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e W e s o e füre Ii bei Iahraa«g» von 52 Nummer» Zwei SMtot is Vora»»bejahl««g. k i Novelle von ?. i e o f. flhrtfttttng.) ^aS Mädchen schritt durch daZ^unkleThor, über die Brücke, unter der ein reißendes Bergwasser floß, an der Thorwache vorbei. „Grüß Gott, Britcl" (Abkürzung von Brigitte) rief der Thorwächter ihr zu, »hastig, eilig?" Das Mädchen nickte. »Wie immer, Vetter", und eilte vorbei der alte Mann nahm sein Thonpfeifchen aus dem Munde und blick te ihr nach. »Gott, daS ist eine von den Schönen!" sagte er 3« dem neben ihm stehenden wachehaltenden Soldaten, unbekümmert, ob er ihn auch verstehe. Der wachehaltende Sohn der Provence zerrte an sei nein langen, schwarzen Schnurrbart und sah dem Mädchen nach: "Ah oui, oui!" „Ja, oui," sag te der Alte, sich mit der Hand den Mund wischend, »da ist nichts oui, bei uns weiß man auch, was schön und brav ist." Der junge Mann war auf der Brücke stehen ge blieben, er blickte in das Getriebe des schäumenden Wassers, unschlüssig, ob er weiter gehen sollte er schämte sich fast dessen und doch trieb es ihn dem Mädchen nach. »Was ist weiter dabei, ein Blick und ich bin zufrieden." Vor der Stadt dehnte sich ein Gartenfeld aus, et was tief in der sumpfigen Flußniederung gHegett und von mehrfachem, trägem Kanalgewässer durch schnitten. Es lag noch innerhalb des Festnngsra pons und konnte nöthigenfalls ganz unter Wasser gesetzt werden das war aber schon lange Gr wußte, daß vor dem Schluss« der Festungs thore ihm immer noch ein paar Stunden übrig blie Ben, und wo konnte er diese in der ihm sonst frem den Stadt besser zubringen, als hier, wo der Blü thenzauber des MaiS in seiner anmuthvollsten Fülle sich entfaltete. Er blickte über die Hecken und Zäune hinüber in diese sorgsam gepflegten Gärten mit den saubern Wegen und Rabatten, den niedlichen Häuschen und überbuschten Lauben, und das Gefühl des Behagens, welches diese genügsame, freundliche Häuslichkeit im Freien dem Bürger und Familienvater geben muß te, muthet« den erregten jungen Mann beruhigend an. So schritt et sinnend und träumend immer wei ter hinein, planlos durch die sich windenden Pfade von den überhängenden Syringenbüschen streifte sein »Hut die duftenden Blüthen ab, Goldregen und Jas minzweige schlugen daran er nahm den Hut ab und ließ die kühle Nachtluft durch sein Haar wehen. Es war fast urplötzlich dunkel geworden, die hellen Wolken, die er vom Münster aus am Horizont auf steigen sah, zogen verdunkelnd über den dämmen gen Himmel, an dessen westlichstem Rande ein trü bet, gelber Schein noch die Stelle bezeichnete, hinter welcher die Sonne versunken mat, 2. Wahrend der junge Mann zwischen den Garten wegen hinschritt in der wachsenden Dunkelheit, wnr de es hell hinter einem von Reblaub überhängten Fenster und fiel der blasse Lichistrabl aus daS stille Wasser unter dem im Weidengebüsch fast versteckten Hanfe. Es war kein breiter, glänzender Lichtstreif, der herausfiel, es war nur der röthlich« trübe Schein ei nes flackernden Unschlittlichtes, das, auf einen plum» pen, eisernen Leuchter gesteckt, nothdürftig die nach» sie Umgebung erhellte und die tiefen Schatten im Hintergründe des großen Zimmers noch dunkler er scheinen ließ. Das Zimmer erfüllte augenscheinlich den doppel ten Zweck einer Wohn- und Schenkstnbe wenn auch der dürftigsten und niedrigsten Gattung. Daß es eine Schenkstube sei, bewies der im Vordergrund ste hende massive Tisch, auf welchem der eiserne Leuch ter mit der daran gekletteten Lichtscheue stand, be wiesen die drei Spiele abgegriffener Karten und die roh aus Buchsbaum geschnitzten Würfelbecher um denselben. Ein angezapftes Fäßchen mit knpfer nem Schwenkkessel in der Ecke und eine Reihe von Krügen vervollständigte die Einrichtung der Stube, welche wenig von dem Einladenden und Behagli chen sonstiger Gaststuben bot. Es sah trüb und gemein aus, nicht einmal die Krüge blinkten mit Zinndeckel und blauen Zierra then geschmückt von der kahlen geweißten Wand her ab, es waren hölzerne Krüge, kleine, vom Kühler gefertigte Efchengebinde mit eisernen Reifen um spannt der Besitzer dieses Hotels mochte wohl schon mehrfach zu seinem Schaden erfahren haben, daß steinerne Krüge vorkommenden Falls eine weit weniger dauerhafte Waffe seien als diese. So schien diese Stube auf Gäste der geringsten Sorte eingerichtet und auch nur solche zu sehen. In dieser dürftigen Einrichtung, in dieser versteckten Winkelschenke den größten Schmutz, die tiefste Ver wahrlosung zu vermuthen, wäre man berechtigt ge Wesen, um so mehr mußte die fast peinliche Sauber feit und Ordnung, welche hier herrschte, auffallen. Die eisernen Reifen der Kannen waren fast polirt vom vielen Scheuern, der tannene, mit weißem Sand eingeriebene Tisch zeigte keine Spur vorhergegange »er Gelage, und selbst die schmutzigen Kartenblät ter lagen in steifer Symetrie um dcu Leuchter her um. Die Stube war leer bis auf wenige Insassen und still bis auf das Picken der Schwarzwälder Ubr, biö auf das eintönige Surren eines Spinnrades, aus ^kfcet dämmerigen Ecke im Hintergrunde her, bis aus schweren Tritte eines ruhelos hin uud her wan ^^oelnden Mannet», unter denen die Dielen knackten und knarrten. W Endlich hielt der Mann im rastlosen Umhergt gehen iittte uud wandte sich zu der in der Dänune rung fast nnkennbaren Spinnerin. „Und es bleibt dabei, Margreth, wie ich gesagt habe, was mir gut genug ist, muß auch meinem Kind gut genug sein, oder meinst Du, ich sollt' allein der geplagte Hund sein uud sie die Prinzessin 1" Das Spinnrad stand still, die Spinnerin hatte die Hände in den Schooß sinken lassen. »Gottvet zeih Dir die Sünd', Niklas," sprach sie. »Lebt das Mädchen wie eine Prinzessin? Arbeitet und schafft sie nicht mehr als wir jemals verantworten kölzutn Z" Jahrg. SS ntchi mehr geschehen, und die Gärten konnten sich eines vollen, ungehinderten Wachsthumes eben so gut erfreuen, wie die Binsen und das Weidengestrüpp am Ufer der trägen Kanäle. Dahin lenkte das Mädchen die Schritte und dahin folgte ihr der junge Mann. Eine fortlaufende Reihe von Mauern, über welche der üppigst« Baumwuchs herüberlugte, schied die Gärten vom Wasser, das nur einmal überbrückt war gegen das offene Gitterthor zu, welches auf den brei ten Garteuweg führte. Hier blieb das Mädchen stehen, sie schob das Halstuch zurecht, und wandte sich um, der Stadt zu. Der junge Mann stand nur wenige Schritte von ihr und ihr Blick traf den sei nen einen Augenblick hielten die Blicke sich fest, aber dann flog es wie ein dunkler Schatten über das Gesicht des Mädchens, und mit einer hastigen Ve wegung sich umwendend trat sie in das Gartenfeld. Der junge Mann fühlte, wie eine brennende Rö the ihm gegen die Stirne stieg hatte das Mädchen ihn erkannt? Und wenn sie ihn erkannt, so warder Blick keinenfalls einladend gewesen, ihr zu folgen und doch wie mit magischer Gewalt, trieb eö ihn vorwärts. Das Mädchen war nicht mehr zu sehen, sie mußte in eine dieser vielen, schmalen Gartengassen einge bogen sein, «ber welchen Hollunder und JaSminbii "fche aus den gegenüber liegenden Gärten, sich zu ein ander neigend, tiefe, dunkle Lanbgänge bildeten über den moosigen, wenig betretenen Wegen. Einzelne Bürger mit ihren Frauen und Kindern kehrten jetzt aus den Gärten zurück, man nicht wagen, zu lange in den Abend hinein zu blei ben, der Fieber halber, die aus dem trüben stillen Gewässer aufstiegen, und wie böse Gespenster durch die üppige Pracht der Pflanzenwelt huschten. Der junge Mann fürchtete diese Nacht- und Ne belgespenster nicht, ihn lockte das Bild des schönen, entschwundenen Mädchens und die um ihn sprossen de und blühende Maienwelt hinein in die labyrin tisch verschlungenen Wege zwischen den Gärten, in den dämmerigen Blüthenabend voll Nachtigallge sang und Blumenduft. 5 durfte es »Aber was?" warf der Mann heftig hin. „Was? Waschen und Bügeln? Was trägt die. Schinderei vom Morgen bis in die Nacht ihr und mir ein? Was bringt sie auf?" Die Frau schwieg, sie wollte es nicht wiederholen, was sie so oft schon nutzlos dem Manne vorgestellt, wie der Verdienst der Toch» ter den zerrütteten Haushalt aufrechterhielt, wie ihre fleißigen Hände das wankende Gebäude stützten. »Und dann," fuhr der Mann auf, »ich will mein Kind nicht mehr länger als Wäscherin sehen." Die Frau seufzte. „Es ist ein ehrliches Gewerbe," sprach sie ruhig. »Ehrlich! ehrlich" schrie der Mann, auf den Tisch schlagend, »wie viel Batzen gilt die Ehrlich (tit? Weißt Du, was zu dem Sprüchwort fehlt: ehrlich währt am längsten? bis man's zu was bringt." Er lachte grell auf über seinen Witz und fügte dann hinzu: »Wie gesagt, 's Britel muß hel sen dabei. Ich will den großen Kaufleuten nicht aller Verdienst in den Rachen jagen und mich mit dem Abfall begnügen, ich will mein eigen Ge fchäft wieder beginnen. Es gibt da allerhand Sa chen, die man in einem Handkörbchen gut unter bringen kann, englische Stahlwaaren, Cambricklei nen, seine Wollgarne und dergleichen, Sachen, die ihren Käufer finden, die muß das Beitel an Mann bringen dann soll sie mir unter der Hand in den Beamtenhäuseru zu erfahren suchen, was mir nütz lich sein kann, sie geht ohne Gefahr in den Häusern aus und ein unter der Firma der Feinwäscherin. Teufel!" unterbrach er sich selbst, „daß mein Kind eine Wälscherin sein soll! Aber wart nur, ihr hochmülhiges Gesindel, ich will's Euch noch zei gen Er ballte die Faust gegen die Seite hin, wo die Stadt lag, sein fahles Gesicht quoll dunkel roth auf, und die ziickenven Lippen schleuderten ei nen Fluch gegen die unsichtbaren Feinde. Die Frau stand auf. »Niklas, Niklas, willst Du's nie glauben, daß der Weg abwärts, nicht aufwärts führt?" fragte sie, ihre Hand auf seinen Arm legend. „Wir wollen fortziehen von hier, bei Sparen und Arbeiten fand noch Jeder sein Brod." Der Mann schlenderte ihre Hand von sich. »Brod! Brod!" rief er bitter. »Ich will auch noch Braten dazu. Das ist für Dich gut, Du armseliges Ge schöpf, Du wirst satt von Brod und Beten. Hätt' ich ein energisches Weib gehabt, das mir zur Seite gestanden, als eS galt, ich müßt' jetzt nicht Drei funkenwirth fein." Die Frau seufzte. »Bin ich nicht bei Dir ge standen und geblieben nach dem Gebote Gottes fragte sie traurig. »Ja, mit Geflenn und Wort Gottes, aber nicht mit Thun und Denken, wie Du's heute noch thust," rief der Mann. „Es war mein erster dummer Streich,als ichDich heirathete." DieFrau fuhr zusam men und preßte ihre Hand auf die schmerzende Brust, in welcher das so vielfach mißhandelte Herz unruhig klopfte, und die müden, kranken Lungen, die so manch' schweren Athemzug schon gethan, mühsam und steckend arbeiteten. Die Tage ihrer schönen Jugend gingen plötzlich auf vor ihrem Auge, sie sah das stille, alte Schul haus im heimischen Dorfe vor sich, den Garten mit dem Nußbaum, unter welchem der alte Schullehrer, ihr Vater, gesessen an dem Tage, als Derjenige, der jetzt ihr Mann war, vor ihn getreten war uud um ihre Hand geworben hatte. Sie sah den alten Vater vor sich, ihn, der schon so lange unter dem moosigen Hügel schlief, zwischen den lescheidenen Kreuzen und den Fliederbüschen, die man vom Nußbaum am Gartenhag sah. Sie sah sein langes, weißes Haar im Winde flattern, sah sein sorgenvolles Gesicht, wie er fragte: »Wa tum soll's Margareth in die Stadt?" »Weil sie glücklich sein soll!" hatte stolz ihr Mann geantwor tet, „weil tch sie glücklieh machen will!" und sie hatte es mit bebendem Entzücken gehört und hatte das Glück vor sich liegen sehen wie einen offenen Garten. Der alte Mann aber hatte den Kopf ge wiegt und hatte gesagt: »Glück und Unglück steht in Gottes Hand, wir können nur unsere Pflicht thun, und wenn Ihr Eure Pflicht an Margareth thun wollt, will ich zufrieden sein." Da hatte ihr Mann höhnisch die Lippen verzo gen und sie selbst hatte gedacht, wie wenig ist die Pflicht! Und jetzt jetzt da die Pflicht versäumt war, wie schien sie so riesengroß. Da öffnete sich dieThüre, und mit einem brennenden Lichte in der Hand trat das jungen Mädchen ein, welchem der jnnge Mann vom Münster durch die Gassen gefolgt war. Es schien, als ob nicht nur der Schein des zwei ten Lichtes, als ob die ganze Erscheinung des Mäd chcns Licht und Klarheit iu die dämmerige Stube, Licht in die verdüsterten Seelen bringe. Mit ruhigem Gruße trat sie ein: die Augen der Frau erhoben sich zu ihr mit einem plötzlichen Auf leuchten, Alles, Alles, was sie je besessen, was sie hoffte und wünschte, vereinigte sich in diesem einen Kinde, in dieser Tochter, um deren Besitz sie mildem Manne rang, ihren längst aufgegebenen Willen mühsam zusammenraffend, um seinem Willen ihn entgegenzusetzen. Sie hatte so wenig dem Kinde zu geben uud. zu hinterlassen, die arme, in Mühsal und Elend verkommene Mutter, das Eine wollte sie ihr erhalten, ihre Reinheit und die Unberührtheit von ihrer Umgebung, das hielt sie ausrecht, und da riii war die sonst so Willenlose willensstark und muthig. Ajlch der Mann wandte sich nach ihr um, abereS lag etwas Ungewisses, Schenes und doch Befehlen sches in seinem Wesen gegen dieses rnhig und sicher auftretende Mädchen. Die Scham Derjenigen ge genüber, welche ihre Pflicht so bis zum Aeußersten erfüllte, hatte sich in ihm zum Zorne verwandelt, ge steigert, weil der Zorn sich nicht zn äußern wagte, noch eingedenk der Quelle, der er entstammt. Und dann sah er das schöne Mädchen mit wildem Ingrimm in dieser untergeordneten Lebensstellung, die sein Verschulden ihr anwies, um derenwillen er aber alles Andere, nur nicht sich selbst anklagte. Er hatte es schon hundertmal wiederholt, daß in besseren Verhältnißen er seine Tochter mit Ueberfluß und Pracht umgeben wolle, aber einstweilen that er sein Möglichstes, um die üble Lage übler und un erträglicher zu machen. Hast Du dem Daniel meinen Zettel ans den Münster gebracht?" fragte er barsch. Das Mädchen nickte, ein trauriges Lächeln ant wertete dem erschreckten Blicke der Frau. »Wie ist's Euch, Mutter?" fragte sie besorgt. »Gut, gut I" antwortete eifrig die Frau, aber der seifende Husten, dersie unterbrach, strafte ihre Worte Lügen. „Bleibt nicht auf," bat daö Mädchen, „legt Euch zu Bett." »Die Leute kommen noch heute Abend," entgeg nete die Frau gedrückt. »Ich werde sie bedienen/ »Nein, nein, Dn sollst nicht," widerredete eifrig' die Fran, „Du wirst müde genug sein." ... »Müde wiederbolle das Mädchen. »Gehet den Korb Wäsche draußen an, dann könnet Jhr's bemessen, wie viel Zeit ich dazu habe." »Du könntest's besser haben," warf der Mann ein. »Ich habe nicht geklagt" antwortete das Mädchen, indem sie die Festigkeit des auf zwei Blöcken tuhen den Bügelbrettes prüfte. „Aber ich klage," rief der Mann. Das Mädchen antwortete nicht, sie kannte daS Thema zu gut, zu dem dieser Ausruf die Einleitung war, um die Fortsetzung des Gespräches zu wün fchen. »Geht zu Bette, Mutter, mir zu Lieb'," bat sie, „ich begleite Euch hinauf, meine Bügelstähle sind doch noch nicht gut." So verließ sie mit der hustenden Frau das Zim mer, in welchem der Mann allein zurückblieb, sei nen unterbrochenen Gang wieder aufnehmend. Die zwei Lichter gaben jetzt Helle genug, um ihn deutlich zu sehen, wie er so auf-und abschritt. Es war ein Mann wohl in der Mitte de? Fünf ziger, von mittlerem, hagerm Wüchse, welcher durch die vorgebkugteHaltung kleiner, als er wirtlich war, erschien. Die spitzen, eingefallenen Gesichtszüge zeigten in ihrer zuckenden Beweglichkeit eine bestän dige iunerc A»^t«chihit, welch« trastirte mit dem harten, unbeweglichen Blick der unter den zusammengezogenen, buschigen Brauen liegenden Augen. Der Mann hatte beim näheren Betrachten etwas unsäglich Abstoßendes, aber auch nut beim näheren Betrachten, denn auf den ober flächlichen Beschauer konnten die nicht unschön ge schnittenen Züge, das ehrbare Kleid und die an scheinend bescheidene Haltung selbst einen gewissen günstigen Eindruck hervorbringen. Der Mann hatte bessere Tage und eine schönere Umgebung, als die der Schenke zu den drei Funken, gesehen. Das bewies seine Redeweise und beson ders eine gewisse bürgerlich wohlhäbige Art seiner Kleidung. Er war Kaufmann gewesen, und wenn auch der Name Nikolaus Riedberger nicht zu den ersten Handelsfirmen der Stadt zählte, wenn auch ifcer Betrieb seines Geschäfts sich weder nach Zent nern, noch nach Huuderttauseuden, sondern nach Viertelpfunden und Scheidemünzen bemaß, so war es doch ein ehrbares und wohlgegründetes gewesen, das sein Vater ihm hinterlassen, und die schöne Schullehrerstochter vom Lande durste mit vollem Rechte den Eintritt in diesen wohlbestellten Krämer laden, der ihr eine gewisse Superiorität über die Frauen der umwohnenden Handwerker verschaffte, als eine Standeöerhöhung begrüßen. Der Nikolaus Riedberger aber, das einzige, ver zogene Kind von zu Vermögen gekommenen Leuten aus der Hefe des Volkes, hatte als schlimmste Mit gift tii's Leben eine unbändige Begehrlichkeit mitbe kommen. AlsKind war ihm jeder Wunsch gewährt worden, seine Eltern hatten nach Art solcher Leute ihr Vermögen weit überschätzt uud mit Vorliebe in dem anwachsenden Knaben den Reichmannssohn herangezogen. Das schöne Schullehrerskind hatte seine Begehr lichkeit gereizt, es war kein anderer Weg gewesen, sie zu besitzen, als durch eine Heirath: aber als diese geschehen, als die erste Freude des erfüllten Wnn sches verblaßt war, kam ihm diese That vor wie ein unbeschreiblicher Akt der Großmuth, für welche die Frau ihm ans den Knieen nicht genng danken konnte. Er hatte gerade dieses Maß von Erziehung genos sen, welches, zu weit vom „Genng" entfernt und doch über Gewöhnlichkeit erhaben, dem überschätzen den Tuntel die Wege bahnt. Er wollte als reicher, als vornehmer Mann gel ten, und sah beim Antreten des Geschäftes, daß er zwar «in nicht zu verachtendes Vermögen, aber lan« ge keinen Reichthum geerbt. Die Meinung, reich zu sein, schien ihm auch die Berechtigung dazu zu geben, und es kam ihm sehr unter seiner Würde vor, Schnupftabak und Käse lothweise zu verkaufen. Was er nicht war, das wollte er werden, aber et griff in den Mitteln zum Ziele fehl. Er wollte beim Schmuggelhandel ver dienen die großen Kaufleute verdienten dran und schlüpften wie der Aal bei der Untersuchung hin durch, der Krämer wurde geopfert. Die großen Summen, die er zahlen mußte, thaten weh, aber durch einen steten, treuen Betrieb seines Geschäftes sie wieder beizubringen, daran dachte er nicht. Mißmuth uud Langweile trieben ihn in's Wirths Haus, und da lernte er, was er bis jetzt noch nicht betrieben, was seinem Wesen am meisten entsprach, das Hazatdspiel. Von Stnfe zu Stufe ging es nun herab, derDä mon des Spieles fraß die letzte Blüthe des Glückes. —In der Radbertsan lag ein vergessenes Wirthshaus, ein altes Gebäude mit drei Flamm« che» über der Thür und einem Stern darüber, von einem längst vermoderten Steinhauer wahrscheinlich zu Ehren drr drei Könige aus dem Morgenlande in das Thürgesimse gehauen. Das waren die drei Funken Ackersleute, Gartenarbeiter, Fischet und auch wohl die Soldaten von den Außenwerken pfleg teil vereinzelt hier einzusprechen es war ein in Verfall gerathenes Anwesen ohne regelmäßigen Zugang, oft anSgeboten, oft die Besitzer wechselnd, immer mehr herabkommend, das endlich nach vielen bitteren Tagen Nikolaus Riedberger als Besitzer erstand. Seine Frau konnte nicht begreifen, wa rum, wenn er denn doch das Wirthsgewerbe treiben wollte, er sich nicht itm die Pacht eines besseren An wesens bemühte sie sollte es nur zu bald erfahren, welchen Zwecken dieser vergessene und versteckte Win set dienen sollte. Durch den Handel mit geschmuggelten Waaren war Riedberger buchstäblich en Beziehungen zu Je nen getreten, welche diesen Handel vermittelten, zu der geringsten Klasse der Bevölkerung der großen Grenzstadt. Diese Beziehungen waten leicht wie der angeknüpft worden in den gemeinen Spielhöh len, welche er im Laufe der Jahre besuchte. Noch mehr als daS Gewerbe und der gehoffte Gewinn reizte ihn die Herrschaft, welche et vermöge seiner umfassenden Kenntnisse, seiner besseren Herkunft über dieses rohe und verwegene Volk ausüben konnte. Mit der Gefahr und Aufregung, welche dieses heimliche Gewerbe hervorrief, wuchs die Lust an demselben, und verlor Riedberger immer mehr die Fähigkeit zu einem geordneten Erwerbe. Seiner Spielfucht konnte er jetzt vollkommen Genüge lei sten, und da er seit lange nicht mehr heikel in der Wahl seiner Genossen war, so sand er in den Schiffs knechten, den entlassenen Züchtlingen und desertir teil Soldaten vom jenseitigen Ufer, ans welchen sich hauptsächlich die Schmuggler rekrntirten, immer willige Gesellschaft. Eine ihm tmvahnende gewisse Verschlagenheit hatte sich im Laufe der Zeit noch mehr ausgebildet, und so war jetzt der Schmuggel zu einer Organisa tion gediehen, welche aller Anstrengungen der Dou ane spottete. Während aber jetzt Nikolaus Riedberger, seine Genossen erwartend, in dem Hanse unter den Wei»' den auf-und abschritt, war der jnnge Mann, wel cher seiner Tochter gefolgt, in den Gartenwegen im mer weiter geschlendert. Die kühle Nachtlnft that ihm unbeschreiblich wohl, der Gesang der Nachti gallen in den Gebüschen und dunkeln Bosketen lock te ihn immer weiter hinein in diese labyrinthisch ver schlungeuen Pfade. Rudolph Steiner war fremd in dieser Stadt, fremd in ihren Umgebungen. Erst seit zwei Tagen befand er sich hier, um iu dem Hanse eines der Han delssrennde seines Vaters eine Stelle einzunehmen, ehe er als Compagnon in das ausgedehnte, sestge gründete Haus feines Vaters eintreten sollte. Eigene Neigung und Wunsch hatten ihn znr Kunst geführt, aber ein richtiger Takt ließ ihn noch frühe genng erkennen, daß er als ausübender Künstler nur Mittelmäßiges leiste» würde so hatte er den sehn süchtigen Wunsche seines Vaters, welcher dem Sohn gerne als Nachfolger in dem von ihm gegründeten Geschäft gesehen hatte, nachgegeben und war zum Handelsstande übergetreten, ohne jedoch die glühen de Begeisterung nnd Liebe für die Kunst und daö Schöne damit in Kauf zu geben. Langsam schritt Rudolph zwischen den Hecken und Mauern hin, das Bild des schönen Mädchens tauch te immer und immer wieder vor seinem Ange ans, wie er sie gesehen hatte auf dem Münster, die schlan ke Gestalt sich scharf abzeichnend von dem Gold gründe des westlichen Himmels. Endlich mahnte die immer wachsende Dunkelheit zum Heimweg, er sah über das Gartenfeld hin die Lichter in der dunklen Masse der Stadt sich entzün den, über welcher das Münster wie ein einsamer Riefe die Wacht hielt. Er hörte Trommelwirbel und Trompetenstöße, war daS ein Zapfenstreich? Dann war es höchste Zeit für ihn zu gehen, um die Festung zu erreichen, ehe ihre Thore geschlossen würde». Er meinte sicher recht zu gehen, wenn et sich links wendete, von wo er gekommen zu sein glaubte, aber sei es, daß er zu frühe oder falsch einbog, in eine dieser Gartenstra fiett, er kam immer tiefer hinein, statt hinaus. Endlich, uach'iangem, fruchtlosem Umhertappen kam er wieder auf den breiten Weg und an das Git« terthor, aber 0 weh! das Thor war verschlossen und sq. hoch, daß ein Darübersteigen unmöglich war. „Da wäre ich ja gefangen wie die Maus in der Falle," sprach der junge Mann zu sich selbst, .aber «Pßdpch irgend zZch werd ich ist's? estbote. Columbus, O., Donnerstag. 8. Juni 18 65, Ro. 41. eine lebende Person in Gestalt eines Wächters oder dergleichen beherbergen, welche geneigt wäre, mich gegen einen soliden Händedruck hiuauszulassen." So sprechend wandte Rudolph seinen Schritt zur entgegengesetzten Seite hin, um wo möglich irgend Jemanden aufzutreiben. Allmählig wurden Hecken und Mauern niedriger, er kam augenscheinlich in den weniger eleganten Theil der Ggrten, die Wege waren schlecht und anS gefahren, Steine uud Haufen von ausgejätetem Un kraut lagen iir. Weg stolpernd und seine Tollheit verwünschend schritt der junge Mann in der tiefen Dunkelheit d'rübet hin. Jetzt hörten Hecken und Zäune ganz auf, und Weiden« und Erlengebüsch säumte den Weg, mit einemmal horte auch dieser auf, und unser Freund stand rathlos mitten im Ge strüppe, in der anbrechenden Nacht. Das Läuten einer Glocke tönte von der Stadt her über, »das ist die Thorglocke!" rief er unmuthig mit dem Fuße stampfend. „Was ist daö?" rief er er schreckt, als fein Fuß plötzlich in weichen, nassen Boden sank, unwillkürlich trat er zur Seite, da wich der Boden unter ihm und er sank bis fast an die Knie in den Schlamm. Mühsam arbeitete et sich wieder daraus hervor, mühsam schaffte er sich weiter indem Weidengestrüpp und Röhricht, er hatte jetzt jeden Weg verloren. Die Nacht war allinälig gesunken, die Thorglocke hatte verhallt, und Rudolph irrte noch immer zwischen den Weiden umher. Endlich sah er einen schwachen Lichtschein vor sich, er hörte znr Seite das Rohr knacken und leise, ge dämpfte Ruderschläge darnach. „Gott sei Dank! da waren doch Menschen." Er kckm jetzt ans eine lichte Stelle, et sah Wasser vor sich und einen blassen Lichtstreif darum liegen, welcher aus den halbvcrhangten Fenstern eines ein samen Hauses fiel. Er war so naß und müde, so erschöpft, daß er mit wahrem Wonnegefühl nach die fem Hause hinsah, welches ihm doch wenigstens Schntz vor dem in rasender Schnelligkeit anbrausen den Gewitter bieten würde. Einige Augenblicke stand er so da, überlegend, wo er den Eingang finden würde, oder ob er rufen solle. Et hatte es nicht Acht, daß das Boot, dessen ge dämpfte Rnderschläge er gehört, jetzt geräuschlos unter dem Schutze der Weiden an das Ufer glitt, et sah den Mann nicht, der ausgestiegen, seine auf der Lichtung erkennbare Gestalt staunend betrachtete. Er hörte es nicht, wie der Mattn sich zurückbiegend einem unsichtbaren Gefährten zuflüsterte: „Gib Ächt, Hannsdaniel, da ist's nicht sauber." Er hörte nur den Ruf des Kiebitz vom Schilfe her, dem kein Gegenruf antwortete'. Jetzt glaubte er in einer dunkleren,überbautenStelle ten Eingang gefunden zu haben und schritt rasch da rauf zu ehe er aber denselben noch erreicht, sprang der Mattn hinter ihm mit einem gewaltigen Satze ans den Weiden aus ihn zu. Wie ein Schmiede hammer fiel seine breite Hand auf die Schulter des unlet dem unerwarteten Griffe zusammenschrecken den jungn Mannes. „He, was soll's, was habt Ihr da 'tum zu Tun» gern tönte eine heisere, mit Anstrengung gedämpft sprechende Stimme in sein Chr. Rudolph hatte sich von dem ersten Schrecken wie der gefaßt, die brutale Art der Anrede und des Schlages auf die Schulter empörte ihn. „Was habt Ihr darnach zu fragen, Kerl?" fragte er, die noch immer auf feiner Schulter ruhende Hand abschüt telnd. "So Kerl? Kerl —0 tief der Andere, den Flüsterton vergessend. „Ach will Ihm den Kerl zeigen," und wieder griff seine Hand drohend nach dem jungen Manne. Da öffnete sich plötzlich dicht neben den Beiden eine Thüre, ein heller Lichtstrahl fiel heraus, der Dreifunkenwirth erschien mit einem hochgehaltenen Lichte auf ttv Schwelle. »Was was soll's?" rief fcinab. „Da hab' ich Einen," brüllte der dessen Anderes die Tracht eines geringen Schiffsfracht^ zeigte. „Einen? einen Rausch sprach verächtlich der Wirth. »Was gibt's, junger Mensch Rudolph erzählte kurz, daß er fremd sei, sich beim Spazierengehen in dem Gartenfelde verirrt, und bat schließlich um Aufnahme für die nächsten Nachtstun den. Ueber das Gesicht des Wirthes flog ein eigenthüm licher Zug von Hohn und Mißtrauen er hatte sich in den letzte» Jahren so wenig mit Wahrheit befaßt, daß er an deren Existenz überhaupt zweifelte. »Ja, ja," sprach er, „verirrt man kann sich in der Jadbertsau schon verirren, 's ist zwar sonst fei tie Promenade, weder für Welsche noch für Deutsche, 's bat eben ein Jeder seinen aparten Gusto, und die drei Funken sind nicht zugeschlossen." Dem jungen Mann mißbehagte die Art des Sprechers fast noch mehr, als die brutale Welsedes Schiffers, entschlossen aber, sich nicht imponiren zu lassen, sprach er: „Wenn Ihr ein Wirthshaus habt, in welches man eintreten kann, so werde ich wohl zur Bezahlung, aber nicht zur Beichte verpflichtet sein." Der Wirth lachte. »Wir absolviren ohneBeich te," sprach er, „wir sind lnth'risch uud von hier." Der Schiffsmann hatte während des Zwischen« dens den jungen Mann, ans welchen der volle Schein des Lichtes fiel, brnmmend und mißtrauisch von der Seite betrachtet, jetzt gab et ihm mit seiner gewaltigen Hand einen Stoß, „allons 'naus Spa ziergänger, 's kommt 'n wüst Wetter!" Rasch sprang der junge Mann die ausgetretenen, schlüpfrigen Stufen hinan, entschlossen, dieser an scheinend seht rohen Gesellschaft gegenüber auf fei net Hut zu sein, hinter ihm stieg der-Schiffsmann herauf. „Da herein, junger Mann, da könnt Ihr ein gut Glas Bier haben," sprach der Wirth, die Thür der Schenkstnbe aufstoßend. „He, Dreifttnkener, ich hab Euch waS z'b'richten," sprach der Schiffer, den Wirth bei Seite winkend. Der junge Mann trat in die Stube im Augen blick, da sich die gegenüberliegende Thür öffnete, und da, mit im Luftzug flatternden Gewändern, zwei dampfende Bügeleisen tragend, das Mädchen her eintrat, um derentwillen er in das Gartenfeld ge kommen war. Ueberrascht blieben Beide stehen, An ge in Ange. Beide hatten einander erkannt, der jnnge Mann mit dem rasch überspringenden Wesen, mit neu anfloderndemEntzücken,welches ihn das eben etnpfnn dene Mißbehagen seiner Lage völlig vergessen ließ, Äs Mädchen nach dein ersten Statinen mit einer Regung der Kränkung, des Unwillens im Blick und der schnell aufsteigenden Rothe. Der Jüngling sah den vorwurfsvollen Blick das ernsthafte, zurückweisende Wesen des Mädchens imponirte ihm in dieser schlichten Kleidung mehr, als jede von Kunst und Etikette gelehrte Dante im Hofkleide. Auch er erröthete unwillkürlich, indem et das Be dürfniß empfand, sich von der anscheinenden Frivo lität, dem Mädchen selbst in den Stunden der Nacht in's Haus gefolgt zu fein, zu rechtfertigen. Mit ehrerbietigem Gruße trat er auf das Mäd chen zu. »Ich verdanke dem Zufall das Glück, Sie wieder zu sehen, Mademoiselle, einem Zufall, der fast Üble Folgen für mich hätte haben können." Das Mädchen unterbrach ihn lebhaft: ',Dann.." sprach sie, aber sie konnte jiiir dies eine Wort spre chen, denn die Thüre öffnete sich wieder, und ge folgt von dem Schiffsmann, trat der Wirth in's Zimmer. Der Riedberger lachte leise vor sich hin. „Ich hab' mir's gleich gedacht," sprach er, zu dem hinter ihm Eintretenden sich wendend. Das Mädchen wandte sich um, ein angstvoller, erschreckter Blick glitt von dem Gesichte ihres Äa ters zu dem jungen Manne hinüber, der Jüngling lächelte ihr zu, et glaubte, es sei in diesem stummen Blick die Bitte enthalten, sie nicht zu kennen, und das gemeinsame, unschuldige Geheimniß that ihm unendlich wohl. Der Wirth runzelte die Stirn, als er des Mäd chens ansichtig ward. »Was soll der Bügeldampf in der Stube?" fragte er unwirsch. »Bügle drau ßen in der Küche, da hast Du's Feuer näher wenn Ohne zn antworten, packte das Mädchen ihr Biigelgeräthe zusammen, aber sie zauderte so lange, bis der Riedberger heftig tief: »Wartest Du, daß ich Dir helfen soll?" »Ich danke," antwortete tonlos das Mädchen, indem sie die Küchenthür öffnete und zu dem jungen Manne sich wendend, sprach sie: „Wenn der Herr etwas nöthig hat, ich bin in der Nähe die einfa chen Worte begleitete aber ein so warnender Blick, daß der Fremde sich unwillkürlich umsah. »Schon recht, schon recht," rief der Wirth ungeduldig. »Mach' nur, daß Du fortkommst." Die Thür schloß sich hinter dem Mädchen, der Wirth versicherte sich noch, ob der Drücker einge klinkt sei, dann drehte er sich händereibetid und lach end herum: „So, da wären wir jetzt, Herr Verirr ter, was ist jetzt gefällig?" Lachen und Fragen klang höhnisch und frech, der Schiffsmann, dessen breiter Rücken die Eingangs thut versperrte, tief mit lautem Lachen: »Ja, ja, eS kann einem allerhand pafsiren bei'm Spazieren gehen." Rudolph ward zornig, aber er suchte sich zu be mustern „es scheint, ich bln nicht gerne da gesehen. Leute, laßt mich wieder hinaus." „Im Gegentheil, im Gegentheil," rief der Wirth mit übertriebener Freundlichkeit, »wir haben so seine Gäste sehr gerne bei uns, her Schisserhannes, leifl' dem Herrn einstweilen Gesellschaft, bis ich frisch Bier geholt hab'." Der junge Mann setzte sich an den Tisch, die große Sauberkeit der Umgebung fiel ihm angenehm aus, ebenso wie das Brett mit wenigen Andachts bi'tchertt an der Wand. Das Benehmen der beiden Männer hatte ihm Sorge eingeflößt, aber jetzt lachte er innerlich darüber der Gedanke an das schöne Mädchen, der Blick ans diese sorgfältig er erhaltene Armuth, ließen ihn rasch ein günstigeres Urtheil fällen. Er sagte sich, daß wohl kaum ein Städter, und gewiß nie ein Fremder, diese geringe Wirthschaft besuchen würde, und daß sein tiächtli cher Bestich deßhalb das Staunen uud vielleicht auch das Mißtrauen von Wirth und Gästen herausfor dern dürfte. Rudolph war nicht nur eine optimistisch ange legte Natur, sondern das Leben und die Menschen waren ihm bis jetzt nur freundlich erschienen, man hatte ihm nie Uebelwollen entgegengetragen, das Mißtrauen war ihm nnnöthiz gewesen aus seiltet Bahn, was Wunder also, wenn et an das Uebel wollen nicht glaubte und das Mißtrauen, wenn es sich je ihm aufdrängte, als einen unangenehmen Gefährten bald zur Seite schob. Dieses freundli che, sorglose Nehmen und sich Geben der Welt ist wohl die allgemeine Mitgift der Jugend, gewiß der Kindheit. Das Kind sorgenfreier Verhältnisse, dessen Leben glatt und anmnthig wie ein Wiesen bach verlauft, kann diese schönste Jugeudgabe weit mit hinaus nehmen in's Leben. Das Kind der Armuthaber, das im engen, umschränkteif Raume so oft und fühlbar an die scharfen Ecken und Kan ten der Wirklichkeit anstößt, das von früh an die guten und bösen Anstrengungen sieht, Über die Fährlichkeiten des rauhe» Pfades hinauszukommen, den nahegerüeften Kamps um die Et'steitz, die nur ermöglicht ist, indem Titan dem Nebenstehenden den fußbreiten Boden streitig macht, es kann diesen Blu menstrauß der Empfindungen nicht lange erhalten, wenn in Hand und Seele sich die Spuren desWerkzeu ges drücken. Rudolph hatte sich dctttt auch schnell in diese fremde Umgebung gefunden, ja sie wurde ihm reizend durch den abendteuerlichen Schimmer, in welchem er sie sah. Unterdessen war der Wirth wieder vor's Haus getreten, er sah nach den Weiden hinüber, aus wel chen jetzt, aus seiner gebückten Stellung sich richtend, ein Mann heraustrat. „Nun?" fragte der Wirth. »'s ist Niemand weiter da," antwortete der Mann. „Der SchifferhaimeS will wissen, daß der junge Kerl da rin einer von den neuen Douanen-Offi zieren sei kennst Du sie?" „Laßt sehen," sprach der Mann. Der Riedberger führte den Neuangekommenen sachte einen dunkeln, engen Gang entlang, auf des sen Mauer sich ein kreisrundes Licht abzeichnete, das Lichtloch über einer mit Brettern verschlagenen Thür „lug 'nein," flüsterte der Riedberger. Durch die Oeffnung konnte man den jungen Mattn sitzen sehen, mit ausgestemmten Armen, ruhig und lach elnd in das flackernde Licht blickend. Der Mann am Fenster warf einen Blick hinein. „Bi Gott, das ist der jung Satan, bet »*8 fr hetzt," sprach er. »Irrst Dich nicht?" fragte der Wirth. »Nein, nein," flüsterte eifrig der Andere, »ich hab' ihn heut' Mittag noch begegnet, und Hab's ge hört, wie zwei Zoll-Gardisten zu einander sagten, schau, wo will jetzt auch der hin im Civill" Der Wirth zuckte die Achsel, »was jetzt thun fragte et. „Was macht ihr mit der Maus, wenn sie in die Falle geht?" versetzte der Andere. Der Wirth gab keine Antwort, er nahm einen im Flur stehenden Krng und trat in die Stube. Der junge Mann hatte unterdeß versucht, mit dem Schiffer ein Gespräch anzuknüpfen, wie natürlich zuerst von dessen Beruf ausgehend, aber er hatte kein Eingehen gefunden, ja auf eine ihm sehr un verfänglich scheinende Frage schlug der Mann lich mit der geballten Faust auf den Tisch und schrie: „Jeder treibt sein Metier nach seiner Pläsir, ich mein's, Er sein's und 's kommt halt d'rauf an, wet's am längsten treibt „Allerdings, allerdings," lächelte der junge Mann, sich unwendend, denn es schien ihm, als ha be hinter ihm die Küchenthür geknarrt, und das Mädchen, nin derenwillen er eigentlich in diese Ge fellschaft gekommen, hätte er gern wieder gesehen. Jetzt trat der Wirth mit seinem netten Gaste ein. »Lug, wie der den Rock zugeknöpft hat wie eine Uniform," flüsterte der dem Ersteren zu. Der SchifferhanneS wendete sich um. »Der Herr möcht' allerlei wissen über unser Gewerb'," sprach er, „kann ihn vielleicht Einer berichten?" Der Wirth runzelte die Stirn. »Wohl be komm's sprach er und goß dem jungen Manne ein. Rudolph nippte an dem ihm ungewohnten Trinkgeschirr, aber der Schiffer leerte das Gebinde mit einem einzigen Zuge. Draußen klatschte der Regen an die Scheiben, die Schiffsleute tranken schweigend, nur manchmal von der Seite den jungen Mann betrachtend. Der Wirth ging, die Hände über de» Rücke» gekreuzt, leise eine alte Melodie vor sich hinpfeifend, auf und ab. Die Schwüle und Stille des Zimmers drückten auf den jungen Mann, daö schnell verflogene Mißtrau» en kam unabweislich wieder trotz des unaufhalt samen Regens wollte er doch sort, konnteer ja mög licherweise näher den Thoren der Stadt ein besseres Unterkommen finden. Er stand ans, um zu fezaMtn war e8 Täu schung, daß et eine eigenthümliche Bewegung, einen Blickwechsel zwischen den Dreien bemerkte? der Wirth öffnete ihm die Zimmerthüre, der Schiffs mann folgte nach, schon schlug die kühle Regenluft aus der offenen Gangthür ihm in's Gesicht, da traf von rückwärts ein schwerer Schlag seinen Kops, mit einem Schrei wandte er sich um, da traf ein zweiter Schlag sein Gesicht, daß ihm das Blut auS der Nase schoß und tausend surrende Funken vor seinen Augen tanzten, geblendet und betäubt griff er nurin'sDunkel. „Schaff'ihn beiseit!" hörte er, wie aus weiter Entfernung sagen, er fühlte sich ge packt, in irgend einen Raum hinabgestoßen und hörte die Thüre hinter sich zufallen, dumpf wie im Traum —dann vergingen ihm die Sinne. Der Wirth und der Schiffet traten wieder in die Stube. Der Erstere öffnete die Küchenthür und sah hinein, es war dunkel und leer d'rin, nut ein paar verglühende Kohlen lagen auf dem Herde. »Zum Teufel, »aS soll ich jetzt mit dem anfan gen?" fragte er. ?vrts«tzN«G frigs. auf* Plötz- DER WESTBOTE. .. TERMS: Ein deutschet Soldat von Sherman's Armee schickte uns folgenden Ausschnitt aus dem Washing ton Chrottiele zu. Ein Commentar $ nich.t nöthig: Aufruf eines Soldate». a e e i W a s i n o n 25. Mai 1865. $ A n A e i e e s a n e Ich gehöre zu Sherman's Armee. Ich bin ein Linien-Offizier. Ich habe von der Regierung für neu* Monate den Sold zu fordern. Ich bin ausgebeutelt. Ich bin hungrig. Ich bin bereit zu beweisen, daß Gen. Sherman'» Armee der Regierung für dieselbe Anzahl von Leu ten um ein Drittel weniger gekostet hat als irgend eine andere Armee. Ich bin bereit zu beweisen, daß keine unserer Ar meen die Sache, für welche sie fochten, besser ver stand oder dieselbe muthiger und entschlossener ver theidigte als die uusrige. Ich bin des Dankes der Nation gewiß. Ich empfinde lebhaft, daß dieser Dank nicht Brod und Butter ist, welches beides ich in diesem Augen blicke bedeutend verziehen würde. Ich möchte vorschlagen, daß die gegenwärtige Generation das Brod und die Butter und die Nach welt den Dank liefern soll. Ich wünsche weiter zu sagen, daß ich von Golds borough, Nord Carolina, bis nach unseren gegen wärtigen Lagern an Speisen gelebt habe, die schlech« ter waten als die Ueberbleibsel, die meine Familie vor dem Kriege hinauswarf. Ich bin nur sechs Tage im Angesicht des Capi tols gewesen, während welcher Zeit ich mich verschke dene Male bestrebt habe, Bohnen, Pickles, ein Pint E'sftg kitrt irgend etwas anderes als die ewi gen harten Eräckers und den salzigen Speck zu jif* hen und es ist mir jedesmal elend fehlgeschlagen." Ich bin gänzlich verstimmt übet diese Behänd lung und lege hier meinen Protest dagegen ein. Ich »veiß, daß es nicht populär ist, wenn ein Sol dat über sein Pech klagt, aber nach reiflicher Uebel» legnng bin ich entschlossen, es daraus ankommen lassen, was Billigkeit uud die Regulationen de» Soldaten zukommen lassen sollten. Ich verlange nicht mehr als ordentliche KoG. Bescheert mir gnadiglich dieses Glück und ich hat« kein Wort mehr zu sagen, denn während der mehr als vierjährigen strengen Dienste in den Reihen bee National-Armee habe ich Bescheidenheit und De» muth iu viele» Dinge» gelernt. Haltet mich nicht für impertinent meine Beweg gründe sind rein und ein Mann kann aufrichtig fein, wenn fein MittagSbrod auf dem Spiele steht. Man sagt mir, daß dies Gottes Land ist ich habe keine Ursache, dies zu bezweifeln, denn die schönen Farmen um mich her, der Frieden uud der Uebe» fluß, der überall herrscht, geben meinem zweifeln» den Geiste den Beweis und erinnern mich, schmeH lich genug, welch' ein Himmel die Heimath ist. ^Der Krieg ist vorüber, aber zu welcher endlos« Länge dehnen sich diese hungrigen Tage aus 1 Wenn wit nur irgend etwas Ordenttiches zu essen hätten Der Ihrige im Namen von Reih and Glied von Gen. Sherman's Armee, M. H. I., 10. Illinois Vol. Infanterie. Ueber das Gefängniß des Jefferson Davis. o o n 0 e 2 7 a i N i e a n a i das Fort eintreten, der nicht einen von General Mt» les selbst unterzeichneten Paß auszuweisen hat. Sol» che Pässe werden aber nur höchst spärlich ausgestellt^ Das Mauerwerk des Forts ist fast ganz und g|t mit einer Erdmasse überdeckt, die mit Rasen beleKt ist. Die Erdntasse des Forts lagert wie ein bohe», vierstöckiges Gebäude über dem Gemäuer des Fort?. Unter dieser Masse von Erde liegen die aus Mauefl" werk aufgeführten Abtheilungen des Forts. Je»« steinernen Kammern, die von dem Erdrücken sajt ganz versteckt sind, bilden die Casematten in ein« derselben, deren Raum man um die Hälfte betritt» aert hat, sitztJeff. Davis. Seine »«rgitterten Fen ster sehen aus einen tiefen und weiten Graben, und über jenen Graben zieht sich die äußere, gewaltig Festungsmauer. Auch diese Mauer ist mit Case» matten versehen, und aus jeder Schießscharte gähnt der Schlund tiitfs Geschützes, und auch jener äußc«e Cirkel von Casematten ist mit hohen Erdmasst» überdeckt. In enger Zelle, von aller Möz» lichkeit der Flucht abgeschnitten, eingemauert eine Masse von Stein, Erde und Eisen, 6#* ständig von Schildwachen belauert, mit Fesseln an den Gliedern, liegt jetzt der Mann, der mit DespS» tengewalt den Süden beherrschte und gegen d» Norden zum Kamps angetrieben hat. Wenn er durch die Eisenstäbe seines Fenstergitters blick*, kann Jeff. Davis einen Theil der äußeren Umfass» ungsmauer und einen Theil des letzten Grabens fß» hen, an dem er endlich angekommen ist. ClemeM C. Clay sitzt in einer ähnlichen Zelle, wie die dsG Jeff. Davis. Man hat noch mehrere solcher Zell« in gleicher Weise herstellen lassen, til jetzt abet sind sie noch nicht besetzt worden. Nachdem das iett Piraten- Schiff „Stonewall" von Nassau Havanna angekommen warf, traf dort fast jedenTa« ein Bundeskriegsschiff ein uud ein anderes verlies den Hafen. Dadurch wurde die von Spanien nach Anleitung Englands aufgestellte Vorschrift, daß nach der Abfahrt eines Kriegsschiffes des »ande« Theils" 24 Stunden verstreichen müssen, ehe de« des »einen Theils" die Abfahrt gestattet wird, gege den „Stonewall" gekehrt. Et konnte nicht fot| weil stets, ehe 24 Stunden seit der Abfahrt des le^' ten Bundesschiffes verstrichen waren, ein andereU abfuhr. Dieses Spiel hätte sich mit einem halbe» Dutzend Schiffe, die zwischen Key West und Ha^ vattna hin-und hergefahren wären, Monate lanM fortsetzen lassen. RebeM Mittlerweile hatte der Capitän des „Stonewalls Paige, erfahren, daß die Konföderation verende^ der Verfasser seines Kaperbriefes gefangen sei unG' daß der Präsident Johnson im Begriff stehe, dffc' zur See „Krieg führenden" Rebellen für Seeräub^e zu erklären. Unter diesen Umständen sah er keiiO^ Möglichkeit fernerer Heldenthaten vor sich und übeâ^ gab, wie bereits gemeldet wnrde, sein Schiff, nachp dem er eine Aufforderung des Commodore BogM zur Capitulation abgelehnt hatte, dem spanisches (Seneralcapitâu oder Statthalter, General Dnleâ Anfangs wollte er es nur unter der Bedingung thun, daß das Schiff nie denVer. Staaten Übergew ben werde allein Dulee war klug genug, zu b«£ greifen, daß ein solches Arrangement den Keim zji einem casus belli zwischen de» Ver. Staaten unW Spanien enthalten würde und lehnte es ab. Dalß/ tauf übergab Paige das Schiff ohne alle Bedinc uugen. Ohne Zweifel wird Spanien es auf die erf Aufforderung den Ver. Staaten überliefern. Der vielbesprochene und vielbesungene „treib» tiche Anzug", in welchem Jeff. Davis gefangen ge» ttommen sein soll, wurde durch Oberst PritcharK vom 4. Michigan Kavallerie-Regiment unter de» landesüblichen Feierlichkeiten an den KriegssekretH» überliefert. Merkwürdiger Weise besteht nun abè dieser „weibliche Anzug" aus einem wasserdichteA Regenmantel und aus einem großen Schawl. NuW gehören aber bekanntlich die wasserdichten Reget# mäntel ausschließlich der männlichen Toilette während Shawls sowohl vom männlichen wie vo« weiblichen Geschlechte getragen werden. Um nrof den zwischen dem jetzigen und früheren offizielles Berichten offenbar bestehenden Widerspruch auszu^ gleichen, behauptet man jetzt, daß Davis den R#ä genmantel nach Art eines DamenkleideS getragen und den Shawl in derselben Weise um den Koè gewunden habe, wie Frauen es zu thun pfleget^» Nun, ob es möglich ist, einen wasserdichten Regens genmantel wie ein Frauenkleid zu tragen das eine Toilettenfrage, deren Entscheidung wir au# Mangel an Erfahrung unseren schönen LesetinneM überlassen was unS betrisst, foist unS die ganM' fctftcrie von den Weiberkleidern nach den letzte». \n\n a A I i A e a u s e E I N A I E 8 1 PUBLISHERS. f|W P*r rear, Invariably in tlTltn Die Uebergabe des „Stonewall" an die fpaitk schen Behörden auf Cuba.