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2 Der Taugenichts. (8. Fortsetzung.) Dt da rraf sein Blick die glatte, tüh! - 3beilegen-' Miene der Tante, in dir eiv verächtliches Lächeln stand, als iudc ste'L übertrieben, daß man sich rin solihen Bagatelle wegen so auf- L-t - Dick zum letztenmal, Hankheinrich, hast Du einen halbwegs Sernünstigen Grund, der Dich berech tigt, unseren Vorschlag abzuweisen?" Der Blick des jungen Menschen bohrte sich trotzig in den des alten Kräuleins. „Ich will nicht, iveil ich nicht will! Weil ich mein eigener Hrr: sein und bleiben will!" Es tat ihm leid, schon während cr diese Worte aussprach. Er wußte auch, daß er späterhin noch oft an die seltsam genaschte Empfindung zurück denken würd-, die ihn in dieser Se kunde beherrschte: die Genugtuung, sich so brüst als möglich der Bevormun vunz, durch die Tante zu entziehen,und gleichzeitig seine tiefe Trauer darüber, daß er nun das letzte lose Band, das ihn an sitne Eltern sesselsi, vermutlich sür lninwr zerschnitt. Ott hatte ihn zuerst anschr-ien, ihn nach Gebühr abkauzeln wollen, denn es köchle in ihm, aber mit einem Ruck schümlle er dann alles von Lck, ab. bist das Nachbellten gar nicht wm, HcmSheiurich. dem wir unsere Zeit geopfert hoben. Gut, sei meinet wegen Dein ngener Herr. Verzichte auf mrs- Tu, was Du willst, Du hast ri uns ja bewiesen, wohin Du's bisher ohne unsere Hilfe gebracht hast." „Mir genügt das!" erwiderte Hans heinrich, in dem es von Sekunde zu Sekunde kälter und starrer ward. „Deine Anspruchslosigkeit ehrt Dich, mein Junge." Mit diesen Worten, ein spötlisch zorniges- Lächeln auf den Lippen, ver ließ Ott das Speisezimmer. Man hörte ihn gleich darauf die Entr-ctür hinter sich ins Schloß werfen. Haiisheinrich wußte, daß es nun zu Ende war. Ohne eine schwere, tiefe Demütigung konnte er den Bater nicht mehr umstimmen. Daß er sich aber nicht beugen würde, das stand bei ihm ebenso fest. Und dabei war's ihm so unendlich traurig zu Mute. Er mußte einsamer Stunden an Bord gedenken, wo ihm die Kehle wie zugeschnürt gewesen war vom verhaltenen Weinen, vom Heimweh. Er hatte sich die Eltern dann immer so deutlich vorgestellt hatte genau den Klang ihrer Stimmen im Ohr gehabt. Und er hätte die Hände bittend und sehnsüchtig nach ihnen ausstrecken mögen. Was zwang ihn nun zu diesem fast feindseligen Trotz? Er hatte seinen Platz am Tisch ver lassen und war zum Fenster getreten. Da starrte er lange regungslos durch die Scheiben aus den Hof hinaus. Aus dem Nebenzimmer drang das Gespräch der beiden Damen. Frau Harnet hatte sich in einem schmerzhaften An fall stechender Neuralgie drinnen auf dieChniselongue geworfen;ih:e Schwe ster war ihr gefolgt, um ihr zuzuspre chen. Er hörte nur den Ton der bei den Stimmen, der leisen, schluchzenden und der schärferen; was sie sagten, konnte er nicht unterscheiden. Diese Ocde und Leere in ihm —die ses bange Verlasscriheiiszesühl! Er stürmte plötzlich in sein Zimmer, holte seinen Hui und rannte dieTreppc hinab auf die Straße. Stundenlang irrte er durch Berlin. Wo das Gewühl am dichtesten war, da fühlte er sich noch am wohlsten, da brauchte er wenigstens nicht nachzu denken, da riß ihn der Strom mit sich fort; der Lärm übertönte die peini genden Vorwürfe in ihm. An die Heimkehr dachte er erst, als tqn sein an größere Strapazen noch nicht gewöhnter Fuß endlich gar zu sehr zu schmerzen begann. Aber das stand nun bei ihm fest: wenn er auch nicht zur See zurückging hier im Hause des Vaters hielt es ihn keine Woche länger. Nein, keinen Tag. Er wollte sich am liebsten noch heute abend eine Stellung suchen. Denn der Gedanke an eine Mahlzeit, bei der e? nach allem, was jetzt gesche hen war eine Füße unter Vaters Tisch setzen n Ke, war ihm zu demütigend. Hein w schlich er in sein Zimmer. Da stü rrte er lange Zeit die Anzei gen, d km Fremdenblatt standen. Er War unschlüssig, wofür er sich entscheiden sollte. In Berlin mochte cr ja nicht gern bleiben. Wenn er sich auch einzureden suchte, daß er stolz darauf war, ein Arbeiter zu sein, nichts als ein Arbei ter, so regte sich doch ganz verborgen in ihm die Scham bei der Vorstellung einer zufälligen Begegnung mit seinen Eltern. Vielleicht konnte er außerhalb, in irgend einem Landstädtchen, bei einem Kaufmann als Lehrling cintre- ten. Hier suchte auch ein Geometer ei nen Gehilfen. Seine Schulkenntnissc :, würden eben noch den Anforderungen, n die da gestellt wurden, genügen. Es s lgab dort in der Hauptsache ja wohl h Zeichen und Schreibarbeit: aber im -! merhin war man nicht für sein ganzes l Dasein in ein enges Bureau gebannt, l, !denn die Geometer hatten ja auch s! Dienst im Freien. Oder ob er sich -! als Freiwilliger beim Militär stellte? " Höloß der Gedanke besaß etwas zu ii! Peinliches, daß er dann als Gemeiner ii I vielleicht einmal einen seiner Alters - genossen träfe, die mit ihm im Kadet chtenkorps aus einer Bank gesessen hat ten und die soeben Offiziere geworden r waren. Am meisten hätte ihm noch c das Leben auf dem Lande in der freien e Natur zugesagt. Körperliche Strapa zen schreckten ihn nicht, er liebte sie so - gar; und was ihn beim Landleben am - meisten anzog, das war die Sicherheit, - allein Formenkram enthoben zu sein. )i Schon ein paar mal hatte sein Vater ,'ihm es deutlich genug ins Gesicht ge t!sagt, er sei ein Bauer. Nun, er hatte j es durchaus nicht als Schimpf empfun den. Ein Mensch, der immerzu mit i i der Natur in innigster Berührung lebt, - ein Seemann oder ein Bauer, der hat k freilich kein Geschick darin, übertünchte Artigkeiten zu sagen; aber er kann sich t in seiner Ungebundenheit doch tausend : mal freier bewegen und wohler fühlen - als all die Stadtleute, die ihren Tag : in der dumpfen, stickigen Luft ängstli > cher Höflichkeitslllgen hinbringen. ! Gut also Landwirt wollte er i werden! Als sein Vater abends aus der Re daktion heimkehrte, sagte er es ihm. Ott fühlte zunächst nur das eine heraus: es war so ziemlich das Gegen teil von dem, was sie ihm vorgeschla gen hatten. „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich," sagte cr möglichst lässig und gleichgültig. „Meinen Se gen hast Du." Als Hansheinrich wieder an der Tür, war, wandte sich Ott noch einmal nach ihm um. „Du kennst die Aussichten, die dieser Stand in den schweren Zeiten jetzt bietet?" „Man wird Wohl sein ehrliches Brot finden, denk' ich." „Sicher, mein Junge, so leidlich. Wenn Du's 'mal bis zum Inspektor gebracht hast, kriegst Du Deine blanken hundertundfünfzig Taler Jahresge halt." Hansheinrich zuckte die Achsel. „Ich will eben nur eine Stelle, wo ich's aus eigener Kraft vorwärts bringen kann, lvo ich — wo ich eben selbständig bin, wenigstens keinen Zuschuß brau che." „Aus eigener Kraft. Hm." Ott sah seinen Sohn lange prüfend an. So verbohrt und so unvernünftig der Junge sich benahm: in diesem Augen blick hatte er doch ein gewisses Ver ständnis für ihn. „Ja, sieh 'mal, Hansheinrich, wenn Du so sprichst, dann liegt wenigstens Konsequenz in Deiner Gesinnung." Otts Ton war noch immer spöttisch, aber Hansheinrich empfand doch her aus, daß sich jetzt innerlich etwas zwi schen ihnen geändert hatte. Er rang nun mit sich, wollte irgend ein Wort finden, das seine brüske Art von heut mittag wieder wett machte. „Meine Unterstützung dränge ich Dir nicht auf habe nur ja keine Sorge!" fuhr Ott rasch und flüchtig fort. „Du sollst Deine Selbständigkeit ganz unge trübt genießen. Aber es gibt unter den Kultureuropäern närrische Käuze, die sich einbilden,sie verstünden mit ein paar Dutzend Lebensjahren die Welt besser als junge Dachse von achtzehn Lenzen. Weil sie nämlich einen Teil der Dummheiten, die jeder Sterbliche auf diesem Globus durchzumachen pflegt, schon hinter sich haben. Wenn Dich der Gedanke an Zuschüsse so in Rage bringt —dann darf ich Dir wohl auch mit meinem sachverständigen Rat nicht lästig fallen?" „Du weißt doch, Papa, daß ich in dem Fach noch absolut unerfahren bin," sagte Hansheinrich. Zögernd fuhr er fort: „Ich denke, daß man da irgendwo als Eleve anfängt, nicht?" „Gewiß. Irgendwo. Es ist ziem lich gleichgültig. Nur mit dem Unter schied: auf dem einen Gut lernt man 'was, auf dem andern nischt." „Natürlich käme mir's vor allem darauf an, recht viel zu lernen." „Na also. Na also." Ott ging über's Zimmer. Er kam ganz allmählich aus seiner faustdickenJronie in einen etwas gutmütigeren Ton. „Ich kenne ja 'ne ganze Menge Agrarier. Es gibt welche darunter, die ich für Ochsen mit Eichenlaub halte, und welche, die ihre i Sache verstehen und 'was vorwärts ; bringen. Wenn Dich's interessiert, i kann ich Dir ja ein paar Adressen auf , schreiben." ! „Ich wäre Dir sehr dankbar da - für, Vatting." sagte Hansheinrich, fast Der Teutsche Korrespondent, Dnltimore, Md., Lonntag, den 18. Juki 1815. -'gerührt davon, daß sein Papa sich nach Mallem doch noch zu der versöhnlichen , j Stimmung zwang, c-! „Hm. Ta ist zum Beispiel der l i Graf Druhn auf Orlau. Oder Mas -! senhagen auf Dernburg." Er kehrte ''!zum Schreibtisch zurück und nahm ei , nen Zettel. „Oder wie wär's mit 1 Oliza? Da haust der Herr von Go z lin." ! „Es wäre mir alles recht. Wo liegt i! das, Oliza?" :! „Oliza liegt an der Wasserkante. ! Freilich nur Ostsee. Worauf Tu be -! fahren Teerjacke als auf eine elende - Waschwanne natürlich mit großer Ver > Pachtung nicderschaust." / Er hatte sich gesetzt und nahm einen > Briefbogen. „An den könnt' ich Dir ein paar Worte mitgeben. Na paßt Dir es?" i „Bitte. Ja. Du wirst das schon , am besten wissen." „Sehr verbunden." So kam es zwi schen Vater und Sohn also doch noch zu -einer gewissen Verständigung. ' Hanshcinrich las hernach das Schrei ben und war damit völlig einverstan den, so wenig schmeichelhaft für seine Person es lautete. „Sehr verehrter Herr von Golin!" schrieb Ott. „Mein Sohn will Land wirt werden und sucht ein Unterkom men als Eleve. Können Sie ihm da bei behilflich sein? Er hat bis Ober tertia das Kadettenkorps besucht, ist aber wegen eines Zanks mit dem Zi vil - Erzieher durchgebrannt und als Schiffsjunge zweiundeinhalb Jahre l>ei der Handelsmarine gewesen. Er hat den redlichen Willen, etwas Tüch tiges zu lernen. Sein Drang nach Selbständigkeit ist so groß, daß er für die Zukunft jede Unterstützung seiner Verwandten ausgeschlagen hat. Das schließt nicht aus, daß mir's eine Be ruhigung wäre, ihn unter Menschen zu wissen, die seine Vorzüge zu schätzen i und mit seinen verschiedentlich^ . Schwächen oder Eigentümlichkeiten wozu vor allem sein phänomenaler Trotzkopf gehört zu rechnen verste hen." Hansheinrich verschloß den Brief, nachdem er ihn gelesen, in den adres sierten Umschlag, den sein Vater ihm zureichte. „Na dann gedenkst Du also dem nächst Dein Bündel wieder zu schnü ren?" „Jawohl, Papa, morgen mit dem ersten Zuge reise ich ab." Ott hielt ihn mit keiner Silbe. Er half ihm sogar im Kursbuch suchen. Die Fahrt ging über Stettin nach Treptow a. N. Oliza lag dann noch acht Kilometer von der Bahn entfernt. „Nimm den Schnellzug," riet Ott, „dann kannst Du nachmittags vier Uhr an.Ort und Stelle sein." ! Hansheinrich schüttelte den Kopf. „Soviel Geld hab' ich nicht mehr. Ich bleibe lieber beim ersten um halb sechs Uhr früh." „Bitte!" brummte Ott. Noch weiter zu gehen, dem Jungen etwa aus freien Stücken eine Reiseun terstützung anzubieten, das brachte er nicht über sich. Und Hansheinrich fuhr lieber, seine letzten Ersparnisse opfernd, vierter Klasse, als daß er sei nen Vater auch nur mit einem Wort um Geld anging. Frau Harnet hatte sich bereits in ihr Schlafzimmer verfügt. Ellen mach te ihr Kompressen auf Stirn und Schläfen. Trotzdem ihr der Kopf, wie sie ihrem Gatten versicherte, zum Zer springen war, ließ sie Lrnsheinrich doch noch zu sich rufen, als sie von sei nen Abreisegedanken hörte. Aber er durfte nur kurze Zeit bei ihr bleiben, weil es sie zu sehr aufregte. Melleicht hätte in diesen letzten paar Minuten eine offene Aussprache die beiden Herzen einander genähert; aber die Gegenwart der Tante hinderte Hansheinrich daran, das zu sagen,was ihn bewegte. Und schließlich kam's doch nur wieder zu dem alten strittigem Thema: ob er Tante Ellen denn nicht! wenigstens zum Abschied die Hand ge-> ben wolle? Nun trat rin kalter, fast hochmütiger Zug in seine Miene. Nein, er konnte sich dazu nicht überwinden, nie, nie, niemals! Das letzte „Adieu", die letzten Wün sche auf beiden Seiten klangen matt und fremd. Maximilian Ott mußte diesen Abend noch einmal aus dem Hause, denn er war Ehrengast bei einemKom mcrs. Da Hansheinrich bereits um halb fünf Uhr früh aufbrechen mußte, so fand ihr Abschied gleichfalls schon in dieser Stunde stat^. Wirklich lebhaft äußerten nur die beiden Mädchen ihr Bedauern über den Wegzug des jungen Herrn. Aber, daß er Landwirt werden wollte,das begrif fen sie nicht; es enttäuschte sie gerade zu. Sie halfen ihm seinen Schiffs koffer zum Spediteur bringen. Anna h versprach auch, ihn Punkt vier Uhr zu il wecken. Aber geweckt zu werden brauchte er r nicht. Er schlief fast gar nicht. Ein paarmal überwältigte ihn zwar die e Müdigkeit, aber da lag er mehr be iwußtlos als schlafend da, und immer t wieder schreckte er empor. -' Im Halbschlaf peinigte ihn plötzlich lein wirrer Traum. Geängstigt richtete t er sieb auf. Dann erhob er sich hastig j und schlich barfüßig über den Korridor .! ins Eßzimmer. - j Hier blieb er stehen und lauschte ? i Nacb nebenan. Tie Tür zum Schlafzimmer der El ! tern stand auf. Er hörte die Mama I i ruhig und gleichmäßig atmen. Sein ! : - Vater war noch nicht heimgekehrt. Ein ! ! Uhrwerk schlug. Es war die zweite i j Stunde. In der Nachbarschaft ließ! l i sich noch eine Kuckucksuhr vernehmen.! Totenstille herrschte sonst im ganzen - Haus. > Er hörte nur sein eigenes Herz po . chcn. Ob er sich an ihr Bett wagte, dort iiiederkniete, ihre Hand kiißke, sie noch i einmal „Mutterle" nannte und sieb auk ihrem Kissen ausweinte? Er fühlte es wohl, daß dies nun ein l großer Abschnitt in seinem Leben war. Und eine unsagbare Sehnsucht regte sich in seiner Brust, etwas von seiner Kindheit, seiner Heimat festzuhalten. Ach, so bang, so bang war's ihm mit einemmal geworden. Lang: stand cr regungslos da, die gefalteten Hände an ! seine Lippen pressend. Die Augen hatte er geschlossen. Da knarrte es irgendwo im Hause — ein gleichmäßiger Schritt klang vom Treppenhaus herauf. Gewiß kam zetzt der Vater heim. Er schämte sich plötzlich seiner senti mentalen Stimmung. Der Gedanke, daß der Vater ihn hier treffen, daß die -nächtlicheSzene dann morgen bei Tisch in Gegenwart der Tante erörterr wer den würde, peinigte ihn. Hastig kehrt: er in sein Zimmer zu rück Gleich darauf hörte er den Schlüssel an der Entreetür, hörte das Niederstel len eines Schirmes, das etwas atem lose Aechzen seines leicht asthmatischen Vaters und dessen langsam sich entfer nende Schritte. Nach kaum einer Minute kamen die Schritte aber zurück. Und ein Licht schein drang durchs Schlüsselloch und die Türritzen in das kleine Hofstüb chcn. „Hans?!" rief die Stimme seines Vaters gedämpft. Er gab Antwort. „Warst Du eben drüben im Speise zimmer?" „Ja. Papa." „Was ist denn? Mama war so er schrocken. Sie dachte, es habe sich je mand eingeschlichen." Er wartete ein paar Sekunden auf Antwort. „Woll test Du was, Hansheinrich?" „Nein, ich ich weiß nicht ich wußte gar nicht, wie spät es war." „Hm. So. Ja, es ist nicht viel über zwei." Sie standen hüben und drüben der Tür, die nicht geschlossen war, einan der zugewandt, hielten den Atem an und warteten warteten beide, sie wußten selbst nicht worauf. „Leg' Dich nur ruhig noch hin, Hansheinrich," sagte der Alte endlich. „Hörst Du?" „Ja. Papa." „Na also gute Nacht, Junge, und glückliche Reise." „Danke, Papa." Die Schritte entfernten sich zögernd. „Vatting!" stieß er hastig, ganz angstvoll aus. Er war auf die Tür zugeschossen blieb aber plötzlich wie der stehen. Draußen war's hell: er genierte sich, dem Vater ins Gesicht zu sehen, seinem immer ironischen Blick zu begegnen. „Na was denn, Hans?" „Ja, das das tut mir leid, daß ich Mama gestört habe. Grüß' sie doch -noch 'mal, Vatting, und und es Räte mir sehr leid." „Gut, mein Junge. Nun leg' Dich aber aufs Ohr." Die Schritte entfernten sich wieder. Mit ihnen entschwand der Lichtschein. Nun stand Hansheinrich völlig im Dunkeln. Es fror ihn bis ins Mark. Hastig schlüpfte er in das Bett und zog die Decke über die Schulter. 'Mit offenen Augen starrte er dann lange, lange in die Finsternis seines alten Knabenstübchens. 4. Kapitel. Wäre Hansheinrich auch nur wenige Stunden später auf Oliza angelangt, so hätte er Herrn von Golin nicht mehr angetroffen—sein Schicksal hätte sich dann vielleicht ganz anders gestal tet. Golins waren auf dem Sprung, nach dem Süden abzureisen, und der Ritterautsbesitzer erteilte gerade seinem dem langen Zaber, die j letzte Audienz, als ihm Maximilian >!Otts Empfehlungsschreiben hereinge i! schickt wurde. Die Sache paßte ihm in >! diesem Augenblick ganz und gar nicht. „Was meinen Sie, Zabern? Wird ! schon ein nettes Früchtchen sein, was? !Dsr Deixel hole derlei Freundschafts ibienste. Damals mit dem jungen Herrn von Noltte sind wir auch so eklig 'ringeschliddert." „Ja, Herr Rittmeister, daS sagt' ich mir dazumalen gleich: Eleve, der mit der jungen Herrschaft Tennis spielen i darf, aus dem wird nie 'was Rechtes !für die Wirtschaft." j „Na das wäre in dem Falle na türlich absolut ausgeschlossen," sagte Herr von Golin sofort. „Das erwar ! tet sein Later auch gar nicht." Er war I — was selten vorkam recht un schlüssig. „Ja, teuerster Zabern, Sie sind nun für ein paar Monate hier der Herr von'sGanze, da geht Sie das mehr an als mich. Können Sie ihn sachgemäß beschäftigen, dann gut. Sonst: zum Faulenzen und Klug schnacken wird nur ein zweites Mal keiner mehr engagiert." „Nee, Herr Rittmeister,was die rich tige Arbeit für so ein junges Männ chen anbetrifft, das sollte mir die ge ringste Sorge sein." Golin las den Brief noch einmal. Er entsann sich des ziemlich verfehlten Besuchs, den er mit seinen Damen im Oktober dem alten Studienfreund ab gestattet hatte. Allzu dringlich machte Maximilian Ott sein Anliegen gerade nicht. Immerhin das schimmerte ja durch geschah ihm ein Gefallen, wenn man sich seines verlorenen Söh nchens annahm. „Na, Zabern,wenn Sie für den jun gen Mann also Zuchtrute und morali sche Reinigungsanstalt markieren wol len, mir soll's recht sein. —Lassen Sie ihn 'mal anschwirren." Hansheinrich schnitt bei dem ziem lich scharfen Verhör,das Golin mit ihm anstellte, ganz leidlich ab. Von deri Landwirtschaft hatte er allerdings noch keine blasse Ahnung. „Sie müßten sich die nächsten Mo nate hindurch zuvörderst auf jedwede Art praktischst zu betätigen suchen. Großen Arbeitsplan will ich Ihnen nicht aufstellen. Aber das sag' ich Ih nen gleich, bei mir heißt es: 'ran an den Speck. Jeder tut seine vermale deite Pflicht und Schuldigkeit: wenn nicht, ab nach Kassel. Leuteschinder bin ich nicht, aber ich verlange Ehrgeiz, ganze Kerle, verstehen Sie wohl? Bummelanten sind mir ein Greuel. Wenn ich in der Wirtschaft bin, kenne ich für meine Person auch nichts ande res als Arbeit. Also sehen Sie zu, daß Sie dem Herrn Inspektor nach Möglichkeit an die Hand gehen. Von dessen Urteil über IhrcLeistungen wird es abhängen, ob ich nach meiner Rück kehr mit Ihnen in ein kontraktliches Verhältnis eintrete. Vorläufig kann ich mich nur auf eine Probezeit einlas sen. Wollen Sie? Na, denn bon." So war die Angelegenheit binnen fünf Minuten ohne weitere Umstände und Formalitäten erledigt. Zabern nahm den neuen Wirtschaftseleven so fort nach der Jnspektorwohnung mit hinüber und zeigte ihm da die Boden kammer, die ihm eingeräumt werden sollte. Hansheinrich war mit allen Bedingungen einverstanden. Große Ansprüche zu stellen, war er ja nicht gewohnt. Die Herrschaft bekam er vor ihrer Abreise nicht weiter zu sehen. Zabern instruierte ihn darüber, daß auf Oliza ein Anschluß an die Herrschaft den Be amten überhaupt nicht gewährt werde. Trotzdem er selbst, ein Sechziger, dabei Junggeselle, hier auf dem Gute schon unterm Vater vom gnädigen Herrn gearbeitet hatte, nahm auch er die Mahlzeiten nicht mit an der Tafel im Schlosse. Golins führten ein herzliches, inni ges Familienleben. Die jungen Da men sah man nur selten.auf dem Hofe. Dafür aber galt Frau von Golin für eine sehr huldvolle Herrin, die am per sönlichen Schicksal eines jeden einzel nen von den Leuten warmen Anteil nahm. Im Gegensatz zu ihr schilderte man ihren Gatten als einen Anhänger feudalen Junkertums. Herr von Go lin war Rittmeister der Reserve; seine ganze Verwandtschaft gehörte dem ak tiven Heere an. Er hatte gegen seine sämtlichen Untergebenen eine kurzan gebundene, soldatische Art, die unbe dingten Gehorsam forderte und nie mals Widerspruch duldete. Es hieß, daß er bei seinen persönlichen Bekann ten für einen sehr gemütlichen Gesell schafter gelte; auf Oliza merkte man nichts davon. Auch mit Zabern, der dock eine große Vertrauensstellung aus fü-ie, verkehrte der Rittmeister fast nur dienstlich. Haiisheinrich war diese Charakteri stik der Herrschaft ganz angenehm. Auch er lebte am liebsten ganz für sich. e lEr glaubte wohl, daß er sich rasch in! i diesem neuen Kreise zurechtfinden i - ! würde. i i Als obersten Willen auf Oliza lern .! te er zunächst den des alten Inspektors ! w kennen. Daß darüber noch der des Herrn stand, das empfand ' man in diesem Winter nicht. Hans- ! i Heinrich vergaß es in den nächsten Mo l naten überhaupt, daß hier noch eine Herrschaft existierte. Das schloßähn l liche Herrschaftshaus war geschlossen, j ! die Fenster waren mit grünen Roll l lüden abgesperrt, nur i der einen > Souterrainküche herrschte Leben: da wurde nach wie vor für die Beamten gekocht. Unterm Gesinde sprach man mit großer Ehrfurcht über die weite Ausdehnung der Reise, die die jungen Golinschen Damen zum erstenmal in! ! ihrem Leben ausführen durften. Bis j !ZU Weihnachten weilten sie an den j obentalienischen Seen, dann zogen sie ;nach Bordighera. Anfang Februar > wollten sie nach Nizza, um erst nach! !viermonatlicher Abwesenheit heimzu-! ! kehren. Regine, die Jungfer, die die! Damen begleiten durfte, schrieb voller > Begeisterung von der Reise aus an das j übrige Gesinde. Hansheinrich hatte mit niemand auf! Oliza Freundschaft geschlossen. De- > ckails über die Herrschaft kamen ihm daher nicht zu Ohren. Der einzige, der Anschuß an den ineuen Hofgenossen suchte, war der ! Schreibgehilfe des Oberamtmanns, lTomaschke, der bucktiche Sohn eines Gendarmen aus Treptow,der ungefähr ! gleichalterig mit ihm war. Die Schifssjungenvergangenheit des jun gen Ott war unter den Beamten und dem Gesinde bald bekannt geworden; aber es brachte ihn niemand zum Pla udern über seine Erlebnisse. Auch To maschke nicht, so schlau der's anzustel len glaubte. Es verbreitete sich darauf die Ansicht über ihn, er sei ein ungesel liger, unfreundlicher Mensch, er habe Wohl gar den „Tick", 'was Besonderes vorzustellen, wei sein Vater in Berlin was gelte. Aber hier werde kein Un terschied gemacht das solle er sich nur ja von vornherein merken. Man , kümmerte sich in der Folge nicht mehr um ihn. Hansheinrich verlangte es aber gar nicht anders. Seine Arbeit ; verrichtete er ernst und unverdrossen; seine Freizeit verbrachte er allein für sich. Den Inspektor focht die Unzufrie- denheit der anderen mit dem jungen Ott in keiner Weise an. Er hatte sich , bald sein eigenes Urteil über den jun- i gen Menschen gebildet, und das lautete durchaus günstig. Nach guter Metho- de hatte er seinen Zögling sogleich prak- ! tisch in die verschiedenen Zweige der . Innen- und Außenwirtschaft einge führt. Hansheinrich hatte zunächst ein . paar Wochen lang Stalldienst zu ver- ! richten, dann kam er, als in der Bren- l nerei Arbeitskräfte nötig wurden, zur ! Aushilfe dorthin, darauf inußte er ge- legentlich einen Vogt bei der Feldar beit vertreten, und als er zur Not mit , Wagen und Pferd Bescheid wußte, ! schickte ihn der Inspektor morgens , mit der Milch zur Zentrale und zu den Einkäufen auf den Markt. i Ein Wort des Lobes hatte noch kei- ; ner auf Oliza von den Lippen des al- ten Zabern vernommen. Der Jnspek- . tor. ein langaufgeschossener, sehniger, - fast dürrer Monn, der sehr wortkarg l war und nur der Pflicht lebte, ward > von den Leuten vielleicht noch mehr > respektiert als der Besitzer selbst. Im i Gegensatz zum -Rittmeister nannte man , ihn den Wachtmeister, obwohl er gar ' nicht gedient hatte. Hansheinrich kam mit ihm ganz gut aus. Freilich sprachen sie selten über ' andere als berufliche Dinge miteinan- ! der. Die Mahlzeiten nahmen sie zu- ! meist schweigend nebeneinander am Be- ! amtentisch im Erdgeschoß der Brenne- i rei ein. Der Brennerei - Inspektor, i der hier der Wortführer zu sein pfleg- ! te, hatte den Neuling anfangs aufzu- : ziehen versucht; Zabern hatte sich aber ziemlich unwirsch ins Mittel gelegt. ! Seit der Zeit ließ man ihn ebenso un- i geschoren wie den „Wachtmeister". Er sei gerad' so ein Original wie der Alte, ! hieß es dann unter den Leuten. Eine Vereinsamung fühlte Hans- ' Heinrich zunächst nicht, trotzdem er an keinerlei Geselligkeit teilnahm. In den ersten Wochen hatte ihn die neue Arbeit derart ermüdet, daß er nach Feierabend immer baldigst zu Bett ging. Die Nachtruhe war ohnehin kurz, denn um vier Uhr hieß es gewöhnlich schon wie- ! der aufstehen. Auch sein Fuß atte ihm > anfangs noch zu schaffen gemacht. Er > war abends froh, wenn er endlich die großen Wasserstiefel ausziehen konnte. > die ihmZabern aus seinem überraschend > reichlichen Vorrat abgegeben hatte. : Sein Schlaf war fest und gesund. Es i kam überhaupt ein großes körperliches i Wohlbehagen über ihn. Was ihn an Bord so elend und verzagt gemacht lhatke, Vas kannte er jetzt nickt mehr: i Vas Heimweh. 1 Zn Weihnachten war noch einmal ein Rückfall gekommen. Seine Mutter 'hatte an ihn geschrieben. Es waren ernste, sehr eindringliche Mahnungen gewesen. Sie schrieb ohne Bakers ! Wissen. Und es war das alte Lied: er solle doch endlich in sich gehen jetzt, angesichts des brennenden Weihnachts baumes solle um Verzeihung bit i tcn. Die Elternliebe sei ja so uner schöpflich; sie Werve sich ihm sicher wie der zuwenden, und man werde ihn nicht untergehen lassen, wenn er nur wirklich aufrichtige Reue und Zerknir schung an den Tag lege. Sie dachte sich sein Los gewiß sehr traurig. Aber er war mit seinem Le !ben ganz zufrieden. In seiner Ant wort suckle er es ihr in rosigsten Far i ben >' Kern. Er hatte Liebe und Lull Landwirtschaft, die Arbeit sagte 1.-pi ourchaus zu, er wünschte Isich's gar nicht anders. Und was er ! neuerdings Unrechtes getan haben fok ale, wisse er nicht. Seine Eltern habe !er doch wahrlich nicht kränken wollen. !Sei es dennoch, ohne seine Absicht, ge ! schehen, so tue es ihm sehr leid. Aber !das dürften sie ihm doch nicht immer zum Borwurf machen, daß er sich sein Leben nicht nach ihren Plänen habe einrichten wollen. Ob denn nicht jeder Mensch das Recht der Selbstbe stimmung habe? Als er all das nienrschrieb, dachte er nicht an seine Mutter, sondern an ! Tante Ellen,die das Blatt ja sicher zu ! allernächst in dieHaud bekommen wü-r -!de. Und es flössen ihm trotzige Wen ! düngen in die Feder, die er hernach,als der Brief abgeschickt war, bereute. Er verbrachte die Festtage, in denen es auf Oriza hoch herging, da die Herrschaft reichlich Geldgeschenke und Naturalien angewiesen hatte, recht still liind gedrückt. j Darauf hörte er nichts mehr von zu I Hause. Aber eine neue, eine rein geistige Verbindung mit seinem Vater bahnte sich bald nachher an. Der Inspektor war auf das „Neue Fremdenblatt" abonniert, das auch auf dem Schlosse wie vielfach in der gan zen Nachbarschaft gehalten wurde. Zu fällig bekam Hansheinrich einmal ein Exemplar zu lesen, das schon durch viele Hände gewandert war. Ein glän zender Artikel seines Vaters in einer agrarischen Angelegenheit von großer Tragweite stand darin. Sogar am Speisetisch der Beamten war davon die Rede gewesen. Während seines kurzen Aufenthalts im Elternhause hatte er die Zeitung ja auch regelmäßig gelesen. Die Artikel seines Vaters, dessen Zeichen er kann te, hatten damals aber nicht so unmit telbar auf ihn gewirkt, wie jetzt, wo rund um ihn die Wogen des praktischen Lebens so hoch gingen, wo er wahr nahm, wie jedes Wort von ihm ein le bendiges Echo wachrief. Von nun an beschäftigte er sich ein gehender mit den Arbeiten seines Va ters. Und von Woche zu Woche wuchs seine Begeisterung. Auch der Stolz regte sich in ihm: daß der Mann. der so aufrecht mitten in den politischen Wirren aushielt, sein Vater war. Und seltsam es überfiel ihn dabei gleich zeitig eine große Beschämung. Er kam sich selbst so klein und wertlos vor ge genüber dem berühmten Manne. Er begriff jetzt doch nicht, daß er's gewagr hatte, ihm so trotzig und herausfor dernd gegenllberzutreten. Was war er, der armselige Schiffsjunge, gegen den mutigen Kämpen,der da heute dem Minister den Fehdehandschuh hinwarf, der morgen mit ein paar fcingeschlif fenen Sähen voll köstlicher Satire das Krämergeschrei einer mächtigen Grup pe von goldgestopften Millionären be leuchtete, der Tag für Tag auf dem exponierten Posten war, immer mit ei ner glänzenden Dialektik, immer mit geistvollen Einfällen, und doch stets so klar und faßlich in seiner Darstellung, daß sogar die einfachen Leute hier auf dem platten Lande ihm voll Verständ nis und Begeisterung folgen konnten! Zabern war wohl einer der unbe dingtesten Anhänger von Ott. Es war ja nicht seine Art, viele Worte zu machen. Aber Hansheinrich merkte es ihm jedesmal an, wenn ihn ein Arti kel im „Neuen Fremdenblatt" beson ders ansprach. Es kam dann bei und nach der Lektüre eine Unruhe über den Alten, die man sonst gar nicht an ihm gewohnt war. Er ging mit dröhnen den Schritten auf und nieder,schnupfte öfter, räusvcrte sich und brummte auch wohl vor sich hin. Einmal nahm er das Blatt, schob es Hansheinrich hin, der gerade die Lohn liste ins Reine schrieb, und klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. „Fa mos gemacht, Ihr Alter, Himmeldon nerwetter!" sagte er fast atemlos. Darauf verließ er die Stube. (Forschung folgt.)