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W-Wmieil. (24. Fv-eyetzung.) Für Gertrud« hatte die seltsame Geschichte noch immer etwas von vun ter Märchenhaftigkeit. Was war das kür ein merkwürdiges Freundespaar, der neu entdeckte Vetter und dieser Her, Hansen, der sich mit gleichgülti get Miene von dem Einsturz seines Herrenhauses erzählen ließ und dem He Erschließung einer werthvollen Mineralquelle auf seinem Besitz so kühl ließ, als handele es sich um den Ankauf einer Buttermaschine! t&te war ungeheuer begierig darauf, nähe re8 über ihn zu erfahren, und nahm sich vor, Vetter Bruno gehörig auszu fprschen. Wenn nur diese gräßliche alte Gräfin nicht so seßhaft gewesen ware! Das war sie. Nach Beendigung beS Dimrs fing sie erst an, eS sich gemüthlich zu machen, nahm am Kamm Platz, kramte ihren Pompa bout aus, stellte das Riechflakon neben fich und begann, während sie weiter »änderte, ein sogenanntes Geduld spiel mit ihren Fingern. Hansen empfahl sich denn auch bald. Manuel wollte anspannen las tut, doch Hansen wünschte zu Fuß zu gehen: eS war trocken, windstill und nicht kalt. Die beiden Prinzen beglei feien ihn bis in das Entree. «Was machen wir mit der Gra sin?" fragte Bruno. „Ich konnte sie erdrosseln," fuhr Manuel auf, „fit hat mir den ganzen Abend zerstört!" „Erdrosseln toüt' gut," erwiderte Bruno, „hat aber auch seine Nach theile. Um fünf Uhr geht der Berli tier Zug von Barborowko ab ich verde sie um dreieinhalb geräuschvoll wecken lassen und ihr vorreden, sie hätte es selbst so bestimmt. Wenn sie erst ansängt, sich gemüthlich zu füh len, bleibt sie noch ein paar Tag« kle Ben. Adjö, Heinz. Ueberlege dir das mit dem neuen Weltbad Preme ritz. Unser« iioms de guerre sind doch einmal gelüftet vielleicht kehrst du-in das schaffende Dasein zurück." „Noch nicht," erwiderte Heinz und reichte den beiden die Hand. „Noch hält mich die Tröst Einsamkeit. Aber sie ist nicht mehr einsam. Addio." Er ging. XVIII. Er ging über den Schloßhof. Dickmann tauchte neben ihm auf und trug eine Laterne. „Soll ich mitkommen, Herr Si gurd?" fragte er. „Es sind Wolken am Himmel und der Mond verkriecht sich so pö a pöchen." „Danke. Dickmann, ich finde den Weg ..." Er griff in die Tasche, und da schon verbeugte sich Dickmann er war froher Ahnung voll. Dann glitt etwas in seine Hand, und er verbeugte sich nochmals, aber kürzer. DaS Ding in seiner Hand fühlte sich wie ein Fünfgroschenstück an. Beim Schein der Laterne sah er jedoch: es waren zehn Mark. Gern wäre er dem tlötzlichSigurd errn noch nachgesprungen. schämte et sich. „Man soll nie sagen, was 'ne Sache is," mur melte er. Hansen schritt über die Zugbrücke. Sine Fledermaus huschte mit schwe rem Schlage an ihm vorüber unten strudelte der Kanal. Ein Käuzchen schrie. Der Weg war nicht zu verfehlen. Et führte linkswärts direkt in den Wald und lag hellgrau im Dunkeln. ES war in der That dunkel, wenn auch nicht schwarze Nacht. Zu weilen blinzelte der Mond durch einen Wolkenriß und warf rasch ein weißeS Licht übet den Weg. Dann vertieften sich alle Schatten, und die Erde schien wie mit Flecken übersäet, als sei sie blatternnarbig. In der Nähe des Schlosses hatte der Wald einen parkartigen Charak ter. Steinerne Ruhebänke standen hie und da in die Schlängelpfade, die von der Landstraße aus auswärts in die Buchen führten, waren Stufen eingeschnitten die Wege umsäumten edlere Bäume, Platanen, Bluteichen, Douglaskiefern und Gruppen von blüthentragendem Buschwerk. Das alles war freilich arg verwildert, es fehlte die pflegende Hand. Aber man sah doch überall, daß die Begründerin der Herrschaft eine künstlerisch em pfindende Frau gewesen sein mußte. An einem breiten Wiesenstreifen, der sich wie ein grünes Band quer durch den Wald legte, hörte der Park charakter auf. Dies war die strittige Grenze: das Gebiet der sogenannten Tröst Einsamkeit begann. Jetzt wechselten Buchen, Birken. Eichen und Schwarztannen. Die Tannen stan den meist allein aus dichtem Fanen gründe, als duldeten sie im Umkreis von zwanzig Schritt keine Annähe rung: riesige Bäume, die ihre Spitzen hoch über das Laub ihrer Umgebung reckten. Um eine dieser alten Tan neu führte die Straße, die sich hier verbreiterte. Eine hölzerne Rund bank umgab den Stamm, der eine Tafel trug mit der Inschrift: „Ei chendorff Tanne." An dieser Stelle war es Hanjen. als vernäyme er hinter sich eilende Schritte. Er schaute sich um. Ein Wolkenfetzen htnß dick über dem Mond es war nichts zu sehen. Trotz dem griff Hansen in die Mantel tasche. zu fühlen, ob er seinen kleinen Revolver bei sich trage. Er liebte nächtliche Spaziergänge und pflegte dazu die Waffe einzustecken, nachven, ihm der alte Krüger gesagt hatte, er möge vorsichtig sein, es werde wieder viel gewildert. Er schritt ruhig weiter, die Hand in der Tasche. Der Weg beschrieb einen Bogen und begann dann lang sam abwärts zu führen, dem Müh lengrunde zu. Und jetzt hörte Han sen wieder und zwar ganz deutlich nahende Schritte. Er blieb stehen und wandte sich abermals um. Ein Mann kam ihm entgegen: ein großer, breitschultriger Mensch, mit einem gelben Filzhut auf dem Kopfe, in einem eng zugeknöpften Jackett mit hochgeschlagenem Kragen, ohne Pale tot. Hansen wartete ruhig ex glaubte, einen Stromer vor sich zu haben, der ihn anbetteln würde. Aber der Mann zog schon von wei tem den Hut. „Entschuldigen Sie Herr Sigurd, nicht wahr?" fragte er höflich. „Der bin ich." Der Mensch behielt den Hut in der Hand. „Herr Sigurd," fuhr er fort, „es macht zwar einen merkwürdigen Eindruck, daß ich Sie hier so nächt licherweise im Walde anrede es ficht aus. als hätte ich Ihnen auf lauern wollen und in gewissem Sinne ist es ja auch so aber ich konnte mir nicht anders helfen. Wol len Sie mich einmal anhören nur für ein paar Minuten?" Hansen trat einen Schritt zurück der Mann roch nach Branntwein. „Wenn Sie mich sprechen wollen," antwortete er gelassen, „ist am Tage jedenfalls die richtigere Zeit. Kom men Sie morgen in die Mühle unS fragen Sie nach mir." Et ging weiter. Aber der Fremde blieb neben ihm. „Herr Sigurd. Sie nehmen es nicht übel aber ich zeige mich am Tage nicht gern. Vor allem nicht bei der Lene." Da zuckte Hansen zusammen. „Wer sind Sie, Mensch!?" rief er. „Ich heiße Ewers," entgegnete der andere fast demüthig. Hansen athmete schwer. „Der ge schiedene Mann der Frau Lene?" „Ja. Es ist mir sehr schlecht er gangen. Ich habe Dummheiten ge macht. Die macht am Ende jeder ein mal. Aber ich bin doch zu hart be straft worden. Ich war ein paar Monate in Amerika da hat man mich um mein letztes Geld betrogen. Nun weiß ich gar nicht mehr, was ich an fangen soll." Hansen hatte seinen Weg fortge setzt. „Wie kommen Sie dazu, sich gerade an mich zu wenden fragte et „Gott, Herr Sigurd es war doch natürlich, daß ich zuerst an die Lene dachte, als ich hierher zurückkam. Ich wollte auch meinen Jungen gern einmal wiedersehen." „Sie wissen, daß Sie kein Verfü gungsrecht mehr über den Knaben haben." „Aber ihn zu sehen, kann mir Nie» manb verwehren. Das Recht habe ich behalten." Der plötzlich drohend werdende Ton fiel Hansen auf. „Also kurz: was wollen Sie von mir?" Ewers wurde wieder demüthig. »Ihre Hilfe. Herr Sigurd", sagt« er. „Ich treibe mich nun schon seit Wo chen hier herum wie ein Landstrei cher. Ein paarmal hat mir die Lene gegeben aber es reichte doch nicht weit." „Haben Sie sich nicht geschämt, die Frau anzubetteln, die Sie unglücklich gemacht haben?" Ewers schwieg einen Augenblia und lacht« bann frech auf. „Nana Herr Sigurd, über ihr Unglück hat die sich rasch getröstet! Ueberhaupt ich will nicht reden, aber an der gan zen Geschichte ist sie ebenso schuld wie ich." Ein heftiger Widerwillen beschlich Hansen. Sein Blick streifte das bru tale Gesicht des Mannes. Der Bursche mußte fortgeschafft werden, das war klar. „Sie wollen Geld von mir?" fragte er. „Wenn Sie mir helfen könnten. Herr Sigurd ... Die Leute sagen, daß Sie sehr reich seien. Was kommt es Ihnen darauf an! Geben Sie mir zehntausend Mark, daß ich mir wieder ein« Existenz schaffen kann." Die Unverschämtheit der Forderung ärgerte Hansen. „Ich glaube, Sie sind nicht klug, mein Lieber." entgeg nete er. „Wie käme ich, ein Ihnen Wildfremder, dazu, Ihnen eine so große Summe zu schenken?! Oder wollen Sie mir durch Ihre Frechheit imponiren?" Ewers steckte die Hände in die Ho sentaschen. „Na, da wollen wir an ders miteinander sprechen, Herr Si gurd", sagte er. „Entweder oder. Glauben Sie, ich weiß nicht Bescheid? Meinetwegen können Sie mit der Lene herumscharmutzieren, soviel Sie wollen. Aber erst blechen. Die zehn tausend Mark sollen meine Absin dung s«in.. Keinen Pfennig darunter. Si« können ja auch Nein sagen. Aber dann können Sie sich darauf verlas sen, daß ich meiner geliebten Ver flossenen das Dasein in angenehmster Weise verschönern werde. Ich darf meinen Sohn sehen, wann ich will. Von dem Recht würde ich alle achj Tage Gebrauch machen. Eine Erpres sung? Gewiß wer so in des Teufel? A Küche steckt, scheut sich auch vor einer Erpressung nicht..." Hansen war stehen geblieben. He!« les Roth war in seine Wangen gestie gen. Aber eine eigenthümliche Ent deckung lenkte seine Entrüstung ab. Er stand auf der Höhe des Weges. Die sich allmählich senkende Straß« führte in gerader Richtung nach der Mühle. Man sah sie unten liegen: die Silhouette eines Riesenweibes mit großflügliger Haube. Und von dort her nahte sich auf dem Graugelb der Straße eine dunkle Erscheinung. Oder war es ein Schatten! Der Schatten eines Baumes, den der Wind be wegte? Ewers hatte sich dicht vor Hans«n aufgepflanzt. In seinen wasserblauen Augen spiegelte sich eine seltsame Mi schung von Vagabundenfrechheit und gutmüthigem Humor. Er lachte be haglich. „So", meinte er, „nun habe ich Ihnen mein Herz ausgeschüttet. Nehmen Sie's nicht allzu tragisch, Herr Sigurd. Ich 6tn nicht der Schlimmste. Krieg' ich mein Geld, so schwöre ich Ihnen: ich dampfe um gehend über den großen Teich zurück und Sie und die Lene und der Max sollen nie wieder was von mir hören. Man könnte ja versuchen, drüben noch mal so etwas wie ein ordentlicher Mensch zu werden. Vielleicht ge lingt's.. Er stand so, daß er der Mühle den Rücken drehte, unld wunderte sich: dieser Herr Sigurd schien gar nicht aus ihn zu hören der starrte über seine Schulter hinweg, und in seinem Gesicht zeigte sich immer mehr ein Ausdruck ängstlicher Spannung. Die Augen waren größer geworden, die Brauen gehoben «ine Falte lag über bet Nasenwurzel. Und auf einmal streß er Ewers hastig beiseite und stürzte vorwärts er lief er rannte. „Lewe!" rief er. Das hörte Ewers. Er schnellte herum und wurde blaß. „Verflucht!" murmelte et. Da lagen sich zwei in den Armen. „Lieber Gott", stammelte Llne, „was hatte ich Angst unt dick! Ich hielt's nicht mehr aus." „Meine Lene Angst?" fragte Han sen und zog ihr das Tuch wieder schützend über den Kopf. „Angst hat mein tapferes Lieb? Aber mein Him mel, wovor? Wußtest du „Ja* Heinz. Ich ahnte es. Ich wußte eS. Er war am Abend bei mir. Er drohte wieder er wollte mir den Jungen entführen. Er hatte auch längst die Absicht, dich zu überfallen und von dir Geld zu erpressen. Es fuhr mir heraus, daß du im Schlosse seiest. Und da lief er davon und da kam mir die Angst..." „Geniert euch nicht", sagte Ewets gemüthlich im Nähertreten. Wieder hatte er die Hände in die Hosentaschen gepfropft. „Ich will euch auch mei nen Segen geben, wtnn's euch danach gelüstet. Na also, Onkel Sigurd, machen wit unser Geschäftchen ab! Aber gleich. Gehen wir in die Mühle, und haben Sie die Zehntausend nicht in Baribus bei sich mir genügt eine Anweisung. Dann troll' ich mich. „Schamloser!" schrie Lene auf. Hansen hielt sie am linken Arm, die Rechte griff in die Tasche. Ewers sah den Revolverlauf dicht vor seinem Gesicht. „Noch eine solche Frechheit, mein Bürschchen". sagte Hansen kühl, „und wir sprechen in schärferer Ton art miteinander." Ewers fuhr mit bet Hand blitz schnell in seinen Rock. Ein leises Knacken ertönte. „Ich werbe bie Antwort nicht schul dig bleiben!" „Gib acht!" tief Lene und um schlang Hansen. „Er hat auch eine Masse! Et Sie sprach nicht aus. Ein Schuß fiel. Im Walde erwachte das Echo. Nachtgethier schwirrte auf. Aus krei digem Antlitz stierten zwei Augen in fassungslosem Entsetzen. „Herrgott", schrie Ewers, „das wollte ich nicht!" Er breitete die Arme aus, in unwill kürlicher Bewegung, als wollte er et was retten. Und dann sprang er da von, in langen Sätzen den Weg hinan und rechts hinein in den Wald, ein Gehetzter. Hansen trug feine Lene. Drei .Schritt nur, da fühlte et ihr rieseln des Blut aus seiner Hand. Sie war sehr schwer geworden eine Last für ihn. Sanft legte er sie am Wald rain im Moose nieder und sah mit namenlosem Schrecken, wie ihr Ge ficht sich länger zog unb mebr unb mehr verblich. Er stürzte neben ihr nieder. „Lene! Lene! Lene!" Dann rief et nach Hilfe. Er riß ihre Taille auf, und bas Iinnene Leibchen barunter. Ueber baS weiße Fleisch purpette dunkles Blut. Et verlor die Besinnung. Et küßte ihr Blut. Er preßte sein Taschentuch gegen ihre Wunde er hielt ihren Kopf. Er schrie und schrie. Wer konnte Hilfe bringe?! EtwaS Verdämmerndes lag in ihrem Blick. „Hör"', flüsterte sie. Er neigte fein Gesicht dicht übet das ihre. „Ich muß sterben. Aber er wollte es nicht.. .Ein Unglück ... Laß' ihn! Sorge für Max „Er soll mein Kinb fein. Bei meiner Ehre. Ich bin „Du bist Heinz Hansen. Ich weiß es längst. Heinz Heins ich a e i e Da kam ein Zucken. Gewattig schnitt bet Tob in bas blühenbe Le ben. Ein Zucken kam. ein Bäumen letzter Kraft unter der Umschlingung Hansens zitterten ihre Glieder. Dann ein röchelnder Laut. Das schöne klare Auge wurde ganz dunkel, und die Lippen thaten sich auf. So starb sie an der Landstraße. Hansen saß neben ihr und hielt ihren Kops in seinem Schoß. Er schloß die Augen und öffnete sie wie der. War das nicht alles ein Traum qewesen? Nicht nur ein düsteres Spiel der Nacht, von dem nichts übrig blieb beim Erwachen als ein dumpfer Druck hinter der Stirn? Langsam kam ihm das Denken zurück: daß er wußte, es war ge schehen und nicht mehr ungeschehen zu machen. Für einen Moment auch stieg ein krasses Gefühl Bitterkeit in ihm auf, ein Selbstvorwurf: wäre das Schreckliche nicht zu vermeiden ge wesen, wenn er nicht zuerst mit der Waffe gedroht hätte? Aber eine Frage ließ die Todte nicht wieder lebendig werden. Es war geschehen und nicht mehr ungeschehen zu ma chen. Es war ein Blitz in sein Hof fen gefahren und hatte versengt, was grün war. Der Winter stand nahe, und von dem sonnigen Herbst blieb nur ein wehes Erinnern. Die Augen der Todten waren auf wärts gerichtet. Er legte seine eisige Hand auf diese Augen, die noch im mer glänzend waren aber von starrem Ausdruck, und schloß mit fast zärtli cher Bewegung die Lider. Dann zog er ihr Hemd üb«r die nackte Brust und that einen Zipfel seines Mantels darüber. Und dann senkte er den Kopf und dachte an sie. Es war ein kurzes Lieben gewesen aber es hatte ihn stark werden las sen. An ihrer wundervollen. Gesund heit ausströmenden Frische hatte sein phantastischer Seelenflug das Gegen gewicht gefunden, das ihn wieder erd wärts zog. An der natürlichen Schlichtheit ihres Empfindens zer stäubten seine Philosopheme wie fal lendes Wasser in klarer Luft wenn sie sprach, fühlte er. wie die ganze künstliche Konstruktion seiner Lebens auffassung zu bröckeln begann wenn sie lachte, schien es ihm, als lache das Leben selbst. Ein schlichtes Weib war zu ihm gekommen und hatte ihm Lieb« gege ben: eine tapfere und auch kluge Frau, aber ohne die komplizirten Begriffs zustände, die die Gesellschaft schafft, eine Frau von kristallener Klarheit thätigen Denkens, unverfälschte Natur geblieben auch im Leid des Lebens und von jenem urgesunden Realis rnus, der aus sich selbst heraus ideale Antriebe schasst. So hätte Alme sich entwickeln können, hätte ein Zufall der Geburt sie jenseits der modernen Erziehung gestellt. Diese Natur in ihr. die keine falschen Schätzungen kannte und sich in der straffen Herr lichkeit ihres Leibes gewissermaßen verkörperte, hatte ihn mächtig ange zogen. Immer begegnen sich die Ge gensätze. Sie war ihm das germa nische Weib in seiner vollendetsten Kraftfülle, und er war ihr der zarte Träumer. d«r um die Härte der Wirklichkeit die romantischen Ranken feiner Empfindsamkeit spann. So fanden sie sich, und in dem Spiegel ihrer Seele lernte er erst das eigene Innere kennen. Die Nacht schritt vor, der Himmel wurde wolkiger und stärker der Wind. Im Walde hub «in Rauschen an. wie ein großer Trauergesang. Ein Regen von Blättern fiel auf Hansen. Er wußte gar nicht, wie lange er hier schon verweilte. Aber er spürte, daß der blasse Kopf in seinem Schooße schwerer und schwerer wurde. Und da er sich über ihn neigte, war ihm. als müsse das Herz ihm springen. Jetzt erst kam der Schmerz des Ver lustes und zerwühlte ihn und zugleich doch auch ein Bewußtsein von seltsam stählender Wirkung: nun galt sein künftiges Leben der Erinnerung dieser Todten es galt ihrem Knaben. Er wischte die Thräne ab, die sein Aug« n«tzte: er wollte hart fein. Vot sichtig legte er den Kops Lenes neben sich in das Moos und erhob sich. Dann knüpfte er seinen Havelock fest mit den Aernieln zusammen und gut Mt ihn so um sich, daß er eine Schlaufe bildete, in der die Todte sich tragen ließ. Es war eine furchtbare Arbeit. Der Schweiß sammelte sich aus feiner Stirn zuweilen blieb et stehen und rang nach Athem, einmal machte er eine minutenlange Rast und lehnte sich währenddessen mit dem Rücken an einen Baumstamm: er war zu Tode erschöpft. Aber dann ging er weiter, leise keuchend, immer die Todte im Arm, bis er die Mühle erreicht hatte. Nun lag sie friedlich auf ihrem Bett Hansen hatte die Decke bis an ihren Hals hinausgezogen. In dem kleinen Zimmer nebenan schlief Max den glücklichen Schlaf der Kindheit. Leise war Hansen an sein Lager ge treten der Junge hatte den Kopf tief in baS Kissen eingewühlt, sein Gesicht war etwas finster, bas eine Händchen geballt: et mußte Trotziges träumen. Hansen küßte ihn Max regte sich, warf sich aus bie andere Seite und fchlum merte weiter. Hansen kehrte zu feiner Todten zurück und setzte sich neben sie. Et nahm ihre Hand, und sein Geist sprach zu ihr: nicht in alles auflö sendem Wehleid, sondern mit oet stoischen Ruhe, dié auch ein feindliches Schicksal zu versöhnen trachtet und sich dem Geschehenen unterwirft. Er weinte nicht mehr et war nur sehr blaß und sein Auge dunkel umschat tet. Durch den Wald draußen däm merte ein kaltes Frühroth. Die Spa tzen unter dem Fenster begannen zu schwatzen da stand er auf und kehrte noch einmal zu dem Jungen zurück, nahm ihn auf den Arm und trug ihn in sein eigenes Schlafzimmer uno legte ihn in sein Bett. Sein er ster Blick beim Erwachen sollte nicht auf die arme Mutter fallen. Aber bev Morgen kam, und Max wunderte sich llher das fremde Bett, und feine helle Stimme rief nach der Mutter und lachte Hansen entgegen. Das war eine schreckliche Stunde. Anfänglich begriff der Kleine gar nicht was war ihm der Tod? Dann schlich ein heimliches Grauen sich in das Kinderherz und eine Ahnung dämmernder Bewußtheit, und dann folgte das Entsetzen uns Schrei um Schrei und wildes Schluchzen. Han« sen hielt ihn auf seinen Knien und versuchte es mit leerem Troste, nahm ihn mit in die Staatsstube und gab ihm Bücher mit Bildern, legte sich mit ihm auf den Soven unb erklärte ihm die Schildereien in „Gockel Hin fei und Gackeleia". Plötzlich wurde der Junge ganz ruhig er blätterte eifrig, und auf einmal lachte et und rief: „O, Herr Sigurd, sehen Sie nur, was hat der Mann für eine schrecklich große Nase!" Hansen hatte die Magd in aller ^rühc nach der Troste geschickt. Sie kamen sogleich herüber: die beiden Alten und Anders und Engelmarie. Nur die Kleine ließ sich in wilder Verzweiflung gehen, die Mutter bete te, der Oberförster stand mit gesalte ten Händen am Bette und starrte sei nem todten Kinde in das weiße Ge sicht. Auch Anders wußte sich zu be herrschen aber sein Schmerz ging tiefer: er ahnte, was Lene seinem Wohlthäter gewesen war. Die Thatsachen ließen sidh nicht verschleiern. Der Arzt mußte die To desursache feststellen: ein Schuß in den linken Lungenflügel. Und nun begann das widerwärtige Nachspiel der Tragödie. Gendarmen trafen ein, der Untersuchungsrichter, der Staats anwalt die Verhöre wollten nicht en den, umfangreiche Protokolle wurden aufgenommen auch die Unannehm lichteiten, die Hansen aus der falschen Angabe seines Namens erwuchsen, waren nur nach langwierigen Ver Handlungen zu beseitigen. Doch auch dieser Tag ging vorü ber. Als der Abend sank, saH Han sen wieder am Todtenbett. Die Mut ter und Engelmarie hatten Lene ein weißes Hemd angelegt und die Decken ihres Lagers mit Ranken von wildem Wein geschmückt, denn es blühte keine Blume mehr. So traf ihn Bruno Görries, den Anders benachrichtigt hatte. Er um armte den Freund. „Du Lieber. Gu ter." sagte er, „ich fühle mit dir. ich theile deinen Schmerz. Will auch kein Wort des Trostes sprechen es würde mich kläglich dünken. Nur eine Bitte. Heinz. Verzweifle nicht, oaâ Leben geht weiter und duldet kein Verweilen im Weh. Anders hat mir erzählt, daß du Max zu dir nehmen und später zu adoptiren gedenkst. Vielleicht bat sie dich darum. Aber es ist nicht nur die Erfüllung einer letzten Bitte: es wird für dich auch eine Umkehr sein. Du lebtest bisher nur vir oder glaubtest es doch, wenn auch der Erfolg deiner Arbeit der Wohlfahrt der Menschen diente nun gehört Leben und Kraft und Arbeit dem, der dein Sohn sein wird." Hansen nickte. „Ja, Bruno. Was ich von meinem neuen Menschen träumte, wird jetzt erst Gestalt an nehmen, denn erst jetzt sehe ich klar. Als es Frühling wurde, glaubte ich. in Aline die Verlebenvigung meiner Wünsche zu sehen. Und nun der Herbst scheidet, weiß ich, daß es nur ein Kultus war, dem ich einen Altar erbaut hatte, kein Gott. Ich treibe keinen Kultus mehr, der den Lebens trieb bricht und zur Entsagung führt: ich will wieder zum Selbstbewußtsein kommen und zum Ergreifen des Augenblicks, will aus der Tröst-Ein samkeit bequemer Beschaulichkeit wie der zurück zur tröstenden Arbeit!" „Ich wußte, daß es so kommen würde," erwiderte Görries, „es konnte nicht anders sein. Und jetzt, Heinz, da du wieder eins mit dir geworden bist, laß mich dir ein Geständniß machen. Als ich im Salon des „Bloedzuiger" damals, an jenem verhängnisvollen Vormittag mit Aline über dich sprach und mir klar geworden war, daß sie für dich verlo ten, da ergriff mich eine tolle Freude und in dem Rausche des Augen Micks stürzte ich ihr zu Füßen und stammelte ja. stammelte Worte der Liebe und Leidenschaft unzusam menhängendes Zeug wie in der Raserei. Und war auch rasend war wie ein Natt verliebt ..Und sie?" Bruno kreuzte die Atme übet der Brust. „Sie kurirte mich schnell. Sie lachte mich aus. Sie lachte so herzlich und rief: „O. Prinz, wie komisch sind Sie!" Das brachte mich zu mir selbst im Augenblick, Heinz. Und da schämte ich mich. Kannst du mit vergeben?" „Von Hetzen. Also sie lachte. Das var Klugheit. So wenig i ch mein Ilück bei ihr gesunden hätte, so we* iig auch du. Zu ihr gehörte eine persönlichkeit, im Guten und Schlich :en ein Mann, der anders sein nutzte von außen und innen als du •tnd ich. Statt dessen atme Freundin!" Uno Görries fügte hinzu: „Atm? Mine!" Beide schwiegen. Kein Licht brann ie im Zimmer. Ein blauer Nacht Himmel schien durch das Fenster. Kichts regte sich. Jeder der Freunde wußte von dem inherit, an wen er dachte, und beiden Dar. als hätten sie nicht die Todte allein zu betrauern. „Radix," tief Alme dem alien Diener zu, „ist im Zimmer oes Herrn Vrasen alles in Ordnung?" „Befehlen ja, Frau Gräfin, ich habe gestern schon heizen lassen. Es ist ganz mollig." Aline schaute auS dem Fensttzv. „Nun schneit es gar." sagte sie. „Der Winter kommt diesmal früh. Habt ihr einen geschlossenen Wagen zur Bahn geschickt?" Radix machte ein verlegenes Ge« ficht. „Doch nicht, Frau Gräfin: den kleinen Jagdwagen. Herr Graf haben :s extra befohlen. Aber ich habe den großen Pelz aus den Wagen legen lassen und Thiele eingeschärft, et soll daraus achten, daß der Herr Graf ihn auch ja anzieht." Aline nickte. „Schön. Paß' auf, wenn der Wagen kommt. Ich will mich noch einmal nach Exzellenz um sehen." Wary hatte bei seiner Verabschie dung aus dem Hosdienst nebst einem gnädigen Handschreiben der Königin Wilhelmine den Titel Exzellenz mit auf ixn Weg bekommen. Er lachte darüber und nannte sich selbst „Die jüngste Exzellenz Europas". Damals hatte er noch schmerzlos lachen können. Heute war es anders geworden. Sein Leiden hatte rapide Fortschritte gemacht. Die Aerzte wa ren ursprünglich der Hoffnung gewe sen, daß sich die infolge der Rücken markserschütterung eingetretenen Funktionsstörungen allmählich legen würden als aber die ersten Krisen eintraten, erkannten sie, daß es sich um eine unheilbare Systemerkran kung handelte, deren Entstehungsut fache im Dunkeln lag, und die durch die Erschütterung wohl nur zum Ausbruch gekommen war. Man hatte es noch im Haag mit elektrischer Be Handlung und einer vorsichtigen Kaltwasserkur versucht dann hatte Aline ihren jungen Gatten nach Schwalbach und hierauf nach Cudo wa begleitet. Nun wollte Wary nicht mehr zurück in seine Heimath, und als die Nachricht eintraf, daß in Pre merit} eine kohlensäurereiche Eisen quelle entdeckt worden sei. setzte «r es sich in den Kopf, dort Heilung zu fu chen. So siedelte man denn nach Koschlau über. Als Wohnzimmer für Wary, der nur noch auf einem Stuhl gefahren U erden konnte, war ein großer Saal im ersten Stockwerk eingerichtet wor den. Aline hatte es verstanden, den riesigen, sonst Iveniq behaglichen Raum durch spaniscl.. Wände. Por» tieren und kleine Nischen so einzuthei len, daß ein Eindruck origineller Ge müthlichkeit hervorgerufen wurde. Wary hatte den Saal anfänglich scherzend „sein Zellengefängniß" ge nannt, äußerte sich aber doch auch sehr zufrieden über die Einrichtung. Er ließ sich im Zimmer umherfahren, seinen Stuhl zuweilen dicht an eines der bis zum Fußboden reichenden Fenster rücken, die nach bem Parke hinausgingen, zuweilen machte er in der „Bücherzelle" Halt, zuweilen lag er stundenlang träumend aus der Chaiselongue im „Salonwinkel" oder ließ sich von der Pflegerin vorlesen. Er hatte alle diese verschiedenen Plätze lieben gelernt und grollte dem unbarmherzigen Schicksal nicht, das den sreiheitsdurstigen jungen Löwen für immer gefangen hielt. In der That: Wary fügte sich philosophisch seinem harten Geschick. Aus dem Sprudelkopf war ein ruhi ger Denker geworden, der dem Tode mit heiterer Unbefangenheit entgegen« sah. Er klagte wenig und entfaltete Aline gegenüber eine rührende Lie benswürdigkeit. Nie kam ein Wort der Bitterkeit über seine Lippen war sie bei ihm. so verschwand selten das freundliche Lächeln von seinem Ge sicht, das seinen hübschen Zügen et was ungemein Klares und Milde? gab. Aline sand Wary in seiner „Bü cherzelle". die durch einen quer ge hängten breiten Gobelin und eine Rollwand von dem übrigen Raum ge schieden war. Hier saß er auf seinem bequemen Stuhl, im hellen Lichte deS Novembertages, vor sich einen tieft» gen, mit Zeitschriften, Broschüren und Büchern. Schreibblocks. Stichen unb Photographien vollbepackten Tisch, uno las. (Kottsetzuntz fa^t.j \n\n Roman von Fedor von Zobeltitz. V i e e s u XIX.