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2 Die Finsternis und ihr Liyenturn. (7. Fortsetzung.) ./ Mit geschlossenen Augen.das blonde Haar vom Blut verklebt, aschfahl lag er in dem Sessel. Jetzt weißt du, wer ich bin! lispelte er zu Soran, der seine Hand hielt. Diese rote Wolke! Sie kommt immer wieder!—Wenn sie nur nichts Schlimmeres waren, als arme Leute Die Finsternis Sein Haupt sank auf die Brust herab. Soran! Er drückte mit selt samer Kraft die Hand des Freundes. Die Finsternis! Dann schwand sein Gedächtnis. Auf der Bude Ohnesorgs saß Gras Soran beim Scheine der Studier lampe. Er hatte die Wache bei dem Verwundeten übernommen, obwohl die Normannen bereits den anderen Tag Johannes „cum infamia" aus dem Verband des Korps gestoßen. Er hatte es ihm geschworen, ihm treu zu bleiben, da konnte auch das Schlimmste nichts daran ändern. Au ßerdem konnte er sich die Liebe zu dein Freunde nicht aus dein Herzen reißen. Hier war ein tiefes Leid, hier lauerte ein furchtbares Schicksal im verborge nen, er hätte es für eine Feigheit gehalten, Johannes jetzt zu verlassen. Er war schon der vierte Tag seit der unglückseligen Mensur. Johannes schlummerte, das Haupt mit weißem Linnen verbunden jetzt bewegte er sich, die Decke verschob sich. Soran bemerkte ein aufge schlagenes Buch, das er darunter ver borgen. Gewiß hatte cs die barmher zige Hausfrau in seiner Abwesenheit gegen den ausdrücklichen Befehl des Arztes eingeschmuggelt. Er trat an das Bett und nahm eS vorsichtig. „Tie Finsternis und ihr Eigen tum!" las er. Ein recht passender Titel für einen Schwerkranken! Dann nahm er es, setzte sich vor das Bett und blätterte darin, der Inhalt ließ ihn nicht mehr los. Das Buch enthielt das LebenSwerk Cassans, seine reichen Ersahrungen, seine Erfolge und Enttäusch,mgen.dcn ganzen Kampf gegen die Finsternis, den er geführt, aber auch seine un erschöpfliche Liebe, seine schweren An klagen gegen die Gesellschaftund sein Problem der Rettungsarbeit. Graf Soran war auf den Höhen des Lebens aufgewachsen. Die Well, die sich ihm jetzt öffnete, war ihm kaum vom Hörensagen bekannt, noch weniger hatte er sich je die großen Fragen vorgelegt, die hier aufgerollt waren, aber sein Herz war groß und gut. Er vertiefte sich ganz in das Buch. Plötzlich fühlte er seinen Arm be rührt. Er schreckte zusammen. Jo hannes saß aufrecht und sah ihn groß n. Lies nur, Soran! Da drinnen sieht alles, alles, von Anfang bis zum E> de, auch die rote Wolke! Zoran erschrak. Er ahnte selbst diuitel Aehnliches.doch nimmer durfte er ibin jetzt recht geben. Das Fieber spricht aus dir, Johannes. Wie kannst du mir das nur antun undhinter mei nem Rücken lesen, so ein Buch auch noch! schalt Soran. So ein Buch! Es gibt kein Buch mehr für mich, außer dieses! Sieh mich an, Soran! Ahnst du nichts? Und fühlst du nichts? Du Aristotra tenseele! Tu Lichtgeborener! Er legre den Finger auf seine Brust, sein Antlitz nahm einen düsteren Ausdruck an. Ich bin daß Eigentum der Finsternis! Große Tränen rollten über seine Wa ngen, dann ergriff ihn ein wildeS Schluchzen. Jetzt war nicht die Stunde der Re densarten. Soran fühlte tief erschüt tert die hinter den Worten verborgene Wahrheit. Er schwieg und neigte daS Hnrpt unter dem düsteren Verhäng- N' des Freundes. Und jetzt ließ den Schluß, Soran! ! n Johannes mit zitternder Stimme, k-ie letzten Worte! Und Soran las. Seine sonst so heitere Stimme klang ganz feierlich. „Wer der Finsternis ihr Eigentum entreißen tyill, muß stark sein, wie ste selbst. Abstreifen muß er jedes Vor urteil. jeden Widerwillen, jeden Haß. nur drei Dinge dürfen in ihm woh nen: die Gerechtigkeit. die Wahr heit und die Liebe!" Lange schwiegen beide, dann reichte Soran iiber dem Buche CassanS dein Freunde die Hand. Und wir wollen eS ihr entreißen, nicht wahr. Johannes, auf allen unse ren Wegen! Johannes nickte nur erschöpft, em kindliches Lächeln erschien auf seinen Lippen, dann schlossen sich seine Au >. gen Soran blickte lange in daS vcrklär - tr Antlitz. Wie war es nur möglich! Und doch, wenn er dachte, daß es fk. dasselbe war, das er vor drei Tagen auf der Mensur gesehen, das ihm in der Nacht keine Ruhe ließ, ein aus gemachtes Mörderantlitz! Er löste die Hand aus der des un glücklichen Freundes und vertiefte sich von neuem in das sonderbare Buch, das ihm so viel Rätsel löste, das Buch Cassans, „Die Finsternis und ihr Ei gentum"! 6. Kapitel. Das Haus in der Mandelgasse war mit der Rückkehr Klärchens zu neuem Leben erwacht. Vor dieser blühenden Jugend flohen die düsteren Geister, die jahrelang diese öden Räume be wohnt, oder zogen sich wenigstens in das Hinterhaus zurück, das noch im mer unverändert im feuchteil Schat ten der Ulmen stand. Marianne war rasch gealtert. Tie Sorgen ihrer Stellung wuchsen ihr über den Kopf. Enttäuschung folgte auf Enttäuschung. Ter Erfolg Gund lachs blieb weit hinter ihren Hoffnun gen zurück. Cassan hatte ihr zuviel zugemutet. Immer mehr drängte sich ihr die Ueberzeugung aus, Laß nur ein Mann imstande sei, diesen fortgesetzten Kampf zu führen, die Anstalt deni eigentlichen Zweck des Gründers zuzuführen. Andererseits konnte sie zir keinem Fremden das Vertrauen fassen, ohne das sie sich nicht berechtigt fühlte, all die Geheimnisse zu offenbaren, die wohlverschlossen in ihrem Pulte la gen. Da kam Klärchen zurück. Marian nens Plan, daß Kind ferne von allen düsteren Eindrücken ihres Vaterhau ses zu erziehen, unberührt von all den Erinnerungen, die auf ihm lasteten, hatte sich glänzend bewährt. Aiis Klärchens Auge leuchtete die Freude und das Glücksverlangen. Sie hatte die naive Zufriedenheit des Ge lehrten geerbt. Sein trockener Hu mor war bei ihr zur übersprudelnden Laune geworden, während die Har monie seiner großen Seele, die alle von ihm geschauten und durchwühlten Abgründe nicht stören konnten, trotz der scheinbaren Unruhe der Jugend, jetzt schon aus ihrem ganzen Wesen tönte. Marianne war erst hochbeglückt, die stolzeste Mutter,dann kam ihr plötzlich ein arges Bange. Sie fühlte sich entsetzlich alt neben Klärchen, aufge rieben. dem Anstürmen solcher Ju gendkraft nicht mehr allein gewachsen; auch Gundlach war nicht das Feld da für. Lag es im unabänderlichen Grunde der Tatsachen, oder war es ihre Schuld, fehlte ihr das „dritte Ding" Cassans, die Liebe! Oder war ihr Blick nun einmal für immer durch die Vergangenheit getrübt, trotz allem scheinbaren Blühen und Gedeihen, all der frohen, gesunden Gesichter um sie her. all der Ehren und Lobsprüche, die sie im Lause der Jahre eingeheimst. sie wurde Gundlachs nicht lroh. Sic konnte dort nicht Wurzel fassen. Klärchens Rückkunft war ihr ein willkommener Anlaß, ihren Wohnsitz wenigstens für die Winterszeit wieder in die Mandelgasse zn verlegen. Und noch etwas, eine längst in der Einsamkeit groß genährte Hoffnung bewegte Marianne: Klärchen wird ibre schweren Bedenken betrefssGnnd lachS Zukunft lösen, indem sie einem Manne die Hand reicht, der ihres Ve rtrauens würdig ist, der das Werk Cas saus endgültig in die von ihm gewoll te Bahn lenkt. O, sie wird eifersüchtig wachen über ihr Kleinod, alle Unberufenen ferne halten, den Berufenen aber, wer es auch sei, mit offenen Armen empfan ge. Und Klärchen soll wissen, was sie zu vergeben hat. nicht mir eine schöne Mädchenhand, sondern ein hehres Vermächtnis, für das der Va ter gestorben, die Mutter gelitten. Die Tochter eines Cassan darf sich nicht vergebe, wie irgend ein anderes Mädchen, nur der Stimme des Her zens folgend, oder einer LiebeSwal lung. Zu ihrer Beruhigung bewahrte Klärchen mit so inniger Liebe und Verehrung das Andenken des ihr kaum mehr erinnerlichen Vaters, daß Marianne ihr neues Amt gar nicht schwer dünkte. Jetzt nach drei Jahren ihrer Anwc seicheit regte sich eher eine andere Be fürchtung in Marianne. Klärchen gautelte wie ein Schmetterling über das Leben hinweg.der gar nicht daran denkt, sich von irgend einer Hand ha schen zu lassen. Daran konnte auch daS Haus in der Mandelgasse, mit seinem trotz aller Geselligkeit ernsten Geprä ge, nichts ändern. Die dunklen Gän ge und unheimlich knarrenden Trep pen, die niedrigen Hallen und geheim nisvollen Winkel, das wurde für sie alle- zum farbenprächtigen duftigen Haine, über dem sie ihr harmloses Gaukelspiel trieb. Wiederholt hatten sich schon Bewer- Ter Teutsche Korrespondent, Baltimore, Md., Sonntag, den 14. Oktober ber gemeldet, welche Mariannens Wünsche Wohl gerecht zu werden ver srpachen, aber wehe ihr, wenn sie nur eine Andeutung machte, da war das liebliche Kind plötzlich wie verwandelt, ein fester Wille, eine trotzige Energie trat an die Stelle kindlicher Hinge bung, der schimmernde Schmetterling wandelte sich zum störrigen jungen Falken, der sich gegen jede Fessel sträubt. So war wieder ein Winter ange brochen. Marianne fühlte sich noch leidender und öffnete doch weit die Pforten des Cassanhauses. Wenn in diesem Winter Klärchen sie nicht er löste, dann konnte es leicht zu spät sein für sie. Marianne liebte es, an gewissen Tagen ihre alten Freunde und „Fach genossen", wie sie sich ansdrückte, beim Tee um sich zn versammeln. Das wa ren ihre Erholnngsstnnden, gegen über den geräuschvollen Gesellschafts abenden, an denen Klärchen zuliebe mehr die Jugend die Räume füllte. Sie verfolgte damit noch den weite ren Zweck, Klärchen, die dabei nicht fehlen durfte, an eine ernstere, für ihre Zukunftspslichten belehrende Un terhaltung zu gewöhnen, ihr Interesse für das „Fach" anzuregen, eine Ab sicht. die ihr auch sichtlich gelang,wenn auch der heitere, dein Leben zugekehrte Sinn des Mädchens noch keinen tiefe ren Eindrücken zugänglich war. Es war in der Weihnachtswoche. Draußen fegte der Schilee durch die Mandelgasse, klirrten die Blechschil der, flackerten die Gaslichter. Ein richtiger Plauderabend am Kamine. Ter Vater Mariannens, Professor Moseli, mit seinen ehrwürdigen, et was kokett getragenen schneeweißen Locken, die ihm bis aus die Schulter sielen und dem ausgeprägten Gelehr tenkopf eine späte Würde verliehen,— Justizrat Schäfer, der alte Freund und Gegner Eassans, dessen Jnauisi torenblick eine jahrelang in Frieden genossene Pension die Schärfe genom men, Doktor Brandeis, der Haus arzt, dann noch ein ausfallend massiv gebauter Mann, der sowohl seinem noch jugendlichen Alter als seinem, keine besonderen geistigen Oualitäten, eher ein allsgesprochenes Philistertum verratenden Antlitze nach, wenig in die Gesellschaft paßte. Eine feuerrote Schinarre, tief in die kräftige Stirne geschnitten, so daß sie zwei förmliche Wülsten bildete, war das einzige Cha rakteristische an ihm, Polizeirat Doktor Möller. Er hatte den Bezirk, zu dem Gnnd lach gehörte, unter seiner Amtsfüh rung, und Marianne hatte oft mit ihm amtlich zu verkehren, außerdem galt er für einen hoffnungsvollen Jn stizmann, für viele allerdings für ei nen der ausgesprochensten Scharfma cher, besonders in dem Politischen Teil seines Faches. So kam er in das Hans Cassans, zu dem wissenschaftlichen Tee, zu welchem auch Klärchen wöchentlich einmal ver urteilt war. Heute war ein ganz besonderer Abend, voll und ganz denn großen Toten geweiht. Zn Weihnachten war der Cassanpreis fällig, der alle zehn Jabre der besten Lösung der ausge worfenen Frage: über das Verhalten der menschlichen Gesellschaft gegen über dem Verbrechertum, zuer kannt werden sollte. Der Bestimmung Cassans nach soll te eine Jury hervorragender Fach männer das Urteil fällen, mit dem Beisatz, daß, im Falle sich die Htiin men auf zwei Arbeiten gleichmäßig verteile, dem jeweiligen Vorstand der Kolonie Gundlach, vorerst also Frau Marianne Eassan, die Entscheidung zuslände. Um jede Beeinflussung, sei es durch einen bereits anerkannten Namen, lei eS persönliche Beziehung und Sym > pathie, vorzubeugen, sollten sämtliche Preisausgaben nur durch ein Motto bezeichnet, mit verschlossen beigelegter Namenangabe,an die Jury eingeschickt werden. Diesmal traf der erwähnte Fall > wirklich zu und wurde' so, der Bestim mung nach, Frau Cassan die Entschei , düng überlassen. Marianne hatte sich alle Mühe ge geben, die beiden Arbeiten, die ihr vorgelegt wurden,womöglich im Geiste ihres Gatten, auf das sorgfältigste zu > prüfen. D Tie eine trug das Motto: „Erkenne > dich selbst!" Eine edle Gesinnung sprach daraus, ein mitfühlendes Herz. > Der Schwerpunkt war auf die Ge > meinsamkeit des Bösen in der Men - schcnbrust gelegt In jedem steckt ein Verbrecher, derselbe braucht nur an - der empfindlichen Stelle berührt zu werden, und er erhebt sich. : Marianne schien die eigentliche > Frage zn wenig berührt Der Versus i ser gab mehr eine Pkvchologie des Verbrechens, als eine Anweisung zur Abwehr. Ta wirkte die zweite Arbeit ganz anders auf sie: „Nicht Wohltat Pflicht!" Ihre Ausführung lag im Motto schon begründet, das sie von vornherein anzog. Sie deckte sich er schreckend mit ihrer eigenen Erfah rung. Die Wohltat war das Uebel! Sie demoralisiert, wenn auch noch so vorsichtig, noch so reinen Herzens er wiesen. Sie birgt in köstlicher Schale einen verderblichen Kern. Ein Ausspruch machte Marianne stutzig: „Auch ihm, dem Wohltäter, auf welch sittliche Höhe er sich auch ge schwangen haben mag, verstellt die „Schani" den Weg zur Gerechtigkeit. Sie schämen sich beide, der Empfan gende und der Gebende, und ihre Hände berühren sich immer mit unbe wußter Scheu. Wie viele der söge nannt Geretteten hat diese „Scham" wieder zurückgetrieben in die Finster nis, der sie entnommen." Ueberhaupt sprach aus der ganzen Arbeit Erlebtes, Selbstempfnndenes, gegenüber den; mehr doktrinären, wen auch von der edelstenßestrebung geleiteten, des „Erkenne dich selbst." Einen Augenblick dachte sie wirklich an Johannes. Sie hatte ihn zwar seit zwei Jahren aus den Angen ver loren, nicht ohne Absicht. Eine dumpfe Furcht vor ihm verließ sie nie. So wollte sie wenigstens alles vermei den, die abgerissene Verbindung wie der anzuknüpfen. Rasch riß sie sich auch jetzt wieder von diesem aben teuerlichen Gedanken los. Dem letz ten Berichte aus 5.... nach, aus der Hand des Universitätsrektocs, tyar nicht zn erwarten, daß aus dem Men schen etwas Rechtes geworden war, eher das Gegenteil war zn befürchten. Marianne gab ihre Stimme der Arbeit mit dem Motto: „Nicht Wohl tat. Pflicht- Morgen wird sie den Namen des Preisträgers erfahren. Vor zehn Jahren, als der Preis znm ersten Male zur Verteilung kam, lud sie den Gewinner ein, persönlich zu erschei nen und bei der Gelegenheit die Sammlung des Stifters und die Ko lonie Gundlach zu besichtigen. Es war ein junger Gelehrter aus Wien, mit dem sie lange Zeit in höchst anre gendem Briefwechsel stand, bis er vor wenigen Jahren in Ausübung seines Berufes an der Eholera starb. Damals, wär Klärchen im Pensio nat. Sie erinnerte sich noch wohl,wie sie bedauerte, daß der geistvolle, lie benswürdige Mann nicht um zehn Jahre später kam. Wer weiß, wie es dann käme! Der Träger des Cas sanpreiseS der Gatte Klärchens! Diese Kombination hatte damals einen nn> endlichen Reiz für sie. Jetzt war Klärchen im Hanse, und wieder stieg der sonderbare Gedanke in ihr auf. Sie war immer "twas Fatalistin. Warum soll sie denn diesmal eine Ausnahme machen, den Preisträger nicht einladen, ganz abge sehen von allem. Und wenn? Der Name Ohnesorg tauchte wieder in ihr auf. DaS seltsame Motto, der In halt der Arbeit brachte sie immer wie der darauf. Und wenn ! Dann wird er es nicht wagen, seine Augen zn Klärchen zn erheben. lind Klärchen? Ta regte sich schon wieder die „Scham". „Sie schämen sich beide, der Eiirpfänger und der Empfangende!" Aber das ist ja nicht so, die Stimme der Natur selbst wird, aber er kommt ja gar nicht, wenn er es wirklich ist wieder aus Scham! Jetzt errötete sie selbst vor sich. Und sie fügte dem Manuskript, dem sie ihre Stimme gab, einen Brief an die Jury bei, in welchem sie bat, den Preisträ ger in ihrem Namen einzuladen, den Preis persönlich aus ihren Händen zu empfangen. Marianne fand an diesem Abend heftigen Widerspruch. Justizrat und Amtsrichter hatten sich gegen sie ver bündet besonders der letztere bedauer te entschieden die von ihr getroffene Wahl. Er war ein prinzipieller Gegner der ganzen neuen Richtung, die aus dem Verbrecher immer mehr einen Kranken machen wollte, für dessen traurigen Zustand mehr oder minder die schlechten moralisch - hygienischen Maßregeln der Gesellschaft verant > wörtlich gemacht wurden. Für ihn war und blieb er der Schädling, der ausgerottet werden mußte, wo, unter welchen Umständen er sich fand. : Er war auch im Prinzip gegen d-e Versetzung in ein anderes Erdreich, das dadurch nur ebenfalls verdorben wird. Vollständige Ausrottung, be : ziehungsweise Isolierung war sein l feststehendes Prinzip, l Das Motto: „Nicht Wohltat Pflicht" versetzte ihn in eine Erre > gung. die man dem trockenen Manne gar nicht zugetraut hätte. ! Und das wagt man Ihnen vorzule gen die Narbe auf der Stirn glühte feuerrot auf einer Dame, die ihr ganzes Leben diesem undank-' baren Pack opfert! Es war also noch diesem Herrn nur die Pflicht und Schuldigkeit Ihres verstorbenen Gat ten, eine Kolonie Gundlach zu grün den! Und das können Sie billigen? Tie Pflicht Cassans war es aller dings streng genommen nicht, entgeg nele Marianne. Ter Staat hätte eben längst dafür sorgen sollen, das; sich einem Manne wie Cassan das dringende Bedürfnis einer solchenAn ftalt überhaupt nicht aufdrängt. Der Ltaat hat die Pflicht, für genügende Gundlachs zn sorgen, das nieinte der Verfasser. Ja, er hat die noch höhere Pflicht, dafür zu sorgen, daß keine Gundlachs mehr nötig sind, indem es keine verwahrlosten Kinder mehr gibt. Eine Utopie,'Frau Marianne, er klärte der Justizrat, an der JhrPreis träger bald wieder etwas anderes aus zusetzen hätte. Ter Wohltat ihre Be rechtigung absprechen, heißt in meinen Augen die schönste Blüte am Men schenbaum vernichten; nur ein ganz unmoralischer Mensch, bitte, ich kann mich nicht anders ausdrücken, kann das wagen. Oder einer, der selbst der Wohltat seine Existenz dankt und einfach zu hochmütig ist zur Dankbarkeit. Sol che Leute kenne ich auch. Wenn Sie Ihre Wahl nur nicht bereuen, erklärte der Richter. y Lasse dir nur nicht Angst machen, Mama, wandte Klärchen ei, welcher der Amtsrichter von Anfang an eine heftige Antipathie einflößte. Dein Kandidat hat ganz recht! Ich habe es an mir selber erfahren, draußen in Gundlach. Jawohl, Herr Amtsrich ter, ich gestehe es offen, cs ist doch immer Mitleid, was ich fühle und das Mitleid verdirbt mich und das Kind. Mich macht es hochmütig, das Kind kränkt es. Tn, Klärchen, hochmütig! meinte Großvater Moseli, der dem Streite der Meinungen mit behäbig über den Leib gekreuzten Händen zusah. Ja. ja. hochmütig! Ich dünke mich besser, höherstehend, ich sehe herab, nicht gerade aus. Aber das ist doch nicht mehr als billig, Ihre ganze Stellung, Ihre Erziehung, Ihr Name. Der Justizrat wurde jetzt auch erregt. Es ist eben nur billig nach unseren Anschauungen, und unbillig nach de neu unseres Preisträgers, erklärte Klärchen mit einer Dialektik, welche Marianne sichtlich viel Freude machte. Sie lächelte und nickte Klärchen bei fällig zu. Hören Sie, gnädiges Fräulein, be gann jetzt der Amtsrichter, wenn Sie mif den Herrn hören, dann müssen Sie sich zuletzt noch eine Ehre daraus machen, von einem Gundlacher zum Altare geführt zu werden. lind warum nicht? erklärte Klär chen feuerrot. Wenn ans demGund lacher der rechte Mann geworden wä re. wüßte ich nicht Sie sah sich wie fragend im Kreise um. Marianne hatte sich ans ihrer nach lässig zurückgelehnten Stellung erho ben und rückte nervös, was ihr gerade unter die Finger kam. Tu gehst et was zu weit, mein Kind, viel zu weit. Na, das wundert mich, daß Sie das zugeben! meinte der Amtsrichter, ver zweifelt den Kopf schüttelnd. Klärchen nahm die Sache auffal lend ernst, ihre Wange rötete sich vor Eifer. Glaubst du, daß Papa nicht so weit gegangen wäre, Mama? fragte sie. Marianne war sichtlich verwirrt. Großpapa? wandte sich Klärchen an Moseli. der sich in seiner apathi scheu Ruhe nicht stören ließ. Allerdings, da hat sie recht, Ma rianne. Eassan wäre so weit gegan gen: aber das ist kein Beweis, mein Kind, versteh mich recht! Dein Vater war ein verehrungswürdiger, ein be deutender Mann, aber für das prakti sche Leben hatte er wenig übrig. Ta ist es schon besser, du hältst dich an die Mutter. lind wenn es daraus ankäme, hielte es die Mama doch mit dem Vater und nicht mit de Herren, nicht wahr, Mama? Ich kenne dich besser. Frau MariMine ging aus das Zu trauen der Tochter sichtlich nicht ein. Aber es kommt ja nickt darauf an, Kinder. Werft doch keine spitzfindi- gen Fragen auf, das stört einem or , deutlich die Ruhe, erklärte der Groß papa, an seiner Zigarre saugend. - Ter Diener meldete Professor Bles senburg. l Na also, jetzt werden wir ja den Namen des Glücklichen erfahren > meinte Großvater Moseli. Wer weiß, ob die Herren dann nicht etwas mit der urteilen. Ich bin etwas vorsichtig in diesem Punkt. ' Ich nicht, Herr Professor, erklärte der Amtsrichter. Ich bleibe bei mei nem Urteil. > Marianne war ausgestanden, um . dem Angemeldeten entgegenzugehen. Ein ausfallend kleiner Herr trat j ein mit lebhafter Bewegung, die eine i sichtliche Aufregung noch erhöhte, f Professor Blessenburg, Psychologe sei- > nes Faches, saß in der Jury. j Nun, bringen Sie uns den Namen? fragte Marianne gespannt. > Name? Es ist überhaupt kein Na- , me. Namen bekommen keinen Preis > mehr heutzutage. Namen können i auch das nicht wagen, was so ein f „Homo ignotus" wagt, sehr einfach! i Ein „Homo ignotus", meine Herren! Ter Sprecher gab sich bei jedem Wort > einen förmlichen Schneller nach oben, i Oder hat vielleicht schon einer von ! Ihnen den Namen „Ohnesorg" ge hört ? f Der Professor ließ seine Brille fal- < len vor Erstaunen über die unerwar- , tete Wirkung dieses ihm völlig unbe- i kannten Namens. : Marianne hielt ihn beim Arme und > fragte in ganz unverhülltein Tone.die ! höchste Spannnng in den Zügen: Jo- j Hannes Johannes Ohnesorg? i Großpapa Moseli hatte sich förrn- I lich um seine behäbige Achse gedreht, < die olympischen Locken schüttelnd, i während der Amtsrichter mit einem i Sprung auf den Beinen stand. i Habe ich recht gehört? Ohnesorg! j Johannes Ohnesorg? Die Narbe auf i seiner Stirn schwoll förmlich an,dann i brach er in ein geradezu unanständl ges Lachen aus und schlug sich mit bei- ! den Händen ans die Schenkel. > Den überraschendsten Anblick aber bot Klärchen. Erst wurde sie bleich, ' dann feuerrot, dann klatschte sie wie i ein Kind in die Hände. Mama! Hast dn's gehört? Unser kleiner Johannes! ' Ein Gundlacher Kind! Ist das nicht himmlisch? Wenn das der liebe Papa > erlebt hätte! Unser kleiner Johan- 1 nes! — > „Prinz Hannes"! rief der Amts richter spöttisch hinein. Professor Blessenburg blickte ratlos auf diese allgemeine Aufregung. Ja, sagen Sie mir nur Sie schei- ' neu ja Wer ist denn dieser Mensch? Das will ich Ihnen sagen: ein ausgemachter Schwindler! erklärte der Amtsrichter mit brutaler Stimme. Das müßten Sie denn doch erst be weisen! erklärte Marianne, sichtlich unangenehm von dieser brüsken Aeu ßerung berührt. Das ist eine Lüge! sagte Klärchen dem Amtsrichter mit blitzenden Augen ins Gesicht. Der Amtsrichter stemmte jetzt seine derben Fäuste auf den Tisch, als ob er im Gerichtssaale spräche: Meine Herren! Was ist ein Mann, der sich für den Sprößling eines kö niglichen Hauses allsgibt, während er von, wollen wir sagen, unbekannten Eltern, aus einer Anstalt verwahr loster Kinder, aus Gundlach stammt? Was ist der Mann? Die Herren schwiegen mit bedenkli chen Mienen. Das ist aber unrichtig, das; er sich dafür ausgegeben, erklärte Marianne, sichtlich von ihrem kranken Herzen wie der arg bedrängt, sondern man hat ihm diesen törichten Glauben förmlich aufgedrängt, seinv besten Freunde so gar. Ich bin sehr genau über den Fall unterrichtet und muß Sie schon bitten, Herr Amtsrichter ! Ich bin ja selbst überrascht aber derartige Angriffe muß ich entschie den Marianne >var sehr bleich geworden, ihre Sprache stockte, ihre Hand griff unwillkürlich nach dem Herzen. Klärchen schmiegte sich an sie, jetzt doppelt empört über den verhaßten Ruhestörer. So I Der Amtsrichter reckte sich und nahm einen förmlichen Anlauf. Nun. dann zwingen Sie mich wohl —Ta sehen Sie her! Er griff mit der Hand nach der furchtbaren Narbe,wel che die Stirne spaltete das ist das Andenken Ihres Herrn Ohnesorg,das man. denk' ich. nicht so rasch vergißt. Das Sie gewiß redlich um ihn ver dient haben werden, erklärte Klärchen. Ei, Fräulein Klärchen ist ja ein scharfer Anwalt für den Herrn. Wenn ich Ihnen aber sage, daß er nur den Hieb nicht im ehrlichen Kampfe beigebracht, wie unter Männern Sit te, sondern wider alle Regeln des Duells, in bljnder Wut. auf kein Kommando, auf keinen Sekundanten achtend, daß er mich mit roher Gewalt niedergeschlagen hat, daß es ein Zu fall war, daß er nicht zun gemeinen Mörder an mir geworden ist, ver teidigen Sie ihn dann noch, Fräulein Klärchen? Marianne machte bei dem Worte Mörder eine jähe Bewegung, sie muß te sich setzen. Klärchen ließ sich nicht irremachen. Das verstehe ich alles nicht, aber eins verstehe ich wohl nach Ihrem jetzigen Benehmen: daß Sie ihn zum äußer sten gereizt haben werden. Ich habe ihm nur Pie Wahrheit ge- sagt, allerdings vor der ganzen Stu> dentenschaft, das; er von Gundlach slainnit und nicht von einem königli chen Hause, wie er sich das gebe ich ja zu selbst weisgemacht. klärchen war einerseits derart ent rüstet über diesen rücksichtslosen An greifer, andererseits derart im Banne einer unvergeßlichen Jugenderinne rnng, die sich an den Namen Ohn sorg knüpfte, daß sie blindlings Pkr tei ergriff. lind wer sagt Ihnen denn, daß er es sich nur weisgemacht, das; er es nichl wirklich ist, wofür man ihn hielt? Gundlach doch nicht? Aber ich sage es dir, Märchen, ein für allemal! erklärte Marianne mit auffallender Schärfe, lind Ihnen allen, meine Herren, im Interesse des Mannes selbst, Johannes Oh nesorg ist der Sohn armer, unglückli cher Eltern, nach denen zu forschen fiir ihn nur ein Unglück wäre. Las san bestimmte ihn noch kurz vor sei nem Tode aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, zur Aufnahme in seine Stiftung Er war der erste Zögling und genoß als solcher die Gnade eines königlichen Stipendiums. Das ist die nackte Wahrheit, die mit der Tat sache der Preiserwerbung, meiner An sicht nach, nichts zu tun hat. Ich denke, wir können die unerquickliche Debatte darüber schließen. Ja, ich bitte die Herren darum! erklärte Ma rianne mit sichtlicher Anstrengung. Hast du von dem Mann fragte Großpapa Moseli den Verkündiger dieser aufregenden Nachricht. Doktor der Philosophie in Halle. Weiter kann ich keine Auskunft geben. Hast du denn den Doktor Ohnesorg eingeladen, persönlich zu kommen, wie wir vor zehn Jahren getan. Ma rianne? Auch das ist geschehen, ehe ich den Namen wußte. Sonst wäre es wohl nicht geschehen, meinte der Justizrat Mit bedenklicher Miene. Wäre es sonst nicht geschehen, Ma ma? fragte Märchen mit einer auf fallenden Spannung in den Zügen Ich dächte, erst recht als Zögling von Gundlach! Das ist doch eine Ehre fiir Gundlach, und für den armen Papa erst! Eigentlich sollten wir ja ein großes Fest feiern! Der Amtsrichter lachte verkniffen. Es wäre immer geschehen,Klärchen. erklärte Marianne gepreßt. Gewiß, wie vor zehn Jahren, aber ein gro ßes Fest feiern wir nicht —Sie atmete schwer auf und rang nach Luft. DaS kannst du nicht verlangen.— Sie fuhr mit der Hand über die bleiche Stirn und stützte sich auf die erschreckte Doch ter. Tie Herren werden mich ent schuldigen, wenn ich mich zurückziehe. Ich fühle mich nicht recht wohl. —Be gleite mich, Märchen. Als Marianne ihr Zimmer betre ten, lies; sie sich erschöpft auf den Di van sinken. Sie las Wohl in dem Auge Märchens eine Frage. Es han delt sich nicht um diesen Ohitesorg, das wäre ja töricht. im Gegenteil gewiß ich weiß selber nicht Ach Märchen Sie klammerte sich, wie von einem plötzlichen Angst gefühl befallen, an ihr Kind und sah mit flehenden Augen zu ihm auf. ES kann mir einmal plötzlich etwas zu stoßen, es wird. Klärchen. ich sichle es. es wird dann stehst du allein, ganz allein! Das macht mich so, ich habe dir noch viel zu sage, s oviel Wichtiges, höMt Wichtiges Aber. Mamale, nur jetzt nicht, du regst dich ja so auf, ein andermal wann du willst. und ich will alles in mein Herz aufnehmen, als käme es mir vom Himmel. Verlaß dich dar auf, Mamale. nur jetzt nicht, heute nimmer, ich bitte dich Nein, heute nicht, könnt' ich auch gar nicht, aber nicht wahr. Klär chen, wenn er vielleicht doch kommt, dieser Ohnesorg dann dann Marianne rang um jedes Wort, warn' ich dich, mein Kind. er ist zu leidenschaftlich, zu zügellos. Dü hast es ja von dem Amtsrichter selbst gehört, wie er er hat sich also nicht gebessert Ter Amtsrichter ist ein böser, häß licher Mensch, wandte Klärchen sanft ein. Kein Wort glaube sch ihm l (Fortsetzung folgt.) I Es ist nicht zu sagen. Ilse! wo ein Mode-Neuheit lockt, da möchtest Du sofort hineinschlüpfen." Ja, Liebster, da steckt un Evas töchtern mal so im Blute!" .Euch Evastöchtern? Eva hatte be kanntlich eine recht bescheidene Barderobr. und trotzdem blieb sie immer die erst Dame." ' Mein Gr>. ES ist ein Spruch von alterher: Wer Sorgen hat, hat auch Likör; Ich hab kein meld, da macht mir Sorg Woher, wo niemand mir will borgen. Nehm' nun ich den Likör nur her? ,