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zu schauen, bis vor Müdigkeit die Augen lieder sich schließen. Und immer und im mer sucht er das Licht, bis das Auge sich des Lichtes satt getrunken hat. Selbst die Pflanzen drehen und winden ihre Stengel und ihre Blätter dem Lichte zu. Sie drän gen sich an die Fensterscheiben, um die Sonnenstrahlen einzufangen. Ja, das Licht ist süß. Nicht blos weil es uns leuchtet, sondern es thut uns wohl an sich; es ist dem Körper eine feine Nah rung und Stärkung. So ist auch die Sonne des Denkens. Denken, das Stre ben nach Erkenntniß ist süß, wenn es auch nicht das gesteckte Ziel erreicht. Es geht manche Saat verloren. Jm Widerstreite der Parteien zerstören Beide gegenseitig den Segen ihrer Aussaat. Oft wird die Aussaat der Wahrheit niedergetreten in der Ungunst der Zeiten und der Verhält nisse. Nichts destoweniger site Morgens und säe Abends Licht und Wahrheit. Sie sind süß, wenn sie auch scheinbar für ihren Zweck resultatlos bleiben. »So viele Jahre dem Menschen auch vergönnt sei zu leben, er freue sich mit allen; eingedenk der vielen Tage der Finsterniß, die da folgen meiden, « das Licht des Denkens auf immer verloschen sein wird. »Du we"ißt nicht, welche von den beiden tAnssaatenl die rechte ist, vielleicht sind es Beide.« —— Das fordert gegenseitige Duldung: freie Bahn für Progreß, das ist die Anssaat am Morgen, Und freie Bahnfür Conser vatismus, d. i. die Aussaat am Abend. Nie wird es gelingen, diese zwei Anssaaten auf e i ne zu bringen. »Die Welt wird alt und wird wieder jung, doch der Mensch hofft immer Verbesserung.« Doch die Duldung darf nicht von der gewöhnlichen Art sein. Man duldet eine andere Mei nung als- eiu Uebel, dem nicht abznhelfen ist; man sieht mit Grimm oder mit Mit leid auf vermeintlich irrende Menschen herab. Das ist nicht die Toleranz, die unser Text empfiehlt. Man soll ·bei der festen Selbstüberzeugmig mit Achtung auch auf die abweichende sehen. Vielleicht bringt die Saat der andern Seite die bessere Ernte. Und vielleicht kömmt das Heil von» der doppelten Aussaat. —Allein wie kön nen b e i d e Seiten Recht haben, ich und der Gegner, das wäre ja die größte Jn eonsequenz im Denken! Wir kommen da zum Schlusse auf unsere einleitenden Worte zurück. Es ist eine schöne Sache um die Consequenz, sie ist fast die Tugend selbst. Aber Koheleth ist der Meinung, man solle nicht zu eonsequent in der Con sequenz sein. Man solle nicht hartnäckiges Behaaren bei e in er Meinung unter allen U:1:ständen zum Lebensprinzipe ma chen. Es ist beispielsweise kein Ruhm für einen Eingewanderten, wenn er sich consequent nicht fügt in des Landes Eigen artigkeit, wenn er von dem Neuen nichts lernen und von dem Alten nichts vergessen will. Es ist kein Zeichen wahrer Freund schaft, wenn im Umgange Jeder derselbe bleibt, von der Wahlverwandschaft der Seelen uubeeinslußt und unberührt von der Denk- und Gefühlsweise des Freun des. Das ist eine traurige Ehe, in der Gatte und Gattin, Jedes kein Haarbreit von der mit in die Ehe gebrachten Art und Weise des Denkens und Lebens nachgeben will, Jedes konsequent von dein Andern nichts annimmt. Der stellt sich ein Ar? muthszeugniß aus, der sich rühmt, sein ganzes Leben sich consequent geblieben zu sein, und noch als Greis von der ersten Geistesaussaat seiner Jugend zehrt, in den vielen Jahren seines Daseins nichts gelernt von den Bessern und Weisern sei nes Verkehrs nnd nichts vergessen nnd aufgegeben von seinem eigen n n artigen Thun und Lassen. Mit dem heutigen Tage beschließen wir die Reihe der Feiertage dieses Monats. Die sonnigen Tage der Jahreszeiten sind dahin, die Stürme melden die Ankunft der trüben Tage des Winters. Trübe, nicht für den, der für den Winter wohl versorgt ist, aber trübselig für die, für welche die freundlichen Tage des Sommers nnd des Herbstes keine sonnigen waren. Für diese wirds nun Abend nnd Nacht. Jhr, Wohlhabenden, habt schon an den sonnigen Tagen die Saat der Wohlthä tigkeit gestreut. laßt auch für den Abends eure Hände nicht ruhen. Für das große Elend reichten eine und zwei und drei Aussaaten nicht aus. Der Verstand denkt consequent, das Herz ist in seinen Gefüh len inconsequent. Barmherzigkeit und Mitleid kommen aus dem Herzen. Und was ist inconseqnenter als Barmherzigkeit und Mitleid? Wehe den Armen, wenn sie der scharfen, kalten Consequenz des Verstandes preisgegeben wären! das con sequente Denken würde an Wenigen was übrig lassen, was Anspruch auf Hülfe hat. Jn der Wohlthätigkeit ist Conse que113 keine Tugend. Beim Anblick der »Noth seid auch hin und wieder inconse s quent. Gott segne eure Früh-— und Spät Ernten, die Saat des mannichfachen Gu ten, die ihr gestreut. Gott schütze euch vor Noth Und segne die, welche nicht in Noth sind, mit Herzen, voll der Barm herzigkeit nnd des Mitleides mit denen, die es sind. Amen! ---—--— Aus dem Leben Friedrichs des Großen. Aus dein Mainzer ,,J:«;raelit.« Es sind eben acht Tage her, da führte mich ein freudiges Fainilienereigniß nach meiner Vaterstadt Atolap. Mein Groß vater feierte sein 80. Wiegenfest und seine goldene Hochzeit. Es samtnelten sich Kinder und Kindeskinder um das theure ;Greisenpaar, und entboten ihre kindlich innigen Wünsche. Beim fröhlichen Fest essen hatte jeder das Bestreben irgend ein Donmot, eine interessante Erzählung 2c. zum Besten zu geben. Nach vielem Sagen und Hören ergriff eine meiner liebwerthen Consinen das Wort, und erzählte die im ,,Jsraelit« — Jahrgang 80 Nr. 50 --— veröffentlichte Geschichte: »Aus dem Le ben Friedrichs des Großen.« Mit sicht lichem Interesse hörte der altehrrv Greis diese spannende Erzählung an, und als diese zu Ende war, lohnte er die Bemü hung der Vortragenden mit der Versiche rung seiner Vollkommenen Befriedigung» Doch aber, fügte er lächelnd hinzu, ich will Dir sofort Revanche bieten, auch mir ist von dem ,,großen König« eine Sage bekannt. Hierauf begann er: Jn Steglitz wohnten dereinst zwei acht bare Juden, die sich mit einander verschwä gern wollten; allein sie waren beide arm, und der Brautvater hatte schon viele schlaf lose Nächte, es quälte ihn die Sorge, wie er die zugesagte Mitgift von 500 Thalern aufbringen werde. Eines Tages ent schloß er sich den Versuch zu wagen, in der Hauptstadt an den angeerbteu Wohl thätigkeissiun seiner Glaubensgenossen zu avpelliren. Mit dem Felleisen auf dein Rücken ergriff er den Wanderstab. . . . Er vermochte nunmehr eine halbe Stunde von Berlin entfernt gewesen sein, da kam auf hohem Roß ein vornehm aussehender Herr geritten. Der arme Jude lüftete in gewohnter Weise ehrerbietig seine Kopf bedeckung und grüßte höflich. ,,Woher des Weges ?« rief der Reiter ihm zu. »Aus Steglitz, mein guädiger Herr,« war des Armen bescheidene Antwort. »Und wohin?« war die zweite kurze Frage. »Ich bitte, Ew. Gnaden, ich gehe nach Berlin.« »Und was dort ? etwa hausirenl« Bei diesen Worten begann das Herz des Armen rascher zu schlagen, Furcht und Hoffnung wogten auf und ab in seiner Brust. Da dachte er bei sich, ich will dem Herrn mein Vorhaben eröffnen, er scheint der Geldaristokratie anzugehören, (GarV vIeie haH det Herr zu Vollführern seines Willens sich erkoren), vielleicht erleichtert er durch einen milden Beitrag meine drückenden Sorgen. Und so erzählte er mit allen Details den Zweck seiner Reise. »Ich heiße Schetnuel Rothkopf, und habe eine heirathsfähige Tochter, die mit, einem thorabeflissenen Jünglinge meines Nachbars SothakobL Ieißschild verlobt wurde Der Eheschließung steht aberi noch ein bedeutendes Hinderniß entgegen: i es fehlt mir eben noch das Bischen schwere Geld zur ,,Nedan« d. h Mitgift, und bei uns Juden gilt dasd Sprichwort: Ohne Geld ist keine Chass unoh (Hoch3eit) « ,Wie viel ist denn dem Bräutigan zu gesagt worden?« »Ich bitte Unterthänigst, ich habe ihm 500 Thaler zugefagt.« «Fünfhundert Th alerl Sap perlott!« »Wie darf man versprechen, was man doch kaum halten kann-k« »Gnädiger Herr leben, wie viel hätte ich denn versprechen sollen? Etwa 500 Pfennige ? Jch habe ja auch diese nicht. Muß ich doch nur vertrauen auf den ein zigen Gott, daß er mir verhelfen wird zu dem, was ich brauche, und nicht habe, wozu sollte ich vertrauen, daß Gott mir zu 500 Pfennigen verhelfen wird, so ver traue ich lieber, daß er mir zu500 Thlrn. seinen hinnnlischen Beistand leisten wird.« »Mir will diese Logik nicht zusagen. Doch ich frage, ist’s denn gewiß, daß die Berliner Juden ohne Weiteres die 500 Thaler kollektiren werden, um ein armes Judenmädchen unter die Haube zu brin en?« »Ach hoher Herr, verbriefen kann ich’s nicht, aber ich hoffe, Gott wird helfen, wenn auch nicht in einem Tag, in einer Woche, in einem Monate, aber Iuitder Zeit will ich mit Gottes Hilfe durch guter Menschen Beistand die Summe beisam men haben. Bei uns Juden gehört die Ausstattuug der Bräute zu den vorzüg lichsten Wohlthätigkeitswerken, diese Tu ;gendübung gewährt nach dem Aussprnche Yunserer Weisen, dem Nienschen einen Ge nuß schon in dieser Welt, und ist ein blei bendes Gut für das zukünftige Leben.« »Und wird mit dein Aushiingeichild ,,zur Ausstattung der Bräute« nicht auch Mißbrauch getrieben!« « Doch das edle Roß ward ungeduldig unter ihm, hastig greift der Reiter in eine Seitentasche, holt aus derselben eine Karte und einen Bleistift, schreibt einige Zeilen in lateinischer Sprache-, reicht dem armen Wanderer zwei Thaler, und sagt: »diese Karte bitte ich dem Wachmanue bei dem Stadtthore zu überreichen.« Dann rief er: ,,Vorwärts Kaunitz!« (So hieß sein Lieblingspferd) das er eben ritt. Und weit weg trabte das Roß mit dem Reiter. Jn gehobener Stimmung schritt Sche muel Rothkops dem heutigen B r a nd e n b u r g e r Stadtthore entlang, konnte er auch den geheimnißvollen Inhalt der we nigen offenen Zeilen nicht entziffern, so schien es ihm doch eine wohlwollende Pro tektion zu sein. Freudestrahlend entle-« digte er sich seiner Mission und hoffte, daß der Thorwächter ihm die Pforten des Glückes eröffnen werde. Allein wie bitter war feine Enttäuschung Der Thorwäch ter, der gleichfalls Cicero nie im Urtexte gelesen, da auch ihm die lateinische Sprache ein ten-a incogniia war, verwies den Ueberreicher an die Stadthauptmannschaft. Hier war die ,,ossene Karte« kein »ver siegeltes Buch« mehr. Der Obertribu nalsrath Hübener blickte erstaunt Von der Karte aus Schemuel, von Schemuel auf die Karte, er traute feinen Augen nicht, und doch waren sie deutlich und in unzwei deutiger Form niedergeschrieben die Worte : »Ich ordne an, daß Ueber reicher Scheuiuel Rothkopf aus Steglitz unverzüglich ver haftet, und bis auf weitere V erfügung eing ekerkert werde. Friedrich. Der sAermste wurde dingsest gemacht, es half ihm kein Bitten, kein Flehen, er ward zwei handfesten Polizeimännern übergeben, die ihn virjbus unjus in Ge wahrsam brachten. Erftöhnte, jammerte, klagte laut in den Gassen und Sraßen, die er auf seinem unfreiwilligen Gange nach dein Strafhause passireu mußte. sein bittrer Angstruf zog wohl manche Jstaeliten herbei, doch keiner hatte den Muth dein Ungliicklicheu in die diistere Zelle zu folgen. Noch am Abende des selben Tages verbreitete sich wie ein Lauf feuer die Schreckenskunde, daß der eingezogene Jnde auf den allerhöchsten Befehl zum Tode durch den Strang verurtheilt wordensei. « Trauer und Kummer kehrte ein in die Wohnungen der Berliner Juden, alles raffte sich auf zur helfenden, rettendeu That. Jm großen Lehrfaale (Beth-ha Midrafch) des Rabbiners David Fränkel versammelten sich die hervorragendsten Gemeindemitglieder, um m berathen, wie von dem Unglücklichen Glaubensgeuossen das hurrible Urtheil und von der Ge meinde, die hierdurch entstehende Chilul ha-Sche1n abgewendet werde. Auf An trag eiues Gemeindeältesteu wurden drei Personen damit vertraut, kein Mittel un versucht zu lassen, um in die Zelle des Verurtheilten zu gelangen uud sein Ver gehen zu erforschen. Bestiirzt jedoch kamen die Delegirten in den Berathnngssaal zurück, sie berich teten, daß der Kerkermeister durch nichts zu bewegen war, ihnen Einlaß zu gewäh ren; doch aber berichte-ten sie weiter, nach langem Bitten hat er uns eine wichtige Enthüllng gemacht. Der Kerkermeister sagte nämlich: ,,Jhn selbst habe die Neu gier geplagt, was wohl den gerechten und uachsichtsvollen König zu solch schreck lichem Entschlusse veranlaßt haben mag; doch die Lösung lag seiner tiefsten For schung fern, und da entschloß er sich in die finstere Zelle hinabzusteigen und den Deliquenten selbst nach seinem Verbrechen zu befragen. Aber sagt er, von dem Juden war nichts Positivesz herauszubrin gen. Verdächtig erscheinen nur bloß seine » öch.ußworte, wonach der ihm unbekannte Herr, von dem er auf der Straße ange halten cvurde, ihn nach der Reise gefragt, worauf er geantwortet, er biete seinen Glaubensgenossen »ein Geschäft an, das ihnen Genuß sichert in dieser Welt, und wahres Heil im zukünftigen Lebeu.« Dies meinte der Haftling, — der von dem ihm bevorstehenden Tode noch keine Ahnung hatte, — diese Zchluszäußerung habe nach seiner Vermuthuug den Herrn ernst ge stimmt, er habe ihm hierauf zwei Thaler und dem ihm geheimuiß- und verhängniß vollen Jerhaftgbefehl übergeben.« (Scl)luß folgt.) Civilstand d er Jsraeliten in Algerien. Ueber den Civilstand der naturalisirten Algerischen Jsraeliten während des Jahres 1877 bringen die folgende Notizen: Dfie Zahl der im Jahre 1877 durch die naturalisirten Jsraeliten geschlossenen Ehen belänft sich auf 333, und zwar 328 zwischen Ju den und Jiidinnen, 3 zwischen Juden nnd Christinnen und 2 zwischen Christen nnd Jüdinnen. Eingetragen wurden 1800 G eburt en: 959 Knaben und 841 Mädchen. Die Zahl der Todesfälle war 1188, wovon 176 Männer, 175 Frauen, 451 Knaben und 386 Mädchen. Die Geburten übertraer daher die Todesfälle Um 612. Es waren also 66 Todesfälle auf 100 Geburten, Während bei der Be völkerung im Allgemeinen ausschließlich des Militärstandes 85 Todesfälle auf 100 Geburten kommen. Bekanntlich wieder holt sich diese Erscheinung, welche die durchschnittliche Lebensdauer bei den Ju den viel höher stellt, als bei anderen Völ kerstäminen in vielen anderen Ländern. Me nsch un d A f f e. Jn der letzten AnthropologemVersammlung in Kiel, 14. August, wies Virchow auf große Schädel »bilder der anthropoiden Affen eines Mi crocephalus nnd einer Australierin hin, um den großenAbstand zu zeigen, der noch das höchste Thier vom niedrigften Men schen trennt. lAllg Z. d. J.) \n\n ‘‘Arch. isr. ’