette Einrich tung. seinen Mitarbeitern eine kleine Festfreude zu machen. Das dürfte der Alte sich eigentlich angewöhnen!" Gerade da hatte dieser selbst in der Tür gestanden und mit einem schar fen Blick auf ihn geäußert: „Ich glaube, meine Herren Mitar beiter tuii besser, sich mit meinen An gewohnheiten, wie sie nun einmal sind, abzufinden!" Konnte ihn der kleine Zwischenfall so verdrossen haben, daß er ihm gram darum geworden war? „Unsinn!" dachte übermütig Dagobert. „Wes halb sollräckp denn auf einmal ein Pechvogel sein? . . . Da, riest ihn aus dem Halbdunkel eine -GtiiÄne Un?' „Guietz7Ak>eiids Röhrborn. Und gleich Prost Neujähr! Sie kommen, und ich muß abdampfen. Schöner Stunden auf der EisessoüM' 'MKmicht einmal Speise wagen!" " Das war ein Chemiker aus seiner Fabrik, der an jenem Tage mit in der Gruppe gestanden hatte. „Wo wollen Sie denn hin, Herr Doktor?" „Ich soll mich vorstellen morgen in Frankfurt!" „Gehen Sie denn fort von uns?" „Bin gegangen worden. Vorge stern brieflich Kündigung Erhalten. Na, ich hatte es sowieso satt und werde mich wahrscheinlich enorm verbessern. Nur die Reise heute ärgert mich!" Sie schüttelten sich die Hände, und dann setzte jeder seinen Weg fort. Da gobert Röhrborn ein klein wenig ner vöser und nachdenklicher als vorher. Als er in seiner Wohnung anlangte, griff er hastig nach den aufgesammel ten Briefen und sah die Absender-Auf drücke durch. Dann atmete er befreit auf. Gott- sei Dank, es war keiner von der Fabrik darunter. Gleich darauf aber kam die Wir sich schon ihren Magen daran ver dorben. Sie bekommen, so viel sie gebrauchen. Vielleicht schaue wir uns auch London an." tin und sagte, der Briefträger habe schon ein HVlbeS Dutzend mal nach ihm gefragt. Er müsse etwas für ihn abgeben, was er zu unterschreiben habe. Ja,! ja," unterbrach Röhrborn ihren Wortschwall, von einer asch grauen Enttäuschung überflutet, „es ist ein eingeschriebener Brief. Ich weiß schon!" Und er winkte ihr zu, daß sic ihn allein lassen möchte. „Also doch!" murmelte ex, als sie hinaus war. „Also doch!" Und fin ster starrte er durch die Scheiben in den Abend hinein. Endlich kam der Postbote und brachte ihm den Brief. Es war, wie er gefürchtet hatte, einer vom alten Wellmann. Groß und breit stand es oben quer aufgedruckt: „Well mann-Werke. Gelzenberg. G. m. b. H." Seine Handschrift war es oben drein. Die Sache war also richtig. Er unterschrieb und schob den Brief dann in seine Brusttasche. Die Stimmung war ihm verdorben. Pfui Teufel, was für ein häßlicher Sylvesterabend! Und was sollte er der holden Jngeborg sagen? Wann, wo und wie baute sich eine neue Zu kunft für ihn auf? Gleichwohl zog er sich um und ging eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit auf die Strandpromenade. Und nun pendelte er auf der lan gen Allee an dem silbern aufleuchten den Strom hin und her, immer mür rischer und verstockter werdend. Denn auch hier geschah, was er zuvor schon gedacht hatte: es schlug acht und halb neun. Es wurde neun und noch später. Sie kam nicht. Bald nach zehn Uhr langte er wie der daheim an, durchfroren, vcrgrollt und höchst unfestlich gestimmt. „Guten Abend, Röhrborn!" klang eine Stimme vom Ofen her. „Wo stecken Sie bloß, Mensch? Wir dach ten, Sie hätten den Zug versäumt und kämen erst morgen. Aber Ihre Wir tin gab dem Boten Bescheid, daß Sie gegen sechs zurückgekommen seien. Al les wartet auf Sie, haben Sie denn die Einladung nicht bekommen?" 'Es war Klaus Winzer, der Ver lobte Käte Wellmanns, für den er eine ehrliche, aber etwas scheue Sym pathie im Herzen hegte. „Eine Einladung?" „Zur Sylvesterfeier bei Well manns!" „Nein! . . . Wenigstens . . . Das heißt . . ." fing Röhrborn an zu stot tern. „Ja, was also?" „Einen eingeschriebenen Brief habe ich bekommen!" „Und darin steht nichts davon?" „Ich habe ihn noch nicht gelesen. Ich hielt ihn für'eine Kündigung!" „Ach, "du lieber Gott, Sie alte Unke!" lachte Klaus Winzer vergnügt und schlug dem Verduzten auf die Schulter. „Wellmann —und Ihnen kündigen? Rein vernarrt ist er in Sie! Das heißt: momentan spuckt er ja geradezu Galle. Aber das legt sich wieder! . . . Vorwärts jetzt, daß wir endlich landen und der Abend nicht ganz und gar in die Wicken geht!" „Ich muß nur noch schnell meinen Brief lesen!" rief Dagobert Röhrborn kopfschüttelnd. „Eine Sylvestereinla dung eingeschrieben? Das ist doch wirklich etwas auffällig!" Aber als er das Couvert auf schlitzte und ihm dabei drei neue Hun dertmarkscheine in die Hand gerieten, wurde ihm die Sache fast noch rätsel hafter. Erst die Zeilen von Well manns Hand auf der Rückseite der Einladungskarte klärten ihn auf. „Ich habe es mir überlegt, lieber Röhrborn," stand da in seinen marki gen Schriftzügen zu lesen; „ich will es mir doch noch angewöhnen . .." Der verspätete Gast wurde mit fröh lichem Halloh empfangen. Als er dem Hausherrn seine Entschuldigung ge stammelt hatte, rief dieser aufgeräum ter und heiterer, als es sonst in seiner Art lag: „Wie? Sie gehen spazieren, ohne die Post vorher gründlich durch zusehen? Das finde ich im höchsten Grade unzuverlässig. Jngeborg, was meinst du zu dem Fall?" Worauf er die Beiden allein ließ. „Unzuverlässig war heute Abend jemand anders, Fräulein Thorsten berg! Ich war bis nach zehn auf der Promenade!" „Und ich hatte doch das Recht, Sie hier zu erwarten. Herr Röhrborn!" flüsterte sie lächelnd. „Ja, dort hätte ich aber ganz an ders mit Ihnen reden können, Inge borg!" murmelte er kühner. „Denn ich liebe Sie, Jngeborg, ich ... ich ..." „Still jetzt, ganz still, Sie schlimmer Mensch!" „Ich will aber nicht!" „Dann lasse ich Sie hier stehen und kümmere mich den ganzen Abend nicht mehr um Sie!" „Und ich zeige allen Leuten ein Me daillon mit einer Locke!" „Die Sie mir gestohlen haben, Sie Taugenichts!" Als die Neujahrsglocken über die Stadt hindröhnten, stand Dagobert mit Fräulein Jngeborg noch eine Mi nute länger auf dem Balkon, als alle die übrigen. Wie sie aber in den lich tcrfliminernden Saal zurück traten, leuchteten ihre Augen, und Jngeborgs Wnacn glühten, von einem glückseli gen Lächeln verschönt , . . Eros hatte seine erste Botschaft im neuen Jahre darauf—eingeschrie ben! .. . Zn spät. Herr Schwammerl macht eine Bergpartie und muß zu seinem grossen Aerger imchrnehmen. dass die sonst Prachtvolle Aussicht Das erste Honorar. Eine Geschichte aus der Boheme von Theodor Ebner. Kinder, eigentlich war's doch die schönste Zeit, als wir kein Geld hatten, Denkt doch mal an unsere famose Kneipecke im Kaiserhof! An die fesche Pepi, die uns einen geradezu unheim lichcn Kredit gewährte. Und ein künst lerisches und literarisches Verständnis hatte das Mädel alle Achtung. Na türlich. daß sie jeden von uns dutzte! Das Recht hatte sie! Gefährlich war sie keinem von uns mit ihren vierzig und etlichen Jahren und ihren aber nein. Diskretion ist Ehrensache, und Pepi ist tot lange tot. Also: ehr furchtsvolles und dankbares Schwei gen! Na ja! 's ist mir manchmal, als sähe ich die ganze fidele Korona noch vor mir. Da saß Jose der Mime und Ferdinand der Journalist, Fritz der Tenor und Peter der Kritikus und so viele Andere, und das schwatzte und lachte und stritt und rauchte durchein ander. Und es galt für eine Ehre, in diese Tafelrunde zu kommen, und die Gäste im Kaiserhof ringsum schauten mit Neugierde zu uns herüber zu uns, die wir an manchem Abend kaum so viel Mammon in der Hosentasche hatten, als einer dieser behäbigen Spießbürger für seinen Schoppen. Das heißt, und damit komm ich aus meine durchaus wahre Geschichte, wir hatten einen unter uns. einen lieben, guten, stillen Kerl. Der war immer bei Kaffe! Und immer mit Gold! Nobel, nicht? Und war doch einer der Aermsten unter uns, weil er ein Dich ter war und nicht um schnöden Lohn arbeitete. Lieber hungern und frieren, sagte er. „Er hat einen Klaps," sagte Adols der Maler. „Und was für einen," stimmte Lud wig, der Klaviervirtuose, hinzu. „Sonst trüge er nicht an seiner stäh lernen Uhrkette ohne Uhr alleweil sein silbergefaßtes Zehnmarkstücke! mit her um." „Er ist halt ein Protz," brummte Willy, der Geiger, und drehte sich rasch um, als ihm einer die Hand auf die Achsel legte, einer, an dessen Uhrkette wahrhaftig besagtes Goldstück bau melte. „Meinst du?" sagte der Träger die ses seltsamen Schmucks, und rückte sich mit leiscm Lächeln seinen Stuhl zu recht. 's war doch eine etwas bänglich Pause, die nun entstand. Verlegen sah einer auf den anderen. ~M'g i,"''Krümmte endlich Uölph und griff hastig nach der Speisekarte, mit der er sich doch sonst aus guten Gründen niemals abgab. Derweilen wandte sich unser blonder Hermann der geneigte Leser ge statte. daß ich ihm den Helden meiner Geschichte unter diesem Namen vor stelle von einem zum anderen. „So," sagte er endlich, „ein Protz bin ich? Gut! Ich laß mir's ge fallen. Aber wißt Ihr auch, Kinder, was dieses Goldstück ist?" „Nee," sagte Ludwig, und atmete dabei auf, als könnte er mit dieser klassischen Antwort unserer aller Ver legenheit einen kräftigen Fußtritt geben. „Kann's mir denken," nickte Her mann. „Fallt nur nicht auf den Rücken. Aber es ist totsichere Tat sache: Es war mein erstes Honorar." Wäre in diesem feierlichen Augen blick der Dalai-Lama von Tibet "mit Gefolge an unseren Stammtisch ge treten und hätte untertänigst um die Erlaubnis gebeten, bei uns Platz neh men zu dürfen auf Ehre düm mere Gesichter hätten wir auch da ich! machen können. Ja, war denn das überhaupt die Möglichkeit? Ein Honorar und gai noch eins aus purem Gold das hängt man mir nichts dir nichts Jahre lang an seinen Westenknopf, und „Na, Jungens," sagte endlich Her mann „erholt euch nur. Ich hoffe der Schreck hat keinem geschadet. Die Sache ist auch ziemlich einfach.' Er nahm einen seiner bekannter lyrischen Schlucke aus seinem Krnc und sah mit zärtlich wehmütigem Blis auf sein Kleinod. „Damals." begann er endlich, „al° ich noch ein Dichter war na ja stimmt schon, seht mich nicht so ver wundert an bin ich es denn heute noch? man ist doch nur ein Dichter wenn man etwas zu hoffen hat also damals war's, daß mir ein paa> Verse gelangen mir, einem Jüng hing von 18 Jahren, der gerade vo dem Abiturium stand. Inhalt? Nebensache! Hauptsache ich schickte sie an die Redaktion eine: Wochenschrift in der Residenz. Unt nach acht Tagen schon legt mir dei Geldbote einen blanken Zehner aus den wackeligen Tisch in meiner arm seligen Schülerbude. Erst war ich stari dann gerührt, das war menschl'uh zuletzt aber fand ich diese Anerken nung meines Talents ganz selbstver ständlich und das war dumm. Im übrigen: Was beginnen mit dem Mammon? Sparkasse dar gab's in unserem Städtchen nicht aber Diebe das wußte ich. Alsc Vorsicht für alle Fälle. Und dann doch auch eine kleine Guttat für micl durch dichten Nebel verdeckt ist. Voll Verdruss hierüber begibt er sich in die Wirthschaft, nin allda wenigstens sei nen Durst zu löschen. Cr mochte null davon. Na. etwas für den Hunger und Durst nicht? Draußen lachte die FrühlingSsonne so golden und verlockend. War'S denn ein Unrecht, wenn man sich die einmal wieder ins Herz scheinen ließ. Und dabei auch seinem Magen einmal zu einem Fest verhalf? Also! Frisch auf und hinaus. Kinder, was hab ich auf dem Weg zum Wirtshaus mit kühlendem Bier für eine Zukunftsmusik gemacht. Und was habe ich geträumt, wie ich am stil len Nachmittag im schattigen Garten vor einem vollen Humpen saß. Mut terseelenallein war ich drüben auf der Straße sah ich die Wellen der Donau und weit, weit in der Ferne über den blühenden Höhen dämmerte der Alpen weiße Kette. Ich hatte mein „Gold" vor mich auf den rohen Tisch gelegt. Durch das Geäst der Linde, unter der ich saß, fiel ein Sonnenstrahl darauf. Und da war mir's, als sprühte aus dem schim mernden Stück Funke um Funke, und lohte empor, wie eine Flamme, und „Gnä' Herr, ein Almosen, bitte," krächzte da eine Stimme neben mir. Unwillig dreh ich mich zudem schmutzi gen und zerlumpten Buben um, der mir die Hand entgegenstreckt. „Js sich Mutter sehr krank," fügte er hinzu, da er meine bösen Augen sah. Dann aber, wie es kam, weiß ich nicht mehr kaum war sein Blick auf das Goldstück gefallen, da hatte er eS auch schon in der Hand, und mit wilden Sähen rannte er zum Garten hinaus auf die Landstraße. Ich ihm nach. „Haltet den Dieb," schrei ich ein paar Neugierige strecken den Kopf zum Fenster hreaus ein Hund springt bellend dem Flüchtling nach. Schon ist er weit von mir, jetzt noch um die Ecke herum und hinein in's Waldgebüsch. Ein paar Feldarbci ter treten ihm entgegen —er stutzt macht Halt steht zurück nach mir —t schon greifen sie nach ihm er reißt sich los strauchelt, tritt über den Rand der steilen Böschung am Fluß kollert den Abhang hinunter ein wilder Schrei und in den Wel len ist er verschwunden. Atemlos steh ich einen Augenblick still dann aber Rock und Weste herunter und ihm nach in die schäu mende Flut. Einmal taucht er vor mir auf ich fasse' ihn noch ein paar Stöße, und wir sind am Ufer. Viele Arme streckten sich nach uns aus zu spät kalt und leblos lag der Bub im Sande die rechte Hand hat sich fest um das Goldstück geklammert. Kaum daß wir sie lösen konnten. Mir sauste und brauste es im Kopf dunkel ward es mir vor den Augen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in heißem Fieber. > Wochenlang: -Und fpä-- tcr erst erfuhr ich, was noch geschehen -war. Wie man draußen im Felde auf einem armseligen Karren mit einem halbverhungerten Gaul des Buben Mutter gefunden tot. Wie man sie und ihn zwei Heimatslose ohne Sang und Klang in einem Winkel des Friedhofs verscharrt hatte! Dämon Gold hatte wieder ein Men schenleben vernichtet. Ich trage das Goldstück seitdem bei mir. Es soll in keines anderen Men schen Hände kommen mein erstes Honorar." Wir haben an diesem Abend nicht mehr viel gesprochen. Einer um den anderen erhob sich früher als sonst zum Heimgang. Kritik. Humoreske von EgaliS. Der Direktor einer Irrenanstalt suchte durch Pflege künstlerischer In teressen seine Zöglinge anregend zu beschäftigen—soweit es natürlich um harmlose Insassen handelte. Er hatte auch mit diesen seinen Bemühun gen schon recht hübsche Erfolge erzielt und nicht nur eine komplette Musikka pelle sowie ein recht gutes Schauspiel- Ensemble zusammengebracht, sondern auch der bildenden Kunst unter den be gabten Geistesinvaliden Anhänger ge worben. Eine stattliche Anzahl von Oelgemälden, Aquarallen und sogar einigen Plastiken gab davon Zeugnis. Aber der Ehrgeiz des Direktors ging weiter. Auch die Außenwelt sollte Zeuge seines Triumphes sein, und zu diesem Zwecke sehte er sich mit einem namhaften Kunsthändler in Verbin dung, der in geeigneten Räumen eine Sonderausstellung von in der Irren anstalt gefertigten künstlerischen Er zeugnissen veranstalten sollte. Der Kunsthändler leistete der Ein ladung des Direktors Folge und be sah sich die Kollektion mit aufrichtigem Interesse. Dann aber meinte er ach selzuckend: „Wissen Sie, mein lieber Direktor, für eine Sonderausstellung möchte ich die Verantwortung nicht übernehmen. Wir leben eben in einer modernen Zeit und sind da ein bißchen verwöhnt worden. Es sind zwar recht brave und wirklich tüchtige Leistungen darunter, aber wissen Sie, nicht ver rückt genug!" Widerlegt. Herr: „Ich kann Sie versichern, teuerste Elvira, daß nie eine'Lüge über meine Lippen gekommen ist . . . Bitte —glauben Sie mir!" Junge Dame: „Ja —a—Sie spre chen aber meist durch die Nase!" freilich dem Getränke seiner Hei matystadt mährend zweier Stunden zu viel Ehre angethan habe, denn als ihm der Kellner meldet, der Nebel Schnitzel. Kein Mann behält, was er nicht vergessen möchte. I e weniger ein Mann von der Frau weiß, je mißtrauischer ist er. Wer sich an Weiber hängt, kommt aus dem Baumeln nicht heraus. Eine indische Frau darf den Na men ihres Ehemannes nicht ausspre chen. D i e Fehler der anderen nützen uns gewöhnlich mehr, als die eigenen Bor züge. Viele Menschen sind unzufrieden, wenn man sie für das hält, was sie sind. Der Gedanke an ein baldiges Wie oersehen verbittert uns manchen Ab schied. Mancher ist darüber zur Ruine geworden, daß er sich zu viel restau rierte. Wie war so mancher ein ganzer Mann, bis er eine bessere Hälfte ge wann. Der Mann hält die Frau immer für kalt —wenn sie nicht mit ihm flir ten will. Mancher Mensch glaubt erst dann ?m Rechte zu sein, wenn er im Vor rechte ist. Manche Frauen fangen an. ge fährlich zu sein, wenn sie aufhören, eS zu scheinen. Im Skoresbysund beobachtete mam daß die Temperatur innerhalb einer Stunde um 24 Grad stieg. Den Zeiger der Weltgeschichte sehen wir alle, wieviel es aber geschlagen hat, das wissen die wenigsten. E s gibt einen Widerspruchsgeist, den man nur von seiner Meinung ab bringen kann, wenn man sie teilt. Ehe die Perlenmuschel nicht sechs bis sieben Jahre alt ist, kommt im In nern ihrer Schale keine Perlenbildung vor. Wenn eine Frau hübsch ist, glaubt der Mann, daß jede Unannehmlichkeit ihr ferngehalten werden muß. Ist sie --nicht, hübsch, -so geschieht ihr alles recht. Wir behaupten zu oft, daß wir uns um die Meinung anderer Leute nicht kümmern—legen aber im Stil len auf die Meinung anderer Leute viel zu viel Gewicht. Mancher Mann hat nicht genug, um zu heiraten, aber fünf Cents zu einem Packet Nadeln bringt er immer auf. Und wieviel Männer nehmen eine Frau, wenn sie eigentlich nur eine Nadel brauchen. Wie man unschöne Stellen des Körpers durch Kleidung zu verdecken sucht, verdeckt, mancher Mensch seine geheimsten Sorgen. So kommt es, daß sich jeder zweite Mensch für einen besonders geprüften hält. Zwei hatten eine gleich große und schwere Last zu tragen. Der eine war arg verbittert und fragte sich bei jedem Schritt, wie schwer wohl die Last sei, wie lange-er sie schon getragen und wie weit er sie wohl noch werde tragen muffen. Der andere dagegen lächelte, denn er zehrte so viel von der Schön heit der Tage wo er noch nichts ge tragen, und glaubte so zuversichtlich an bessere Tage, daß ihm die Schwere seiner Last nur halb zum Bewußtsein kam. I n Wien ist der Schriftsteller Adam Trabert im dreiundneunzigsten Le bensjahre gestorben. Trabert war ein geborener Kprhesse, ist in seiner Hei mat zur Zeit des HasseNpflugschen Dersiissungsbruches als Anhänger der großdeutschcn bundesrechtlichen Partei hervorgetreten und sah sich deshalb 1866 zur Auswanderung nach Oester reich genötigt. Literarisch hat sich Txabert als Lyriker wie als Drama tiker betätigt und auch eine Grillpar zer-Biographie verfaßt. Auch bei Pferden treten gewisse Aügenkrnnkheiten auf, die es notwen dig machen, ein Äuge herauszunehmen, utn das andere zu erhalten. Nach der „Central-Zeitung für Optik und Me chanik" ist inan nun seit eniger Zeit bei wertvollen Luxuspferden dazu übergegangen, in solchem Falle an Stelle des herausgenommenen ein künstliches Auge einzusetzen, um da durch eine Entstellung des Aussehens zu verhüten. Diese unechten Augen werden auS Glas, Porzellan oder Horn verfertigt. Am besten aber eig net sich für den Ersatz Guttapercha oder Ebenholz. Die Nachahmung ist dann so täuschend, daß der Laie in vielen Fällen das künstliche Auge selbst in der Nähe von einem natürli chen nicht unterscheiden kann. habe sich verzogen und die Aussicht sei frei, da entgegnete er, aluvim t'end:, „Jetzt nützt'S mir nicht mehr, jetzt bin ich selbst benebelt!" I