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Der westbote. [volume] (Columbus, Ohio) 1843-1871, February 17, 1870, Image 1

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Der Westbote.
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Per Habermeister.
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Bon Herman Schmid.
(gertfen**) $e
Die Sonne eine? der letzten Octobertage stand
Khon hoch gegen Mittag über dem Wirthshause an
fc#r Kreuzstraße, aber auf den fürten, vergilbten
traShalmen.
wie an den morsch werdenden grauen
toppeln hing starker, weißschimmernder Reif und
«ur an der östlichen Seite, wo die Sonnenstrahlen
W»on länger zu wirken vermocht hatten, begann er zu
schmelzen und von den dunklen Tannenästen in leuch
tenden Tropfen nieder zu thauen. Der Himmel
Wölbte sich darüber in herbstlich klarerund völlig un
Getrübter Bläue, denn ein scharfer Ostwind ließ nicht
ab. jedes Federchen oder Flöckchen von Dunst, das
H* etwa zur Wolke gestalten wollte, hinweg zu fegen
«nd zu blasen, wie Stäubchen von einer Glasglocke.
Degen die Straßenkreuzung hin. wo der durchhaue
fit Wald eine Lücke frei liefe, ragte ein Ausschnitt ei
sefl mächtigen Gebirgsrücken« herein, weit in einen
filternden Schneemantel gehüllt, dessen blaueSckat
nn wie Falten eines königlichen Gewandes die Um-
Höllung noch prächtiger und reicher herniederwallen
Keßen. Der Spätherbst hatte ernsthaft angeklopft
nd ließ erwarten, daß ein strenger Winter ihm rasch
die Fußstapfen treten werde.
Trohdem war es an der Kreuzstraße wieder leben
Big und bewegt, denn die günstige Lage machte das
geräumige Gasthaus so recht zum Versammlung?
Orte der umwohnenden bäuerlichen Bevölkerung ge
eignet die nach vier Richtungen auseinander lau
senden oder von ihnen herführenden bequemen Stra
ßen machten den Berkehr kurz und leicht nnb bilde
ten in ihrer Kreuzung eine Art Mittelpunkt, welcher
*on vielen rings umher gelegenen Weilern und Ort
schatten unschwer zu erreichen war, ohne daß den Be
wohnern des einen zugemuthet werden mußte, einen
Weiteren Weg zu machen, als die eines andern zu
machen hatten. Die Gesellschaft war aber diesmal
im Hause versammelt: in der großen Zechstube dräng
te fich'S wie in einem Ameisenhaufen und summte wie
iß einem Bienenkorbe, der fich zu schwärmen bereit
Wacht.
Kur ein einziger zog eS vor. trotz der empfindlichen
Kühle lieber im Freien zu verweilen, als den Dampf
bet qualmenden Stube einzuathmen das war der
taunhccke
ihrer von Osterbrunn. Gemächlich schritt er die
des Gartens entlang, musterte die Kronen
der darüber emporragenden Apfelstämme und der
Vielen darunter niedriger aufstrebenden Zwetschen
Böutne und sah es mit Bedauern, wie viele Frucht
triebe an den ersten vom Frost verkümmert waren und
wie sehr die letztem einer sorgenden Hand bedurft
hätten, ste von dem überwuchernden grünen Moose
thtd den breiten grauen Flechtenblättern zu befreien.
So kam er zu der Ecke neben den Stufen des Ein
gangs, wo es sonnenwarm war und windstill zugleich
seinen Krug herausbringen, zündete die
feife an sah dem Ringeln der Rauchwölkchen
zu, welche in der reinen Herbstluft aufwirbelten, um
u verflattern, und so vergnügt sein Antlitz vorerst
geschienen, so düster ward es allgemach, denn
in das Behagen an den Ringen und andern krausen
Gestalten des Rauches drängte fich gar bald die Be
Pachtung ihrer Vergänglichkeit und es war nahe da
rbn, daß darüb.r die Pfeife völlig ausging.
Gruß und Zuruf weckten ihn aus dieser nachdenk
lichen Stimmung der alte Bauer mit dem weißen
Schnauzbart mochte nach seinen Gäulen gesehen ha
den und kam vom Stalle herangegangen. „Grüß
Gott, Herr Lehrer," rief er ihm zu, „laßt Ihr Euch
auch einmal wieder sehen? Und ist es Euch nicht zu
feit im Freien
„Ich hab' noch einen Gang durch's Gäu gemacht,"
«widerte der Lehrer, „in ein paar Tagen fangt das
Schulhalten wieder an d'rum wollt' ich zuvor noch
einmal alle Gärten beseh'n und die Bäume darinnen,
ut denen mir was gelegen ist ober wo der Herr einen
apten Rath annehmen will: eS giebt gar viel'
Stämmchen, die man vor der Kälte einbinden oder
e|it Geheg von Dornhecken darum hermachen muß,
daß nicht im Winter die genäschigen Hasen kommen
«nd fressen die Rinde ab es ist, als ob e§ heuet bald
Änwintern wollte, der Schnee und die Kälte können
Hv sein über Nacht."
„Ja, ja. es ist merkwürdig/ sagte der Bauer, „wi's
ehen kann und wie oft in der Geschwindigkeit 'was
kommt, an das kein Meusch denkt! Wann ich
denk'," fuhr er bedächtig um sich blickend fort, „daß
«8 noch keine völligen vier Wochen sind, seit wir uns
troffen haben und bei einander da g'sessen sind, so
sollt' man's kaum für möglich halten! Wissen Sie's
»och, Herr Lehrer, es ist gerad' an betn nämlichen
Tag gewesen, wie bie Walbbegehung hat sein sollen
wegen betn Westerbrunner Grenzstrett— Was ist
feit der Zeit Alles passirt und was hat sich Alles ver
ändert seitdem! Die schöne Kellnerin, die Franzi,
die wir Alle für so brav gehalten haben, hat einen
Besuch gekriegt von den Ha erfeldtreibern, gegen die
sie seldigeSmal so aufbegehrt hat sie ist mit Schimpf
Und Schsnd' davon gejagt worden und seitdem weiß
ßtin Mensch, wo sie hingekommen ist
^Dem Lehrer war die Pfeife wirklich kalt geworden.
DUso ist es dennoch wahr?" sagte er kopfschüttelnd.
Man hat nichts mehr von ihr gehört
„Kein Sterbenswört'l Die Einen meinen, sie
fei fort in ein anderes Land die Andern meinen gar.
fie hätt' fich ein Leid'S angethan in der Desperation!
Du lieber Gott, unmöglich wär's gerade nit.denn es
ist ihr hart genug gegangen, aber wer hätt's auch
geglaubt, baß sie, bie so schön hat thun können, ein
fpkbei schlechtes Leut' sein könnt!"
»Ich glaub' li immer noch nicht," sagte bedächtig
Wer Lehrer, „ich Hab's wohl schon erlebt, daß ein
Wildling, den ich occulirt habe, zwei.« dreimal hin
tereinander nicht hat anschlagen wollen und ist ein
Wildting geblieben nach wie vor, aber was einmal
»n richtiger Baum ist von einer Edel-Sorten, der
Hann zu Grunde geh'n, aber er kann nicht aus der
Art schlagen und auf einmal anfangen,
Jahrg. »7.
Holzäpfel zu
tragen!"
„Ja ja, das werden Sie wohl am Besten versteh'n.
Herr Lehrer!" nickte zustinmend der Bauer, „Mich
soll'S freuen, wenn Sie Recht behalten thäten....
aber eS ist halt doch einmal bei ihr Haberfelb'trieben
worden unb bas bringt sie ihrer Lebtag nimmer von
sich weg, fürcht' ich alleweil! Man irrt sich halt bie«
malen gar statt in bett Leuten! Was ist ber Herr
Walbhauser für ein gesetzter unb gottessürchttger
Mann gewesen! Wer hätt's von bem für möglich ge
alten, baß er unter bie Haberer wär' unb hinterm
aun sterben thät, ohne Beicht unb Absolution!...
nd bas ist noch nicht Alles! Seldigesmal ist ja auch
»och der Herr Staubinger dagewesen, der dicke Vieh
Händler, der immer aus die Franzi seinen Pik gehabt
Hat, und ber Nußbichler Alin. der Haderlumper, we
gen dem es ja eigentlich her'gangen ist?"
„Was ist'S mit diesen Beiden?" fragte ber Leh
rer.
„DaS wissen Sie nit?" rief der Alte verwundert
„Bei dem saubern Herrn Staudinger i stauch getrie
ben worden! Hat ber Mann alleweil über uns ge
spöttelt unb uns bumme Bauern geschimpft ja, so
gescheidt sind wir freilich nit, baß wir bas Fleisch
von verrecktem Vieh unter bie Würst' hacken lasten
und für ein gutes essen Der schlechte Mann aber
er hat sein Theil ordentlich 'kriegt und ist auch aus
und davon! Er hat sein Haus unb Alles zurück ge
lassen. wie's geht und steht, und wird sich wohl nit
getrauen, seiner Lebtag wieder zu kommen!"
„Vielleicht Haidas Vorgefallene sein Gemüth er
schlittert dann hat bas Haberfelb immerhin auch
etwas Gutes gestiftet!" meinte der Lehrer.
Der Bauer lachte und kraute sich unter'at Hute
.Dasselbe glaub' ich kaum," sagte er, „ein bisset Er
schüttern giebt bei dem nit aus, da müßt schon ein
klein's Erdbeben kommen! Da möcht' ich noch eher
glauben, daß ber Nußbichler Alisi noch einmal ge
Mcheibt wirb unb gut thut, wenn's auch jetzt gar nit
ften Anschein dazu hat! Den haben s' jetzt hinter
Schloß und Riegel gesetzt, weil er ganz unsinnig wor
den ist und durchaus sein ehrmaliges Gtit'l, bas jetzt
wieder versteigert werben soll, wieder haben möcht
„Daran seve ich nichts Unsinniges
„Freilich nit, Herr aber sie haben heidenmäßig
viel Geld bei ihm gefunden und ersann sichnitaus-
JotttmenwoherwieeShätt'
leisen, er hat, unb daß et's geschenkt be
hat, er erzählt, das glaubt ihm Niemand
e meinen halt, er es irgendwo mitgeh'n lassen
»der hätt'gar Jemand' ausgeraubt darum haben
|te ihm das Gelb abgenommen, haben ihn eingelperrt
Und über dem ist er völlig ein Narr' worden ein
Haibeter ist er eh' schon lang gewesen
Wachsendes Geräusch aus der Gaststube unterbrach
den Redefluß des Alten.
„Sie rücken die Stühle," sagte der Lehrer, „sie
scheinen mit der Vorsteherwahl zu Ende zu sein."
„Wohl möglich," erwiderte der Bauer, „da kommt
vuch schon der Bediente vom Herrn Amtmann und
läßt anspannen sie stnb wirklich schon fertig. Ja
die Westerbrunner Haben's leicht, bie wählen eben
den alten Finkenzeller wieber ba beißt die Mau5
kein' Faden üb aber wie's jetzt bei uns Osterbrun
Uttft Sich'u wisse» ja, über acht Tag ist
die Vorsteherwahl bei uns
„So? Ich weiß es nicht ber Herr Amtman hat
dafür gesorgt, daß ich nicht mehr dabei zu funetio
niren habe er läßt alle Protokolle von feinem Ac
warms schreiben."
Der Alte sah sich vorsichtig um als er Niemand
in der Nähe gewahrte, fuhr er leiser fort: „Ja. ja,
bet Herr Amtmann läßt ?.ch nicht umsonst ein' ge
strengen Herrn heißen aber wenn Sie mich nit
verrathen wollen, Herr Lehrer, will ich Ihnen noch
was Neues sagen es soll nimmer so sicher nnb
sest sein mit ihm, wie zu Ansang— Der Bericht
wegen bem Waldvergletch unb das Haberfeld dazu,
die sollen die Herren von ber Regierung bös ver
schmacht haben es heißt gar, sie wollen einen
Commistari schicken, der Alles an Ort und Stelle
untersuchen und veihören soll— Da ist er richtig
schon rief er abbrechend. „Der bat's ja heut' ge
waltig eilig ich will noch «efchwind in's Haus hi
nein, ich mag ihm nit in die Hand laufen, er ist nit
gut zu sprechen auf uns Osterbrunner von wegen der
Deputation Er wollte nach dem Hause zurück,
aber eS war schon zu spät, er mußte an seinem Pia
tze bleiben, bentt ber Amtmann schritt bereits die
Treppe herab, die Uniformmütze auf dem Kopfe und
in einen stattlichen Marderpelz gehüllt, über welchen
der gestickte Kragen der Amtskleidung emporstand
hinter ihm, den Actenbündei unter'm Arm, den Hut
auf dem Kops, schritt der Actuarius diesem folgten
in weitem Kreise mit entblößten Häuptern nachdrän
gend die Gemeindemitglieder von Westerbrunn.
Gleichzeitig eilte noch ein Bauer von ber Straße
her dem Hause zu. eine hohe Gestalt, aber mit nach
denklich gesenktem Haupte, so daß er die Anwesenden
nicht eher gewahr wurde, als bis er nahe vor ihnen
stand auch diese, zu sehr mit der Abreise des mäch
tigen Beamten beschäftigt, bemerkten ihn nicht. Der
Amtmann war bereits unten angelangt, während der
Kutscher noch vollauf beschäftigt war, die Stränge
der Pferde an den Wagen zu knüpfen: der Wirth,
der vorausgesprungen war, hatte den Schlag aufge
listen und stand nun in unterwürfiger Haltung da
neben, unter'm Arm die zerknitterte Mütze.
„Freiherrliche Gnaden eilen ja heute über die Ma
ßen," sagte er mit tiefem Bückling, „es thut mir un
endlich leib, daß ich nicht die Ehr' haben soll über
Mittag..."
„Es paßt nicht, Herr Wirth." entgegnete der Amt
mann kalt, „die Spitzen der Behörden können nicht
wohl außerdienstlich in einem Hause verweilen, wo
so bedenkliche Dinge vorgehen. Sie werden zu thun
haben, bis Sie die Scharte auswetzen und den guten
Ruf Ihres Hauses wieder herstellen Sie werden
es nur können, wenn Sie Anstifter und Theilnehmer
des schändlichen Unfuges ermittelnder auch vor Jh
rem Haufe verübt wurde
„Aber wie soll ich—"stammelte der betroffene
Wirth
I
„Ihre Sache, mein Lieber, nickt tie mem?," erwi
derte der Beamte, indem er den Blick leicht im Kreise
herum gleiten ließ er gewahrte den zuletzt Gekom
menen, aber keine Miene, nicht ein Zwinkern des Au
ges verrieth, daß et ihn erblickt. Im ruhigsten To
ne sprach er weiter, halb zu den Westerbrunnern zu
rückgewandt. „Das Amt kann sonst nichts thun,,
als Andeutungen geben, als leiten, wo man sich lei-'
ten lassen will die Ausführung selbst muß in diesen
Zeiten der Sclbstregierung den Unterthanen will
sagen, den Staatsangehörigen überlassen bleiben.
Es ist immer gut und bequem, sich leiten zu lassen.
Ihr Männer von Westerbrunn werbet es erfahren,
weil Ihr meinen Andeutungen gefolgt seid und die
Persönlichkeit zum Vorsteher gewählt habt, wtlche
dem Amt als die geeignetste erschien! Ihr steht mil»
ten brinnen unb seht, so zu sagen, den Äald vor
lauter Bäumen nicht Ihr seht wohl die Wurzeln
und den scheinbar gesunden Stamm. Das Amt steht
über Euch, auf der Höhe und sieht es schon von wei
tem, wenn ein Baum anfängt, gipfeldürr zu werden.
Ich bemerke auch einige von den Osterbrunnern un
ter den Anwesenden über acht Tage ist die Reihe
der Wahl an ihnen und ich hoffe zuversichtlich, baß
ste mir Gelegenheit geben werden, ihnen bas Lob
gleich guter Gesinnung zu ertheilen. Die Wahl b3
Vorstehers ist unbezweifelt einer ber wichtigsten und
entscheibensten Vorgänge im gemeinblichen Leben
völlige Unbescholtenheit, der tadelloseste Leumund
sind vor Allem das Ersvrderniß eines Mannes, dem
mit diesem Ehrenamte das Wohl und Wehe und die
Ehre der ganzen Gemeinde in die Hand gegeben
werden soll Sie stimmen sicher barin mit mir
tiberein, Herr Aicher von Aich fuhr er fort, indem
er sich plötzlich gegen den Ankömmling wandte, als
habe er ihn erst in diesem Augenblick bemerkt. „Sie
haben sich lange nicht sehen lasten, mindestens nicht
so geradezu eS ist auch wohl begreiflich Sie
haben währenb bieser Zeit Gelegenheit gehabt, in
Ihrer Familie recht betrübende Erfahrungen zu ma
chen, bezüglich bereit ich nicht umhin kann, aufrich
tigst zu condoiirett
„Ich danke seh: für Jbr Beileid. Herr Baron,"
entgegnete Sixt finster und kurz. „Der Tod meines
Brudeis hat mich allerdings schwer getroffen
„Natürlich! Zumal unter so befremdlichen und
geheimnißvollen Umständen!" fuhr der Amtmann
im Tone eifriger Theilnahme fort. „Und dazu noch
all' die anderen unerklärlichen Ereignisse! Das räth
seihafte Verschwinden Ihrer Ziehschwester, welche
allgemein bezichtigt wird, das Verbrechen ber K.n
desaussetzung begangen zu haben! Wie schmerzlich
muß Sie das Alles berühren ich weiß ja, auf welch'
vertrautem Fuße Sie mit ihr standen! Haben auch
Sie keine Spur ber Vermißten?"
Dem Aichbauern schwamm es vor bett Augen: er
erbebte vor Grimm, bie schlecht verhehlten boshaften
Angriffe, bie er wie Dolchstiche fühlte, abzuwehren,
aber er übersah Ort und Umgebung und beineisterte
fich. „Keine," sagte er gelassen, „obwohl ich weder
Zeit noch Mühe und Kosten gescheut!
„O, das glaube ich Ihnen ohne Betheuetung!"
rief der Beamte wieder. „Seien Sie auch meiner
lebhaftesten Mitwirkung versichert und sehen Sie in
dieser Sache ein lebendiges Beispiel, wie wenig die
in unseren Tagen gepriesenen Neuerungen das wirk
lich leisten, was sie verheißen! Wären noch wie frü
her alle Fäden in Einer Hand vereinigt, dann wäre
es ein Kinderspiel, den Schleier zu lüften, der über
all bieten Ereignissen liegt, und den Zusammenhang
herauszufinden, der ohne Zweifel zwischen ihnen be
steht feit der leidigen Trennung der Rechtspflege
von der Verwaltung müht sich jede in ihrem Kreise
vergeblich ab es fehlt das rechte schlagende Zusam
menwirken und Ineinandergreifen. Aber auch in
den jetzigen Verhältnissen werde ich Ihnen zeigen,
wie sehr ich mich für einen solchen Mann unb eine
solche Familie interessire ich benke Ihnen fcalb
ben Stammbaum des verlassenen Kindes aus dem
Oedhofe vorlegen und auch zu der Bekanntschaft des
neuen Habermeisters verhelfen zu können, unter wel
chem das liebenswürdige Institut einen so schönen
neuen Aufschwung nimmt Vielleicht bin ich schon
über acht Tagen bei der neuen Vorsteherwahl in der
Lage, darüber recht anziehende Einzelheiten mitthei
len zu können
Während der letzten Worte hatte er den Wagen
bestiegen und sich bequem darin zurecht gesetzt dann
nickte er noch herablassend, griff leicht an die Mutze
und winkte dem Kutscher, abzufahren. Bald war er
die Kreuzung dahingeflogen und im Walde ver
schwunden, aber noch immer standen die Bauern un
beweglich da, sahen einander verblüfft an und ver
gaßen daüber sogar die Hüte wieder auszusetzen, so
frostig es ihnen um die Köpfe blies. Erst allmählich
besannen sie sich und gingen bedächtig in dieZechstu
be zurück.
Eine Weile noch stand @'i allein, wie betäubt von
einem Donnerschlage, der auf sein Haupt nieöerge
rollt, vergessend, was er im Sinne gehabt und was
ihn hergeführt. „Er hat's sich vorgenommen,"
murmelte er knirschend, „er will mich zu Grund' rich
ten, und ich seh's kommen, baß er nicht ruht, bis er
es erreicht hat! Sieh ba, Herr Lehrer," fuhr er,
wie zu sich selber kommend, auf, als sich derselbe
theilnehmend näherte, „Sie kommen mir gerade recht
Sie haben mir oft gesagt, daß Sie etwas auf
mich halten
Der Lehrer ergriff seine Hand und schüttelte sie.
„Ich sollte meinen," sagte er, „das brauchte ich Ih
nen nicht erst zu beweisen aber ich bin bereit dazu,
wenn der Rath eines alten Baumzüchters Ihnen von
Nutzen sein kann. Was haben Sie nöthig ein
Mittel gegen Raupen, welche die schöne Blätterkro«
ne abfressen unb bte Blätterkeime bazu, ober gegen
ben Wurm, ber sich burch Rinde, Bast unb Holz ein
bohrt bis in bas Mark?"
„Beibes, Beides!" rief Sxt, „rathen Sie mir,
wie ich das Mittel finde, und ich gebe Ihnen mein
Wort darauf, der Baum und feine Frucht sollen
Ihnen Freude machen kommen Sie mit mir, wir
gehen ben Walb hindurch bis zur Mühle, bort war
tet mein Fuhrwerk auf mich So schnell, als man
che Leute meinen, wollen wir uns jebensalls nicht
verloren geben
Der erste November und mit ihm Allerheiligen
war gekommen und hatte wieder das große alljähr
liche Todten- und Gräberfest mitgebracht, das viel
leicht an t»Hum andern Orte je allgemein und mit
solcher Feierlichkeit begangen wird, wie in der Stadt
München. Der Himmel hatte sich in ein tiefes Grau
gehüllt, als läge auch ihm daran, Zeichen der Trauer
zu zeigen die Luft war windstill und mild und trug
mit ben von ihr getrockneten Wegen bazu bei, bie
Zahl derer zu vermehren, welche Alle dem großen
Kirchhofe zuströmten. Manche mit Herzen voll lieben
den Gedenkens und mit Augen, die im Widerschein
ber Erinnerung erglänzten, die Meisten wohl, weil
es die Sitte des Tages so mit sich bringt unb weil
das Getreibe und Gedränge so gut ein Schauspiel
unb eine Karzwe.l abgab, trie ein anderer mehr
weltlich fröhlicher Anlaß. Jemehr die Menge sich
dem Gottesacker näherte, desto mehr war der Weg
von großen und kleinen Laden und Buden besetzt,
welche mit allem Gräberschmuck Handel trieben, vom
kleinsten Kränzchen an, aus grauem Moose gewun
den und mit Papierroscn besteckt, bis zum prachtvoll
sten Blumengewinde, das dem Pinsel eines Kiinst
lers Ehre gemacht hätte vom stattlichen in Stein
gehauenen Denkmal mit Urne, Säule ober Sarko
phag bis zum einfachen Holzkreuz, auf dessen schwar
zem Anstrich nur ein gedrucktes Heiligenbildchcn kleb
te. Drinnen aber, innerhalb der langhin gestreckten
Umfassungsmauern prangten die ernsten Grabhügel
unb die Denkmale aus ihnen in aller Zier, welche
sinnige Liebe, reiche Pracht unb auch prahlenber Un
geschmack zu erfinden vermögen. Wahrend die Hü
gel ber Aermeren sich begnügten, wenn bie Erde frisch
aufgeharkt, mit einem Kranze von Immergrün ein»
gefslit, oder mit Buchstaben und Kreuzen aus Aster
köpfen oder rothen Vogelbeeren belegt warb, waren
die Gröber der Reichern in prachtvolle Gärten ver
wandelt unb manches Treib- und Gewächshaus war
geleert, die Stätte des Todes unter Blumenstöcken,
Blattpflanzen und seltenen Sträuchern zu verbergen.
Um Kreuze und Denksteine schlangen sich Gewinde
unb Kränze, hier aus ben kostbarsten, für die Jah
reszeit boppelt seltenen Blumen gebunden, beinahe
zu schön für einen so vergänglichen Schmuck, dort
mit haushälterischem Sinne aus dauernden Jmmor
teilen gewunden bder wohl gar aus bemaltem Blech
geformt, um mit ber Zierde die Dauer zu vereinen
Dazwtfchen flatterten Trauetflöre ober rauschten
schwarze Bänder in farbigen Glasglocken brannten
düstere Ampeln und wo diese mangelten, fehlte doch
doch selten das Licht, so wenig wie das Kesselchen Mit
Weihwasser, die angezündet und ausgesprengt wer
den zum Troste der „Armen Seelen," deren Anden
ten der Tag gewidmet ist. Zwischen ben Gräbern
saßen allerlei Leute, Greise unö alte Mütterchen ober
kränkliche Personen, welche, anderer Arbeit und an
dern Erwerbs unfähig, sich Verdungen hatten, tie
Grober und deren Putz ben Tag über zu hüten unö
nicht abzulassen im stänbigen Gebete für die „abge
schiedenen Ehnstglaubigen," dic vielleicht noch zu bü
ßen unb zu schmachten haben in ben Flammenqualen
des Fegefeuers.
Nur an ber einen Seite bes großen Todtenfeldes
sah es minder festlich aus die Schaaken der Besu
chenden zogen hier achtlos vorüber unb nur selten
wanbelte der Fuß eines Einsamen zwischen halb ein
gesunkenen übergrasten Hügeln hin. Blos hier und
ba erhob sich ein für die Dauer berechneter Denkstein.
Blos aus einigen wenigen Erhöhungen stand noch
ein haldverwittertcs Holzkreuz, an Einem war sogar
eine Tafel angebracht, woraus verzeichnet stand, daß
dieicS Andenken nur ein vorläufiges sein unb nur
dauern solle „bis z. Errichtung eines Monuments,"
aber sei es, daß die Angehörigen dem Todten selbst
unerwartet bald nachgefolgt waren, oder daß sie, von
der Zeit geheilt, mit ihrem Schmerz auch ihr Vorha
ben vergessen hatten die schwarze Tafel stand noch
immer verheißend ba und das Monument war uner
richtet geblieben. Es war jene Abtheilung des Kirch
Hofs, welche, schon seit Jahren gefüllt, nun dazu be
stimmt war, wieder umgegraben und mit neuen Grä
bern bepflanzt zu werden.
Jenseits des Weges, an schön verzierten Gräbern,
saßen ein paar Grabhüterinnen, die Rosenkränze in
den Händen, um ließen eifrig murmelnd die schwar
zeit Betkorallen daran niedergleiten das hinderte sie
jedoch nicht, auch dem, was um sie her vorging, cv
ntn beobachtenden Blick zu schenken unb in ihre An
dacht manchmal eine kleine Gesprächsunterhaltung
einzurichten.
„Gieb uns Heu t' unser tägliches Brod siehst Du,
Schärdingerin," sagte die Eine, „da kommt er
ichon wieder, der dicke Alte... .dort beim Eisengitter
am Seiteneingang steht er und schaut sich um, als
wenn er auf 'was warten thät
„Alt ist er wohl," erwiderte die Andere, nach dem
Eingang hinüber blickend, „aber dick ist er nicht, das
Gewand hängt ihm ja nur so am Leib, wie an einem
Kleiderstock. Wer ist er denn und was will er
„Wer er ist, weiß ich nicht, aber er war heul' mor
gens schon da und hat da herumgefragt, er sucht ein
Grab aus der Cholerazeit...."
„Aus *er Zeit liegen freilich bie Meisten ba in betn
Revier herum! Du lieber Gott, wie feindselig ber
Mensch d'reinschaut und wie er daher wankt der
geht nicht irr, wenn er sich bald selber um ein Plätzel
umsieht!"
Die Bemerkungen der beiden Alten waren wohl
begründet, und wer den hinfälligen Mann betrachte
te, der sich an das Eisengitter lehnte, um die müden
Ichmerzenden Beine ein wenig ausruhen zu lassen,
der hätte wohl Mühe gehabt, in ihm den rüstigen
Meister Standings zu erkennen, ber noch vor weni
gen Wochen so kerngesund da gestanden war, wie ein
Baum im Holz. Aber wie bei einem Baum hatte
eine einzige Nacht hingereicht, mit ihrem Reif das
Laub zu verbrennen, daß er am Morgen da stand
mit rothen welken Blättern statt der grünen und Ooß
es nur e':neë leisen Hauches bedinste, sie vollends fal
len zu machen. Das war die Nacht gewesen mit dem
Haberfeld. In seiner sorglos übermüthigen Behag
lichkeit hatte ihn der Lärm im warmen Bett und im
tiefen Schlaf überrascht das Entsetzen hatte ihn
plötzlich emporgeschüttelt, die Angst hatte ihn schlecht
verwahrt hinausgejagt in die kalte, windige Nacht,
er fürchtete, die Rächer würden sich nicht begnügen,
ihn nur verhöhnt und gerügt zu habender sah sie
schon gegen das Haus andringen, er hörte in -seiner
Verwirrung schon die einstürzende Thür krachen und
entfloh. Seitdem war es mit unsäglichen Leiden
über ihn gekommen, der Schrecken und die Erkältung
waren ihm in die Glieder gefahren, daß er sich in we
nigen Tagen zum Schatten abquälte, gefoltert von
den wütendsten Schmerzen unö noch mehr von in
nerm Grimm über das ihm Widerfahrene und dem
Gefühl seiner Ohnmacht, sich dafür hinwieder Ver
geltung zu verschaffen und Rache Mit der Kraft des
Körpers brach, wie er dagegen auch ankämpfen
mochte, nach unb nach ber starre Trotz seines Gemü
thes, wie der Scknee weich und mürbe wird, noch lan
ge ehe es ber Fnililingssonne gelingt, ihn zu schmel
jcn. So sehr er sich immer hinter die Wolken seines
Zornes borg, er konnte nicht verhindern, daß anfei
nen Augenblick der Himmel hell ward über ihm, unb
wenn er sonst auf seinem Schmerzenslager von den
Unternehmungen träumte, die er noch auszuführen
gedachte, wenn er unter Flüchen unö Verwünschun
gen den Frühling herbeisehnte, um in einem heißen
Bade Heilung zu finden, so waren es diese Augen
blicke, die ihn zwangen, wider Willen in die Jahre
zurück zu schauen, die hinter ihm lagen, die er lang
in sich vergraben zu haben meinte unb deren Erinne^
rungen doch immer wieder an ihm emporwuchsen,
rov* Dornranken aus dem Schutt eines eingestürzten
Gebäudes.
Unverwandt und mit ber Geberde wartender Un
geduld blickte er jetzt in das zum Seiteneingang füh
rende Gäßchen hinaus er achtete nicht auf die eili
gen Schritte, die. von den gewölbten Säulengängen
des Kirchhofs herkommend, hinter ibm laut wurden.
Ein Mädchen, in der Tracht des Oberlandes, kam
rasch den Hauptweg herab, ein kleines Bündel und
den Regenschirm tragend, der nicht leicht in der Hand
des die Stadt besuchenden Bergbewohners fehlt.
Es war Franzi sie war unverändert, ja, über
das anmuthige Gesicht lag sogar eine höhere Rothe
gebreitet, wie der Widerschein einer freudigen und
doch nicht schmerzfreien Erregung, fest und klar war
ihr suchendes Auge auf das halb verwahrloste Gm
bergksield gerichtet. Ein Mann in schlechter Jacke,
mit etnem groben Schurz darüber, einen farblos ge
wordenen löcherigen Filzdeckel auf dem grauen Kopse
und über der Schulter die Grabjchattfei, schritt ge
messenen Ganges hinter ihr her.
„Wenn du noch so läufst, Mabel," sagte er gut
müthig, Du findest Dich ohne mich doch nicht zurecht
und mutzt warten, bis ich nachkomm' ist es Dir
bentt gar so eilig?"
Ohne ben Blick von betn Ziele ihrer Sehnsucht ab
zuwenden, stand sie still j»tzt trat der Todiengräber
an ihre Seite. „Da sind wir," sagte er und schritt,
die niedrige Einfassung übersteigend, zwischen die
Hügel hinein. „Dritte Section vierte Reihe...
das fünfzehnte Grab—hier, der kleine Hügel muß
es sein
Er beutete auf eine unscheinbare, aus grobem Kies
und Erde unregelmäßig ausgeschüttete, von der Zeit
fast wieder eingeebnete Erhöhung. tümmerlicheGrae.
Halme hatten daraus Wurzel gefaßt, einige lange bär
tige Schmeelen hingen vergilbt und geknickt darüber,
tint einzige blaue ècedioje, bete» eomeit vieüeicht
olimtbtiè, ©., Donnerstag, IT. Februar 18V O. Ro. 36.
ein in den Rosenbüschen der Gräber nistender $Br
gel verstreut haben mochte, wiegte wie schlaftrunke
ihr einsames Haupt.
Mit beiden Knieen zugleich, wie von höherer Ge
malt gebeugt, sank Franzi zu Boden sie sprach tiich
sie weinte nicht, sie hielt nur bie Hänbe vor sich hi'
unb faßte bann, sich niederbeugend, in Gestein un«
Erde, als wolle sie selbe an ihre Brust drücken.
„Was treibst, Model?" sagte ber Todlengräb?r,
„Wann Du das Grab willst aufgerichtet haben, mit
den Händen wird's kaum geh'n "Franzi blieb
stumm und unbeweglich er unterbrach sie nicht mehr,
er mochte erst gewahr geworden sein, in welch' tiefer
Erschütterung sich das Mädchen befand erhatte
Herz genug, sie eine Weile gewähren zu lassen unb
nicht mehr zu stören Franzi'swortloses belbstge»
gespräch war nur dem verstänblich, an ben es gerich
tet war.
„Laß' eS jetzt gut fein, Mabel," begann ber Mattn
nach einiger Zeit trieber, „tröst Dich halt und denk',
was die Erden einmal hat, das giebt sie nit wieder
her. Sag' lieber, was Du haben willst, daS jetzt ge
schieht— willst haben, daß daS Grab ausgerichtet
werden soll und verziert.
„Ja, ja," erwiderte Franzi, indent ste sich besann
und fast gewaltsam erhob, „das Grab soll aufgerich
tet werden und verziert, so schön als es nur sein kann.
Ich bin fremd in ber Stadt, Todtengräber, wollt
Jhr's wohl besorgen unb mir sagen, wo man be
kommt, was wir brauchen, ich will's bezahlen, ich ha
be Gelb —es ist mir nicht zn viel
„Laß' stecken, Mabel," sagte ber Todtengräber, in
bem er mit gutmüthigem Schmunzeln zusah, wie
Franzi ein rothes, an ben vier Enben zusammenge
knüpftes Sacktuch hervorzog unb b:n reichlichen
halt an Silbermünze zeigte, „ich hab' schon geseh'n,
daß Du Geld hast, drinnen beim Leichenaufseher,
sonst hättest Du auch das Grab nicht gekauft! Bist
gerad' noch recht gekommen vor Thorschluß in ein
paar Tagen sind bie fünfzehn Jahren herum, denn
immer nach fünfzehn Jahren wirb eine Abtheilung
umgekehrt unb neue Gräber gemacht"
„Aber jetzt ist es mein rief Franzi hastig. „Jetzt
wirb bas Grab nit angerührt?
„Nicht mit einem kleinen Finger, jetzt is! das Grab
Dein, Madel, hast es ja theuer genug bezahlt, jetzt
bist Du der Herr davon ans bie nächsten fünfzehn
Jahr', unb kein Mensch kann Dir etwas einreden."
..Recht, recht," entgegnete Franzi, „jetzt führt mich
bin, wo wir die Sachen zum Verzieren kaufen kön
nen, unb ein schönes Kreuz möcht' ich auch haben,
von Eisen unb mit einem vergoldeten Christus bran
und mit einer schönen Inschrift, da muß drauf steh'n
von ber Auferstehung und vom Wiederfeh'n in der
Ewigkeit
„Das ist Alles zu haben für Geld
und gute Wort',"
sagte der Todtengräber, „komm' nur, Madel. ich zeig'
Dir Alles mir gefallt's daß Du Deine Tobten so
gern hast und Deine Sparkreuzer so hergiebst, ihnen
zu Ehren Wer liegt denn eigentlich in dem Grab?
Hast gewiß einen Schatz gehabt, der hat Soldat wer
den müssen und ist nimmer heim 'kommen Ja,
ja, die Stadt nimmt gar Manchen mit, und oft ge
rade die schönsten Burschen und die kräftigsten
So plaudernd schritt er voran und gewahrte nicht,
daß Franzi ihm nicht folgte und ihn nicht vernahm,
den beiden Grabhüterinnen war ihre Freigebigkeit
ebensowenig entgangen wie das wohlgefullte Sack
tüchlein, sie wollten die gute Gelegenheit zu einem
Nebenverdiensten nicht versäumen.
„Will die Jungfer nicht auch das Grab gehütet Ha
ben?" sagte Frau Schärdinger, indem sie ihr entge
gen traten. „Laß sie einer armen Wittib den Ver
dienst zukommen wir thun's billig wir zwei
miteinander, weil wir boch gerad' so in ber Nähe
sind
„Und beten thun wir auch, so fleißig wie irgend wer,"
sagte bie Andre, „da darf man uns nachfragen!"
Franzi sah Beide etwas verwundert an,
unbekannt
mit dem Gebrauche der großen Stadt, verstand sie
den ihr gemachten Antrag nicht völlig. Sie griff in
ihr Tüchelchen, drückte jeder ein Geldstück in bie Hanb
und sagte, dem Todtengräber nacheilend: „Ich dank'
schon für die gute Meinung, liebe Frauen —nehmt's
bas und wann Ihr in Eurem Gebet mich einschließen
wollt, will ich's Euch verbanken, aber das Grab da
hüten und an dem Grab beten bas ist ein Geschäft,
aus das ich mich schon manches Jahr gefreut bab'
das Geschäft besorg' ich selber
Sie ging, die Weiber sahen ihr brumnunb nach.
„Das muß auch eine rechte Siebengescheidte sein und
eine Zuwiderwurzen dazu!" rief die Eine. „Das
Geschäft besorg' ich selber! Und was sie für ein Ge
sicht dazu gemacht hat, als wenn sie weiß Gott was
wär' und thät nicht aus dem Land abstammen, wo
die Holzschlegel wachsen!"
„Hat das ganze Tüchel voll Guldstückeln," sagte
bie Anbere unb kehrte an ihren Posten zurück, „unb
gibt einer Jeden von uns einen Sechser! Meinetwe
gen wie der Mann, so bie Wurst! Wegen ber 6
Kreuzer wirb man sich bss Maul nicht in Fransen
beten
Sie kauerten sich wieber nieber und die Kügelchen
am Rosenkranze rollten geschäftig wie zuvor.
Nach einer Weile kam Meister Staudinger in der
selben Richtung herangehinkt ihm zur Seite ging
ein großer, stämmiger Bursche, welchen bie färben
besiegte Schürze als einen Anstreicher erkennen ließ
er trug eine schwarze angemalte Stange mit gleich
farbiger Tafel, auf welcher in mächtigen Buchstaben
eine weiße Inschrift stanb. Der Meister war unge
halten unb schalt in grimmigem Tone auf bett Ge
sellen hinein bie Beterinnen stießen sich mit ben El
lenbogen an und nickten einander zu.
„Wie kann man nur so nachlässig sein und so lange
auf die bestellte Arbeit warten lassen rief Staudin
ger. „Mich in dem Wetter fast eine Stunde hinste
hen zu lassen Es ist himmelschreiend l"
„Ach. was da," entgegnete unwirsch der Geselle,
„das Wetier könnte ja nicht schöner sein! Wenn die
Arbeit erst heute bestellt wird, kann sie nicht früher
fertig sein
„Aber der Meister hat mir bestimmt versprochen,
daß die Tafel in einer Stunde fix und fertig ist!"
„Der Meister.!" erwiderte der Geselle grob. „Der
kann leicht versprechen, ber thut nichts, als baß er
anschafft unb das Geld einstreicht das muß ich als
Geselle besser wissen, denn ich muß die Arbeit machen
Man muß der Farbe doch ein bischen Zeit lassen, tro
cken zu werden, sonst rinnt ja Alles ineinander! Und
dann, warum pressirl es denn dem Herrn aus einmal
gar so arg? Nach der Jahrzahl, die ich habe darauf
schreiben müssen, ist die Frau, der sie gehören soll,
schon in die fünfzehn Jahren todt wenn's dem
Herrn bie fünfzehn Jahre her nicht geeilt hat mit der
Tafel, wird's auf die Stunde früi^r ober späterauch
nicht mehr ankommen!
Der Meister antwortete nichts, er biß bie Zähne
übereinander und trat zwischen die Reihen ber öoen
Gräberabtheilung.
„Aber meinetwegen," brummte der Geselle fort,
„Jeber muß seine Sache am besten wissen ich teb'
auch Niemandem was ein, aber ich mag mich auch
nicht hudeln und Hunzen lassen... Wo ist denn bas
Grab, aus dem ich die Tafel ausstellen soll?"
Der Mister beutete stumm auf bett Kieshügel mit
ben geknickten braune» Schmerlen unb ber einsamen
ècabiose.
„Das wollen wir gleich haben," sagte ber Geselle,
„dem Grab sieht man es wohl an, baß sich noch Nie
mand darum gekümmert hat das Grab wird sich
wundern, wie es aus einmal und noch so spät zu sol
cher Ehre kommt! Aber der Boden ist zu fest, ich will
nur sehen, daß ich in der Nahe einen Pickel zu leihen
bekomme oder eine Schaufel
Er steckte die Tafel mit dem zugespitzten Ende leicht
n den Grabhügel und eilte hinweg ber Meister
ichien zu besorgen, daß sie nicht genügend befestigt
sein möchte, und trat hinzu, ste so gut er es vermoch
te, etwas fester in den Grund zu bohren.
In diesem Augenblick kam Franzi zurück sie ge
wahrte schon von Weitem, was an dem ihr so theu
ren Grabhügel vorging, und eilte mit angstlieflügel
ten Schritten vorwärts, wenn sie auch aus der Ferne
nicht genau unterscheiden konnte, was ber Mann an
dem Grabe vorhatte, und noch viel weniger biesen
Mann selber zu erkennen vermochte.
Jetzt erreichte sie den Hügel, die Beiden standen ei
nander gegenüber, zum ersten Male wieder seit dem
Begegnen an der Kleuzstraße, durch das gleiche wid
rige Geschick getrieben und doch ungleichartig wie da
mals, vielfach verändert, aber das Gesühl der Ab
Neigung, mit dem sie gegenseitig sich betrachteten,
war basfelbe geblieben.
Meister Staudinger war ber Schwächere, er wank
te beinahe und liefe die Tafel loS, auf die Gefährde?
Umstürzens hin sie aber wankte blos und blieb schief
geneigt stehen. „Dies Gesicht "murmelte er un
hörbar und fast nur innerlich, „muß ich baS Gesicht
wiedersehen
Franzi fanb zuerst Worte: ste trat ihm in den
A eg vor ben Hügel unb rief: .WaS wollen Sie,
haben Sie ba zu thun
V
„Und was hat Sie darnach zu fragen?" erwiderte
ber Meister. Ich will einen schönen Denkstein aus
Marmor auf dieses Grab setzen lassen, unb bis er
fertig ist, stell' ich diese Tafel hin....
In­
„Aber nicht aus bteteS Grab, Herr!" rief Franzi
hastig. „Das ist wohl eine Irrung, das Grab da
ist mein, ich hab's gekauft!"
„Gekauft? Wie kommt Sie dazu?" rief ©tau
dinger entgegen. „Was macht Sie fich da zu schas
sen Das ist bas Grab meiner Tochter
»Ihrer Tochter?" erwiberte Franzi mit starr aus
ihn gehefteten Blicken, indem ihr Wort und Laut
beinahe auf den Lippen erstarb. „Ich hab'S ja gleich
gedenkt, das muß eine Irrung fein," fuhr sie dann
wie sich besinnend fort... .„Sie stnb an bas unrech
te Grab gekommen
Der Meister zog einen Zettel hervor. „Dritte
Section," sagte er in unsicherem Tone, „in der vier
ten Reihe bas fünfzehnte Grab
Das....trifft freilich zu," entgegnete daS Mäd
chen. bebenb vor Erregung, „aber es muß doch eine
Irrung sein, der Aufseher vom Gottesacker hat mir'S
gesagt und in feinem Buch aufgeschlagen und ich
hab' es ja gekauft, denn in dem Grad' liegt meine
Mutter."
Der Alte taumelte einen Schritt zurück, als hätte
er ein Gespenst gesehen, schlug er die beiden Hänbe
vor bas erbleichende Gesicht, er sprach nicht, aber in
ihm rief es, wie gräbersprengenber Posaunenschall
trotz ber verhüllten Augen sah er innerlich unb eS
war, als ob bie Gruft zu feinen Füßen sich aufthäte
unb ließe ihn hinabblicken bis auf ihren Grunb und
auf bie Züge ber Tobten in bem Sarge, ber ver
mobert brunten lag, unb es waren bie Züge derer,
bie lebenb vor ihm stand.
Auch in dem Mädchen tauchte eine Ahnung auf,
wieBranbröthe am nächtlichen Himmel ettt fern auf
loderndes Unglück verkünbet. „Nein, nein," flüster
te sie, „es kann ja nicht so sein, es ist unmöglich, eS
muß sich ja gleich zeigen, daß es nicht so ist. ...bie
Schrift ba auf ber Tafel muß ja Alles aufklären..."
Sie trat hin unb las: „Dem Anbeuten ber ehr- und
tugenbgeachteeen Frau Franziska Wall,
Privatiers«
todter Sie kam nicht weiter, benn Blick und
Ton versagten ihr und es währte eine Weile, eh' sie
bie Worte herausstoßen konnte: Es trifft zu..
es ist ber Nam' von meiner Mutter
Der Meister hatte bie Hänbe vom Gesicht genom
men unb starrte das Mädchen mit weit ausgerissenen
Augen an, in denen es wie Licht unb Nacht burchei»
nanber kämpfte. „Du sagte er leise, „beswegen
also hat mich das Gesicht immer so angegriffen?
Du Du wärst
»Ich bin bie Tochter von der Frau," sagte Franzi
ihn unterbrechend, in entschiedenem Tone, „die da
begraben liegt, weiter nichts! Es ist doch eine Ir
rung, denn die Tode ba brunten ist keine reiche Pri
vatierstochter gewesen, sonbern eine gemeine, blut
arme Frau, bie Frau von einem geringen Tischler
gesellen— als bas hat sie sich kümmerlich burchge»
bracht, als bas hat sie mir bas Leben gegeben, als
bas ist sie gestorben in Armuth und in ber Niebrig
feit
Der Alte vermochte feine Erschütterung noch im
mer nicht zu bewältigen, er wieberholtc nur immer,
zwischen Grimm und Rührung schwankenb, das stau
nende und fragenbe „Du Meiner Tochter Kind...
meine Enkelin?"
„Es hat den Anschein so," erwiderte Franzi, bie
sich allmählich ganz wiedergefunden, „aber kränken
Sic sich darum nit. Herr ich verlang's nit, baß Sie
mein Großvater sein sollen ich trag's Ihnen auch
nit noch, daß «sie mich angefeinbet haben unb he
runter gesetzt bas ist bie beste ©traf, baß es Ihr
eigenes Fletsch und Blut war, das Sie schlecht ge
macht haben aus eitlem Hochmuth Ich hab's nur
mit meiner armen Mutter da brunten zu thun!
So lang, als ich mein eigener Herr bin, hab ich fein
anders Gedenken gehabt und kein' andern Wunsch,
als den, sie auszusuchen, da hab ich's erst so recht ge
spurt, was es heißt, feine Mutter haben! Deswe
gen hab' ich mich als Kellnerin verdungen, um mir
den großen Lohn zu ersparen, deswegen hab' ich mit
jedem Kreuzer gehaust, bis ich so viel beisammen ge
habt hätte, als ich gemeint hab', daß es brauchen wirb
zu alle denen Nachforschungen und Erkundigungen,
deswegen hab' ich das Grab da gekauft, daß bie ar
me Kreuztragerin, bie ba eingescharrt ist, ein christ
liches Kreuz auf ihrem Hügel haben soll, unb bes
wegen soll die verlogene Tasel auch dort draus zu ste
hen kommen, denn das Grab ist mein!"
Dem Trotze des Madchens gegenüber fand auch
ber Meister die alte Starrheit wieder. „Das wollen
wir einmal sehen!" rief er. „Ich will Dir zeigen,
baß ich als Vater auch ein Recht habe
„Ein Recht als Vater?" rief Franzi. „Und aus
das wollten Sie sich stützen? Wollten stch daraus be
rufen, hier an bem Grab der nämlichen Tochter, bie
Sie verstoßen haben?"
„Sie hat sich von mir losgesagt," erwiberte Stau
binger. „Warum ist sie meinem Willen nit gefolgt
unb hat stch an ben Tischlergesellen gehängt, der
nichts gehabt hat unb nichts gewesen ist
„Nichts," fiel Franzi ein, „nichts hat er gehabt,
als ein Paar fleißige Arm' unb einen offenen Kopf,
nichts ist er gewesen, als ein reblicher, sie feiger Ar
beiter und ein braver Mann Er muß es gewesen
sein, sonst hätt' ihn meine Mutter nit so gern gehabt,
das spür ich an mit selber, drum lass' ich auf ihn so
wenig 'was kommen, Herr, wie auf mein' arme Mut
ter Wenn Sie einmal brüben in ber Ewigkeit mit
ihr zusammen kommen, bann können Sie mit ihr ab
rechnen vor Gottes Angesicht aber hier unten,
auf ber Welt, mit bem, was noch von ihr übrig ist,
mit bem sollen Sie nichts mehr zu schaffen haben.
Sie sollen ihr keinen Stein auf's Grab setzen, sie
hat schon an bem genug, ber ihr bas Herz abgebruckt
hat, bas Grab ist mein Gehen Sie Ihren Weg
und lassen Sie mich ben meinigen gehen es ist am
besten, wenn wir Zwei so weit auseinander bleiben,
wie möglich
„Unb hab' ich benn schon nach Dir verlangt?" er
wiberte ber Alte grimmig. „Ja, ich leugn' es nicht,
oas Herz ist mir weich geworben in bett letzten Ta
gen ich hab' viel an meine Tochter benfen müssen,
ich hab' mit ihr abrechnen wollen unb mit meinem
Gewissen brum hätt' sie auch ein äußeres Zeichen
davon haben sollen! Wenn's nicht sein soll, so sann
ich's inwendig auch mit ihr abmachen, ohne Grab
tafel und Denkstein, aber Dich hab' ich nicht gesucht
und will's nicht wissen, daß ich Dich gesunden hab'!
Dich kenn' ich nicht und will Dich nicht kennen mei
ner Tochter hab' ich mit Ehren verzeihen können,
wenn ich will, sie war boch ein ehrliches Weib—
Du aber
Er vollendete nicht, bentt Franzi stanb schon hart
vor ihm, starr wie ein Steinbild unb boch mit betn
flammenben Antlitz eines Racheengels. „Sprich bas
nit aus, alter Mann," rief sie mit unterdrückter
Stimme, „sprich nit ans, wasDu jetzt auf der Zun
ge hast— An diesem heiligen Ort, am Grab mei
ner braven, seligen Mutter sag' ich Dir und ruf sie
zum Zeugen an in der Ewigkeit, baß ich nichts ge
than hab', über was ich roth werden müßt' vor ihr..
Wenn es aber so wär'," fuhr sie noch leiser flüsternd
fort und faßte den Alten hart am Arme, wenn
ich etwa schlecht geworden wär' wär's etwa meine
Schult, Aus wen thät' die Verantwortung fallen,
als auf den, der seine Tochter in's Grab g'stoßen hat
unb sein Enkelkinb in's Finbelhaus
Der Todtengräber. ber mit Kränzen und Blumen
reich beladen zurückkam, unterbrach sie. „Da bin
ich schon, Madel," rief er schon von ferne, „ich hab'
die schönsten Sachen ausgesucht. Du sollst Deine
Freude dran haben, wie wir bas Grab ausrichten
und zieren wollen!"
Gleichzeitig kam auch der Anstreicher mit Schau
sei und Pickel zurück, Staudinger beutete ihm nach
der Tasel. „Nehmen Sie das nur wieder mit," sag
te er, indem er sich gleichzeitig zum Gehen wandte,
„bas ist jetzt nicht mehr nöthig
Vertounbert sah ihm der Geselle nach, inbem er die
Tafel auflud. „Dem fallt auch alle Finger lang
etwas Andres ein," sagte er, „aber ich hab' mir's
gleich gedacht, den hat gewiß das Geld zu dem Mo
nument toieoer gereut!"
Der Todtengräber schickte sich an, den Hügel auf
zugrabcn. Eh' er es that, pflückte Franzi ein paar
von den Schmeelen unb die einzelne Scabiose unb
steckte sie in's Mieder.
(Qortfcßung folgt.)
Heltfame Mode. In England trift nkS neu
efie Mode auf: das Hinten. Bekanntlich geht lei
der die schöne Prinzessin von Wales, Alexandra, in
folge von Krankheit noch immer etwas lahm, un'
dieses traurige Gebrechen beeifsern sich die englische
Damen nachzuahmen. Zu diesem Zwecke wird vo
einer Stiesellette der Absar, ganzlich entfernt, auf b»
andern dagegen bedeutend erhöht, und bas babut
künstlich hervorgebrachte Hinken nennt man „a 1*
Alexanbra."
Lagerbier in Japan. An? einer Dorre'
pondenz in der San Francisco Abend Post ersetz,
wir, daß daS deutsche Lagerbier eine neue Erobern,«
gemacht hat. In der japanesischen Hauptstadt "J)oU
hdma ist eine Lagerbier-Brauerei errichtet wotöi...
unb wirb der edle Gerstensaft an Europäer wie Ja
yaaejen ausgeschert*.
BEB WESTBOTE.
TERMS:
TWO
Interessante Notizen.
Die Wege der Weiber sind oftvuubev
bar. Im schönen Nizza verschwand vor einiger
Zeit die lebenslustige Frau be8 amerikanischen Ad
vokaten Hill von St. Louis, Mo. Sie war eine ge
borene Deutsche unb lebte von ihrem Manne ge
trennt. Die Leute waren in St. Louis sehr bekannt
unb bie Nachricht von bem Verschwinden der Frau
machte dort Aufsehen. Man glaubte, sie habe fich
ertränkt, ba man einige Kleidungsstücke von ihr am
Strande fanb. Jetzt soll Hr. Hill bie Verloren» in
einem Kloster zu Rom entbeckt haben. Ein (Sorte
sponbent ber Evening Post schreibt, ihr Mann habe
sich an ben Cardinal Antonelli um Auslieferung sei
ner Frau gewendet, und dieser habe zugesagt. baS
Verlangen zu erfüllen, falls Frau Hill bas Kloster
zu verlassen unb ihrem Gemahl zu folgen wünsche.
Die Frau wünscht aber im Kloster zu bleiben und
blieb. Die Sache klingt etwas märchenhaft, aber
bie Wege bet Weiber find oft wunderbar und die
ber Männer auch.
Noch unentweihteS Gebiet. ES gibt noch
Gebiete in bett Ver. Staaten, bie bie Politiker noch
nicht entweiht, bie Aemterjäger noch nicht auszusau
gen begonnen haben. Diese Gebiete, bie so leicht
für einige Tausenb hungrige Hmtsbebürftige cults
tiirt werden könnten, sollen nicht länger mehr brach
liegen. Mit Alaska ist leider gar nichts anzufangen
aber ba liegt zwischen Kansas und Texas noch ein
Lanbstrich, größer als Oer Staat New Pork, in wel
chem sich bereits 100,000 Bewohner (meistenteils
Jnbianer) herumtummeln. Ueber dieses Gebiet lie
ße sich eine Territorialregierung einsetzen. Der Bor
sitzerbes Territorien Committees, Herr Cullom,hat
sich ber Ausgabe unterzogen, bieses noch unauSge
beutete Lanbgebiet für politische Zwecke ergiebiger
als seither zu machen. Vor einiger Zeit hatte et ei
ne Bill zur Errichtung einer Territorialregierung
über jenes Gebiet im Haus eingebracht, unb am vo
rigen Samstag hatte er eine lange Unterrebung mit
bent Präsibenten barüber, um ihn für bas Project
gunstig zu stimmen. Der Präsibent, ber jede Gele
genheit mit Freuben ergreift, wo es gilt, einige der
zudringlichsten Aemterbettler sich vom Halse zu schaf
sen, stimmte auch von ganzem Herzen der vorgeschla
genen Maßregel bei.
In Scranton, Pennsylvanien. steht zur Zeit
eine Dahlia in voller Blüthe, desgleichen in (Satton
ein Rosenstrauch. Dandelien (Löwenzahn) werden
aus den Wiesen bei Allentown gepflückt und Heu
schrecken gibt's in der Nähe von Bethlehem. Wahr
lich, ein milder Winter, ber heurige.
Flüssiges Ammoniak, vermittelst einer kleinen
Spritze in die Adern gespritzt, wird in Australien als
unfehlbares Mittel gegen ben Biß giftiger Schlan
gen benutzt.
Eine Minnesota Stadt besitzt wahrscheinlich die
jüngste Mutter im Lande. Ste ist erst elf Zahre und
9 Monate alt.
Mit eiserner Entschlossenheit hat fich
dieser Tage ein Deutscher Ramens Leopold Statt in
Hobofen das Leben genommen. Er öfsn.te stch zu
erst eine Pulsaber, brachte sich bann einen Schnitt
in bett Hals bei unb zerschmetterte sich enb'ich ben
Kopf burch einen Pistolenschuß. Daß er seine Rech
nung int Gasthaus nicht bezahlen konnte, scheint ihn
zum Selbstmorb getrieben zu haben.
Ein Neger, welcher früher bie Spuktöpfe in der
Office eines Advokaten in Pennsylvanien reinigte,
ist in Süd Carolina als Richter der Supreme Eourt
erwählt worden.
Eine glückliche Erbin. Aus Newark, New
Jersey wird geschrieben: Vor ungefähr zwanzig
Jahren war ein gewisser Reiste nach Amerika gekom
men unb hatte sich durch seinen Fleiß und Sparsam
keit in Kalifornien ein ansehnliches Vermögen er
worben. Er war niemals verheirathet gewejen unb
hatte sich in seinem Junggesellenstande yanz wohl
befunden als aber das Alter herankam, trieb ihn
das Gefühl feines Alleinstehens, nicht etwa sich zu
verheirathen, sondern sich nach seinen Verwandten
in Europa umzusehen. Wiederholt schrieb er an sei
ne Nichte in Würtemberg, um sie zum Herüberkom
men zu veranlassen aber sie wurde dort von einem
anderen Schatz in Gestalt John M. Neiber's zurück
gehalten, ben sie ben Reichthümern bes amerikani
schen Onkels vorzog. Endlich aber heirathete ste
Hrn. Neiber unb bas Paar segelte im Sommer nach
Amerika, um ben Onkel auszusuchen. Diesem war
aber unterbefien auch bie Zeit lang geworden unb er
hatte sich zu derselben Zeit ausgemacht, um sein Hei
mathland zu besuchen und sein Nichtchen in höchst
eigener Person zu überraschen. Als das junge Paar
hier ankam, war guter Rath theuer, benn ber Golb
onkel war tttrgenbs zu sinben unb so ließ es stch in
Prince Street in Newark nieder, um abzuwarten.
Herr Reiste war glücklich in Bremen gelandet, siel
aber bort eines Nachts mehreren Raufbolden in die
Hände und wurde durch einen Messerstich gefährlich
verwunbet, so daß et nach einigen Wochen daran
starb. Vor einigen Tagen ging nun dem abwarten
ben Paare in Newark bie Nachricht zu, baß bie Nich
te von betn Verstorbenen zur Universalerbin einge
setzt sei unb baß ihr baburch ein Vermögen von mehr
als $100,000 zufalle.
Zwei Männer in einem Tunnel über
fahren unb getödtet. Der Pastagierzug der
Pittsburg. Cincinnati und St. Louis Bahn, welcher
um U 45 Morgens hier fallig ist. überfuhr gestern in
Cork's Run Tunnel, ungefähr 4 Meilen unterhalb
ber Stabt, zwei Männer. Deren furchtbar zer
malmte Leichen würben kurz barauf aus bem Tun
nel gebracht. Der Tunnel ist an bem Platze, an
welchem sich bas Unglück ereignete, an einer Krüm
mung so bunkel, baß bie beiben Fremben wohl nicht
sehen konnten, woher ber Zug gefahren kam, und
ebensowenig eine der bort angebrachten Wanbnischen.
James Purcell, ein Eisenbahnarbeiter, war seit
ben letzten Tagen, von Newark aus, in Begleitung
der Verunglückten gewesen. Einer derselben, etwa
20 Jahre alt, war ein Farmarbeiter, der über Phi
ladelphia nach Deutschland zurückkehren wollte. Der
andere, ungefähr 35 Jahre alt, worein Brauer, wel
cher ebenfalls nach Philadelphia gelangen wollte.
Derselbe hatte angeblich in Allegheny City Bekann
te, bie ihn mit Geld versorgen würden. Purcell hat
te bie Namen ber Beiben nicht erfahren.
(Pittsb. Vlksbl.)
In Benton, III., erschoß stch ein MäbchenRa
mens Eliza Saticher. Dieselbe gehörte zu einer sehr
armen Familie, in ber zehn Kinder waren. Man
glaubt, daß Noth das Mädchen zum Selbstmorb ge
trieben habe.
Eine vor Kurzem in der Druckerei der Lon
don Times aufgestellte Presse bedruckt 11,000 Bogen
auf beiben Seiten in einer Stunde. Das Papier
wird, wie es aus der Mühle kommt, in einer Länge
von 3300 Yards (9900 Fuß) auf einen Cylinber ge
rollt in bas eine Enbe ber Maschine eingelchoben,
burchseuchtet sich auf ber einen Fläche baburch, baß
es über einen in einem Wassertroge rotirenben Cy
linber wegstreicht, läuft von biefem zurück über ein
Paar Dmcfct)linber, welche den Druck der einen
Seite bewerkstelligen, von diesem zurück zu einem
zweiten Paare, welches die zweite Seite beoruekt, u.
hierauf durch die Schneidecylinder, welche das Pa
pier in Bogen zerschneiden. Diese stiegen wie zwei
Wasterströme nach beiden Seiten auf flache Tische
hin, an denen sie von je einem Jungen in Empfang
genommen roerocti. Im Ucbrigen bedien^ sich bie
Maschine seloer, vom Herauspumpen ber schwärze
aus dem Keller angefangen bis zum Registriren ber
Nummern in der ein Stockwerk höher gelegenen Stu
be des Drnckereivorsteheis. Die Druckcylinder,auf
welchen die Stereotypsten aufliegen, machen 200
Umdrehungen in jeoer Minute und die ganze Ma
schine mißt nicht mehr als 14 und 5 Fuß tn der Län
ge unb Breite.
Sechs Menschen verbrannt. Man be
richtet aus Düren, 19. Jan. Ein schreckliches Un
glück hat sich, wie ber „Dürener Anzeiget" tnelbet,
in ber Nacht vom 10. bis 17. Jan. in bem zur Bür
germeisterei Stockheim gehörenben Dörfchen Bog
heim ereignet. Gegen 2 Uhr entstaub in bem Hau
je bes Hüttenarbeiters Utten Branb, welcher bie Be
wohner in ben Betten überraschte, so daß das Ehe
paar kaum halb angekleidet den Hausflur erreichen
konnte. Während die Frau Nachbarshülfe herbei
tief, versuchte der Mann seine im Nebenzimmer schla
fenden Kinder, vier Mädchen von 21,17,14 unb 7
Jahren unb einen Knaben von 11 Jahren, zu retten,
wurde aber mit bett Kinbern ein Opfer bes furcht
baren Elements. Am andern Tage fand man unter
dem Trümmerhaufen nur noch die Leiche eines Mäd
chens ziemlich erhalten, die fünf anbeten waren zu
Asche verbrannt. Die Nachbarn hatten bie trostlose
Frau mit Gewalt von der Unglücksstätte entfernt.
Ein Dienstmädchen inBerlin hat Be
schwerde eingereicht, weil ihr früherer Dienstherr fol
gendes poetisches Entlastungszeugniß in das Dienst
buch geschrieben hat:
Sie kann nicht waschen, kann nicht backen,
Sie kann nur essen, trinken schlafen.
Kann nicht scheuern, kann nicht kochen,
Itiesenstark sind ihre Knochen.
Die Gedanken schwach wie Fadchen,
Wär' am liebsten Kindermädchen

E I N A I I E S E
PUBLISHERS.
dollars per year,(invariably fn adtflocè.

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