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2 Aus dem Wege zur Mersch!acht. Einr Schlacht, so gewaltig, wie sic noch im7oer Kriege nicht möglich ge wesen wäre. ...... - . . . ' Großes Hauptguartier. 21. Mai. Ter Kanonendonner der sraiizösiich englischen Mai-Osseniive im Front abschnitt bei Arras begleitete uns auf der Fahrt nach Ppern zu, von wo schon ferne das Nachgrolle der dor tigen Kampfe uns entgegen tönte. An einer Schlacht vorbei, wie sie noch in; 70er Kriege so gewaltig nicht möglich gewesen wäre, ging es der Stätte des Ringens un; de P'cr abschnitt zu, wo seit Monaten de; Kamps hin- und hergewogl bat, bis wir jetzt unsere Linie in einem ent scheidenden Vorstoß vorwärts getra gen haben. Schon aus dem Bohnbase von Roes selare kommt man mit den Ereignis sen in unmittelbare Fühlung. Als unser Zug einlief, wurde gerade an! einem Nebengeleise ein Theil der Beute verladen. Ich sah zum ersten Male die schweren kanadischen Ge wehre. deren Schloß von denen aller übrige kriegführenden Mächte, auch von den englischen, erheblich ab weicht. Ganze Wagen voll, seiner Seitengewehre, englische, französische und vereinzelte belgische Gewehre und Karabiner, Kisten mil Insante riemunitioii und Tornister, wurden hier verstaut, um nach Deutschland abgefahren zu werden. Am anderen Ende des Babnhoses sammelten sich Leichtverwundete, welche die Nacht hindurch im 0! es echt gewesen waren und einen englischen Angriff aus ei nen Grabeuabschnit; erfolgreich und mit ganz geringen Verlusten abge wiesen hatten. Tie meisten von ih nen hatten den Weg zu dem ersten Verbandplatz zu Fuß zurückgelegt, viele noch dort den Platz in; Krankeii- Antomobil Kameraden abgetreten, die ermüdeter waren als sie selbst. Trotzdem sie alle etwas abgekommen hatten, waren sie in vorzüglicher Stimmung, und die Freude strahlte ihnen aus den Augen, daß sie den in starker Uebermacht aufgetretenen Feind so glänzend geworfen, hatte, ohne einen Zoll zurückzuweichen. - Manche freuten sich freilich auch aus die Paar Wochen wohlverdienten Hei- - niathurlaub: namentlich ein junger! Thüringer schwärmte von dem Wie dersehen mit seinem alten Vater und seinen lieben Bergen, von denen er, neun Kriegsmonate lang entsinnt ge wese war. Er hatte in; Nahkampfe den Splitter einer Handgranate durch beide Backen bekommen, doch war die Verletzung sehr leicht. Tie meisten anderen waren nicht zum Ge fechte Mann gegen Mann gekommen, da der Ansturm des Feindes etwa 60 Meter vor ihrem Graben im slan i kirenden Maschinengewehrseuer eines benachbarten Grabens zusanimenge chen war. ES war schon taghell ge worden und man hatte die Vorgänge genau beobachten können. „Sie fielen wie die Schneeflocken. Keine zwei Dutzend Mann können von der gan zen Compagnie zurückgekommen sein. Ten Reserven verging die Lust, mit uns anzubinden, als sie das gesehen hatten." Einzelnen indessen war es gar nicht recht, daß sie vom Kriegsschauplätze scheiden sollte: einem jungen Ossi zier, der selbst die Hand in der Binde trug und der sich tbeilnahmsvoll er kundigte. wie jeder der Mannschasteu zu seiner Verwundung gekommen war, übermittelte ein Kriegsfreiwil liger die Bitte, nicht abtransportirt zu werde, sondern beim Regiment bleiben zu dürfen. Die kleine Ge schichte, ein Streifschuß am Arme, werde doch in vierzehn Tagen geheilt sein. Er und andere behaupteten, sie hätten, nachdem die Canadier nun ihr Theil abbekommen hätten, noch eine Rechnung niit den Schwarzen zu begleichen. Wenn es gegen die Kerle losgehe, müßten sie dabei sein. Eine Rothe Kreuz-Schwester, deren llner müdlichkeit ich bewunderte, ging fortwährend durch die Reihen der j Verwundeten nnd vertheilte Ersri-; schlingen. Bald daraus sah ich in; Kloster der Rcdemptoristiniien feindliche Ver wundete: Canadier, Engländer, Ma rokkaner, Belgier und Franzosen, j Tie Belgier, die in einem besonderen Saale untergebracht sind, befinden sich in der beneideten Lage, Besuche von ihren im Okkupationsgebiet woh nenden Angehörigen empfangen zu dürfen. Mütter, Väter, Geschwister und Bräute waren aus der Nachbar schaft und zum Theil auch aus wei- j lerer Entfernung hergekommen und hatten in großen Körben Nahrungs-. mittel und andere Tinge mitgebracht, mit denen sie ihre Verwundeten zu erfreuen hofften. Unter diesen Leu ten herrschte eine befriedigte, theil weise still glückselige Stimmung. Was sich die Soldaten von jenseits und die zurück gebliebenen Angehö rigen von diesseits der User gegen seitig berichten konnte, das stärkte nur die beiderseitige Meinung, das; dir Tbeilnahme an; Kriege vom bei gischen Standpunkt aus ein Wahn sinn war. Und sie Alle waren froh. Tie einen, daß sie aus den; Kriege heraus waren, mehr oder weniger heil: die anderen, daß sie ihre Auge - hörigen wieder hatten. Unter den > Soldaten befanden sich auch einige belgische Civilisten, die aus den von; Feinde beschossenen Dörfern hierher gebracht worden waren, dabei ein Knabe, den; ein Granatsplitter die Hand durchschlagen hatte. Wim mernd in seinen Träumen lag das Kind angekleidet aus dem Bett, und die harten Krieger ringsum dämpf ten die Stimmen und gingen auf den Zehen durch den Raum, um seinen Schlaf nicht zu stören. Im Hose sitzt in der bekannten Hockstellung der Orientalen ein ma rokkanischer Scheich mit verwittertem Oiesicht. Er kann ein Paar Worte Französisch, und ich frage den weiß j haarigen Turbanträger, wie alt er > sei: „Etwa fünfzig Jahre." antwortet er. Das kann nicht stimmen, er muß ! viel älter sein. Aber vielleicht weiß !er es nicht besser. Ten Mitgcsangc neu hat er erzählt, das; er pierFrauen und so viel Kinder zu Hause habe, das; er deren genaue Anzahl nicht a geben könne. Ein älterer Franzose, der an zwei Stöcken zwischen den Blumenbeeten bcnim humpelt, ist mir unendlich dankbar für ein wenig Tabak, den ich ihn; schenke. Ter arme Kerl, ein Fa milicnvater aus der Umgegend von Verdun, hat seit den ersten Tagen des Krieges keine Nachricht mehr von seinen Angehörigen empfangen. Erst seit er in den Händen der Teutschen ist, weiß er, daß sein Torf, welches er weit entfernt vom Kampfe wähnte, seit Monaten in der Fcuerzone liegt. Ein Wort von Weib und Kind, dann märe er glücklich. Oder wenn sein Torf im deutschen Okkupationsge ; biete läge, daun wäre er beruhigt. > Er ist so froh, daß ihn die Teutschen I als „Kameraden" behandeln und ! Achtung vor seinem Alter haben, i „Wüßten es meine französische Ka ! nierade in der Schützenlinie, wie gut die Teutschen zu uns sind, dann wär den sie sich alle ergeben. Wir wissen ohnehin nicht, wofür wir diesen Krieg führen." - - Ein ganz jugendlicher, unentwickel ! ter englischer Fabrikarbeiter aus Birmingham, der gestützt von einer Schwester durch den Garten geht, hat sich, wie viele seinesgleichen, als Sol dat anwerben lassen, weil er seit Be ginn des Krieges arbeitslos war und ° nicht wußte, wovon er leben sollte. Nach drei Wochen Ausbildung ist er schon in die Schlacht gekommen, in der cs seinem Regiment sehr schlecht gegangen ist. Aber alle diese Dinge liegen weit hinter ihm, sein Sinn ist nur auf die Ewigkeit gerichtet. Er ist seit ein Paar Tagen katholisch ge worden und trägt ein silbernes Kreuz um den Hals. „Ja," bestätigt die flämische Schwester mit Genugthu ung, „wir machen auch Krieg. Krieg für das Kreuz Christi." Von zwei Canadiern möchte der eine als „College" genommen wer den. Wenigstens behauptet er, das; er Kriegs-Corrcspondent sei und nur als solcher das Gewehr ergriffen habe und in die vorderste Linie ge gangen sei. Wie weit das richtig ist, läßt sich nicht nachprüfen, denn der Mann kann der Unterhaltung nur schwer folgen, da er einen schlimmen Hirnschus; erhalten hat. Aber ans seinen und seines Landsmnnes Mit theilungen geht das Eine hervor: Die Canadier sind tief traurig und enttäuscht. Traurig, weil ihre stolze Tivision von den Teutschen, die man ihnen als ganz minderwerthige, ver hungerte Soldaten geschildert hatte, so fürchterlich aufgerieben worden ist, daß nichts mehr von ihr übrig blieb. ' Enttäuscht, weil das Mutterland ! England, welches seine Kolonien zum „Kulturkämpfe" gegen die Deut scheu aufgerufen hat, die Canadier ebenso wie die Columbier nicht als ! gleichberechtigt betrachtet hat: „Zuerst j treibt mau die Schwarzen var, dann werden die Canadier und Columbier dorthin geschickt, wo die Hölle am heißesten ist. Und erst, wenn wir un ser Blut verschwendet haben, wagen sich die Herren Engländer vor." Das ist eine zu späte Erkenntniß.! Uebrigens sagten das nicht nur diese. j beiden Canadier, sondern auch sonst war die Entrüstung über diese vcr . sichtliche Behandlung bei den Cana diern und Columbien;, die gefangen eingebracht wurden, allgemein. Aber die Engländer selbst machen ans ih rem Herrendünkcl gar kein Hehl. Ter StadECominandant erzählte mir, als wir über den Marktplatz gingen, auf welchem gerade ein aus dem Orte scheidendes Regiment den aus „Tannhäuser" spielte, j Der Teutsche Korrespondent Baltimore. Md., Freitag, drn 25. Juni 1915. wie er hier vor einigen Tagen die Tausende der weißen und gelben und schwarzen Gefangenen habe jortiren lassen. Als er gerade einen sehr hoch > näsigen jungen englischen Offizier I vernahm, wurde ein Senegalneger ! vorbeigesührt, der sich auS Angst fortwährend erbrach, denn er glaubte bestimmt, die Deutschen würden ihn erschießen. Am dieses verlockende Bei ' spiel eines Bundesgenossen wies der i StCdt-Coinmandant de eingebilde ten Engländer hi. „O," erwiderte ! dieser, „das ist für ns Schlachtvieh, s die treiben wir mit der Reitpeitsche ! vor uns bor. Der Rest ded Krieges ist für uns Sport!" Diese Antwort ent rüstete den deutschen Major so, das; er dem Engländer eine heilsame Lektion zu ertheilen beschloß. Er ordnete an. daß bei den; Abtransport der Geian geiien jeden; englischen Offizier einer der lieben schwarzen Waffenbrüder i das Cisenbahnablheil gesetzt wur de. Dem gemütlivollen „Sports maiin" aber ivurden zwei ausgesuchte Nigger für die Reise mitgegeben. ..Bis der nach Deutschland gekommen ist, war die „Entente" sicherlich beson ders herzlich geworden, und der Ernst des KriegtzsporteS ist dem Jüngling inzwischen wahrscheinlich aufgegangen." Roesselare mag in Friedenszciten eine stille, fleißige Kleinstadt gewe sei; sein, dl;; ist all ihr eigenes Le ben todt. während bei Tag und Nacht der Krieg, der so nabe vor ihren Thoren lärmt, durch die Gassen zieht. Fortwährend, ohne Unterbreche;;, zittern die Fensterscheiben unter dem Anschlag der Oieschütze. Gar nicht ser am klaren Horizont sieht man die Wolken der Schrapnells. Selbst bei Nacht hallt Cominandorus und der Schlachtgesing durchziehender Truppen durch die Straßen und Plätze. Ich hatte in einen; Hause, von dem aus cs sich lohnt, mehr zu erzählen, eine unruhige Nacht, denn immer wieder ermunterte mich das Pserde gelrappel und die Zurufe der Ko lonnen, die a meinem Fenster vor überzogen. Und kaum, daß der Tag graute, weckte mich das Bellen von Oieschütze aus nächster Nähe und ein rasselndes Geklapper auf benachbar ten Dächern. Ich hob den Vorhang des Fensters. Zwei feindliche Flieger die dem Bahnhof zustrebten, wurden durch unsere Abtvehrbatterie - Ver trieben, und überdie Dachziegeln hüpften die bleiernen Schrapnell kugeln. Auf der Straße flüchteten ein paar Mädchen, die den Bürgersteig gefegt hatten, in die Deckung der Hausthore. Ein Zug Artilleristen zog mit einem Munirionsivage singend und unbe kümmert seines Weges. Es war Zeit, auszustehen und aufzubrechen nach den ruhmbeglänzten Kampsesfelderii au der Pserst-out. W. Scheuer niann, Kriegsberichterstatter." Neues Erdbeben. .In. Eist Centra, Cal., verspürt. Je doch nnr sehr leichter Natur. Ter durch die Erdstöße von; Dienstag angerichtete Schaden aus !5t500,000 geschätzt. E l C c ii t r o, Cal., 21. Juni. Honte Morgen um 8 Uhr 90 wurde hier ein weiterer, jedoch nur schwa cher Erdstoß verspürt. Am Freimau rer Tempel und verschiedenen ande ren Gebäuden, die bei den; Erdbeben an; Dienstag Abend Schaden erlitten, wurde das Zcrsiörungswerk noch ver schlimmert. Auch während der Nacht wurden mehrere leichte seismische Störungen verspürt, welche die Bevölkerung i einem Zustand fortwährender Aus reguug erhielten. Nach dem Befunde vorläufiger Un tersuchuugeu des durch das Erdbeben angerichteten Schadens dürfte der selbe nicht mehr als 1>500.000 betra gen. Alle Geschäftsleute cooperiren mit wahrem Feuereifer, alle Spure der Zerstörung so schnell als möglich zu verwischen. „In zwei Wochen werden wir gar > nicht mehr an die Katastrophe erin nert werden," sagte Mayor Sanson heute. Es gelangten von mehreren Sei ten von auswärts Hülfsanerbieten an den Mayor: erwies dieselben je j doch sämmtlich zurück. In rigrncr Vertheidigung. Lima, Ohio, 21. Juni. Ter 25-jährige Torrance C. Riddle, wel cher hier auf die Anklage der Ermor- düng seiner Geliebten, der 10 Jahre alten Susie Coleman, prozessirt wird, betrat heute zu seiner Vertheidigung den Zcugeiistaiid. Er erklärte. Frl. Coleman am Abend der That zufällig getroffen zu haben. Seinen Angci bei; nach beschuldigte sie ihn, für iliren Zustand verantwortlich zu sein, und als er dies bestritt, schlug sie ihn. In der Erregung will er sie dann ge packt und gewürgt haben, ohne die Absicht gehabt zu haben, sie zu tödten. Avonnenikn, dir drn „Teultchen ckorrelvon drnirn- nicht pünktlich odrr rrgrlmöftin rr dolirn. sind nrvrirn. drr Msicr davon ver Tr upp oder schryillch Mittheilung ju mache. In den Katakomben von Arras während des Bombardements. Tvdtcnriih- herrscht in den Straßen der französischen Stadt, wie in den Classen Pompeji's. Berlin, 29. Mai. Mit der Erlaubnis; der französische Heeres leitung hat der Correivoudent der Zeitung „Politik" Mitte Mai den; zerschossenen Arra. einen Besuch ab gestattet. Er schreibt: Als wir vier Kilometer von Arras entfernt waren, gab Capilä B. Eilereu sechs Automolnleu den Be fehl zu halten, und gab den Chauf feuren die Order, bei der Einfahrt in die Stadt mit einer Distanz von fünf Minuten für die einzelnen Au tomobile zu fahren. „Diese vier Ki lometer," commandiite er dann wei ter, „fahren Sie mit der größte Ge schwindigkeit." Diese Maßregel wur de deswegen getroffen, weil die letz ten vier Kilometer der Chaussee nach ArraS von den deutschen Ge'chosjen bestrichen werden. Unser Chauffeur fuhr uu wie der Teufel zu, und niemals in meinem ganze Leben habe ich au einer ähnlichen Fahrt Theil genommen. Wir erreichteuAi rns ein paar Stunden nach dem tag lichen Bombardement, das in der Regel vor dem Frühstück und in der Zeit von U> bis 12 Uhr vor sich gebt. In dieser Zeit ist die Stadt wie aus gestorben, und alles lebt ia den Kel lern unter der Erde. Nur ein paar friedliche Polizeibeamte in grünen Kammerjäger - Uniformen patrouil liren in den öden Gasse. Die klei neren Händler haben ihre Geschäfte wieder geöffnet, alle größeren Ge schäfte sind geschlossen. Fast alle wohlhabenden Leute sind geflüchtet, und wir begegnen nur einigen Ar beilerfrauen, die sich zum Wege zu; Einkaufen befanden. In der Rue Baudiniont, wo unsere Automobile hielten, sind mehrere Häuser auf der einen Seite vollständig von Grana ten durchbohrt. Fast alle Fenster in den Straßen sind in Folge des Lust druckes der Erplosion gesprungen. In der Rue Ernestale hat eine Bom be die Schaufenster eines Schulmia cherladeus zerschmettert und ei Rie sinloch iü die 'Erde gerissen. In dein zerstörte;; Geschäfte s befanden sich noch zwei .ältere Mädcben. die in den Ruinen ihres Hauses- Postkarten ver kaufen.' Ich Zauste elzio Anzahl, uud die Dame baten in liebenswürdiger Weise, mich zu überzeugen, wie sie sich im Xiellyr- wohnlich eingerichtet hätten. Wir stiegen un eine Trep pe unter die Erde und gelangten in einen Raum, der von einer Petro leumlampe erleuchtet war. TasLoch in der Decke, das die Bombe gerisien hatte, war sorgfältig mit Decke ver stopft. I einer Ecke des Kellers standen die Betten der alte Schwe stern und aus dem ovalen Tische, der so groß ist, daß es mir unfaßbar ist, wie man ihn hier herunter bringen tonnte, standen noch die Neste deS Frühstücks. An den Wänden hatten die alten Damen Farbendrucke von lossre, Poincare und König Albert angebracht: auf einem Nähtisch stand ein Bauer mit zwei .Kanarienvögel, die schliefe. „Sie schlafen immer," sagte mir die ältere Schwester, „denn für sie ist es jetzt den ganzen Tag Nacht." Arras hatte vor Ausbruch des Krieges 20,000 Einwohner, von denen die meisten geflüchtet sind, so daß nur noch MX zurückgeblieben sind, lind von diesen 9900 hat das Bombardement über 900 getödtet.— Die Einwohner von Arras führen jetzt ein Leben in den Kellern, ähn lich wie die Ratten. Heute wurden die Ratten von Ar ras aus ihren Tchmutzhöhlen durch eine unbezwingbare Neugier hervor gelockt, die fremden Angesichter zu sehen, denn unsere Ankunst war eine derartige Seltenheit, das; sie in ih ren Augen einer großen Volksbelu stiguug glich. Ich muß noch bemer ken, das; während unseres vierstün digen Aufenthaltes in Arras auch nicht eine einzige Bombe fiel. Hoch über unseren Häuptern, in einer Hö he von 2000 Metern sahen wir im blauen Actber eine deutsche Taube dahinfliegen, die wir als solche an den schwarzen Kreuzen unter ihren Flügeln erkannten. Schnell waren zwei französische Aeroplane auf der ! Jagd ach dem feindlichen Flieger, 1 uud nun begann ein ganz eigenarti ges Conzert! Nicht nur aus den Flugmaschinen wurde fortgesetzt ge schossen, sondern man hörte auch von allen Ecken das Gerassel der Maschi nengewehre. Es war ein Lärm, als wenn sämmtliche Hunde der Stadt auf einmal zu bellen begauneu. Bis zu diesem Augenblicke hatte in Ar ras eine Todtenruhe geherrscht, und wir hatten fortwährend das Oiefühl, in den stillen Gasse von Pompeji zu wandern. Aber Plötzlich ertönte von allen Seiten das Gedröhne der Ka nonen. in das sich das Ausschlagen des- Bleiregens mischte. Die Bewoh ner der Stadt strömten aus ihren unterirdischen Höhlen und starrten 1 das Gefecht in der Lust an. das üb rigens ohne Resultat verlies. In den Straßen war es lebhaft geworden: als wir gegen Abend zu unseren Au tomobilen zurückkehrten, war der tte; ne Marktplatz schwarz von Bien scheu. Niemals werde ich diese armseligen Menschen von Arras vergessen. Die Franen plauderten und lachten und es erregte große Fröhlichkeit, als ein junger Mann hinten aus unser Au tomobil die Worte „Vive la France" schrieb und ein anderer die Worte „Vive l'Angleterre" hinzufügte. Aber diese ganze Lustigkeit batte doch zu sehr das (Gepräge von Galgenhu mor an sich. Als nur zufälligerweise die alte St. Vaast's Abtei passirten. rannten über s>tt Schuljungen hin ter uns her. Man hat in dein Kel ler unter der Wohnung des Erzbi schofs eine Latein- und eine Com mnneschule eingerichtet und hier fan den wir alle die alten Pulte wieder, die uns in früheren Tagen so ver haßt waren. In den Bänken waren die Tintenfässer, die Tafeln nnd das Kalbeder fehlten auch nicht und un ter einer schläfrigen Petroleumlampe hing die neueste Karte von Europa, die wohl jetzt schon wieder veraltet ist. Tie Kinder strömten gerade ans dieser unterirdischen Schule her aus, wo sie Unterricht in der sranzö fischen Cst'schichte unter derßegleitung der Musik der Kanonen erhielten. Sie folgten uns überall hin und er klärten uns alles Sehenswürdige in der Stadt. Tie älteren Einwohner bleiben bis zum Einbruch der Dunkelheit in den Kellern. Außer den gewöhnlichen Kellern jeden Hauses ziehen sich un ter dein größten Theile der Stadt ausgedehnte unterirdische Gänge ei nes alten Steinbruches hin, die wohl vor Jahrhunderten während der blu tigen Kriege in Artois als Zufluchts stätten dienten, lind hier verber gen sich nun die unglücklichenßewoh ner von Arras. So haben die Bl en scheu in ihren; Unglück wieder Schutz in dem barmherzigen Schoße der Ei de gesucht, und das Leben der Ein wohner von Arras erinnert sehr an das der christlichen Märtyrer inßoius Katakomben. I Liban. Tie deutschen Straßenbezeichnungen auf den blauen Schildern über strichen und das Deutschsprechen verboten, ehe die Deutschen die Stad; nehmen. Liba u, den 17. Mai 1915. So oft auf den; Meere an der Horizont- Linie vor Libau Schisse auftauchten, war es „die siegreiche russische Flot te", erst wenn die Schisse dann Libau bombardirten, waren es die Deut scheu: so oft Flieger Libau überflo gen. waren es „kühne russische Flug zeuge". erst wenn die Festungswerke die Fliegerbomben zu spüren beka men. gab inan zu, daß es die bösen Deutschen wären. Dies Verstecken spiel, das man so in Kleinigkeiten trieb, wurde natürlich im großen noch viel häufiger gespielt. Die Volkstheile, die ihren; Blute und ih rer Sprache nach deutsch sind wenn sie auch immer sich politisch russisch gebe,; uud Rußland fest auf sie zählen konnte —, batten das Bild der Vernichtung alles baltische;; Teutschtbums nicht nur täglich in Li bau zu sehen, sondern sie mußten die tägliche Lüge hören, das; sich immer hoffnungsloser die Lage des Reiches und Oesterreich - Ungarns gestalte. Die Nachricht von der Winterschlacht in Masuren kam wirr und entstellt nach Libau, aber auf die Kunde vom Fall Przemysls wurden Dankgottes dienste in alle;; Kirche,; angeordnet. Zu der Zeit begann die deutsche Flöt 1c Polaugcn zu beschießen, die Stras crpedition für den Memeler Raub zug halte begonnen, so daß das ferne Dröhnen der Schisssgeschütze den Festgottesdienst jäh beendete. Tie Haltung der Letten gegen die übrigen BcvölkerungStheile der Stadt wurde ' unter der Wirkung der papiernen ruf . fischen Siege uud der Regierung-:-- § maßnahmen immer anmaßender. ! Die deutschen Straßenbezcichnungc. die nach den offiziellen russischen die zweite Stelle auf den blauen Stra- . Benschildern Libaus einnahmen, wur > den überstriche;;, die deutsche Sprache verboten. Wer eine andere Sprache ! reden konnte, durfte Deutsch aus Plätzen und Straßen, alle öfscnt ! lichen Orten nicht reden und i einer der Aprilnummeru der „Rigaer Zei- j tung" fand ich ein paar Fälle ver- j zeichnet, nach denen junge Mädchen > zu ziemlich hoher Geldstrafe verur s theilt wurden, weil sie das Verbre chen begangen hatten. Teutsch zu sprechen. Dabei ist Lettisch die Die i nersprache gewesen: es war der Feh-! X ler des Deutschbalten, daß er gar kei nen Werth darauf legte, den; letti schen Untergebenen die deutsche Spr ache zu vermitteln. Aus jahrlmnderte alter Ueberlieferung wollte er es so, wollte die alte Beguemlichkeil beibe hallen: Deutsch sprechen die Herren, Lettisch die Dienenden. Bis die Ent wicklung über solche hochmütbigen Besonderheiten hinwegging und das baltische Deutschthum sich im Kamps um seine Sprache, uni seine Art ge drängt sah. Die Neigung, das baltische Herren tlnim über aller zu stellen, hat vieles in den drei Oslseeprovinzen möglich gemacht, was in den letzten zwanzig Jahren unter harten Prüfungen über Livland. Kurland und Estland (das aber eine Sonderstellung ein nimmt! hingegangen ist. Erst in den allerletzten Jahren vor dem Krieg bat man sich mit oft ergreifender Hin gabe für sein Deutschthum, das nur das Recht haben wollte, seine alte hohe Kultur zu bewahren, eingesetzt Dann kan; der Krieg, und das Bal tenlhum sah sich einer noch schwereren Lage gegenüber wie in diesen Jahren vorher. Ich will die Strömungen und Unterschiede jetzt nicht untersu chen, die sich in aller Stille entwickel ten. Wir sind mitten in einem Krie ge, der viele Tinge und Meinungen erschüttert hat, aber wir können und wollen die Rechnungen noch nirgends aufstellen. In dem Kalender ver deutschen Vereine für Livland, Est land und Kurland auf 1911 (der aus 1915 ist nicht erschienen > ist der Sah von Lagarde abgedruckt: „Ein Volk sein, heißt eine gemeinsame Noth em pfinden. Diese gemeinsame Noth ist aber nicht eine materielle, sondern vor allem eine ideelle, sie wurzelt in der Erkenntnis, nicht so leben zu kön nen. wie es dem nationalen Ideal entspricht." Die Leiten haben aus der Stille der anderen ihre laute Propaganda gezogen. Kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen waren re Vorbereitungen für eine Niedermetze lung nnd Plünderung vor allem auf die Plünderung kam es wohl an der nichtleltischen Einwohner fast beendet. Wir kamen dann zu schnell, das Programin unterblieb, die Waf fen aber sind gesunden worden. Jetzt ist Ruhe. Nach neun Uhr Abends muß alles in die Häuser, und deutsche Patrouillen durchziehen die Straßne. Die deutsche Ordnung wird selbst von den gebildeten Letten und den paar Russen, die i>; der Stadt geblieben sind, anerkannt. Tie Scheine, die von der Stadt Li bau ausgegeben worden sind, haben dem peinlichen Kleingeldmangel ab geholfen. Es war die einzige Mög lichkeit, für die große Stadt sich ir gendwelches Geld zu schaffen. Ter Kassenbestaud betrug ein paar tau send Rubel und einen Scheck von OOO.INX Rubel als einzige Bezahlung für die Hafenanlagcn des Kriegsha fens, für den die Stadt das Gelände hergeben mußte. Das Land ist na türlich mehrere Millionen werth, aber erst nach unendlichen Mühen gelang es der Stadt, den Scheck we nigstens zu erhalten. Dafür aber ist das Marineofsizierskasino im Mai ein kleines Schloß geworden, das uii; fürstlicher Pracht ausgestattet ist. Bis auf die Eßgeschirre, die ein kleines Vermögen darstellen, ist alles mit ei nen; so weitgehenden Linus ausge stattet. das; der Eindruck, man käme in das Clubhaus von Multimilliouü ren, überall vorherrschender ist als der, daß man sich in einem Offiziers kasino befindet. Die russische Flotte soll ja denn auch einen ziemlich „elub artigen" Charakter dementsprechend zur Schau getragen haben und tra geil. Rolf Brandt, Kriegsberichterstatter. Zuschriften über den Krieg. An die deutsch - amerikanischen und österreichisch - ungarischen Gesell schaften. kirchlichen und politischen Bereinigungen in Amerika. „Die Deutsch Amerikanische Be völkerung dieses Landes ist das stärkste Rassen - Element unter allen Nationen in der Union. Dem gegenüber muß leider fcstge stellt werden, daß dieses Element ! kaun; bei der Gestaltung der öffciit j lichen Angelegenheiten dieses Landes j vertreten ist. Beweis dafür ist das ! beinahe vollständige Fehlen Teutsch- Amerikanischer Namen im Congres; und ganz besonders im Senate der Vereinigten Staaten. ! Deutscher Partikularismus und die i daraus folgende Zersplitterung unse ' rer Kräfte um Persönliche oder lo ! kale Interessen. Politischen, kirchli ' chen oder gesellschaftlichen Charakters zli dienen, ist für diese Sachlage ver antwortlich. Auch war bis jetzt noch j keine Ursache vorhanden für eine ra j dikale Aenderung. 1 Während der jetzigen Internatio nalen Krisis ist die Embargo-Frage mächtig in den Vordergrund getre ten. Sie findet uns einig in ihrer I Beurtheilung, wir müssen aber die bittere Thatsache eingestehen, daß unsere Stimmen, die von allenTbei len des Landes laut wurden, ivohl gebärt, aber nicht beachtet ivurden, und das; unsere moralischen Hechte als sreie amerikanische Bürger mit einer gewissen N'ichtachtnng behan delt wurden in dieser Sache, die, wie das ganze Land weis;, uns doch auf das Tiefste berührt. Wir wissen, das; Amerika gesetzlich das Recht hat. Waffen zu erporticen: wir wissen fernerhin, das; eine mora lische Verpflichtung besteht uns ge geniiber, wenn nicht der Menschheit gegenüber, diese Waffenausfuhr zu verbieten. Wir fühlen uns rief ver lebt. ja. beleidigt, das; diese nwrali sche Verpflichtung übersehen oder durch unsere Administration mit Ab sicht übergangen worden ist. Wie tonnte das geschehen? Die Antwort ist: Wir sind politisch zu schwach. Nur der Starke genießt die Achtung des Starken. Wäre das deutsch - ameri kanische Clement vergangenen Herbst als geschlossenes Ganzes organisirt gewesen, so hätten wir seht ein Cm bargo gegen die Waffenausfuhr. Jetzt, oder Riemais glauben wir. ist es möglich, Zusammenschluß in das deutsch - amerikanische Clement zu bringen, durch eine Frage, die für Alle von gleicher Bedeutung ist und die mit teinein der Prinzipien in Conflikt kommt, für die ihre ge genwärtigen individuellen Organi sationen eintreten. Wohlverstanden, keine neue Orga nisation ist beabsichtigt, nur ein zeit weiliger Verband aller bestehenden Organisationen, um die eine alles überschattende Frage „des Cmbar go" zu lösen. Uni daher die verschiedenen Ele mente zusammen zu bringen und über eine gemeinsame Vertretung zu beschließen, welche uns voll und ganz die Achtung und Beachtung der Ad ministration wie die der Presse in diesem Lande erzwingt, wird der Vorschlag gemacht, für eine Bespre chung der Lage durch Delegaten al ler kirchlichen, Politischen und gesell schaftlichen Organisationen soweit sie bestehen. Die unterzeichneten Vereine sind vollständig unabhängig und reprä sentircn wahre amerikanische Idea le. die, wie Sie wissen, in keiner Weise mit unseren Smnpathie'n für die alte Heimath im Widerspruch stehen. Wir sind der festen Ueberzeugung, daß gemeinsames Vorgeben, welches nur mit Hülse von geeigneten Orga nisationen möglich ist, unbedingt nothwendig sei. Nur dann werden wir ein Embargo gegen die Waffen ausfuhr bekommen, und deshalb la den wir Sie zu einem Convent ein, der am Samstag, den 9. Juli, im Statler Hotel, Detroit, Mich., statt finden soll. Ein zeitiges Datum ist gewählt morden, da die internationale Krisis jeden Augenblick durch einen unvor hergesehenen Kriegs - Zwischenfall sich so zuspitzen kann, das; sofortiges Einschreiten nothwendig wird. Viel Zeit ist in dem letzten Jahre verloren gegangen und mehr Zeit wird nothwendig sein, in solche Or ganisation durchzuführen. Deshalb bitten wir, unsere Einladung um gehend zu beantworten. Wir haben das volle Vertrauen, das; unser Ruf zu einem Convent auf der oben erwähnten Basis eine Re prescutativeVersammlung zusammen bringen wird, die danach ihre Arbeit den einzelnen Organisationen vor legen kann, und in dieser Weise ei nen engeren Zusammenschluß aller interessirendcn Kreise für das ge meinsame Ziel „Embargo" zu Stan de bringen wird. Tie werden höflichst gebeten, Ihre Antworten an den Deutschen Bund von Detroit, Mich., einzusenden. Hochachtungsvoll, Deutscher Bund, Detroit. Mich: Emil G. Albrecht, Präsident: Deutsche Historische Ge sellschaft, Toledo, Ohio: Dr. Bern hard Becker. Präsident." Detroit und Toledo, Juni 1915. Widener-Bibliothek eingeweiht. Cambridge, Mass., 24. Juni. Die Widencr - Memorial - Biblio thek, welche der „Harvard - Universi tät" von Frau Eleanor Elkins Wide uer von Philadelphia zum Andenken an ihren Sohn, Henry Elains Wide uer, ein Opfer der „Titanic" Kata- strophe, geschenkt wurde, ist heute ein geweiht worden. Hr. Widener war ein Zögling der Universität. Senator Henry Cabot Lodge hielt die Ueberreichungs - Ansprache, auf die Präsident A. Lawrence Lowell Namens der Universität antwortete. Neben Frau Widencr und einer An zahl von Freunden der Stiftern; nah men Präsident cmeritns Charles W. Eliot, Hr. O. Morgan, Gouverneur Welsh uud Lieutenant - Governor Cnshing an der Wcihefcier Theil. < Abonnenten, die den „Deutschen Korrespondenten" nicht pünktlich oder unregelmäßig erhalten, sind gebeten, der Office davon per Telephon oder schriftlich Mittheilung zu machen.