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VP* i«i«?ard & Kies«r, Hera« BedivgNUgSUL W«W»ei titol let Zstzr. to etnmH(|t|l««gi Jahrgang 39. Z« der letzte« Stunde. Erzählung von Emilie Heinrichs. "i-i (gettlelene.) -Wenn Hr. Palmer von fernem Gaste viel leicht ein Wort der Anerkennung für den muthigen Correspondenten erwartete, so irrte er sich gründlich. Hr. Bennett zuckte die Ach fein und sagte, sich zu seinem Ohr neigend: Bebaute, Sir. nichts erwidern zu können. Der Lärm verschlingt jedes Wort." Der Kaufmann schwieg. Als der Lärm der City verstummt war und Westminster seine vornehme Physiognomie herauskehrte, begann der junge Gentleman lebhafter als vorhin: Um Verzeihung, Sir, Sie sprachen, wenn ich nicht irre, von Hrn. Francis, ist er ein Eng länder?" „Nein, Sir, ein Deutscher,—doch hat et die längste Zeit seines Lebens glaube ich in Frankreich zugebracht." „Sein Gesicht kommt mir bekannt vor," fuhr Bennett sinnend fort, „ich muß ihm ir gendwo schon einmal begegnet sein viel leicht in Indien?" „Dort war er, bevor er zu mir gekommen, er hat ein gutes Stück von der Welt gesehen," versetzte Palmer, „Hr. Francis ist mir, wie bemerkt, mehr Freund als Diener oder Ge hülfe, und in der That unentbehrlich gewor den. Sein Wissen ist ebenso erstaunlich, wie sein Charakter makellos, fest und von sittlicher Kraft, er ist mit einem Wort „Ein Phönix'." fielder Amerikaner lachend ein, „um Vergebung, Sir!—ich fühle ein ge lindes Grauen vor einer solchen Vollkommen heit und möchte dieselbe nicht um die Welt stets in meiner Nähe wissen.—Doch apropos, wie verhält sich denn Mist Alice dieser väter lichen Bewunderung gegenüber „Sie haben durchaus keine Ursache zum Spott, Sir," bemerkte Palmer mit stoischer Ruhe, wobei es sarkastisch um seinen glattra sirten Mund zuckte, „meine Tochter ist trotz ihres Stolzes und ihrer Unempfindlichkeit nicht so herzlos, um den Lebensretter ihres Vaters seiner untergeordneten Stellung halber zu ignoriren, wie Sie an der Einladung zum Diner erkennen mögen." „In der That, ich hatte das ganz ver gesien," erwiderte Bennett nachlässig, „die Dankbarkeit scheint also ebenfalls zu Miß Alicen's besonderen Eigenschaften zu zäh len." „Allerdings, Sir, und sogar einem so hohen Grade, daß sie mir allen Ernstes den Vorschlag gemacht, Hrn. Francis zu meinem Compagnon zu ernennen." Bennett konnte trotz aller Selbstbeherrsch ung seine unangenehme Ueberraschung kaum verbergen. „Ah, Sir," rief er erregt, „dieser Cor« spondent scheint ein wahres Glückekind zu sein und am Ende gar in Miß Alicen's Stolz und Klugheit eine Bresche gelegt zu haben?" „Sie befinden sich im Irrthum, Sir," ver fetzte Palmer ruhig, „meine Tochter und Hr. Francis stehen sich so fremd und kalt gegen über wie zwei Antipoden. Uebrigens folgte ich ihrem Rathe und hatte als Resultat eine Abweisung." „Sie scherzen, Sir! dieser Gentleman müßte wahnfinnig gewesen sein, um ein sol ches Glück zurückweisen zu können." „Hm, er wies es dennoch zurück," sagte Palmer, „ohne meinerseits sich dem Verdacht tc§ Wahnsinns auszusetzen. Er ist eben _4± mit dem gewöhnlichen Maßstabe zu mes sen und stellt seine Person hoch genug, um Heden Preis dafür zurückzuweisen. Ich be "dauere es in der That aufrichtig, einen sol chen Sohn nicht mein nennen zu können." „Der alte Napoleon soll gesagt haben, daß «in jeder Mensch seinen Preis besitze," meinte Bennett nach einer Weile, „vielleicht oder jhöchft wahrscheinlich fände sich auch ein sol cher für Ihren Phönix. Sir! Wenn dieser Preis aus Miß Alicen's Hand käme „Bah," lächelte der Kaufmann, „das wäre eine Unmöglichkeit in erster Reihe würde Hr. Francis kein solches Geschenk aus der Hand eines Weibes annehmen und sich da durch zu ihrem Sclaven herabwürdigen und zum Andern ist Miß Al cen's Stolz eine sichere Schutzwehr gegen solche Venttungen, da sie nur einem reichen Manne ihre Hand ge Ben wird. Ich denke mir. Sir/' setzte er, sich das Kinn streichend, hinzu, „daß ihr seltsa mer Vorschlag mit dem Compagnon einer Ca price entsprang, um nämlich einmal, wenn Hr. Francis darauf eingegangen wäre, den Eindruck zu erkennen, weichen der Verlust ei nes halben Vermögens auf ihre Freier hervor bringen würde. Es handelt sich nämlich im Ernste um die Hälfte, welche nach ihrem Wil len meinem Compagnon zufließen sollte. Wie schabe, daß die gefährliche Probe mit dem verliebten Gentleman nicht zu Stande gekommen ist, man hätte dabei ein vortreff liches Herzens-Thermometer beachten kön nen." Herr Palmer schien bei diesem Gedanken ein wirkliches Vergnügen zu empfinden, was bei dem kaltberechnenden Kaufmann selten genug vorkommen mochte, während Bennett spöttisch lächelnd den Kopf schüttelte, seinen wohlgepflegten blonden Bart strich und ach selzuckend bemerkte, daß ihm eine solche Ca price unverständlich sei, sowohl von Miß Alice, als auch besonders von einem engli schen Kaufmann der Ciiy und vor Allem ab feiten des Correspondenten, der ihm doch eher in ein Tollhaus als in ein solides Handelsge schäft zu passen scheine. „Hm," meinte Herr Palmer, „da» begreife ich, Sir! wir Engländer haben einen Hof, eine ächte Aristokratie, es steckt deshalb neben einem vollen Maß vernüuftiger Freiheit das jenige in uns, was wir Race nennen, wäh rend Amerika nichts weiter kennt und respek tirt als das Geld." „Welches allerorten, soweit Handel und Verkehr ihre Riesenarme strecken, der Götze list, dem Jedermann ohne Ausnahme huldigt, %ein werther Sir," fiel der Amerikaner spöt tisch lächelnd ihm in die Rede, „die uralte Aristokratie ohae Geld oder Besitz bedeutet heute wenig mehr in der Welt und macht sich deshalb auch durchaus keine Scrupel, die Töchter der Geldsürsten zu sich zu erheben, um den Ahnenschild neu zu vergolden. Der Börsenadel beherrscht die Welt und ihm Müs sen zeitweilig selbst Kaiser und König sich beugen, zumal wenn sie einmal Krieg spielen möchten." „Hm, es liegt Wahrheit darin," nickte Pal met, als Jener schwieg. „Nun wohl, Sir! Dann müssen Sie auch hinsichtlich Ihres Correspondenten mir Recht geben," fuhr Bennett rasch fort, „entweder ist derselbe ein Narr, oder seine Vergangen heit zwingt ihn, ein fabelhaftes Glück von sich zu weisen.—Sie schütteln den Kopf, Hr. Pal mer I—und ich begreife es sehr wohl, daß je ner Mann, welcher Ihr Leben gerettet, auch Anspruch auf Ihren Dank hat.—Doch in die sem wunderbaren Falle bedünkt es mich, daß Hr. Frrncis entweder der Klügere, welcher das Ganze für eine Mystsication gehalten, oder der Narr gewesen, der in's Tollhaus hineiu gehört. Herr Palmer schüttelte auf's Neue den Kopf und blickte sichtlich verstimmt aus dem Wagen. Dann wandte er fich langsam zu seinem Gaste. „Ich rathe Ihnen wohlmeinend, Hr. Ben nett, Ihre Meinung über Hrn. Francis für sich zu behalten, sofern Sie nicht von vorn herein bei meiner Tochter Schiffbruch leiben wollen. Denn wohlverstanden, Sir, der Pact mit Ihrem Onkel, welcher beiläufig öe merkt, schon von langer Zeit her datiit, galt im Grunde nur seinem leiblichen Sohne, den ich ganz zweifellos zu meinem Eidam erwählt haben würde. MU dem Neffen aber machte ich die Ehe von der Einwilligung meinet Toch »•vims ...s.'«»».-/,«:: ter abhängig und dürfen Sie deshalb mei« »erseits auf keine besonderen Concessionen rechnen." „Sie legen mir aber auch keine Hinder Stffe in den Weg, Hr. Palmet Erlauben mir, als offener Bewerber um Miß Alicen's Hand aufzutreten?" „Es würde mir angenehm sein, den Neffen meines alten John Bennett als Eidam zu sehen," »ersetzte Palmer ruhig, „doch wäre es ja immerhin möglich, daß Miß Alice Jh nett nicht gefiele—" „Ich liebe sie bereits—im Bilde—" lächel te Bennett, „hier an meinet Brust ruht die Photographie, welche Sie meinem Onkel ge sandt haben." „Nun, dann seien Sie muthig und klug, Sir, denn meine Tochter ist nicht leicht zu feffeln.—Dort," setzte er dann mit einer leich ten Handbewegung hinzu, ist Hyde Pari und Sitz mein Haus." 3. Kapitel. Eine englische Miß. Mr. Palmer's Haus am Hyde-Park zeich nete sich durch eine ebenso große Pracht und Eleganz als einfache Vornehmheit aus, kein Lord hätte sich dieses BesitzthumF schämen dürfen. Die Gebieterin desselben, Miß Alice, war ebensowohl durch ihr herrliches Gespann als durch ihre wunderbare Schönheit bekannt und umschwärmt selbst von den jungen Söh nen der Aristokratie, welche die schöne und reiche Erbin der väterlichen Millionen wohl gern heimgeführt hätten. Man sprach in diesen Kreisen sogar davon, daß Mr. Palmer's verstorbene Gattin einer vornehmen deutschen Adelsfamilie entsprof sen gewesen und Miß Alice die imponirende Erscheinung von der Mutter geerbt habe. Ob indeß etwas Wahres an dieser Geschichte war, wußte Niemand mit Bestimmtheit zu sagen, da Vater und Tochter dahin zielende Bemerkungen unbeachtet ließen, ein Um stand, welcher die Neugierde nur immer mehr erregte und die beiden seltsamen Menschen mit einer mystischen Glorie umwoben hatte. Miß Alice befand sich, bevor die beiden Herren kamen, mit zwei Damen im Em pfangszimmer, einem prächtigen Raum, des sen Ausstattung von himmelblauen Seiden stoffen die wunderbarste Folie zu ihrer licht blonden Erscheinung bildete. Sie selber war in höchst Einfacher Toilette ein weißes ge sticktes Gewand (sie trug fast keine andere Farbe im Hause) mit blauen Schleifen gar« nirt, das aschblonde, prachtvolle Haar einen griechischen Knoten gewunden, mit natür lichen Söckchen auf der Stirn um den wei ßen Hals eine kostbare Perlenschnur, und weitet keinen Schmuck, keinen überflüssigen Putz. „Sie ist eine raffinirte Kokette in ihrer unausstehlichen Einfachheit", flüsterten die Damen ihrer Bekanntschaft sich neidisch in's Ohr. „Pah", meinten ihre Anbeter, „Miß Pal mer braucht keinen Schmuck, um ihre Schön heit zu erhöhen, die Natur gab ihr so ver schwenderisch, daß sie solcher Kunstgriffe nicht bedarf." Und so root's auch in bet That. Zu bet hohen schlanken Gestalt und dem edel geform ten Kopf mit klassisch schönem Antlitz paßte nur die griechische Frisur in ihrer antiken Einfachheit, und Miß Alice hätte keinen so feinen und edlen Geschmack besitzen müssen, um sich selber durch die moderne Unnatur zu entstellen. Und doch lag etwas in diesem so wunder bar schönen Antlitz, was mehr abstoßend als anziehend zu wirken vermochte. Um die fest geschnittenen Lippen und in den stahlgrauen Augen lag ein Zug unerträglichen Stolzes und abweisender Kälte, der nicht selten auf den Gefrierpunkt einer müden Langeweile sinken konnte. Hatte Miß Alice wirklich kein Herz? Jhre Anbeter behaupteten es sämmtlich, doch besaß sie dafür Millionen! Sie ruhte in diesem Augenblicke mit nach lässiger Grazie in einem Sessel am Kamin, dessen loderndes Feuer ihr blasses Antlitz in Rosengluth tauchte. Die Kronleuchter waren bereits angezündet, da der Zeiger der Pen dule auf dem Kamin auf die siebente Stunde wies und das Diner schon angerichtet wurde. Miß Alice gegenüber saß eine junge Da me, welche sich beharrlich ihre beste Freundin nannte, ohne dazu im mindesten abseilen der Ersteren berechtigt zu sein. Miß Virginia Birch, ebenfalls eine Blon dine und echte Tochter Albions, trug eine höchst moderne Frisur, doch war ihr Haar von jener röthlichen Färbung, welche man mit dem Namen „impertinent blond" bezeich net der Teint der jungen Dame, von einer fast durchsichtigen Zartheit und Weiße, war mit Sommersprossen übersäet und das Ge sieht deshalb nichts weniger als hübsch. Trotz alledem aber war Miß Virginia eine sehr be gehrenswerthe Partie, da ihr Vater Paria mentsmitglied und Kapitalist, und ihr einzi ger Bruder der eleganteste Stutzer London's war. Die dritte Dame, welche ein wenig im Hin tergrunde saß, Mrs. Palmer, war die ver wittwete Schwägerin des Hausherrn, Miß Alicen's leibliche Tante und so zu sagen, da sie nach dem Tode ihres Gatten, schon vor zwölf Jahren, zu dem Schwager gegangen war, ihre zweite Matter geworden, denn Mr. Paltner hatte die von ihm über Alles geliebte Gattin nach einer zehnjährigen glücklichen Ehe durch den Tod verloren. Die hellblauen Augen der in himmelblaue Seide gekleideten Mß Birch hafteten in die fem Augenblicke mit boshafter Neugierde an dem unbeweglichen Antlitz ihrer Freundin, die mit einem fragenden Blick zu ihr hin übersah. „Du sprichst, wenn ich nicht irre, von Pa pa's Correspondenten?" fragte Alice langsam. „Nun ja, von Mr. Francis", versetzte Miß Birch lauernd, „mein Bruder Edgar, der ihn sonst nicht zu beachten pflegt, wunderte sich, daß ein Untergebener Mr. Palmer's sich wie ein Gentleman geberden und den prächtigsten Fuchs in ganz London reiten dürfe." „Nun, und was weiter fragte Miß Alice gleichgültig. „Edgar meint, daß Dein Papa durch die sen Correspondenten conipromittirt werde." Die Tochter des Hauses zuckte die Achseln. „Was Dein Bruder meint und worüber er sich wundert, wird.meinem Papa sehr gleich gültig sein, Virginia! Mr. Francis wird das Zeug zu einem Gentleman und den Fuchs, auf welchem er spazieren reitet, bezahlt ha ben, wozu also das unnöthige Ereifern!" „Ich sagte ihm so ungefähr dasselbe", ver setzte Miß Birch, ihre Taktik ändernd, „und wenn nicht Alles trügt, so plagt meinen Bru der die Eifersucht. Du weißt, er zählt zu Deinen glühendsten Verehrern Miß Alice richtete ihre kalten, stahlgrauen Augen aus die Freundin, daß diese verwirrt den Blick senken mußte. Dann sprach sie mit einer unnachahmlichen Geberde der Verachtung: „Ich bedauere die Zeit, welche Herr Evgar zu dieser Verehrung vergeudet. Er hat ebensowenig Grund hierzu wie zu einer Eifersucht, welche sich erkühnt, meinen Vater und mich herabzusetzen. Ah, Tante", wandte sie sich an Frau Palmer, welche mit halbgeschlossenen Augen zugehört, „es wird spät zum Diner, wie ich sehe." In diesem Augenblicke öffnete ein Diener die Thür, um Herrn Palmer mit einem Besuch zu melden. Miß Alice blieb ruhig in ihrem Sessel liegen, da sie den Besuch des Cor respondenten voraussetzte. Sie sah ein wenig überrascht auf, als der Vater ihr „Herrn Horatio Bennett aus Nero York" vorstellte, doch war auf ihrem Mar morantlitz nicht die leiseste Spur davon zu bemerken, welchen Eindruck dieser Besuch auf sie gemacht. Herr Palmer bot Fräulein Birch und sei ner Schwägerin den Arm, um sie in das par terre gelegene Speisezimmer zu führen, wäh rend Herr Bennett die Tochter des Hauses hinabgeleitete. Der Amerikaner mußte sich gestehen, daß Fräulein Alice das schönste Weib fei, welches ihm jemals vorgekommen und daß der Pho tograph es nicht im Entferntesten verstanden, ihren wunderbaren Zauber wiederzugeben. Er bot seine ganze Unterhaltungsgabe, allen Geist, der ihm zu Gebote stand, auf, um ihr Interesse zu erregen und zu fesseln, es war umsonst, kalt und stolz unterbrach sie ihn: „Ich bitte, den Speisen Ihre Aufmerksam Zeit zuzuwenden, Str 2 Das herrlichste Mahl soll, wie ich gehört oder irgendwo gelesen habe, durch solche Unterhaltungen schädlich werden können." Bennett schwieg verletzt, doch verstand er es, seine Verstimmung zu verbergen, und als Herr Palmer, der ihm gegenüber saß, mit einer gewissen Lebhaftigkeit, um ihm zu Hülfe zukommen, feinet Tochter zurief: „Ah, ich vergaß, Altce, Dir zu sagen, daß Herr Ben nett seine halbe Lebenszeit in Indien, dem Zauberlande Deiner Lieblingswünsche, zuge bracht hat", da bemerkte dieser sarkastisch: „Ich bitte, Sir, Fräulein Alice mit derglei chen Dingen, welche die Phantasie nur allzu sehr aufregen, gütigst verschonen zu wollen. Ein englischeM)tohl scheint das geistige Ele ment, weicht "m.t als eigentliche Würze so nothwendig dunst, gänzlich entbehren zu kon nen oder es gar geflissentlich zu verbannen." „Sie irren, Sir!" bemerkte Alice schlag fertig unb ohne mit den Wimpern zu zucken oder einen Zug ihres marmorkalten Antlitzes zu verändern. „Wir halten im Gegentheil nur ein fades und geistloses Geschwätz für schädlich und leisten deshalb, um den gastro nomischen Genuß uns nicht verkümmern zu lassen durch eine solche aufgezwungene Mar ter, lieber Verzicht auf jegliche Unterhaltung." „O, Alice!" rief Palmer halb erschrocken, halb zürnend. „Bah, Herr Palmer!" bemerkte Miß Vir ginia Birch lachend, „ich wette Zehn gegen Eins, daß dieses Vorpvstengesecht bald genug zu einer gegenseitigen Waffenstreckung führen wird. Lassen Sie sich nicht einschüchtern, Herr Bennett", setzte sie mit koketter Schalkhaftig keit hinzu, „meine theuere Freundin liebt es, die Stärke eines unbekannten Gegners auf derartige Proben zu stellen „Gegners?" unterbrach Alice sie kalt und wegwerfend, „Du sprichst in Räthseln, Vir ginia!" „Deren Lösung auch mir ein nicht geringes Kopfzerbrechen verursachen dürfte, meine Gnävtgste!" fiel der Amerikaner rasch ein, „obwohl ich nicht leugnen mag, daß eine solche Gegnerin mich mit Stolz erfüllen könnte!" „O, lassen wir diese unnöthigen Plänke leien, mein werther Sir!" rief Palmer mit schlecht verhehltem Unmith „daß es dem leiblichen Neffen meines alten Jugendfreun des in meinem Haufe gefalle, muß, so denke ich, meine erste Sorge fein, und hoffe ich nach dieser Erklärung auf eine freundliche Rücksichtnahme, um englische Gastfreund schaft nicht in Verruf zu bringen." „Um Verzeihung, Herr Palmer", versetzte Bennett lächelnd, „ich verstehe Ihren feierli chen Ernst durchaus nicht. Wir Amerikaner find es gewohnt, der Lady unbedingt im Hause uns zu beugen der roheste Mensch dürfte es nicht wagen, sich gegen dieses Ge setz zu versündigen. Weshalb nun sollte ich mich verletzt fühlen, wenn die Herrin dieses Hauses meine Unterhaltung sich verbittet, weil ich unglücklicher oder ungeschickter Weise ein fades Thema erwählt und damit bewiesen habe, daß ich keine zu hohe Meinung von ih rem Geiste gehabt?" „Bravo! bravo!" rief Miß Birch, wie ein fröhliches Kind in die Hände klatschend, „jetzt wird es interessant, Herr Palmer!" Miß Virginia gehörte zu jenen Damen, welche mit fechsundzwanzig Iahten noch im met sich einbilden, die Naivität eines Kindes zu besitzen und damit die Männerherzen be zaubern zu könneu, eine Verblendung, die Alice als ein Attentat auf jeden Erwachsenen und als die Ursache bezeichnete, warum Miß Birch trotz ihres väterlichen Reichthums noch unvermählt geblieben. Man nannte sie des halb nut: "L'enfant terrible!" Auf das Bravo dieses Kmdes hatte Alice nur ein mitleidiges Achselzucken, da sie es sich fest vorgenommen zu haben schien, den amerikanischen Gast ihre Abneigung in jeder Weise fühlen zu lassen. Sie empfand in seiner Nähe etwas wie bei'm Anblick einer Spinne, einen unerklärlichen Widerwillen, den sie zum Theil auf feine Nationalität schob, da Amerika mit feinem Aankeethum ihr stets antipathisch gewesen, wie solches Palmer sehr wohl wissen mußte. „Was sich lieben soll, neckt sich zuvor", flüsterte Virginia dem Hausherrn kichernd zu, „ich wette mit Ihnen, Herr Palmer, daß Herr Bennett reussirt und unsere Alice nach New York entführt." „Hm, hm!" machte Herr Palmer, sein Glas füllend, „lassen Sie diese Prophezeiung nicht laut werden, Miß Birch. Und nun gar keine Wette, -r wenn Alice davon hörte, würde sie keinesfalls den Gewinn Ihnen gönnen." Et hob nach diesen leise gesprochenen Wor ten sein Glas, verbeugte sich gegen Herrn Bennett und sprach laut und feierlich: „Er lauben Sie mir, Sir, auf die Gesundheit und das Wohlergehen Ihres Herrn Onkels, Herrn John Bennett's, zu trinken!" Herr Horatio ergriff ein wenig zu hastig sein gefülltes Glas und stieß in der Eile so heftig mit dem Hausherrn an, daß die Gläser zerfprangen und der Wein wis ein rother Strom über die Tafel sich ergoß. „O, über meine Ungeschicklichkeit!" rief er erschreckt, „ich bitte um Verzeihung „Ist nicht der Rede werth, Sir!" unter brach Alice ihn kalt, indem sie sich erhob, „Du erlaubst, daß wir uns zurückziehen, Papa?" wandte sie sich ruhig an Herrn Pal mer, den das kleine Ereigniß ganz sasiungs los gemocht zu haben schien. „Ja, ja, mein Kind!" sprach dieser müh sam, „hm, hm, wir sehen uns beim Thee wieder. Sie erlauben, Herr Bennett, wir rauchen noch eine Cigarre vor dem Thee." Der Amerikaner hatte sich erhoben, um den Damen seine respectvolle Verbeugung zu ma chen. Er schien sich vollständig wieder gefaßt zu haben und bedauerte fem Mißgeschick, wel ches ihn in der Regel den Damen gegenüber verfolge. „Gott steh' mir bei!" meinte Miß Birch, in die naive Rolle fallend, „siehts nicht aus, als ob die Tasel in ein Schlachtfeld sich ver wandelt und Blut den winterlichen Boden besudelt hätte?" Sie lachte herzlich übet ihren Witz, der sich aus das schneeweiße mit Wein getränkte Tisch tuch beziehen sollte doch nur Mrs. Paltner hielt es in ihrer Gutmüthigkeit für eine Pflicht, in diese Heiterkeit mit einzustimmen, während Alice sich stumm entfernte und die beiden Herten unbehaglich vor sich Hinblick ten. „Ein schlechtes Omen!" murmelte Palmer kopfschüttelnd. „Auf Wiedersehen, werther Sit!" rief Miß Birch, dem Amerikaner mit heraussor dernder Koketterie zuwinkend. „Beruhigen Sie, bitte, unseren theuren Mr. Palmer, der einen Zufall in der That ernst zu nehmen scheint. Man möchte sich fast vor Ihnen fürchten, Mt. Bennett!" fetzte sie, der Thür, durch welche Alice bereits verschwunden, zu tänzelnd, in ihrer naiven Gewohnheit hinzu, „Sie sehen in diesem Augenblick ein wenig dem Vampyt ähnlich, der seine drei Opfer sucht. Nehmen Sie sich in Acht, wir sind noch keine Bräute." Sie brückte lachenb bie Thür hinter sich zu. Herr Paltrier murmelte einige unverständ liche Worte, deren Sinn nicht eben schmei chelhaft für das et fant terrible lautete, wäh rend Herr Horatio ein wenig blässer gewor ben war und mit erzwungenem Lächeln, das eher einer Grimasse ähnelte, der neckischen Miß nachschaute. Dann blickte er starr und finster aus das rothgefärbte Tischtuch und lachte plötzlich so kurz und spöttisch auf, baß der Hausherr erschreckt zusammenfuhr. „Miß Birch ist wahrhaft witzig," lief bet junge Mann, „in bet That von einem klassi schen Humor, Sir!" „Finden Sie?" meinte Palmer zerstreut. „Nun freilich, hörten Sie denn nicht, Herr Palmet, wie sie mich mit dem Vampyr verglich?" „Ach, welche Narrheit!" versetzte bet Kauf mann halb belustigt, „Miß Birch gefällt sich in absurden Meinungen. Doch wollen wit jetzt in mein Zimmer gehen, Sit, um bei ei net guten Cigarre ein wenig noch zu plau dern?" Er schritt voran, von dem Amerikaner ge folgt, dessen Augen mit einem Gemisch von Bosheit UND spott die Gestalt des alten Herrn musterten. Das Zimmer des Hausherrn, wo bie bei den Gentlemen in bequemen Schaukelstühlen Platz nahmen, um bei bet duftigen Havanna ein Plauderstündchen zu halten, war mit dem ganzen Comfort des englischen Familienle dens ausgestattet. Einige mattgeschliffene milchweife Ampeln verbreiteten jenes sanfte wohlthuende Licht, unter welchem die behag l'che Flamme des Kamins nichts von ihrem Zauber verliert. Dieser Raum war jedem Geschäfte verschloffen und kein Hauch deffel den jemals über bie Schwelle desselben ge schlüpft. „Glauben Sie an Vorbedeutung, Sir?" fragte Palmer, nachdenklich in bie prasseln ben Flammen blickend. „Bah, welche Frage, mein werther Sir?" lächelte der junge Mann spöttisch, „unsere Zeit hat mit solchen Ammenmärchen nichts zu schaffen, denke ich." „Äie glauben also nicht baran," fuhr bet Kaufmann langsam sott, „konnte mit's ben ken ich war in meiner Jugend auch ein Sceptiker, späterhin urtheilt man freilich an ders. Apropos, sagten Sie nicht, daß Ihr Onkel bei Ihrer Abreise leidend gewesen sei „Freilich, Herr Palmer, und zwar in einer so bedenklichen Weife, daß ich ohne feinen ausdrücklichen Befehl Anstand genommen hät te, abzureisen." „Hm, hm, bedenklich also, mein armer alter John möchten Sie nicht lieber ein Telegramm absenden, Herr Bennett, um dem Onkel Ihre Ankunft zu melden und nach seinem Wohlbefinden sich zu erkundigen?" „Ist bereits geschehen, Sir!" versetzte Ben nett, „ich hoffe, Ihnen morgen die erfreuliche Nachricht zu bringen und damit alle Vorzei chen gründlich zu dementiren." „Sollte mir lieb fein," nickte der alte Herr, „war mir ein recht fataler Zwischenfall, nur einzig Ihretwegen, mein junget Freund! Und diese Miß Virginia mit ihrem alber nen Vergleich „Ach, mit dem Vampyr „Unsinn das, ich meine mit betn Blut im Tischtuch Herr Horatio fuhr zusammen unb fem Ge sicht wurde erbfahl. „Die junge Dame scheint krasse und schauer liche Vergleiche zu lieben", sagte er fast dro hend, „verderben wir uns diese behagliche Stunde nicht damit, mein verehrter Sir!" Der alte Herr konnte von dem zersprunge nen Glas indessen so leicht nicht loskommen, seine Stimmung war dadurch getrübt, das Gleichgewicht seines Innern momentan gänz lich gestört worden. Er war eine Art Fatalist und dazu ein religiöser Mann, was Wunder, daß ihm jener Zufall als ein büsteres Vot zeichen gelten mußte. Der Amerikaner athmete hoch auf, als bet Diener die Meldung brachte, baß ber Thee fervirt fei Beim (Eintreten in bas Gesellschaftszimmer rief Palmer sichtlich erfreut: „Herr Francis! das ist schön von Ihnen, daß Sie Wort gehalten und noch erschienen sind!" Der Correspondent verbeugte sich leicht und erwiderte ruhig: „Ich setzte voraus, daß Sie dieses nicht überraschen konnte, Mr. Palmer." „Nein, nein, Sie haben Recht", lächelte der Kaufmann, „wann hätten Sie Ihr Wort jemals uneingelöst gelassen?" Der Amerikaner benahm sich sehr taktvoll und behandelte den Correspondenten mit aus gesuchter Artigkeit, während er der Tochter des Hauses wenig Aufmerksamkeit zu schenken schien. Miß Virginia hingegen durfte sich seiner besonderen Huldigung erfreuen, wor über die junge Dame in eine immer über müthigere und kindlichere Koketterie verfiel. Stirnrunzelnd beobachtete der Hausherr dieses seltsame Gebahren seines Gastes Miß Birch war ihm stets unsympatisch erschienen, doch nie so sehr als heute Abend. Ließ sich der Amerikaner mit dem scharfen Blick, wel cher eitten kalten Verstand verrieth, durch eine solche alberne Koketterie in's Netz locken? Es war dem berechnenden Kaufmann nicht gleichgültig, wem die Millionen des alten John Bennett zufielen,—sie gehörten seinem Hause von Rechtswegen, so kalkulitte er, und durften weder durch die Schrulle eines Mäd chens, noch den Leichtsinn des Erben an die unrechte Adresse gerathen. Die Familie Birch war ihm verhaßt, das Haus besaß kein ganz lauteres Rcnom mee, und das Vermögen war durch das verschwenderische Leben des Sohnes bedroht. Es ging dem alten Herrn in diesem Au genblick Alles dutch's Gehirn bet Gedanke, daß jener Verschwender nach der Hand seiner Tochter strebe, daß die Schwester seinen Plan zu durchkreuzen drohe und er selber ohnmäch tig sich fühle diesem Gebahren gegenüber, da er das Gastrecht ehren müsse, brachte ihn auf's Neue um alle Fassung. Es giebt Menschen in allen Standen, die sich trotz der Abneigung, welche sie einflößen, in die Familien drängen und sich dort wie Kletten festsetzen, zu diesen Menschen ge hörten Miß Virginia Bitch und ihr Bruder Edgar. Während Frau Palmer in ihrer stillen be scheidenen Weise den Thee servirte, lag Miß Alice in ihrem Schaukelstuhl, und starrte mit vollkommenster Gleichgültigkeit zur Decke em pot. „Von wem haben Sie Ihren Goldfuchs gekauft, Herr Francis?" fragte sie plötzlich, ein Gähnen unterbrückenb, mit lauter Stim me. Fast erschreckt wandle Virginia sich um und auch Horatio verstummte, den lauernden Blick aus das edle Gesicht dcs Angeredeten heftend. „Eine seltsame Frage, mein Kinb!" be merkte Herr Paltner etwas unwirsch. „Warum seltsam, Sir?" siel der Corre spondent lächelnd ein, „Frl. Alice ist eine ebenso kühne als vortreffliche Reiterin, daß die Frage darnach sehr natürlich klingt: bas Pferd ist schon „Es soll kein schöneres in ganz Lonbon sich befinden," fiel Miß Bitch ein. „Ja, denke Dir, Papa!" rief Alice, „der Fuchs Deines Correspondenten hat den Neid der Londoner Elegants herausgefordert." „Sehr natürlich," versetzte Francis lächelnd, „da der Goldfuchs von edelster Race dem Marstall der Königin entstammt." Diese im ruhigsten Tone gesprochenen Worte machten einen merkwürdigen Einbtuck auf die Anwesenden. Herr Paltner starrte ihn erschrocken an, als habe er soeben eine Gotteslästerung ausge sprochen, Miß Virginia lachte laut aus über den köstlichen Spaß und Herr Horatio be gnügte sich mit einem tanggedehnten „Ah! Ah!" während die gute Mrs. Palmer vor Entsetzen eine Tasse Thee überlaufen ließ. Columbus, Ohio, Donnerstag, ben 22. Dezember 1881. Nur Alice zeigte auf keine Weise Ueberrasch ung, das schone Marmorgesicht hatte sich um keinen Schatten verändert, in den Augen allem blitzte es momentan auf. „Sie haben den Fuchs am Ende gar von der Königin selber gekauft, Sir?" begann ber Amerikaner mit beißendem Spott. „Das gerade nicht," versetzte Francis, „ob wohl sie persönlich den Befehl zum Verkaufe gegeben." „Köstlich!" lachte Virginia, in bie Hänbe klopfend. „Was beliebt, Fräulein Birch?" fragte ber Correspondent kalt und gemessen. „O, ich meine nur, daß Sie vortreffliche Späße machen „Wann haben Sie mich als einen berat tigen Spaßmacher kennen gelernt, Miß Bitch fragte Francis stolz. „Aber Sie werden uns boch nicht zumu then, Ihre Worte für baate Münze zu neh men, Herr Francis rief Virginia mit einem beleidigenden Achselzucken. „Warum nicht?" nahm der Amerikaner rasch das Wort, „der Herr Correspondent wird vielleicht dem königlichen Fuchs einen Dienst geleistet und sich somit bie Dankbar keit der Königin erworben haben. Hr. Fran cis scheint mft zu ben Glückskindern dieser Erde zu gehören. „Wirklich, Sir?" versetzte biefer ebenso kalt wie vorhin. „Sie scheinen sich sehr rasch ein Urtheil übet Menschen zu bilden. Was nun den beneideten Fuchs anbetrifft," fetzte er spöttisch lächelnd hinzu, „so fühle ich mich nur einzig meinem Chef, Herrn Painter, gegen über verpflichtet, die Geschichte desselben mit zutheilen und bitte ihn, mich heute von dieser Erzählung zu dispenfiren." „Der Dispens sei Ihnen gewährt," nickte Palmer, einen forschenden Blick auf feinen Correspondenten werfend, „lassen wir den Fuchs in Ruhe. Erzählen Sie uns dagegen etwas aus dem 2Bunderlanbe Indien, Herr Horatio!" Francis blickte gespannt auf ben Amerika ner, der gteichzeitg feine Unterhaltung mit Miß Birch wieder anknüpfen wollte. „Sie müssen wissen, Mr. Francis," fuhr der alte Herr, zu jenem gewendet fort, „daß Mr. Bennett die meiste Zeit semes Lebens in Indien zugebracht hat, dieses Land also feine eigentliche Heimath genannt werden darf." In diesem Augenblick begegneten sich die Augen ber beiden jungen Männer mit einem Ausdruck so finsteren Hasses, daß ein jeder von ihnen seinen Todfeind erkannte. „Ich bin in der That begierig, von Herrn Bennett etwas über Indien zu hören," sprach Francis langsam. „So waren auch Sie bereits dort?" fragte Horatio nachlässig. „Nur eine kurze Zeit, Sir, boch lebte einer meiner liebsten Freunde lange in Jnbien. Sie waren jedenfalls in Bangkok „Ich war in British Indien," versetzte Bennett, seinen Thee schlürsenb. „Wie nannte sich Ihr innigster Freund?" „Horatio Donaldson." „Auch ein Horatio warf Alice bazwi fchen, „die Römer scheinen bort seht beliebt zu sein." „Zufall, Miß Alice, weiter nichts," ent gegnete Bennett lächelnd, „die Horatier sind dort nur burch Briten vertreten,—und aller dings selten genug jener Horario ist mir nie begegnet." Er ging jetzt mit großer Ge wandtheit auf Indische Zustände und Lebens getvohnheiten über und entwickelte dabei ein solch' fesselndes Erzähler-Talent, daß selbst Alic ihre stolze Unnahbarkeit vergaß unb betn Zauber dieser Unterhaltung erlag. Der Correspondent lehnte unbeweglich an betn Marmor-Kamin, das dunkle Auge un verwandt auf den Amerikaner geheftet. Es schien dem Letzteren ein unbehagliches Gefühl zu bereiten, denn scheu und finster streifte fein unruhiger Blick die hohe Gestalt am Kamin und bald hatte er absichtslos im Eifer des Erzählens eine halbe Wendung ausgeführt und auf diese Weise dem unbequemen Beob achter sich entzogen. Als er eine Pause machte, um eine Er frischung zu nehmen, sagte Francis: „Sie sprachen soeben von Delhi, Sit, wann waten Sie dort?" „Hm, das läßt sich nicht genau sagen," versetzte Bennett nachlässig, ohne sich umzu wenden, „ich reiste so oft die Kreuz unb die Quer, daß mir ein Datum darüber unmög lich geworden. Ihre Frage bezweckt?" „Nichts weitet, als daß Sie bort vielleicht meinem Freunde Donaldson begegnet sein könnten, Sir!" „Sie scheinen förmlich versessen darauf zu fein, mir die Bekanntschaft Ihres Freundes zu verschaffen," lachte Bennett wegwerfend, „ich muß dringend bitten, meine Erklärung, daß dieser Gentleman mir völlig unbekannt ist, ein für allemal gelten zu lassen." „Ich lasse dieselbe gelten im Namen mei nes Freundes Horatio!" sprach ber Corre spondent langsam und fast feierlich. „Unerträglich!" murmelte der Amerikaner zwischen den Zähnen und nur mit dem vollen Aufgebot seiner Willenskraft die überlegene Kaltblütigkeit behauptend, während Miß Birch den Spaß wieder köstlich fand und Hr. Pal mer stirnruazelnd und in offenbat peinlicher Verlegenheit vor sich hinblickte. Miß Alice allein hatte ihre stolze Gleich gültigkeit bewahrt mit halbgeschlossenen Au gen lag sie zurückgelehnt im Schaukelstuhl und schien von der wunderlichen Scene durch aus kerne Notiz zu nehmen. Wer sie indes sen genauer beobachtete, hätte vielleicht hin ter den halbgeschlossenen Lidern das gespann te Interesse bemerkt, mit welchem die junge Dame den Vorgang beobachtete. Die Unterhaltung wollte nach dieser Unter brechung nicht mehr recht in's alte Geleise zu tüdkthren und als Herr Bennett sich bald darauf empfahl, fand es Miß Birch ebenfalls an bet Zeit, ohne auf ihren Bruder Edgar, der sie mit seinem Gab abholen wollte, zu warten, nach Hause zu fahren. Es war ganz natürlich, daß Herr Palmer seinen Wagen anspannen ließ, doch fand sich Miß Virginia ziemlich Enttäuscht, als Bennett höflich er klärte, von der Liebenswürdigkeit des Haus Herrn keinen Gebrauch machen unb zu Fuß nach seinem Hotel zurückkehren zu wollen. Der Correspondent blieb. Als ber Amerikaner das enfant terrible in denâagen hob, sprach er leise: „Ist es eng lische Sitte, einen Diener seinen Gasten gleich zu stellen, Miß?" „Nur in diesem Haus?, Sir, sonst nir gend anberswo in England," flüsterte Vir ginia. „Und die Gäste lassen sich einen solchen Affront gefallen?" „Was wollen Sie," kicherte Miß Bitch, „bet Dienet ist schön unb gebildet, ein Gen tleman vom Scheitel bis zur Sohle, unb Alice eine so stolze, unnahbare Schönheit, baß jeder Spott, ja selbst die Verleumdung verstummt. Hony soit qui mal y pense, Sit!" Sie lachte laut unb boshaft, reichte ihm kokett die Fingerspitzen, welche Bennett küßte, und dann zurucktrat. Finster blickte er dem Wagen nach. „Ich muß mich vorsehen," murmelte er, „der Boden scheint nicht ganz sicher zu sein. Dieser Mensch muß unschädlich gemacht wer den!" Aus dem Hause des Kaufherrn erklangen plötzlich die Töne eines Piano, von künstle tischet Hand angeschlagen, der Spieler schien zu phantasiren, boch war Bennett Ken ner genug, um etwas Ungewöhnliches zu ahnen und zu fühlen. Er stampfte w'.ld mit dem Fuße und stieß einen Fluch hervor. Dann lochte er spöttisch, drückte den Hut in die Stirn und eilte rasch davon. Herr Bennett schien wunderbarer Weise mit den Straßen Londons ziemlich vertraut zu sein. Droben im Salon phantasirte Herr Fran cis aus dem prächtigen Flügel. Er hatte die Fragen seines Chefs unbeantwortet gelassen unb Miß Alicen's Wunsch, ein wenig Musik zu machen, ohne Umstände erfüllt. Die junge Dante war selber nicht musika lisch, doch eine große Verehrerin klassischer und besonders deutscher Musik, während Herr Paltner einen solchen komischen Schrecken vor derartigem „Klimpern" empfand, daß man ihn unter allen Umständen bamit aus bem Felde schlagen konnte. Hierauf schien Alice gewartet zu haben, beim kaum hatte ber Vater bas Zimmer ver lassen, als sie sich geräuschlos aus dem Schau kelstuhl erhob und plötzlich hinter bem Sessel bes Spielenden stand. Leicht feine Schulter berührend, sprach sie: „Fahren Sie fort, Sir, boch leise, wenn ich bitten darf." Francis schien von der Berührung zusam men zu zu zucken. Er wandte, in eine sanf tere Tonart übergehend, ben Kops und fein aufflammender Blick begegnete ihren kalt ptüfenden Augen. „Was befehlen Sie sonst noch. Miß Pal met?" fragte der junge Mann, eisig berührt. „Wollen Sie mir eine Frage aufrichtig be antworten, Mr. Francis?" „Wenn es möglich ist, recht gern, Miß!" „Kennen Sie die Vergangenheit b$S£irtn Bennett?" Francis schwieg eine Weile, „Ich kann diese Frage nicht beantworten, Miß Palmer!" „Und warum nicht?" „Weil ich sie mir selber noch nicht zu be antworten vermag." „Sie sind Ihrer Sache also nicht sicher?" „Nein!" versetzte Francis zögernd. „Haben aber doch Gründe, ihn für ver dächtig zu halten Der Corresponbent schloß mit einer Disso nanz und erhob sich rasch. „Das sieht einem Jnquiriren nicht unähn lich, Miß Paltner!" sprach et kalt. „Ich bitte um Entschuldigung, Sit!" ver setzte sie hastig. „Ihr Betragen vorhin ge gen dm Amerikaner giebt mir das Recht da zu, zumal ich begründete Ursache zu der An «ahme habe, daß Herr Bennett um meinet willen von New Aork herübergekommen ist." Et er rief Francis erschreckt, und jeder Blutstropfen wich aus seinem Gesicht. „Miß Alice, sollte Ihr Vater wirklich die Ab ficht haben, sein einziges Kind einem solchen Menschen zu verschachern? Sie ftnb um Mil lionen feil?" Eine fluchtige Rothe überzog Alicen's blas ses Antlitz und ebenso flüchtig blitzte es in ben Augen auf. Sollte sie bem Kühnen zür nen, bet eine solche Sprache ihr gegenüber wagte? Sie zürnte ihm nicht. „Ereifern S»e sich nicht so sehr," versetzte sie ruhig, „tnem Vater kennt mich unb wirb mich niemals zu einer Verbindung zwingen. Doch läge mir sehr viel daran, ihn sobald als möglich aus meiner Nähe zu entfernen." „Ah, Sie fürchten feine Zauberkünste?" rief Francis bitter lächelnd, „die Sie bereits heute Abend fesselten, Miß Palmer!" „Er besitzt unleugbar Geist," nickte sie stolz, „ein Vorzug, dem jeder denkende Mensch sich beugt doch fürchte ich feine Zauberkünste burchauS nicht, Sir, ba die Natur ihm den Warnungsspiegel in die Augen gelegt. Wol len Sie mir Ausschlüsse Über diesen HoNUio geben, Mr. Francis?" „Horatio —", wiederholte ber junge Mann vor sich hinstarrend, „es ist zu seltsam. Ich habe nur einen Mann dieses Namens ge kannt, er war mein Freund, und Jener, der sich so nennt, o, sollte die Natur biefe teuflischen Augen zum zweiten Male geschaf fen haben?" „Francis, vertrauen Sie mir," bat Alice plötzlich, ihre Hanb auf seinen Atm Iegenb. Wieber zuckte er unter biefer Berührung zusammen und wieder flammten die dunklen Augen versengende Blitze. Sie senkte fast erschreckt den Blick unb ließ bie Hand von feinem Arm niedersinken. Er trat zurück und erwiderte mit Anstren gung: „Ich verspreche Ihnen, Miß Alice, Alles aufzuklären, wenn mein Verdacht sich bestätigen sollte. Bis dahin bitte ich, bem Herrn Bennett die gebräuchliche Gastfreunb schast zu gewähren, bamit et nicht vor ber Zeit gewarnt werde." „Ich meine, daß Sie heute Abenb biefe Vorsicht wenig beachtet haben, Sir!" „Allerdings verdiene ich diese Zurechtwei Weisung, Miß, da er zu früh feinen Gegner erkannt, doch war ich meiner eigenen Ehre es schuldig, Stellung zu diesem Gentleman zu nehmen." „Wir ftnb also Verbünbete," nickte Alice, ihm die Hand reichend. Er berührte dieselbe flüchtig mit feinen Lippen und trat dann mit einer sehr förm lichen und respectvollen Verbeugung zurück. „Ich bitte um nichts weiter, als um Schwei gen, Miß Palmer!" Mit diesen Worten verließ bet Correspon dent den Salon. Einige Augenblicke starrte Alice nach der Thür, dann kehrte sie langsam nach ihrem Schaukelstuhl zurück, warf sich mit einem un terdrückten Seufzer hinein und schloß träu mend die schönen Augen. So fand sie der Vater, ber sich nicht wenig verwunderte, daß Mr. Francis ohne Abschieb gegangen fei. Als er mii ihr über die Vor gänge des heutigen Abends zu reden begann, gähnte Alice und bemerkte, daß sie müde fei und sich zur Ruhe begeben wolle. „Wunderliches Volk, diese heutige Jugend," murmelte Mt. Palmer, sich in sein Zimmer zurückziehend, wo ihm die Schwägerin gehor sam Gesellschaft leistete. 4. Kapitel. Im Fuchsban. Vom St. Pauls-Thurtne schlug es elf. Da hielt ein Cab jenseits der Blackfriars' Brücke. Ein Herr sprang heraus, bezahlte den Kutscher und verschwand bald in dem Gewühl der Straßen und Gassen der South wart, dieser eigenthümlichen Fabrikstadt Lon don's. Rüstig schritt er vorwärts, ohne nach links ober rechts zu blicken, mit bewunderungswür diger Ortskenntniß ein Chaos von Gaffen, Gangend und Winkeln durcheilend. Endlich blieb er vor einem großen dunklen Gebäude, das einem WaarenLagerhause äh nelte, stehen, blickte sich vorsichtig nach allen Seiten um und klopfte, da die schmale Gaffe völlig menschenleer schien, dreimal leise in verschiedenen Tempo'S an die Thür. Es währte eine geraume Weile, bis eine kleine, von außen nicht wahrnehmbare Klappe sich öffnete und eine flüsternde Stimme fragte: „Wer klopft?" „Nene tekel seit Ahasvetus!" lautete bie Antwort des Draußenstehenden. Jetzt wurde bie Thür halb geöffnet, das Licht einer Blendlaterne fiel auf Jenen und im nächsten Augenblick befanb er sich im In nern des HauseS. „Zum Henker, woher bes Weges, gelber Wolfszahn?" tönte es im Finstern an sein Ohr. „Wer hat mich erkannt?" fragte ber Mann stehenbleibenb. „Nun, glaubtest Du in ben Fuchsbau ein zudringen mit dem alten Losungswort? Der Iltis hätte Dich in jeder Verkleidung er kannt!" „Du bist's also, Iltis! Freut mich aufrich tig'/ daß ich Dich noch antreffe. Regiert Ahas vetus noch „Der ist erhöht worden," lachte Iltis tückisch, „der Orden mit bet Schleife machte ihn für immer abtrünnig." Wer ist nach ihm Capitain geworben?" fragte bet Andere hastig. „Nebukadnezar, Du mußt ihn kennen, et ist ein geborener Gentleman." „Ah, das freut mich, führe mich zu ihm, Iltis!" Sie schritten durch einen langen bunklen Gang, öffneten eine Thür unb traten in einen großen erleuchteten Raum, worin sich eine Menge Frauen, Männer unb Kinder be fanden. Einige lagerten müßig am Beben, Anbete unterhielten sich im leisen eifrigen Gespräche. Hier wurden Habseligkeiten vertheilt und an mehrere anwesende Juden auf der Stelle ver schachert, während einzelne Männer und Frauen finster und mürrisch dreinschauten, als ob ihnen der Tag kein Glück gebracht. Der Neuangekommene, welcher einen star ken schwarzen Vollbart und scharse, stechenbe Augen, überhaupt ein abstoßendes Aeußere besaß, ließ den Blick forschend umherschwei sen unb nickte einigen älteren Männern ver traulich zu. „Heda, Wolfszahn bist Du's denn wirk» lich?" riefen biefe, erstaunt empotfptmgenb. „Freilich, bin ich's!" lachte der Fremde, „was ist darüber zu staunen? Hab' mich ein wenig in der Welt umhergetrieben und be sonders die deutschen Zustände studirt. Ber tin ist nicht übel, im Grunde auch die einzige Stadt in dem langweiligen Deutschland, welche, was die Geschicklichkeit ihrer Arbeiter betrifft, sich stellenweise mit uns messen kann. Im llebrigen, Kinder, bin ich fremd für Euch, verstanden?" Er zog eine schwere Börse unb warf eine Anzahl Goldstücke unter bie alten Freunde, welche sich wie Wölfe darüber stürzten. Dann trat er rasch mit feinem Begleitet weiter, der ihn durch verschiedene Gänge treppauf, treppab führte und endlich vor einer großen Thür Halt machte. „Muß Dich doch wohl anmelden, mein Junge," knurrte Iltis, „unser Capitän hält streng darauf." „Also Hof-Etikette," lachte bet Frembe leise, „nur immer zu,—Nebukabnezat scheint zum Herrscher geboren zu sein." Schon im nächsten Augenblick lehrte Iltis zurück, bie Thür weit öffnenb. „Eintreten!" tönte feine heisere Stimme, während der „Capitän" dem Fremden die Hand zum Gruß entgegenstreckte unb, nachdem er die Thür sorgfältig verschlossen, jenen so gar umarmte. „Das heiße ich eine Ueberraschung, Bob!" rief er dabei einmal über das andere, „wo zum Henker, hast Du in der langen Zeit denn eigentlich gesteckt? Wir glaubten nicht anders, als daß Dich irgend ein Spitzbube heimlich um die Ecke gebracht." Bob, wie der Fremde hier genannt wurde, blickte forschend in dem großen, sehr elegant und mit weichen Teppichen ausgestatteten Zimmer umher und ließ sich bann gemächlich in einem schwellenden Sessel nieder. „Du machst Deinem Namen alle Ehre, Ne bukadnezar!" sagte Bob, sich lächelnd aus« ftreckenb. „Pah!" versetzte ber Capitain wegwerfend, „wähnst Du, ich wolle wie der Dummkopf von Ahasvetus, wie ein Bettler leben und mich für jene faule Bande exponiren? Sie haben keinen Finger gerührt, die Nichtsnutzi gen, um ihn vom Galgen zu retten. Ich re giere durch Furcht und blende durch biesen Luxus, vor bem sie sammt und sonders Respect haben. Es kitzelt die Lumpen, einen Gentleman ihren Capitain nennen zu dürfen." „Alle Achtung vor Deinem System, Neb!" versetzte Bob lachend, „es macht Deinem Ge nie die größtmöglichste Ehre. Man muß sich das Leben, meine auch ich, so angenehm als möglich gestalten, und freut es mich deshalb doppelt, Freund Neb, Dich gerabe als Capi tain wiederzufinden." Capitain Ned, ber, beiläufig bemerkt, ein höchst eleganter Mann mit den Manieren eines Gentlemans war, strich seinen röthlichen Schnurrbart und unterwarf nun seinerseits die ganze Gestalt feines Fteunbes einer schar fen Musterung. „Hm, scheinst übrigens recht gute Geschäfte gemacht zu haben, Bob," bemerkte er, sich ihm gegenüber nieberlaffenb unb eine auf bem Tisch stehenbe Flasche Wein öffnenb. „Trinke erst ein Glas mit mir unb bann er zähle, wo unb wie Du gearbeitet hast." Die würdigen Cumpane stießen art unb tranken auf ein baldiges ehrenvolles Zurück ziehen vom Geschäft. „Was mich speziell anbetrifft," bemerkte ber Capitain leise, „so hoffe ich, recht bald auf meinen Lorbeeren ausruhen zu können. Ich weiß mich nämlich vortrefflich mit ber Polizei abzufinden und habe so zu sagen einen Pact mit ihr geschlossen." „Wahrhaftig Igchte Bob spöttisch, „Du machst mich immer mehr staunen, Capitain." „Ja, staunenswerth ist die Geschichte frei lich," nickte Jener voll Würde, „und Dich, als einen Intimen, kann ich wohl in's Ge heimniß ziehen, da ich von Deiner Rückkehr viel erwarte, Die Mehrzahl der Halunken muß geschoben werden, es steckt kein gütlichen Esprit darin mit wenigen Ausnahmen, wie Iltis, Fuch und Maulwurf, find die Mei sten Maschinen der gröbsten Art. Du wirst mir helfen, Leben in die Bande zu bringen, Freund Bob!" „Und die Geschichte mit bet Polizei?" et innerte Bob etwas ungeduldig. „Höre, wie ich's gemacht. Das Schicksal meines Vorgängers machte mich stutzig ich dachte lange darübet nach und kam auf fol genden Gedanken: Ich will mit der Polizei einen Pact dahin abschließen, jeden Raub, der von meiner Bande oerübt wird, gegen ein entsprechendes Lösegeld zurückzuliesern. Da nun das Stehlen und Rauben niemals aufhören wird auf Erden, so nahm die Poli zei meinen Vorschlag unter gewissen Klauseln an, von denen die eine meine Straflosigkeit so lange garantirt, als meine Hände völlig tein bleiben." „Seht gut, nut nicht neu," nickte Bob sich eine Cigarre anzündend, „vor vierzig oder fünfzig Jahren schon dagewesen. Doch gleich viel, Ned,—Du hast wie ich sehe, Deine Hän de bislang sehr sauber gehalten." „Versteht sich, werbe mir boch selber nicht ben Strick drehen, so lange Andere für mich die Kastanien aus dem Feuer holen? Und meine Bande steht sich ebenfalls nicht schlecht dabei, da sie unter diesem Dache vollständige Sicherheit genießt. Wer sich bei der Arbeit erwischen läßt, ist natürlich verloren." „Und Du kannst Alles zurückliefen* Der Capitain zuckte die Achseln. „Ich habe mich nur für meine Arbeitet vet pflichtet, kluger Bob!"— „Selbstverständlich," lachte dieser „ich müßte mich indessen sehr geirrt haben, wenn ich nicht im Gesellschftszimmet einige Hebräer bemerkte, welche jebenfalls nut als Gäste ein geladen waren." „Freilich," nickte der Capitän, „die Juden sind unsere natürlichen Verbündeten und wenn die Polizei mich mit ihrem Besuche be ehrt-" „Wie, Du empfängst bie Polizei?" „Allerdings, sie kennt die Parole und trinkt gelegentlich em Glas Wein mit mir. Wenn irgend ein Sonderling sein verlorenes Eigen thum zurückkaufen will, dann schaffe ich es herbei, da ich den Verbleib betfelben genau controtire. Ich kann mich babei aus die Ehr lichkeit meiner Leute verlassen, da jede Spitz büberet unnachsichtlich mit Ausstoßung bestraft wird. Strenge Disciplin, mein Junge, muß das Princip einer jeden Regierung sein." Bob brach in ein lautes Gelächter aus, in welches Capitän Neb luftig mit einstimmte. „Du bist ein Teufelskerl, Capitän!" tief bet Erstere „nun aber erlaube mir noch eine Frage. Gedenkst Du hier in London auf Deinen Lorbeeren auszuruhen?" „Nein," versetzte Neb mit großer Entschie denheit, „London würde mir zu ungemüthlich fein. Ich werbe in diesem Falle überhaupt DER WESTBOTE. BBI37HABD & FISSBB, Publisher», K BE 3 i .21. nicht in England bleiben, sondern ben Conti? nent aufsuchen." „Frankreich zum Exempel?" „Nein, Freund Bob, dort war ich früher schon einmal ich werde mir Deutschland er wählen,—was meinst Du zu Hamburg?" „Ich würde Berlin entschieden vorzieht bie Stadt ist viel großer unb volkreicher—* „Aber eine Residenz,—ich hasse die Berli ner mit ihren Spürnasen. Hamburg ist eine Republik, es läßt sich bort seht gemüthlich f§» ben." I „Dagegen läßt sich nichts einwenden," versetzte Bob nachdenklich die blauen Wöll chen emporwirbelnd. „Wann gedenkst Du Dein Scepter niederzulegen?" „Sobald ich einen geeigneten Nachfolgt gefunden haben werde, es ist bies nämlH ein Paragraph meines Pactes. Bei allem Geld der Erde!" rief der Kapitän Ned plötz lich auffahrend, „ich denke mir, daß dieset Nachfolger bereits gefunden ist Du sollst Capitän werden, Bob, nur Du allein verdieW eS, die Regierung zu übernehmen." Bob wiegte sich lächelnd auf feinem ©effft „Ich mag mit der Polizei nichts zu schoss|» habetv Freund Neb!" „Thorheit,—unter welchem Namen bist Dn ihr bekannt?" „Du wirst Dich erinnern, baß ich für eis» augig galt, man nannte mich auch wohl bett gelben Wolfszahn, als welchen man mich hier sogleich begrüßte." „Richtig," nickte ber Capitän, „für mich warst Du stets nur Bob—nach einem anbetn Namen habe ich nie gefragt.—Warst Dttfchlp einmal Nerogate?"*) „Hatte noch nicht die Ehre—" „Desto besser bann läßt sich bie Sache leicht arrangiren. Ich stelle Dich nächsten# einem höheren Beamten vor—" „Laß das noch," wehrte Bob ab, „mich mir die Sache erst recht überlegen. Ich ht» be überhaupt nur einen Abstechet nach Lötz don gemacht und weiß nicht genau, ob ich hitt bleibe." „Ja so, Du hast mir noch gar nichts et* jählt," rief der Capitän, bie Gläser füllend, ,nach Deinem Aeußetn zu urtheilen, kann Dir nicht schlecht gehen, Freund Bob!" „Nun, es ist passabel," versetzte dieser le konisch, „ich werde ein andermal Deine Neu gierde befriedigen—für heute Abend ich mich empfehlen, da ich sehr müde btn/* „Willst Du bei mir übernachten „Ich danke, habe bereits Logis—•' „Nun, dann begleite ich Dich," fetzte ber Capitän eifrig hinzu, „muß doch noch ein roe nig vigiliren,—in zwei Minuten habe ich bie nöthige Toilette gemacht." Das Gefängniß Londons. (Fortsetzung folgt.) Ein- erschütterndes Familien-Drama. Bon Hamburg tmrb unter'm 22. Nov. em Familien-Drama berichtet, wie es erschüttere der wohl selten vorgekommen sein mag. D!e Einzelnheiten bes traurigen Ereignisses ftnb folgenbe: Auf der Kaffamacherrethe wohnte ber Par fümetie- unb etreichholzfabrtkant Robert M. Müller, 30 Jahre alt, Vater von zwei Ki« dem im Alter von drei und fünf Jahren die Ehefrau war 27 Jahre alt. Gestern Abenb schickte M. feine beiden Kinder mit Nachbar» tmbern in's Affentheater auf St. Pauli utijb empfing dieselben bei ihrer Rückkehr anschei nend mit gewohnter Ruhe und Heiterkeit. Das Dienstmädchen entkleidete die noch vM den Erlebnissen fröhlich plaudernden Kinder und legte sie in ihre Bettchen, worauf ihnen die Eltern bald nachfolgten. Als nun heute Morgen das Dienstmädchen die Herrschast zum Kaffee rufen wollte, ließ sich Niematib sehen da auch auf wiederholtes Klopfen nicht geöffnet wurde, faßte das Mädchen an den Thürdrücfet auffallender Weife war die Thür unverschlossen.. Bei ihrem Eintritt in das Schlafzimmer bot sich dem Mädchen ein erschütternder Anblick bar: die beiden Kna ben lagen in neuen schneeweißen Hemdchen regungslos auf der Bettdecke, bie Brust mit Blumensträußen geschmückt, während Mann und Frau tu ihren Festtagskleidern auf dem Bette ruhten. Sofort das Schlimmste ahnend, rief das Mädchen Nachbarn herbei und eS stellte sich nunmehr heraus, daß die ganze Familie todt war. Auf dem Nachttische stand eine Dose mit aufgelöstem Arsenik, an web« eher ein Zettel befestigt war mit den Worten: „Nicht anrühren, starkes Gift!" Die beiden Kinder hatten efsiggetränkte Schwämme vas betn Munde. Im Comptoir fand man me§« rere Papiere, welche Eigenthum der im Ge schäft Angestellten und Dienenden sind bei den Papieren lagen die ausgestellten Zeug* nisse für das gesammte Dienstpersonal. Die vier Leichen wurden in zwei Särgen nach dem Cuthause gebracht. Vor der Thür hatte sich eine große Menschenmenge versammelt welche dem traurigen Zuge unter vielen Zei» chen der Theilnahme folgte. Ueber die Gründe ihrer entsetzlichen That haben biß Verstorbenen zwar nichts Schriftliches hinter lassen, nach den Aussagen der Nachbarn un terliegt es aber keinem Zweifel, daß sie ein Opfer des Wuchers geworden sind. M. würbe von Gläubigern, darunter hauptsächlich von hiesigen bekannten Wucherern, hart gedrängt. Am Donnerstag voriger Woche äußerten die unglücklichen Eheleute einem Freunde gegen über, daß sie am Montag aller Sorgen ent» hoben sein würden, was der Freund mit einer wegen pekuniärer Angelegenheiten beabsich tigten Reise des Ehemannes nach Kiel Verbtnbung brachte. Durch bie verzweifelte That hat sich nun aber gezeigt, was das un glückliche Paar meinte und daß es sich fem Unglück nur zu sehr zu Herzen genommen hatte. Müller hat noch am Tage vor seine« Tode dem Dienstmädchen 15 Mark gegeben und ein Angestellter seines Geschäftes fand em von ihm hinterlegtes Sparkassenbuch über 600 Mark unangetastet vor. Das (San* macht den Eindruck, daß Müller, nachdem einsah, daß er aus den Wucherhänden nitii* mermehr herauskommen werde, beschlossen hat, als ehrlicher Mann zu sterben die Schuld, wegen deren et gepfändet werden sollte, betrug weit wenigst aU die Summe bes Sparkassenbuches. Das Weinjahr 1881. Die „Wiener Allgemeine Ztg." schreibt: „Der 1881er ist kein Feuetwem seine Bs schaffenhat wird die Zungen erfahrener Wein kenner nicht reizen. Es wird aber auch kein Strümpfestopfer barauS, fein Dreirnanner» wein. Der 1881er wird ein mittelmäßig« Geselle. In Niederösterreich sind die Roth weine der Vöslauer Gegend gut gerathen. In Tyrol ist die Lese meist besser ausgefallen, als man Ende August glauben mochte i* Ungarn und feinen Nebenländern Siebenbü«» gen, Kroatien, Slavonien, der Menge nach gut, der Qualität nach mäßig. Die Schweiz wird eine mittelgute Ernte haben. In Würt temberg und Baden gibt es Wein in Menge» Auch am Haardt Gebirge und im Rhemgan ist eine gute Ernte hinsichtlich der Menge erwarten da dort die Lese möglichst spät atp. gehalten wird, so kann ein Theil des Ertra ges noch etue gute Qualität erreichen. Aehti» lich wie im Rheingau sind die Verhältnisse an der Mosel. Die Quantität beträgt kau« ein Drittel einer normalen Ernte, die Quali» tät ist eine mittlere. Frankreich erfreut sich einer ziemlich guten Qualität und einer Men ge, welche dreiviertel einer normalen Durch schnittèernte betragen dürfte. Vorzügliche Produkte liefert Bordeaux, leidet in seht ge* ringet Menge. Gleiches gilt von ben bur gundischen Weinen. Die Champagner Fa brikanten werden heuet zufrieden sein, be sie wieder genügendes Material einlagern können. Bekanntlich hat es im vorigen Jah re in ber Ctzampaßm überhaupt keinen We« gegeben. \n\n Bella* per fear, invinaMy ia Adrian.