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kleinlichen Erinnerungen der Vergessen heit anheimgeben? Muß er nicht den dunklen Schatten, der über seine Her kunft ruht, all’ die Jugendeindrücke seines ehemaligen Hirtenlebens mit dem Voll glanz der großen weltumschließenden aegyptifchen Kultur zu verwischen, zu über strahlen suchen? Ahnte er’s ja doch, daß er zu Größerem als zum Schafhirten ge boren sei, daß der Vater nnd die Brüder vor ihm, wie vor der Sonne alle Sterne, sich bücken müßten! Weh’! Die Versu chungsstunde naht! Die Botschaft von der Geburt eines Sohnes verbürgt ihm» den Bestand seines Fürstenhauses Won- ! netrunken nennt er seinen Sohn Ma n a s s e : »Gott hat ihn seine Leiden und seine ganze Herkunft vergessen lassen.« Hinweggespült mit einem Labetrunk aus dem Strom der Vergessenheit sind all’ die lieben Bilder der Jugendzeit, die Er innerungen des Vaterhauses von der Ge dächtnißtafel seines Herzens. Stolzer Joseph! Dir fchwindelt’s auf dem Gipfel deines Ruhmesl Willst du wirklich deiner Vergangenheit ganz nnd gar untreu werden? Die heiligen Bande der Natur, der Kindesliebe zerreißen und dein biederes Hebräerherz für Aegypter weisheit zum Preise hingeben? Kann dir aller Weltenruhm, aller Weisheitsschmuck das Herz wiederersetzen2 Kann dir alle aegyptixche Bildung und Herrlichkeit den Gemüthsreichthum wiedergeben, den du aus der Hirtenhütte mitgebracht hast? Nein, nein, Joseph. Es war ein Augen blick der Schwäche, des Wankelmuts. Mit mächtigerer Gewalt als je stürmt nun der so lange zurückgedännnte Strom der Gefühle über feine Seele dahin. Er kostet die Wonne, Hebräer zu sein, wie er sie vorher kaum empfunden. So warm schlägt kein Herz in Aegypten für ihn als das Herz des Vaters zu Hebron. So bieder und treu wie sein Benjamin ist« keiner der hochgebildeten Söhne Mizra-» im’s. Nein. Trotz seiner hohen Stel-« lung und Macht, ist er wieder der alte« Hirtensohn. Mag die Hungersnoth nun kommen und die Brüder alle ihm zu sei nen Füßen führen, er fühlt sich zum Se gensiverkzeng fiir die cSeinen berufen. In seinem Herzen darf der Aegypter den Hebräer nicht verdrängen. Was er als Hebräer im stolzen Aegypten erduldet hat, das soll den Brüdern, der Mensch heit zu Gute kommen. Horch! Die Kunde von der Geburt eines zweiten Sohnes schlägt an sein Ohr. Er heiße Ephraim, denn, spricht er: »Mich hat Gott zum blühenden Reis im Lande mei ner ehemaligen Erniedrigung gemacht!« Nun können Herkunft und Ziel, Vergan genheit und Zukunft sich einander die Hände reichen, in einen goldenen Ring der Liebe und Versöhnung sich zusammen schließen. Nun mag der alte Vater kommen und feinen treuen Sohn umar men. Ephraim trägt das Siegel der Treue in seinem Namen. Auf ihm, nicht auf !Uc'a11asse, dem Erstgeborenen, ruht Jakob’s voller und reicher Segen. Jhm dankt Joseph seinen Ruhm, den unsterblichen Namen des Frommen, den Siegeskranz, da er mit Menschen nnd göttlichen Mächten gerungen und, wie sein Vater, obgesiegt hat. (Fortsetzung folgt.) —- ---—-—— os —- Man schreibt aus Constanti nopel: »Ja Mekka, der heiligen Stadt des Jslam, existirt seit uralter Zeit die Verordnung, daß kein alleinste: hendes, fremdes Frauenzimmer dieselbe betreten darf. Wittwen oder Mädchen, die nun ihr religiöser Drang dennoch da zu oeranlaßt, nach dieser heiligen Stadt zu wallfahrten, müssen vor deren Thoren so lange warten, bis. sich ein Bewohner Mekka’s herbeiläßt, sie für die kurze Zeit ihres Ausenthaltes in dieser Stadt zu heirathen und erstunter dem Schutze ihres neuen Gatten darf die vereinsamte Frau die Geburtsstadt des Propheten betreten. Die-» so glücklich, wenn auch nur für kurze Zeit unter die Haube gekommene, muß gewöhnlich ihrem so erworbenen Gatten für die Ehre, daß er sich herbeiließ, sie in seinem Harem aufzunehmen, ein schönes Sümmchen Geld erlegen. Natürlich tritt er in alle Rechte eines wirklichen ’Ehegatten. Jn Mekka eristirt daher eine eigene Classe Menschen, deren Beschäfti gung nur darin besteht, die dort ankom menden fremden Wittwen und Mädchen zu heirathen, was ihnen im Laufe des Jahres, besonders während der Zeit der großen Wallfahrt, ein schönes Einkom inen abwirft. In neuester Zeit hat nun die Stadtbehörde die Verordnung ge troffen, daß eine solche extra muros abge schlossene Ehe von ihr legalifirt werden muß und muß daun die Ehecandidatin für diese Legalisirung eine beträchtliche Steuer an die Stadtkasse zahlen. Aber auch diese Steuer vermag nicht der Fröm migkeit der muhamcdiinischen Frauen Ab bruch zu thun uud noch immer strömen sie schaarenweise nach der heiligen Stadt.« —,Der Strick des Henkers. Die »N. Arader Zeitung« schreibt: Bei der Abnahme des am vorigen Montag hier justificirten Husaren vom Galgen waren viele hundert Menschen anwesend, die mit dem Scharfrichter um ein Stückchen des Strickes, welcher zur Justificirung gedient hatte, feilschten. Jm Handumdrehen hatte sich eine förm liche Börse gebildet, auf der mit dem Stricke des Henkers Handel getrieben wurde. Ein Zoll des Strickes erreichte den Preis eines Gulden; kleinere Stück chen oder auch nur einige Fäden wurden mit zwanzig bis fünfzig Kreuzer bezahlt. Und als später selbst um schweres Geld keine Faser des Strickes mehr zu haben war, wurde der Scharfrichter — um eine Handvoll Erde vom Grabe des Justifi cirten bestürmt und auch schließlich diese für Geld erstanden. —- W i ener Blätter vom 7. Mai be-·» richten: »Ein komischer Anblick bot sich’ heute in früher Morgenstunde den Pas santen des Parkringes dar. Zu Füßen des zwischen dem Gewerbe-Museum und der Kunstgewerbeschule befindlichen Mo saikbildes der P a l l a s Ath e n e kniete ein Bauernweib und verrichtete andächtig ihr Gebet. Sie glaubte sich vor einem Marienbilde zu befinden und ließ sich nur schwer von ihrem Jrrthnm ab bringen. Gleiche Ehre ist auch schon dem Standbilde des Bürgermeisters Zelinka im Stadtparke widerfahren.« — -o O os — Vom Czar Nikolaus erzählt der Figaro in einem Osterfeuilleton folgende Anekdote: Jn Rußland ist es bekanntlich üblich, daß alle Welt sich am Ostersonntage mit dem Rufe begrüßt: Christ ist erstanden! woran die Antwort erfolgt: Ja, er ist erstanden ! Am Morgen des ersten Osterfeiertages trat Czar Nikolaus aus seinen Gemächern und rief der Schild wache, die vor seiner Thüre stand, zu: Christ ist erstanden ! Man denke sich das Entsetzen des Czars, als die Schildwache statt der lan desüblichen Antwort erwiderte: Nein, er ist nicht erstanden ! Der Monarch trat einen Schritt zu rück und rief den Wachteommandanten. Wer ist dieser Mann? frug er. Sire, erwiderte der Commandant, die ser Soldat ist ein Jude. Von einem Juden, bemerkte der Czar nach einer Pause, kann ich freilich nicht verlangen, daß er an die Auferstehung glaube. Aber künftighin sorgen Sie da für, daß am Ostertage keine jiidische Schildwache vor meiner Thüre steht ! —.-.-—.. -—. - . -----—-—-. — Der General-Gouverneur von Sa markand hat die seit langer Zeit daselbst als Bankiers und Geldverleiher lebenden Judier, meist niosa.zchen Glaubens, aus gcwiesen. Dieselben wollen nun nach Kaschgar übersiedeln, welches sich jetzt in chinesischen Händen befindet. Fieber die gsahrneijmung l des Anendkichem ! Von F. Max Müller. (Fortsetzung.) Jn der letzten Nummer, des Journals des Autropologischen Instituts (Februar 1878) findet sich eine interessante Be schreibung einer Mission, welche von Be nedictinern in Neu-Nursia im westlichen Australien, uördlich vom Swau River, als zur Diöcese des Wunsch-katholischen Bischofs von Perth gehörig, gestiftet worden ist. Diese Benedietinermönche gaben sich große Mühe, die religiösen Ansichten der Eingeborenen zu erforschen. Eine lange Zeit hindurch fanden sie auch nicht die geringste Spur von irgend Et was, was den Namen von Religion zu verdienen schien. Nach dreijähriger Mis sionsarbeit erklärt Monsignore Salvado, daß die Eingeborenen keinen Gott anbe ten, weder einen wahren, noch einen fal schen. Nichtsdestoweniger glauben sie, so fährt er fort, an ein allmächtiges We .sen, den Schöpfer Himmels und der Erde. Sie nennen ihn Motogon und Imeinen, er sei etwa wie ein sehr großer, starker und weiser Mann, ihrer Farbe »und ihres Landes. Der Act seiner tSchöpfung bestand in einem Hauche. »Um die Erde zu schaffen, sagte er, Erde komm! er hauchte, und die Erde war ge schaffen. Ebenso that er mit der Sonne, den Bäumen, dem Kiinguru. Dieser Motogon, der Urheber alles Guten, ist im Streite mit Cienga, dem Urheber alles Bösen. Der letztere entfesselt den Wirbelwind und das Gewitter, er ist der unsichtbare Verurfacher des Todes ihrer Kinder,« deshalb fürchten ihn die Einge boreuen. Motogon, meinen sie, sei längst altersschwach und todt, und sie be zeugen ihm daher keine Art von Verehr ung. Aber auch Cienga, obgleich er noch immer die Kraft besitzt, den sMenfcheu alles mögliche Uebel zuzufügen, wird nie durch irgend welche Handlungen versöhnt. ,,Niemals,« so schließt der Bischof, «habe ich irgend einen Akt äußeren Gottesdien stes bemerkt, noch sah ich irgend Etwas, was auf irgend welche iunerliche Gottes- l verehrung hindeuten konnte.« Wenden wir uns von den australischen zu den amerikanischen Wilden, so finden wir z. B. bei den Hidatsas oder den Grosoentres am Missouri das gerade Gegentheil. Mr. Matthews, der uns eine ausgezeichnete Beschreibung dieser Stämme gegeben hat, berichtet wie folgt: »Wenn wir das Wort Verehrung in seiner weitesten Bedeutung gebrauchen, so kann man sagen, daß die Hidatsas außer »dem alten unsterblichen Mann«, »dem großen Geist«, »dem großen Geheimniß«, Alles verehren, was es in der Natur gibt. Nicht nur der Mensch, sondern die Sonne, der Mond, die Sterne, alle niederen Thiere, alle Bäume und Pflan zen, Flüsse nnd Seen, viele verschlagene Steine und losgerissene Felsen, selbst Hügel, Vorsprtinge, die allein stehen, ja Alles, was nicht von Menschenhiinden ge macht ist, und ein unabhängiges Wesen hat, oder individnalisirt werden kann, besitzt einen Geist, oder genauer, einen Schatten. Diesen Schatten gebuhrt ein gewisser Respect und Verehrung, obgleich nicht allen in demselben Maße....die Sonne wird hoch verehrt, und man bringt ihr viel kostbare Opfer.« Hier sehen wir also, wie einige uncivilisirte Völker Alles, andere Nichts verehren, und wer soll ent scheiden, welche von den Beiden die religi öseften sind. Werer wir jetzt einen Blick auf die am höchsten civilisirten Völker Europa’s, hören wir, was die hervorragendsten Geister unter ihnen von Religion denken. Wir finden auch hier ganz dieselben Wi dersprüche. Kant erklärt, daß jeder Ver such, die Gottheit durch Handlungen, -« -.-..—.——-.. -:;:-T:= — — welche keinen moralischen Werth haben, zu erfreuen, durch bloßen Cultus, oder äußeren Dienst, gar nicht Religion ist, sondein bloßer Aberglaube. »Alles,« sagt Kant, »was außer dem guten Lebens wandel der »Mensch noch thun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu wer den, ist bloßer Religionswahn und After dienst Gottes.« »Ob der Andächtler seinen statutenmäßigen Gang zur Kirche, oder ob er eine Wallfahrt nach den Hei ligthümcrn in Loretto oder Palästan an stellt, ob er seine Gebetsfornieln mit den Lippen oder, wie der Tibetaner (welcher glaubt, daß diese Wünsche, auch schrift lich ausgesetzt, wenn sie nius«durch ir..end Etwas-, z. B. auf Flaggen geschrieben, durch den Wind, oder in einer Biichse ein geschlossen, als eine Schwingmaschine »1nit der Hand bewegt werden, ihren Zweck Hebensognt erreichen) es durch ein Gebet rad an die himmlische Behörde bringt, oder was für ein Snrrogat des morali schen Dienstes Gottes es auch immer sein mag, das ist Alles einerlei und von gleichem Werth.« Es ist kaum nöthig, Vertreter der ent gegenixesetzten Ansicht anzuführen, denen die stille Religion des Herzens, oder die thätige Religion eines reinen Lebenswan dels für vollkommen werthlos gilt, ohne äußeren Gottes-dienst, ohne eine Priester schaft, ohne Ceremoniel. « So könnten wir fortfahren, eine De finition von Religion nach der anderen durchzngehen, nnd wir würden stets fin den, das sie das enthalten, was nach der Ansicht gewisser Autoritäten Religion sein sollte, daß sie aber fast nie weit ge nug sind, um Alles zu umfassen, was je mals Religion genannt worden ist. Un ter diesen Umständen geschah es denn sehr oft, daß man das, was außerhalb der Definition lag, für unwürdig erklärte, Religion genannt zu werden, daß man es bald als Aberglauben, Götzendienst, bald als bloße Sittlichkeit oder Philoso phie bezeichnete Kant erklärte Vieles, was Anderen für Religion galt, für blo ßen Wahn Fichte kennzeichnete Kauf-Z Religion als bloße Gesetzmäßigkeit. Vielen würden die prächtigen Schaustel langen, wie man sie, sei es in römischen Kathedralen oder chinesischen Tempeln sieht, für bloßen Götzendienst gelten, während Andere den stillen Glauben der Australier oder die halb nnterdrückten Ueberzengnngen Kant’s fiir nicht viel besser als Atheismus bezeichnen würden. Noch eine Definition habe ich zu er wähnen, die in der letzten Zeit nnd, seitdem sie durch Schleiermacher in das allge meine Bewußtsein getreten, vielleicht das größte Ansehen errungen hat. Nach ihm besteht Religion darin, daß wir uns schlechthinig abhängig von Etwas fühlen, das uns bestimmt und das wir nicht be stimmen kiinnen. Aber auch hier tritt eine andere Schule schroff entgegen, und erklärt, das gerade das Gefühl der Ab hängigkeit das Gegentheil von Religion fei. Es ist ein oft eitirter, obgleich nicht sehr weiser Ausspruch von Hegel, daß, wenn Abhängigkeit Religion ansmachte, der Hund die meiste Frömmigkeit haben müßte- Wie viel tiefer hatte schon Ba con gesagt, daß der Mensch der Gott des Hundes, und sein Vertrauen ans den Menschen eine Art Gottvertrauen dar stelle. Hegel betrachtet also Religion als vollkommene Freiheit, als das Selbst bewußtsein des absoluten Geistes, als das Wiser des göttlichen Geistes von sich durch Vermittelung des endlichen Geistes. - Von diesem Standpunkte aus war es nur noch ein Schritt, und dieser Schritt wurde in Frankreich durch Comte, in Deutschland durch Feuerbach gethan, um den Menschen nicht nur zum Subjeet, sondern zugleich auch zum Objekt aller Religion, aller religiösen Verehrung zu erheben. (Fortfetznng folgt.)