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2 Lomun LNiellnuii. von. . . (7. Fortsetzung.) „Und ob etwas daraus wird oder nicht, so wissen Sie, daß Sic zwei gute Freunde haben in Leben und Tod!" sagte die Frau und reichte ihm über den Tisch die Hand. „Amen," sagte der Advokat. Wieder entstand eine Pause; nur das Geräusch der Karten und das Schlürfe der Pantoffel des Advoka ten auf dem Teppich war zu hören. Mortman fuhr auf wie aus dem Schlaf. „Nein, hier sitze ich und die llhr ist über neun! Gute Nackt und Verzei hung, daß ich störte aber es waren wie gesagt die Fenster —" „Es war sehr nett von Ihnen, bei uns vorzusprechen, Mortmann," sagte Frau Kahrs und knöpft: ihm den Mantel zu. „Wollen Sie Luise grü ßen und fragen, ob sie morgen mit ih rem Mann bei uns zu Mittag essen wil! nur wir Bier. Ter Notar hat nämlich ungesetzlich) Schneehühner ge schenkt bekommen." „Ja, tut das! Aber komm morgen vormittag zu mir ins Kontor, oder wcnn Du willst, komme ich zu Dir." „Nein, nein, Lieber gegen zwölf llhr werde ich dasein. Gute Nacht." Mortmann eilte heim es war auch zu dumm! schon über halb zehn! Heute abend mußte es geschehen. Was? —Er wußte es nicht. Aber er sah ein, daß heute abend irgend et was geschehen würde eine Lösung der unerträglichen Spannung, unter der er und seine Frau lebten. Seine Kündigung war an und für sich etwas, was ihre ganze Lebensfüh rung verändern würde Um so bes ser!' dachte er, denn so konnte es nicht bleiben. Nie hätte er geträumt oder es für möglich gehalten, daß eine Ehe zu einer so infamen und unaufhörlichen Plage werden könnte, wie die, unter der er jetzt täglich litt daß zwei ursprüng lich gute Menschen, die sich unaus sprechlich geliebt hatten, es schließlich als Qual empfinden könnten, ihre Stimmen zu hörc.. Seit langem war es vorbei mit den heftigen Szenen, ganz zu schweigen von den nachfolgenden Versöhnungen. Sic sprachen überhaupt nicht mehr als das Allernotwendigste miteinander, ganz einfach, weil sie beide Angst hat ten. Sic sahen sich am liebsten nicht einmal an. Sie gingen zu Bett im selben Schlafzimmer und fanden beide still schweigend, daß es eine Plage sei. Sie standen am Morgen auf, jedes finster und verschlossen: Mortmann früh stückte so rasch wie möglich und ver schwand in sein Kontor. Mittags war Hansemann, der mit bei Tisch sitzen durfte, eine große Hilfe; mit ihm sprach Mortmann und half ihm beim Esten. Das alles sah und beobachteteMorl wann mit einer Gemütsruhe, Über die er sich entsetzte. Früher hatte er es als ein Leiden, ols eine Scham und Schande für sie beide empfunden, Zeuge der allmähli chen Auflösung des Verhältnisses zwi schen ihnen zu sein; und selbst wenn er nichts oder jedenfalls fast nichts getan batte, m sie aufzuhalten, so hatte er sich doch gerade darüber Gewissensbisse gemacht. Denn er hatte nicht dagegen ange kämpft, wie er einsah, daß er hätte tun müssen, und wie eü sein innigster Wunsch war! Zwei Wesen schienen in ihm zu rin gen einmal der alte, leicht zu rüh rende, vor einem Lächeln oder Seufzer weich werdende Mortmann, und ei neuer, harter, unbeugsam und bitter gegen sich und die ganze Welt. Die Tatsache, daß er bei ihr immer auf dieselbe Auffassung stieß, nämlich die Angst, daß man ihrer Selbststä digkeit zu nahe trete, den Drang, sich geltend zu macken, die hohe Wertschät zung ihrer eigenen Persönlichkeit und da-, rücksichtslose Verlangen nach voller Freiheit der Entwicklung ohne Sinn für die Notwendigkeit, sich dem andern anzupassen oder mit ihm Nachsicht zu üben, hatte schließlich die Wirkung auf ibn, daß er selber genau so wurde! Und das. was er deutlich einsah, so lange es sie betraf: jede Gemein schast zwischen zwei Menschen notwen dig auseinandergehen müsse, wenn der eine dauernd handelt, als ob er allein sei das siel ihm nicht ein, als er auf die gleiche Art dachte und handelte. Oder richtiger gesagt: cs fiel ihm wob! ein. aber als er erst angefangen batte, verkehrt zu gehen, stemmte er fick: nicht dagegen, sondern trieb eher an Angst und Verzweiflung im Her zen. Selbst ihre scheinbare Unberührtheit und Schroffheit bei bei, schlimmsten Szenen, wo sie ganz offen davon spra chen. auseinanderzugehen ja sogar erörterten, wie die Kinder verteilt ver- den sollten —, selbst diese Hartherzig keit, die seiner Natur sonst fremd war, hatte er sich angeeignet. Aber während er ihr.die er am höch sten in der Welt geliebt hatte, talt und trotzig die schrecklichsten Tinge sagte, hört, er den andern, den richtigen Ga briel Mortman, danebensieHen und schluchze, aus Schreck und Trauer darüber, daß diese beiden jungen Men scheu so leichtsinnig mit ihrem Leben und ihrer Zukunst umgingen, und nicht nur mit ihrem eigenen Leben und ihrer eigenen Zukunft, sondern auch mit dem Schicksal der beiden unschuldigen Klei neu, die sie selber in die Welt gesetzt hotten lind für die weiter zu sorgen ihre Pflicht war. Doch jetzt war dies alles überstan den. Er empfand weder Scham noch Trauer mehr. Nur eine wachsende Sehnsucht, Schluß zu machen, sie los zu werden, diese tägliche Erinnerung an die Niederlage eines Lebens, an den erbärmlichenßankeroit. Und dann noch etwas, das in ihm schwoll und das er fürcktete. War es getränkter Stolz oder Haß? Im Flur kam ihm Anette entgegen und bat ihn, leise zu gehen; die gnä dige Frau wäre trank. „Krank?" fragte Mvrtmann und ging in das Zimmer. Die gnädige Frau wäre krank ge worden, als sie nach Hause kam. „Nach Hause?" Ja, die gnädige Fra wäre den gan zen Nachmittag in der Stadt gewesen. Es wäre ein Telegramm an sie gekom men und darauf wäre sie fortgegan gen „Wohin?" „Ich glaube zu Rechtsanwalt Pe dcrsen, denn die gnädige Fra tele phonierte, bevor sie fortging, ob er in seinem Bureau wäre." „Und dann?" „Tie gnädige Frau mußte zu Bett gehen, als sie nach Hause kam, und ich sollte fragen, ob Herr Mortmann nicht so gut sein wollte, heute nacht im Ka binett zu schlafen; ich habe alles darin zurecht gemacht, weil die gnädige Frau nickt gestört sein wollte." Mortmann stand da und blickte sie an, dann ging er zur Schlafzimmertiir und drückte auf die Klinke. Die Tür war verschlossen. Ja gern. Und die Kleinen?" „Denen geht es gut, sic schlafen sckou lange." „Ich möchte etwas essen, Anette." Mortmann aß mit gutem Appetit, erleichtert.daß heute abend nichts inehr daraus wurde. Am nächsten Morgen stand er zeitig ans und begab sich, nachdem er sich er kündigt hatte, wie es ginge, ins Kon tor. Der gnädige Frau ginge es bes ser, aber sie wären noch nicht aufge standen. Bei Advokat Kahrs Schnee hühner zu essen, davon konnte nicht die Rede sein. Der Vormittag verging mit Arbeit. Mortmann wünschte, sich so rasch wie möglich frei zu machen, und es gab vieles zu ordne. Beim Advokaten er hielt er Bescheid darüber, wie es mit der neuen Wasserfall - Gesellschaft, die Kahrs und ein paar andere Herren der Stadt gegründet hatten, stand das ganze lag noch in weiter Ferne. Mort mann war als technischer Leiter der Anlage in Aussicht genommen, oberes war alles noch unsicher, und jedenfalls würde es noch lange deiner. Er hatte die Sache auch ganz von sich gewiesen und sich entschlossen, so bald wie möglich eine Reise ins Aus land z unternehmen, um sich nach irgend etwas umzusehen, erst ach Kopenhagen und dann „ach London oder Berlin. Gegen Mittag schloß er das Kontor und ging nach Haus. Sobald er um die Straßenecke bog, sah er seine beiden Kleinen am Fen ster; HanS begann augenblicklich zu winke und zu rufen wie man aus seinem weitgeöffnete Mund schließen konnte —, und als Mortmann näher kain, verstand auch der kleine Per die Situation, sperrte den kleinen runden >Mund weit auf und schlug in seinem Errzücken gegen die Fensterscheiben; draußen im Vorsaal hörte Mortmann auch ganz richtig eine freudigen Lärm aus dem Kinderzimmer. Bevor er hineinging, fragte er in der Küche, wie es mit dem Essen stünde. Alles wäre fertig, aber die gnädige Frau wäre noch nicht aus der Stadt zurückgekommen. Mortman ging zu den Kleine hinein. Es sah fürchterlich drinnen aus,und die alte Kinderfrau war l>emiiht,aus zuräumen. Bauklötze und Spielzeug aller Art und in allen Stadien der Auflösung und Vernichtung lagen aus und unter dem Tisch herum: alle Stühle und Schemel, die es gab. wa rm umgestürzt und in eine Reihe ge Le Lculjchc BäUiucvrr, Ms., r-onurag, den 5,--. stellt als Eisenbahn. Und was siir eine Lust! Mortmann bemächtigte sich der Lo komotive und setzte sich, und augen blicklich hatte er auf jedem Knie ein Kind; Per mußte er hinaufhelfen, aber Hans kletterte empor wie ein Tausend fuß, umklammerte seinen Hals, so daß er ihn den Kragen ins Fleisch drückte, und flüsterte ihm ins Ohr: „Papa, hast Du das Tu weißt schon?" „Tu weißt schon?" fragte Mort §mann bedrückt. Hans sah vollständig enttäuscht ans. „Tie Zinnsoldaten!" sagte er, und war dem Weinen nahe. „O nein, ich will Dir was sagen, Hansemann, Papa hatte heute so schrecklich viel im Kontor zu tun, daß er keine Zeit hatte, sie zu kaufen; aber heute nachmittag gehe ich zu Panlsen, ganz, ganz sicher! — und da kriegst Tu sie abends, ehe Du zu Bett gehst." „Die mit den roten Hosen, wie Du mir versprochen hast und Musik?" „Ja, und Fahnen und Napolibum auf einem weißen Pferd!" „O hörst Du. Per!" Hans war wieder strahlend. „Papa! weißt Du, was Dadda sagt? Dadda sagt, es gäbe Soldaten aus Papier. Ist das wahr?" Er preßte eine Wange fest gegen die des Valers. „Sing vom Wojf, Pa pa!" Ter kleine Per hatte unter großer Anstrengung Mortmanns Uhr aus der Tasche gezogen und hielt sie abwech selnd ans Ohr, um zu lausche, nahm sic wieder herunter und lachte laut immer wieder und wieder. Und Mortmann sang von der alten Großmutter, die kein Holz zum Brei tochen hat, und von Hans, der in den Wald geht, welches zu hole; und zum Sckluß die ahnungsvollen Zeilen, die Hans veranlaßten, sich noch fester an ihn zu schmiegen: Wenn nur nicht der Wolf mit List, Wnn der große Bär nur nicht Ans des Waldes Dunkel bricht Und den ganzen Hansemann frißt! „Die gnädige Frau ist gekommen!" sagte Anette und steckte den Kopf zur Tür herein. Mortmann hatte alles andere ver gessen, während er den Kleinen vor sang und sie sachte auf den Knien hin und her wiegte. Er küßte sie beide und setzte sie nie der. Hans mußte sich zum Mittag essen zurecht machen. Im Wohnzimmer stand Frau Luise noa- im Straßenkostüm und zog die Handschuhe aus. „Na, bist Du da?" sagte Mort mann. „Wir haben ein bischen auf Dich gewartet. Du bist in der Stadt gewesen —? Wie geht es Dir heute?" „Danke, bester." „Setz Dich, Luise. Ich wollte ge stern abend mit Dir reden, aber Du warst zu Bett gegangen. Wir müssen nachdenken, was geschehen 011. Es ist gklcmmen. wie wir lange erwartet ha ben. Die Grube wird ausgegeben, die ganze Gesellschaft liquidiert, und mir ist meine Stellung gelündigt worden." „Ja, ich weiß es." „Tu weißt? Das ist doch seltsam! Wer in aller Well hat esDir erzählt?" „Das kann Dir ja gleich sein." „Nun ja, meinetwegen. Vorläufig behalte ich meine Gehalt für ein hol des Jahr, so daß wir nichts zu über eilen brauchen. Es ist natürlich am be sie, beizeiten vorzusorgen. D erin erst Dich vielleickt, daß ich Dir davon gesprochen bade aber willst Du Dich nicht setzen?" „Danke, ich stehe lieber." „Nun. ich hatte also daran gedacht, einen der nächsten Tage nach Kope Hagen zu reisen. Bei Goldschmidt.mit den, Wir in Verbindung gestanden ha ben und den ich persönlich kenne, habe ich alle Aussicht, etwas zu finden. Mit Kahrs Wasserfall - Gesellschaft sieht es. unter uns gesagt, nicht weiter viel versprechend aus man braucht an dern davon nicht zu sagen, aber es ist sehr schade. Wenn es gegangen wäre, wie es sollte, wäre mir eine gute Stet lang sicher, vielleicht nicht ganz so gut wie meine bisherige, aber jedenfalls hier in der Stadt. Für uns wird es jr in mancherlei Hinsicht schwierig, von hier aufzubrechen und ins Ausland zu ziehen: die Kinder sind Nein und dann das Haus, aber das könnten wir ija wohl immer vermieten," fügte er hinzu, olme sie anzusehen. Er wusste nämlich genau, wie ihr Gesicht i diesem Augenblick aussah, und er gab sich Mühe, so ruhig und be > herrcht wie möglich zu bleiben, ent schlossen, alles.was kommen würde,mit i Geduld und vor allem mit Vernunft zu nehmen. Seine Stimmnng von gestern abend war ganz verschwunden. Warum sollte man sich das Leven schwerer machen als es war und zu niemandes Frommen diese Abrech,um ! gen veranstalten? Tic ganze Sache war ja so einfach. Er mußte sich eine andere Stellung suchen, das war richtig, aber deswegen brauchte man sich nicht zu beunruhi gen, jedenfalls nicht auf Monate hin aus. Im Stillen hatte er außerdem an gefangen, diese Auslandsreise nicht nur als eine wohltuende Erholung für sich selbst, sondern auch als eine Net tunxsaussicht für sie beide zu betrach te. Es war ja an und für sich nicht so verwunderlich, daß zwei Menschen, die beständig, jahrelang aneinander geket tet waren, einander überdrüssig wur den. Wenn sie nun einen Monat ge trennt wären, wer konnte wissen? Und vielleicht würden vernünftige, liebevolle Briese das ihre tun? Trotzdem konnte er nickt umhin, sich zu ärgern, daß sie stehen blieb, ohne ein Wort zu sagen. „Aber Liebe, willst Tu Dich nicht setzen?" fragte Mortmann. Luise sah ihn mit einen, leichten Lä cheln an. „O, wie ich Dich wiederer kenne, Gabriel! Du bist nicht gerade ein mutiger Mann! Jetzt hattest Du gedacht, das ganze könnte auch diesmal in Ruhe und Frieden vorübergehen, während Du draußen auf der Reise wärest, nicht wahr?" Sic setzte sich ihm gegenüber und sagte ernst: „Ach nein, es nützt nichts, länger drumherum zu gehen: entweder —oder. Es gibt übrigens kein Oder!" fügte sie hinzu, während sie den Hut abnahm. Mortmann war im Begriff zu fra gen, was sic nieinte, gab es aber als überflüssig auf. Er suhlte ein eigen tümliches, durchaus nicht unangeneh mes Prickeln im Körper. „Es nützt nichts, von all diesem länger mit mir zu reden; wie Tu Dei ne Zukunft einrichten willst, ist aus schließlich Deine Sacke. Ich habe meinen Entschluß gefaßt und will nicht länger mit dabei sei. Ich will —- nicht!" wiederholt; sie leise und drückte bei jedem Wort ntit dem Zeigefinger auf die Tischdecke. „So, das willst Du nicht?" sagte Mort mann mechanisch. „Auch ich habe den Drang, jemand zu lieben, gut gegen jkugchpd zu sein, jemand gern zu tzdben. Ach sehe keinen Grund, warum ich mein Leven zerstö ren, es auf diese Weise wegwerfen soll, niemand zur Freude." „Keinen Grund?" wiederholteMort mann. „Nein," sagte sie, und sah ihm in die Augen, „keinen Grund mehr. Und wenn Du ehrlich sein willst, Gabriel, so gibst Du mir recht. Doch ob Du daraus eingehst oder nicht, wir müssen uns trennen und Ruhe voreinander kriegen." Es war nicht das erstemal, daß ihr bestimmter, drohender Ton ihm impo nierte. Er kannte von früher her das Griiihl, daß sie viel stärker war als er; er ahnte, daß all diesem etwas vor ausgegangen war, wovon er nichts wußte eine verborgene und bewußte Arbeit auf ein Ziel hin, während er selber sich hatte treiben lassen ohne vorauszublicken, daß sie nicht allein dastand, sondern mit einer Macht im Rücken, während er selber so einsam und haltlos war, so völlig entblößt von jeder moralischen stütze und Wil lei straft, daß er sich jetzt mit Graue und Verwunderung fragte, was er wohl Abscheuliches begangen haben könnte, daß er so weit heruntergekom nun war. „Niemand kann von einem gesun den, lebensfrohen Menschen verlangen, daß er sich in dem Grade aufopfern j soll, daß er lein ganzes Leben freudlos und unglücklich verlaufen sehen soll, nur weil er verheiratet ist! Niemand i verlangt das auch in unseren Tagen; und Du, Gabriel, der Du so gerecht und vorurteilsfrei sein willst —" Aha! dachte Mortmann, sieh an! „Wenn Tu siehst und begreifst, wie es sich verhält, dürftest Du meiner Meinung nach der letzte sein Du müßtest Dich schämen, Dich zu wider jenen! Dazu würde ich. wenn ich Du wäre, einfach zu stolz sein, „liebn gcns," fügte sie hinzu, „ist es ganz gleich, was Tu sagst, denn es ist de reite- so weit grlominen —" „Was ist so weit gekommen?" „Ich bin zu jedem Schritt bereit, wenn Du Dich weigerst, ich weiß, ich tun schließlich erreichen, was ick will. Warm sollen wir fortfahren, einan der zu plagen und zu schaden in einem Zusammenleben, wo uns nichts mehr zusammen bindet. Ja, denn wir wer den beide schleckte und böse Menscken davon nicht zum wenigsten Du,Ga briet!" Er verbeugte sich ironisch. „Da kannst Du selbst sehen, wie Du geworden bist! Du weißt es gewiß selber nicht!" „Nichts, was uns mehr bindet, sagst Tu? Und die Kinder?" „Ja,"seufzte sie und stützte den Kopf in die Hand, „aber wir erweisen ihnen keinen Dienst, wen wir zusammen bleiben. Schon jetzt ist Hans so groß, daß er anfängt zu verstehen; wie, meinst Tu, sollte es gehen, wcnn die beiden in einer solchen Umgebung auf wachsen? Was siir eine Ansicht vom Leben würden sie von Kindheit auf be kommen? Du kannst Dich ja abso lut nicht mehr beherrschen, und es würde nur immer schlimmer werden!" Sie schauderte. „Nein, wir erwei sen ihnen keinen Dienst. Außerdem," fügte sie niit bebender Stimme hinzu, „haben wir ja auch darüber gesprochen —im Notfall, wenn Du es absolut verlangst, müßtest Du lieber Hans be halten." Mortmann hatte das bestimmte Ge fühl, daß er dasaß und ein trauriges und unangenehmes Gespräch anhörte, das ihn im übrigen nichts anging. Es konnte unmöglich sein lieber kleiner Hansemann sein, von dem hier die Rede war. „Aber nun würde es wohl nicht leicht für Dich sein, mit einem kleinen Kind und auch für ihn nicht gut. Du mußt jetzt fortreise, man weiß nickt, wo Du hinkommst und wie Du es triffst." „Und Du?" fragte er. „Ich reise zu meinem Vater. Auf jeden Fall." Plötzlich fiel ihn, etwas ein. woran er schon früher oft gedacht hatte. Er hatte einen jüngeren Bruder, der in der Jugend sein unzertrennlicher Freund und Spielkamerad gewesen war. „Es ist Unrecht." sagte er ernst, „ein großes Unrecht, die beiden Kleinen trennen zu wollen. Nichts ist so schön in der Welt, an nichts denkt man so gern zurück, als an das Verhältnis zwischen zwei Brüdern, die ungefähr in gleichem Alter sind. „O," sagte sie höhnisch, „mir scheint, auch das hält nicht imm-' Stich!" Mortmann senkte den Kopf. Der Bruder war in der Welt draußen; die deinen waren nicht länger gute Freun de und hatten viele Jahre lang nichts voneinander gehört. „Sicher ist. daß es für beide am be sten wäre, wenn sie bei mir blieben es ist eine große Verantwortung, einen so kleinen Knaben von der Mutter wegzureißen und ihn ins Ungewisse m.U in die Welt hinaus zu nehmen, denke daran, Gabriel!" Mortmann nickte. „Aber die Hauptsache ist." fuhr sie ungeduldig fort, „daß ein Mensch, der in unerträglichen Verhältnissen lebt, der fühlt, daß er Schaden an seiner ganzen Persönlichkeit nimmt, der un ter seiner Erniedrigung leidet und sei ne Selbstachtung verliert, daß er das volle Recht haben muß, seine Freiheit zu fordern. Ihn daran zu hindern, ihn mit Macht zurückzuhalten gegen seinen Willen, ist unfein, ritterlich! Wäre es Liebe," sagte sie ernst, „die es Dir schwer machte, mich aufzugeben,da wäre es etwas anderes. Da wüsde ich versucht haben, auszuhalten bis zum äußersten. Aber das ist lange her." „Was weißt Tu davon?" fragte er brutal. „Du, die Tu Dich so lange mit andern statt mit mir beschäftigt hast." Sie sah ihn mit einem seltsamen Lächeln an. „Ick könnte Luft haben, Dir etwas zu erzählen!" Es klopfte, und Anette steckte den Kopf herein. „Verzeihung, das Esten ist fertig, kann ick es hereinbringen?" „Gleich," sagte Mortmann und wintte mit der Hand ab. „Weißt Du, daß es och gar nicht so lange her ist, daß ich wirklich glaub te, Tu habest mich noch lieb? Es ist noch nicht ein Jahr der! Du warst ei fersüchtig auf Töimes Hjvrd. Denke, ich war geradezu froh darüber!" „Puh!" sagte Mortman,, verächtlich. „Ja, Du kannst gut lachen! Und als dann Miodlctboi, kam. wollte ich ver locken Was sollte ich tun? Es war iinwerhin ein Versuch." Er blickte sie an. ! „Und das Resultat? —Du kennst es selbst am besten. Herr Mortniann war gereizt „nd ausgebracht, das; die Lciile viellcicktßemcrkimgen über seine eiaenc- private Fra macken könnten. >D> s war das ganze. Ja, und gegen mick warst Du dovpelt unangenehm, dopvelt rücksichtslos!" Sie erhob sich hastig. „Glaubst D. ein Mensch mit Selbstackt.ing wird sich in die Behänd Irma finden, di; Dl, mir in letzter Zeit käst zuteil werden lasten? Glaubst Tu. ich sei von Haust der etwas der artiges gewöhnt? Selbst in der Zeit, wo ich etwas siir Dich fühlte, begegne- L^7.Dr.U.Lrskiew !es! Tu nur mit Kälte und Ueberlegen heit, verdrießlich, mißvergnügt und wichtig. Kaum, daß Du mit mir von etwas anderem als vom Essen sprachst. Ader später! Bei dem geringsten Aer ger, dem geringsten Mißgeschick, der geringsten Unannehmlichkeit, in, Kon tor oder sonstwo, ja ohne die geringste Beranlassung, immer war ich cs, die für Deine schleckte Laune herbalten mußte; und dann erhitzt Tu Dich zu immer größerer Wut! Nein, ich glaube buchstäblich nicht,daß Du selber weißt, wie Tu bist! Oft habe ich geradezu Angst vor Dir!" Mortmann lachte. „Ja, da solltest Du wirklich versu chen, den Leuten einzubilden —!" „Einzubilden!" rief sie, „das brau che ich wahrhaftig nicht. Mehr als einmal hast Du die Mädchen fast zu Tode erschreckt — man hört ja so ziem lich jede Ton im Hause. Und auch sonst gibt es nicht wenige, die wissen, wie Du bist, und wie wir miteinander stehen das ist ja auch nicht schwierig zu erraten. Ich glaube gern, daß Du selber Dich für einen Märtyrer von Ehemann hältst! Es gibt Leute, die Dich gut kennen und die ganz anderer Meinung sind das laß Dir nur sa gen! „Tu solltest Dich nur selber hören, was Du Dir zu sagen erlaubst, Du solltest sehen, wie Du aussiehst! Und darein sollte ich mich finden! Meine besten Jahre vergeuden und zum Tank „.ick unter die Füße treten lasten von einem Manne wie Du?" Mvrtmann erhob sich ebenfalls. Er hatte dagesessen und zugehört, wie ein ganzes in den Fugen ächzte und krachte und schließ lich in Trümmer über seinem Kopf zu sammenstürzte. Nichts blieb stehen, nichts, was man hätte stützen und zu sammenhalten können, nickits, was den Versuch lohnte,es aufrechtzuerhalten — cs war alles dahin! Alles war von Grund aus und für immer zerstört und zu nichts mehr zu brauchen. Und jetzt fühlte er vor allen Dingen einen mächtigen Drang, die Ruinen von sich abzuschütteln, frische Lust zu atmen — und als erstes: diese Stimme und den Anblick der Frau auf der an deren Seite des Tisches loszuwerden. Und das konnte er, in diesem selben Augenblick, wenn er wollte! Frei sein nicht nur jetzt oder für die Zeit ei ner Reise, sondern für immer! Der erste Lichtblitz nach der Finsternis lan ger Monate. „Tn hast recht," sagte er, „wir müs sen uns scheiden lassen." „Ah.,, sagte sie eifrig und öffnete ihr Handtäschchen, „hast Du etwas dage gen, wir das schriftlich zu geben?" Er stutzte. Aber dann dachte er: Wie ihr das gleicht, der Krämerseele. Frau Luise suchte ein Papier hervor und legte es zugleich mit Tinte und Feder vor ihm hin. Mortmann las: „Wir unterzeichne ten Ehegatten erklären hiermit, das; wir ach gemeinsamer Uebereinkunft von Tisch und Bett geschieden werden wollen. Die Kinder verbleiben der Mutter." Der Name einer Frau stand bereits links unten. „Sieh da. Du hast die Papiere schon -in Ordnung!" „Worauf sollte ich warten?" sagte sie trocken. Er nahm die Feder und schrieb ste hend auf die rechte Seite unten: Ga briel A. Mortmann. Im selben Augenblick überfiel ihn ein Schwindelgefühl. Das war ihm früher nie begegnet. Er mußte sich am Tisch festhalten, um nicht zu fallen, und stand ein paar Augenblicke mit ge schlossenen Augen da, während er hörte, wie seine Frau das Papier zu sammenfaltete und die Tasche geräusch voll schloß. Er wankte hinaus in den Vorsaal, riß Hnk und Mantel vom Nagel und öffnete die Haustür. „Papa Papa! Wo willst Du hin?" rief Hans in der Tür zum Kin dcrzimmer. Er hatte ein weißes Wams an zum Mittagessen. „Pa p-, wir sollen doch essen!" Aber Mortniann war schon die Treppe hinunter. 13. Mortmann vermochte später nie anzugeben, wo er sich diesen Nachmit tag herumgetrieben hatte. Er hatte eine undeutliche Erinne ruunq an eine einsam und schmutzige Landstraße, wo er ab und zu einem Karren ausweichen mußte, aber sonst Stunde für Stunde mitten auf der Straße immer geradeaus vorwärts ae sc: ritten war, bis es zu dunkeln be gann. Schließlich war er so müde, daß er sich ans einen Grabenrand sehen muß te, und nun sah er,daß er weit heraus gekommen war auf der Straße, die am Bvsjord entlang zum Leuchtfeuer führte. Es wehte ein frischer Nordwind, den er die ganze Zeit im Gesicht gehabt hatte, und dieser kalte, starke Wind batte ihm außerordentlich gut getan, ihn ausgelüftet, so daß er sick innerlich ganz leer fühlte, ihm m die Ohren gebraust, daß er nichts hörte, und je rascher er dagegen anging, um so we niger war er sich seiner selbst bewußt. Aber es war schwer und kostete Kraft, und schließlich mußte er sich setzen und ausruhen. Tic Gegend hier draußen war ihm eigentlich von Kind auf bekannt, aber es dauerte dock einige Zeit, ehe er sich orientiert hatte es war schon halb dunkel, und er wollte zunächst nicht glauben, daß er so weit herausgekom men wäre. Trübselig „nd einförmig lag die Landschaft in der Dämmerung vor ihm: niedrige Heidehügel, einer hinter dem andern, nirgends ein Haus, nir gends ein Punkt, der als Erkennungs zeichen dienen konnte; von der Stelle, wo er saß, konnte er auch den Fjord nickn sehe. Seine Blicke folgten der langen Mauer der fernen blanschwar zen Berge im Osten, bis sie stock inS Meer abfielen, und glitten dann weiter hinaus, bis ein scharfes weißes Licht ein, Augenblick aufflammte und ver schwand. Da wäre das eine! sagte Morlmann und wandte sich um, um das andere Leucktfeuer zu suchen, und aus der Dunkelheit heraus sprangen in kurzen Zwischenräumen drei rasche Llchtblitze, aber weiter südlich, als er erwarbt hatte. Er wußte jetzt ungefähr, wo er war. Er sah auf die Uhr. sie zeigte halb siebe,,; er mußte ungewöhnlich rasch gegangen sein, es waren wenigstens drei Stunden zurück bis zur Stadt. Diese Entdeckung machte ihn unru hig, er erhob sich zugleich und begann siadtwürts zu gehen. Jetzt hatte er den Wind im Rücken; er begleitete ihn auf beiden Seiten der Straße, raschelte i den, trockenen Gras und sauste im Heidekraut auf den, Gipfel der Hügel, wickelte ihm die Enden des Mantels um die Beine und stieß ihn vorwärts, als ob er nicht sckuell genug ginge. Kein Mondschein, nur wolkenbedeck ter Himmel nicht lange, und eS würde schwer sein, etwas zu sehen. Drüben auf der dunklen Heide er schien ein Lickt, Mvrtmann erkannte den Hof. Ganz richtig drei Stun den bis nach der Stadt. Er fühlte sich müde nd nervös. Seit dem Frühstück hatte er nichts ge gessen, und während er, so rasch er konnte, den öden, dunklen Weg stadt einwärts ging, begann sein ganzes Elend vor ihm aufzusteigen und feste Form anzunehmen bisher hatte er gar nicht gedacht! Was war das doch? Sollten sie sich wirtlich entschließen, jeder seinen eige nen Weg zu gehen, einander an einer Ecke Lebewohl zu sagen und wie zwei fremde Menschen auseinander zu ge hen, er und Luise und wenn sie sich wieder begegneten, zog er den Hut und sagte „gnädige Frau?" Ach. das ist ja Wahnsinn! rief er lcui. Das ist ja Unsinn! Außerdem— so geht es ja gar nickst. Wi' mästen docy zum Bürgermeister und Pfarrer, die sind beide verständige Menschen und mästen uns zur Vernunft bringen können wir sind ja wahnwitzig! Die ganze unbehagliche Szene tauch te wieder vor ihm auf, er hörte-wieder ihre harten Worte und sah sich selbst dasitzen, passiv und schlaff aufs tiefste gekränkt. Weshalb hatte er nicht Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, jhre ge meinsamen teuren Erinnerungen ans der guten Zeit heraufbeschworen, sie angefleht, jedenfalls zu warten, einen anderen Ausweg zu versuchen, wenn auch nur um der Kinder willen, und nicht in Eigensinn und Ungeduld sie alle für das Leben unglücklich zu ma chen. Ja, warum? Gesetzt, dachte er weiter, alles dies Ware nicht geschehen, ich hätte meine Stellung behalten, alles wäre geblie ben wie es war, und wir hätten weiter i derselben Weise zusammengelebt Je.hr für Jahr. War es denkbar, daß sie sich auf die Dauer dareingefunden hätte? Und würde er selber es ausge halten haben? tFortsep.unq folgt.) Retunzsmiel. Kindermädchen: „Madam! Ma dam! Hilfe! Hilfe! Die Zwillinge sind in den Brunnen gefallen." Die Mutter: „Wie störend! Aber holen Sie mir „Tbc Modern Mother'S Ma gazine" aus der Bibliothek. Das ent hält allerlei über Kindererziehung, vi-lleicht auch über Kinder - Heraus ziehling."