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Der Staats=Anzeiger. (Rugby, N.D.) 1906-current, January 30, 1908, Image 7

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If Gesetze des Herzens.
Sternen Don Kt. von «einShof»».
(5. Fortsetzung.)
Obwohl von ganz verarmtem Adel
ammend, hatte sie den Glanz ihres
tammbaums stets als höchstes Gut
etrachtet, noch mehr dann, als es
hr wider Erwarten gelungen war,
ine glänzende Partie zu machen und
ie zweite Gattin des reichen Feld
errn von Gersdorf zu werden. Zu
echter Zeit hatte Fortuna noch diesen
lückswechfel über das verarmte
räulein geschickt, denn ein Jahr
ach ihrer Vermählung mußte sie das
chreckliche erleben, den Namen, den
ie mit ängstlicher Sorgfalt reinge
alten und durch ihre glänzende Ver
indung wieder zu Ehren und Anse
en gebracht, auf allen Cirtuszetteln
Ii lesen. Ihr einziger Bruder war
unstreiter geworden. Frau von
ersdorf schauderte, wenn sie an die
sen dunklen Punkt in ihrem Leben,
wenn sie an die Summen dachte,
welche sie diesem dunklen Punkt ge
opfert. Weder flehentliches Bitten,
och Drohungen hatten den Kunst
reiter seiner Laufbahn zu entreißen
vermocht. Ebenso wenig war er
anfangs gewillt, seinen Namen zu
(indent.
„Tas, was meine Vorfahren als
Passion betrieben, sichert mir eine
(triftenz," hatte er der stolzen Schwe
ster salt erwidert. „Unser Name hätte
tins nicht vom Hungertode gerettet
sei froh, daß du dein Lebensschiff in
sicherem Hafen hast wer weiß, an
welcher Klippe das meine zerschellt!"
„Mein Watte kann dir zu einer
guten Karriere in jeder Lebensstel
lung verhelfen," hatte sie flehentlich
gebeten, „und an den nöthigen Mit
teln, anständig austreten zu können,
soll's dir nicht fehlen!"
Aber auch dieser Vorschlag war
schroff zurückgewiesen worden.
„Daraus würden nur endlose Ver
pflichtungen und Verbindlichkeiten
entstehen, und ich will frei und unge
hindert die Welt durchziehen können,"
war seine Antwort gewesen. „Wärest
du gekommen, bevor ich ausgetreten,
hätte ich deinen Bitten vielleicht Gehör
geschenkt jetzt, nachdem mich der
Beifall der Menge berauscht, verlasse
ich die einmal betretene Bahn nie
Wieder!*
„In diesem Falle wurde sich mein
'Gatte von mir trennen, und mir
bleibt nichts Übrig, als mein Leben
zu beendigen!"
Mit gerungenen Händen hatte sie
weiter gefleht.
„Wenn dir gar so viel an der Sache
gelegen, will ich in deinem Interesse
meinen Namen ändern," hatte er ge
sagt. „Dem Publikum kann es gleich
sein, ob ein Graf WoronSky oder ein
Borinsky seine Bravourstückchen ihm
vorreitet, doch zahlst du mir für diese
Selbstverleugnung sünszigtausend
Mark!"
Sie hatte eingewilligt, und dann
waren sie auf Nimmerwiedersehen
geschieden.
Die Baronin hatte trotzdem den
einzigen Bruder sehr geliebt und auch
später wiederholt Nachforschungen
nach seinem Verbleib angestellt, doch
sie waren resultatlos geblieben. Nie
mand hatte eine Ahnung von diesem
Vorfall gehabt, nicht einmal ihr
Gatte, der von dem flüchtigen Debüt
eines Kunstreiters von Waronska nie
ein Wort vernommen. Sie selbst war
mit der Zeit der verkörperte Fami
lienstolz geworden und je mehr sich
dieser Stolz ihres Gemüths bemäch
tigte^ desto unzugänglicher und
herrschsüchtiger wurde sie gegen ihre
Umgebung. Durch ihr hochfahrendes
Wesen hatte sie den Stiefsohn ver
scheucht, und auch Antonie, ihr eige
nes, einziges Kind, das sie trotz ihrer
Selbstsucht sehr liebte, suchte sich nun
ihrer Macht zu entwinden. Frau
von GerSdorf's Gedanken wurden an
diesem Abend sehr unerquicklich sie
fühlte sich zurückgesetzt, gekränkt von
den Ihrigen, und, gewöhnt, jeder
Laune nachzugeben, zog sie sich unter
dem Vorwande, von heftigen Kopf
schmerzen gequält zu sein, sehr früh
in ihre Zimmer zurück.
Herbert und auch Antonie athme
ten erleichtert auf, als sie sich von
dem beobachtenden Blicke der Mutter
frei wußten. Erst jetzt begegneten
sie den Gästen mit den ganzen ihnen
zu Gebote stehenden Liebenswündig
feit. Man verkehrte herzlicher, zwang
loser miteinander. Herbert trug das
Bewußtsein in sich, seinen Gästen das
beste zu bieten, was ein Gastfreund
zu bieten vermag: warmes Entgegen
kommen überall. Und daß man das
zu würdigen verstand, sah er an den
belebten Gesichtern, an der angereg
ten, geistsprühenden Unterhaltung,
der gehobenen Stimmung ringsum.
Noch mehr aber sagten es ihm Ger
hub's leuchtende Augen und Adal
bert's freudig erregtes Gesicht.
Gertrud! Wie schön sie war! Wie
sie trotz ihrer Einfachheit alle übrigen,
selbst die schone Schwester verdun
feite! Rücksichtslos gab sich Herbert
betn Glücksgefühl hin, sich ausschließ
lich ihr widmen zu können. Wie ein
Schwan, so bewegte sie sich im duf
tigen, weißen, nur mit blühenden
Blumen geschmückten Kleide unter all
der bunten, schimmerden Toiletten
pracht, unter den gleißenden Atlas
toben, deren Trägerinnen überstrah
lend durch Anmuth und Grazie.
Manch neidvoller Blick aus dem scho
nen Damenflor flog hinüber zu dem
einfachen und doch so reizvollen Mab'
chen, dem der Majorathsherr so aus
schließlich huldigte. Manch' leise
Frage drängte sich über Die Lippen:
Wer ist sie? Woher kommt sie?
Eine ältere, verblühte Komtesse
wagte es endlich, die gefährliche
Brücke, die Diskretion und Anstand
ziehen, zu überschreiten und wandte
sich deshalb direkt an Antonie.
„Meine liebe Baronesse, Sie wür
den mich mit einer Definition über
die Couduite der Dame, die heute das
Borrecht genießt, Ihren Herrn Bru
der einzig und allein in Anspruch zu
nehmen, sehr verbinden."
Antonie kämpfte mit einer leichten
Verlegenheit. Die Komtesse war eine
Gesinnungsgenossin ihrer Mama, eine
als äußerst ahnenstolz bekannte Dame,
der Traditionen und alte Pergamente
mehr galten als das schönste Werk
des Künstlers, als die erhabenste
Schönheit der Natur. Antonie zö
gerte einen Augenblick mit der Ant
wort dann sagte sie mit ernstem
Ausblick: „Die Sitten der jungen
Dame gereichen jedem Salon zur
Zierde sie ist Lehrerin ihr Name ist
Gertrud Hagen."
Die Dame fuhr in vollster Entrü
stung aus:
„Horrible! Und derartige Persön
lichkeiten duldet und empfängt die
Baronin? Wirklich, man wird sich
künftighin reiflicher überlegen müssen,
bevor man annimmt!"
„Der Stolz und die Ehre meines
Bruders bürgen mir für die Ehre der
Geladenen," erwiderte nun auch An
tonie gereizt. „Der Bruder der Dame
ist Offizier und bekleidet dieselbe
Charge wie mein Bruder. Die Be
zeichnung ,derartig* Persönlichkeiten'
dürfte hier doch nicht recht am Platze
sein!"
Die Dame zuckte vornehm mit den
spitzen Schultern und erwiderte hoch
müthig:
„Das Dekorum gebietet uns vor
allem, Damen gegenüber die strengste
Vorsicht zu gebrauchen. Als Kavalier
mag Ihr Bruder wohl über die bür
gerliche Herkunft seines Waffenge
fährten hinwegsehen, doch was sollen
diese intimen Beziehungen zu der
Schwester? Ihre harmlose Weltan
schauung kann eben die Gefahr solch
bürgerlichen Umgangs nicht ermes
sen!"
In Antonie wallte es heiß empor.
Das schöne junge Mädchen, welches
sie heute zum erstenmal gesehen, hatte
mit einem einzigen Blick aus ihren
seelenvollen Augen ihr Herz gewon
nen. Mit solchen Augen konnte man
unmöglich lügen, unmöglich eine Be
trügerin sein.
„Ich wüßte nicht, welche Gefahr
uns aus dem Umgang mit hochgebil
beten Menschen entstehen könnte,"
sagte sie, lebhaft vertheidigend. „Das
erstickende Parfüm unserer Salon
Athmosphare lähmt hohen Gedanken
flug engherzig hüten wir uns in
Wort und Blick, verleugnen wir war
mes, menschliches Empfinden, damit
wir nichts verlieren von dem Nimbus
der Erhabenheit, den uns Geburts
Vorrechte verleihen-. Edle Charakter
züge, Hobe, geistige Bildung finden
wir in jeder Lebensstellung. Sich
von dieser Erkenntniß abschließen,
hieße, die heiligsten Menschenrechte
mit Süßen treten!"
Die Comtesse verzog die schmalen
Lippen zu einem sehr geringschätzigen
Lächeln.
„Das sind sehr, sehr pikante Aeuße
ruugen aus betn Munde einer Baro
nesse Gersdors. Mich nimmt nur
Wunder, daß bei der hocharistokrati
schen Gesinnung Ihrer Frau Mutter
solche Ansichten in Ihnen auskommen
konnten. Die Atmosphäre Ihres
Salons scheint mir denn doch heute
nicht geeignet, sich mit Vergnügen
und Sicherheit in ihr zu bewegen!"
Sie wehte sich mit einem kostbaren
Fächer Kühlung zu, um die Gemüths
bewegung zu dämpfen, nahm mit
einer demonstrativen Bewegung ihre
Atlasschleppe auf und wandte sich
zum Gehen.
Beunruhigt blickte ihr Antonie nach.
Zum erstenmal war sie für des Bru
ders Ansichten eingetreten und hatte
dafür eine tiefe Feindschaft einge
tauscht.
Die Debatte beider Damen war
nicht ohne Zeugen geblieben. Adal
bert Hagen, der in der Nähe geweilt,
hatte jedes Wort vernommen. Die
Vertheidigung Anionic's hatte ihn
mit hoher Genugthuung erfüllt. Sie
war ihm dadurch näher gerückt, als
gesellschaftlicher Verkehr ermöglicht
haben würde.
„Bereuen Sie Ihre warme Theil
nähme, Baronesse?" fragte er sanft,
die dunklen melancholischen Augen
voll zu ihr aufschlagend. Die bösen
Geister der Zwietrach scheuen sich nicht,
selbst die lichtesten Räume zu verdun
kein!"
„Sie gewinnen nur Macht über
uns, wenn wir ihnen unser Denken
und Fühlen unterordnen," erwiderte
sie lächelnd, „Verstellungskunst und
Heuchelei ist mir fremd und zuwider!"
Adalbert's Blick ruhte gefesselt auf
der schönen, hohen Gestalt, deren Pia
sttjche Formen in dem eleganten Atlas
kleide von tiefem, gesättigtem Blau
zur vollen Geltung kamen. Gelbliche
Spitzen zierten in reicher Garnirung
die kostbare Robe und die in schweren
Sammt abfallende Schleppe. Perlen
schwangen sich durch die kleidsame
Frisur und um den vollen, weißen
Hals.
„Ich bewundere den Muth, mit
dem Sie selbst auf die Gefahr hin,
von Gleichgestellten gemieden zu wer­
den, zwei gänzlich unbekannte Men
schen vertheidigten!" sprach er.
„Sie sind Gäste unseres Hauses so
gut, wie jene Dame. Antonie sagte
es voll Würde. „Es steht einein Gaste
schlecht an, den andern zu verunglim
pfen die heilige Flamme gastlichen
Herdes sinkt durch solchen Mißbrauch
zum trügerischen Irrlicht herab."
Adalbert Hagen zog die kleine Hand
Anionic's verehrend an seine Lippen.
„Das sind Ansichten, die tiner
Dame von Ihrer Erziehung zur höch
sten Ehre gereichen, Baronesse. „Nicht
mitzuhaffen, mitzulieben sind wir
da!" Würden die erhabenen Worte
einer Antigone doch von allen Frauen»
herzen so verstanden, wie von dem
Ihren!"
Antonie erröthete heiß. Vor weni
gen Tagen noch hatte sie unter dem
selben Druck gelebt. War die Wand
lung, die sich in ihrem Innern voll
zogen, auch von Dauer? Waren die
einfachen Menschen, die ihrem Ge
sichtskreis näher gerückt, es auch werth,
den Kampf mit der Mutter, anerzo
gelten Vorurtheilen und Standesge
nossen auszunehmen? Unwillkürlich
wurde Antonie kühler, zurückhalten
der.
„Es gehört weit weniger Muth
dazu, die Wahrheit zu behaupten, als
mit großgezogenen, eingewurzelten
Grundsätzen zu brechen," sagte sie ab
lehnend. „Ein Gesinnungswechsel
bringt immer Konflikte mit sich. Den
inneren Frieden erlangen, ist Glück.
Doch feiten wird die Wunderblume
„Friede" einem Sterblichen zu Theil."
Adalbert Hagen fühlte sich mächtig
angezogen von dem schonen, stolzen
Mädchen und dem Impulse folgend,
sprach er:
„Friede! Das Wort ist ein Problem,
an befjeit Lösung schon die edelsten
Charaktere vertagten, Baronesse.
Wer auf der Sonnenhöhe des Lebens
steht, wird seine hohe Bedeutung nie
ersassen. Dein Ehrgeizigen, Effekt
haschenden, Vergnügungssüchtigen
bleibt sein hoher Sinn verborgen,
weil er bie innere Leere durch äußeren
Prunk zu übertünchen sucht. Im
Palast, wie in der Hütte weilt er
selten, doch wo er weilt, da ist es
wohl sein, da athmet man Ruhe und
streift die kleinlichen Sorgen, das all
tägliche Elend von sich, um voll und
ganz ein guter Menfcb zu fein."
Antonie lauschte voll Interesse.
Die warme, klangvolle Stimme des
schönen, ernsten Mannes berührte sie
sympathisch sie hallte in ihrem Her
zen nach. Seine Unterhaltung war
so ganz anders wie die, welche sie bis
jetzt aus Männermund vernommen
hatte. Jener allgemein übliche, tän
delnde, chevalereske und doch so nich
tige Konversationston ging ihm gänz
lich ob er tauschte Ernstes mit Ern
stem. Die künstliche Scheidewand ge
sellschaftlicher Konvenienz fiel um ein
Merkliches dafür erschloß sich Antonie
cine Welt voll Glanz und Poesie.
Der mit großer Ostentation voll
zogene Abschied der Komtesse A. hatte
statt Eklat, wie sie ernnutet, grone
Befriedigung hervorgerufen. Nie
mand vermißte die hochfahrende
Dome, welche ihre hohe Abkunft als
Freibrief für alle Rücksichtslosigkeiten
gegen minder Bevorzugte ausnutzte
und bereu geistiger Horizont kaum
mittelmäßig zu nennen war, so daß
sie ein volles Genügen in der Erledi
gung von Toilettenfragen und klein
iichem Dienstbotenklatfch fand.
Herbert von Gersdorf hatte die
kurze, unangenehme Szene gar nicht
bemerkt. Seine ganze Aufmerksam
keit gehörte Gertrud, die er nie zuvor
so entzückend, so anmuthig gesunden
hatte, wie heute. Die Beklommenheit,
die sich bei dem ungewohnten Glänze
der Umgebung ihrer anfangs unwill
kürlich bemächtigt, schwand unter An
tonias warmem Empfang und herzli
cher Begrüßung dahin. Selbst der
Hochmuth der Baronin hatte dem hol
den Liebreiz dieser Erscheinung, die
ihr einfach als „Fräulein Hagen"
vorgestellt, nicht völlig standgehalten
ein überraschter Blick aus ihren kalten
Augen hatte bie in tadelloser Haltung
vor ihr stehende junge Dame getrof
sen.
Nachdem die Baronin sich zurtickge
zogen, lebte Herbert nur noch in dem
Anblick Gertrud's die ganze Gesell
schaft verschwand um ihn. Sein Blick
suchte nur den ihren ihre süße
Stimme zauberte ihm Bilder einer
glücklichen Zukunft ins Herz. Seine
Bitte, etwas zur Unterhaltung der
Gäste beizutragen, wurde von ihr
ohne Ziererei bewilligt. In weichen,
schmelzenden Akkorden drangen die
Tone einer schwierigen Sonate durch
die lichterfüllten Räume, bei allen
Gästen die höchste Bewunderung er
weckend. Auch Antonie fühlte sich
hingerissen von dem einfachen, sich so
harmonisch ergänzenden Geschwister
paar. Adalbert hatte Gertrud's Ruf
sofort Folge geleistet. In meister
hostet Vollendung klangen Cello und
Klavier zusammen, die erhabenen
Gedanken eines großen Meisters einer
andachtsvoll lauschenden Menge in
ihrer ganzen Herrlichkeit vorführend.
Als der letzte Ton wie ein Hauch ver
klungen war, überschüttete ein Beifall
das Geschwisterpaar, wie er großarti
ger einem ersten Virtuosen nicht hätte
zu Theil werden können.
Gertrud wurde von all den Huldi
gütigen, die man ihr darbrachte, be
fangen. Das Salonleben war ihr zu
neu, zu fremd, als daß sie all den
blendenden Redewendungen so rasch
hätte folgen können sie fühlte sich erst
glücklich, als der Sturm verrauscht
war.
Der Dank, der in Herberts Augen,
in seinem glücklichen Lächeln lag, war
ihr Anerkennung wie keine sonst.
DaS Dunkel der letzten Tage, das
Dunkel ihres ganzen Seins ging unter
in dem Glücksgefühl, in feiner Nähe
weilen zu können.
Eine von blühenden Orangen und
Oleonberbäunten verdeckte Nische lud
sie zum Ruhen ein. Der Schein der
Lampen drang gedämpft durch dos
dunkle Blättergrün. Die schwer
müthige Melodie einer italienischen
Volsweise, die, von wohlklingender
Männerstimme vorgetragen, verhau
chend zu ihnen herübertonte, der Duft
der Blüthen nahm unwiderstehlich
ihre Sinne gefangen. Herbert zog
ihre Hände fest an sich.
„Gertrud, dieser Abend soll zum
Wendepunkt meines Lebens werben.
Gold und Nomen hat mir das Schick
sal in die Wiege gelegt. Mein Da
sein war reich an äußerem Schein,
und doch darbte ich, darbte an Liebe.
Blätter und Blüthen, Knospen und
Früchte begehre ich jetzt für mein
Leben. Die Liebe soll sie mir bringen,
die Liebe eines reinen Frauenherzens,
das ich für alle Zeiten an mich fesseln
möchte, weil es mir die reinsten,
menschlichen Gefühle zu erkennen gob.
Gertrud, wollen, können Sie mein
treues, liebendes, über alles geliebtes
Weib werden?"
Sie entzog ihm ihre Hände und
bedeckte in töMlichem Erschrecken das
erbleichende Antlitz damit. So saß
sie eine Weile regungslos ihm gegen
über. Aus sein dringendes Fragen
erfolgte keine Antwort. Große Tro
pfen lösten sich langsam von den fei
denen Wimpern und fielen wie
blitzende Sterne durch die schlanken,
verhüllenden Finger. In tiefer Be
stürmung sah Herbert auf die erbebende
Gestalt.
„Gertrud, bor den Wünschen mei
nes eigenen Herzens vergaß ich, das
Ihre zu befragen. Ich wähnte Sie
frei und gab mich der süßen Hoffnung
hin, Ihnen etwas zu fein! Wie grau
sam werde ich jetzt für mein eitles
Denken enttäuscht!"
Sie entfernte die Hände von dem
thränenfeuchten Antlitz. Er begegnete
einem ihm alles verheißenden Strahl
der schimmernden Augen, einem
Strahl der tiefinnigsten, gläubigsten
Liebe.
„Ihre Worte beglücken mich über
alle Maßen," sagte sie sonst, „doch
fern sei es von mir, Ihr edles Aner
bieten anzunehmen. Ich bin zu ein
fach für Ihr reiches Leben. Viel
Erdenftaub und Erbenelend knüpft
sich an mein Sein und statt des er
sehnten, erträumten Glückes würde
eine Vereinigung mit mir Ihnen nur
Leid und Sorgen bringen. Neid und
Kampf würden die ersten Blüthen von
unserem Bunde streifen. Den Nim
bus einer edlen Selbstverleugnung
weiß Menfchenmißgunft in Dornen
trotten zu verwandeln!"
Sie sagte es schmerzlich bewegt.
„Gertrud, welch finstere Mächte
verdunteln Ihr reined Gemüth? Ihre
mahnenden Worte waren es, die mich
vom Abgrund zogen, die mein oeitt
in bessere Bahnen lenkten, dem Edel
sten zugänglich machten. Alles Gute,
was mein Herz in dieser Stunde be
loegt, ist ein Theil von Ihnen. Köit
nen Sie so Ihr Wert verleugnen,
statt es zu vollendenV
Sie schwieg in stummer Qual.
„Dos Unheil haftet an meinen Fer
sen," sagte sie mit halberstickter
Stimme. „Sehen Sie ab von einer
Verbindung, die Ihnen nimmer zum
Segen gereichen tonn. Sie hoben
die Wahl unter den edelsten Geschlech
tern des Landes. Vergessen Sie dos
arme, unbedeutende Mädchen, dos
flüchtig Ihren Lebensweg gestreift.
Mein Lebenslos zeigt weder Glück,
noch Stern!"
Sie lehnte den Kopf in die weichen
Polster des Ruhesitzes zurück die
dunklen Blätter eines Orangenzwei
ges legten sich kühlend über ihre sie
bernde Stirn. Ein Blüthenregen fiel
in das reiche Haar. Herberts Augen
senkten sich tief in die ihren, fest zog
er sie an sich.
„Gertrud, wenn Du mich liebst,
warum dann die bösen Zweifel? Kein
Glück gibt es ohne dich für mich!
Dein Versagen ist ein Raub an un
serm Leben, das wir so segensreich ge
stalten können. Wirb mir auch die
ser Glückstroum zur herben Täusch
ung, so verliere ich rettungslos den
letzten Halt. Dein reiner Blick be
wahrt mich bann nicht mehr vor trü
gerischem Schein. Um mein verloren
Leben trägst dann du die Schuld....
Kannst du kannst du das wollen,
Gertrud, meine Gertrud?"
Fester und fester umschlang sein
starker Arm ihre schlanke Gestalt.
Ihr Kopf lehnte gegen feine Brust,
ihre Augen strahlten ineinander, ihre
Lippen fanden sich zum ersten, seligen
Kuß
Die prachtvolle Gersdorf'sche Equi
page brachte nach Beendigung der
Soiree das Geschwisterpaar in ihr
Heim. Gertrud lehnte den müden
Kops in den schwellenden Seiden
sonds. Thränen rannen unausholt
font über ihre bleichen Wangen, und
ein Chaos von Empfindungen bewegte
ihre Brust. Das hohe Glücksgefühl,
von Herbert geliebt zu sein, von ban
gen Zweifeln war es durchwoben.
Die Schatten der Vergangenheit hat
ten sich erhoben aus ihren Gräbern
und sie reckten ihre dunklen Gestalten,
als wollten sie einen Kreis um sie
schließen und sie hinobziehen in ihre
finstere Tiefe von der Sonnenhöhe
Des Glücks, das ihr leuchtend aufge
gangen war. Wenn es ihnen gelang,
wenn sie Gewalt über sie gewannen
und nicht nur sie, sondern auch ihn,
Den Geliebten, mit hinabzerrten ins
Verberben? Wenn sie bestimmt war,
ill in das Unglück zu bringen, statt des
(Nückes, das tr so heiß und verzehrend
von ihr ersehnte!
Es war am Toge nach dem Feste.
Trübe und grou hingen die Wolken
am Himmel und unaufhörlich ergossen
sich Ströme von Regen.
Frau von Wersdorf klogte über ner
vöse Kopffchmeren und hatte alle Be
suche abgewiesen. Die Rouleaux wa
ren herabgelassen. In dem Boudoir
der Dome herrschte tiefe Dämmerung.
Sie selbst befand sich in sichtlicher
Aufregung. In ihren Händen kni
sterte ein Briefblatt, baS jedenfalls
diese Aufregung hervorgerufen hatte.
Ter Inhalt war in der That völlig
danach angethan, die heftige Ge
müthserregung der Dame zu erklären.
Er lautete:
„Meine Liebe!
„Der Ton. der seit neuerem in
Ihrem Salon die Oberhand hat, ge
bietet mir, mich fern zu halten. Doch
kann ich es im Interesse unserer langen
Freundschaft nicht unterlassen, Sie
auf die große Gefahr aufmerksam zu
machen, die Ihrem Hause droht.
Baron Herbert scheint seine volle
Theilnahme einer Person zuzuioenben,
bie eine Beachtung keineswegs ver
dient. Noch eingezogenen Erkundi
gungen wurde mir die Eröffnung,
baß ich die Ehre einer Einladung zu
Ihrer gestrigen Soiree mit einer aus
ganz besonderen Gründen entlassenen
Lehrerin getheilt habe. Ein trauri
ges Zeichen unserer Zeit, wenn der
artige Persönlichkeiten zu unfern Zir
keln'Zulaß finden. Meine Liebe, die
Familienehre Ihres HauseS ist mir
theuer. Tamm bitte ich Sie, Ihren
ganzen Einfluß aufzubieten, um Ba
ron Herbert von einer Extravaganz
zurückzuhalten, die er auf Lebens
dauer bereuen möchte!
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Komtesse A. v.
Die Baronin ließ bald borauf durch
einen Diener ihre beibeit Kinder zu
sich bitten. Antonie sollte Zeugin
ihrer Unterredung mit Herbert wer
den, damit ihr die Lust zu weiterer
Opposition bei wichtigen Lebensfra
gen für immer benommen werde.
Herbert leistete der Aufforderung
der Mutter fofort Folge. Sein männ
lich schönes Gesicht erschien wie ver
klärt von Glück und Freude dos
Hochgefühl des erreichten Lebens
zieles leuchtete aus feinen Au zeit.
Die Baronin, welche sich auf ein
schwellendes Fauteuil niedergelassen,
bot ihm einen Sitz an ihrer Seite.
Sie grüßte Herbert mit einer matten
Bewegung des bleichen Hauptes, wäh
rend sie Antonie, die gleich nach Her
bert eingetreten war, mit kühler Zu
rückhaltung die Hand reichte.
„Tu siehst mich in einem Zustande
furchtbarer Aufregung, mein Sohn,"
jagte sie schwach. „Mein Eingehen
auf deine Wünsche hat mir eine sehr
fcharfe Beurtheilung zugezogen ich
muß mir von meinen Standesgenossen
den Borwurf
machen
lassen, daß ihnen
der Ton in meinen Salons nicht mehr
behagt. Hier ber Beweis!"
Antonie soß indessen in großer Un
ruhe, ihr Blick glitt besorgt von einem
Antlitz zum andern. Herbert faltete
den Brief zusammen und reichte ihn
der Baronin zurück.
„Mich nimmt es Wunder, daß sich
die Schreiberin bieser Zeilen nicht
hinter Anonymität versteckt, der besten
É(Hutzmauer für Denunzianten. Ich
schenke betn Inhalt dieses Briefes
nicht mehr Glauben und Beachtung,
als man im allgemeinen für niedrige
Berechtigungen übrig hat."
„Herbert!" Die Dame fuhr in voller
Entrüstung auf. „Ich muß bich
bitten, in deinen Worten etwas mäßi
ger zu fein der Name der Komtesse
bürgt für die Wahrheit des Gefog-
ten."
„Davon werde ich mich zu überzeu
gen wissen," erwiderte Herbert gleich
gültig. „Ich werde diese Sache selbst
verständlich zu der meinigen machen,
da es sich um die Ehre meiner Braut
handelt!"
„Deiner Braut?"
Beide Damen erhoben sich von ihren
Sitzen.
„So sagte ich: meiner Braut!
Seit heute ist Gertrud Hagen meine
Braut!"
Die Antwort kam sehr gelassen von
seinen Lippen er weidete sich sichtlich
an den bestürzten Gesichtern von Mut
ter und Schwester. Die Baronin war
wir gelähmt vor Schreck, dennoch fand
sie zuerst die Sprache wieder.
„Im Nomen deines Voters erinnere
ich dich an deine Pflichten, die du dei
ner Familie schuldest. Eine derartige
Verbindung verstößt gegen alles Her"
kymmen, gegen alle Satzungen deiner
Familienordnung. Die Unkindlich'
seit deines Betrrgens will ich nicht in
Betracht ziehen. Pietät gegen mich
hast du nie gekannt."
Seine Augen richteten sich voll Ernst
auf die erregte Frau:
„Botest du mir jemals das, was
du jetzt von mir forderst?" fragte er.
Tu konntest den jungen, wartnSex#«
|en Knaben mit tausend Feffk m,
)cin Herz ziehen, wenn du es woll#|L
hast du es jemals gethan? Mach»,
nir nicht zum Vorwurf, was du. ie
illein verschuldet hast. Ich ward tâ
)ir um Liebe und fand eisige Ab*ä»
ung. Jung und schön, kamst bs Ii
infer Hans, und mein Herz, das wk
Mutterliebe gekannt, flog dir «dp*
zen. Mit allen Fäden hättest
infer Sein verweben können.
vos wurdest du n*r, was tneimt
Vater? Die stolze Trägerin sei«eS
Nantes, die Repräsentantin fJj»
Stellung, die Salondame, sea#
nichts! Alles sür's Aenßere, «ach
innen blieb nichts übrig. Mein?»
Wünschen stelltest du dich stets fi\»W
lich gegenüber, selbst bas Herz 5mS
Loters wußtest du mir zu entfrenrtcsi.
Und später? Was wurde ich e»ch?
Statt den Sohn, den Bruder liebte*
zu umschließen, ihm dos Haus t*i»
misch zu machen und mit ihm
Familie zu bilbett, behandelt ihr auch
wie einen Fremden. Ich war für
:inzig der Quell, aus dem ihr eure»
Bedarf schöpftet und welchen ihr da*»
kalt im Sonde verrinnen saht. 1t»
allen Lebenssrogen war ich für euch
eine Null. Mit welchem Recht als»
drangst du dich jetzt in mein Lcbtst
Mit welchem Recht willst du mich
Den freien Entschlüssen des Mannt»
beschränken? Gertrud Hagen
mein Weib, mein theures, geliebte#
Weib! Gebarbt habe ich, gebarbt rte
Liebe. Jetzt soll sie mein Leben iirt
Dem Glanz ihres reinen Herzens um
strahlen!"
Ter Baronin weißgewordene Lip
pen fanden keinen Laut der Erwide
rung auf all die Anklagen loarxs
Dieselben doch nur zu gerecht. Da tri!
Herbert ihr näher und faßte ihre ei6$
kalte Hand.
„Mutter! Ich habe dir das 2Bid
oft geboten, und es fand keinen Wider
hall iit deinem Herzen. Ich biete s9
Dir von neuem im vollen Sinne las
Wortes. Die Klust zwischen uns Istâl
sich mit ein wenig Nachgiebigkeit lücht
überbrücken. Empfange meine Brost
als deine Tochter ich will sie dir zi*
führen. Setze dich über all die kleines.
Bedenken anerzogener VoruribtiS»
hinweg, handle ois edle, hochherzige
$rau, und du sollst dankbare Kinder
an uns haben für alle Zeiten!"
Die Baronin kämpfte einen schwe
ren Kampf der Stolz und das &rV
sere in ihr rangen um die Ober hos
lt.
hr Blick streifte Antonie, welche
tiefer, innerer Bewegung Habtr/*
Worten gelauscht hatte in ihren Sie
gen schimmerte es feucht
eie reichte Herbert, welcher die ich mir zum großen Vorwurf,
Worte mit leicht gerunzelten Brauen Irnich mit dem Ungewöhnlichen fett»
angehört, den stark parsiimirten |werben gebt mir Zeit zum Ueber
Brief. Sein Geficht verdüsterte sich liegen. In acht Togen will ich cnH
beim Durchlesen der Zeilen, der !wiedersehen bis dahin lebe ich in IL
glückstrahlende Ausdruck desselben jaus meinem Wohnsitz. Es muß
war wie verflogen dafür bemerkte
man einen ernsten, entschiedenen Zug
darin, einen Zug, der den unbeug
samen Willen des Mannes verrieth.
und
ihr kit­
tender Blick fliehte das Antlitz ics
Mutter, deren Züge von einer gewtfr
tigen inneren Wandlung redeten.
„Du sprachst harte Worte, Het^
bert," sagte sie sattster. „Ich kirn
nie
dir manches widerlegen, tuvr -üüm,
bafe eine Frau onS unseren Kr site®
nicht mit dem Maße gemessen werbe®
kann, mit dem man eine einsaht
Bürgerfrau mißt. Unsere Stellung
fordert ein glanzvolles Austreten v»
der Welt unser Gebiet ist der Salv»?
man kann nicht olles in einem itue.
Antonie empfing als mein ein^m-S
wind nicht mehr Liebe als du, mc
ohn. Taß dem nicht so ist, mute
fein."
Herbert versenkte nochmals bittenfo
seine Augen in die ihren, zog ihrt
Hände an die Lippen und verluf
bann nach herzlichem Abschieb§gt*f
zum ersten Mol im Leben befriedig
dos Zimmer seiner Mutter.
Auch Antonie erhob sich nach de»
Entfernung des Bruders sie wollw
ber Mutter Zeit gönnen, mit sich sclbß»
fertig zu werden. Wenn die Versd^
nung eine vollständige werben soIU^
mußte sie nicht erzwungen oder erbetts
werden, sondern aus freiem, vollem
Herzeit kommen.
„Sobald mein Gesundheitszustand
es erlaubt, reife ich, Antonie!" Ht
Baronin sagte es ernst. „Fern so*
euch will ich mit mir zu Rathe gehem,
Tu bleibst hier, versprichst mir ab«*,
einer Begegnung mit mit Herbert'»
Braut auszuweichen. Nicht eher
du fie empfangen, als bis ich tS bil
lige. Bis dahin gibt es noch viel z»
überwinden."
Antonie neigte znstimmenv bat
Haupt. Wie eine Ahnung künstige«
Glückes zog es durch ihre Seele. Tis
Worte „Heimat" und „Familie" sol
len nicht mehr verständnißlos in ihrem
Herzen verhallen. f.
Die Verlobung Herbert von Gers
dorf's wirbelte viel Staub auf alle
Leibenfchaften menschlicher Gemüthe*
wurden rege in allen Schichten dtâ
Publikums bildete sie das
Tagesge^
spräch. Doch nicht aus die Dauer.
Eine Großstadt bietet des Mannig
faltigen so viel, die Zeit verrauscht
schnell, und vor neuen Begebenheiten
wird rasch das Alte vergessen.
Nur eine Person konnte sich Äber
diese Thatsache nicht beruhigen, ver
mochte mit dem Geschehenen nicht fer
tig zu werden. Das war ValeskA
Borinsky. Ter alt? Haß gegen Ger
trud erwachte verstärkt in ihr. Z*
dem Neid aus die Tugend und die pt*r»
tönlichen Vorzüge Gertruds's gejellk
sich jetzt noch die Eisersucht.
(Fortsetzung folgt.)

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