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Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, March 25, 1851, Image 1

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Oer Liberale Beobachter,
Und Berks, Momgomery und Schuylkill Caunties allgemeiner Anzeiger.
N c ÄiN g, Denn. Gedruckt und herausgegeben vonArn old PuweU e, in der Süd 6ten Straße, zwischen der Franklin- und Chcsnut - Straße
Jahrg. 12, ganze Nnm. SN».
Die verhängnißvolle Ttunde
(Schluß.)
Zu jener Zeit sprach man in Edinburg
viel von dem Verschwinden des Sir Har
vey, geheimen Sekretärs des Herzogs von
Argyle; bevor er seine unheilbringende
Reise unternahm hatte er sich mit einer
jungen und reichen Erbin aus der Pro
vinz Lothian verlobt. Miß Duncau er
wartete mir Sehnsucht die Rückkehr ih
res Geliebten, um ihr Schicksal mit dem
seinigen zu vereinigen; allein seine Ent
fernung und das allgemein verbreitete Ge
rücht von seinem Tode hatte alle Heiraths-1
Projekte niedergeschlagen, und Sir Har
vey's Familie in tiefe Trauer versenkt.
Da die Sendung womit man ihn be
auftragt hatte, vollkommen erfüllt war,
so vermuthete man, daß er auf seiner
Rückreise ermordet worden sei, denn die
Ereignisse dieser Art waren in jenen Zei
ten bürgerlicher Kriege so häusig daß man
sich mit diesem Vorfalle bald nicht mehr
beschäftigte.
Wir müssen einen Zeitraum von!! Jah
ren übergehen, während welchem sich mit
unsern vorgeführten Personen nichtSMerk
würdigeS ereignete. Gregory, anderer
Verbrechen wegen verhaftet, endete sein
Leben auf dem Schaffotte. Seit langer
Zeit war Mac Hirton vergessen; seine
Gläubiger halten nach fruchtloser An
wendung aller Mittel, um Nachrichten von
ihm zu erhalten, endlich dasjenige zum
Opfer gebracht, was man von einem so
zahlungsunfähigen Schuldner hoffen konn
te; man war daher sehr erstaunt, als man
ihn eines TageS mit einem zahlreichen
Gefolge und in einer prächtigen Equipa
ge zurückkommen und in der Stadt die
Lebensweise fortsetzen sah, die er in den
Tagen seines früheren Wohlstandes führ
te. Dieses Wiederaufkommen war leicht
zu erklären. Ehemals von gierigen Glä
ubigern verfolgt, hatte, sich Mac Hirton,
im Besitze einer schwachen, auf Zinsen ge
legten Summe, die er wie er sagte in baa
rem Gelde einzuziehen wußte, auf einem
Fahrzeuge eingeschifft, das nach Indien
unter Segel ging ; dort hatten glückliche
Unternehmungen seine Kapitalien in kur
zer Zeit verhundertfacht, und ihm ein noch
beträchtlicheres Vermögen erworben, als
jenes war, welches er in früherer Zeit so
thöricht verschwendet hatte. In dieser
Erzählung war nur ein Punkt, dessen Ge
nauigkeit etwas bezweifelt werden konnte;
dieses war nämlich die Art und Weise, wie
Mac Hirton sich die zum Einkaufe seiner
ersten Handelsartikel nöthige Summe ver
schafft hatte; und jene, die den Anfang
dieser Geschichte gelesen haben, werden
ohne Zweifel die Beweggründe leicht er
kennen, die ihn vermochten, über jene Epo
che seines Lebens einen dichten Schleier zu
werfen.
Nachdem er seine Angelegenheiten in
Ordnung gebracht und alle seine Schul
den abgetragen hatte, beschäftigte sich Mac
Hirton, der in der Meinung wieder ge
hoben und durch die Erfahrung seines
früheren Lebens belehrt war, mit dem
Vorhaben, eine Ehe zu schließen, die da
zu dienen konnte, sein glänzendes LooS
noch fester zu begründen. Miß Duncan
war damals im vollen Glänze ihrer Schön
heit ; eine Menge Seufzender warb um
ihre Hand. Bis dahin hatte das An
denken an Harvey sie alle verdrängt; als
aber Mac Hirton als Freier auftrat, be
wiesen die Verwandten der jungen Schott
länderin, die eine so reiche Parthie verfehlt
zu sehen besorgten, ihr so überzeugend,
daö Harvey nicht mehr am Leben sei,
und drangen so sehr in sie, daß sie endlich
in eine Verbindung willigte, die sie keine
glückliche Zukunft ahnen ließ. Indessen
war, obwohl das Glück Mac Hirton fort
während mit seinen Gunstbezeugungen
überhäufte, sein Herz dennoch nicht ruhig.
Die Erinnerung an das Verbrechen zu
dessen Vollendung er beigetragen hatte
trübte alle seine Augenblicke; die Vor
würfe seines Gewissens, die vorangehende
Strafe VeL Schuldigen, verfolgten ihnal-
ler Orten; uud sei es die Wirkung einer!
zum Wahnsinn gereizten Einbildungs
kraft oder die Erfüllung der himmlischen
Rache, jede Nacht, wenn es Lwei Uhr
schlug, erschien der Schatten, Harvey's
seinem Mörder im Traume: Mac Hirton
befand sich dann wieder in Gregory s
Hütte ließ sich von den Anerbietungen des
grimmigen Schleichhändlers verblenden.
Nun trat das blutige Gespenst ihm ent
gegen, warf ihm sein Verbrechen vor und
verkündete ihm, daß es ihn zwei Stunden
vor seinem Tode von seinem Ende benach
richtigen wolle. In kaltem Schweiße ba
dend erwachte Mac Hirton dann plötzlich
indem er ein durchdringendes Geschrei aus
stieß. Man mußte, um seine heftige Un
ruhe und seinen Schrecken zu mildern,
sein Gemach erhellen, und einer seinerDie
ner mußte bei ihm bleiben bis er wieder
eingeschlafen war. Bisweilen hatte er es
versucht wach zu bleiben um dieser schreck
lichen Erscheinung zu entgehen ; allein es
war vergebens; sobald die Glocke der
Wanduhren die zweite Stunde nach Mit
ternacht verkündete, verzerrten sich plötz
lich seine Züge, seine Augen wurden starr
und in diesem Augenblicke war es leicht zu
sehen, daß ein schrecklicher phantastischer
Gegenstand bei ihm diese Art Blendwerk
verursachte.
Als die Zeit seiner Verbindung mit
Miß Duncan herannahte, empfahl Mac
Hirton seiner Dienerschaft nachdrückliche
Verschwiegenheit über seine nächtlichen
Anwandlungen die er einem großen Schre
cken zuschrieb, den er in seiner Jugend ge
habt halte.
Den Tag vor der Hochzeit wurde bei
ihm ein prächtiges Gastmahl, und hierauf
ein Ball, welcher die ganze Nacht dauern
sollte, gehalten. Den nämlichen Tag
versammelte der alte Georg, der treue
Diener Mac Hirtons, und der ihm un
ter allen am meisten zugethan war, seine
Kameraden um sich. Meine Freunde,
sagte er zu ihnen, ihr kennet alle, wie ich
die Krankheit, mit welcher unser Herr be
haftet ist; was ihr aber vielleicht nicht
bemerkt habt, ist, daß jene Unfälle sich
immer um zwei Uhr Nachts einstellen.
Ihr könnt Euch vorstellen, in welche Ver
legenheit es ihn setzen müßte, wenn etwas
dergleichen während des Balls vorsiele.
Nun habe ich mir so meine Gedanken ge
macht, ich habe zu mir gesagt: es ist
augenscheinlich, daß bei unserm Herrn sein
Gehirn allein krank ist ; ohne Zweifel er
innert ihn die zweite Stunde an irgend
ein fürchterliches Ereigniß. Man muß
also, wenn der Ball so recht im Gange
ist, und sobald es 1 Uhr geschlagen hat,
alle Pendeluhren um zwei Stunden vor
rücken, ohne daß Jemand es bemerkt,
durch diese Täuschung wird unser Herr
glauben, die verhängnißvolle Stunde sei
schon lange vorüber, und es sind zehne
gegen eines zu wetten, daß er die Nacht
auf die ruhigste Weise von der Welt zu
bringen wird. Die Kameraden Georgs
gaben seinem Einfall ihren vollen Beifall
und versprachen, dabei zu thun, was er
wünsche.
Das Gastmal war vorüber, man ging
in den Tanzsaal; schon hatten die Musi
kanten das Zeichen zum Anfange gegeben
und Mac Hirton suchte, neben seiner jun<
gen Verlobten sitzend, durch seine liebko
sende Sprache den scheuen Kaltsinn derje
nigen zu bekämpfen, die seine Gattin wer
den sollte. Es war nahe an Mitternacht
Ein Diener kömmt herein, und meldet
Mac Hirton, daß ein Fremder ihn einen
Augenblick allein zu sprechen wünsche.
Dieser steht auf und geht in das ansto
ßende Zimmer, ein Fremder erwartete ihn,
er geht ohne Mißtrauen auf ihn zu ; mit
geräuschlosem Schritte tritt auch der Un
bekannte ihm entgegen, öffnet seinen wei
ten ihn einhüllenden Mantel.—Mac Hir
ton stößt einen Schrei aus; er hat sein
Schlachtopfer erkannt; es ist Harvey, es
sind die Züge, welche daS Gewissen in sein
Herz eingegraben hat, sie sind blaßgelb
wie am Tage der Ermordung, dieses
"Lvillig zu loben und okne Furcht zu tadeln."
Dienstag den 2S. März, I BSI.
Kleid, dieses Plaid, er erkennt sie, sie sind
mir Blut bespritzt. Unbeweglich vor
Schrecken, erwartet der Schuldige sein Ur
theil.
Mac Hirton, sagte das Gespenst in
feierlichem Tone, ich bin treu meinem Wor
te ; ich habe versprochen, dir zwei Stun
den vor deinem Tode davon Kunde zu ge
ben ; es ist Mitternacht .... um 2 Uhr
. . . . ich erwarte dich .... Mac Hirton
erhob seine Augen; das Gespenst war
verschwunden. Bestürzt geht er in den
Saal zurück ; seine Blässe, seine Verwir
rung fällt allen Anwesenden auf: verge
bens umringt, vergebens befragt man ihn,
er gibt nur einsilbige Antwort; seine
Hände scheinen einen schreckbaren Gegen
stand zurückzustoßen, der sich beständig
vor ihm aufstellt. Mehr als eine Stun
de geht in dieser Bewegung hin wovon
Niemand etwas begreifen kann. Man
sing an zu besorgen, daß er geistesver
wirrt sei.
Endlich ermannt er sich tritt auS der
ihn umgebenden Menge vor, sieht auf die
Pendeluhr und ruft freudig aus; bald 3
Uhr; ich bin gerettet; die Vorhersagung
ist nicht in Erfüllung gegangen. Allein
diese verrätherische Aufregung plötzlich un
terdrückend erzählt er eine Fabel, entschul
digt sich bei den Gästen wegen des ihnen
verursachten Schreckens, und schreibt den
außerordentlichen Zustand, worin man ihn
gesehen, einer plötzlichen Unpäßlichkeit zu.
Die Nacht geht zu Ende fügte er bei;
ich glaube daß es Zeit ist, den Kontrakt zu
unterzeichnen; er liegt in meinem Kabi
nett ; ich will ihn holen. Indem er dieö
sagt, geht er voll Gedanken über den Vor
fall hinaus und quält seinen Geist um
die Erscheinung Sir Harvey's auf eine
Weise zu erklären. Schon ist er an sei
nem Kabinete, seineHand dreht den Schlü
ssel; aber kaum hat er die Thüre geöffnet
als vom Hintergrunde des Zimmers her
ein Pistolenschuß ihn an die Stirne trifft,
j Der Unglückliche wankt; er will um Hül-
fe rufen, allein seine Kräfte verlassen ihn
er fällt und stirbt. In demselben Augen
blicke verkündet die Uhr in seinem Kabi
nete die zweite Stunde nach Mitternacht;
diese Uhr allein war nicht vorgerichtet wor-
den.
Niemals kam daS Geheimniß seines
! Todes an den Tag; nur erfuhr man nach
! einiger Zeit daß Sir Harvey, von einer
! langen Reise zurückgekommen, Miß Dun
can seine ehemalige Verlobte, geheirathet
i habe; und oft erzählte er, ohne Jemand
zu nennen, seinen Freunden wie er in einer
Hütte, in Schottland beraubt worden und
auf eine fast wunderbare Weise der Wuth
seiner Mörder entronnen sei.
Der Bauer auf der Eisenbahn.
An einem nebligen Februar-Abend saß
im Gasthof zum Hirsch in der Hauptstadt
von Schwaben ein gutmüthiger Schwarz
wälder Bauer, der sich seinen Schoppen
gut schmecken ließ. Wie er sagte, hatte
er in der Stadt Eßlingen noch Geschäfte
zu verrichten und fragte daher einen Kell
ner, ob er ihm keine passende Gelegenheit
dahin wüßte.
„Ihr könnt auf der Eisenbahn ganz
schnell hinkommen," sagte der Kellner.
„Ist es auch sicher auf der Eisenbahn?
fragte der Bauer, „und was kostet's ?"
„Man fährt auf der Eisenbahn siche
rer als mit dem Eilwagen," antwortete
der-Gefragte, „und es kostet von hier nach
Eßlingen in der ersten Klasse nur 3V
Krenzer. Ueberdies kann man es sich in
den Waggons so bequem machen, wie hier
im Zimmer."
Unser Bauer war zufrieden mit dieser
Empfehlung ; er läßt sich ausführlich den
Bahnhof beschreiben und macht sich auf
den Weg dahin. Um ja recht sicher zu
gehen, frägt er auf der Straße einen ihm
Begegnenden:
„Könne Se mir net sage, wo der Bahn
hof ischt?"
„Wenn Ihr mir vier Batzen gebt,"
antwortete der Fremde, „dann will ich
Euch hinführen."
„Du Flegel," entgegnete der Bauer
und ging weiter.
Auf einmal dreht sich der Fremde wie
der um, und geht auf den Schwarzwälder
zu und sagt:
„Es war blos Spaß ; ich will Euch den
Bahnhof umsonst zeigen."
Mit diesen Worten führt er den Bau
ern schnurstracks vor das nicht weit ent
fernte Theater.
„Hier ist der Bahnhof sagte der Spaß
vogel und ging fort.
Unser Bauer sieht sich das Gebäude an
und findet, daß der Bahnhof gerade so
beschaffen ist, wie ihn der Kellner im Gast
hofe beschrieben. Er faßt sich ein Herz,
geht an die Kasse und verlangt ohne Wei
teres ein Billet auf den Platz, wo man
sitzt, wie in der Stube. Daß er nach
Eßlingen wollte, sagte er nicht, denn er
glaubte, das müsse ihm Jedermann anse
hen. Der Cassir gibt ihm daher ein
Billet auf's Parterre. Der Schwarz
wälder begiebt sich dahin und ist erstaunt
von der daselbst herrschenden Pracht und
geblendet von dem Glänze der Lampen.
So hatte er sich die Eisenhahnwagen doch
nicht vorgestellt. Es kamen immer mehr
Menschen, bis das ganze Haus gefüllt
war. Don Juan wurde gegeben. Schlag
6 Uhr, um welche Zeit auch der Bahnzug
nach Eßlingen abgehen sollte, wurde ge
klingelt. Unser Bauer dachte, jetzt geht
der Zug fort; denn der Kellner hatte ihm
ja Alles ganz genau vorhergesagt. Doch
der Zug ging nicht fort, sondern das Or
chester spielte die Ouvertüre. Endlich
ging auch der Vorhang in die Höhe und
der Schwarzwälder konnte sich gar nicht
genug darüber verwundern, daß auf der
Eisenbahn auch Musik und Kömödie ge
spielt werde. So oft der Vorhang fiel,
glaubte der gute Mann, man sei jetzt an
einer Zwischenstation angelangt und ob
gleich die Fahrt bereits drei Stunden ge
dauert, während ihm jedoch der Kellner
sagte, man fahre per Eisenbahn in einer
halben Stunde nach Eßlingen, so schöpf
te er doch keinen Argwohn, denn es gefiel
ihm zu gut und er wäre gern noch drei
Stunden länger gefahren. Doch nahm
er sich fest vor, daS nächste Mal auch sein
Weib und seine Tochter mit nach Stutt
gart zu nehmen, damit auch diese einmal
eine Fahrt auf der Eisenbahn machen
könnten. Nun aber siel der Vorhang
zum letzten Mal uud Alles eilte zu den
Thüren hinaus und unser Bauer, der jetzt
glaubte, in Eßlingen zu sein, wurde von
der Menge auf die Straße geschoben.
Hier stand er nun wieder in finsterer
Nacht und wußte weder Weg noch Steg.
Er faßte sich aber ein Herz und fragte
einen jungen Stutzer, der neben ihm stand
ob er ihm nicht sagen könne, wo der Gast
hof zum Schwanen sei.
„Hier ist kein Schwan," brüllte der
Löwe, daß dem Bauer Angst und bange
wurde.
Da klopft ihm Jemand auf die Schul
ter, er sieht sich um und erblickt zu seiner
großen Freude den Wegweiser von heute
Abend, der ihm den Bahnhof gezeigt.
„Ah, guter Freund, zeigt mir doch den
Schwanen!"
„Den Schwanen ruft der Spaßvogel
verwundert aus. „Ihr seid ja nicht in
Eßlingen! als der Vorhang zum zweiten
Mal siel, da hättet Ihr aussteigen sollen
denn damals hielt der Zug in Eßlingen.
Ihr bliebet aber sitzen und seid nun wie
der mit retour nach Stuttgart gekom
men."
UnsremSchwarzwälder blieb nun nichts
übrig, als sich in sein Schicksal zu erge
ben und seinGasthaus wieder aufzusuchen.
Ehe er aber dieses fand, verfluchte er die
Eisenbahn tausendmal und schwur, nie
wieder darauf zu fahren. W. B.
-----SP, '
Der Westenknopf.
Walter Scott begegnete einmal in ei
ner engen Gasse inEdinburg einem schwer
beladenen Wagm, der mit drei Pferden
Laufende Nummer
bespannt war und fast die ganze Straße
versperrte. Der Wagenführer ließ an
halten, trat mit dem Hute in der Hand
zu dem Baronet und sagte: „Gehen Sie
vorüber, während ich das eine Pferd da
halten lasse; eS könnte sonst ein Unglück
geschehen " —Walter Scott betrachtete den
Mann, der so ziemlich in seinem Alter
war, graues Haar, einen großen fast vier
eckigen Kopf, breite Schultern, schwielige
Hände und lebensvolle Augen hatte.
„Hast du nicht Jemanden, dem Du Dein
Geschirr anvertrauen könntest?" sagteer
zu dem Fremden. Dieser pfiff einem jun-
Burschen und befahl ihm, mit dem Wa
gen an den bewußten Ort zu fahren, in ei
ner Stunde würde er zurück sein. „Vor
Abend wirst du nicht wieder loskommen,"
fiel Walter Scott ein.—„Nun, so komme
ich Abends," sagte der alte Schotte zu
dem Burschen und er folgte dem großen
Dichter in das Haus, was dieser in der
Stadt besaß und wo er den Fremden mit
einem tüchtigen Frühstück tractirte. Nach
dem Frühstücke, führte er seinen Gast in
sein Arbeitszimmer, in dem sich allerlei
merkwürdige Gegenstände in Menge be
fanden, ein Halsband der Anna Boleyn,
einMeßbuch der Marie Stuart, ein Stuhl,
dessen sich Cromwell bedient harte. Er
zeigte alles dies, und vieles andere noch
dem Fremden, zuletzt öffnete er einen
Schrank und brachte aus demselben ein
kleines künstlich geschnitztes Kästchen von
Cedernholz heraus, das wahrscheinlich ir
gend einem Kreuzritter gehört hatte und
in dem sich nichts alö ein gewöhnlicher
kupferner kleiner Knopf befand.
„Das ist das Werthvollste, was ich be
sitze," sagte der Dichter, indem er dem Al'
ten den Knopf in die Hand gab.
John betrachtete ihn von allen Seiten,
drehte ihn in der Hand herum, und fand
ihn wie jeden andern kupfernen Knopf,
nur älter. „Was ist es mit diesem Knop
fe?" fragte er endlich.
„Das ist der Knopf von der Weste John
Trimmers," antwortete Walter Scott.
„Der Meinige? mein Knopf, mein
Westenkuopf?" fragte der Schotte.
„Ja, lieber Freund."
Walter Scott nahm seine Reliquie zu
rück, schloß sie sorgfältig wieder in daS
Kästchen ein und sagte zu dem alten John
Trimmer:
„Du erkennst mich nicht wieder, aber
ich habe dich nicht vergessen, denn ich ver
danke mein Vermögen und meinen Ruhm
wohl ausschließlich dem Diebstahle, den
ich an dir begangen habe. "
„Sie haben mich bestohlen ?"
/,Ja, diesen Knopf da habe ich dir ent
wendet. Vor fünfzig Jahren etwa lern
ten wir beide in einer Schule lesen, schrei
ben und rechnen. Du warft weiter als
ich: ich mochte mir noch sovielMühe geben,
es ging alles schwer in meinen Kopf ein,
während du den ersten Platz inne hattest
und ich dich nicht verdrängen konnte.
Das machte mir mehrere schlaflose Nächte.
Ich wußte nicht, wie du es anfingst, daß
du mich immer übertrafst, bis ich endlich
eine Gewohnheit an dir bemerkte. Wenn
du deine Aufgabe hersagtest, spielten dei
ne Finger stets mit dem untersten Knop
fe an deiner Weste; ich bildete mir ein,
eine schottische Zauberin oder eine Zigeu
nerin habe irgend einen Zauber in diesen
Knopf gelegt, und eines Morgens schnitt
ich dir den Knopf ab ohne daß du eS be
merktest. Als du aufgerufen wurdest,
suchten deine Finger den Knopf und fan
den ihn nicht; du kamst in Verlegenheit,
stottertest und vergaßest, was du gelernt
hattest; die Reihe kam an mich, ich über
traf dich leicht und erlangte deinen Platz.
Ich wurde dadurch in meinem Glauben an
die Zauberkraft des Knopfes bestärkt; er
hat mich nie verlassen und vielleicht ver
danke ich ihm die ersten Erfolge bei mei
nen Arbeiten. Später konnte ich wohl
einsehen, daß der Zauber die Gewohnheit
war, aber der Knopf hat mir doch viel
genützt . . du hast mich vergessen, ich aber
habe dich nie aus den Augen verloren 5

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