X-ZSeemw^
Die Ettlfülimttg.
(11. Fortsetzung.
Alle fünf Minuten erneuerte ft
dm kalten Umschlag und füllte w't
bet und wieder nach d«m kaum
wahrnehmbaren Puls des fiiUen
Mannes, der das Opfer feiner uns»
Siros abgrundtiefen Nichtswürdig
lett geworden. Und jedesmal, trenn
Lassony das schmerzliche Zucken in
Bräuners Gesicht bemerkte, preßte et
die Hände ineinander und seufzte vou
liiitlcid.
Stunde um Stunde verging ßaj
sony achtete nicht darauf er ward
sich nicht einmal bewußt, laß ihn er
bärmlich fror und daß fe^nt Hönde
pin dem kalten Wasser ganz blau ge
werden waren.
Dreimal schon hatte er frisches
Wasser vom Brunnen geholt schlei
ttn.fc hatte er ihn erreicht, ganz faefi
den Eimer geleert und ihn leise
au* den hölzernen Trog gestellt. Aber
die rostige Brunnenstange hatte so
laut gekreischt, daß er entsetzt inne
hielt und erst nach einer guten Wei
le vorsichtig weiterpumpte.
Dann schlich er wieder ins Hau«.
Bis in die Krankenstube hinein ging
er auf den Fußspitzen und hatte da
bei das Gefühl, daß er fortan über
Haupt nur noch so umherschleichen
dürfe.
Schleichen und spähen und
lauften! ES war ein abscheuliches
Oiffiih!!
Und dicht neben diesem Gefühl leb
te das zärtlichste Mitleid für den,
der seinethalben so hilflos dalag, der
seinethalben beinahe ins Jenseits be
fördert wäre. Und daneben der hei
ße Wunsch, daß alles so gut weiter
gehen mögen, wie es bisher gegangen
war. In ein paar Tagen konnte er
ein wohlhabender Mann sein und
das Leben in seiner Weise weiter ge
nießen.
Der Morgen brach schon an, alS
Lassony zum vierten Mal nach dem
Eimer griff, um frisches Wasser zu
holen.
Da machte Bräuner eine heftige
Bewegung. Seine Hand fuhr nach
dem Kopfe, er wollte sich aufrichten
tfc ge'ang ihm nicht.
Aufstöhnend satt! er wieder zurück,
und Ixt Verband, den Biro ihm
am Abend vorher um die Stirn ge
legt, färbte sich tiefer rot.
Entsetzt starrte Lassony auf da«
blutige Linnen, entsetzt in die Au
gen des Verwundeten, die sich weit
geöffnet hatten und deren irrer Blick
auch ihn traf. Aber die müden,
ausdruckslosen Augen schloffen sich
gleich wieder, und die Hand, die sich
erhoben, fiel matt auf die Decke zu
rück.
Lassony aber floh, wie von Furien
gejagt, aus dem Zimmer.
Diesmal blieb er lange draußen
Den Eimer in der Hand, lehnte er
am Brunnen und starrte zu dem sich
rötlich färbenden Himmel empor.
Da stellte er den Eimer plötzlich
nieder und faltete die Hände.
„Herr Gott! könnte ich es ungesche
hen machen!" murmelte er. „Könnte
ich ihn bei der Hand nehmen und ihn
heimführen! Ich wollte zufrieden
sein, als Bettler weiterzuziehen! Aber
es ist zu spät! Im« heischt sei
nen Anteil
Wieder kreischte der Pumpen
schwengel, ober Lassony war es in
diesem Augenblick gleichgültig, daß
es jemand hören könne. Niemand
hätte ihn, niemand sah den schlanken
eleganten Mann, der da, eine Maske
vor dem Gesicht, im Morgengrauen
einen vollen Wassereimer in das
kleine Waidhaus trug.
t£8 war heller Tag geworben
ein Tag voll Wind und Sonnen
schein.
Herr von Lassony legte soeben
wieder eine Kompresse aus Bräuners
Kopf.
3):i zuckte er zusammen.
„Du bist wohl gar nicht aus den
Kleidern gekommen?" tönte e« von
der Tür her.
Lvssony warf einen Blick hinüber.
„Nein", entgegnete er kurz.
Er beneidete Jmre. Wie wohl
der aussah! Die Wangen rot, die
Augen klar, einen zufriedenen Aus
druck im Gesicht. Biro sah mau
es nicht an, was er seit gestern hin
ter sich hatte.
Cr hatte seht gut geschlafen u*b
»rar infolgedessen gut gelaunt.
„Warum hast Du mich denn nicht
geweckt? Du hättest doch auch fchla»
fen müssen."
»och schlafen?" kam ei unlet
dem breiten, schwatzen Seidenvolant
hervor, der den unteren Teil des Ge
fchis verdeckte. Und noch einmal:
„Ja, schlafen?"
Jrme lachte spöttisch, näherte sich
rasch dem Bett und sah forschend
auf Bräunet nieder, der sich unruhig
hin und her bewegte und dessen (Be
sicht hochrot gefärbt war.
»Ter hat ja Lieber!" sagte er.
„Freilich hat et Fieber!"
„Und ist noch immer bewußtlos^"
„fisch immer."
»Di werden wir heute noch nicht
|um .Viele kommen."
»Nein teule nicht Vielleicht
»V
„Du mein!!, er sonne l-.rlen?"
„Er hat IIA) Pulssâ'iäge in der
2." in
utk."
„Was willst Du damit sagen?"
„2.afj das Fieber ihn töten wird,"
.Er braucht einen Arzt!" rief
Jmre.
-Willst Du auch einen Arzt ent»
führen und hierherbringen?" höhnte
Herr von Lassony.
Bito schwing er starrte ratio«
•itif den Verwundeten.
»Was tun?" fragte er endlich.
Sein einstiger Herr und jetziger
Dutzbruder zuckte die Schultern.
Tu hast auch gar nichte gelernt!"
knurrte Biro.
Da lachte Lassony laut auf und
entgegnete unsäglich bitter: „Nein, ich
habe gar nichts gelernt."
Die Lust schien ihm auszugehen
er nahm rasch die Maöke ab und
warf sie auf den Tisch. Er hätte
sie die ganze Nacht über sowieso nicht
zu tragen brauchen, denn Brauner
war nicht fähig, jemanden zu erken
nen.
Was also ist da zu tun?" fragte
Jmre noch einmal aus seinem düste
:ir Brüten heraus.
„Abwarten!" antwortete Lassony
h-.'jtt. „Da es nicht möglich ist, ei
nen Arzt hierher zu holen, können
wir nichts tun als matten und hof
fen. dafo sich seine Natur von selbst
hilft."
„Verfluchte Geschichte! Wenn wir
die ganze Mühe umsonst gehabt
hätten! Wenn Du auch seine Schrift
so gut nachahmen könntest, wie Du
Poigners Schrift nachgeahmt hast,
jetzt werden sie aus einen Sties so
ohne weiteres nicht mehr hereinfal
len! Jetzt muß et selber seiner Frau
schreiben und in einet Weise, daß
sie erkennt, daß der Brief zweifellos
von ihm stammt. Aber er wird viel
leicht nie mehr eine Feder halten kön
tun! Der Gedanke macht mich ta
und."
Biro knirschte mit den Zähnen und
taU'e die Hände.
Herr von Lassony dachte indes
nur an Bräuners Lage. Seit dem
Morgengrauen draußen am Brunnen
war alles, was ihr, selber anging,
in den Hintergrund getreten, wütete
die Reue, die jus der gestrigen Fahrt
seine stete Begleiterin gewesen, aber
mals in ihm.
Er wandte sich apathisch von dem
Manne mit dem hageren, gelben, fal
ItPitichen Gesicht und den tiefliegen
btn, glanzlosen Augen ab, ging Wir
de auf das Bett zu und sagte li
ve:
„Jmre feine Schläfenwunde
clutet, Du mußt sie neu verbinden/
Da stand sein böser Dämon schon
neben ihm, faßte ihn grob an der
Schalter und schüttelte ihn.
„Dummkopf!" zischte et ihm ins
Chr. „Kannst Du Dir nicht met
ten, daß ich Johann Auer heiße und
Du Anton Meli! Du bringst uns
mit Deinet Vergeßlichkeit noch in
Ott größte Gefahr!"
Herr von Lassony war wirklich
sehr apathisch. Et ließ sich ruhig
schüttln und setzte sich, während Bi
to dem Verwundeten einen anderen
Verband um Stirn und Schläfen
legte, ms Fenster.
Es wäre besser gewesen, Lassony
hätti das selbst getan er der Ge
duldige, Mitleidsvolle hätte den
Verband viel sorgsamer angelegt, als
Btro es tat et hätte daraus geach
fit, daß der Straßenschmutz, der noch
in der Wunde war, und die Haart,
die auf ihr klebten, entfernt würden.
Bit? dachte gar nicht daran.
Daß Lassony eine geradezu krank
hafte Scheu vor Blut und Wunden
besaß, sollte nicht nur seinem Opfer,
sondern auch ihm und seinem Mit
schuldigen teuer zu stehen kommen.
Wie und wann die beiden Ehren
mannet zu ihrem Asyl gekommen
waren?
In der Nacht vom 16. auf den
17. Oktober hatte der Einbruch im
Erlen Hof stattgefunden. Aber Im«
hatte den Erlenhof mit leeren Hän
den verlassen müssen. Herr von Las
sony hatte ihm die Verhältnisse auf
dem Gute so geschildert, wie er sie
bei seinem Besuch lernten gelernt hat
te. Damals war Frau Bräunet
noch nicht an den Krankenstuhl ge
fesselt sie konnte noch Treppen stei
gen und wohnte im ersten Stock.
Die Räume, die sie und ihr Mann
jetzt bewohnten, waren damals sein
Arbeitszimmer, die Bibliothek und
das Zimmer, wo Bräunet seine hüb
schen naturhistorischen Sammlungen
aufbewahrte. Diese reichhaltigen Her
bartett, Mineralien-, Käfer- uno
Schmetterling-Sammlungen befanden
sich, seit Frau Emma im
Erdgeschoß
wohnen mußte, im ersten Stock
Dorthin hatte Bräuner auch die Bi'
bliothek und sein Arbeitszimmer ver
legt auch der uralte, ererbte, etfeir
gefütterte Schrank war mitgerccnbtrt,
in dem Bräunet feine Wertpapiere
und den wertvollen Schmuck seiner
Frau aufbewahrte.
Zum Wohnen und Schlafen hat
tc et sich die zwei Zimmer ausge
sucht, von denen das eine an Josefs
Zimmer, das andere an das Zimmer
mit dem Alkoven grenzte, das er un
gemein gemütlich und elegant für die
Kranke eingerichtet hatte.
So war es gekommen, daß Bito
sich bet Gefahr eines nächtlichen Be
sucht im Erlenhof ausgesetzt hatte
'atffitWügStE» „Jllf'- "C*"*
iiÂs*y
Kein Wunoer. daß Biro, der noch
nm falben Tage mit einem neuen
vorschlage herausrückte, bei Lassony
C^ehör fand.
Er schlug die Entführung Brau
nere zum Zweck einet ausgiebigen Er
p'kssung vor. Biro hatte in Ver
kleidung in Groß Enzersdorf und
Umgebung nachgeforscht, und schon
vor seinem Einbruch herausgebracht,
daß Bräuner bei einem Wiener B..nk
hause ein bedeutendes Depot besitze
Daraus baute er seinen neuen Plan,
und wieder mußte die Ortskenntnis
Lassoneys aushelfen. Es galt, einen
Ort finden, wohin man ohne Gefahr
vor Entdeckung einen Menschen brin
gen und wo man ihn festhalten konnte.
Biro. der ungemein schlau und er
finderisch war, meinte, es würde sich
schon nicht gar zu weit vom Erlenhof.
in einer der ihn umgebenden Ortschaf
ten, ein alleinstehendes Haus finden,
das für Sommergäste eingerichtet sei,
aber jetzt, Ende Oktober, leer stehe.
Dieser Meinung war auch Lassony.
Und mitten im Gespräch fiel es ihm
etn, daß et ein solches Haus bereits
wisse. Er hatte es während der Zeit,
als er mit seinem Vater als Gast im
Erlenhof geweilt, kennen gelernt.
Damals hatten sie drei Jagden nutze
macht, zwei als Jagvgäste Poigners,
die dritte in Begleitung Bräuners,
der von einem feiner Bekannten einge
laden worden war, auf dessen Gebiet
zu jagen.
Dieser Bekannte war ein GutSbe
sitzet von jenseits der March sein
Gut lag in der Mitte zwischen Neu
dcrf, Theben und Kaltenbrunn
drei Ortschaften, die gleichsam die
Ecken eines Dreiecks an der Grenze
des Thebener Wald- und Hügellan
des bilden.
Die Jagd fand damals auf dem so
genannten kleinen Kogel statt, auf dem
sich ein gutgehaltener Eichen- und
Buchenbestand hinzieht.
Sandor von Lassony vernahm da
plötzlich ein von einer schönen Frauen
stimme gesungenes Lind.
Noch ein Dutzend Schritte und er
stand am Rande einer jäh abfallenden
Böschung, unter der sich eine Wald
strafte hinzog. Jenseits der Straße
befand sich die Sängerin eine sehr
hübsche, junge Frau in Hellem elegan
ten Morgentleib, die, ein Baby in ei
nem Korbwagen vor sich, im Vorgar
ten eines kleinen, turmähnlichen Hau
ses saß und nähte.
Das Haus hatte nur vier Fenster
Front, aber ein ungewöhnlich hohes
Stockwerk und darüber noch Mansar
den. Es sah nicht eben sehr wohnlich
aus vielleicht war es tinmal ein
Jagdschlößchen gewesen.
Sandor Lassony erkundigte sich
während des Jagdessens nach dem
Waldhause und dessen hübschen Be
wohnerin und erfuhr, daß diese mit
ihren Kindern und einem lungenkran
ken Mann seit etlichen Jahren das
Haus während des Sommers de
wohne. Es gehöre einer alten Dame,
die in Preßburg lebe und nichts ande
res damit anzufangen wisse, als es zu
vermieten. Ihr Bevollmächtigter, der
Bürgermeister von Neudorf, besorge
es.
*lV(fe
Ter Steet«-l»$fi#trr, Biâmirrf, $. I. btn 14. Rai
Daß Brauner verreist trat, hatte et
ütrigens gewußt.
Wutschnaubend kam et bamalS
noch Wien zurück, woselbst Lassony
und er seit einiger Zeit unter falschen
Namen solid und bescheiden in einem
einfachen Hotel lebten. Herr von
Lassony wen nicht minder wütend,
daß die Tat, auf die er so große
Hoffnungen gesetzt, mißlungen war.
Er hatte durch den Verkauf des
Wertvollsten aus feinem Besitz so
ziemlich alle Brücken hinter sich ab
gebrochen und sah ein. daß er auf
dem nun einmal eingeschlagenen Weg
vorwärts müsst. Er besaß jetzt nur
noch sehr wenig, hatte riesige Schüt
tln, eine unüberwindliche Scheu vor
tfr Arbeit und eine unstillbare Gier
Nlich den Genüssen des Lebens.
An dieses Haus erinnerte sich Las
sony und hatte daraufhin mit Im«
eine lange Besprechung.
Am nächsten Morgen verschwanden
die beiden aus Wien, tauchten etwa
zwei Stunden später in Neudorf auf
und mieteten sich als Tourisen in ei
nem Wirtshaus ein. Schon tags
darauf mietete Lassony, der sich für
einen Maler ausgab, das Waldhaus
„einstweilen für einen Monat". D«r
Wirt, bei welchem sie wohnten, war
eben der Bürgermeister. Ganz unver
fänglich hatte Lassony das Gespräch
aus seine vermeintliche Kunst und
seine Absicht gebracht, herbstliche Na
turstudien zu betreiben, und hatte e«
bedauert, daß es hier herum noch keine
Villen gäbe.
Daraufhin hatte der Bürgermeister
erwidert, es gäbt bei ihnen allerdings
noch leine Villen, er kenne aber ein
bescheidenes Haus, das ausreichende
Unterkunft biete. DaS Haus liege
abet einsam und niemand sei da, die
Wirtschaft zu führen.
Ohne irgendwelche Hast hotte Laf
fony gemeint, et könne sich dal HauS
am nächsten Tage ja ansehen, vielleicht
passe es ihm.
Natürlich paßte es ihm. So mie
tete er es und ließ allerlei Eß» und
Trinkbares hinausschicken. Der
Knecht, der es brachte, erzählte nach
her in Nendorf, der Maler sei vorm
Tor gesessen und habe mit bunten
Stiften einen Baum abgezeichnet.
Im«, der für die Neudörfel Jo
hann Auer hieß, brachte bei feinen
täglichen Einkäufen unter die Leute.
daß 'n ÜVrr ein kriinMiffier Sonder
ling i nd er selbst ein in allen Fällen
gerevliiT Diener sei, der es in jeJein
Zwei txr^\ni- ,viUung mit dem tüch
tigste' Frauenzimmer aufnehme,
man rauche also im Waldbaus« hi
neiln »runde Hilfe.
Er i\ir ti in der Tat. Et war ein
Univtralgenie, räumte auf, wusch
und !:ttite und neben tri machte et
auch Schlosieratdeit-n.
Er rächte feste Gitter an bet In»
nensenc der Fenster in einem der
Zimmer des Erdgeschosses an.
Die Eisenstäbe 'md Bänder, sowie
daS Werkzeug und die Nagt!, die er
dazu 1 rauchte, cjatte et aber nicht in
Neubat, sondern in Theten gekauft,
wo iVn niemand kannte.
Gleich an dein Tage, an dem et und
sein Herr das Waldhaus bezogen hat»
ten, imr er nicht Daheim gewesen, In
der Njcht vom 19. auf den 20. Okto
ber wanderte et Groß Enzersdorf
zu, wo er am Vormittag des 20.
Oktobers die Poignersche Magd bei
der Arbeit störte. Am Abend dessel
ben Tages kaufte er leim Vieudotfer
Krämer einen Badeschwamm. Von
der ^roß Enzersdorser Apotheke hatte
et mit Flasche Schwefelsaure mitge«
nomituii. Als er gegen zehn Uhr
abend heimtam, brachte er außerdem
noch ein halbes Dutzend Eouverts. ein
Päckchen Briefpapier und einen zer
knitterten Papier'iogen mit, den et
auS Poigners Papierkorb genommen.
ES war eine .Imtsfchrift, ziemlich
umfangreich und mit Poigners Unter«
Ichrift versehen. Diese und alles an
dere auf dem Briefbogen Geschriebene
stammle von einer Hand darauf
hatte Äiro seht geachtet, als er den
Bogen initiiabm. Er hatte Glück
beim Durchstöbern des Korbes ge
habt. Gleich oas dritte Papier, das
ihm in die Hände tont, war eine
prächtige Schreibvorlage für feinen
Herrn, der sich dann auch mit außer
ordentlichem Fleiß bemühte, so zu
schreiben, wie Poigner schrieb Ivas
ihm selber gut gelang.
Nun lag Brauner, den LassonyS
Fäschertalknt ins Verderben gelockt,
als Schwerkranker im Waldhause, in
einer Stube, die zum Gefängnis ge
macht worden war, in der Hut zweier
Männer, deren einer ein abgefeimter
Verbrecher war, während fein Kum
pan die Verbrtcherlaufbahn erst betre
ten hatte. Und diese beißen mußten
sich sagen, daß ihre tuchlose Tat
wahrlich ohne Nutzen für sie geschehen
fei. Ohne ärzt.iche Hilfe, die sie doch
unmöglich anrufen kannten, mußte
dieser im höchsten Fieber liegende
Mann zweifellos zugrunde gehen.
Z w ö e K a i e
Am Abend des 24. Oktober« hatten
die zwei Schufte Bräunet nach dem
Waldhaufe gebracht.
Jetzt fand er sich schon vierund
zwanzig Stunden hier und hatte die
Besinnung noch nicht wieder erlangt,
trotzdem et mit größter Sorgfalt ge
pflegt wurde.
Nicht einen Augenblick blieb tr
allein. Immerzu wurden ihm neue
Kompressen auf den Kopf gelegt.
Matt hatte schließlich euch die Verun
reinigung seiner Wunde entdeckt, sie
gesäubert und frisch verbunden und
dabei wahrgenommen, wie häßlich die
Wunde geworden nat.
.»» SiGpV
'^'. t?^^ :.- .-u»I
WJ
..
Lassony selber hatte, feine Scheu
überwindend, sie mit frauenhafter
Zärtlichkeit gewaschen und verbunden,
worauf et die Genugtuung hatte, daß
Bräuner ruhiger wurde.
Der Erfolg hie
Ii jedoch nicht an.
Bald lag der Verletzte wieder in wil
dem Fieber da, schlug um sich und
redete wirres Zeug. Und in der
zweiten Nacht seines Aufenthaltes in
dem einsamen Haufe fing er an zu
toben.
Die beiden Wärter waren ratloS.
Lassony rannte wie ein Verrückter in
bet Stube umher und stöhnte und
jammerte. Sein Gewissen machte ihm
wieder einmal viel zu schaffen.
Biro hockte verdrossen neben dem
Bett und verhinderte mit feiner Nie
fenfraft allzu heftige Bewegungen
des Fiebernden.
„Wenn et stirbt, habe ich keine
ruhige Stunde mehr!" klagte fiaffony
fassungslos.
Biro lachte rauh.
„Das wäre das wenigste," versetzte
et spöttisch. „Die Hauptfache ist, daß
wir kein Geld kriegen, wenn er stirbt!"
Darauf wurde wieder stundenlang
nichts gesprochen.
Endlich zog Im« seine Uhr und
sagte: „Es ist spät. Schlafe Du
heute! Du könntest seiner ja ohnehin
nicht Herr werden."
„Ich kann nicht schlafen."
„Unsinn! Es ist schon Mitternacht
vorüber. Leg Dich nur hin, dann
kommt der Schlaf schon."
Noch zögerte Lassony.
„Wenn ich nicht da bin, gehst Du
zu grob mit ihm um," sagte er ängst
lich. .Du hast ihn vorhin so derb
niedergedrückt."
„Soll ich ihn au« dem «ett sprin
gen lassen?"
„Nein, nein
„Nun also! Rede keinen Unsinn!
Ich tue nur, wo« ich muß. Beh' end
lich!"
„Ja, ich werde versuchen zu fchla-
^"èt ging in fein Zimmer hinüber,
legte sich auch zu Bett, hatte sich so
aar ausgekleidet. Der 66Iaf wollte
trotz aller Müdigkeit nicht kommen.
Aber Gedanke» Kellte» sich ei»
ztiMli'fe Gedanken einet immer
unheimlich« und gräßlicher als der
andere. Endlich jedoch tauchte einer
tt. ibm auf, der licht und gerade/«
froh war
Eine langt Weil» Überlegte Lassony,
d.mn zündete et die Kerze nn und
Weitete sich wieder an.
Hierauf Holte et sich feinen Koffer,
d.'r in einem Scknank untergebracht
war, und stellte ihn auf den liick).
Er suchte nach einem kleinen SR eile
hondluich, das die Fahrzeiten der Lo
kalbahnen rings um "Dien anzeigte
Et fand das Büchlein bald schlug
die Strecke .Wien—Preßbujg" auf
und sah nach, wann die Station
Blumenau von Zügen passiert würde
Der Ort Blumenau lag etwa fünf
und einen halben Kilometer vom
Waldbaus? entfernt er war für die
ses die nächste Eisenbahnstation, von
der aus Wien zu erteilt en war.
Lassony erfuhr, daß der nächste
Zug nach Wien morgens um sechs
Uhr durch Blumenau kam.
Nun zog tr sich vollends an, legte
sogar seinen Hut und eleganten Ueber«
zieher zurecht und ging zu Jmre.
„Nun, Iva6 gibt'S?" empfing ihn
dieser verwundert. „Kannst Du wirk
lich nicht schlaftn?"
„Ich werde es jetzt können."
„Warum?"
„Weil ich ruhiget geworden bin."
„Warum?" fragte Biro noch ein
mal.
„Mir ist etwas eingefallen."
,So. was jenn?"
„Wir müssen VräunetS Fieber weg
bringen."
„Wie willst Du da» machen?"
„Wir werden ihm Chinin geben."
„Dazu müssen wir erst welche«
haben."
„Wir werden eS haben. Ich fahre
um sechs Uhr früh von Blumenau
aus nach Wien."
„Zu einem Doktor? Wie willst Du
ihn glauben machen, daß Du Fieber
haft?"
„Ich habe Fieber. Sehe ich wie
ein gesunder Mensch aus? Jeder Arzt
wire mir glauben, daß ich trank bin.
Ich werde als „Durchreisender" aus
treten, der an Fieberzustiinden leidet
und mit einem Mittel gegen seine
Kranlheit versehen werden möchte."
„Dann gibt Dir bet Arzt sechs oder
zwölf Pulver, 'jt'aubst Du, die wer
den hier ausreichen?"
Biro zeigte auf den wild um sich
schlagenden Bräunet, dessen Gesicht
Duntelrot war, dessen Augen unheiin
lich glänzten, und über dessen aufge
sprungene Lippen wir« UteDen kamen.
Lassony schü-.telte den Kopf.
„Natürlich nicht. Aber ich habt ja
baun et» Rezepi ir bet Hand."
„Richtig. Damit kannst Du bann
täglich nach Wien fuhren, um die Do»
si« wieder machen zu lassen!"
„Ich fahre nur einmal hin! i«
gibt doch Druckereien in Wien."
„Weitet!"
„Ich lasst mir von dem gedruckten
Text des erhaltenen Rezepte« hindert
Stück nachdrucken."
.Aha!"
„Dann habe ich genug und überge
nug Rezeptzettel etwa zehn davon
fülle ich handschriftlich aus, wie das
Criginalrezept ausgefüllt ist, und gehe
mit jedem in eine andere Apotheke."
„Sehr gut."
„Dann haben Wir. wa« wit brav
chen."
„Reichlich. Wenn il'räuntr sonst ge
sund werden will, steht ihm nichts
mehr im Wege. Das Fievet werden
wit schon klein kriegen."
„Du weckst mich bald nach vier
Uhr?"
„Natürlich."
So kann ich «och ztwl Stunden
schlafen."
,Knapp zwei Stunden. Also geh"
Wenige Minuten später schlief
Herr von Lassony wuklich ein. Et
hatte nur den R.'ck ausgezogen und
sich in die Bettdecke gewieselt. Um
halb fünf Uhr verließ er da« Wald
haus.
Jmre hatte ihm Tee bereitet, denn
es war sehr kalt und windig. Zwi
schen dein Thebener und dem Kleinen
Kogel führt eine vielfach win
dende Waldstraß« von Nendorf nach
dem ziemlich ausgedehnten Orte Kai
teitbrunn, von wo man auf einem
sich lang hinziehenden Feldweg nach
Blumenau gelangt.
Das Waldhaus lag etwa halbwegs
zwischen Neudorf und Kaltenbrunn.
Es herrschte noch völlige Nacht, all
Lassony aufbrach, und »ein Marsch
auf der ihm so gut wie unbekannten
Straße war nichts weniger als ange
nehm. Der Sturm trieb ihm den
Regen ins Gesicht und durchdrang ihn
bald bis aus die Knochen. Es wurde
noch schlimmer, als et bei Kalten
brunn t*n Wald verließ und, übet
die nun freiliegende Straße eilend,
dem häßlichen Wetter vollständig au«»
gesetzt war.
Ganz durchnäßt und zitternd vor
Kälte tarn er auf dem Bahnhof an
und war froh, als *r endlich in einem
leeren Abteil zweiter Klasse unter
gekommen war. Zwar waren die
Wagen noch nicht l'heiji, at*r e« war
für Lassony schon ine Wohltat, dem
Sturm und dem Wegen entronnen zu
sein. Er konnte sogar noch ein
wenig schlafen.
In Marchegg ober um mit fei
nein kurzen Schtui.imer au«. Da stieg
etil Herr zu ihm ei», und fiaffony
glaubt«, daß dieser Herr ihm eine be
sondere Aufmertfawlnt ichente. De«
,JS*.,.„.- *m!» •"-.^ih'^flMi--—TtlWln Ii I
«i^ WWIIfWaF»^^^ '.^T^
7.
wer in der T.it so Es v -ir o-i.h
fein Wunder uwtui Vusf
nn le
r.mOts
Auhneit(ii': teit a-eote. lvt iah a
sehr vorrebm au», übe I'm »Hisset
und körperlicher guitarl» ruriet sich
deutlich in ferne n uitn'Meu ^lick und
dein verzweifelten Jiustrud leint« Ge
sichts. Man sah ihm den Ttflosiic-r»
ten an
Er balle recht: kein A'Zt wurde
daran zweifeln, ivft er trank sei
man in ufte schon an fei rem Pul«»
schlag erkennen ch er fieberle
Sein der/itig's Vis -,vs bedauerte
ihn nur insgeheim, Lasssny abet bil
dete sich ein, daß lein Blick etwa«
feindliches ausdrücke.
Lassony wat unten ein froh, al«
der Zug im Staateiabiitof dielt uno
ihm niemand folgte, als et da» Bahn
hofgtbauot verließ.
Da» geschah gegen acht Uhr.
ES war schon um hell, so «es!,
mit eS an einem regnerischen Morgen
über einer Großstadt überhaupt wer
de« kann.
Httt von Lassony btgub sich so
fort zu einem Arzi Et wollte da«
N^ept so bald wie möglich in Hän«
de.t haben.
Der Doktor verschrieb ihm nach
kurzer Untersuchung wirklich Ehinin
und empfahl ihm, in Anbetracht sei»
net angrijfenen Gesundheit die Reise
zu unterbrechen.
„rirfchlütlxer haben Sie doch wohl
bti sichV sagte der Atzt, als et Las
ony das Rezept überreichte.
Lassony sah ihn verständnislos an.
«Wozu soll ich örtin Kirschlorbeer
bei mit haben?" fragte e»
.Jetzt blickte der «izt verwundert
uf.
„Sie wissen doch, daß Sie herz»
trank sind?"
Nein."
Daß Sie einen Herzklappenfeh
.ei haben?"
Nein."
Sie haben wohl schon lang» kei
nen Arzt konsultittl?"
„Schon seit Jahren nicht."
„Treiben Sie irgendeinen Sports"
„Ich reite und ich fahre viel."
„Spüren Sie denn nie Herzklop
fen?"
„O ja seht oft.
„Und Atemnot? Und hattet» Angst«
gifühle?"
„Sehr häufig."
„Und fühlten, daß Störunge» Im
Blutumlauf vorkommen?"
„Jawohl."
„Sir können nicht gut liegen, son
dern ..iüssen im Bett mehr sitzenV
.ES ist so
„Und trotz aQebtm haben ©le sich
nie bewogen gefühlt, sich untersuchen
zu lassen?"
„Nun, Herr Doktor. Ich choh
ulle diese Zustände auf mein aller
dings recht imregetmafv.it* Leben."
„fltenn Sie alt oder, richtigst ge
sagt, alter werden wollen, müssen Sie
sehr tti tlmäßig lebin. Setznt Sie
sich. Meine Eröffnung hat Sie nn»
gegri-stn. Sie wisse,, ttzt, wie
um toit steht, und wissen, daß jede
Unvorsichtigkeit Sie schwer schädigt.
Als gewifserhafttr Arzt u ufj ich Jh
ttttt sagen, daß eine einzige Nichtbe
•olgung meiner Borfdicifteti Sie bai
Leben kosten kann. Sie dürfen kei»
iietlei Sport mehr treiben, müssen
^derlei Aufregung meiden Alto
hol, Tee, Kaffee, Tabak usw, dürfen
Hon nun an für Sie nicht mehr exi
stierend
„Das heißt", sagte Lassony nach
einer langen Pause, „ich muß leben
wie eii, alter Herr
„Wie ein ganz alter yerr!" sagte
lächelnd der Arzt, „still .,nb vorsich
tig, und tragen Sie stets ein beruht»
gtnde« Mittel vet f,ch. Ich schreibe
Ihnen noch ein Rezept."
Während der Doktor schrieb,
wischte sich Lassorty ein paarmal
über oas Gesicht. Wenige Minuten
später ging et langsam die Treppe
hinunter.
Langsam nicht wegen jeints Her»
MS, das geschont iverden sollte, »an
dern weil die Todesfurcht ihm die
Füße schwer machte.
Die Todesfurcht hatte ihn so ge
waltig gepackt, daß.hm ganz schwind«
(ig, daß er ganz verwirr war. Er
ging im Regen dayin. Erst die laute
Bewertung eines Schusterjungen er
nnerte ihn daran, deß er einen
Schirm bei sich trüge.
je! Der Heu will noch wach»
•en, d'tutn läßt et sich volltegnen!"
.its der Jungt. Da öff.iete Lassony
mechanisch feinen Schirm, schloß ihn
.edoch gleich »»titer, denn er betartb
sich gerade an einer Haltestelle bet
Straßenbahn und ein Wagen war
im Abfahren.
Wohin et fuhr?
ßaf|oi,y wußte eS nicht, t« foot
ihm auch ganz gleichgültig.
Nur fort wollte er von dem Arzt,
der ihm die schreckliche Eröffnung ge
macht hatte. Er dachte nicht baton,
daß er die Gefahr, in bei er lebe,
vermindern könne durch ein ver
nünftiges Leben. Et wußte, daß tt
ohne Genüsse und Betäubungen ein
fach .richt mehr leben fjiti.e, unb daß
diese Genüsse ihm soeben verboten
worden waren.
Und an bie schrecklichen Aufregun
gen bvr letzten Zeit dachte
er,
die i»
den zwei letzten Tagen fast uner
'rüglie) gewesen waten
Ode» war da« noch nicht ihr Höhe
jiratt?
Entsetzung folgt).
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Roman oon 51. Wroncr.