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»Ncbich !« Charakterbild aus dem jiidischen Volksleben der Gegenwart Von Rat-bitter Ehrenmcil in Holitz. 1V· Folge mir im Geiste, freundlicher Leser und gütige Leserin! ich führe dich in eine ärmliche, ja fe h r a rm s e l i g, aber doch reinlich und sauber eingerichtete Stube, in die Wohnung des Sarvers J a i k e wl K n o p f l o ch, in der eine wackere, rüstige, fromme, jüdifche Hausfrau waltete, und in der sich eine Schaar kleiner und großer Kn o p f l ö eh e r trotz der völligen Mit tellofigkeit des Hausuaters gar lustig um hertummelnz trotzdem es nicht viel Hoch zeiten im Jahre in der Gemeinde und da her nicht viel zu se r v ire n für den ar men S a rv e r gab, gingen seine Spröß linge doch nie hungrig zu Bette, ob ihrer auch schier ein Dutzend war; denn wenn Ja ikewl Knopfloch zu denjenigen gehörte, die im Gebete ,,Mehre zahlreich uns die Kind er, Wie auch unser Geld nicht mind er« nnr in der ersten Hälfte der Bitte, im «1;x,·-n» und keineswegs auch in der zweiten, nämlich in «’«JDDI» erhört wurden, darbte er nie; war er ja doch auch Flickschneider, und zwar dies in erster Linie, und ging ihm, da er seiner Geschicklichkeit, Redlichkeit und besonders seines guten Humor-s wegen sehr beliebt in der Gemeinde war, die Arbeit niemals aus. — Die Geschäfte gingen schon seit Jahren schlecht in der Gemeinde, die Leute konnten sich ,,nebich« nur selten n e u e Kleider anschaffen, und dies M a l heur der Leute war das Glück Ini kewlg, des armen Flickfchneider6, der voll ans zu thun hatte, um die fadenscheinig und an manchen Stellen auch noch brüchig gewordenen Hüllen der Gemeindemit glieder wieder zu cnriren, in den Stand zu setzen und auf den Glanz herzurichten. Jaikewl arbeitete emsig; wie das Ueber schiffchen am Webestuhle, so rasch flog die Radel in der Hand Jaikewl’6, scharf und spitzig wie seine Scheere und seine Nadel war aber auch Jaikew’ls3 Zunge, wenn er, der doch selbst auch noch nicht zu den Alten gehörte, die Thorheiten und Ausschreitun gen der »heutigen Leute,« wie er sagte, geißelte. Er nsußte reden bei der Arbeit, wenn diese ihm flink von der Hand gehen sollte; er wollte aber auch bei seinen Reden ein Anditoriuui auch außer seinen, um sein Schneidertischchen herumkrabbelnden Kindern haben, und da mußte S ch e nd e l le b e n, die sehr hoch in Ehren gehaltene Gattin, ob wol lend oder nicht wollend, zuhören; er pflegte zu sagen: ,,Laß mich reden, Schendellebenl ein K o tzi n, weil er Geld hat, darf ii b er a ll reden; ein arm er Mann muß »He b ich« iiberall’s Maul halten, daheim aber darf auch ein armer Mann reden, so viel er will.«——— ; Heute kam Jaikewl in extra feiner Laune nach Hause-, und nachdem er eben erst einen Pack Reparatur bedürftiger Kleider auf den nächstbesten Stuhl ge worfen hatte, rief er seiner in der Küche beschäftigten Ehefrau zu: »Schendelle ben! knm herein mein Kind, hör’ mir zu, ich habe nicht bloß einen Pack alter Klei der, sondern auch einen Pack Neuig k e i t en mitgebracht.« »Laß mich doch in Ruh, alter Plau derer!« rief es ans der Küche als Ant wort entgegen, ,,e«3 geht auf Mittag, und ich mnß noch Erdäpfel zum Mittagsessen abkratzen.« »Komm herein zu mir mit dieser Ar beit, ich sehe es so gerne, wenn Du diese Arbeit vor mir thust,« sagte Jaikewl, »ich denke dabei immer, wenn man doch den heutigen Leuten, die so falsch und verstellt sind, so ihren äußerlichen Schein, wie Du den Erdäpseln, herab kratzen könnte, daß man ihr Jnn e r e s sehen könnte; mit größtem Eifer, mit «den Nägeln sogar möchte ich kratzen, um Jsie so herzustellen vor alle Welt, wie sie s nach J nn en sind, und nicht wie sie nach sAußen sch einen. — ———Siehst Du, sSchendellebent«-—sagte er zu der eben ; mit ihrer Arbeit in die Stube gekommenen Ehehälfte »der aufgeblasene Fritz Gott lieb geht als »Bankier« ganz frei wie ein Hund ohne Maulkorb herum; geh’ hin, kratz nur so ein wenig wie an Deinen Erdäpfeln, auch an seinen Bankgeschäft herum, Du wirst nicht viel zu kratzen haben, und der gefährliche, böse Wucherer steht in seiner eckelhaften Gestalt vor Dir; aber wie man hört, gehts schon ein wenig schief mit ihm, das Gericht sieht ihm schon auf die Finger.« « »Sind das alle Deine Neuigkeiten XC« frug die als wahre Evastochter neugierig gewordene Ehegattin. »O nein, mein Kind,« sagte Jaikewl gehobenen Hauptes; ,,paß auf, die kom men erst. Die hochnafige Schwester des Bankiers Fritz, Fräulein Martha ,,N e bich« soll den von Wuchergeld fett ge wordenen Schmeerbauch, den W ittw e r Rothfeld, heirathen; was sagst Dul dazu?« »Was ich sage ? Daß Martha bis jetzt Martha ,,nebich« geheißen wurde, dann aber erst ein »Nebich« wär e, wenn ihr alter Mann auch Millionen hätte; meine gute Mutter, in Ganeden ruht sie, sagte immer: »Eine Stiefmutter sein, kömmt mir vor, wie wenn man einer Heime Enten-Eier zum Aus-brüten untergelegt, und die arme Henne.dann mit den jungen Entchen herumgehen muß, die ihr nicht ähnlich und nicht anhänglich sind! Eine Stiefmutter mag noch so brav und gut zu den Stiefkindern sein, die butterweichen Menschenherzen fühlen immer Mitleid mit den oft bockbeinigen nixnutzigen Stiefkindernz und wer sie sieht, sagt »nebich;-« und doch weiß man ja noch immer nicht, wer mehr »nebich« ist; ob die Stiefmutter, oder die Stief mutter, oder die Stiefkinder — oder Beide.«—— »Schendelleben! Du redst unberufen wie ein Doktor der Schrift, hast auch ganz Recht; mir gefällt der Schiduch auch nicht, doch sie solls haben, wenn sie durch aus eine reich e Frau werden will. Aber Dir mein Kind! kann ich es ja sagen: Mir kommt es vor, so oft man ein junges Mädchen an einen alten Witt wer verheirathen will, wie wenn ich einen Fleck von neuem se i n e m Tuch auf einen alten fa d ens ch einig e n zerrissenen Rock aussetzen soll. Jetzt aber hör’ meine slieuigkeit Nummer 2. Hulda Kohlmann, unser Rows —- er soll leben! —- seine Tochter, die hat doch nur ihr gutHerz am rechten Fleck; der B an ki er Fritz hat den einen einzigen gut en Gedanken ge habt, sich dies feine brave Mädel zur Frau zu nehmen; er hat durch seinen Vater R e b b D o w id ,,n e b i ch« anklopfen lassen im Rabbinerhausez mir scheint, er will mir ins Handwerk pfuschen, er will sich durch diesen Jichus -S chiduch aus den Gewaltriß, der durch seine schmutzi gen Geschäfte in sein Kowod gekommen, i mit eigener Hand einen schönen saubern; Fleck aussetzen. -——- Fritz-l, FritzU das ver stehst Du nit; Du und Hulda , dasl nennt ein jü di sch e r Schneider »Ur- w». --— »Er soll aber von Hulda einen runden Korb bekommen haben; —- ich gönn’ ihm den Korb, er verdient ihn; aber die Ruthen, aus welchen man eineni « K o rb macht, hätte er noch eher verdient. « Jetzt aber, mein Kind, nur noch ein Bissl Geduld ! Es kommt Neuigkeit Nummer 3. Der schöne, fremde junge Mensch, der seit einigen Wochen sich im Rabbinerhause in Kost und Quartier eingemietbst, dort Tag und Nacht lernt und fleißig in Schul geht, hat uns Khilleleuten schon viel Kopf zerbrechen gemacht. Was ist er? w a s will er? Zum Bo ch ur ister schon zu alt, zum B ankq uetscher, der nichts als über die Gemoro zu sitzen weiß, ist er noch zu j un g ; er zahlt es beim Rabbiner, wie man hört, sehr gut, muß also Geld genug haben. Jetzt hört man, cr hats auf H u ld a abgesehen; was dran ist, weiß man noch nicht, muß wohl aber nicht ganz wahr sein; denn Einige sagen, er soll M a r t h a »n e b i ch« hei rathen, und aus der Parthie mit dem Al mon Rothfeld soll-nichts werden.« »Jaikewl! hast Du nur nit n o ch eine Neuigkeit Nummer 42 Geh’ doch lieber an die Arbeit und lass’ auch mich in die Küche zurückl« sagte jetzt die Hausfrau im energischen Tone, und Jaikewl, ge wöhnt zu gehorchen, mußte nun wohl oder übel sich von den n e u e n Nachrichten ab-» und den alten Kleidern zuwenden, mußte den Faden des Gesprächs abreißen und den Faden zur Flickerei anknüpfen; er hätte so gerne mit seiner SchendllebenH weiter geplaudert: Ja, dem Armen ist oft auch das unschuldigfte Vergnügen versagt! »nebi ch !« Was Wunder, wenn so Viele reich, nur reich sein wollen ? (Schluß folgt.) Nichts dazu uuti Nichts davoni oder Die drei Grendpfeitck dck Religion Gast-Predigt gehalten von Dr. K. Wohin-, am Wien Juni1878, vor der Tempel-Sammet-Gemeinde in New York. (S ch tu ß.) II Und wie der Gottes-Glaube den Himmel pflanzet, so begründet die Gotteslehre als Sittlich keitdasErdenleben. Noch so wild und roh mochten die Men schen fein, noch niemals ward die Laster haftigkeit schön, die Tugend häßlich be funden. Wohl weist die Kulturgeschichte manche seltsame Verirrungen des sittlichen Triebes beim Menschen auf; jedoch nie ward Raub und Todschlag an sich für lobenswerth nnd gut erachtet. Wie die Magnetnadel bei allen ablenkenden Ein flüssen des Nordpols und des Erdmagne tismus stets nach Norden weist, so zeigt der Kompaß im Menschenherzen bei allen Jrrgängen und Werkehrtheiten der vor waltenden sinnlichen Triebe stets nach dem Guten und Edlen. Erzählt dem Kinde die Geschichte von großen Tuqendhelden, und sein Herz schlägt, voll freudiger Wallung, in innigem Seeleneinklang ihnen entge gen; führt ihm ein Verbrecherleben vor» die Seele, und es wendet sich mit Ent riistnng und Abscheu von ihm ab. Jst Tugend und Sittlichkeit dann bloß ein geübte Gewohnheit, ein reines Nützlich keitsbestrebendwmenschlichenGesellschaft, bei der sie sich am besten steht, ein bloßes Ziiechenerempel von sitecht nnd Pflicht, ein Bündniß zu gegenseitigem Schutz und Trutz, warum empfindet das unschuldige Kind bereits der Tugend Himmelsluft und des Lasters Höllenqnal ? Jst das Gewissen bloß das weiche Wachs, auf das die Menschen - Gesellschaft ihr Siegel drückt, das rohe Metall, das der Staat und die Volkssitte zu Münzen umprägt für den gemeinschaftlichenVerkehr, warum zittert der eingefleischte Sünder, der ab gestumpste Verbrecher vor der Majestät dieses Stempels, vor der Hoheit dieses allerwärts anerkannten Bildes ? Gottes Antlitz strahlet ihm aus dem Gepräge des Sittengesetzes entgegen. Darum fühlt sich das unschuldige Kind schon zu ihm hingezogen. Darqu erschrickt der Frevler vor ihm zurück. Vor dem vom Himmel herabtönenden Donnerwort: Du ssollstl krümmt sich der stolze selbstvergöt kterungssüchtige Mensch. Ja wohl, Gott hat sein Feuergesetz uns in’s Herz gegra ben, wenn auch langsam uns der ganze Umfang unserer Pflichten, der große Kreis unserer sittlichen Aufgaben zum vollen Bewußtsein kommt. Das leugnen wir keinesfalls, im Gegeutheil, das ist das Privilegium einer erleuchteten Frömmig keit, einzusehen, daß, wie der Gottes glaube, so auch das Gottesgesetz uiit dem Menschen zu immer höherer Klar heit und Vollkommenheit reift und empor blüht. Die Sittenlehre ist so wenig wie die Gottes-Erkenntniß als vollgereifte Frucht vom Himmel zur Erde gefallen. Beide sind mit dem Menschen gewachsen Der Begriff von Tugend und Sittlichkeit hat sich stets im Schoße der Menschenkul tur mehr geklärt und verfeinert. Sie ist als Himmelssaat auf Erden in kleinem engem Menschenkreis, nicht ohne Unkraut und Wucherpflanzeu, aufgegangen und soll sich in immer weitere Gebiete zu stets herr licherer Entfaltung ausdehnen, bis sie die ganze Erde zum Gottesgarten umgewan delt hat. Kein Wunder, wenn das Flam mengesetz von Sinai, das die Menschheit geläutert, die Staaten und Nationen mit reinerem, höherem Ziel und Streben er füllt, die Kultur auf ganz neuen Grund lagen aufgebaut hat, heute nach drei Jahrtausenden, dem Buchstaben nach, nicht mehr die volle Höhe der Sittenlehre, nicht mehr den ganzen Ausdruck der Ethik bezeichnet. Aber, m. l. Fr., bedürfen wir deshalb eines neuen szeals, einer nagel neuen Moral nnd Tgendlehre2 Jst nicht die christliche und moderne Ethik die natür liche Frucht der altjüdischen Ethik ? Jst nicht die gepriesene Humanität der Neuzeit das einfache Ergebniß, der Ausbau des jüdischen Sittlichkeitsideals? Hat noch jemals ein Sittenlehrer, den Prinzen Gautama Buddha mit eingeschlossen, oder ein Denker der alten oder modernen Zeit höhere Prinzipien der Tugendlehre anf gestellt, als der Prophet, da er sagt; Es ist dir gesagt worden, o Mensch, was gut ist und was dein Gott von dir fordert: Recht üben, Milde lieben, und bescheiden wandeln vor deinem Gott! Un b e u g - sames Recht, nnerschütterlich e G erechtigkeit, als die erste sichere » Grundlage alles staatlichen und bürger lichen Menschenlebens, keine verschwom mene, krankhafte Liebe, die den rechten Backen hingiebt, wenn man auf den linken schlägt, keine empfindsame Sentimentali tät, die die frische Menschenkraft in buddhi stische Einsiedeleien führt und den Kultur aufschwung in Fesseln schlägt ! M i l d e Und Wohlthätigkeit alsdiezweitc Richtschnur, die nicht auf ein Jenseits rechnet, sondern hier die Unterschiede zwi schen Arm und Reich , die Lücken nnd Rifse die das Schicksal schlägt, itn Namen einer himmlischen Gerechtigkeitspflicht als auszugleichen sucht. Und zum Dritten Bescheidenhet vor Gott, um auch im V erborgenen, wo kein »J.Itenschenauge uns bewacht, noch edel und keusch, treu und tugendhaft zu sein , D e mu th , wie sie inmitten seiner edelsten Bestrebungen und Leistun gen dcr Fromme zeigt, der weiß, daß über ihm immer in unerreichter, unerreichbarer Höhe als Urbild ewiger Liebe und Güte Gott, der Hoch- und Heiligthronende lebt. Das sind die leuchtenden Tugendlehren des Judenthums, wie sie nur von- der Offenbarungsstätte eines heiligen Gottes an die Menschen ergehen können, zu denen alle moderne Ethik sich nur wie ein matter Schimmer nnd Nachhall verhält. Sie allein sind es, die als die Himmelssäulen fort und fort das Erdenleben, die Men schengesellschaft begründen und ihr ihren ewigen Halt verleihen, während all die Tagesgebilde unter dem Flugsande der Zeit begraben werden, wie sie auf ihm aufgeführt worden. III. Bedarf es noch eines längeren Verwei lens bei d em dritten Grund pfeiler der Religion, dem Glauben an die menschliche Glückseligkeit im Jenseits ? Absichtlich breitetdas Judentyum in seiner älteren Gestalt eine Decke über die Ge heimnisse des Grabes, damit der Mensch nicht von den ernsten Sorgen für das \n\n ירבה בהול" צרקה