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-MW. Von I. von S a (Fortsetzung.) Herr Dewald ließ sich durch die abwei sende Haltung nicht stören. „Wollen Sie, mein Fräuleii, mir vielleicht sagen, was hier vorgeht?" „Ach, Herr Dewald, meine Schwester össuci nicht—wir fürchten—" „v „Was Sie haben hier im Hause eine Schwester?" Medora nickte. „Und wohnen vielleicht selbst auch hier?" „Ja." „Ei, das hätte ich nur wissen sollen!" ricr Per nfte H-'rr, der das Mädchen von den Cl?ulissen her kannte „schade, Herr M^ser, warum haben Sie's mir nicht nesnp.t? Ich nähme, weiß Gott, meine .ÄiiudlZNNg noch zurück, wenn's Zeit märe!" „Hier ist nicht Zeit zu scherzen, Herr De^atd," sprach Medora zitternd, „wer luvitj, ob nicht drinnen meine arme Säzwcster todt liegt, erlegen dem Hun gor mtb Elend Auf einen Schlag verwandelte sich die nullunihic Heiterkeit des alten Herrn in weichste Theilnahme., „Wie denn?— So Tat) es bei Ihrer Schweskaus? Hätte ich das gewußt—ich helfe ja gern, mu ich kann." Herr JodoenS sagte das etwas lauter, als es vielleicht nöthig gewesen wäre. In dem Znhörcrhansen war manch' Ei uer, der wußte, er habe wirklich allzeit eittc offene Hand, wenn auch Andere sich dibei st-ll sagten: ja, wenn's alle Welt erfährt. Das heimliche Wohlthun war Herrn Dewald's Sache nicht. Ost riß ihtt die augenblickliche Aufwallung edler Hilfsbereitschaft hin, oft auch die Sucht, für einen reichen, großherzigen Mann gehalten zu werden, mehr zu versprechen itüb zu th'.m, als ihm nachher bei ruhi ger iteßcifjgiutg recht war. Seine eige nen Gutthaten wurden ihm dann unbe quem. Schon, wollte er auch jetzt der geängsteten Medora das Versprechen geben, daß er jedenfalls für ihre Schwe ster sorgen werde, wenn man diese le bend finde, als der Lieutenant sehr er nüchterud sagte: „Ja, nachher sind im mer ein Dutzend Menschen da, die wohl gewollt hätten." Indem drängte sich schon die alte Fran die Treppe herauf und rief othem los: „Hier bringe ich den Meister!" Mit seinem Schlüsselbunde rasselnd, tvqt der Schlosser vor, Athemlos folg' iS\ Alle seiner Hantirung. Die Korr: dorthür wurde aufgemacht, lind da jetzt die ganze Menschenmenge herandrängen wollen schien, erhob der Beamte scharf seine Stimme und sagte: „Ich bitte, 311- rü fziib!ciVctt nur die Betheiligtcn dnr seit eintreten." Daß die alte Frau sich in Folge ihres Dienstes und als Nachbarin für bethei li,tt hielt, war selbstverständlich. Herr Dewald war nicht der Mann, sich zu rückweisen zu lassen. Da' aber diese Beiden mit eintraten, sahen die Übrigen nicht eilt, warum sie draußen bleiben sollten der ganze Menschenknäuel drängte sich zögernd in den engen Korridor. Da—ein furchtbarer Schrei aus vielen Kehlen—ein dumpfer Fall. „W ts ist geschehen?" fragten die, welche nicht sfhett konnten, und die, wel che sahen, verhüllten ihre Häupter und antworteten nicht. Der Mann des Gesetzes faßte sich zn erst er winkte, er deutete auf das Hn mächtige junge Mädchen, welches über der Leiche der Schwester zufammenge brechen war. Die alte Frau verstand seine Meinung, scheu schlich sie auf die furchtbare Gruppe zu und fuhr zusam n:cn, als ihr Fuß in eine Lache schwärz licher Flüssigkeit trat. Doch das Mit leid gab ihr Muth sie bemühte sich, die Bewußtlose aufzurichten—vergebens. Da rief der Beamte halblaut, es war das erste Wort, das aus Jemandes Mund hier kam: „Faßt mit an, ein Packr von Euch, und tragt sie hinab in ihre Wohnung." Auf den Zehen traten ein paar Man »et hinzu, welche sich von der alten Frzu nicht beschämen lassen wollten vorsichtig hob man den schweren Körper auf und irng ihn hinaus. ^.Sie sind kalt und todt," erklärte der vif:-Huaut duytpf. Mrd trat vojn Stroh jatfc fort zu dem kleinen ftsiben, der «komme. allein hart am Fenster lag. Da kniete er auch neben diesem nieder, faßte seine Hand, neigte sein Haupt in höchster Er regung auf das Kindes Brust und rief: „Fühlen Sie, Herr Dewald eilte schwache Wärme in des Kindes Hand!" Auf diesen Ruf drängte sich Alles näher das eine gewonnene Leben schien wie ein himmlisches Geschenk, Herr Dewald, der so lange fassungs los sein Antlitz gegen die Wand gelegt hatte, faßte sogar die blutüberströmte Hand des Knaben aufmerksam betrach tete er den Schnitt an der Handwurzel. „Die Pulsader ist nicht genau getroffen vielleicht daß der Knabe sich gewehrt hat," sagte er schaudernd, „Geschwind, meine Herren!" tief der Beamte. „Einer von Ihnen läuft wohl zum Bureau matt soll mit Hiufsiniitem kommen—ein Arzt—und man soll den Ehef benachrichtigen." Drei-, vier Männer flogen davon. Alle standen und'starrten auf das Kind, das, wie man zu erkennen glaubte leise ath meic. Herr Möfer und die Frauen weinten, Herr Dewald sah zum Fenster hinaus. Ein Arzt kam, dem Kinde wurde so fort ein Verband angelegt, noch wagte Niemand die Frage: Kann es, wird es leben? Das.Zimmer füllte sich mit Be amten. die Neugierigen wurden vertrie ben—auch Herr Dewald. Da trat dieser in die Mitte des Rau mes und sagte: „Meine Herren! dieses arme Kind, wenn es dem Tode abgerun gen wird, bin iH bereit, als mein eige nes anzunehmen. Wer von Ihnen be fugt ist, darüber zu bestimmen, den bitte ich, sich mit mir, falls es'gerettet wird, in's Einvernehmen zu fetzen." Ein Murmeln des Betsalls ging durch die Reihen. Und der Knabe wurde gerettet. Als derselbe nach einem langen, traumähn» liehen Zustand erwachte, in dem er zu weisen fremde Gesichter gesehen, fremde Stimmen gehört und halh bewußtlos diutenähnlich schmeckende Getränke hin abgeschlürst hatte, schaute er mit großen Augen um sich. Es war ein einfaches Zimmer, an der hellen Tapete hingen ein paar Stahlstiche, auf den wunder schöne Männer und Frauen zu sehen waren. Durch die mit klaren, weißen Gardinen verzierten breiten Fenster strahlte milder Sonnenschein, an dem Pfeiler dazwischen befand sich ein Spie gel,'darunter ein Tischchen mit allerlei Nähgeräth, und mitten dazwischen, th rett Rücken gegen das Spiegelglas leh nend, saß eine Puppe, die für Andreas wie ein kleines Kind anzuschauen war. Sie hatte ordentliches Haar, und ihre blauen Augen sahen ihn unverwandt und dumm an. An der einen Wand stand eine Kommode, mit einer gehäkel ten Decke belegt, daraus eine Lampe und zwei blanke Messingleuchter, nebst eini gen porzellanenen Schäfern und Schäse rinnen, die einander blöde anlächelten. Der Kommode gegenüber stand ein Schrank, dann noch ein paar Stühle, und mitten im Zimmer ein viereckiger Tisch. Das war die ^Einrichtung. Aber, oh Wunder, an dem. Tische saß Jemand, ein lebendes Wesen—Andreas glaubte ja noch zu träumen oder todt zu sein—ein Mädchen. Vor demselben auf der wachstnchbeschlggenen Tischplatte lagen Schreibhefte und ein Schulran zen. Die Sonnenstrahlen durch das Fen ster glitten grade an ihren Augen vor bei, daß sie dieselben blinzelnd halb schloß. Sie hatte das Haupt aufgestützt, beide spitzen Ellbogen der braunen Arme standen auf der Tischplatte, die Hände waren im Haar hinter den Ohren ver graben. Das Haar, schwarzbraun und glanzlos, lag in schweren Massen über der Niedern stumpfe 1 Stirn und war in zwei Zö- pfen geflochten, deren einer im Nacken herabhing, die losen Enden des anderen hielt das Mädchen zwischen ihren dlin kenden Zahnchen. DaS braune Gesicht war magerund von scharfem Ausdruck, in den halbgeschlossenen Augen lag eine wunderbare Gluth und Wildheit, daS Näschen, die starken Brauen,— Alles zeigte ausgeprägt slavischen Ty pns. 1 Und doch floß in des Mädchens Adern kein anderer Tropfen Blutes, als echt deutsches, Herr JodocnS Dewald pflegte sich selbst darüber zu wundern, wie die kleine,Tigerkatze nur in seine geteilte Klein war Leonore Dewald nun ei gentlich für ihre Jahre keineswegs, nur binsenhaft Wäger und geschmeidig. Wie sie so dasaß, daS eine Bein über baS andere geschlagen, den schmalen Rücken leich gekrümmt, schien es, als wollte sie jeden Augenblick in die Höhe schnellen. Andreas konnte den Blick nicht von ihr wenden wer war sie und wie kam sie hierher? Nun fing das Mädchen gar an zu sprechen sie lernte laut, eine Schiller'sche Ballade lesend, und obschon sie nach Kin derart mit peinlicher Genauigkeit jeden Reim betonte, machte ihr Bortrag doch auf den Zuhörer einen überwältigenden Eindruck. Er schloß die Augen. Das erste Mal verstand er noch nicht recht, auch das zweite Mal noch nicht, ja es blieb ungewiß, als Leonore mit uner müdlicher Lungenkraft mindestens sechs Mal das ganze Gedicht von A bis sich vorgesagt hatte, ob er auch dann den ganzen Jnhaid verstandt. Ein Tyrann, dachte er sich, das muß eilt reicher Herr sein, der keinen Hunger keimt, der lernt einsehen, daß die Armen doch seinesgleichen sind, er schließt Freundschaft, er theilt mit ihnen. So faßte Andreas die,Bürgschaft' auf. Eine Fliege surrte dem Mädchen zu dringlich um die Nase, sie nahm den Zopf aus den Zähnen und peitschte mit dem krausen Haarbüschel nach dem Thier. Dann zog sie. im rhythmischen Takt zum Silbenfall des Gedichtes, immer gleich mäßig an den Zöpfen und wippte dabei auf ihrem Stuhl ebenso gleichmäßig in die Höhe. Es schien, als wollte sie sich durch körperliche Bewegung den Rhyth mus der Ballade einprägen. „Warum thnst Du das?" fragte An dreas endlich mit schwacher Stimme er sah durchaus keinen Grund für dieses wunderliche Aus- und Niedergehen der ganz kleinen, dünnen Person. Starr vor Staunen ließ sie die Zöpfe fahren und legte die Arme weit über den Tisch. „Gott! der fremde Junge spricht L"," stigte sie. „Ich bin kein fremder Junge, ich bin Andreas," erwiederte er Hochmittbig. „Mama! Mama!" rief das Mädchen und lief zur nächster Thür, „der Bengel, ist aufgewacht!" Sogleich erschien eine schlanke, hochge-' wachsen? Frau sie hatte gleich ihrer Tochter schwarzes Haar Sind gleich ihr gelbliche Gesichtsfarbe. Das blieb die einzige Ähnlichkeit. Kein Zug ihres ebenmäßigen, ruhigen Antlitzes erinnerte an das wilde Gesicht Leonore's. Doch war ihr Ausdruck mehr strengAals ver trauenerweckend, um den Mund lag eine gewisse Herbheit, die den Knaben sehr einschüchterte. „Wie fühlst Du Dich, mein Kind?" fragte sie sanft. 1 Er antwortete nicht feine dunklen Augen brannten förmlich auf den beiden ihm unbekannten Gestalten, alles Leben seiner Seele trat in diesen Blick es war, als wolle er bis auf den Grund all' die fer seltsamen Dinge schauen. Frau Dewald sah daS unheimliche Leben in seinen Augen, sie strich ihm leise die Locken von der Stirn und sagte zur Tochter gewandt: „Reiche mir das Glas, Nora, verschüttete aber nichts!" Leonore sprang an das Tischchen,' welches zu H-upten von Andreas' »ett!™ 1 Leonore wischte mit ihrem Taschentuch auf dem Kleide herum, indeß Frau- De wald das GlaS an Andreas' Lippen hielt. „Trinke, mein Sohn!" sprach sie. Andreas heftete noch immer die star ren Augen auf sie. „28o ist meine Mut ter?—Wer bist Du?—Wer ist das häß liche Mädchen?" fragte er langsam^ „WaS! Ich bin häßlich?" schrie Leo nore und warf sich mit einem Satz auf das Gitter heS Bettes, daß dieS in al len Fugen krachte ihre Augen funkelten den armen Jungen an und zornig wie derholte sie: „Ich bin häßlich?!" „Meine Schwestern sind viel schöner, sie haben Kaue Augen wo sind meine Schwestern?" „Bei Deiner Mutter mein Lind." „Warum bin ich denn nicht auch da?* „Deine Mutter, mein süßer Junge 6 sps? ÄPfonem. „1' .1* »Ha!" schrie Andrea* gellend auf mtb schlug die Hände vor sein Angesicht, „Mutter! nimm das Messer fort —es ist Blyt daran!" „Geh'hinaus, hole den Papa!" flu starte Frau Dewald dem Mädchen zu. Mag er sehen, wie er mit dem Jungen fertig wird«, dachte sie und sah still auf das zuckende Kind nieder. Sie hatte nicht mit sehr freudigem Herzen die große, verantwortliche Auf gäbe übernommen, dem ihr bis dahin wildfremden Knaben eine Mutter zu sein. Wenn auch bei der schrecklichen Kata strophe entdeckt worden war, daß ihr weibliches Mitgefühl lebhaft rege gewe fen, so blieb sie doch kalt und ruhig ge nug, um zu fragen: „Wozu sollen aber grade wir helfen Es hätte sich wohl Jemand anders gefunden ich 6m bereit, für das arme Kind ein Uebriges zu thun, man könnte es bei braven Leuten feines Standes in Pension geben, aber diesen Unheilsknaben in mein Haus aufneh inen, das ist doch ein bischen zu viel ver laugt." Herrn Jodoeus' Mitleidsrausch war inzwischen auch schon viel sanfter gewor ben, so daß er im Grunde auch die Geld hülfe für den Knaben vorgezogen hätte, allein das Bewußtsein, daß zur Zeit noch d:e Augen der ganzen Stadt aus feinen Pslegefohn gerichtet wajreit, ver hinderte ihtt, dies auszusprechen. Alle Welt erkundigte sich nach dem Knaben, ab und zu brachten die Zeitungen die Notiz, daß,jenes Kind wohl, Dank der edlen Pflege, leben bleiben werde' in allen Blättern hatte es gestanden, daß Herr Dcwald ihn aufgenommen eine Prinzessin, deren Sport das Wohlthun war, sandte ihren Kammerherrn mit hundert Dukaten und der Bitte, daß man dem Knaben dafür später eine Freude mache, falls die Großmuth des Herrn Dewald die Anwendung für nütz liche Dinge überflüssig erscheinen lasse. Andere Geldspenden für das.Kind wies Herr Dewald ab auch dies war bekannt geworden man belobte ihn öffentlich nun mußte er den Knaben behalten—es ging nicht mehr anders. Trotz ihrer ablehnenden Gesinnung ließ Frau Dewald es dem leidenden Kind, dessen Lebensfaden noch lange Wochen an einem Faden zu hängen schien, an nichts fehlen. Mit der uuer» müdlichen Sorgfalt einer Mutter wachte sie über ihn und hatte dabei reichlich Gelegenheit, ihrer Tochter Strafreden zu halten, wenn diese harte, laute Be merkungen über den Betteljungen, mach te, oder ohne jegliche Rücksicht, singend an das schlummernden Andreas Bett vorbeijagte. „Du schiltst auch immer!" war die stete Antwort der Tochter. Dies ,Du schiltst auch immer' war die bis zur Ermüdung wiederholte Aeuße rang, welche sowohl der Hausherr wie die Tochter den Auseinandersetzungen der Mutter entgegenhielten. Freilich, Frau Dewald besaß die ge fährliche Neigung, ihren Tadel mit .Milde', das heißt in endloser Rede vor zutragen, anstatt ihn der Tochter durch kurz entschlossene Strafe einzuprägen. Die Lore hörte das mit unverhohle der Unfu stand, und nahm ein mit Milch gesülltes M-U-r be,.ß s.° ferne Spur, nur manch Glas so hastig zwischen den Medizin-^ stürzten und ein Theil der Milch Über ihr braunes, blaugemustertes Kleid floß. „Immer ungeschickt!" tadelte die Mutter. fl-schm heraus, daß zwei derselben um- ®,«""8ra und Unb.qMml.chk-,.-n durch °\Wtt R-Ip°" eme bes°nd°r-g°rm d-rFurch^°r Strenge derselben. Das schlaue die Strenge derselben. Das Mädchen sagte sich schließlich: ,Bei dem Papa komme ich doch mit Allem durch', denn der konnte nicht anders, er mußte trotz besserer Einsicht dem,Teufelsmädel' immer zum Willen zu verhelfen. Für alle Machtlosigkeit im Hause ent schädigte Frau Dewald sich dann in Kla gen und Vorwürfen. Nach den ersten Tagen des MißmncheS über den ihr so plötzlich gewordenen Sohn erwog die ge peinigte Frau schon, ob sie nicht mit An dreas' Erziehung mehr Glück haben könne, und sann darauf, wie. sie. von vornherein diesen Knaben dem unruhigen Einfluß ihres Gatten zu entziehen ver- möchte. Leicht würde dies nicht sein, vielleicht sogar unmöglich denn Herr Jodocus Dewald ging unberechenbare Bahnen. Er konnte W Monate lang um eine Sache gar nicht bekümmern, um sich ihr dann plötzlich mit Feuereifer zu ergeben und sie ebenso unerwartet wieder zu ver lassen. Mit seinen Interessen Wechsel ten seine Freunde, mit seinen Freunden seine AnsuMji, mit seinen Ansichten seine Zieles Auch über seine Familieverhältnisse waren die Ansichten des Herrn JodocuS alle Tage anders. Bald fand er sich im Besitz der beste» Frau, bald entdeckte er unleidliche Fehler an ihr, die fein Leben vergällen mußte bald gab er Leonote in den tpllsten Wünschen nach, bald ver weigerte er ihr die kindlich-erlaubtesten Dinge, oder versuchte wenigstens diesel ben zu verweigern. Doch trübten diese Scenen feine heitere Stimmung nie lange mit seinem Humor bezwang der alte Herr doch Alle gram fein konnte ihm Niemand, und wenn er es auch nicht verstand, sich Freunde zu erhol ten, so eroberte er sich doch immer wie der neue. Es gab wohl manchmal etwas Lärm und Gepolter -in dem Dewald'schen Hause, trotz alledem tonnte matt die Ehe und das Familienleben kein unglückliches nennen. Leonore war die Freude ihrer Eltern, und wenn auch Frau Dewald mit der ihr eigenen Herbheit das Kind nie lieb koste, bewunderte sie doch heimlich dessen Klugheit. Freilich, wenn Herr Dewald entzückt sagte: „Unsere Lore wird noch einmal eine Schönheit und ein geistvolles Mädel," dann erwiederte sie mißmzlthig: „Verlogen ist sie!" Das elfjährige Mädchen, das genau fühlte, daß'es trotz des ewigen Ansschel teils der Mutter, trotz der jeweiligen Zornesausbrüche des Vaters das Hans beherrschte, war empört darüber, daß es nun immer den kleinen Jungen neben sich dulden sollte sie beschloß, ihn, falls er genesen sein würde, gar nicht zu be achten und ihn immer suhlen zu lassen, daß er hier nur Gnadenbrod esse. Oft stand sie lange vor seinem Bett uud sah ihn an sie wollte warten, bis er erwache, um dann zu sehen, welche Farbe seine Augen hätten. „Sie sind schwarz, wie Deine," sagte Herr Dewald, „nur brennen keine Rake ten darin." „Er ist überhaupt passabel hübsch." „Biel schöner als Du, Nora," schal tete die Mutter ein, „wenn er da auf dem weißen Kiffen liegt, mit feilten schwarzbraunen Locken, ist er zum Ma len." .• „Meinetwegen, er ist ja auch Dein Liebling," sagte Leonore schnippisch, „kannst ihn allein lieb haben!" „WaS das Wieden für eine Antwort ist!" begann Frau Dewald sich*räu spernd. Leonore aber hielt sich die Ohren zu und rief: „Du schiltst auch immer!" und lief davon. „WaS soll ans dem Mädchen werden!" seufzte die schwache Fran, die mehr zu reden als zu handeln verstand, „und wie soll der verwaiste Knabe hier gedeihen?! Nun, Jodocus hat die Sache eingebrockt —er trage die Verantwortung." Der große Blutverlust, der durch die kräftigsten Medikamente und Nahrnngs mittel ersetzt wurde, ließ lange bedeutende Schwäche bei Andreas Mintorp zurück, die Nerven des Kindes waren durch die grauenvollen Vorgänge zu schwer erschüt tert, um sogleich wieder angespannt wer den zu können. Auch mußte Andreas— oder Andre, wie Leonore ihn ein- für allemal umtaufte, da der Kalendername des Papa schon so altfränkisch sei, daß sie nicht noch einen ,heiligen Andreas' dazu haben wollte,—sich erst in die neuen Verhältnisse hineingewöhnen. Das einfache Krankenzimmer, sonst Leonore'S Spiel- und Arbeitsstube, war ihm schon herrlich vorgekommen, ganz scheu wurde er aber, als er in die Wohn zimmer eintrat und sich zwischen bunt farbigen Stuhlen und Sophas, zwischen seidenen Thürvorhängen und Gardinen bewegen sollte. Lore, welche es bald vergnüglicher fand, pch und ihre Sachen von dem Zun gen anstaunen zu lassen, als ihn mit stol zer Nichtachtung zu übersehen, blätterte mit ihm in den Bilderwerken. Andre schonte mit trunkenen Augen auf die fei nen Darstellungen fremdartiger Gegen den er hörte begeistert zu, wenn Leonore, die mit der rasenden Zungengeläufigkeit und der ganzen Eintönigkeit, die Schul mädchen eigen ist, las, ihm den beglei tenden Text vortrug. Als man ihn in die Schule sandte, war er ganz glücklich und vergaß für eine kurze Zeit fem Leid, —daß die Mutter und Schwestern nicht mehr bei ihm waren. Schwer hatte Andre sich entschlossen, zu seinen Pflege Eltern ,Pcpa' und ,Mama' zu sagen Leonore wollte er durchaus nicht als Schwester anerken- neu. „Warum nicht, Du undankbarer Schlingel?" ftagte sie einst, da sie, mib dem Fuß stampfend, Befohlen hatte,, er solle sofort ^Schwester Nora' sagen. „Ich will keine Schwester, die Fliegen todt macht und Käfer quält!" „Bah, es sieht so drollig ans, wenn, die kleinen Dingerchen eins über dem andern an der Nadeln zappeln hätte ich eine so große Nadel, würde ich Dich auch. aufspießen.- Sie blinzelte ihn mit den funkelnden Augen an. Als er verächtlich jagte: „Du bist schlecht!" nahm sie ihre Zöpfe und kitzelte ihn mit einem Haarbüschel lachend unter der Nase, was Andre mit einer Ohrfeige erwiederte. Frau Dewald kam hinzu sie stiftete Frieden, schalt Leonore aus, befahl An dre Mäßigung und bekam von ihrer Tochter ine gewöhnliche Antwort: „Du schiltst immer!" Damit war diese wie jede ähnliche Äcene beendet, deren täglich einige vor kamen. V'-"' Eines Tages wurde Herrn Dewald,. grade ats fein Freund tor Straten, ein reicher Kaufmann, bei ihm zum Besuche war, gemeldet, daß eine junge Dame, da sei, welche den Herrn durchaus sprechen wolle. „Ist sie hübsch?" fragte Herr Dewald lachend. „Ei, mein Freund!" drohte tor Straten mit seinem knochigen Zeigefin ger. „Was will sie?" fragte der Haus herr. „Wegen Andre fei sie da! hat sie ge sprochen." „Hm,—führe sie in's Wohnzimmer^, ich komme gleich. Bitte, tor Straten,, lassen Sie nicht stören. Wobei waren wir doch gleich stehen geblieben? Richtig, —also Söhne sollen so schwer zu erziehen sein,—na, Ihr Gebhard ist Ihnen doch wohl nicht über den Kopf gewachsen? Der Junge ist so sanft er sieht aus, als ob er kein Wässerchen trüben könnte." „Und hat es faustdick hinter den Oh ren Stellen Sie sich vor, der Bengel^ —noch nicht voll zwanzig ist er,—soll eine Liebschaft mit 'ner kleinen Schau spielerin oder dergleichen haben ich hüte mich wohl, näher nachzuforschen, man kommt da manchmalDingen auf die Spur, die Einem ungeuehm sind besser man weiß so wenig wie möglich." Herr Dewald klopfte feinem Besucher auf die Schulter. „Wir' sind auch ein mal jung gewesen, alter Freund!" sagte er lächelnd. Verdrießlich erwiederte tor Straten: „Aber wir warteten doch, bis wir selbst erworbenes Geld in der Tasche und die Kinderschuhe ganz vertreten hatten. Na, ich werde mit dem Burschen nicht viel FederlesetH machen. Als ich von der Geschichte |Brte, theilte ich ihm, ohne eine Silbe über dieselbe zu verlieren, mit, daß er nach England solle, um in ein befreundetes Hans einzutreten er war's zufrieden, ja, er schien sogar sehr erfreut." „Da werden Sie sich aber plötzlich, sehr vereinsammt fühlen," sagte Dewald „erst stirbt Ihnen der Compagnon, und nun senden Sie den einzigen Sohn in die Ferne." Herr tor Straten nahm seinen Hut. „Ich bin an Thätigkeit gewöhnt," ent gegnete er, und doch stahl sich ein leiser Seufzer aus feiner Brust. „Daß Da hore starb, war mir allerdings sehr leid fatal ist es mir jedoch, daß die Wittwe Theilhaberin bleibt ich hätte die Frau lieber ausbezahlt, obschon es mir sehr schwer geworden wäre, das große Kapi tal zu entbehren. Aber so ein Frauen zimmer als Compagnon! Nun, sie ist eine noble Person, sie wird sich nicht viel in die Dinge mischen. Aber bedenket Sie, wnn ich einmal die Augen schlieft muß mein Gebhard sich auch noch rnidiyr abplagen." „Wer weiß, vielleicht tritt die Räthin einmal freiwillig aus," tröstete Herr Jodocus, indem er seinen Gast bis zum 1 Ausgang begleitete. '.z. Wl In dem Wohnzimmer hatte unter» dessen still eine junge Dame am Tisch gestanden und aufmerksam die Einrtch-^ tuflg gemustert sie sah sehr müde au^-: aber da die Dienerin sie nicht aufgefor dert hatte, sich zu setzen, wagte sie nicht es zu thun. 'V W.)