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Der Staats=Anzeiger. (Rugby, N.D.) 1906-current, April 16, 1908, Image 7

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Der Vâmon.
(10
Aortsetzung.)
„Gut also in drei Minuten!" rief
khm Vacarescu zu und eilte dann in
sein Arbeitszimmer. Dort warf er
zwei Telegramme auf's Papier des
gleichen Inhalts, das eine an die
Bahnpolizei des Anhalter Bahnhofes
|u Berlin, das andere an die des
Münchener Centralbahnhofes. Beid:
Telegramme lauteten:
„•Meine geistesschwache Frau Maria
soeben durch Hauslehrer Herbert We
befind entführt worden mit Mittags
zug nach München. Frau Vacarescu
mittelgroß, schlank, brünett, leidender
Ausdruck. Wedekind schlank, groß,
blonder Schnurrbart und Studenten
narbe im Gesicht. Ersuche um Fest
nähme Beider. Dr. Wassili Vaca
rescu, Kolonie Grunewald-Berlin."
Diese Depeschen brachte der Alte
auf's Postamt.
Vacarescu aber traf seine weiteren
Vorkehrungen. Er wollte sofort den
Flüchtigen nach. Aber es galt auch
noch, sich auf weitere Eventualitäten
..zurichten. Man konnte ja nicht wis
sen, was diese Entführung, die Einmi
schung der Polizei in die Angelegen
heit, eventuell auch für ihn für Folgen
nach sich ziehen konnte.
Er eilte die Treppe zum Kinderzim
mer hinauf. Dort traf er Boris mit
seiner Wärterin. Schnell theilte er
dieser mit, was nöthig war, und gab
ihr Auftrag, alles für eine Reife mit
dem Kinde in die Heimath instand zu
setzen. Sobald 'die telegraphische Wei
sung von ihm erfolgen würde, sollte sie
mit 'dem Diener und Boris die Reise
nach Rumänien antreten, zu den Groß
eitern, wohin er auch seinerseits kom
men würde.. Er versah die Frau reich
lich mit Mitteln und nahm kurzen Ab
schied von dem Knaben. Dann packte
er «die nöthigsten Effekten für sich selbst
in einen Handkoffer, den ihm nun der
zurückgekehrte Diener zur Bahnstation
traaen mußte.
Unterwegs instruirte Vacarescu den
Alten ausführlich, welche Aussagen er
etwaigen nachforschenden Beamten der
Polizei zu machen hätte. Im Uebrigen
solle er. solange nicht der Befehl zur
Abreise einträfe, das Haus auf's
Sorgfältigste hüten und keinem Men
schen Zutritt in dieses gestatten am
allerwenigsten natürlich Herbert Wede
kind, falls dieser es etwa doch wagen
sollte, noch einmal dorthin zurückzu
kehren.
Nachdem alle diese Vorkehrungen ge
treffen waren, nahm Vacarescu die
Verfolgung der Flüchtigen auf.
Er mußte bis sechs Uhr auf dem
Bahnhofe in Berlin bis zum Abgang
des Münchener Schnellzuges warten.
Bis dahin war noch kein Bescheid von
irgend einer Bahnstation über eine
Festnahme der Verfolgten eingetroffen,
und auch dann während der Fahrt, als
er von Station zu Station nachfragte,
blieb ein solcher Bescheid aus.
Immer nervöser wurde daher der
unruhige Reifende, dessen aufgeregtes
Wesen und beständiges Nachforschen
nach einem Telegramm bei jedem
Haltepunkte den Mitreisenden schon
unangenehm auffielen aber es half
ihm alles nichts, es wurde Nacht, ein
Uhr, zwei Uhr die Flüchtigen muß
ten ja nun schon längst in München
angekommen sein aber noch immer
keine Nachricht von ihnen!
Sollte er sich also doch mit seiner
Annahme geirrt und Herbert ein ande
res Reiseziel gewählt haben?
Finster, die Zähne auseinander ge
bissen, grübelte Vacarescu in seiner
Wagenecke.
Aber immer wieder kam er zu dem
selben Schluß nach München wiesen
alle Verdachtsmomente. Er war daher
fest überzeugt, daß die Beiden trotz al
ler ausbleibenden Nachrichten dorthin
gefahren waren vielleicht eben nur
auf einem anderen Wege.
Aber er würde ihre Spur doch noch
entdecken! Er wußte ja die Stelle, wo
er die Fährte aufnehmen mußte. Da
es sich hier um eine Verschwörung ge
gen ihn, eine Befreiung Marias, han
delte, so wußte er sicher Einen, der da
bei in erster Linie mitwirkte: der ein
stige Nebenbuhler um Marias Hand
Moosstetter!
Mit einem geheimen, dämonischen
Lächeln starrte Vacarescu so vor sich
hin. Und als der Zug in aller Mor
genfrühe in München ankam, nahm
Vacarescu sofort ein Billet nach In
golstadt. In zwei Stunden würde er
dort sein dann würde er bald wis
sen, ob er recht geahnt hatte!
XX.
Die Reise Herberts war glücklich
verlaufen, und er war mit seiner Be
gleiterin in Freising, eine halbe
Stunde vor München, unbehelligt an
gekommen. Er hatte, da es bei der
Ankunft schon spät Abends war, mit
Frau Vacarescu ein Hotel aufsuchen
müssen aber am nächsten Morgen in
aller Frühe hatte et dann ein Privat
logis ausfindig gemacht. Seine In
haberin, Frau Kutzinger, eine freund
Iiche ältere Dame, war gern bereit,
sich der jungen Frau persönlich anzu
nehmen. Herbert batte ihr für all?
Fälle dasselbe gesagt, wie unter
wegs den Schaffnern auf der Eisen
bahn. So war denn nun Frau Va
carescu für's erste in Sicherheit.
Die arme junge Frau that Herbert
im höchsten Maße leid. Um ihr diese
fluchtähnliche Reise plausibel zu ma
chen und nicht etwa ihren Widerstand
wachzurufen, hatte et es in der That
machen müssen, wie er es sich ausge
dacht hatte. Er hatte ihr also von
geheimnißvollen Verfolgern' erzählt,
die unzweifelhaft die Absicht hätten,
sie zu entführen und ihren Verwand
ten auszuliefern. Daher müßten sie,
um jene irre zu führen, sich hier ein
paar Tage verborgen halten. Er
würde aber unverzüglich ihren Gatten
telegraphisch benachrichtigen und ihn
zur Hilfe herbeirufen.
Wie nur begreiflich, hatte diese
Einbildung lÉe arme leidende Frau in
heftige GeiffWhsbewegungen versetzt.
Doch Httbert konnte es ja leider nicht
ändern. Es war ja das einzige Mit
tel zu ihrer Rettung, wenn es ihr auch
im Augenblicke Qual bereitete. Aber
wie er bestimmt erhoffte, würde das
ja nun das letzte Mal fein, daß sie
solche Angst ausstand bald würde sie
ja die Kunst des Nervenarztes von all
ihren quälenden Vorstellungen, von
dem ganzen dunklen Bann, in dem sie
lebte, befreien.
So hatte Herbert denn nun auch
heute Morgen Frau Vacarescu ge
tröstet, so gut es ging: Sie möchte sich
nur recht still und ohne Sorge hier
bei der freundlichen Wirthin verhal
ten. Er führe jetzt nach München
hinunter, um alle erforderlichen
Schritte zu ihrer weiteren Sicherung
und zur Herbeirufung ihres (Satten
zu thun. Das letztere beruhigte die
junge Frau offenbar am meisten.
Die Unglückliche hing ja mit einer
geradezu räthfelhaften Gewalt an dem
Mann, der ihr Verderber war, ohne
daß sie es freilich ahnte. Dr. Vaca
rescu hatte es in wirklich vollendeter
Weife verstanden, feine Frau zu ei
nem gänzlich unfelbständigenGefchöpf,
zu einem absolut willenlosen Werk
zeug in seiner Hand zu machen, das
überhaupt gar nicht mehr glaubte, be
stehen zu können, wenn es nicht seine
Stütze und Direktion von ihm em
pfing. Wie sehnte daher Herbert für
sie den Moment herbei, wo diese dä
monische Macht eines gewissenlosen
Schurken endlich gebrochen werden
sollte!
Herbert fuhr in der That nun nach
München, aber natürlich zu einem an
dern Zweck. Er hatte bereits heute
morgen in aller Frühe ein Tele
gramm an Moosstetter abgesandt,
ihm feinen Aufenthalt mitgetheilt und
ihn dann noch am Vormittag nach
München in's Ease Luitpold bestellt,
um sich dort mit ihm über alles Nö
thige zu besprechen.
Als er nun am Rendezvous ein
traf, fand er schon den Erwarteten
vor n trug Civil und eilte ihm nun
in höchster Erregung entgegen. Mit
herzlichem Händeschütteln begrüßten
sich die beiden Männer, die nun so
enge Verbündete und daher schnell
Freunde geworden waren. Dann ließ
sich Herbert am Tisch nieder und
klärte dem in ungeduldiger Spannung
Lauschenden alles auf.
„Also Maria ist hier wirklich
hier?"
Dem jungen Offizier klopfte das
Herz er hatte Maria ja nicht aufge
hört zu lieben, und nun, da er wußte,
daß ihre Handlungsweife damals ja
offenbar nur einer unnatürlichen, ver
brecherischen Beeinflussung zuzuschrei
ben war, nun war die alte Liebe bet
ihm nur um so übermächtiger wieder
ausgestanden. Nun leuchtete ihm ja
noch einmal verheißungsvoll ein neues
Morgenroth des Glückes entgegen.
War Maria geheilt, aus den Fesseln
ihres Peinigers erlöst, wieder frei, ge
richtlich von dem Elenden geschieden
dann durfte er ja hoffen, daß sich
ihr Herz wieder zn ihm zurückfinden
würde in der alten Liebe, die nur so
lange in einem Schcintode erstarrt ge
legen hatte.
So versetzte ihn denn auch jetzt die
Gewißheit, daß die Geliebte ihm wie
der so nahe weilte, in tiefe Bewegung.
„Ich mochte zu ihr sie wenig
stens sehen, wenn auch nur für einen
Augenblick sie ja gar nicht spre
chen!" bat er Herbert.
Aber dieser wehrte entschieden ab.
„Es geht nicht, mein lieber Herr
Moosstetter auf keinen Fall! Sie
vergessen ja ganz, daß vorläufig Ma
ria ja noch völlig unter Vacarescus
Bann steht und in Ihnen gerade ih
ren ärgsten Feind und Verfolger sieht.
Sie würde also bei Ihrem Anblick in
höchstes Entsetzen, in sinnlose Angst
gerathen! Wollen Sie Ihr das an
thun? Ich denke doch nicht nicht
wahr? Und außerdem, wer weiß, ob
diese furchtbare Erregung dann nicht
wirklich eine seelische Störung her
vorrufen könnte, oder eine That der
Exaltation, die nicht wieder gut zu
machen wäre!"
„Sie haben recht es darf nicht
sein!" Seufzend gab es Moosstetter
zu. Aber dann fuhr er mit um so
größerer Energie fort:
„Nun dürfen wir aber keine Mi
nute mehr verlieren, um Maria zu
heilen. Ich habe Dr. Maskot auf
Grund Ihres Telegramms gestern be
reits benachrichtigt, daß wir heute
Vormittag zu ihm kommen würden.
Lassen Sie uns also jetzt sofort dort
hin."
„Gewiß ich bin bereit!" erklärte
Herbert, und so zahlten sie denn und
oerließen das Ease, um mit einer
Droschke zu ^err. berühmten Nerven
atzt und Hypnotiseur zu fahren.
Leider aber fanden sie, als sie dort
ankamen, das Wartezimmer stark be
setzt und mußten sich also daraus ge
faßt machen, eine längere Zeit zu
antichambriren.
Sie fanden sich schließlich in das
Unvermeidliche und verwandten die
unfreiwillige Muße dazu, die mit ih
nen Wartenden, offenbar alles Pa
tienten des Doktors, zu mustern.
Es waren ausnahmslos Damen
es fiel Herbert auf und verwunderte
ihn aber nur im Anfang. Dann er
klärte er sich selbst diesen Umstand.
Die größere Sensibilität der Frau, die
leichter dazu neigte als der Mann, sich
einem sympathischen, aber beherr
schenden Einfluß hinzugeben, machte
es ja auch wohl nur erklärlich, daß
die Patienten dieses Arztes sich vor
zugsweise aus dem weiblichen Ge
schlecht rekrutirten.
All die Wartenden hqrrten offen
bac mit ersichtlicher Sehnsucht dem
Moment entgegen, wo endlich dieReihe
an sie kommen würde, wo sie wieder
zu dem Arzte gelangen würden, der
ihnen offenbar so wohlthat mit feiner
suggestiven Macht. Die jedesmalige
Behandlung mußte aber wohl Zeit er
fordern, denn es verging fast immer
eine halbe Stunde, bis die Thür zum
Nebenzimmer sich leise öffnete, uni
eine schwarz gekleidete ältere Dame,
offenbar die Repräsentantin des Arz«
tes, erschien, und mit einer leichten
Handbewegung die an der Reihe be
findliche Patientin zum Eintreten
einlud.
Die Geduld der beiden Herren
wurde so auf eine harte Probe ge
stellt. Sie wurden übrigens von den
mit ihnen wartenden Damen sehr an
gestaunt, ja mit mißbilligenden, fast
feindlichen Blicken angesehen. Diese
Patientinnen betrachteten offenbar
hier jedes männliche Wesen als einen
unliebsamen Eindringling in die
Machtsphäre des sie ausschließlich in
terefsirenden Helfers, des einzigen
Mannes, der nur noch für sie in Be
trachr kam, und an dem sie mit jener
eifersüchtigen Schwärmerei und Ver
ehrung hingen, die jugendliche Schüle
rinnen für einen beliebten Lehrer em
pfinden.
Endlich aber kam der heißerfehnte
Moment herbei, wo die Empfangs
dame auch die beiden Herren auffor
derte, einzutreten nachdem sie den
Nebenraum passirt hatten, kamen sie
in bus Behandlungszimmer Mas
kotts, der nun ausstand und ihnen
entgegenging, während sich die Em
pfangsdame wieder zurückzog.
Gleich beim ersten Anblick fiel Her
bert eine ganz frappante Ähnlichkeit
des Arztes mit Vacarescu auf. Auch
Dr. Maskott war ein großer, statt
licher Mann fein Gesicht durchgeistigt
blaß, war umrahmt von einem lan
gen, schwarzen Vollbart, der im Ver
ein mit den schönen dunkeln Augen,
die einen zwingenden, tief durchdrin
genden, aber dabei nicht unsympathi
schen Blick hatten, feinem Gesicht et
was Südländisches verlieh. Beide
Männer, Vacarescu wie Maskott,
waren so ganz derselbe Typ, da Typ
des interessanten, imponirenden Man
nes, von etwas exotischem Anflug.
Offenbar lag hierin also der Schlüssel
ihres geheimnißvollen Einflusses aus
jene sensible Frauen, deren geheimes
Mannesideal wohl diesen Erscheinun
gen ähneln mochte.
Dr. Maskott, dessen ganzes Wesen
die selbstsichere Ruhe des seiner Wir
kung wohl bewußten Mannes, ver
bunden mit einer weltmännischen
Eleganz der Bewegungen und großer
Liebenswürdigkeit zeigte also auch
in dieser Beziehung ganz wie Dr.
Vacarescu begrüßte sehr freund
lich den jungen, ihm gesellschaftlich be
kannten Offizier.
„Ah, guten Tag, mein lieber Herr
Moosstetter. Es thut mir leid, daß
Sie so lange warten mußten. Ich
hörte schon, daß die Herren da seien,
aber es ging leider nicht anders. Sie
wissen ja, es geht bei mir immer
streng der Reihe nach, ich kann leider
keine Ausnahme machen. Das ist
wohl Ihr Freund aus Berlin, von
dem Sie mir schon sagten, Herr We
dekind? Er reichte nun auch Herbert
die Hand. „Und die Herren kommen
in der bewußten Angelegenheit, nicht
wahr?"
Die beiden nickten.
„Gut, so wollen wir gleich zur
Sache kommen. Aber bitte, so neh
men Sie doch Platz, meine Herren."
Alle drei ließen sich nieder und Dr.
Maskott fuhr nun fort:
„Der Fall interefsirt mich außeror
dentlich nach allem, was ich ja schon
von Ihnen gehört habe er ver
neigte sich gegen Moosstetter. „Aber
Sie, Herr Wedekind, werden ja gemiß
in der Lage fein, mir noch allerlei
weitere Details von 2Bichtigieit zu be
richten. Wenn ich also bitten darf,
so erzählen Sie mir jetzt noch einmal
Ihre ganzen Wahrnehmungen von
Anfang an."
Herbert entsprach der Aufforderung
und berichtete alles genau, schließlich
auch von seiner Flucht hierher.
Dr. Maskott hörte zu, ohne ihn zu
unterbrechen, nur dann und wann
leuchtete es in seinen klugen Augen
auf, oder er nickte leise lächelnd vor
sich hin.
Nun hatte Herbert geendet, da that
Dr. Maskott feine Cigarette weg, die
er während der Erzählung Herberts
geraucht hatte, und drückte sie langsam
im Aschenbecher aus.
„Nun, meine Herren, was ich do
elvn von Herrn Wedekind gehört habe,
macht mir zur absoluten Gewißheit,
daß es so ist, wie Sie selbst bereits
vermutheten. Dieser Dr. Vacarescu
ist ein ebenso gewissenloser wie rou
tinirter Hypnotiseur, von einer höchst
gefährlichen Suggestionskraft. Wenn
ich mich übrigens nicht sehr irre
Dr. Maskott strich sich nachdenklich
über die Stirn „so habe ich auch
mal vor Jahren irgendwo in der
Fachliteratur von überraschenden Ex
perimenten gelesen, die er in Bukarest
oder sonstwo gemacht hat. Es wäre
das natürlich von großer Bedeutung
für die kriminalistische Seite des Fal
les, und ich werde, sobald ich Zeit
habe, in meiner Bibliothek nachstö
betn."
„Aber es braucht dessen schließlich
auch nicht die Sache ist, wie gesagt,
außer jedem Zweifel: bei Frau Vaca
rescu liegt offenbar eine fortgesetzte
Suggestion vor und zwar jene Form,
die wir die posthypnotifche nennen.
Das heißt, der Hypnotiseur ist im
Stande, seinen Willen selbst nach dem
Aufhören des eigentlichen hypnotischen
Schlafzustandes noch in dem Medium
wirksam zu machen, dessen Gedanken
gänge und Handlungen in der von
ihm befohlenen Weife zu dirigiren.
Es fetzt diese schwierigste Form der
Hypnose allerdings aus der einen
Seite eine große, seltene Suggestions
kraft und Energie des Experimen
teurs. auf der anderen auch die ent
sprechenden Eigenschaften des Me
diums voraus. Der Zufall hat es
nun gefügt, daß in Dr. Vacarescu
und seiner Frau sich gerade die zwei
vorauszusetzenden Individuen begeg
neten, und so erklärt sich denn nur zu
einfach das ganze (Geschehene."
Die beiden jungen Leute sahen sich
an mit tiefster Bewegung, aber zu
gleich doch mit einem frohen Hoffen.
Der Meister war ja nun gefunden,
der stärker war als jener dämonische
Beschwörer, und dessen Zauberbann
lösen würde.
Dr. Maskott aber fuhr fort:
„Dr. Vacarescu hat ohne Zweifel
bereits durch seinen bloßen äußerli
chen Eindruck, frurch suggestive Blicke
und Worte im gesellschaftlichen Per
kehr vor dritten einen erheblichen Ein
fluß auf Ihre einstige Braut, mein
lieber Herr Moosstetter, gewonnen,
und so erklärt sich der allmähliche
Wandel ihrer Empfindungen für ihn,
die sich schließlich aus instinktiver Ab
neigung in ein unwillkürliches Hinge
zogenfühlen, sklavisches Nachlaufen
umwandelten. Aber dadurch find na
türlich jene tiefgreifenden Seelenpro
ze|ie noch nicht zu erklären, wie das
Versagen des Gedächtnisses und die
Wahnvorstellungen, die allerdings
dem Verfolgungswahn verzweifelt
ähnlich sehen ich sann daher dem
Herrn (Éollegen Kobe
II feine bös da­
nebenhauende Diagnose nicht allzu
übelnehmen. Das Entstehen dieser
Vorstellungen nun setzt aber jeden
falls eine regelmäßige Hypnose, und
zwar eine fortgesetzte Willensbeein
flussung voraus."
Dr. Maskott wandte sich wieder an
Moosstetter.
„Es muß also Dr. Vacarescu ein
mal irgendwie gelungen fein, mit Ih
rer Braut allein zu fein vielleicht
in einem Zimmer der Penjion ober
im Wald auf einem Spaziergange in
größerer Gesellschaft, wo er vielleicht
ein auffälliges Zurückbleiben mit ihr
herbeizuführen verstanden hat, und
dieses Alleinsein hat er bann zu ber
ersten, folgenschweren Bestimmung ih
res Gefühlslebens benutzt. Er hat ihr
Argwohn und Abneigung gegen Sie
eingeflößt unb ihr aufgegeben, Ihnen
zu schreiben, baß Sie bie Correspon
ded Ihrerseits einstellen möchten."
Moosstetter fuhr heftig empor, mit
einer Bewegung, als hätte er den ab
wesenden, heimtückischen Vernichter
seines Glückes vor sich. Dr. Mastott
aber erklärte weiter:
„Bei dieser ersten Hypnose ist es
ihm bann offenbar auch gelungen,
Ihrer Braut ein neues Renbezoous
mit ihm anzubefehlen bie erste
poststenotische Wirkung —, unb die
ses erneute Alleinsein mit ihr hat er
bann zu weiterer Ausführung feines
Planes benutzt, unb so immer weiter,
bis bie Verlobung mit Ihnen glücklich
aufgehoben war, unb er fid) ein Ihre
Stelle zu fetzen verstauben'hatte."
„Dann hatte er es ja nun unenblich
viel leichter." Der Arzt wanbte sich
jetzt Herbert zu. „Das Mebium war
ganz in feiner Hanb und so einem
ständig wirkenden Einfluß im wachen
wie im hypnotischen Zustand ausge
setzt. Sie selber, Heir Wedekinv, sind
Zeuge bei diesen Vorgängen gewesen.
Wenn Sie Dr. Vacarescu's Blicke so
eindringlich aus seine Frau gerichtet
sahen, wenn er babei in Ihrer Gegen
wart anfcheinenb ganz harmlos, wie
jeber anbere Mensch, mit ihr sprach,
so vollzog sich dabei insgeheim, Ihren
Augen nicht sichtbar, ein-? hypnosigenc
Einwirkung, eine erneute Ueberha
gung seines Willens auf den ihren,
die diesen immer mehr in seinen Bann
zwang, die Fesseln immer wieder von
Neuem verstärkte."
„Daneben hat bann aber, als noch
viel stärkeres Zwangsmittel, die Wil
lensübertragung im wirklich hypnoti
schen Zustand stattgefunden, und das
haben Sie auch selbst beobachtet."
Herbert blickte erstaunt auf den
Arzt, aber dieser lächelte nur lercht:
„Damals an jenem Abend, als
Sie allein nach Haufe kamen, und
Dr. Vacarescu einen so .seltsamen
Monolog imZimmer seiner Frau hal
ten hörten. Das war natürlich nichts
anderes als eine hypnotische Sitzung,
be: der er ihr neu« Verhaltungsbefehle
gab."
Herbert schlug sich unwillkürlich
der Hand vor den Kopf. Wie ei
löste sich ihm jetzt jener so lange rät
selhaft gebliebene Vorgang! Dr.
Maskott aber schloß nun seine Aus
führungen:
„Die arme Frau hat so eigentlich
schließlich nur noch eine Automaten
existenz geführt, bei der ihr persönli
cher Wille in allen wichtigen Dingen
ganz ausgeschaltet war. So erklärt
sich die Schenkung ihres Vermögens
an ihren Mann, ihre absolute Zustim
mung zu allem, was er sagte und
that. Daß aber auch alle jene wirren
Verfolgungsideen und der merkwür
dige Gedächtnißschwund nichts weiter
als ihr aufgezwungene Vorstellungen
sind, werden Sie mir jetzt ohne wei
teres glauben. Ganz charakteristisch
dafür ist ja die Ihnen, Herr Wede
kind, stets von der Frau Vacarescu
gegebene typische Antwort auf alle ent
sprechenden Fragen: „Ich weiß nicht!"
wobei Ihnen oftmals ein Ausdruck
geheimen Widerwillens auf ihrem
Gesichte auffiel. In solchen Momen
ten befand sich nämlich ihre Seele stets
in einem gewissen Zwiespalt, der ihr
Unlust verursachte: auf der einen
Seite, die natürliche, ich möchte sagen
rein mechanische Neigung, diese Fra
gen wahrheitsgemäß zu beantworten,
auf der anderen Seite der ihr of ort
zum Bewußtsein kommende Zwangs
befehl ihres Gatten und Meisters:
Du darfst nicht! Du weißt das nicht
mehr, wenn Dich Jemand fragt!"
„Es dürfte Sie vielleicht interest
siren, meine Heiren" Dr. Maskott
erhob sich —, „das, was ich Ihnen
eben theoretisch auseinandergesetzt
habe, nun experimentell sich bewahr
heiten zu sehen?"
Beide Herren beeilten sich, das zu
versichern.
„Gut! So folgen Sie mir, bitte,
zu einer Patientin. Ich werde Sie
ihr als Golkgen vorstellen."
Mit gespannter Erwartung traten
die beiden nun mit Dr. Maskott in
den Raum ein, der sich nach der an
dern Seite an sein Sprechzimmer an
schloß.
Zs war ein großer Salon mit vie
len Nischen, die durch Palmenarran
gements und Paravents gebildet wa
ren. In diesen voneinander abge
schlossenen Winkelchen lagen oder sa
ßen auf Chaiselongues unb Sesseln
alle bie Damer., bie sie vorher im
Wartezimmer gesehen hatten, theile in
vollem Schlafzustand, theils halb
wach, aber mit einem verträumten,
geistesabwesenden Ausbruck.
Dr. Maskott schritt nun auf eine
ältere Dame zu, bie anscheinend in
tiefem Schlaf in bem Sessel lag, aber
die Augen nur halb geschlossen hatte,
so baß man bie wie in einem Krampf
nach oben gebrehten Pupillen erkennen
konnte.
„Die Katalepsie ber Pupillen, bas
Charakteristikum des hypnotischen
Schlafzuftandes," erklärte Dr. Mas
kott bann machte er mit der Hand
ein paar Streichbewegungen vor dem
Gesicht der Dame, rief ihr leise etwas
zu, und plötzlich schlug sie langsam die
Augen ganz auf.
Wie aus tiefem Schlaf erwachend»,
fuhr sie sich mit der Rechten über
Stirn und Augen und blickte dann er
staunt um sich, als könnte sie sich nicht
recht besinnen, was eigentlich mit ihr
fei. Wie eine leise Beschämung kam
es dann über sie, als sie sich plötzlich
so liegend den fremden Herren gegen
über fand, und schnell richtete sie sich
auf.
„Zwei Co liegen von außerhalb,
Fräulein Methling, die meine Be
handlungsmethode interessirt," beru
higte sie schnell Dr. Maskott, während
die beiden Herren sich artig vor der
Dame verneigten.
„Gestatten Sie wohl, daß ich Sie
in Anwesenheit der Herren noch ein
mal emschläfrt?"
Das ältliche Fräulein schien etwas
ängstlich und zweifelhaft aber ein
ernst mahnender und zugleich freund
lich ermunternder Blick ihres Arztes
bestimmte sie sofort. Gehorsam erwi
derte sie:
„Wenn Sie es wünschen, Herr
Doktor natürlich."
„Sehr freundlich!" nickte dankend
Dr. Maskott. „Aber bitte, nicht hier,
kommen Sie." Er half ihr ganz auf
stehen und führie sie am Arm in fem
Sprechzimmer zurück. Dort ließ er
sich die Patientin auf einen Sessel
vor dem Schreibtisch niedersetzen.
„So nun erzählen Sie bitte
den Herren Collegen hier, weshalb
S'e mich konfultiren."
Fräulein Methling gab Auskunft,
daß sie ihrer quälenden Kopfschmerzen
wegen zu Herrn Dr. Maskott käme,
dessen hypnotische Behandlung ihr
diese Beschwerden auf lange hinaus
fernhalte.
„Schön! Nun gestatten Sie bitte
den Herren noch einige Fragen, über
Ihre Personalien, nach Ihrer Fa
milie, nach den Aerzten, die Sie frü
her behandelten und dergleichen."
Es geschah und die Dame gab klar
und deutlich über alles Auskunft.
„So Dr. Maskott sah die
Herren an. „Ich denke, das genügt
wohl."
Herbert und Moosstetter t^rneigtet.
sich dankend.
„Nun dann sehen Sie mich mal
wieder an, Fräulein Methling, so
ganz ruhig. Sie werden schlafen
gleich schlafen! Sie werden müde
Sie schlafen schor!" Er sah ihr mit
einem befehlenden Blick scharf in bte
Augen, und in der That nur we
nige Sekunden später zeigten diese
wieder jene charakteristische Pupillen
stellung, und der .Kopf sank schlaf
trunken auf die Seite, so daß ihn Dr.
Mastott ausrichten und in eine be
queme Lage bringen mußte. Kein
Zweifel also, die Patientin war be
reits wieder im hypnotischen Zu
stände.
Lächelnd sah Dr. Mastott auf die
beiden Herren.
„Fräulein Methling ist* allerdings
aanz besonders jugge[libel aber nach
allem, was ich von ihnen gehört habe,
dürfte es Frau Vacarescu nicht min
der fem ich traue mir zu, mit ihr
ebenso schnell fertig zu werden. So
nun passen Sie auf jetzt werde
ich einmal ein bischen Dr. Vacarescu
spielen," und er wandte sich wieder der
alten Dame zu.
„Sehen Sie mich an, Fräulein
Methling!" Gehorsam wandte sie
den Kopf zu ihm hin, aber ganz auto
rn aten
haft unwillkürlich erinnerte
sich Herbert dabei der Bewegungen
Frau Vacarescus jedesmal beim An
ruf ihres Mannes und ihre Züge
blieben unverändert starr und aus
druckslos. „Wenn Sie nachher auf*
wichen, wissen Sie nichts mehr von
Ihrer Familie Sie können sich
nicht mehr auf sie besinnen, wissen
nicht mehr, wie Ihre Geschwister unb
sonstigen Verwandten heißen Sie
haben es vergessen! Sie können sich
nicht mehr darauf besinnen Sie
können nicht. Wer Sie auch fragt!
Und wenn Sie Jemand nach den
Aerzten fragt, die Sie vor mir behan
delt haben, so werden Sie es nicht
sagen —_ unter keinen Umständen^
Haben Sie verstanden? Ich verbiete
es Ihnen auf's strengste!"
Noch einmal wiederholte Dr. Mas
kott eindringlich feinen Blick und feine
Befehle, bann ließ er bie Patientin
wieder erwachen, unb es bot sich das
selbe Bild wie vorhin. Nachdem sich
aber Fräulein Methling von ihrer
Schlaftrunkenheit wieder erholt hatte
und ganz munter geworden war
sie plauderte unbefangen und ganz
klar über alles mögliche, nicht das ge
ringste Abnorme zeigte sich dabei an
ihr gab Dr.Maskott Herbert heim
lich einen Wink, und dieser begann,
in hochgespannter Erwartung:
„Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein
ich wollte schon vorhin fragen
wie heißt doch Ihr ältester Herr Bru
der mit Vornamen?"
Fräulein Methlings Miene wurde
sofort nachdenklich, sie sann eine ganze
Weile, dann schüttelte sie den Kopf:
„Ich weiß nicht."
„Sie wissen nicht? Aber das ist
doch nicht möglich! Besinnen Sie sich
doch nur!"
Wieder gab sie sich alle Mühe, man
sah, wie sie nachdachte, sich ärgerlich
über die Stirn strich, aber wieder er
klärte sie schließlich:
„Ich weiß wirklich nicht ich kann
mich nicht darauf besinnen."
Lächelnd nickte Dr. Maskott ins
geheim den beiden Herren zu: „Nun,
da haben Sie genau Ihren Fall!"
Dann ergriff Moosstetter ba8
Wort: „Aber das werden Sie mit
doch sagen können, gnädiges Fräu
lein, welcher Arzt Sie zuletzt behan
delt hat, ehe Sie hier zu Herrn Dr.
Maskott kamen!"
Dieser war absichtlich noch weitet
zurückgetreten unb kehrte ihr jetzt den
Rücken zu, anscheinend an einem
Schränkten beschäftigt. Aber un
willkürlich kehrte sich Fräulein Meth
ling nach ihm hin, dann sah sie Herrn
Moosstetter wieder an, aber ihre
Miene zeigte jetzt einen Ausdruck ge
heimen Unwillens, und sie antwortete
nicht.
Noch einmal wiederholte Moosstet
ter seine Bitte, aber wieder schwieg
sie.
„Pardon, mein gnädiges Fräulein»
warum antworten Sie mir gat
nicht?" Anscheinend) äußerst erstaunt,
fragte es nun Moosstetter.
„Ich will nicht!"
tbehr entschieden kam jetzt die Ant
wort, unb noch stärker zeigte sich Un
wille auf ihren Zügen ausgeprägt.
„Ja, aber warum in aller Welt
denn nicht? Das wenigstens können
Sie mir doch sagen, gewiß verra
then!" drängte er.
„Ich darf nicht!"
Zugleich aber stand sie auf. Dieses
Inquisitorium quälte sie offenbar, sie
empfand also den innern Zwang, det
ihr gebot, sich hier so merkwürdig zu
benehmen, sehr wohl, dennoch abet
war er stärker als ihr natürliches
Empfinden und der anerzogene gesell
schaftliche Takt.
Dr. Maskott trat jetzt wieder zu
ihr.
„Nun, meine Herren, Sie haben
wohl genug gesehen! Kommen Sie,
Fräulein Methling," und er führte sie
in's Nebenzimmer, um sie dort wieder
in den normalen Zustand zu ver
setzen
($ortfet$una folgt)
K I e i n e I u m. Onkel:
„Hier, lieber Neffe, schenke ich Dir zu
Deinem Geburtstag Dante's „Gött
liche Komödie"." Neffe (erstaunt):
„Danke aber ist denn die Tante
Schriftstellerin?"

Roman von Hasso Rode.

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