MWWWeWre Erzählung von Betta Kehren. (2. Fortsetzung.) Seine freundlichen Worte gaben Dora ihre Unbefangenheit wieder, und ganz glücklich war sie, als der Pro fessor, ihren Wunsch errathend wie der zwei Bände Storm von dem mächtigen Büchergestell nahm und sie ihr mit nach Hause gab. Sie bedankte sich lebhaft und versprach, die Bücher bald zurückzubringen. Es hat keine Eile, sagte er. Aber vielleicht sprechen. Sie in einigen Ta yn einmal vor und nehmen Ihr Ma »uskript wieder mit. Ich werde es sobald wie möglich lesen und Ihnen mein Urtheil offen und unverblümt mittheilen. Um diese Stund« bin ich immer zu Hause. Vielleicht wenn es Ihnen Freude macht reisen wir dann einmcrl zusammen nach Venedig, da es Ihnen heute in Florenz so gut gefallen hat. Es müßte hübsch fein, dachte er, als sie gegangen war, so ein liebes, junges Ding öfters bei sich zu haben. Hü'1er dtnu er lächelte, indem er sich ihres offenen Geständnisses erinnerte, da?.u bin ich doch wohl noch nicht alt genug. lZr setzte sich wieder an denSchreib tisch und versuchte, seine unterbro chctte Arbeit .wieder aufzunehmen. Dal) wollte es ihm nicht recht gelin gen, den zerrissenen Faden wieder an zuknüpfen. Zerstreut griff er nach dem Manuskript, das Dora ihm ge bracht hatte. Er las den Titel „Em por zum Licht", freute sich an der schönen, klaren Handschrift und be gann zu lesen. Er lächelte oft, während et laS. Einmal sogar lachte er laut. Es zuckte ihm zuweilen in den Fingern, eine spöttische Randbemerkung zu machen, aber zuweilen las er auch einen Absatz zweimal, zuweilen schim inerte es ein wenig feucht in seinen Augen, und das Lächeln war kein Lächeln spöttischer Ueberlegenheit, son dern der Rührung. Ein Hauch von Jugend schien ihm von diesen Blättern auszugehen. Ein froher, unerschütterlicher Glaube an die Macht des Guten, eine helle Be geisterung für das Edle und Wahre, ein heißes Verlangen nach Harmonie und Schönheit sprach aus diesen Zei Üeit. Daneben aber eine so weltfremde Umfahrenheit, eine so kindliche Auf fassung aller Lebensverhältnisse, daß Professor Rüdiger dem Schreiber des Briefes in jedem Punkte beistimmte und die Ablehnung der Erzählung durchaus berechtigt fand. Ihm per sönlich jedoch gewährte die Lektüre einen herzerfreuenden Genuß. Ihm erschloß sich eine junge Seele, wie eine eben erblühende Rose, die in thau frischer Reinheit und unbewußter Schönheit den Kuß der Sonne er wartet. Er blieb noch lange vor seinem Schreibtisch sitzen, als. er die Ge schichte zu Ende gelesen hatte. Ta lent steckte darin, ohne Zweifel, und so unendlich viel jugendlicher Idealismus. Es müßte eine köstliche Aufgabe sein, dachte er, diese junge Seele zu leiten und zu führen zu den sonnigen Höhen edlen Menschen thumS, ehe eine täppische Hand ihr den Blütenstaub von den Schwingen streifte, ehe sie irrend den Weg ver fehlen könnte „empor zum Licht" und hinabsänke in Elend und Finsterniß, wie so manche, so manche Er bemerkte es nicht, daß es däm meng wurde er überhörte es, daß die Thür sich öffnete, und erwachte erst aus seinem Sinnen, als eine weiche Hand sich auf seine Schulter legte und eine Frauenstimme zärtlich fragte: Noch im Dunkeln, Eberhard, und so tief in Gedanken? Ich dachte an ein Dichterwort, Mutter. antwortete er, indem er ihre Hand ergriff: „eine schöne Menschen seele finden, ist Gewinn". Und dann erzählte er ihr von dem kleinen Mäd chen Dora wäre über diese Be zeichnung sehr entrüstet gewesen —, das sich so vertrauensvoll an ihn ge wandt hatte. Er erzählt ihr, daß das schmale, blasse Gesichtchen mit den dunkeln Augen, den Augen jener Murillo'fchen Madonna, ihm schon während seiner Vorträge aufgefallen sei, daß der Schulrath sich ihm gegen über sehr günstig über die junge Leh rerin geäußert habe, daß sie infolge ihrer Krankheit ohne Stellung sei, und was er sonst von den ärmlichen Verhältnissen wußte.. Es sei doch Christenpflicht, meinte er, helfend hier einzugreifen. Die Mutter möge sich besinnen, wie man die beiden Frauen unterstützen könne, ohne ihr Ehrge fühl zu verletzen. Er als Junggeselle müsse sich doch in Acht nehmen, um den guten Ruf des jungen Mädchens nicht zu gefährden. Nur etwas verschwieg er bei seinem Bericht über Dora Gilbert, nämlich ihre offene Erklärung, daß er zu alt sei, als daß man sich in ihn verlieben könnte. Er wußte, daß eine solche Bemerkung die Eitelkeit seiner Mut ter schwer verletzt und die alte Frau von vornherein gegen das junge Ding eingenommen hätte, während ihm ge rade diese unbekümmerte Aufrichtig feit so sehr an ihr gefiel. Ihm war um seines Reichthums willen von Frauenmund so viel geschmeichelt und gelogen worden, daß ihm bei. seinem geraden, offenen Charakter der Ver kehr mit Damen sehr verleidet wor den war, besonders seit er sich selbst als Krüppel betrachtete. Als er später nach dem Abendessen noch mit der Mutter in dem etwas altmodischen, aber sehr gediegenen und behaglichen Speisezimmer saß, holte er Dora's Manuskript herbei und las einzelne Stellen daraus vor. Und bei den Stellen, die ihn gerührt hatten, fragte er: „Ist das nicht hübsch? und bei solchen, die ihn be lustigt hatten, lachte er wiederum herzlich und sagte: Ist das nicht kost lich? Dora hatte unterdessen daheim eine Schnitte Graubrot mit Wurst als Abendessen verzehrt und saß nun allein beim Schein der Petroleum lampe, in betn neuen Band Storm lesend, ber vor ihr auf betn Tisch lag. Sie las unb las, mit jener glückseli gen Versunkenheit in eine Erzählung, wie nur die Jugend sie kennt. Ver gessen waren die Sorgen des Alltags, vergessen ihr Kummer, ihre Enttäu schung. Ihr lebhafter Geist folgte dem Dichter willig auf feinen Pfaden, ob sie über die sonnige Heide oder das schaurige Moor, ob sie in stille Wald winkel oder alte Schlösser führten. Sie hoffte und verzweifelte, jubelte und weinte mit den Menschen, die s'ine Kunst so lebendig gestaltet hat, daß sie sie alle zu kennen glaubte. Sie hätte gern ihrer Matter die eine oder andere Erzählung vorgele sen, doch deren Phantasie viel hatte sie wohl nie besessen war schon längst durch Sorcen und geist tödtende Arbeit flügellahm geworden, und sie zog es vor, Abends nach sau rem Tagewerk mit einer Nachbarin die Stadtneuigkeiten zu bereden. Kam sie dann in ihre Wohnung zurück und fand ihre Tochter, die sonst so blassen Wangen gerötbet, die Hand in dem weichen schwarzen Haar vergraben, in ein Buch vertieft, oder auch eifrig schreibend, so dachte sie seufzend: Ganz der Vater! Genau so hatte ihr verstorbener Gatte als junger Lehrer über seinen Büchern und Schreibereien gesessen, wenn sie Abends schnell noch einmal in sein Stübchen gehuscht war, um ihm einen Gutenachtkuß zu geben. Es wäre wohl besser gewesen, sie hätte dem Wunsche ihres Vaters, des ehr samen Amtsschreibers, sich fügend, Den behäbigen Weiß-, Woll- und Kmwaaren Händler und Ladenbe fitzer geheirathet, der sich um sie be warb, aber die schönen, dunkeln Au gen ihres Zimmerherrn hatten es ihr nun einmal so angethan, daß sie nicht von ihm lassen zu können glaubte. Seine Freunde hatten ihm auch da mals eine große Zukunft prophezeit, dieselben Freunde, die sich darüber erzürnten, daß er die Liebschaft mit der blonden Schreiberstochter so ernst nahm und, um sie heirathen zu können, seine hochfliegenden Pläne opferte und sich mit der erstbesten Lehrerstelle begnügte, die ihm geboten wurde. Sie sagten ihm geradeaus, das stete Zusammensein mit einer halbgebildeten Frau, die unausbleib lichen Familiensorgen und die ermll dende Thätigkeit in der Schule wür den seine Schaffenskraft lähmen. Er aber, der stets Hoffnungsfrohe, lachte iißer ihre Besorgnisse und meinte sein Weiö würde er [ich schon heranbilden, und sein Talent würde in einem fried'ichen, glücklichen Heim erst recht einen gedeihlichen Boden finden. Wer von ihnen recht hatte, sollte sich nicht entscheiden, denn schon nach wenigen Jahren nahm der Tod die Feder aus der Hand des unermüdlich Schaffenden, noch ehe er seinen gro ßen Roman hatt«* vollenden können, von dem et alles für feine Zukunft erhofft hatte. Zu ungebildet, um den Werth seiner Arbeit zu würdigen, hatte die Wittwe mit anderen Papie ren auch das unfertige Manuskript verbrannt, eine That, die Dora ihrer Mutter niemals ganz verzeihen konn te, die diese selbst aber ihrer Meinung nach vollkommen mit der Behauptung rechtfertigte, es habe viel gottloses Zeug darin gestanden, und für junge Mädchen sei vieles überhaupt gar nicht passend gewesen. Von dem eigentli chen Inhalt wußte sie nichts mehr, nur den Titel hatte sie behalten: „Der Wahrheit die Ehre!" Dieser Titel hatte Dora fr gut ge fallen, daß sie ihn zu ihrem Wahl spruch erkoren hatte. Er schien ihr wie ein Vermächtnis) ihres Vaters, dessen sie sich zu ihrem Kummer nur noch dunkel erinnerte, den sie aber nach dem Wenigen, was sie von ihm kannte, seinem Bilde, seinen Gedichten und ein paar kleinen Erzählungen, schwärmerisch verehrte. Wie gut wür de et ihr geistiges Streben, ihre Freude an der Poesie, ihre Liebe zur Kunst verstanden haben, über die ihre Mutter in ihrer nüchternen Haus backenheit oft genug den Kopf schüt telle. Die gute, arme Frau! Die kurze Ehe hatte nicht genügen kön nen, ihre Bildung zu vollenden, und ihr späteres Leben war durch geist tötende Arbeit und die kleinlichen, aber beständigen Sorgen des Alltags so ausgefüllt, daß Poesie und Kunst keinen Raum darin hatten finden kön nen. Deshalb hielt sie auch bei ihrer Tochter alles Lesen und Schreiben für höchst überflüssig, soweit es nicht für ihren Beruf als Lehrerin nöthig war, der für Frau Gilbert auch nur eine praktische Bedeutung, die des Geld verdienend hatte. So schalt sie denn auch heute ein wenig, als sie Dora noch bei ihrem Buche fand, daß sie unnütz Licht ver brenne und bei ihrer leidigen Ge wohnheit, die Arme aufzustützen, die Ellenbogen verschleiße. Sie hätte lie ber früher zu Bett gehen sollen, wie der Arzt es ihr verordnet halte, da mit sie bald wieder kräftig genug wäre, um unterrichten zu können. Von jetzt an sollte sie auch jeden Mor gen spazieren gehen, denn sonst könn ten die theuren Ejsenpillen nichts nützen, hatte der Doktor gesagt. Dora hörte kaum, was die Mutter redete. Ihre Gedanken waren weit, weit fort. Noch beim Einschlafen dachte sie an das, was sie gelesen, und seufzte: Wer doch etwas so Schönes schreiben könnte! Aber wie soll ich das Leben kennen lernen und wo die Natur studiren! Dora war ganz glücklich, als sie einige Tage später wieder bei Profes sor Rüdiger in dem tiefen Ledersessel saß. Sie hatte sich ordentlich danach gesehnt, diesen herrlichen Raum mit all den schönen Dingen wiederzusehen. Wie glücklich mußte erst der Mann sein, der in einem solchen Zimmer wohnen durfte, dessen Blick, wenn er von feiner Arbeit aufschaute, auf die Murillo'sche Madonna oder auf die Venus von Milo fiel. Sie mußte sich zwingen, ihre Au gen auf den Professor zu richten, der von ihrer Arbeit sprach Er rieth ihr, keinen zweiten Versuch zu machen, sie zum Abdruck zu bringen. Der Schrei ber des Briefes, sagte er, habe es ehr lich mit ihr gemeint, und sie solle seilte guten Rathschläge befolgen. Versuchen Sie einmal, etwas zu schildern, was Sie wirklich kennen, ein Stückchen Leben, wie es sich vor Ihren Augen abspielt, die verschiede nen Eindrücke auf einem Spazier gang, oder irgend einen Menschen aus Ihrer Bekanntschaft, ganz nach Ihrer eigenen Anschauung, mit Ihren eige nen Worten. Schreiben Sie vorläu fig Skizzen, Studien nach der Natur, aber keine erdachten Geschichten. Jede Kunst will erlernt fein, auch die des Erzählens. Aber vor allem, kleines Fräulein, schreiben Sie keine Liebes geschichten, bis Sie erst mal selbst eine erlebt haben. Er lächelte wieder im Gedanken an verschiedene Stellen ih rer Erzählung, über die er so herzlich hatte lachen müssen. Sagen Sie mal in Ihrem Alter darf man ja noch Danach fragen —, wie alt sind Sie eigentlich? Achtzehn Jahre? O nein, Herr Professor, ich werde schon bald zwanzig. Ich habe doch schon im vorigen Jahr mein Examen gemacht. Und auf seine der Frage vorhergehende Bemerkung zurückkom mend, fügte sie hinzu: Liebesgeschich ten sind aber immer die schönsten, be sonders die unglücklichen, wie Im menfee von Storm.' Aber so etwas zu erleben, das muß schrecklich sein. Lieber will ich keine Liebesgeschichten schreiben können, ober nur glückliche, obgleich sie nicht so schön sind. Liebe und Leid kommen ungerusen in jedes Menschenleben, antwortete Professor Rüdiger ernst und blickte einen Augenblick sinnend vor sich hin. Er dachte an das Mädchen, das er vor Jahren so heiß tieliebt hatte, bis ein irrthümlich in seine Hände gera tener Brief ihm die bittere Wahrheit enthüllte, daß seine Braut ihn nur 'eines Reichthums wegen heirathen wollte, wührenb sie mit einem ganz unbedeutenden, aber btldhiibfchett Of fizier ein ebenso aussichtsloses wie 'ältliches LiebeZverhältniß unterhielt. Nie wieder ein Weib Macht über sich gewinnen zu fallen, hatte er sich da mals gelobt, und diesen Schwur hatte er sich bis heute gehalten. Zuweilen doch auch Liebe und Glück, sagte Dora leise, indem sie mit einem scheuen Blick seine verbitterten Züge streifte. Er lächelte ihr zu. Sie sinv noch jung. Freuen sie sich bessen. Der Professor hatte keine Neigung, bei dem soeben berührten, für Dora sehr interessanten Thema zu verwei len, unb sagte: Sie müssen sorgen, daß Sie rothe Wangen bekommen. Gehen Sie auch fleißig spazieren. Im Hofgarten können Sie jetzt das Erwachen des Frühlings studiren. Zeit haben Sie doch dazu. Uebrigens hätte ich auch eine Bitte an Sie Sie haben eine so schöne klare Hand schrift. Würden Sie mir wohl einen kunstgeschichtlichen Aufsatz abschrei ben, das heißt, wenn Sie meine Hie roglyphen lesen können. Ich müßte Ihnen aber zuvor einige Stellen klar machen, weil ich sehr viel durchgestri chen unb verändert habe. Dcra war glücklich, dem verehrten Manne einen kleinen Dienst erweisen zu können und folgte aufmerksam fei nen Anweisungen. Er freute sich ihrer raschen Auffassung und ihres Verständnisses. Ehe sie jedoch den Aufsatz ganz durchgesehen hatten, klopfte es an der Thür. Das saubere Dienstmädchen erschien und fragte höflich, ob Herr Professor auch nicht vergesse, daß er mit Frau Geh imrath in's Theater gehen wolle. Der Thee sei fertig. Dann dürfen wir meine Mutter nicht warten lassen, sagte Rüdiger, indem er sich erhob und nach feinem Krückstock griff. Kommen Sie, Fräu lein Gilbert, trinken Sie eine Tasse Thee mit uns. Meine Mutter wird sich freuen, Sie kennen zu lernen. Ich habe ihr schon von Ihnen erzählt. Die beiden lebten Seiten leben wir dann nachher noch eben durch, und zu der geplanten Reise nach Venedig werben wir ein andermal Gelegenheit finden. Er hatte sich in feinem Innern ei nen Plan zurechtgelegt, durch den et dem jungen Mädchen einen leichten Verdienst zu verschaffen gedachte, bis sie wieder unterrichten konnte, doch wollte et nichts davon sagen, ehe er seine Mutter ganz dafür gewonnen hatte. Dora hätte am liebsten seine Ein ladung gar nicht angenommen. Ihre Schüchternheit kehrte sofort wieder bei dem Gedanken, daß sie bei einer frem den Dame Thee trinken sollte, die noch dazu eine Geheimrath war. Das be stimmte Wesen des Professors jedoch ließ keine Ablehnung zu, und mit klopfendem Herzen folgte fie ihm in das Speisezimmer. Eine stattliche alte Dame erwartete sie dort schon am Theetisch: sie war in schwere schwarze Seide gekleidet, trug ein feines Spitzenhäubchen auf dem weißen Scheitel, eine goldene Brille auf der Nase und machte auf Dora einen sehr ehrfurchterweckenden Eindruck. Ein Paar kluge, graue Au gen blickten durch die Brillengläser hindurch prüfend, aber nicht ohue Wohlwollen auf das junge Mädchen, das sich bei der Vorstellung bescheiden vor der Hausfrau verneigte und ohne Zie^rei den Platz ihr gegenüber ein nahm. Professor Rüdiger sagte sich im Stillen, daß sein Schützling heute gar nicht vortheilhaft aussehe. Auf die kalten hellen Tage war plötzlich sehr mildes Wetter gefolgt, und da Dora heute auf das Drängen ihrer Mutter den ersten größeren Spazier gang gemacht hatte, fühlte sie sich jetzt am Abend infolge des Witterungs Wechsels und der ungewohnten An strengung sehr müde und angegriffen. Ihre Augen waren matt, und selbst ihre Lippen waren heute blaß und farblos, wie das ganze schmale, elende Gesichtchen. Der Professor machte es sich selbst nicht klar, daß ihr schlechtes Aussehen seine Mutter eher seinen Plänen ge neigt machte, als wenn die äußere Er scheinung des Mädchens in ihr Ge danken nahegelegt hätte, daß das In teresse ihres Sdhnes noch einen an dern Grund als den des Mitleids und reiner Nächstenliebe haben könnte. Diese reizlose Kleine mit den schma len Schultern und den magern Kin derhänden war wohl für einen gereif ten Mann ganz ungefährlich. Der alten Dame gefiel es hingegen, daß sie bei aller Einfachheit so tadellos sauber und ordentlich aussah, daß den klugen Augen entging nicht leicht etwas ihr Haar, ihre Zähne und Fingernägel sorgsam gepflegt waren, daß sie eine weiche, angenehme Stim me und ruhige, anmuthig« Bewegun gen hatte. Auch beim Essen unb Trinken benahm sie sich nett unb ma nierlich unb was burchaus nicht ohne Bedeutung war gegen ben Herrn Professor war sie bescheiden, ja fast ehrerbietig, nicht vertraulich, wie die Mutter fast gefürchtet hatte. i Dora war hi.'r in der That längst nicht so unbefangen und zutraulich gegen ihn, wie sie es in feinem Ar beit^immer gewesen. Er karr ihr plötzlich so beängstigend vorn.'hin vor, als sie sah, mit welcher Selbstver ständlichkeit er aus einer echt chinesi schen Tasse feinen Thee trank, nach dem er zuvor aus einer silbernen Dose Zucker und aus einer kunstvoll ge schlissenen Kristallflasche Arrak dazu genommen hatte. Auf dem feinen Damajttischwch, das wie Seide glänzte, stand eine silberne Platte mit kleinen belegten Brotschnitten und ein gleichfalls silbernes Körbchen mit Ge bäck. Dora hatte immer geglaubt, daß die Leute, die so schöne Dinge be säßen, sie nur an hohen Festtagen ge brauchten. Und diese Menschen be nutzten sie, wie es schien, alltäglich, genau so wie sie und ihre Mutter das dicke Steingutgeschirr, die eisernen Gabeln, die Theekanne mit dem „abben Schnüßchen", wie ihre Mutter sich ausdrückte, und die roth und weiß gewürfelte Kaffeedecke. Vom Tisch weg schweiften ihre Au gen im Zimmer umher und ruhten bald auf einem Majolikawandteller, bald auf einer alterthümlichen Zinn kanne oder auf einem Deister Krug. Sie müssen aber das Essen nicht vergessen, sagte plötzlich der Pro fessor. Sie antwortete nur mit einem lei sen, glücklichen Lachen: Es ist alles so schön hier. Er wars seiner Mutter einen lä chelnden Blick zu. War sie nicht kost lich, diese naive Freude am Schönen? Dann erzählte er ihr, wie er die einzelnen Stücke allmählich erworben und zusammengetragen hatte. Plötz lich aber unterbrach er sich und stand aus. Die Damen entschuldigen mich wohl. Ich muß vor dem Theater noch ein wenig Toilette machen. Fräulein Gilbert, Sie haben wohl die Güte, meiner Mutter unterdessen die Inhaltsangabe der neuen Oper vor zulesen, die wir heut«. Abend hören werden. Meine Mutter sieht nämlich schlecht und hat mehr Genuß von der Vorstellung, wenn sie vorher über di? Handlung des Stückes unterrichtet ist. Als der Professor später mit der alten Dame im Wagen saß, um zum Theater zu fahren, fragte et nur: Nu«. Mamachen? Er wMe. daß sie diesem Schmeichelwort au8 seiner Kinderzeit nicht leicht widerstand. Das Mädchen hat mir ganz gut gefallen, antwortete sie. Hübsch ist sie ja nicht, na, bas ist ja auch nicht nöthig, aber sie hat ein an genehmes Wesen, unb sie liest recht nett. Unb wenigstens einmal am Tag eine ordentliche Mahlzeit, bas wird ihr gut thun. Dafür wirb un sere alte Karline schon sorgen. Aber, weißt Du, mein Junge, geh lieber erst mal zu ben Leuten hin und sieh zu, ob sie s wirklich so nöthig haben. Es wirb so viel gelogen in der Welt. Die Person, die diesen Winter so lange das Essen für ihren kranken Mann geholt hat, war, wie sich schließlich herausstellte, gar nicht ver heirathet. Abet, liebe Mutter, bte Kleine hat boch webet bei mir geklagt, noch in irgenb einer Weise gebcltelt. So, wie ich sie beurtheile, würbe sie lieber verhungern, als ein Almosen nehmen. Sie bars nie auf ben Gebanten kom men, baß wir uns aus Mitleib ihrer annehmen. Ich glaube auch wirklich, Mutter, baß es Dir angenehm fein wirb, das junge Mädchen jeden Nach mittag ein paar Stunlcn bei Dir zu haben. Sie kann Dich bei Deinen Besorgungen in der Stadt begleiten und mit Dir spazieren gehen, mit Dir plaudern und Dir dann nach dem Abendessen eine Stunde vorlesen. Denn daß sie eine gute Mahlert be kommt, dafür muß man in erster Linie sorgen. Aber Du hast recht, ich will morgen einmal selbst hitvjvfccn und mir die Mutter und die häus lichen Verhältnisse ansehen, ehe ich ihr einen Vorschlag mache, der sie täglich in unser Haus führen wird. Zunächst natürlich nur für einen Mo nat. Wir müssen dann mal überle gen, wie viel man ihr anbieten darf, ohne daß sie bas Gefühl hat, eine Un terstützung zu empfangen. Du bist sehr zartsühlenb, Eber harb. Ich glaube, mehr als nöthig in diesem Falle. Liebe Mutter, ich glaube, man kann niemals zu zartfühlend fein, beson ders wenn man Jemand eine Wohl that erweisen will, die er nicht ver langt hat, und vor allem einem un erfahrenen jungen Mädchen gegen über, dem ber Schutz unb bie Für sorge eines Vaters fehlt. Als Professor Rübiger am nächsten Tage unter bem Vorwand, daß er an feiner Arbeit vor dem Abschreiben noch etwas ändern wolle, Dora bei ihrer Mutter ausgesucht hatte, kam er ganz bewegt nach Hause. Was giebt es doch für armselige Existenzen, Mutter, sagte er. Unser Schützling ist wohl sein Leben lang eine rechte Schattenpflanze gewesen. Wir thun wirklich ein gutes Werk, wenn wir etwas Licht und Wärme in biefes sonnenlose Dasein bringen. Mit ber Mutter habe ich auch n we nig geplaubert. Sie ist keine Dame, aber sie ist mehr als bas: sie ist eine brave Frau unb eine gute Mutter. Mit aller Liebe unb allem Fleiße hat sie jeboch für sich und ihr Kind nicht mehr als das Allernothwendigste schaffen können, nichts von bem was das Leben erst reich und schön und lebenswerth macht. Ich glaube, ich würde gemüthskrank, wenn ich in ei nem solchen Zimmer wohnen sollte, mit einer so häßlichen bunten Tapete, so geschmacklosen, schlechten Gerathen und so scheußlichen billigen Bildern und Nippsachen. Weil Du es'von Kind an anders gewöhnt bist, meinte seine Mutter. Diese Leute kennen es doch nicht an ders und empfinden bie Häßlichkeit ihrer Umgebung nicht, weil alle ihre Bekannten ebenso wohnen. Aber bas junge Mäbchen mit sei nem ausgeprägten Schönheitssinn fühlt ben Mangel unb leibet barutf ter. Ihre kümmerlichen Versuche, we nigstens die Ecke, wo ihr Schreibtisch steht, mit nicht ohne Geschmack aus gewählten Silbern aus Zeitschriften ein wenig hübsch zu gestalten, rühr ten mich orbentlich, besonders aber ein Bild, das einzige gerahmte, das den Ehrenplatz in der Mitte hatte. Es war die Photographie eines jungen Mannes, ihres früh verstorbenen Va ters, wie sie mir sagte, ein interessan ter Männerkopf, das schmale Gesicht in Schnitt und Ausdruck dem der Tochter sehr ähnlich, mit der hohen freien Stirn und den dunkeln Schwärmeraugen art Körner erin nernd. Um dieses Bildnis? hatte sie sehr nett unb sauber, aber ganz dilet tantenhast, einen Kranz von wilden Rosen in Wasserfarben gemalt, unb darunter standen in schöngezeichneten Buchstaben die Worte: Der Wahrheit die Ehre! Der Titel eines unvollen beten Romans ihres Vaters, ihr Wahlspruch, wie sie mir erklärte. Wenn Du gesehen hättest, Mutter, mit welchem Blick voll schwärmen scher Verehrung sie zu diesem Bilde ausschaute, Du würdest dieses Mäd chen gleich mit keiner Unwahrheit sä hig halten. Mir erschien dieses Plätz chen wie ein Altar, den eine fromme Kinderseele ben höchsten Jbealen er richtet hat. Die alte Frau sah ihren Sohn zärtlich an, boch schüttelte sie ben Kopf zu feinen Worten. Wie er sich noch begeistern unb erwärmen konnte! Du Schwärmer, warnte sie, hüte Dich nur, baß Du nicht wieber aus Deiner eigenen Seele etwas in eine anbere Hineinbichtest, was ihr vielleicht ganz frentb ist. Für Dora Gilbert begann jetzt et« neues Leben. Morgens früh, nach» bem sie ihr erstes Glas Milch getrvn ken Hatte, wanberte sie burch ben Hof garten bis zum Rhein unb faß wohl auch eine Weile auf einer Bank, ba sie noch immer schnell mübe würbe» Wenn sie bann etwa zwei ©tunbett in ber frischen Luft gewesen war. ging sie langsam nach Hause, ruhte bort ein wenig, trank ihr zweites GlaS Milch, besorgte den kleinen Haushatt und kochte das einfache Mittagessen, während die Mutter stickte. Die bei den Frauen lebten ordentlich auf, seit sich für Dora eine unerwartete Ein nahmequelle erschlossen hatte unb bie drückendsten Sorgen wieder für eine Zeitlang von ihnen genommen waren. Das Schönste bei der Sache war, daß diese Erwerbsquelle zugleich für das junge Mäbchen eine Quelle rein ster Freube bildete. Sie konnte Nach mittags die Stunden kaum erwarten, die sie jetzt regelmäßig bei Frau Ge heimrath Rüdiger zubrachte. Der Aufenthalt in den schönen Räumen war schon für sie ein Vergnügen. Manchmal war es auch so warm, daß sie bis zum Abendessen draußen auf der Terrasse sitzen konnten, die jetzt zur Frühlingszeit einen entzückenden Blick in die blühenden unb geünenben Gärten gewährte. Die glücklichste Stunbe be§ TageS aber war bie nach dem Abendessen, wenn Dora aus einem der herrlichen Bücher vorlesen durfte, die der Pro fessor meistens selbst für sie und feine Mutter aussuchte. Für gewöhnlich ging er nach Tisch sofort wieder in sein Zimmer, um zu arbeiten, sehr zufrieden, die alte Dame so angenehm unterhalten zu wissen. Aber auch wenn er eingeladen war oder in ben' Maltasten ging, war er srofi, bajj' feine Mutter nicht allein war, um so mehr, als sie selbst bas junge Mäbchen von Tag zu Tag lieber um sich hatte. Mit Genugthuung beob achtete sie, daß Dora schon nach eini gen Tagen nicht mehr so elend aus sah und daß ihr Appetit sich merklich besserte, nachdem sie zuerst dem guten Essen nur sehr wenig Ehre hatte an thun können. Die Unterhaltung war bei Tisch immer sehr lebhaft, da Dora's In teresse für Kunst und Kunstgeschichte ben Professor häufig zu Erklärungen ober auch zur Berichtigung einer irr thümlichen Auffassung veranlaßte. Bedurfte er zur Erläuterung einer aufgeworfenen Frage ber Abbildun gen, so kam es auch vor. baß bie Da men ihm in fein Arbeitszimmer folg ten unb bort eine Weile mit ihm säuberten, währenb er feine Mappen öffnete unb ihnen Silber unb Photo graphien zeigte. Nach einiger Zeit fragte er auch Dora, ob sie noch nichtS1 Neues geschrieben habe. Sie ver neinte feufzenb mit ber Begrünbung» baß ihr jetzt gar nichts einfalle. Das schabet nichts, bemerkte er ba rauf. Das Sammeln von neuen Einbrücken, wenn es auch unbewußt geschieht, ist vorläufig für Sie viel nützlicher, als bas Niederschreiben ju genblich unreifer Erzeugnisse Ihrer Phantasie es fein könnte. Als sie jedoch an einem Abend, dem ein herrlicher Frühlingstag vorange gangen war, voll Entzücken von ihrem Morgenspaziergang im Hofgarten er» zählte sagte er: Versuchen Sie einmal die Stimmung eines Frühlingsmor gens, wie Sie ihn soeben mündlich recht anschaulich geschildert haben, auf dem Papier festzuhalten. Nehmen Sie morgen früh ein Heft und einen Bleistift mit, setzen Sie sich auf eine Bank und skizziren Sie in flüchtigen Umrissen, was Sie sehen. Sprechen Sie aber nicht im Allgemeinen von Bäumen, Blumen unb Vögeln, unb Sie werben sehen, wie die Schilde rung an Anschaulichkeit gewinnt. Lä chelnd fügte er hinzu: Ob das freilich der richtige Weg ist, der Sie zum Schriftstellerruhm führt, das kann ich Ihnen nicht versprechen. Jedenfalls lernen Sie babei, unb das schadet nie mals. So wanberte Dora am nächsten 1 Morgen in den Hofgarten, in der lob lichen Absicht. Rüdigers Vorschlag auszuführen, dessen Nützlichkeit anzu zweifeln ihr vermessen erschienen wäre, da bie Unfehlbarkeit bes Pro- sessors in allen Fragen der Kunst unb Wissenschaft sie über jeben Zweifel er haben dünkte. Wie schön war es auch heute wieder i in dem im ersten frischen Schluck des Frühlings Prangenden Park, ber mit 1 feinen schattigen Alleen unb prächti gen alten Baumgruppen, mit seinen weiten grünen Rufenflächen und spie gelnden Teichen der Stolz ber Dussel borscr Bürger ist. Noch vor einem |j halben Jahrhunbert ganz außerhalb ber kleinen Malerstabt vor ihren Tho ren gelegen, ist er allmählich ber Mit telpunkt bet schnell emporblühenben Großstabt geworben. Zu bem lebhaf ten Getriebe ber umliegenben Straßen bilbet bie Ruhe unb Stille bes Hof gartens einen erquickenben Gegensatz, besonbers in ben frühen Morgenstun» ben, wenn bie Sckiaaren ber Kinber mäbchen mit ihren Schützlingen noch nicht erschienen sinb. (HortseHU! folgt.) I a u e n v e e i n a u (zu einer anbern): Das muß ich ja zugeben, mein Mann finbet sich in alles brein,... nur mit bem Wä-. schema scheu, da hapert's bei ihm noch statt?! I I 'â