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Ver-
*v geltnng.
Bon *. *. «t«
(11. Fortsetzung.)
Die Anklage traf Deering v?Mz
»«vorbereitet und er bedurfte seiner
ganzen Willenskraft, um die notwen
dige Fassung zu bewahren. Einige
Minuten stand er da, ohne den Blick
»vm Boden zu erheben, ohne eine Er
widerung zu finden. Als er endlich
sprach, merkte man ihm jedoch keiner
Itt Erregung mehr an, seine Stimme
hatte ihren gewöhnlichen Klang.
„SDoß man mich eines Verbrechens
beschuldigt," sagte er, „ist mir so
überraschend, daß ich erst einiger Zeit
dedurfte, um mir den Gedanken klar
au machen. Es müssen wohl triftige
Derdachtsgründe gegen mich vorlie
gen, fönst würde ein Mann, wie
Stauhope White, sich nicht dazu h:r
geben, mir solchen Schimpf anzutun.
Ich will Ihnen datier auch keine wei
teren Unbequemlichkeiten machen, son
dern ohne Zögern und ohne Wider
rede mitgehen. Schon beim ersten
Verhör, das weiß ich, wird st 5 meine
Unschuld sonnenklar herausstellen."
„Es ist das Klügste, was Sie tm»
können," versetzte der Beamte.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
S e e e n k a
ES war gegen drei Uhr. als Ste
fan Hufe von seinem Arbeitsstuhl
aufstand und an den langen Tisch
der Tür gegenüber trat, um ein
Werkzeug zu holen, welches er gerade
brauchte. Der schon für gewöhnlich
düstere Raum lag an diesem trüben
Tage fast völlig im Dunkel nur am
Fenster war es noch hell. Suchend
blickte er über die verschiedenen Ge
rate, Bücher und Zeitungsblätter hin,
die den Tisch bedeckten da glänzte
plötzlich ein Freudenstrahl in seinen
matten Augen und er streckte die
Hand aus nach einer halbverblüht?n
weißen Rose, die vor ihm lag. „Ma
ry!" flüsterten seine Lippen „das
kommt von ihr sie schickt mir ein
Zeichen, daß es ihr wohl geht und
sie glücklich ist."
Doll Wonne sog er den süßen Duft
etn, warme Liebe strömte ihm zum
Herzen und seine Augen wurden
feucht, während er die köstliche Blüte
an die Lippen drückte.
Er überlegte nicht lange, wer von
seinen heutigen Kunden Marys
Bote gewesen sein könnte. Ohne
Zweifel war es der alte Kutscher, der
den Beschlag eines Pferdegeschirrs
gebracht hatte, um ihn neu versilbern
au lassen. Nachdem er die Rose ins
Wasser gestellt hatte, trug er sie ans
Fenster und schwelgte entzückt in der
frohen Hoffnung, daß sein Plan ge
lungen und seiner Tochter glückliche
Zukunft gesichert sei. Zwar nahm er
die Arbeit wieder auf, doch wurde sie
ihm schwer seine Gedanken schweif
ten fortwährend ins Weite und er
wünschte, daß der Tag erst vorüber
wäre unk die Stunde gekommen, um
welche er sich das Abendblatt von dem
Zeitungsstand an der nächsten Stra
ßenecke zu holen pflegte. Hatte Ma
ry wirklich Stanhope White ihr Ja
wort gegeben, so würde sie sicherlich
Sorge tragen, daß er eine Anzeige
der Verlobung zu Gesicht bekäme,
denn nur durch die Zeitung konnte
er die Nachricht erhalten. Endlich wni
der ersehnte Augenblick da. Eine un
gewöhnlich zahlreiche Menschenmenge
umdrängte den Zeitungsstand. Es
mochte sich wohl etwas Wichtiges er
eignet haben, was die Gemüter er
regte doch wenn es sich nicht auf
Mary beog, hatte es ja jetzt keinerlei
Wert für ihn. Er griff hastig nach
dem ersten Blatt, dessen er habhaft
werden konnte und eilte in seine Be
hausung zurück.
Das Feuer war herabgebrannt und
daS Zimmer kalt geworden so legte
er denn die Zeitung hin und schüttete
erst frische Kohlen auf. Als er sie
wieder zur Hand nahm, fiel sein er
ster Blick auf die großgedruckte Ue
Überschrift einer Spalte er las:
„Oberst Deering verhaftet als
Mörder von Samuel White, dessen
Tod man bisher für einen unglückli
chen Zufall hielt."
Durfte er seinen Augen trauen
oder war es ein Trugbild seiner er
hitzten Einbildungskraft? Nein, eS
war Wirklichkeit da standen die
Worte schwarz auf weiß und darun
ter noch andere, um die Verhaftung
näher zu erklären und Beweisgründe
für die Schuld anzuführen. Er brach
in ein höhnisches Gelächter aus und
beugte sich gierig über das Blatt, als
wolle er jede Silbe verschlingen.
Er las, daß die Beschuldigung von
Stanhope ausging und daß die Ge
genwart des Angeklagten am Tatort
zur Zeit, da der Schuß abgefeuert
wurde, erwiesen war. Der Gefan
gene leugnete zwar seine Schuld mit
großer Bestimmtheit, hatte jedoch zu
gegeben, daß er einen alten langjäh
rigen Groll gegen den verstorbenen
gehabt hatte.
Länger vermochte der alte Mann
seine leidenschaftliche Erregung nicht
zurückzuhalten. „Gefangen." jubelte
er, „gefangen wie der Fuchs in der
Falle! Seine eigene Unbesonnenheit
hat ihn zu Grunde gerichtet und ich
bin frei."
Wieder vertiefte er sich in die Zei
tung. Ein neuer Abschnitt:
„Die Polizei hält die Tatsache
deS Mordes aufrecht. Der Ge
fangene ist nicht geständig. Seit
seiner Verhaftung hat Oberst Dee
ring nur das eine Verlangen ge
stellt, daß man sogleich nach dem
Aufenthaltsort eines gewissen Tho
mas Dalton forschen möchte, aus
dessen Zeugnis er sich berufen wol
le. Dieser Dalton hat, wie bereits
bekannt, vor etwa vier Wochen sei
ne Wohung am Markham-Platz
Nto. 6 heimlich verlassen und ist
seitdem nicht wiedergesehen wor
den."
Das Blatt zitterte in des Lesenden
Hand. „Ha," rief er, „das soll ihm
nicht gelingen. Er hofft mich in sei
nen Fall mit hinabzuziehen aber
er kann es nicht: Thomas Dalton ist
fort, vom Erdboden verschwunden.
Selbst seine eigene Tochter weiß
nicht, wo er ist, und wenn Gott es
weiß, so verkündet er es nicht. Mei
ne Rettungsstunde ist da. Alle Um
stände treffen zusammen, um meinen
Todfeind zu verderben und zu be
weisen, daß er schuldig ist. Deering
ist verloren und kann mir nicht mehr
schaden." Er rief die Worte wie im
Freudenrausch und warf einen trium
phierenden Blick nach dem Vorhang,
welcher die todbringende Maschine
verhüllte. Dann las er den weiteren
Bericht, in dem alles gesammelte Be
Weismaterial, alle Verdachtsgründe
gegen den Gefangenen aufgezählt ton
ten. Allmählich verdüsterte sich jedoch
seine Miene und der Freudenschein,
der ihn förmlich verjüngt hatte,
schwand aus seinen Zügen. Bald
entsank die Zeitung der schlaffen
Hand und er starrte regungslos vor
sich nieder, wie gelähmt von Eni
setzen. Plötzlich sprang er auf und
ging mit hastigen Schritten in der
Werkstatt hin und her. In seiner
Seele tobte ein wilder Kampf. Zuerst
gab sich das nur in einzelnen Aus
rufen kund, dann stieß er Worte und
Sätze heraus, bald flüsternd, bald
stöhnend, je nachdem Furcht oder
Hoffnung bei ihm die Oberhand ge-
wann.
„Warum soll ich die Rettung nicht
annehmen, die sich mir bietet?
was kümmere ich mich um den Mann,
dessen Tod mir Erlösung bringt!
Schweige ich, so erfüllt sich sein Ver
hängniS, für ihn gibts keine Hilfe.
Vergangenheit und Gegenwart stehen
gegen ihn auf. Je mehr man sein
Leben durchforscht, um so triftigere
Gründe wird man finden, ihm daS
Urteil zu sprechen. Selbst seine un
erschütterliche Selbstbeherrschung und
unbezwingbare Willenskraft werden
nicht im stände sein, ihn aus dem
Netz zu befreien, das sich über seinem
Haupt zusammenzieht. Er hat einem
großen Mann das Leben geraubt und
muß dafür büßen. Daß Whites Tod
nicht gerade auf die Art erfolgt ist,
wie man denkt, ist für mich kein
Grund einzuschreiten. Jahrelang
habe ich für meine Befreiung Pläne
geschmiedet, gearbeitet, gebetet. Wa
rum sollte ich mich nicht freuen, nun
ste da ist? Ja, ich freue mich, ich
ai--
me neues Leben. Furcht und Scham
sind verschwunden. Sobald jener
Mann überführt ist und mir niemals
mehr schaden kann, werde ich die ge
sellschaftliche Stellung wieder ein
nehmen, die mir gebührt, und mit
meiner geliebten Mary das Leben ge
nießen. Wird das geschehen?"
Die Frage rang sich wie ein Angst
schrei aus seiner Brust. Wird es
schehen? Er dachte an Marys Schön
heit, ihre Unschuld und Reinheit, de
ren Sinnbild die weiße Rose war,
die dort im Fenster schimmerte, an
die Heirat, die ihr Erdenglück grün
den sollte, und immer mehr erlosch
das Feuer der Leidenschaft in feinem
Antlitz, bis es grau und verfallen
aussah, als fei auch der letzte Hoff
nungsfunke erloschen. „Ich brauche
ja bloß zu schweigen und der Gerech«
tigkeit ihren Lauf zu lassen," rang t8
sich endlich stöhnend aus seiner Brust.
„Daß ich mich selbst hineinmische, ist
nicht von Nöten. Habe ich ihn doch
erst vor wenig Tagen hier an dieser
Stelle mit dem Tode spielen sehen
und keinen Warnungsruf ausgesto
ßen. Jetzt geht es ja leichter, viel
leichter, denn ich werde nicht Zeuge
fein, wenn das Schicksal ihn ereilt.
Und doch fühle ich einen Brand in
meinem Innern, der mich zu verzehren
droht. Ist daS Gottes Strafgericht?
Hat fein Finger mein Herz be
rührt?"
Wie sehr er auch dagegen ankämpf
te und verzweiflungsvoll rang, den
jahrelangen Vorsatz nicht aufzugeben,
eS war ein ohnmächtiges Beginnen.
Dem ermatteten Streiter schwand
endlich der Mut, er vermochte den»
Geist, der ihn trieb, nicht zu wider
stehen. Aber vielleicht fand sich doch
noch ein Ausweg, ein Rettungsanker,
on den er sich klammern konnte. Was
hatte er denn zu fürchten? War er
nicht Stefan Hufe? Der hatte ja
nichts mit den Schrecknissen jeneS
alten Goldgräberlagers in Kaliforni
en zu schaffen. Selbst wenn Deering
der Versuchung nicht widerstand, die
ganze grauenvolle Geschichte zu er
zählen, konnte er ihm nicht schaden.
Es schien eine offenbare Fügung der
Vorsehung, daß sich alles so traf.
Und doch war die Möglichkeit einer
Entdeckung nicht ausgeschlossen.'
Sollte eS denn wirklich seine Pflicht
sein, daS ihm neu geschenkte Leben
ausS Spiel zu setzen, um dieses Man
neS, um seines Feindes willen? Ma
ry würde vielleicht diese Frage be
jähen. Aber Mary war ein Engel
und er nur ein müder, gebrochener
alter Mann.
Er überlegte hin und her, aber der
einmal gefaßte Gedanke ließ ihn nicht
wieder los und trieb ihn unwider
ftehlich zum Handeln. Er ward nun
ganz still wie träumend blickte er
umher in der Werkstatt, dem Schau
platz seiner Tagesarbeit alles schien
ihm fremd und bedeutungslos. Me
chanisch holte er Hut und Rock vom
Nagel und kleidete sich zum Ausge
hen an. Zuletzt nahm er noch die
weiße Rose vom Fenster und barg sie
in seiner Brusttasche. Nachdem er
die Lampe gelöscht, öffnete er die
Tür geräuschlos und stahl sich in die
Nacht hinaus.
Seit er vor einer kurzen Stunde
das Zeitungsblatt zur Hand genom
men hatte, war er wohl um zehn
Jahre gealtert.
Neunnndzwanzigstes Kapitel.
S e a n u e i n W i e
W o n u n
Zur späten Abendstunde sah man
einen alten Mann in Handwerker
kleidung sich durch die Menge drän
gen, welche den Eingang zu dem
White'schen Hause in der Fünften
Avenue umlagerte. Ein dort ausge
stetster Polizeidiener wollte ihn zwar
zurückhalten, doch wenige erklärende
Worte genügten zur Verständigung
und der Mann stieg ungehindert die
Treppenstufen hinauf. Als Felix
auf sein Klingeln öffnete, beeilte er
sich ihm mitzuteilen, daß er nicht
Herrn White zu sprechen wünsche,
sondern Fräulein Dalton. die junge
Dame, die jetzt hier im Hause wohne
Zugleich übergab er ihm feine Ge
schäftskarte. auf der in der Ecke eini
ge seltsam verschlungene Buchstaben
geschrieben standen.
Mary war gerade im Bibliothek
zimmer, als Felix ihr die Botschaft
brachte sie erschrak heftig, sobald sie
das verabredete Zeichen auf der Karte
erblickt hatte. Ihr Vater hier! DaS
kam ihr völlig unerwartet, obgleich sie
eben noch daran gedacht hatte, welche
Erleichterung es stir ihn sein müsse,
daß sein Feind gefangen genommen
sei und fürS erste seinen Weg nicht
mehr kreuzen könne. Aber was ih
ren Vater auch herführen mochte, sie
war froh, daß er gekommen war,
denn sie trug den Verlobungsring
am Finger und fehnte sich danach,
ihn teilnehmen zu lassen an ihrem
beseligendem Glück.
Als sie das kleine Empfangszim
mer betrat, in welchem ihr Vater
auf sie wartete, strahlte sie in Anmut
und jugendlichem Liebreiz wie noch
nie zuvor. Aber rasch verschwand daS
beglückte Lächeln aus ihren Zügen
bei seinem düstern, hoffnungslosen
Anblick.
„Was ist geschehen?" fragte sie,
dicht zu ihm hintretend, in
wer GfatS-Anzeiger. Bismarck, R. D., de» 7. November
Vorsicht?-
gem Flüsterton. „Ich glaube doch,
die Verhaftung jenes Bösewichts
würde dich
von
aller Furcht befrei-
en."
„Mary," rief er in flehendem Ton,
als erwarte er von ihr Rettung aus
drohender Gefah., „soll ich mein
Leben aufs Spiel setzen um eines
Mannes willen, der kein Erbarmen
kennt? Ich weiß, daß Oberst Dee
ring Samuel White nicht mit eigener
Hand erschossen hat. Soll ich es be
konnt machen, obgleich seine Befrei
ung meinen Tod bedeutet?"
Mary zuckte schmerzlich zusam
men. Ein kalter Reif legte sich aus
die Blüten ihres jungen Glücks.
„O, warum stellst du die Frage
an mich?" rief sie. „Ich bin deine
Tochter, wie kann ich dich zum Tode
verdammen? Und doch, wenn er
unschuldig ist
„Würdest du mich noch lieben,
wenn ich schwiege?"
„Die Wahrheit gilt mehr als daS
Leben," versetzte sie tief erschüttert.
„Du könntest nie mehr glücklich sein,
ließest du deinen Feind unter einer
falschen Anklage sterben."
„Glaubst du das wirklich? Traust
du mir zu, daß ich Reue empfinden
würde, daß der Trieb zum Guten
noch in mir wohnt?"
„O, sprich nicht so! Hast du mich
doch von Kindheit aus zu Wahrheit
und Tugend angehalten, wie solltest
du selbst deine Lehren Lügen stra
sen? Würde ich dich denn so innig
lieben, wärest du nicht die Güte sel
bet?"
„Du weißt nicht, wie böse Ge
danken die Furcht vor jenem Manne
in meiner Seele geweckt hat. Noch
jetzt, nachdem ich dir gestanden habe,
daß er unschuldig an dem Verbrechen
ist, dessen man ihn zeiht, schaudere
ich davor zurück, die Tatsache der
Welt zu offenbaren."
„Und du weißt eS ganz gtwtfc
daß er Herrn Whites Tod nicht vertz
ursacht hat?"
„Er ist nicht durch seine Hand ge
fallen."
„Aber er war im Hause."
„Doch hat er ihn nicht geschossen."
„Das weißt du, Vater, und kannst
auch andere davon überzeugen?"
„Ja, das kann ich."
^Dann bleibt dir keine Wahl."
daS mein guter Engel?"
„Vater, könnte dir nicht Stanhope
die schwere Pflicht erleichtern? Soll
ich ihn rufen, damit er dir beisteht?"
„Er darf nicht wissen, daß ich dein
Vater bin, hörst du? Ich bin Ste
fort Hufe, der Techniker. Sobald auch
nur eine Menschenseele erfährt, daß
ich Thomas Dalton war, giebt es
keine Rettung mehr für mich."
„Ich werde mir nichts merken las
sen und vielleicht entgehst du der Ge
fahr. Unmöglich kann doch aber je
ner Deering so rachsüchtig sein, daß
er seinen Lebensretter noch mit tdd
lichem Haß verfolgt."
„Von ihm habe ich nichts zu Hof
sen. Er darf nicht ahnen, wem er
feine Befreiung verdankt."
„Vielleicht vermag Stanhope dies
ins Werk zu fetzen. Er ist so gut
wenn er wüßte
„Wohlan, ich will mit Herrn
White sprechen, aber nicht in deinem
Beisein. Sage ihm, daß ich das
Zimmer bewohne, in dem er dich da
mals wiederfand. Er hat mich zwar
als Thomas Dalton gesehen, aber
erkennen wird er mich schwerlich."
„O nein, sogar mir erscheinst du
fa völlig fremd."
„So rufe ihn denn herbei und
Gottes Segen geleite dich, mein teu
res Kind!"
Sie wollte noch zärtlich von ihm
Abschied nehmen, aber er trieb sie
zur Eile.
„Geh," drängte er, „damit mein
Entschluß nicht wieder wankend
wird."
Als Stanhope in das Zimmer trat,
erhob sich eine greife Gestalt und
kam ihm würdevoll entgegen.
„Entschuldigen Sie, Herr White,"
sagte der Alte mit Festigkeit, „ich
ließ Sie um eine Unterredung bit
ten, weil ich Ihnen eine wichtige
Mitteilung zu machen habe. Die
heutige Zeitung berichtet, daß ein
Mann als Mörder Ihres Vaters ver
hostet worden ist."
„Ganz recht. Wissen Sie etwas
Näheres darüber? Kommen Sie
wegen einer Zeugenaussage? Sie
wohnen auf dem Markham-Platz
hat der Oberst Deering Sie dort et
wa aufgesucht?"
„Ja, vor kurzem. Aber darum
handelt es sich nicht." Er hielt inne,
dann raffte er sich zusammen. „Oberst
Deering hat Ihren Vater nicht er-
schössen!" rief er mit röschem Ent
schluß.
„Wie? was sagen Sie? Können
Sie das mit Gewißheit behaupten?"
„Ich sah ihn an jenem Unglücks
tage aus dem Hause kommen und
gerade als er um die Ecke bog, tönte
der Schuß auS Ihres VaterS Zim
mer."
Stanhope bebte vor heftiger 'Er
regung. „Ist es möglich Sie sa
hen den Mann—hörten den Schuß?
Und wo waren Sie selbst?"
„Im Erdgeschoß des Eckhauses ge
genüber. Die hohe Gestalt des Man
nes erregte meine Aufmerksamkeit.
Als der Schuß fiel, stand er einen
Augenblick still und sah empor, und
da erkannte ich. daß es derselbe Herr
war, der vor einigen Tagen in mei
ne Werkstatt kam. um nach Thomas
Dalton zu fragen."
„Dann kam über seine Identität
kein Zweifel bestehen. Ihre Aus
sagen, Herr Hufe, ist für mich von
höchster Wichtigkeit sie verschafft
mir eine wahre Herzenserleichterung.
Gewiß werden Sie dieselbe bereitwil
lig auf der Polizei wiederholen!"
„Wenn es fein muß, ja. Halten
Sie es für notwendig?" Die Stim
me des Alten zitterte merklich, feine
Füße wankten. Stanhope betrachtete
ihn mit teilnehmendem Blick.
„Sie fühlen sich angegriffen. Ich
werde Ihnen ein Glas Wein bringen
lassen."
„Nein, nein, es ist nichts. Sagen
Sie nur, wann ich mit Ihnen auf
die Polizei gehen soll. Ich wünsche
nur meine Pflicht zu tun. Für jenen
Mann habe ich kein besonderes In
teresse."
„Heute scheinen Sie mir nicht
kräftig genug ich werde eine vorläu
sige Anzeige bei der Polizei machen
und Sie morgen in Ihrer Wohnung
abholen und mit Ihnen zu dem In
spektor gehen. Oberst Deering soll
nicht unschuldig leiden."
„Ich stehe Ihnen ganz zu Dien
sten also morgen erwarte ich Sie,
Herr White!"
Stefan Hufe schritt langsam der
Türe zu. Auf der Schwelle fah er
sich noch einmal mit forschenden
Blicken um, als wolle er seinem Ge
dächtnis die ganze Einrichtung deS
Raumes bis aufs kleinste einprägen.
Wenn Stanhope dies seltsam er
schien, so konnte er ja nicht ahnen,
welche schmerzliche Freude eS für den
Vater war, der sich für immer von
der geliebten Tochter trennen sollte,
wenigstens einmal die "Umgebung zu
sehen, in der sie leben und glücklich
sein würde.
Dreißigstes Kapitel.
E n o e (.
In seine Behausung zurückgekehrt
fand Stefan Hufe reichlich Zeit, die
unglücklichen Folgen des Schrittes zu
überdenken, den er getan. Sobald
die Polizei anfing, nach seiner Ver
gangenheit zu forschen, ließ sich seine
Identität nickt länger verbergen,
darüber gab er sich keiner Täuschung
hin, doch wankte er nicht, den gefaxten
Entschluß auszuführen. Als Stanhope
an andern Morgen zur verabredeten
Zeit erschien, fand er den alten
Mann bereit, mit ihm zu gehen. Daß
er ihm unterwegs so bleich und hin
fällig vorkam, schrieb er seinen ho
hen Jahren zu denn daß sein Ge
fährte auf diesem Gange alle Qualen
eines zum Tode Verurteilten litt,
der das Schaffst besteigen soll, war
ihm ja völlig verborgen.
Ehe sie das Haus verließen, hatte
der Alte Stanhope noch seine Bitte
vorgetragen, ihm womöglich eine Be
gegnung mit Oberst Deering zu er
sparen. Dieser habe ihn, sagte er,
damals in seiner Werkstatt mit großer
Geringschätzung behandelt, und es
sei zu einem Wortwechsel zwischen
ihnen gekommen. Er hege nun eine
große Abneigung gegen den Mann
und begehre keinen Dank von ihm, ja
es sei ihm am liebsten, wenn jener
gar nicht erführe, wem er seine Be
freiung zu verdanken habe.
Auf dem Zimmer des Polizeiamts,
in das man sie führte, fanden sie
nur einen Herrn mit freundlicher
Miene und den schweigsamen Schrei
ber an seinem Pult. Erleichtert at
mete Huse aus, der ängstliche Aus
druck schwand aus seinem Antlitz und
er stand hoch ausgerichtet da. wäh
rend er vor dem Polizeiinspektor
Zeugnis ablegte. Er erzählte seine
Geschichte genau wie tags zuvor und
da sie sich wirklich so zugetragen hat
te, konnte ihn auch kein Kreuzverhör
darin irre machen. Des Obersten
Unschuld wurde hierdurch klar er
wiesen und der Inspektor gab sofort
Befehl, den Gefangenen vorzuführen,
um ihm die Freiheit zu verkünden.
Stanhope sah den alten Hufe er
schreckt zusammenfahren und beeilte
sich, dem Inspektor mitzuteilen, daß
jener nur um der Wahrheit und Ge
rechtigkeit willen sein Zeugnis abge
legt habe, aber aus jeden Dank ver
zichte. Ja, er bäte ihn zu entlassen,
ohne daß er genötigt sei, dem Ober
sten zu begegnen, der ihn neulich in
seiner Werkstatt beleidigt habe. Seit
dem verabscheue er den Menschen und
wolle ihm nicht als Wohltäter gegen
überstehen.
Nachdem Huse dieS ungewöhnliche
Verlangen auf des Inspektors Fra
gen bestätigt hatte, erklärte ihm die
ser, es fei unmöglich zu verhindern,
daß fein Name öffentlich bekannt
werde, dagegen wolle er ihn nicht
zwingen, mit dem Obersten zusam
mentresfen, wenn ihm dies zuwider
wäre. Er möge steh inzwischen in
dem kleinen Nebenzimmer ausruhen
und warten, bis die bevorstehende
Unterredung mit dem Obersten vor
über sei. Natürlich zögerte der Alte
keinen Augenblick, den ihm gebotenen
Zufluchtsort aufzusuchen. Stanhope
geleitete den Schwankenden dahin,
und ehe sich die Tür schloß, flüsterte
er ihm freundlich zu: „Seien Sie
ohne Furcht, sobald er fort ist, hole
ich Sie. Bis dahin pflegen Sie der
Ruhe, niemand wird Sie stören."
Bei seinem Eintritt erkannte Oberst
Deering leicht aus den Mienen der
Anwesenden, daß seine Sache eine
günstige Wendung genommen habe.
Aus die betreffende Frage des In
fpektors erwiderte er, daß er zur
Zeit, als der Schuß abgefeuert wurde,
gerade unten am Haus vorbeigegan
gen fei er hätte diesen Umstand
schon früher erwähnt, wenn nicht die
Wahrscheinlichkeit, daß man seiner
Versicherung beimessen würde, zu ge
ring gewesen sei.
„Gestern war noch kein Zeuge für
Ihre Aussage da," lautete die Ant
wort „heute hot sich einer gefun
den."
Ueberrafcht fah sich der Oberst im
Zimmer um zuletzt blieb sein fragen
der Blick auf Stanhope haften.
„Nein, ich bin nur ein Abgesand
ter," erklärte dieser, der Zeuge ist
ein Mann, der Sie im entscheiden
den Augenblick auf der Straße ge
sehen hat."
„Ich wußte eS doch, daß meine
Unschuld an den Tag kommen wür
de." rief der Oberst.
„Oberst Deering," begann jetzt der
Inspektor, „unter den obwaltenden
Umständen werden Sie wohl keinen
Grund mehr haben, uns zu verschwei
gen, wie es kam, daß Sie Herrn
Whites Haus um 10 Uhr betraten
und dasselbe erst um halb 3 Uhr
verließen. Da Sie zugeben, daß ein
alter Groll zwischen Ihnen und dem
Verstorbenen bestand, muß es eines
starken Beweggrundes bedurft ha
ben, daß Sie so lange unter einem
Dache verweilen konnten, wo man
Sie nicht willkommen hieß. Um
Ihrer selbst willen und aus Rücksicht
für Herrn White, für den die Sache
natürlich von höchster Wichtigkeit ist.
bitte ich Sie, uns den Umstand zu
erklären."
Der Oberst hatte sein volles Selbst
vertrauen wiedergewonnen, sobald
die Hoffnung auf Freisprechung in
ihm erwacht war. Er nahm seine
aU
te Gönnermiene an und antwortete in
herablassendem Ton:
„Gern gebe ich Ihnen die ge
wünschte Auskunft, nachdem vie
Verdachtsgründe, die gegen mich vor
lagen, sich als nichtig erwiesen haben.
Ich hielt es für das Beste, bis jetzt
zu verschweigen, wie es zuging, daß
ich vier Stunden long in Herrn
Whites Schlafzimmer eingeschlossen
war. da meine Angaben Ihnen viel
Uicht unwahrscheinlich geklungsn
7.
hätten. Jetzt kann ich ober frei her
ausreden:
„Dos Geschenk, welches ich Ihrem
berühmten Mitbürger zur Hochzelt
brachte, war keine Liebesgabe, dem»
ich haßte und verabscheute ihn von
Grund meines Herzens. Doch will
ich nicht von meinen Gefühlen spre
chen, sie sind jetzt mitsamt ihrer
Ursache begroben und gegen seinen
Sohn hege ich keinen Groll. Ich
war die Vordertreppe hinaufgegan
gen und sobald ich den Schritt der
zurückkehrenden Dienerin auf der
Hintertreppe hörte, unangemeldet und
unerwartet bei ihm eingetreten. Tie
Ueberraschung. welche ich ihm berei
ten wollte, gelang vollkommen und
gewährte mir den größten Genuß.
Als er sich umwandte und sein Blick
mich traf, sah ich, daß er sich aller
Umstände bei unserer letzten Zusam
menkunst noch genau erinnerte und
die Hochzeitsfreude war ihm grüno
lich verdorben. Meinen Zweck hatte
ich erreicht ich ließ die Pistole aus
dem Tische liegen und zog mich zu
rück. White war ausgestanden, er
sah mich zwar nicht an, doch befand
er sich zwischen mir und der Tür. zu
der ich eingetreten. Ich verwandte
kein Auge von ihm und wollte mich
durch die Hintertür entfernen. Dabei
beging ich den Mißgriff, statt in
den Vorsaal hinaus in das Schlaf
zimmer zu treten. Beide Türen sind,
wie der junge Mann hier weiß, dicht
neben einander. Sobald ich meinen
Irrtum erkannt habe, wollte ich ihn
wieder gut machen, doch da ward
der Schlüssel im Schloß hastig um
gedreht. Der Ausweg war mir ab
geschnitten und ich sah mich gefan
gen. Ob dies feindliche Absicht oder
Zufall war, vermochte ich nicht fest
zustellen. Lärm zu machen schien
mir in meiner Lage nicht geraten und
so faßte ich mich denn in Geduld, diS
mein Widersacher mich über kurz
oder lang freilassen würde. Ich war
reichlich mit Zigarren versehen, die
ich eine nach der andern rauchte
wenn mir dazwischen die Zeit lang
wurde, stand ich auf und schlenderte
im Zimmer umher, die kostbare Ein
richtung betrachtend. Ich sah den
Koffer und die offene Reisetasche
Herr White mußte also noch einmal
den Raum betreten, ehe er aus die
Hochzeitsreise ging diesen Augenblick
wollte ich ruhig abwarten.
„Endlich, um halb drei Uhr, nä
herte sich ein röscher Schritt der
Tür, eine Hand drückte aus die Klin
ke und schloß dann auf. Der über
raschte Ausdruck in der Miene deS
Eintretenden bewies mir zur Genü-»
ge. daß meine Einsperrung nur ein
Versehen gewesen war. So verlor
ich denn auch weiter kein Wort, son
dern entfernte mich durch das Stu
dierzimmer. Als ich die Tür nach
dem Vorsaal öffnete, fiel mein letzter
Blick aus ihn. Er stand noch an
derselben Stelle, in der Hand die
Pistole, welche ich ihm am Morgen
gebracht hatte. Ich kam unbemerkt
die Treppe hinunter und aus dem
Hause. Gerade als ich unter den
Fenstern vorbeiging, hörte ich den
Schuß, aber ich kehrte nicht noch ein
mal um Sie werden mir das
kaum verdenken."
Stanhope war abseits getreten. Er
glaubte, daß Deering die Wahrheit
sprach und mußte an sich halten, um
nur dem Abscheu, den er vor dem
Mann empfand, nicht Ausdruck zu
geben.
Der Inspektor hatte den langen
Bericht mit Interesse angehört.
„Die Verwechslung der Türen
kommt mir doch sehr seltsam vor."
sagte er, „Sie mußten ja im ersten
Augenblick bemerken, daß Sie nicht
aus dem Vorfall waren."
„Vergessen Sie nicht, daß ich rück
wärts hinausging," erwiderte der
Oberst mit ruhiger lleberlcgenficit.
„Hier sehe ich wei Türen, die ganz
ähnlich zu einander gelegen sind,
wie die dortigen. Wenn ich nun, die
Augen auf Sie gerichtet, dies Zim
mer verlassen wollte, so könnte eS
leicht geschehen, daß ich die falsche
Türe wähle."
Um feine Behauptung anschaulich
zu machen, hatte Deering, während
er sprach, wirklich die Tür geöffnet,
und ehe der Inspektor es hindern
konnte, war er rückwärts in das klei
ne Zimmer getreten, welches Stefan
Hufe zur Zuflucht diente.
Ein unwillkürlicher Aufschrei er
tönte hinter dem Obersten, der sich
voll Ueberraschung umwandte.
„Ah," rief er, „wen finde ich denn
hier?" Er trat dicht an den alten
Mann heran, der vor Angst zu ver
gehen schien, und blickte ihm forschend
ins Gesicht. „Die Züge sind mir
bekannt." fuhr er fort, „halt, jetzt
weiß ich, wo ich Ihnen begegnet bin
in Thomas Daltons früherer
Wohnung, dort haben Sie Ihre
Werkstatt."
(Fortsetzung folgt.)
N e u e s W o i s e u z u
einem Kunden, der sich jedesmal mit
Eintritt des Sommers die Haart
ganz kurz schneiden läßt): „Vielleicht
schon angenehm, SommerhactotO»
nung einzuführen?!"
o n e S i e s o e n
sich ein Los nehmen. Fräulein!"
Alte Jungfer: „Ach, ich gewinne
doch nichts!"
Händler: „Sie gerade... Glück in
der Liehe haben Sie doch wohl nW?"