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Der Westbote. tu Vorautbezahlung. k i Novelle i et o (Tchlufi.1 Die Familie Wagner zeichnete sich weder durch besondere Gaben des Körpers noch des Geistes aus, aber sie traten alle angenehm gebildet und boten, be sonders vereinigt, ein ansprechendes Bild häuslichen GlückeS. Einige Töchter waren schon verheirathet, und durch die jungen Frauen mit ihren Kindern kam frisches Leben in den Kreis. Sophie, die jüngste der Schwestern, war ein gut müthiges, eitles Gefchöpfcheu, Niemand kränkend. Niemand störend, vor Allem aber darauf bedacht, selbst nicht zu kurz zu kommen. Sie war das Kind des Hauses und gefiel sich mit ihrer kleinen, netten Figur auch sehr in dieser Kin derrolle. Sie war das reine Gegenbild vonBrigit ten. Beide in einem Alter stehend, waren sie in ih rer ganzen Erscheinung doch so ungleich Brigittens Ernst legte ihren zwanzig Jahren noch einige zu, Sophiens Sorglosigkeit und kindisches Wesen schien hingegen davon zu nehmen. Rudolph hatte nicht viel Acht auf die kleine Da me, er beschäftigte sich mehr mit den Kindern, um so mehr interessirte sich sein Vater für Sophien. Er haschte sie, als sie eben mit flatternden Locken um einen Tisch herumsprang. „Mein Töchterchen," sprach er, „jetzt hab' ich Sie, jetzt laß ich Sie nicht mehr los." Sophie lachte und blickte ihn kokett an. „Das Kind mußt Du mir schenken, Ludwig/ rief er dem Freunde zu. „Du bist reich an solchen Blu men und ich habe keine." Er blickte vorwurfsvoll nach seinem Sohne hinü ber, der trübe und gleichgültig auf die Szene blickte. „Fliegen Sie im Frühling über den Rhein zu uns hinüber. Sie Schmetterling," sprach der alte Herr, „Sie sollen die Grillen vertreiben." Sophie machte ihre unschuldigste Miene. „SD, gewiß komme ich!" rief sie. „Dann sind Sie mein überrheiner Papa." Der alte Herr war entzückt von dem Mädchen, er konnte Rudolph nicht begreifen, welcher dafür weder Augen noch Ohren zu haben schien, und immer bit terer dachte er an die ihm unbekannte Brigitte. „Wenn die Kirschen blühen, Sophiechen, kommen Sie zu uns herüber!" sag5e'er noch einmal. Rudolph hörte das Versprechen gleichgültig an, stumm und gleichgültig saß er bei Tische, es war, als sei eine Saite in seinem Innern zerrissen und jetz» Alles still und klanglos in ibin. I Der Tag der Abreise nahte. Rudolph hatte Bri gittens Namen nicht mehr erwähnt, und jetzt als Wagner ihm die Hand bot, drückte er sie krampfhaft und flüsterte: „Sorgen Sie für das Mädchen!" Der Kaufherr nickte. „Nach besten Kräften," sprach er, „und jetzt reisen Sie mit Gott, junger Freund, und holen Sie sich in der Heimath geistige und leibliche Gesundheit wieder." TrWi'Va^e hatte Brigitte im GefAlgniß verbracht, Tage voll Schmerzen und Sorgen. Sie pries die Mutter selig, die sterben durfte, ehe sie das Gräßli che erfahren, und so hatte der Tod der Dulderin sei nen bittersten Stachel für sie verloren. Allmälig kam auch ihre frühere Ruhe wieder über sie. Sie war von der Mutter in festem Glauben erzogen worden, in der schlichten Weise der altelsäs, fischen Kirche, welche Alles aus Gottes Hand cm pfät.gt und in Gottes Hand stellt. Sie zweifelte nicht an dem guten Ausgang ihrer Sache, sie wußte sich so rein. Ja, sie trug ihr Un glück mit einer gewissen Freudigkeit, als den Kauf preis, um welchen sie ihr Glück erwerben sollte. DaS Glück lag so schön, so ungehofft, so unter» dient, wie sie meinte, vor ihr es war wohl eines rauhen Pfades, es war wohl der Prüfung werth, um dahin zu kommen. Brigittens Wesen war ernst über ihre Jahre, aber in ihrem Innern, in ihrem Glauben und Em psinden, in ihrem Vertrauen war sie ungleich mehr Kind geblieben als die kindlich scheinende Sophie. An Rudolph zu zweifeln, es wäre ihr wie ein Zweifel an der Gottheit erschienen, und sie wußte durch den Gefängnißwärter, daß er wiederholt nach ihr gefragt hatte. Es war freilich seit Wochen nicht Wehr geschehen, aber das konnte ihren Glauben nicht erschüttern ein ein alter VerS kam ihr wiedek und immer wieder zu Sinn, ihre Mutter hatte ihn gesungen in frühe rer Zeit, als ihr die Möglichkeit zu singen noch ge geben war von wem er war, dieser Vers, sie wuß te es nicht, aber immer und immer wieder ging er in ihrer Seele auf, der Vers: .Mein Rrctmb irtrfc mich erwecke«, Cr nabt imBlülhcnkrani, Und führt durch @rabe?tc6refen Mich zu de» Himmel» @lan|!" Das waren die Rosen, die die nackten Wände ihrer Zelle schmückten, das war der nie verbleichende Glanz, der das düstere, vergitterte Gemach erhellte. Glaube, Liebe und Hoffnung! Du Dreigestirn, das du den Menschen über sich selbst erhebst, das du wandellos im Wandel der Zeit, in allen Religio nen, an jedem Himmel .stehst, sei gepriesen! Du Ausfluß und Ende des Besten, du Träger der mensch lichen Seele! Glaube, Liebe und Hoffnung hielten das Mäd chen aufrecht, ließen die Verlassene sich nicht verlas sen fühlen im Kerker. Endlich kam der Tag der Entscheidung. Die Untersuchung hatte zur Evidenz die Unschuld Bri gittens erwiesen, selbst ihre Mitwissenschaft blieb zweifelhaft. Es war fast rührend zu hören, wie Jeder dieser verlorenen Söhne der Gesellschaft sich bemühte, Bri gittens Reinheit und Tugend zu beweisen, wie nur eine Stimme über sie laut wurde: die des Lobes. Man verfügte Brigittens Freilassung, die Andern sollten vor daö Geschworenengericht gestellt werden. Der Beamte, welcher Brigitten ihre Freilassung verkündigte, meldete ibr zugleich, daß ein Herr im Sprechzimmer sei, welcher sie zu sprechen wünsche. Das konnte nur Rudolph sein nur er. Ein Beben leidenschaftlicher Freude flog durch ihre Glieder, der Ton, mit welchem sie diese Meldung begrüßte, war ein Aufschluchzen der Seligkeit. Er war da, der Freund im Blüthenkranz, er hatte th« rer nicht vergessen! An seiner Hand trat sie heraus, an seiner Hand in's Leben. Was war alles Elend, aller Jammer, alles Dul den gegen die Wonne dieses Augenblicks Ein Schatten, ein Nebel gegen den Sonnentag des Glücks. Sie stand auf, es war ihr so leicht, sie hätte flie gen mögen, und fast flog sie durch die hallenden, trüben Gänge des Gefängnisses dem Sprechzimmer zu. Einen Augenblick stand sie davor still den Beam ten erwartend, ihr Herz klopfte, als wolle es zerfprin gen, dem Wiedersehen entgegen. Jetzt öffnete der Beamte die Thür, sie trat ein. „Rudolph wollte sie rufen, da wandte der Mann im Sprechzimmer sich um, das Wort erstarb ihr auf den Lippen, sie kannte ihn nicht. Der Beamte bot ihr einen Suhl, sie fetzte sich, es fröstelte sie, es wurde ihr mit einem Male so weh und so beklommen. fein Name ist Ludwig Wagner, liebeS Kind," der Herr. ie sah ihn an und nickte. Ich komme im Auftrag Ihres Freundes." Meines Freundes?" wiederholte sie, sie wollte eln, aber das Lächeln war nur ein schmerzli ches. Im Auftrag Herrn Rudolph Steiner's." „Rudolph? wo ist er?" rief das Mädchen. „Nicht mehr hier," antwortete der Kaufherr. „Seien Sie ruhig, meine Liebe, und hören Sie mich an." Sie ließ die Hände in den Schooß sinken und hör te zu. Sie hörte jedes Wort, das der Kaufmann sprach, und sie verstand es, daß Rudolph sie verlassen. Sie hörte, daß das seine Pflicht gewesen sei, auch gegen sie seine Pflicht? Sie saß noch lange stumm und regungslos, als der Kaufherr zu reden aufgehört hatte. Er hatte sie verlasse«. Sie weinte nicht, sie klagte nicht, sie saß nur ruhig da und dachte es, daß Liebe und Hoffnung verloren sei, uud daß er sie ver lassen. „Jede Hülfe, mein liebes Kind, welche Sie for dern dürfen, bin ich berechtigt, Ihnen zu leisten, sprach der Kaufmann, „Herr Steiner will die Schuld der Dankbarkeit gegen Sie abtragen, so weit es in seinen Kräften steht." Er betonte die Schuld der Dankbarkeit, von der Schuld der Liebe war nicht die Rede. Sie hörte es und sie verstand es. „Ich danke," sprach sie tonlos. Der Kaufmann hatte nicht diele edle Schönheit, nicht diese Ruhe erwartet, Beides verwirrte ihn der klagenlose, unendliche Schmerz des Mädchens rührte ihn mehr, als lautes Weinen und Geschrei. Sein Ton ward warmer und inniger, als er jetzt zu ihr sprach „Sie sind ein Opfer der Verhältnisse geworden, mein Kind, und seit ich Sie gesehen, kann ich es nur beklagen. Aber hoffen Sie, Sie sind jung, das Glück kann Ihnen dauernd wieder lächeln." Sie blickte ihn trübe an, und die erste Thräne zit terte in ihren Wimpern. Der Kaufherr faßte ihre Hand. „Und nun, mei ne Liebe, lassen Sie sich von mir aus die feste Ver sicherung geben, daß ich für Ihr weiteres Fortkom men sorgen will, so viel ich kann. Sie stehen schütz los in der Welt, weisen Sie meine Hülfe, mein Än erbieten nicht zurück, es ist das eines Ehrenman nes." Sie sah ihn wieder an, aber lange und zerstreut, als müsse sie sich erst auf die Worte besinnen. „Ich kann noch nichts sagen," sprach sie endlich mühsam, „ich muß erst zu mir selber kommen." „Haben Sie außer Ihrem Vater noch weitere Ver wandte?" fragte der Kaufherr. Sie nannte ein Dors im untern Elsaß. „Dort will ich hin, dort leben meiner Mutter Geschwi ster." „Ich sehe Sie noch," sprach der Kaufman. „Gott wird Sie stärken und das Bewußtfein, durch Ihre Resignation Ihres Freundes wirkliches Glück be gründet zu haben." Er ging. Sie blieb starr und bewegungslos si tzen, es brauste vor ihren Ohren wie ein fernes Meer.— Sein Glück 7 —War das fein Glück, losgerissen von ihrer Liebe, die er fein Alles ge nannt? Sie faß da und das brausende Getöse ward im mer gewaltiger, Leute kamen und gingen, sie achtete es nicht. Wie aus weiter Entfernung, wie eine vergangene Sache hörte sie an ihr Ohr tönen „Der Ricdbcrger habe sich in seiner Zelle erhängt." Sie sann dem nach, was es sei, er hat sich erhängt, und was das sei, sein Glück? Und das Gcbranse kam wilder und gewaltiger, dnnkle Finthen stiegen an ihr empor und schwarze Wolken sanken aus sie her ab. Willens und kraftlos sanWe vom Stuhle. „Dummkopf!" rief einer der Männer, die in's Zimmer getreten waren, dem Andern zu, „mußt Du's dem Mädchen gerade entgegenschickn, daß ihr Va ter sich erhängt hat?" „Ich hab' sie nicht gekannt, ist'S die Riedberge rin?" Die beiden Männer hoben die Ohnmächtige auf und trugen sie in das Krankenzimmer.— Eine Nacht noch Hirt sie im Gefängnisse, dann ward sie entlassen. Es war am Dreikönigstag des Morgens, als das Thor des Gefängnisses hinter ihr zufiel und Brigit te herauStrat in die Gasse. Schneeflocken tanzten ihr in's Gesicht, der Schnee lag auf den Dächern und weithin in den Gassen. DaS Gefängniß lag in der Vorstadt, unweit von da, wo das Haus ihres Vaters gewesen, wo sie ge boren worden war. Sie sah die beschneite Straße hinauf, die zu dem Haufe führte, und dachte an den unglücklichen Mann, dessen Fuß daraus hervorgegangen war auf die Stra. ße des Elend und des Verbrechens. Der Schnee lag noch glatt und frisch auf der Gas se, kein Fnß war noch so früh am Morgen, die Lä den waren noch geschlossen, die Welt war noch nicht wach. Sie sah die glatte, reine Straße hinauf und dach te, wessen Fuß wohl zuerst feine Spur da eindrücken würde und zu welchem Ganz. Da kam eS wie fer ner Gesang von Knabenstimmen, und um die Ecke bogen drei singende Knaben in ärmlich phantasti schern Putze, einen Stern von Fittergold vorantra gcnd. Sie fangen den Dreikönigstag an in der stil len, schlafenden Vorstadt. Es war ein Lied mit vielen Versen, eS reichte d«ch lange Gassen hindurch, jetzt sangen sie: »O Stern, tcr recht tit Wcic weist. i Yin'm Jedem, der auf Erden reitt, Zieh' meiner dunkeln Lebensbahn Als wie ein Himmelsgruß vvran Dn heller Stern au« lT?orfletttantv Ter übcr Betd'lemS Krippe Dieß' Deinen milden Trostessä'LM An mein verwundet Her hinein.* Die Knaben sangen es, unwissend, was ein ver wundet Herz sei, das des Trostes so namenlos be dürftig die Spur ihrer Kinderfüße ging wie eine Schnur durch den Schnee einige Läden wurden aufgestoßen, um ihnen nachzusehen, einige Mägde, die zum Bäcker gingen, blickten von der Ecke ihnen zu, aber in keinem Herzen klang es wieder, von dem Stern aus Morgenland, dessen Schein die wunden Herzen heilte. Nur an ein Herz hatte der Ruf geklungen. Am Gefängnißthore das Mädchen, das aufrecht u:»d bleich gestanden hatte im wirbelnden Schneegestöber, sie sank mit überströmenden Augen ans die Kniee, das Weh ihres Herzens löste sich in einer Flut schmerzvoller Thränen. Schnee war das Kissen, darauf sie knieete, Schnee fiel in ihr Haar und mischte sich mit ihren Thränen und ihr Stern stand in Nebel gehüllt stieg er auf oder versank er? Aber durch Schnee und Nebel schien ein Wort sie zu grüßen, drang es wie ein Sonnenstrahl, wie ein Mxttergrnß: „Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!" 7. Zwölf Jahre waren vergangen, feit das schöne, bleiche Mädchen am Gefängnißthore geknieet in der Frühe des Dreikönigetages. Zwölf Jahre, lang uud kurz, gut und böse, zu rückerschnt und beklagt, zwölf Jahre, so wenig dem Ganzen, so viel dem Einzelnen. In das Dorf des unteren Elsaß, das da lag in mitten seiner Obst- und Weingärten, schien die hel» le Septembersonne hinein. Ein blauer, warmer Himmel lachte darüber, weiße Sonne:.fäden span nen sich glitzernd über die Rebenlauben, über ge mähte und gepflügte Felder, rothe Aepfcl lachten ans dem dunkeln Grün des Laubes, der Weinstock trug kaum die Last feiner Trauben, und der Nnß bäum streute als echter Verschwender die grünen Nüsse ringS umher. ES war ein gesegnetes Jahr, ein Jahr voll Pracht und Glanz, daS Scheunen und Tonnen füllte, ein Jahr, von welchem mau noch Der lange zählen konnte, wenn der Wein, der jetzt der Kelter entgegenrcifte, schon lange getrunken war. Fröhliche Kinderstimmen tönten ans Gärten und Feldwegen her, und die blauen elsässer Augen lach ten einem überall entgegen unter dem kräftigen Gelbblond oder Hellbraun des Haares und den breiten, weißen Stirnen. Die allemannische Ras se hat sich hier noch reiner und unverfälschter in Ge stalt und Sitten als irgendwo in Deutschland er halten. Der Stamm derAllemannen links und rechts am Oberrhein, es ist ein zäher und fester, und gebe Gott, daß das tüchtige Mark immer kräftigere Sprossen treibe. Vielleicht gerade deswegen, weil sie politisch vom Stammlande getrennt und mit dem andern Land nicht wirklich verbunden sind uud in einer gezwungenen Abgeschlossenheit leben, haben diese Gegenden am linken Rheinufer so streng ihre deutsche Art und Sitte bewahrt. er- Jahrg. 23. Columbus, JO., Donnerstag, ÄS Juni 18 65. Man mag sagen, was man will, die Gallisirnng findet keinen Boden, man gehört politisch zu Frank reich, befindet sichwohl dabei,aber innerlich istdieKlufr zwischen dem Elsässer und dein Franzosen unendlich tief. Man spricht nirgends schlechter französisch als im Elsaß, kein deutscher Dialekt eignet sich viel leicht weniger dazu. DerElsässer ist deutscher, als er weiß, in manchem Althergebrachten deutscher als wir, seine Tugenden, seine Fehler sind die unsern. Er s'üblt sich als Elsässer, als Straßburger, nur in den seltensten Fallen als Franzose, und beweist da rin sein deutsches Wesen, er ist Bürger seiner Hei math, nicht Staatsbürger, wie wir Alle, die wir uns Deutsche nennen, und die wir mit blutendem Herzen daS Kleinod Deutschlands in fremdem Be sitz sehen, in fremdem Besitz durch eigene Schuld, durch die Mißgunst der Fürsten, die die "kostbare Per le lieber dem Fremden als dem Verwandten gönn ten. Was das Loos der Völker sein wird nach Jahr Hunderten, ob das Elsaß je das unsere wieder sein wird, oder ob die Jahrhunderte uns an seinen Ver lust gewöhnen, wie sie uns an den Verlust von Lothringen und dem liitticher Lande gewöhnten, wer weiß es? und es ist hier nicht der Boden, das zu erörtern. Genug, es sah hell aus in dem eljassi scheu Dorfe. Das Pfaarhaus lag neben der Kirche, etwas ab scits von dem großen Dorfe an' einer kleinen An höhe am entgegengesetzten Ende des Dorfes, an einen sonnigen obsibaumbcpflanztenHang sich lehn end, das Schnlhaus. Keine Landstraße führte durch das Dorf, nur Vieinalwcgc verbanden seine glückliche Abgeschie denheil mit dem großen Verkehr der Straßen. In der Schnltiibe herrschte noch daS Sommer» halbjahr, das heißt die Schulstunden waren in die frühesten Morgenstunden verlegt, ititd die übrige Zeit des Tages gehörte des Schulmeisters läudli chen Beschäftigungen. Auch jetzt war es stille in der Schnlftnbe, stille in Hof und Garten. Nur unter dem breiten, uralten Nußbaum am Garteuzautt saßen zwei weibliche Gestalten. Die eine, die jüngere, in halb liegender Stellung, von Kissen unterstützt, hatte die Hände müßig im Schoo ße liegen, die andere saß mit dem Strickstrumps' in fast zu aufrechter Haltung daneben. Die Jüngere war anscheinend krank, ihr schönes, nur gar zu zart gefärbtes Antlitz, das mi'tZe Zu rücksinke» des seinen Kopfes in die vollen Kissen be, wieg es. Der Frühling des Lebens war auch ihr schon entschwunden, der Sommer aber war ihr kein voller, üppiger geworden, es war wie ein wehmüthiger Nachklang des Frühlings. Sie war von wunderbarer Schönheit, diese zarte, ichlaiike Gestalt im Gewände der elsässer Bauern mädchen, von fast griechischer Regelmäßigkeit der Züge, aber mehr noch als Alles, mehr als die auf fallende Schönheit sprach der Ausdruck von Liebe und Heiterkeit in die)cm blassen Gesichte mit den TodeSrosen auf den Wangen an. Die Zweite mochte wohl fünfzehn Jahre älter fein. Sie trug sich städtisch, aber etwas altväter isch. Sie mußte einmal schön gewesen sein, das edel geschnittene Gesicht, die großeil lebendigen Au gen bewiesen es. Jetzt aber, da die Fülle und die zarten Linien der Jngend schon längst verschwun den waren, schien sie allzu hager uud eckig, das Ge sichl zu icharf, die Haltung zu steif. Eö war eine Unvermählte, man sah eS auf den ersten Blick. Die Kranke hatte gesprochen, jetzt lehnte sieden Kopf wieder müde zurück in die Kissen. „Und das erzählst Dn so ruhig, säst heiter?" sprach die Aeltere uud legte das Strickzeug weg. „Warum nicht Mamsell Friederike Ich rede von meinem Glück," sprach die Kranke. „Von Deinem Glück?" wiederholte die Erstere. „Ja" lächelte die Kranke, „das war mein Glück, mein Frühling. Darf ich drüber klagen, daß er so kurz war?" Die Aeltere seufzte und bedeckte ihre Stirn mit der Hand. „Durfl' ich so viel erwarten?" fuhr die Schöne fort, „durft' ich nur das erwarten in der Niedrig keit, in dem Elend, in dem ich mich befand? Se het, Mamsell Friederike, ich war wie erstarrt in mir selber. Da kam er, da gab seine Liebe mir Leben und Wärme. Da lernt' jJ) die Welt anders an« sehen, da war ich so glücklich. Es war ein schö nes Glück, und wahrte eS auch nicht lange, es war das Maaß des Glückes, das mir zugemessen war." „Brigitte!" rief Friederike erregt. „Du bist ei ue Heilige der Ergebung." „Niiii, nein, Mamsell Friederike," sprach Bri gitte Riedberger abwehrend, „keine Heilige, ich bin eine Glückliche." Friederike sah sie an mit fast ehrfürchtiger Be wnnderung „Du hast mir meine eigene Geschichte erzählt^ Brigitte," sprach sie dumpf „ein ahnnngs pcUcr Frühling, ein wunderbar schöner, reicherSoin mir und ein langer Winter voll Nebel und Nacht. Aber ich Hab'S nicht getragen wie Du, ich habe mich nicht glücklich genannt." Brigitte bot ihr die seine, durchsichtige Hand. „Ich bin eS wirklich geworden, Mamsell Friede rike," sprach sie. „Im Ansang, ja, da hab' ich auch gemeint, die Welt hätte nicht Raum genug fur meinen Schmerz, Und dann hab' ich so vie gesehen, so viel Unglück und Leid, das nie vom Strahl des GlückeS erhellt war, und die Welt hatte Ranm dafür. Und die Welt gab mir dann den kleinen Raum für mein Glück. Ich habe Ruhe und Arbeit gefunden in der Heimath meiner Mutter und bei Ihnen, Mamsell Friederike. Ich habe Pflege gefunden in meiner Krankheit, meine schönen Eriunerungen hab' ich behalten und die bö sen hab' ich überwunden." Friedericke stand aus. „Ich habe seit laugen Iah reu nicht mehr von mir geredet," sprach sie, „heute soll's fciit." Und sie erzählte Brigitten die Geschichte eines Frühlings uud eines Sommers, eines wunderbar schönen Liebeslebens. „Er kam heransgeritten, Dn hättest ihn sehen sol len, er saß zu Pferde wie ein Sieger. Und die Stirn und daâ Auge! Es gibt nichts dem Aehnli cheS mehr. Er war noch jung, er war erst Student, aber Jeder sah schon in ihm den Herrscher, und er herrschte, wohin er kam, in jedem Kreise, mit einem Worte, mit einem Blick. Und er liebte mich, er schwur es mir zu mit tausend Küssen, daß er mich liebe, und er schrieb mir's in seinen Bliesen. Ja, ja gewiß, er lievte mich." Sie sprach dies in immer steigender, leidenschaft licher Erregung, sie streckte ihre Hände aus, als kön ne sie fassen und greifen, waS sie verloren. Brigitte sah sie schmerzlich an. Die Leidenschaft nach so vielen Jahren that ihr wehe für die Freun din. Was mußte dieses Herz gelitten haben, das diese Gluth so Jahre lang verborgen hielt? „Lebt der Mann noch?" fragte sie. Friederike wandte sich um. „Ja, er lebt noch!" ruf sie und er wird ewig leben!" Brigitte sah sie fragend an. „Weißt Dn, warum ich heute zu Dir darüber re de?" fuhr sie ruhiger fort, „Du hast mir daS gesagt, was mir fehlte, Du ließest mich mein Geschick an schaue», wie ich es sollte. Ja, ich wollte vcrzwei fei», als er mich anfgab, und es geschah doch nicht so jammervoll wie bei Dir. Meine Verwandten hielten mich und sich für beschimpft und entehrt durch diese kund gewordene, gebrochene Liebe, und ich hielt mich für unglücklich. Jetzt, jetzt sag' ich wie Du, das war mein Maß des Glückes, und eö war ein volles Maß! Durft' ich das nur erwarten? Bin ich nicht reich beglückt vor Tausenden Wares kein Glück, weil es nur kurz wahrte?" „Du hast mir wohl gethan, Brigitte, Du reine heilige Seele, von Deinem Immergrün des Glü ckes hast Du mir einen Zweig geschenkt, und glaub' mir, er wird Wurzel fassen 1 „Ich darf seinen Namen nicht nennen im Hause mtiuer Verwandten ohne Verlegenheit, sie halten das Aufgegcbcnseiu für eine Schande, man will die se Zeit todtschwkigen und vergessen. Ja, man hat estbote. mir mit Gewalt alle Briefe abgefordert und ver brannt." Sie schwieg erschöpft, dann fuhr sie mit steigen der Wärme fort: „Das hat mich bitter gemacht,— aber was brauch' ich die Briese? sie stehen in meinem Herzen geschrieben. Und ich weiß, was sie meine Schande nennen, das ist meine Ehre, was ich mein Unglück nannte, das ist mein Glück Weil ich jedes Eheband von mir wies, so nennen meine Ver wandten mc-in Leben ein verfehltes, ein verlorenes, ich aber sage, ich hab' es gewonnen! „Wohl steht kein Kind, kein Gatte einst an mei nem Grabe, aber sein gewaltiger Name wird als Markstein daran stehen, und durch ihn, durch das, was man mein Unglück, meinen Tod genannt, wer de ich leben über meine Zeit!" Die beiden Frauen schwiegen, der Westwind strich durch die Krone des Nußbaumes, uud die Blätter am Nebenzeländer schwankten zitternd auf und ab, die Mittagssonne schien hell in daö elfäsische Dorf, dieselbe Sonne, die dem Heros cntgegenlcuchtete, der wie sie im Zenithe seines Ruhms und Glanzes stand. „Ihr habt ihn wiedergesehen?" fragte Brigitte nach einer Pause. „Nein," antwortete die Andere, „und ich wollt' es anch nicht. Denkt er an mich, so soll er an den Frühling denken in Sesenheim. Jetzt wollt' ich meine verwitterte Gestalt seinem Ange nicht tischet nen lassen, möcht' ich das Bedaueru, das Staunen nicht lesen in dem Blick, in welchem ich ehemals nur Liebe und Entzücken las. Es war ein Frühlings» leben, es soll es bleiben." Brigitte lächelte. „Ich denke anders," sprach sie „das ist mein Gebet und meine Hcffmmg, daß ich den noch einmal sehen niöchte, mich laben an seinem Glück und Anblick, Den, den ich so geliebt, noch ein» mal, ehe meine Zeit um ist Da rief es durch den Garten her „Täntele! Tän tele!" und ein krausköpfiger, rothwangiger Knabe kam gesprungen. „Tantele mach', daß Du heim kommst, wir haben Besuch. Der reiche Herr Vetter aus dem Uebcrrhein ist da. Meinst, was hat die Frau Base für prächtige Sachen an, nnd in ihrer ei'ge eigenen Kutsche sind sie gekommen, einem Kutscher, der war schon einmal fast Feldwebel, und zwei Kin der dabei, die sind Der Knabe sann mit aufwärts gerichtetem Blick nach einem möglichst schönen Vergleich, dann sich rasch umwendend sprach er: Fast so weiß wie's Buttel." Brigitte zog ihn liebkosend an sich, sie hatte die Kinder so gern, und die Kinder im ganzen Dorfe hingen mit rührender Zärtlichkeit „am Brittel." Friederike stand auf, sie beugte sich nieder, die Freundin zu küssen: „Kann ich eS möglich machen, so komm ich auf den Abend wieder zu Dir!" „Nein, nein rief der Knabe, „lad' 'S Brittel zu uns ein, wir backen heut' Abend Waffeln." Und mit dieser stolzen, freudigen Eröffnung sprang er Friederiken voran zum Garten hinaus. 8. 5m Pfarrhaufe war Besuch. Man konnte es schon von weitem sehen, das sonst so geordnete Haus schielt ganz in Konfusion gerathen zu sei». Nach barskinder liefen alS Boten hin und her, zur Hülfe herbei beorderte Bauernweiber gingen mit aufge rollten Aermeln und umgesteckten Schürten umher, jedesmal in regungsloses Staunen versinkend, so oft die fremde Frau Base im seidenen Kleide ficht bar war. Der Kutscher, der fast einmal Feldwebel war, hatte schon im Hofe ein glaubensvolles Auditorium versammelt, welches staunend seinen und seiner Pfer de Ruhm mit anhörte. Schreiend riefen die Bau« ernweiber den horchenden Knaben zu, da oder dort hui zu laufe», wo frische Butter vermuthet ward. Mit erhitzte!» Gesichte rannte die Pfarrerin Trepp' auf, Trepp' ab, Boten nach allen Richtungen, nach Friederiken, nach frischem Fleisch, nach Forellen, nach sie wußte gar nicht mehr was Alles sendend. Endlich kam Friederike, heftig empfing sie die Pfarrerin. „Aber Tante! mich in all' der Arbeit stecken zu lassen, daS ist nicht erhört!" Ein Schatten flog über die Stirne Friederikens, sie hatte der Nichte rücksichtsloses, heftiges Wesen zu oft erfahren. „Es wird sich bewältigen lassen liebes Kind," sprach sie ruhig. Im rasch gelüfteten Besuchzimmer, von dessen Möbeln man in aller Eile die schützenden Hüllen herabgerisseu hatte, traf Friederike den überraschend gekommenen, wenn auch lang versprochenen Besuch. Eine hübsche, runde, nur etwas sehr kleine Tame in elegantester Toilette saß auf dem stattlichen So pha, der Gegenstand neugierigen Staunens von Sei ten der in eine Ecke gedrückten kleinen Pfarrtöchter, deren rothe Wangen noch röther erglühten vor Ans regnng, Verlegenheit und dem energischen Hand haben von Seife und Schaum, welches die Pf art* magd für eben so unerläßlich gehalten hatte zum an ständigen Auftreten, als daS mit nassem Kamm hin ter die Ohren gestrichene Kranehaar der Kleinen. Die beiden fremden Kinder, Jedes einen großen Apfel in der Hand, standen am äußersten Ende des SophaS, eben so verlegen und scheu, wie ihre BäS cheu vom Lande. Der Herr Pfarrer machte die Honneurs und et* ging sich soeben mit dem stattlichen imposanten Man ne, dein Herrn Vetter, auf einem etwas unbekann ten politischen Terrain, auf welchem er jeden Au genblick tU Richtung verlor. Wirklich erleichtert begrüßte er daher den Ein tritt Friederiken?. „Nun, da ist endlich das Tan tele! Wo haben Sie gesteckt, Beste? Meine Frau hat Sie in wahrer Desperation suchen lassen." Friederike begrüßte den ihr noch fremden Vetter, feine Haltung, der fast strenge Ernst seines Wesens befremdete sie, man hatte ihr diesen Mann seiner Zeit anders geschildert. Herzlicher begrüßte sie seine Frau, ihre Cousine, aber mit innerer Wehmuth eS stieg ein Abend vor ihr auf, ein unvergessener Abend. ES war in dem väterlichen Hanse der Cousine ge wesen, in dem städtischen Handelshanse, die Lüstres brannten, und die Spiegel, die Marmortiscbe war sen verzehnfacht den Glanz ihrer Kerzen zurück. Puder und Atlaß, Brillanten und hohe Frisuren wogten vor ihrem Äuge auf und ab, es war ihr öd' und trüb um's Herz geworden wie Heimweh, sie kannte Niemand von den Gästen, sie kam sich so ver lassen vor in dem ungewohnten Glänze. ES wurde ein modisches Lied gesnngcn, sie hatte nur halb hingehört, sie dachte an die Nachtigallen daheim, an die Aahöhe hinter dem Pfarrhause mit dem grünen Busche, an da horte sie ih ren Namen nennen von der Stimme, die ihr schöner klang als Nachtigallcnruf, da sah sie, sich umwen« dend, den, mit Dcssentwillen ihr der 33tisch auf der Höhe schöner zu grünen schien, als einer am Erden, nicht der stolzeste Eichenwald, nicht die Palmen-und Mprthenhaine deS Südens kamen ihm gleich, diesem bescheidenen Waldchen von Hainbuchen und Hasel nnßstauden, wo sie ihn zuerst gesehen. Sie sah ihn wieder und sie hatte ihn zum letzten Male gesehen. Das ging durch ihre Seele, als sie die Cousine begrüßte, mit Weh und Schmerz und doch mit den» Bewußtsein des Glückes. Der Herr Pfarrer war jetzig erlöst von der Poli tik, man fragte nach alten und neuen Familienbe ziehnngen. Friederike erinnerte an das schöne, hei tere Familienleben im väterlichen Hause der Cousi ne, dessen Glieder jetzt längst zerstreut, Jedes seinen eigenen Herd gegründet hatte. „Es war ein schönes Bild ehelichen und häusli cheu Glückes," stimmte der Gemahl der Dame Frie denke bei, „nnd um so schöner, da dieses Glück so selten getroffen wird." „O!" entgegnete der Pfarrer eifrig, „das Glück ist keine so seltene Pflanze, als wir im Allgemeinen glauben, es kommt nur darauf an, dasselbe zu fin den." „Ich komme so eben von einer Glücklichen," sprach Friederike, „von Giner, die man nach dem allgemei» nen Begriff von Glück nicht dafür halten durfte, und Ro. 43. die dennoch nicht nur genug für sich, sondern für ih re ganze Umgebung so viel hat, daß ich ihr Glück und ihre Heiterkeit nur mit der Sonne vergleichen kann." „Brigitte?" fragte der Pfarrer. „Ich meine sie," antwortete Friederike. Der Gast wurde aufmerksam. «.Wer ist da? V fragte er. „Lieber Gott," antwortete die mit einem Theebrett voll Gläsern und Obst eingetretene Frau Pfarrerin, „das ist ein alt Jnngferle im Schnlhaus, das frü her Hauben gestickt hat und die Schulkinder Nähen und Stricken gelehrt. Ein armes, schwindsüchtiges Ding, für das das Täntele ein besonderes Attache in tut gefaßt hat." „Brigitte ist eine feilte Seele," ergänzte der Pfar rer» ein reingestimmtes Instrument, dem nicht ein mal eine täppische oder rauhe Berührung eilten Mißklang entlocken kann." „Du hast Ursache eifersüchtig zu fein. Cousine," tief die Dame der Pfarrerin zu, „der Herr Pfarrer wird ja ganz poetisch!" Die junge, etwas derb blühende Frau lachte und schenkte die Glaser voll. „Wir wollen doch sehen, was das für einen Klang gibt," rief sie, „ans Aller Wohlsein Man lachte, rückte uitt den Tisch zusam men, und das Gespräch wandte sich. Das Mittagsmahl war der Pfarrerin zu großen Ehren verlaufen, man wollte nach Tisch einen Spa ziergang in die freundliche Umgegend machen. Die fremde Cousine erklärte sich von der Reise zu ermü det, und der Pfarrerin konnte nichts erwünschter sein, als in Ruhe bei einer Tasse Kaffee die wichtigen Ausschlüsse über die neueste Mode zu erhalten, wel che nur gar zu selten und dann veraltet ihren Weg in das abseits gelegene Dors fand. „Frisch ans!" rief der Pfarrer, stolz, den Führer in der lieblichen Umgegend machen zu können, „die Damen werden uns bei ihren Staatsaffairen nicht vermissen!" Die Land- und Stadtkinder, welche endlich innige Bekanntschaft geschlossen, liefen jauch zend voran, ihnen folgte Friederike mit den beiden Herren. Da kaut der Küster, den Pfarrer zu einem uiiab» weislichen Geschäfte zu rufen. „Geht nur voran," rief der Pfarrer, „bis an die Höhe am Schulhaufe, ich denke bald nachzukommen." Die beiden Frauen hatten den Fortgehenden vom Fenster aus nachgesehen. „Da kannst Deinen Mann ganz ruhig mit dem Täntele allein gehen lassen," sprach die Pfarrerin. „Trotz ihrer berühm ten Liebschaft ist sie doch nicht mehr gefährlich." „Redet ihr noch davon?" fragte die Dame. „Gott behüt' uns," antwortete die Pfarrerin. „Die Familie hat genug davon gehabt, besonders seit die Geschichte auch noch im Druck erschienen ist." Indeß ging Friederike Brion mit dem Gasteden Wicsenpfad entlang, er betrachtete sie mit Interesse und einer gewissen Ehrfurcht, ihr Wesen, ihre Bil dttilg würde das schon erfordert haben, auch wenn ihre bedeutende Vergangenheit nicht gewesen wäre. Sie gingen eine Zenlang schweigend nebencinan der. „Sie nannten hntte den Namen Brigitte," sprach der Gast nach einer Weile, „der Name ist wohl sehr verbreitet im Elsaß?" Die Gefragte lächelte. „Wir sind dankbar und conservativ," sprach sie „das protestantiche Elsaß hat seine Heiligen, seine Brigitte und Ottilie nicht vergessen, baut es ihnen auch weder Klöster noch Ka pellen mehr, so tragen doch seine Töchter ihre Na men." Man war inzwischen am Garten des Schulhau scs angekommen, Friederike erkannte unter dem Nuß bäume die noch immer dort in der milden Sonne sitzende Freundin. „Da ist meine Brigitte," sprach sie, „daS Mäd chen, von welchem wie heute geredet." Ruhig wandte der Gast sich um und sah über den niedrigen Hag. Das Sonnenlicht fiel schräg aus den Nußbaum, die Blätter schienen wie durchleuchtet. Im vollen Sonnenglanz, hell ans der grüngoldenen Dämme rung hervortretend hob sich der ausgerichtete Kops des Mädchens ab, die Sonne that ihr wohl, sie fühl te sich kräftig und leichter, das Blut war ihr mehr in die Wangen getreten, sie hatte Friederikens Stimme gehört und sich vorgebeugt um darauf zu laufchen. So sah sie der Fremde. Weggewischt waren zwölf Jahn de? Lebens, er stand, ein hoffender Jüngling, wieder oben auf der schwindelnden Höhe des Münsters und rief hinaus in das blühende Land: „Ich will glücklich sein!" Er sah auf Hellem Sonnengolde den schönen Kopf deS Mädchens sich zeichnen, er eilte ihr nach durch die dämmernden Gassen, er sah sie im mondhellen Pflanzenhaiis, den Blüthenzweig der Orange im feuchten Haar, er sah St. Radberts Kapelle, er hörte daö Plätschern des Kanals „Brigitte!" rief er. Sie hörte den Ruf. „Rudolph antwortete sie. „Ich wußte es. daß du komme» würdest." Friederike stieß die Pforte in dem Gartenhag auf, sie wußte es, waS die Beiden sich „Dn^kommst!" waren. sprach daS Mädchen, sich halb in den Kissen aufrichtend und ihm beide Hände bietend. „Ich komme zu spät!" antwortete er dumpf, fein Auge mit dem Ausdruck maßlosen Schmerzes auf diese schöne, gebrochene Gestalt heftend. „Ich komme als ein Sünder, als ein Unglückli cher!" fuhr er fort, „ich habe Dich getodtet, ich habe Dich zerbrochen!" „Du hast mich glücklich gemacht," antwortete sie mild, „Dir dank' ich Alles, was das Leben mir Schönes geboten. Ich war kalt und blind, ich glaub te genug gethan zu haben in meinen Pflichten, Du hast mir dao Auge geöffnet, durch Deine Liebe sah ich es erst, wie schön das Leben ist." Er sah sie an, als wolle sein Blick nie mehr von ihr lassen. Zr 3ch war ein thörichter, schwacher Kita- be," sprach er, „ich wollte glücklich sein und hatte nicht den Muth dazu. Das Schicksal gab mir die köstlichste Perle in die Hand, und ich ließ sie fallen und griff nach einem bunten Glase." Sein Ton klang bitter, er schlug die Hände vor das Gesicht und knirschte wie in ingrimmigem Schmerz mit de» Zähnen. Er sah sie wieder an mit einem heißen, verzwei feinden Blick. „Du bist gerächt, Brigitte!" rief er, „ich babe nur Dich geliebt diese zwölf Jahre lang, uud habe Dich dennoch verrathen!" Sie war blaß und immer blässer geworden, die wilde Leidenschaftlichkeit, die aus jedem Worte des sonst so kalten, strengen Mannes sprach, that ihr weh. „Ich habe gehofft, Dich anders zu sehen, nach zwölf Jahren," sprach sie, „dist Du verheirathet?" „Ich bin's" antwortete er tonlos. „Und bist Du glücklich „Nein schrie er fast. „Ich bin es nicht und bin jetzt elender als zuvor, nun ich den Schatz wiederge sehen habe, der mein war und den ich verlor. Ja, ich bin verheirathet," fuhr er ruhiger fort. „Ich heiralhete nach dem Wunsch meines Vaters die Toch ter einer liebenswürdigen Familie, und ich dachte, wenn auch nicht Dich, doch eine freundliche Gefähr tin zu finden. Aber ich kettete mein Leben an eine Puppe, wir leben miteinander und sind uns fremd, sie hat feinen Theil an meiner Seele." Brigitte sah ihn trauernd an. „Bist Du nicht ungerecht, Rudolph fragte sie. „Hast Du gegrün fcete Klagen gegen Deine Frau?" Er setzte sich an ihre Seite, den Kopf auf die Hand gestützt. „Nein," sprach er, ,chatte sie meine Ehre nicht bewahrt, wir wären auch äußerlich geschieden es ist kein Ton in ihr, der mit dem meinen znsam menklingt. Brigitte, warum habe ich Dich verlo ren?" Sie hob die bleiche Hand. „Höre mich an ohne Zürnen, mein geliebter Freund," sprach sie „daß wir glücklich gewesen wären miteinander, ich glaub' es aber auch unsere getrennten Wege müssen wir gehen wie wir sollen. Du hast die Pflicht gegen mich verletzt, gegen die Geliebte, der Du nicht die Ehe und Deinen Namen gegeben, und Du verletzest DER WESTBOTB. TERMS: die Pflicht gegen die Ehefrau, der Du mit Willen und Absicht die Liebe versagst. Hast Du Dir auch redlich Mühe gegeben, den Ton zu finden, der mit Deinem zusammenklänge? Hast Du sie wollen zu Dir heranbilden mit Liebe und Geduld?" Der Mann hielt die Augen mit der Hand bedsDt in düsterem Sinnen, er antwortete nicht. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte „Rudolph, durste die Liebe zu mir die Rechte A»* derer verletzen Er ließ die Hand sinken. „Sophie entbehrt Nichts," sprach er bitter, „AlleS, was Reichthum und Stellung ihr bieten kann, wird ihr zu Theil, und sie begehrt nur das. Ich aber habe entbehrt und gedarbt in diesen Jahren, und mit den Jahren wuchs die Reite, und jetzt, jetzt da ich Dich wie dergesehen, Dich wieder gehört, die namenlose Liefe zu Dir, der verzweifelte Wunsch nach Dir!" Sie lächelte. „Du sollst von meiner Liebe tie besser Theil mitnehmen, Rudolph, ein besser Theil, als einen thörichten Wunsch. »Daß Deine Liebe zu mir nicht erloschen ist, meinst Du, es sei mir kein Gnadengeschenk, kein st liges Empfinden Deine Liebe, sie darf bestehen neben Deinen Pflichten, aber als ein reines, erheb fended Licht, nicht als eine wildzuckende, verzehren de Flamme. „Du wolltest glücklich sein, Dn kannst es, D» sollst es Denke nicht immer an die Rosen im Mai und übersieh die bescheidenen Blumen an Deinem Lebenswege. Denke daran, was Du hast, und nicht an daS Glück, das Dir geworden wäre in no* serer Vereinigung. Ob ich zwölf Jahre des Be Hagens und des Glückes ertragen hätte, wie die zwölf Jahre der Prüfung, ich weiß eS nicht. Und denke daran, mein Freund, wir hätten mis nicht immer in der Verklärung der Sterbestunde gesehen/ „Der Sterbestunde?" Er sah sie an, er konnte nicht reden, nicht zweifeln, er las die strenge Wahr heit in ihrem Gesichte. Wie darniedergeschmetten sank er an ihrer Seilt in die Kniee und bedeckte ihre im Schooße gefalW ten Hände mit seinen Küssen. „Brigitte stammelte er, „meine Geliebte!" ZW tödtliche Blässe, der grausame Frost, der an ihr wie ein Todesgruß vorübergewandelt, et ging vorbei. Mühsam richtete sich sich wieder auf, sie strich mit der Hand über die feuchte, kalte Stirne. „Du hast Kinder?" fragte sie. Er nickte, die Sprache versagte ihm den Dienst. »Gib mir einen Theil an ihnen," bat sie, „und ich will ihnen ein Vermächtnis) hinterlassen. Sag' Deinen Kindern, sie sollten glücklich sein, das ist der Zweck deâ Lebens. Doch lehre sie wohl, daß das Glück nicht an äußere Verhältnisse gebunden, daß daS beste Glück der Ausfluß ihrer Seele sei» Und lehre es sie, daß sie das, was sie in Wahr heit und mit der ganzen Kraft der Seele als ihr Glück erkannt, daß sie es halten in festem Willen gegen alle Irrungen der Welt!" Sie schwieg und wieder rauschte ti durch die Blätter des Baumes wie ein mahnender Ruf, und vieder sank die Kälte aus sie herab wie ein Kuß des £odes. Rudolph sprang auf. „Leb' wohl I" flüsterte sie matt. „Brigitte!" tief er. „Ich will Dein Vermächtnis? tragen in tiefem Herzen, ich will :s meinen Kindern hinterlassen als ihren höchst« schätz. Du sollst Dein Theil an ihnen habe», .into unser Bestes ist Dein Theil!" Friederike hatte mit bebender Angst, mit Rühr ung und Entzücken zurück gestanden, sie wollte Bei den diese Stunde nicht stören. Jetzt schien es ihr zu viel, sie sah das todtenbleiche, zurückgesunkene Haupt der Freundin, und Rudolph's Hand ergrei send sprach sie: „Es ist genug, nehmen Sie Ab schied." „Brigitte" rief der Mann mit allgewaltigem To ne der Liebe und des Schmerzes. Der Ton der ge liebten Stimme traf sie wie in weiter Ferne, müde schlug sie die Augen aus. „Leb wohl I" Er uin schlang sie, er preßte seine glühenden Lippen auf ih reu bebenden Mund. „Weib mein« Seele!" tief er, „leb' wohl!" Kalter uud kalter fühlte er ihren Mund untet dem feinen werden. „Sie stirbt!" rief er verzwei felnd. Friederike trat vor ihn. „Noch nicht," sprach sie wehmüthig, „es ist eine Ohnmacht, die den Tod z» melden kommt, lassen Sie sie ruhen Er stand auf lange sah er sie an, dieses noch immer so schöne, so geliebte Antlitz. Eine einsame Rose schwankte noch neben dem Hage, er brach fü, er legte sie auf ihre gefalteten Hände, „leb' wohl! Du Rose, die meinem Leben geblüht!" Friederike Brion verließ die Freundin nicht, fie saß att ihrem Bette und hielt die erkaltende Hand in der ihrigen, sie sah den Sand herabrinnen bis zum letzten Korne, und sie dachte, wie lange es noch wäh ren solle, bis ihre Stunde gekommen. Aber sie sah muthvoll hinaus in die langen, grünen Jahre vor ihr, und.sie sah den Sonnenschein daraus fallen von ihrem stolzen Frühling, und sie sah Immergrün aufsprießen, das die Freundin ihr gereicht, sie sah es verschönend die öden Tage umkränzen. Und Rudolph fuhr der Heimath zu unter dem sternhellen Nachthimmel, Sophie und die Kinder schliefen an seiner Seite. „Brigitte!" flüsterte er hinauf zu dem gestirnten Himmel, „Brigitte!" Da löste ein Stern sich los, sank lautlos durch dieNacht, sank in den ewigen Raum und die Seele löste sich los, die ihn so sehr geliebt, und es nahm sie auf, was ewig ist. Ein Anderer trat? Rudolph in sein HauS, ijff strenge, finstere Vater, der kalte Gatte war einA» derer geworden. Von deniIinniergrün ihreSGlückeS, ihreö Liebens hatte die verklärte Geliebte ihm einen Zweig gereicht, und er flocht die Blumen, die sei nem Herbste blühten, die auch er fand, darein zum Kranze. Marschall Lamon'S Warnung deß Präsidenten Lincoln. Der Republic«» sagt, daß Marschall Lamon dahier, der soeben seine Stelle niedergelegt hat, im vorigen Dezember den Präsidenten Lineoln in Bezug auf ein Complytt gegen sein Leben gewarnt hat. Er hat folgend« Brief an den Präsidenten gerichtet: Washington, 10. Dez. 1864. An bett Achtb. A. Lincoln, Präsident der Ver. Staaten. Sir Ich bedanre, daß Sie nicht würdigen, was ich Ihnen zu wiederholtenmalen wegen der ge eigneten polizeilichen Arrangements in Bezug auf Ihre persönliche Sicherheit gesagt habe. Sie befin den sich in Gefahr. Ich habe nichts für mich zu verlangen, und ich schmeichle mir, daß wenigstens Sie mich für ehrlich halten. (Wenn Sie indessen einen anderweitigen Eindruck in sich aufgenommen haben, dann lassen Sie mir und dem Land doch so viel Gerechtigkeit widerfahren, sofort über alle in Verdacht gerathenen Beamten und Personen gehA rig zu verfügen, oder meine Resignation aus meine Marschaltstclle anzunehmen, die ich hiermit anbiete.) Ich will Ihnen weitere Ursachen als die hierin 6è» nannten angeben, die mich zu diesem Verfahrest treiben. Heute Nacht gingen Sie, wie an verschiedenen vorangegangenen Gelegenheiten unbegleitet in das Theater. Ich nieine, daß Sie mit zwei Gästen, aber ohne Wachen ausgingen. Und Sie wissen doch, oder sollten es wissen, daß man nach Ihre» Leben trachtet und daß es genommen werden wird, wenn nicht Sie und Ihre Freunde vorsichtig sind, denn Sie haben viele Feinde innerhalb unserer IM nien. Sie werden es wissen, daß ich Männer an Ihrer Residenz angestellt habe, um dort irgend welche Dienste zu leisten, die Ihrem Interesse und Ihrer Sicherheit förderlich fein können. Gott weiß, daß ich in dieser Angelegenheit nicht selbstsüchtig bin, und ich glaube, daß ich lange ge nug den Harlekin gespielt habe, und daß ich in mei nem Alter für die Zukunft wenigstens versuchen sollte, höhere Rollen (Star engagements) zu spie len. Ich habe die Ehre zu sein, Ihr gehorsamer Diener, Ward H. Lamon. I u a P. Benjamin, der Rebellen-KriegS Seeretär, ist glücklich in Bermuda angekommen. Man fürchtet, daß âufySMUuufyi und Zäh»!« entkommen sind. \n\n a A e a u s e e Wt Drei« dt» Aahrqang« ton 52Nummer« Zwei Do Bet kEINHABD ft FUSS*. PUBLISH JQXlflb *»00 per year, Invariably la Utum. jjß