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Der Nordstern. [volume] (St. Cloud, Minn.) 1874-1931, June 07, 1906, Image 12

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Deutschland und gland.
Von Wmn.
Daß im Juni
1905 die Gefahr
eines großen euro
päischen Krieges
eine ganz außeror
dentlichernste war,
ernster selbst als
zur Zeit, in wel—
cher der französi
sche Kriegsminister
Boulanger als der
Held des Tages
figurirte, darüber
kann tein Zweifel
n ;
; Zünder lag schon
dranz. Karitatur) dicht an derßombe
welche zur Explosion gebracht werden
sollte. Er wurde noch rechtzeitig besei
tigt durch einsichtige Männer in Frank—
d
4
1—
„Das Schwert scharf und das Pulver troden jelten- (Aus dem „Kladdera
a
reich, durch dieselben Männer, welche
jetzt an der Spitze der französtschen Re
gierung stehen, die aber durchaus nicht
besonders fest im Sattel sizen. Zwar
sagt man mit Recht, daß gerade die
Art der Beseitigung jener Krieg—
sgefahr den Beweis geliefett habe, daß
das rentis Volt teinen Krieg ge
gen Deutschland will, jedoch es können
jeden Tag oa eintreten, wel
che auf die leicht erregbaren Franzosen
stärker wirken, welche die vorhandene
Angst vor Deutschland's Heermacht,
wenn auch nur für einen kurzen kriti—
schen Augenblick, beseitigen und eine
Situation schaffen, die sich von tölpel
haften Heißspornen so ausbeuten läßt,
als sei die Ehre des Landes in Frage
gestellt. Die Möglichteit, eine solche
den Frieden bedrohende Situation zu
schaffen, wäre gering, wenn es sich um
Frankreich allein handelte, oder auch
üm Frankreich und das mit ihm ver—
bündete Rußland vor dem Japaner—-
kriege. Dieses Bündniß ist jetzt so
gut wie gegenstandlos geworden und
während es bestanden hat, war der
Friede vielleicht gesicherter, als jemals
seit den siebziger Jahren.
Jetzt aber ist England, als Er—
satz für Rußland, an Frantreichs
Seite getreten. Aber anstatt als Brem—
se zu dienen gegenüber den Revanchege—-
lüsten Frankreichs, wie es Rußland
während des Zweibundes stets gethan,
bemerten wir in dem neuen Freunde
Frantkreichs die Neigung, beständig zu
einem Kriege gegen Deutschland zu
hetzen und zu schüren. Auch ist diese
Neigung nicht nur bei den gegenwärti—
gen Leitern der englischen Politit vor—
handen. Die englischen Liberalen,
welche demnächst wahrscheinlich an
das britische Staatsruder treten wer—
den, sind von ähnlichem Geiste beseelt.
Eine der ernstesten Erscheinungen
bei der Fortentwicklung der britisch—
deutschen Reibungsflächen ist die That—
sache, daß der König von England
Deutschlands Colonialerwerb durch Englands „Gnade“. (Französ. Karrita
vollständig und offenkundig in das La—
ger der Deutschenhasser übergegangen
ist. König Edward hat stets eine Ab—
neigung gegen Deutschland gehabt, da—
zu ist nun während des letzten Jahres
ein persönliches Zerwürfniß mit sei—
nem Noffen, dem deutschen Kaiser ge—
kommen, dessen Ursachen man aller—
dings nicht kennt, dessen Thatbestand
jedoch augenfällig ist. Die Höfe von
London und Berlin, welche früher die
Lerrnsen Beziehungen pflegten. ste
sich nicht nur kalt, sondern fast
Kau mann.
feindselig gegenüber. Wer zwischen
den Zeilen der gelben Londoner Press
zu lesen versteht, wird das leicht erken
nen, die letzte Reise des englischen Kö
nigs nach Marienbad hat es übrigenẽ
aller Welt gezeigt und in Berlin macht
man gar kein Hehl daraus. Die wäh—
rend der langen Regierung der Köni—
gin Victoria zur allgemeinen Geltung
gelangte Annahme, daß der englische
Hof ohne jeden Einfluß auf die engli
sche Politit sei, ist seit demßegierungs
antritt ihres Sohnes hinfällig gewor
den. Der König von England besitzt
rrtesarina gehr Einfluß, als ir—
gend einer seinet Vorgänger, so lange
das Haus Hannover regiert. Es wür—
de zu weit führen, wenn wir den Ur—
sachen dieser merkwürdigen Erschei
nung nachgehen wollten, der Haupt—
grund ist das Emporwuchern der soge
nannten Snobotratie, der übersatten,
übermäßig reichen Leute, welche sich
instinktiv um Denjenigen schaaren, der
durch Ansehen und durch Tradition als
der unerreichbare Ersie in der soge—
nannten Gesellschaft gilt. Diese Sno—-
botratie besteht aus Strebern und
Kriechern, aus Leuten, welche mit ih—-
rem Reichthum nach außen glänzen
und prunken wollen. Was diesen Leu—
ten an Bildung und Kenntnissen fehlt,
ersetzen sie durch rücksichtslosen Ge—-
brauch ihrer Reichthümer, sofern da—
durch nur dem erstrebten Zweck gedient
werden kann. Sie begründen und sub—
ventioniren die Zeitungen, welche von
Jahr zu Jahr immer gelber, immer
ameritanischer werden, sie verschaffen
dem britischen Königthum einen An—
hängertroß, den derselbe früher nie
mals besessen hat. Daß König Edward
mit Leuten dieses Schlages stets ge—
liebäugelt hat, daß er als Kronprinz
ihnen angehörte, daß er mit ihnen
spielte, schwelgte und liebte, dafür
gibt es genügend Prozeßakten. König
Edward ist das geborene Oberhaupt
der Snobokratie und daraus erklärt
sich der gewaltige Einfluß zumeist,
welchen er ausübt. Die Snobs sind
reich und freigebig, nicht tnauserig,
reiche und fregetige Leute haben aber
fast zu allen Zeiten mehr Einfluß be—
sessen als die geistigreichen Leute, wel—-
che ihr Pfund nicht so bequem verwer—
then können, wie die Finanzkräftigen.
Es ist allerdings nicht nollständig
erwiesen, aber alle Anzeichen deuten da
rauf hin, daß das Anerbieten an Del—
casss, England würde mit hundert—-
tausend Mann in Schleswig-Holstein
einfallen, aus den englischen Hoftrei
sen, wahrscheinlich vom König selbst,
stammt. Ein Militär kann dies An—
erbieten nicht gemacht haben, denn En—
gland hätte damals nur höchstens 30,
000 Mann entsenden können, und
selbst wenn jene hunderttausend Mann
vorhanden gewesen wären, so wäre
doch die ganze Sache, bei den Schwie—
rigkeiten einer Landung an den deut—-
schen Küsten, ein Abenteuer gewesen,
ungefähr von der Art, wie die Ver—
theidigung der Mandschurei durch ur—-
sprünglich 60,000 Russen gegen die
große japanische Armee. Ein Diplo—
mat tkann das Anerbieten ebenfalls
nicht gemacht haben, denn so wahnsin
nige Offerten macht doch wohl kein
englischer Diplomat. Aber daß das
Anerbieten wirklich so ernsthaft ge-
biß, das steht fest. We: kann es ge
macht haken? Wer war so mächtig
und so einflußreich, daß der französi
sche Minister die ernsthafte Vertretung
des Anerbietens vor seinen Collegen
unternehmen konnte? Wer anders als
der König der Snobs? Jedenfalls sieht
es dem hoten Herrn sehr ähnlich.
Woher tkommt der gegenwärtige
Haß der Engländer gegen Deutsch
land? Da müssen wir etwas ausho—-
len. Denn die Gegnerschaft Englands
ist alten Datums. Die englische Poli
tit ist Deutschlands nationalen Inter
essen gegenüber fast seit dem Bestehen
der britischen Seeherrschaft stets un—
freundlich und oft genug feindselig
und hösartig gewesen. Das zerstüctel
te und zerrisscne Deutschland, welches
so lange Englands Geschäfte auf dem
europäischen Festlande besorgte und
dessen Fürsten so gern das englische
Geld annahmen, war den Engländern
gerade recht. Der Jammer der Klein—
staaterei ließ es zu, daß Deutschland
für England Bedientenarbeit durch die
Jahrhunderte hindurch that. So hat
sich der Engländer daran gewöhnt, sich
den Deutschen gegenüber als Aristo—
kraten aufzuspielen, und dasselbe Ge—-
fühl, welches der Herr dem Diener
gegenüber hegt, ist bei ihm aufgekom—
men. Die Deutschen waren dem rei—
chen Engländer gegenüber arme Ver—
wandte, welchen man hie und da ein
Almosen gibt, um sie bei guter Stim—
mung zu erhalten. Aber wenn Deutsch
land Ansprüche erhob, so stieß es stets
auf englischen Widerstand. Nach dem
Utrechter Frieden, welcher den spani—
schen Erbfolgekrieg 1712 beschloß, ge—
stattete England, daß Frankreich das
Deutschland geraubte Elsaß behielt.
Als der große Kurfürst eine Flotte
bauen, Colonien begründen und sich
namentlich in der Ostsee festsetzen woll—
te, wurde er durch das Drohen Eng—
lands veranlaßt, seine Pläne aufzuge—
ben. Der preußische König Fr. W.I.
wurde fünfzehn Jahre lang von Eng—
land an der Nase herumgeführt und
Friedrich der Große, der lange mit
England verbündet war, hat doch Nie—
mendem stärter geflucht als den eng—
lischen Diplomaten. In den Freiheits
kriegen war es ähnlich. Nachdem we—
sentlich durch die preußische Tapferkeit
die Herrschaft Napoleons gebrochen
war, verstanden es die Engländer im
Verein mit Metternich, daß auf dem
Wiener Congreß das neue Preußen
in zwei zusammenhangslose Hälften ge—
rissen wurde. Ja selbst die Thatsache,
daß Blücher sie am Abend der letzten
Entscheidungsschlacht heraushaute und
so erst den Sieg von Belle Alliance
möglich machte, wollen die Engländer
Französische Karikatur
nicht anertennen. Als Deutschland
endlich seine Rechte auf Schleswig—
Holstein geltend machte, lieh England
jtets den Dänen seine diplematische
Hilfe zum Nachtheile Deutschlands,
und als der Bundestag eine erbärmlich
tleine Flotte auf der Nordsee hatte,
drohte Lord Palmerston er würde die
schwarzrothgoldene Flagge wie eine
Piratenfahne behandeln lassen. Im
deutschfranzösischen Kriege versorgte
England die Franzosen, gegen alle Be—
stimmungen des Völkerrechts, mit
Woaffen, und fogar der Erwerbung der
paar damals als ganz werthlos ange
sehenen deutschen Colonien setzte Eng
land schroffen Widerstand entgegen und
es bedurfte des ganzen Ansehens Bis—
marcts, um diese lumpigen Besitzungen
gegen das nimmersatte England zu
ertrotzen. Allerdings haten sich
Deutschland und England niemals in
Waffen gegenübergetanden, aber die
gesammte englische Politik war seit
über zweihundert Jahren eine fort—-
währende Politit der Feindseligkeit
ur des Uebelwoltens gegen Deutsch
and.
Seit den Erfolgen Deutschlands
von 1870 sieht sich England in seiner
Stellung als erste Weltmacht bedroht.
Sein Handel hat durch den deutschen
Wettbewerb starke Einbußen erlitten,
seine Industrie nicht minder, Deutsch
DEFECTIVE PAGE
n dagegen ganz ungeheure auf dem Wasser“, sondern er hat auch
Fortschritte gemacht. mit ganz bedeutendem Erfolge dazu
Ich kann hier nicht näher eingehen beigetragen, daß dieses Wort immer
auf den ganz außerordentlichen, wun- mehr zur Wahrheit wird
derbaren Aufschwung der deutschen s * _ *
Industrie. Nur zwei Punkte will ichh Je größer die Weltgeltung Deutsch--
hervorheben, die Eisenindustrie und lands geworden ist, desto größer der
ls Soldat, Redner, Maler, Modefex, Dirigent, Minister. (Karitatur der „Leip—-
ziger Volkszeitung“.) :
den Schiffbau. England ist auf dem
Gebiete der Eisen- und Stahlerzeu—-
gung, auf welchem es vor einem Men—
schenalter noch die Führerschaft hatte,
von den Vereinigten Staaten und pon
Deutschland vollständig in den Hinter—
grund gedrängt worden. Aus einer
türzlich von der englischen „Zollcom
mission“ veröffentlichten Zusammen—
stellung erhellt folgendes: Im Jahre
1876 erzeugte Großbritannien 45 Pro—
zent von dem Weltverbrauch an Mul—
deneisen; die Ver. Staaten stellten nur
15 und Deutschland nur 12 Prozent.
Im Jahre 1902 hingegen machte die
englische Produktion nur noch 20 Pro—
zent von dem Gesammtverbrauch aus;
die amerikanische war auf 36 und die
deutsche auf 29 Prozent gestiegen. Im
Jahre 1876 deckte Großbritannien 38
Prozent des Weltverbrauchs an Stahl;
die Ver. Staaten lieferten 16 und
Deutschland stellte 16 2583 Prozent.
Im Jahre 1902 war Englands An—
theil auf 14 Prozent gesunken, wäh—
rend der amerikanische auf 42 und der
deutsche auf 215 gestiegen waren. Seit
1902 hat diese Zunahime sich noch mehr
gesteigert.
Ganz ähnlich ist der Aufschwung des
deutschen Schiffsbaus. Noch bis vor
18 Jahren wurden einzelne der deut—
schen Passagierdampfer sowie auch
noch Kriegsschiffe in England gebaut.
Jetzt sind sämmtliche der schnellsten,
größten, schönsten und am besten für
den Comfort der Reisenden eingerichte
ten Schiffe der Welt inertia
gebaut und sie fahren unker deutscher
Flagge. Namentlich der sogenannte
Feine“ Vertehr auf dem atlantischen
Ocean ist den Engländern fäst gänzlich
entglitten und den Deutschen zugefal—-
len. Den gewaltigen Wintervertehr
von Amerika nach Italien haben die
deutschen Rheder geschaffen und sie
monopolisiren ihn vollständig. Eine
ganze Anzahl früher englischer Linien,
welche nach Ostasien fuhren und na—
mentlich den dort so wi“!gen Küsten
verkehr besaßen, sind an den Norddeut—
schen Lloyd übergegangen, und jetzt be—
zahlt sich dieser Verkehr, bei welchem
die Engländer mit ihren alten schlech
ten Schiffen früher nie etwas verdie—
nen konnten, vortrefflich. Die Ham—
burger Linie will den Engländern dem—
nächst auf dem pacifischen Ocean Wett—-
bewerb machen und der früher von den
Engländern vollständig monopolisirte
Passagierverkehr nach Südafrika wird
bereits ernstlich bedroht von Wörmann
und den übrigen deutschen Afrika Li—
nien. Aehnliche Erfahrungen machen
die Engländer in Südamerika, und so—
gar Australien, die eigentlichste Do—-
mäne des Engländerthums, wird von
deutschen Linien angelaufen. In der
ganzen Welt begegnet der Engländer
der verhaßten deutschen Flagge und je—-
des neue Jahr bringt ein weiteres Ent—
gleiten des Schiffsverkehrs aus engli—
schen in deutsche Hände.
* *
Deutschland ist längst nicht mehr
das Land der Träumer, der Dichter,
der weltfremden Woltenkuckucksheimer,
der bescheidenen, leider nur zu beschei—
denen und schweigsamen und entsa—
gungsvollen Idealisten, welche für das
Weltbürgerthum schwärmten. Nein
Deutschland ist das Land eines ge—
sunden aufstrebenden Re—
alismus, der mit Ernst und mit
Erfolg seinen Platz an der Sonne der
Weltgeltung sucht und ihn auch schon
gefunden hat. Aber es gibt zwei
Deutschlands, ein neues und ein al—
te s. Das alte Deutschland, das Träu—
merland, existirt immer noch weiter
neben dem neuen. Und diese beiden
Deutschlands wissen eigentlich sehr we—
nig von einander, kümmern sich um
einander nicht und das ist vortrefflich,
denn wenn sie sich an einander reiben,
speziell wenn sich die deutschen Ideali
sten und Träumer in die deutscheWirth—
schaftspolitik einmischen, dann werden
immer wieder die alten berühmten
deutschen Dummheiten gemacht. Siehe
den Leipziger Professor Hasse und sei—
nen alldeutschen Verband, siehe die Op—-
position der preußischen Confervativen
gegen den deutschen Mittellandcanal,
die Kämpfe der Agrarier gegen die In
duftrie, die Judenhetze, die Zersplitte—
rung der liberalen Parteien in Deutsch
land, die Behandlung der Socialdemo
kraten als Rebellen u. s. w. Das be—
ste Bitd dieses zweitheiligen, dieses
neuen und dieses alten Deutschland,
bietet der Kaiser dar. Er ist immer
einer der mächtigsten Förderer des in
dustriellen der Aus
breitung des Handels Deutschlands ge
wesen. Er hat nicht nur das Wort ge—-
münat „Deutschlands Zuklunft liegt
Neid und die Mißgunst Englands.
Das liegt so tief begründet in der
menschlichen Natur, daß es keiner wei—
teren Erklärung bedarf. Aber die
wachsende politischeßedeutung Deutsch—
lands zwingt die Engländer zu sehr
kostspieligen Gegenmaßregeln und das
ist dem schon sehr stark besteuerten
„Krämervolke“ doppelt peinlich.
Deutschland baut eine Kriegs—
flotte. Irar sie ist noch schwach
und klein, aber sie ist eine deutsche
Flotte. Deshalb ist sie vortrefflich or
ganisirt, von einer vorzüglich discipli—
nirten Mannschaft besetzt, hat ebenso
gute Ingenieure, als es die englischen
sind, das Officierscorps besteht aus
ausgewählten, hochgebildeten, vortreff—
lich geschulten Männern. Es gab bis—
her wenig Gelegenheiten, wo sich die
deutsche Flotte bethätigen konnte, aber
jede dieser Gelegenheiten war auch ein
glänzendes Beispiel deutscher Mannes
zucht, Schießtüchtigkeit, Tapferkeit und
Tauglichteit zur See. Oas
Letztere ist für die Herrn Engländer
wohl das Wichtigste. Denn die Fran—-
zosen, die Russen und die Italienet,
welche bei ihnen sonst als mögliche
Gegner im Seekriege in Frage kamen,
waren als solche minderwerthig. Sie
hatten wohl Schiffe, aber keine Inge—
nieure, keine Führer. vor allen kein
seetüchtiges Volk. Da war es leicht,
den Seegewaltigen zu spielen, alle ir
gendwie werthvollen Länder der Erde
an sich zu reißen und fast der ganzen
Welt, gestützt auf die britischenSchiffs
tanonen, Gesetze vorzuschreiben.
Aber jetzt muß der britische Steuer—
zahler für diese Weltstellung Englands
theuer bezahlen. Seitdem es eine deut—
sche Flotte gibt, haben sich die Unko—
sten für die Aufrechterhaltung der bri—
tischen Flotte mehr als verdop—
pelt. Fragt der englische Steuer—
zahler, weshalb man ihm jetzt so viel
Geld abnimmt, so erhält er die Ant—
wort: Deutschland! Natürlich haßt er
Deuischland.
Sehr viel Gewicht wird mit Bezug
aũf die englisch - deutsche Feindschaft
der Depesche des Kaisers an Krüger
beigelegt. Der Kaiser gratulirte Krü—
ger zu der erfolgreichen Abwehr Jame—
son's. Letzterer war ein Einbrecher
und ein Räuber. Die englische Regie—
rung hatte nichts mit ihm zu thun,
wenigstens nicht offiziell. Daß die
Engländer über diese Depesche so wü—
thend geworden sind, gereicht ihnen zur
Schmach. Sie identificirten sich da—
durch mit Jameson, der im tiefsten
Frieden einen Raubzug gegen die Bu—
ren-Republiken unternommen hatte.
Des Kaisers Depesche war deshalb kei—
ne Tattlosigkeit, keine Verhöhnung
Englands. Der Absender hatte nicht
ertannt, daß hier ein Stück traditio—
neller britischer Politit gespielt wurde.
Wäre Jameson erfolgreich gewesen, so
hätte England skrupellos die Früchte
dieses Erfolgs eingesteckt. Aber im
Falle des Mißerfolgs konnte man den
Räuber Jameson desavouiren. Jene
Depesche, welche ganz der impulsiven
Natur des Kaisers entspricht, mag so
ausgelegt werden, als habe der Kaiser
mit dem Herzen gedacht. Man mag
jene Depesche sogar eine Dummheit
nennen. Aber von weit größerer
Tragweite war die Thatsache, daß spä—
ter der in Paris glänzend empfangene
Krüger nur bis Köln kommen durfte,
als er nach Berlin wollte. Das war
ein unbverzeihliches Zurückweichen
Deutschlands vor England, eine Bla—-
mage. Aber sie war doch nur halb so
schlimm, als die Blamage Amerikas.
Auf welcher Seite stand das freiheitlie
bende ameritanische Volk, als die Bau—-
ernrepubliken in Afrika gegen den
übermächtigen Briten ihren Vocnr
lungstampf führten? Wo waren die
Sympathien des berühmten Mr. Hay,
welcher McKinley's auswärtige Poli—
rit damals dirigirte? Je weniger man
davon sagt, desto besser.
Während der letzten 10 Jahre hat
England nicht weniger als· vierzehn
Kriege geführt. Die Kosten derfelben,
namentlich des Burenkriegs, waren
furchtbar. Die verzinsliche Schuld ist
in den zehn Jahren von 635 auf 800
Pillionen Pfund Sterling gestiegen
also auf mehr als 4000 Millionen
Dollars. Dazu kommen die gewalti—
gen Aufwendungen, welche England
jetzt für feine Flotte macht. So ist die
Finanzlage des reichsten Landes der
Welt jetzt durchaus nicht günstig. Ein
Krieg gegen Deutschland würde aber
ungehenres Geld kosten. Und was
könnie England schließlich dabei ge
winnen? Die paar deutschen Colonien!
reichen übersättigtes Land?
Außerdem ist ein Seekrieg gegen
Deutschland keine Lappalie. Zwar
wird die britische Flotte binnen kurzer
Zeit viermal so start sein als die deut
sche. Aber kaum mehr als die Hälfte
dieser Uetermacht dürfte für einen sol
chen Krieg dsponibel sein, denn Eng
land muß in der ganzen Welt Schiffe
halten. Deutschland dagegen kann seine
gefsammte Kraft zusammen fassen und—
durch den Kaiser Wilhelmscanal belie—
big in Nord- oder Ostsee verwenden,
während England die lange Küsten
strecke beider Meere blockiren müßte.
Diese Blockade würde aber ziemlich
weit von der Küste stattfinden, denn die
Küsten sind sehr seicht und gefährlich
und durch Seeminen außerordentlich
leicht zu vertheidigen. Beständig müß
ten sich die Blockadegeschwader auf Ue
berfälle gefaßt machen, speziell Sei—-
tens der deutschen Torpedoboote, deren
Manöverfeld diese sehr gefährlichen
Küsten sind. In Deutschland würde
man einen solchen Krieg als einenVer—
zweiflungskampf auffassen und nichts
unversucht lassen, um dem Gegner zu
schaden. Daß die überaus schnellen
Kayerschiffe, welche Deutschland aus—
rüsten würde, in einer stürmischen
Nacht auf der Nordsee die Blockade
durchbrechen und die hohen See gewin
nen tönnten, ist durchaus nicht un—
wahrscheinlich. Welchen Schaden abet
tönnten solche Kaper der englischen
Schiffahrt zufügen! In einem solchen
Kriege hätte der Angreifer auch nicht
die Wahl des Schlachtfeldes. Denn die
deutsche Flotte könnte sich ruhig in's
Inland zurückziehen und die beste Ge
legenheit zum Ausfall und zum Schla—
gen wahtnehmen. Jedenfalls würden
sich die Deutschen wie Verzweifelte
wehren und wenn sie auch schließlich
niedergezwungen würden, so käme doch
auch der Sieger nicht ohne gewaltige
Verluste davon.
Da die englischen Staatsmänner
kühle Rechner sind, so werden sie
schwerlich zu der Ueberzeugung gelan—
gen, daß die Vortheile eines siegreichen
Kriegs auch nur annähernd im Ver—
hältnisse stehen zu den übelen Begleit—
erscheinungen und zu den Folgen eines
solchen. Deshalb kann man die ge
genwärtige Deutschlands - Hetze der
Engländer ruhig ats Maulheldenthum
ansehen, soweit es sich um die Möglich—
teit eines Angriffs von England a 1—
lein handelt. Zur wirktlichen Ge—
fahr wird die Hetze erst, wenn es den
Engländern gelingen sollte, Frankreich
zu einem Kriege gegen Deutschland zw
veranlassen und dann an FrankreichS
Seite gegen den vethaßten Gegner zu
Felde zu ziehen. Das gäbe den Herrw
Englängern auch Gelegenheit, die
französifche Flotte in's Vordertreffem
gegen Deutschland zu schicken und sich
selbst möglichst in der Reserve zu hal
ten, würde also ganz der Poliiit ent-
Englische Grotesk-Komiker. Wie sie germ
den deutschen Michel anblasen möch
ten. (Aus dem „Ulk“.)
sprechen, welche England stets in euro—
päischen Kriegen zu befolgen bestrebẽ
war.
Die Franzosen müßten doch sehr
blind sein, wenn sie die Fallstricke nicht
bemerken sollten, welche der neue
Freund ihnen legen möchte. Denn der
Vortheil, den sie von einer Unterstü—
tzung Englands hätten, selbst den Fall
angenommen, daß ihnen ein englisches
Landheer von 100,000 Mann zur
Hilfe kommen könnte, würde doch
wahrscheinlich aufgehoben werden
durch die Begeisterung und Hingabe.
welche das deutsche Volk in einem sol—
chen Kriege entfalten würde. England
hätte in diesem Kampfe nicht viel zu
riskiren, Frankreich aber Alles.
Unter diesen Umständen erscheint
die Gefahr bei weitem nicht so groß.
als man nach dem nun schon seit Mo-
naten betriebenen Säbelrasseln der
Engländer annehmen möchte. Es ist je
doch eine nicht hinwegzuleugnende
Thatsache, daß in Deutschland das
Pulver jetzt recht trocken gehalten wird.
Hoffentlich geht damit auch eine beson
dere Vorsicht auf diplomatischem Ge
biete Hand in Hand, speziell in Bezug
auf die Behandlung etwaiger Zwi
schenfälle.
Fatale Ueberraschung—
Schuldner: Vor meiner Hochzeit kann
ich aber unmöglich zahlen, Meister;
(wichtig) ich heirathe nämlich die Toch
ter des Weinhändlers Müller, wenn—
Sie den kennen! Gläubiger: O
von dem kriege ich ja auch noch Geld—
. und der hat mich ebenfalls auf die
Hochzeit seiner Tochter veriröstet! ;
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