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Der Staats=Anzeiger. (Rugby, N.D.) 1906-current, December 03, 1915, Image 7

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Deutscht Tmie.
Von E. Zorllcr-Lionhkort.
(7. Fortsetzung.)
Wie zu einem Feste hatte sich die
junge Fraue dazu schmücken lassen,
und vor einer Stunde noch war ihr
Gesicht von strahlender Heiterkeit ge
wefen. Da traf ein Gast, ein ganz
unerwarteter, ein. Sein Kommen
war ein heimliches gewesen: er war
auch nur mit der ausgesprochenen
Absicht hierhergereist. Olga Paulow
na ein paar Augenblicke allein zu
sprecken. um sie an ein feierliches
'Versprechen zu erinnern dann mar
er ebenso still, wie er eingetroffen,
-aul Sofia wieder verschwunden.
Die junge Frau, die von Lebens
mut geschwellt, in strafender Da
seinsfrtude den Gartensaal betreten,
liitet den die Weinrauken ter Veranda
zitternde Sichter woben, loa jetzt still
lang ausgestreckt auf dem Diwan und
träumte in die grüngoldene Dämme
rung.
Wie ein einziger lichter Sommertag
war dieses Jahr ihrer glücklichen
Ehe dahingeflossen. Paul hatte al
Its gehalten, was sie sich von ihm ver
sprochen. Er war der ritterliche, eh
renhafte Charakter, den ste in ihm
erträumt, und doch ein weicher Ge
mütsmensch, wie ste ihn noch nie bei
einem ihrer Nation angetroffen. Ein
so köstliches Gemisch von bewußter
ManneSkraft und Zartsinn, wie es
ihr noch nie in ihrem Leben vorge
kommen. Er trug sie aus Händen
und verzog und vergötterte sie, daß
es oft schien, als habe er jeden eige
nen Willen in ihr aufgegeben: und
sie batte das hingenommen, das ver
wöhnte Lieblingskind der Götter, als
käme ihr das zu. und sie brauchte
nicht besonders dankbar dem Geschick
für -das auserlesene Glück zu fein,
ein Glück so tmgewöbnüif et Art. daß
kaum die kühnsten Träume es je ei
nern Renschen nahebringen. Umrahmt
von allen Vorzügen des höchsten ver
feinerten Lunis, umbegt von zart
forqendster Siebe, und nun dieser
letzte Gegen noch das kirschrote,
in Spitzen eingewickelte Püppchen, das
die ?lmme eben in seiner rosa ver
hangenen Korbwiege hereinträgt,
damit die junge Mutter sich an dem
Anblick des kleinen, runzlichen Ee
sichtchcns, an das beide geschlossene
Fäiirichtn gedrückt sind, weiden sann.
Wie bedrückt aber Olga Paulow
nas Herz jetzt plötzlich ist! Wie hart
und entschieden der Unerbittliche sie
an ihren Eid gemahnt, wie er mit
herber Abwehr auch nicht den leise
sten Widerspruch, kein Wort der
Bitte auskommen ließ! Wie er ihr
heißes Flehen:,.Gib mir mein Wort
zurück, gib mir meinen Frieden!"
mit zorniger Energie zum Schwei
gen brachte, sie erinnernd, daß sie
sein Geschöpf fei, abhängig von
seinem Willen und feiner Gnade al
lein.
Er hatte ihr in diesem Augen
blick des Schwankens und Zaudern3
ein Geheimnis ifyrer Geburt verra
ten: daß sie keinen Namen habe
und keinen Rechtsanspruch, wenn er
widerriefe, was er der Welt versichert,
und er batte Bande des Blutes wie
tier für sich geltend gemacht, von de
nen sie bis zu dieser Stunde keine
Ahnung gehabt.
„Mein Vater, mein Vater, Erbar
men!" ächzte sie, um ihr Glück
kämpfend wie eine Verzweifelnde.
„Weil ich das mit dir habe, weil
ich dein Glück will und mit ihm das
Glück jenes, an den du dich gekettet
deshalb bestehe ich daraus, daß du
ihn mit allen Mitteln der Lersüh
rung, mit allen Mitteln, die dir so
zahlreich zu Gebote stehen, zu unZ
herüberziehst. Hier schwankt alles auf
morschen Pfeilern, die euch vielleicht
mitbegraben würden. Ihr müßt ohne
Säumen euch zu uns hinüberretten,
ehe «s zu spät ist. Das „Wie" ist
deine Sache. Wenn du so wenig
Macht über deinen Mann fühlst, daß
du ihn schlimmstenfalls nicht mora
lisch zum Abfall von Aleraitber
zwingst, könntest du mit leid tun.
Was wäre feine vielgerührnte Siebe
zu dir dann wert, was könntest
du dir auf den Besitz eines Mannes
einbilden, der sein bißchen National
dunkel dir nicht einmal zum Opfer
bringen wollte? Ich schätze dich und
deinen Einfluß höher, mein Kind!
Du mußt hörst du du mußt
in vierundzwanzig Stunden ihn in
unser Soger treiben, und wendetest
du die äußersten Mittel dazu an.
Drohe ihm", und er flüsterte ihr et
was zu, das sie vor Schreck erbleichen
machte, „und widersteht er dann noch,
führe es aus, das wird ihn auf alle
Fälle mürbe und gefügig nachen
Der Ungehorsamen, Undankbaren
wartet mein Fluch und Enterbung
du weißt, wo du mich zu suchen hast.
Sei klug, fest und geschickt, mein teu
res Kind?"
Dabei hatte er sie zärtlich auf die
Stirn geküßt, war unhörbar hinaus-
Sie
eglitten, und bald darauf knirschten
Räder feines Reisewagens auf
dem Kies vor der Freitreppe und roll
ten dann schnell voy bannen
Wie zermalmt von der Wucht des
Ersahrenen lag Olga Paulowna nun
still in ihrem kühlen Gartengemach.
Ihre weißen Hände zusarnrn-ngefloch
ten. starrte sie flehentlich bin zu dn
von Palmen überschatteten Stalue bet
fortiina, die aus grünem Hain em
porzuschweben schien.
„Verlaß uns nicht", dachte sie mit
stummer Inbrunst. „Hilf mir, dari
ich sein Herz wende, hilf mir, daß
ich schön, bestrickend wie eine (Firce
bin, um ihm den festen Sinn zu
umaarnen." Und dann stieg es wie
eine Zorneswelle in dem Sinn der
verwöhnten jungen Fürstin auf.
„Mit widerstehen, wenn ich ihm die
Alternative stell«? Z 'enn er mich
liebt, gibt es kein Bedenken mehr,
und er liebt mich, liebt wich mehr
als sein Seben!" jauchzte es selig in
ihr aus.
Und dann folgten neue Zweifel, ob
is nicht an ihr sei, sich dem aelieb
ten Manne unterzuordnen, alles da
hinziiaeben für ihn: und sie dachte
der Jugendfreundin, die das eins!
getan, der kleinen engen Verhältnisse,
der knavpen Mittel, des bescheidenen
Heims, des friib durch die gemeinen
Sebensforgen verwelkten Jugendrei
zes und es ekelte ihr vor den Ent
behrungen, dem Schönhntsmangel,
den kleinlichen. Geist und Körper ein
engenden Verhältnissen, und sie blickte
mit Mitleid die samtweichen Hand?
an, an denen wie rosige Muscheln
die gepflegten Nägel glänzten. Ties»
lilienweißen, ideal schönen Hände
durch niedrige Arbeit entstellen, von
dem hohen Sockel ihrer geiellschaftli
chen Ausnahmestellung herabsteigen zu
den Hauèfrauenpslirfiten der kleinen
Hcniptmannösrau mit Hauptmanns
fold es wäre zu albern, zu un
möglich, zu lächerlich! nein, Paul
mußte sich unbedingt fügen! Das
konnte er ihr nicht zumuten, nicht an
tun. Sie konnte nicht, weil er ei
gensinnig war, auf jenes Prestige ei
ner vornehmen Häuslichkeit, üppiger
Gewohnheiten verzichten, die sie wie.
das notwendige Leben-element um
gaben. Ebenso gut hatte er ver
langen können, sie gäbe Speise und
Trank ifim zu Gefallen auf und
nähre sich von der Früchten deZ Fei
des.
Bis P«il nach Hause kam, hatte
sich die etwas nervengereizte junge
Mutter in einen so aufgebrachten
Zustand gegen den Schuldlosen hin
einphantasiert. daß er sie in hochgra
diger Erregung antraf, als er etwas
verspätet ankam.
Fürst Alexander hatte ihm nämlich
lachend einen anonymen Warnungs
brief gezeigt, dessen Schrift und In
halt in die Zurechnungsfähigkeit des
geheimen Absenders gelinden Zweifel
fetzen ließen.
Sie berieten dann noch eine Weile,
ob man von der ängstlichen Mahnung,
seine Leibtruppen von Slirnica
von den Schanzarbeiten zuriickzn
rufen. Notiz nehmen sollte oder nickt
Die zitternde Frauenhand, der un
klare Stil erweckten schließlich so
wenig Vertrauen, daß Fürst Aleran
der das Schriftstück achfelzuckend bei
feite warf
Mit einem Iubelrus neben ihr
niederkniend, und beide Arme um
ihre Gestalt schlingend, begrüßte P.iul
We st a feine junge Frau. Durch die
angelehnte Fenstertür vom Garten au?
kommend, nachdem er seinen elrgc.nten
Wagen verlassen, trat er noch
ohne Ahnung der feiner harrenden
Ueberraschung in den Gartensaal.
und dieses glückte vollkommen. Schön
wie ein Bild lag Olga schmähend
hingestreckt da. Wie eine aoldschim
mernde Kaskade floß das gelöste
Haar über die Diwanlehne und be
rührte mit den leuchtenden Spitzen
noch den Teppich. Ein loses Ge
wand von weißem, durchsichtig ge
fponnenem orientalischen Stoss um
schmiegte die noch üpviger entwickel
te Gestalt, an der Brust und auf
ihren Wangen glühten frische Ro
fen und solche der Erregung am die
Wette.
Pauls Blick hing berauscht an dem
berückend schönen Geschöpschen, das
ihm beute neu wiedergegeben schien.
Er bedeute ihre Hände, ihren Mund
mit Küssen und stammelte trunkene
Siebesworte.
„Mein holdes, holdes Sieb, mein
wiedergeschenktes, höchstes, einziges
Gut!"
Sie entzog ihm etwas kühl ihre
Hände. „Nicht so stürmisch!" wehrte
sie zwar noch freundlich, über wie eine
Huld erteilende Königin. „Sieh auf
setz dich da gegenüber und
zieh die grünen Jalousien noch mehr
zu, die Sonne bricht hindurch", beor
derte sie immer noch in dem etwas
schleppenden Tone bet verwöhnten
Patientin.
„Dein Sklave fliegt, et gehorcht",
scherzte et gut gelaunt, nickte im Vor
beigehen glückstrahlend dem schlafen
den Püppchen zu, schloß on der Süd
feite vollends die grünen Fensterlä
den, so daß noch weicheres Dämmern
sich über den kühlen Raum breitete,
und dann fragte er galant: „Du er
taubst doch, daß ich es mir erst ein
wenig beguem mache?"
Sie nickte gönnerhaft, und Paul
ging und kehrte' bald darauf in einem
eleganten Hausrock aus weißem Som
metstoff zurück, der feine männliche
Erscheinung vorteilhaft kleidete. E»
trug höchst eigenhändig einen silber
nen Eiskühler zwischen den Fingern,
in dem eine weitbäuchige Flasche mit
Silbuhals im kleingeschlagenen Eis-
bad schaukelte, setzte denselben vor
Olga Paulowna nieder, holte zwei
Kelchgläser und ließ luftig den Pros
sen zur Decke knallen.
„Der Tag muß besondere gefeiert
werden", rief er munter, „der un
seren Familitnräumtn ibre hohe Ge
bieterin zurückgibt. Du erlaubst, daß
ich dich ganz allein bediene, ja?
Nein, wie ich glücklich bin, nein, du
glaubst es gar nicht, Hrnlieb! Es
war ja kaum zum Aushalten ohne
dich. Die Ungemütlichst war uner
träglich. und ich glaube, ich könnte
sogar so einem kleinen Stammhal
ter gram weiden, wenn er häufig
die Ursache wäre, dich mir sernzu«
halten."
„Du kannst mich nicht entbeh
ren?" fragte Olga Paulowna. mit
scharf beobachtendem Blick zu ihm
aufsehend, während er den rosigen
Moetschaum an die durstigen Sippen
hielt.
„Kann der Mensch ohne Sicht fein
Dasein noch Seben nennen, bleibt eS
nicht ein rein körperliches Fortvege«
tiertn?" rief er warm, und feine fchö
nen Augen strahlten von Herzlichkeit
und Frohsinn.
Packte die Ionafarn Sondierende denn
kein einziges Bedenken, diesen schö
nen Herzenssricden zu stören? War
sie ibrer Macht über den liebe betör«
ten Mann denn so sieaesaewitz, daß
sie ihr ehelich Glück aus eine einzige
Karte zu setzen wagte? Warnte
sie nichts, nicht die leiseste abmah
nende Stimme, daß der harmlos
Tändelnde aus anderem Schrot und
Korn war als jene anderen, die zu
ihren Füßen geschmachtet, willenlose
Sklaven ibrer Leinen und Einfälle?
Hätte sie Paul Vestap in dem Jahre
ihrer glücklichen Ehe noch immer so
wenig kennen gelernt, daß sie ihn
nicht höher taxierte?
Unglückliche, warnt dich nichts,
nichts, nicht der unbeareisliche Zufall,
der dir das volle Glas aus der Hand
ajeiten lci",t. daß es klirrend auf dem
Fußhoden zersplittert, nicht dein er«
wachendes Kind, dessen Zetergeschrei
Pretest zu erheben scheint geien di
Fortse^nq des unheilvollen Gesprä
ches, nicht der ausfrä .en*e Pavagei,
der unriihia in feinem Bin« von
S'eb zu Stab flattert und fein
angstvolles Geschrei gurgelt, nicht
der Sturmwind, der sich urplötzlich
da draußen erhebt und. den Kies
vor sich herfegend und an den Wein
ranken zerrend, unheimlich ächzt und
stöhnt?
„Es wird ein Gewitter geben, die
Suft war den Morgen über auch er
drückend schwul", meinte Paul.
„Gewitter reinigen zuweilen die
mit Elektrizität überfüllte Suft", ent
gegnete Olga bedeutsam und richtete
sich mit dem Ellenbogen halb auf, um
durch das plötzlich einbrechende Dun
kel in den Garjen zu spähen.
„Ich fürchte, es käme jetzt zur
Unzeit es verwüstet wahrscheinlich die
Felder, die dieses Mal eine so reiche
Ernte versprechen", sagte Paul ganz
arglos, während Olga nur ein bedenk
liches:
„Wenn du dich nur nicht täu
schest" äußerte er. Dann schwie
gen beide ein paar Minuten, währenb
der Gewittersturm sich rasend schnei
austobte, und Paul sein neugeboren's
Söhnchen in seinem spitzenlehangenen
Korbe schaukelte, bis es fest einge
schlafen war.
Der Papagei sträubte fein rotgrü
nes Gesiedet und fuhr wüthend mit
dem gebogenen Schnabel zwischen den
Messingstäben hindurch. Paul kam
von der offenen Veranda zurück und
brachte ein paar Stiele blühender
Orangenblüten von dort, auf deren
metallisch leuchtenden Blüten ein paar
große Regentropfen wie große Juwe
len funkelten.
„Scheint glücklich vorübergegangen
zu fein", meldete er, während er
ihr die Blumen kniend darreichte
dann schob er sich seinen lehnenlc*
fen Polstersitz dicht an den Diwan
heran, nahm Olgas beide Hände
zärtlich in feine und hielt sie fest um
schlossen.
„Ich hatte heute früh einen so
schrecklichen Traum. Du warft mir
entschwunden. Ich weiß nicht, wieso,
weshalb, ob freiwillig oder gezwun
gen. Ich sah deine Gestalt nur noch
wie eine von Dämpfen umschwebte
Silhouette. Meine Arme griffen nach
dir durch dichte Nebel hindurch aber
immer gleich fern und gleich nahe,
vermochten die Hände dich nicht zu er
reichen. Ist das nicht ein seltsamer
Traum? Er peinigte mich bis in
das Erwachen hinein, et begleitete
mich in feiner erdrückenden Nachwir
kung den ganzen Vormittag hin
durch, und es kam mir wie ein glück
liches Omen vor, als ich dich, ftrah«
lend von Schönheit und Seben, ge
sund und unserem gemeinsamen Se
ben zurückgegeben, hier im Garten
saal schon antreffe. O Olga, wie lieb
habe ich dich, wie grenzenlos glücklich
machst du mich wai ware mein L«
ben ohne dich!"
Ein triumphierender Funke sprühte
in den funkelnden Augen der jungen
Frau auf. Nun mutig vorwärts,
er ist ihr Geschöpf, an Händen unir
Füßen gebunden, schmachtet er ja
zu ihren Füßen. Viktoria, bet Sieg
ist ihrer!
Sie sehnte sich zu ihm hinüber,
ihr duftendes Haar fiel über ihn
hin, ihre weißen Arme umrankten fei«
nen Nacken, ihre schwellenden Sip
pen ruhten jinnterückenb auf feinem
Mund.
„Tu liebst mfch über alles, mehr
als dein Seben?" hauchte sie. dicht an
seine Brust geschmiegt und löste ihre
Sippen von den seinen, um ihn wie
der sanft-neckisch zu küssen.
„Mehr all mein Seben!" stam
melte Paul in trunkener Seiden
schaft.
„beweise es!" kommandierte die
Verführerin, indem sie die Arme hin
abgleiten und sich selbst wie ermattet
auf die Polster zurückfallen ließ.
„Befiehl, ich gehorche!" stotterte
Paul mit fliegender Brust.
„Nun, ich befehle dir, filt mich
ganz allein zu leben."
„Das tue ich ja. für dich ganz
und ungeteilt!" sprach et schier ver
wundert
„Nicht genug."
„Wie kann das noch mehr gesche
hen?" fragte et völlig arglos.
„Du sollst du sollst sie
suchte etwas verlegen nach Worten,
die ihn nicht verletzen mußten
„du sollst so so bleiben, wie du
jetzt bist, die dumme Uniform auszie
hen und
„Den gehorsamen ersten Diener
von Frau Gemahlin spielen?
Danke schön!" lachte er gutmütig.
„Das wollen wir uns aufbeben, bis
wir arbeitsunfähig geworden sind.
Nein. Frauchen, nicht böse aussehen,
das kann dein Ernst nicht sein. Du
möchtest gar keinen Stubenhocker und
Faulleuzer zum Mann, der sich das
„Tischlein deck dich" der Eristenz fein
säuberlich von feinem Weibe cuftra
gen ließe. Nein, Herzenskind, das
schlag dir ans dem Sinn auf die
Bärenhaut legt sich der We st a nicht,
so lange er seine --runden zirei Arme
noch richten kann. Nichts da, nichts
davon, du würdest von dem gelang
weilten Tagedieb auch bald mehr als
zu viel bekommen."
Olga rvi-fte mit nervösem Finger
Blatt auf Blatt von den schneeweißen
Bfütev.kelchen in ihrem Schoß ab.
„Ich sehe es ein: ich möchte dich nicht
zur Untätigst verdammen, wenn sie
dir widerstrebt. Ich möchte dich am
würdigen Platz erblicken. Das Kar
tenhaus des Füistciithronfs hier stürzt
über kurz oder lang, von unserem
Einfluß nicht mehr gestützt, doch mal
zusammen und ."
„Unserem Einfluß? WaS heißt
dass" fiel Paul ihr grenzenlos ver
wundert ins Wort. „Bist du ein an
deres als ich? Gehörst du nicht zu
mir?"
„Und begräbt vielleicht alle, die
ihm abhängen, \r. seinem Sturz", voll
endete sie, als hätte tie die stürmische
Unterbrechung gar nicht gehört
„Nun. dann gerben sie einen ehr
lichen Tod in ibrer Pflicht", sagte er
voll Festigkeit.
„Schriebst du mir nicht einst in
all deinen Briefen, daß es noch ein
Höheres als die Pflicht gibt, daß
übet ihr die allmächtige Liebe stünde
so sagtest du mir tausendmal.
Täuscht sich mein Gedächtnis?"
sprach Olga vorwurfsvoll, und stür
misch war Pauls Antwort: „Ich
weiß nicht, wo du hinaus willst
schweig, ich mag «8 gar nicht wis
sen
„Mas ich dir einst sagte, um all
den häßlichen Heimlichkeiten ein (5mfe
zu machen, galt dem ÜÖtibe, ihrer
oft betonten Pflichten der Dankbar
feit gegen den väterlichen freund. Die
Liebe des Weibes zum Manne muß
höher stehen, muß allein ausschlagge
bend fein, trenn sie vor die Wahl ge
stellt ist. Eltern ober Geliebten auf
zugeben. Wehe aber dem Manne, der
seine Pflicht vergißt, weshalb es auch
fei, selbst aus Liebe zum Weibe
Schmach ihm und Verdammung,
wenn er sich da schwach und erbarm
lieh zeigt!" brauste er in edler Empö
rung auf.
Olga war aul ihrer leidenden
Stellung emporgeschnellt.
„Paul, Paul, besinne dich!" tief sie
in warnendem Ton. „Das mir, der
du eben noch schwurst, ich gelte -dir
mehr als das Leben!" schluchze sie er
regt auf und ihre Wangen brannten
dunkler Zornesröte.
„Um Gottes willen, beruhige dich,
feine Aufregung!" beschwor et sie in
großer Besorgnis. „Laß alles jetzt
ruhen. Ich war ein Thor, überhaupt
aus solche Unterhaltung jetzt einzu
gehen, wo deine Nerven noch gereizt
sind. Lassen wit den Prinzipien
streit, mein lieber Schatz! Du bist
mir das Liebste aus der Welt,
glaub's mir, selbst mehr als mein
Mütterchen giltst du mir, so schlecht
da? von mir Undankbarem ist. Ich
gebe alles für dich hin, bis auf
die Ehre! Dabei beruhige dich,
und laß die akademische Frage, zu
welchen Opfern der Mann fähig fein
muß, für dich, kleine, verwohnte
Prinzeß, bis du lustig aus deinen ge
funden Seinen wieder herumlaufen
kannst. Jetzt möcht' ich klingeln,
damit wir in Gesellschaft heute hier
zu Mittag speisen, gelt, lieber
Schatz?"
Olgas kühn gezeichnete Augen
brauen zogen sich drohend zusammen,
„Verspotte mich nicht in meinen hei
ligsten Gefühlen", sagte sie empfind
lich und entzog ihm die Hand, die
er neckend festhielt „Mir ist es hei
liger Ernst mit dieser Frage, und
damit du unsere Sag« voll begreifst,
framtt du verliehst. we?haiv ten lie
dir so dringlich vorlege, muß ich dir
die Alternative stellen, die mir meist
Oheim gestellt hat. O Paul
und wieder warf sie sich, leidenschaft
lich ausgelöst in Tränen, an ilitts er
schrockenen Mannes Brust. „Du
kannst mich nicht zu dem Elend einer
Eristenz verdammen, wie deine Ein
fünfte sie uns auferlegen, zöge mein
Onkel seine Hand von uns ab! Der
Zar kann nichts befehlen, was nicht
recht wäre, folglich kannst du's
tun, und wenn du .dennoch nicht
willst. ist'S nitre Halsstarrigkeit. Du
kannst es mir nicht abschlagen, wenn
du kein hartköpfiger Egoist bist, wenn
du mich wirklich liebst, »renn dir
an meiner Befriedigung wirklich gele
gen ist!"
Sie hatte die beiden Hände be
schwörend um feinen Arm geflochten
und sab bittend wie ein Kind mit den
wunderschönen Augen zu dem tötlich
Erblassenden auf.
„Und waS fordert dein Oleiin
für Gegendienste?" fraate Paul lang
sam, zaudernd, als fürchte et sich
vor der Antwort, die er herandrohen
sah.
„Eine Kleinigkeit."
„Die wäre?" fragte et ntti stocken»
dem Atem.
„Du sollst zu uns übertreten."
»Da? heißt, hier zu den Russen
nicht?" fragte er kaltblütig und
tadelnd. „Es ist mir neu, daß du
dich mit den Interessen deines Man
ne? nicht eins hältst. Wir in
Deutschland sefrn di? anders an.
Ein Leib, eine Seele, schreibt uns
unsere Kirche vor, und wir sind des
sen eingedenk, wenn wir den heilig
sten Bund fürs Leben schließen. In
der Bibel steht ein Wort, das wie
nichts anderes die schöne Zusammen
geHörigkeit deS Weibes, ihre süße Un
ietordnuno unser den, der tns Haus'
der Familie ist. kennzeichnet- Wo du
hinaehst. da gebe ich auch bin dein
Gott ist mein Gott, dein Volk ist
mein Volk: wo du begraben wirft, da
will ich aveb beqriVvn fein. Lerne
!as von unseren deutschen Frauen
Du bist feine Russin rrebr. du bist
das Weib eines bulgarischen Unter
tans, die Mutter eines aeborenen But
laren beherziae das!" Er
sprach es weich überredend und strich
liebkosend über ihren Schemel bin
..Verstehst du denn die hebere Be
dentnng der Verschmelzung zweier sich
in bester Siebe anaeliörenden Men
schen nicht, mein fiißes Weib? Ist
es nicht ga« einzig dauernde Band,
das einzig durch ein ganzes Leben
kesselnde, wenn der erste Nauses) der
Flitterwochen zerronnen, dieses Sich
geist'g ineinander Auslösen, mit und
durch einander leben und sich nanz
vnd gar verstehen? Kennst du deinen
Mann so wenig, daß du glaubst, äu
ßerer Vorteil könne ihn abtrünnig
machen?"
Je weniger er zu erschüttern war,
je sanfter sprach er. eine um so mil
dere Form suchte er, um sie von dein
Siechten zu überzeugen Es fchmer .te
ihn tief, daß sie um seinetwegen
Opfer ihres Wohllebens bring?»1 muß
te, deshalb umhüllt er ve mit dop
pelt, weicht, fast mitleidig« Liebe.
Olga mißverstand es. G« glaubte
ihn schon halb gewonnen, hielt diese
Milde für halbes Nachleben, ein letz
tes sanftes Widerstreben seiner er
schütterten Grundsätze. Wäre et sonst
so ruhig geblieben, während et bii
mcils bei dem leisesten Versuch, ihn
seiner Pflicht abtrünnig zu machen,
schon so leidenschaftlich aufbrauste?
Sie verstand die Regunaen in seiner
Brust nicht. Gegen die eben ver«
rnählte Braut, die seine (thre anzwei
felte, hatte sich sein Stolz empört,
die bloße Zumutung hatte ihn aus
rasen lassen. Der Mutter seines
Kindes fühlte er sich mit echter deut
scher Mannestreue zu fest geeint, als
daß et die heutige Versuchung an
ders behandeln konnte wie der könig
liche Löwe, der mit einem Kopfwen
den die ihn umfurtenöe Mücke gut
mütig abschüttelt. Er maß in der
ruhigen Beharrlichfeit seines Willens
diesen Dingen nicht die Wichtigkeit
bei, die sie selber ihnen geben wollte.
Olga stachelte sich zu immer ersteiger
ter Aufgeregtheit auf, je gelassener er
blieb. Es schien alles umsonst. Vor
würfe und Zornesausbrüche. Nun
kamen Bitten, Tränen, Fteben, Olga
ließ sich zuletzt zu einem Fußsafl her
ab und beschwor ihn schluchzend, sie
durch seine Hartnäckigkeit nicht den
ungewohnten Entbehrungen seiner
Eristenz auszusetzen, wenn er sie
wirklich lieb hätte.
Wie ein Kind hob Paul die er«
regte Frau vom Boden auf, trug sie
zurück auf ihr Ruhebett und legte ihr
die Kiffen unter dem Kopf zurecht,
die immerfort Aufbäumende mit saus
tet Gewalt niederhaltend. Das aber
entfesselte erst den ganzen elementa
ren Jähzorn in diesem dämonische»
Eharaft«. Hätte er mit ihr gerungen
um die Herrschaft, wild und erregt,
wie ste e# selbst war, vielleicht hätte
er in zwölfter Stunde denSieg da
vongetragen. Ein Messen der Kraft
allein schon hätte ihr wahrscheinlich
genügt.
Die Ueberlegenheit, die in feiner
kühlen Rede lag, die kaltblütige Art,
mit bet er, eingedenk ihrer Scho«
nungèbedürftigkeit, Bitten und Vot
würfe. Anklagen und Beschwörungen
eindrucket* an jich abgleiten liefe,
kam ihr wie Geringschätzung vor, er«
7
Gitterten ste grenzenlos und entzünde»
ten in ihr ihren gefährlichsten Feind,
chren besinmingl« und zügellosen
Jähzorn.
„Alles, waS du bist, hist du durch
nick)!" stieß sie in blinder Leiden»
schast berauS.
Paul wurde einen Augenblick
brennend rot, dann leichenblaß. Et
traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht,
dv.ft et fast taumelte. Er zog seine
Oiinde zurück, die sie bis zu diesem
Augenblick sanft niedergehalten, und
stemmte die eine leicht zitternd auf die
Tischplatte. Er sprach nicht eher, all
bis er sich die Nu he zutrauen durfte,
feine Stimme zu belauften. Dann
sagte er gelassen: „Du könntest recht
haben, wenn ich auch nur eine Se
kunde deinen Votschlag in Erwä
gung gezogen. Deine Beleidigung
gleitet aber eindruckslos an mir ab
sie ist aber ein Beweis, wie richtig ich
bandle, indem ich der Stimme ohne
Schwanken folge, bie in mit
spricht."
„Ich wollte dich nicht kränken, el
ist aliet zu schlecht von dir, zu
schlecht!" schluchzte sie auf, „daß btl
nicht auch an mich denkst und mir dal
fleine Opfer bringst. AnS Trotz, ou4
Eigensinn, bloß, um zu zeigm, dafc
du der Herr und Meister bist, ver
weigerst du'S. Solche Kleinigkeit,
solch ein kleine! Opfer, das du mit
zuliebe bringen sollst!" jammerte fk
wie ein verzogenes Kind.
„Solch ein kleines Opfer!" lachte
Paul, zum ersten Male ungeduldig
werdend, bitter auf. „Das kleine
Opfer meiner tfhre, das kleine Opfer
des Verrats an meinem Fürsten, an
der Uniform, die ich trage, den Fah
neneid. den ich geleistet die Klei
nigkeit. ein Landesverräter, ein Ue«
lerlstiifer zu werben um elenden Vor«
tei'é halber. Wollt ihr mich nicht
noch zum Spion dingen, und wel»
chen Preis bietet ihr?" wandte et
sich kurz fragend, mit schneidendem
Sarlasiuus an dir jungt Frau, det
et nicht länget wehrte, als sie jetzt»
emporgeschnellt, auf beiden Füßen
stand.
Den Tisch zwischen sich, maßen sie
sich mit zornigen Augen wie zwei
feindliche Gegner.
„Du willst den Preis wissen für
deinen Uebertritt? Gut!" flammte
sie auf. „Du sollst ihn kennen, wir
wollen sehen, ob er dir noch zu gering
däucht. Bisher 'iabe ich, ich ganz al
lein Opfer zu bringen gehabt, jetzt
sollst du beweisen, was ich dir, ob ich
dir überhaupt etwa! wett bin. Der
Prci» bin ich!"
Er stierte sie an, als könne et sei
nen Sinnen nicht trauen.
„Du? Du? Ich verstehe
nicht!"
„Ich denke, el ist deutlich genug.
Entweder du gehörst zu un8, ober
eine Sefiitve stockte sie, das BInt
stieg ihr flimmernd in die Augen und
hirnbetäubend zu Kopfe die Zähne
preßte sie knirschend aufeinander, und
schön war sie in ihrer zornigen Ener
gie wie ein Dämon, als sie, die Blicke
fest auf ihn arbeitet, ihm herausfor
dernd geaenül'rstand.
„Ober?" widerholte er unheimlich
ruhig.
„Oder wir trennen unV
„Nur ein lei'er Seufzet flog übet
feine Lippen, und feine auf der Tisch«
platte ruhende, um gebogene Hand
grub die Nägel in die innere Fläche.
Sonst stand er scheinbar unberührt
da.
In Olgas Brust rasten alle Fu«
rien. „Durch!" raunte ihr dal stolze,
jäh'otniae Temperament zu. „Biegen
ober brechen!"
Sie hatte ihn ja nur sondieren wol
len, jetzt war die bloße Drohung
schon Entschluß.
„Nun?" fragte sie ungeduldig, de
er hartnäckig schwieg.
„Nun?" wiederholte er hoheitsvoll,
ja verwundert. „Glaubst du ernst
lich", fetzte er tiefernst hinzu, „daß
deine Drohung :ntch erschüttern
kann?"
„Drohung?" fu
1st
sie
hochfahret
auf.
„Dein Ernst sann'S doch unmSg
lich fein!"
„Mein bitterer Ernst!"
Et zuckte nur die Achsel und
schwieg. Das Schweigen war bt»
redtet als alle Werte.
„Du wirft es zu spät «kennen",
drang sie auf den scheinbar Unemp«
findfamen ein.
„Erlaube mir, daß ich eine bessere
Meinung von dir habe", sagte et
fält „schon die Anwendung solcher
Drohmittel ist unedel."
„Unedel bist du. mich zum Darben
verdammen zu wollen!" grollte fit.
Es zuckte geringschätzig um sei«
Lippen.
„Ich höhne dich nicht eS ging mit
nur schmerzlich durch den Sinn, wie
verschieden von den Frauen meiner
Familie du denkst. Olga Paulowna",
sagte er traurig.
„Warum machtest du denn de«
Fehlgriff, dich an die Fürstin Kor
sakoff zu fesseln!" reizte sie ihn mehr
und mehr mit höhnisch |ndiafcl«
Munde.
(Fortsetzung folgt).
(in der Mannfchaftsfchule): „Euch
wegen eurer Dummheit beim wah
ren Namen nennen darf ich leider
nicht, ab« Kerle, gebt acht, daß unter
euch nicht noch einmal Me Rinderpest
aulbricht!"

U s i e e n e w e e

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