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Ohio Waisenfreund. [volume] (Pomeroy, O. [Ohio]) 1874-1953, December 08, 1875, Image 2

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2. Ohio Waisenfreund.
Acs Kindes Hebet.
(Historische Erzählung.)
E i n e i u n
or kurzer Zeit ist der deutsche Kaiser
Wilhelm, der Katholikenverfolger,
nach Mailand gereiset, um den Räuber
könig Vittor Emanuel zu besuchen. Das
zweite „Ich" des Kaisers nämlich Bis
marck, ist zu Hause geblieben. Der preir
ßische Kaiser hat den Räuberkönig nicht
in seinem Hause besucht, das in Rom
sein soll, wo der Papst wohnt, sondern
in Mailand, der großen Hauptstadt der
Lombardei. Es ist überhaupt noch kein
Potentat außer dem Rauberkönig nach
Rom gekommen, seitdem diese Stadt dem
Papste gestohlen wurde. Die Wahl des
Platzes der Zusammenkunft des Katho
likenverfolgers Wilhelm, früher Kartät
schenprinz genannt, und des Räuberkö
nigs von Italien ist in der That merk
würdig. Wie viele gefallene Größen
waren nicht schon in Mailand! Im
Jahre 1748 wurde Maria Theresia mit
großem Pompe in Mailand empfangen
und die Mailänder schrieen: „°Es lebe
unser ,König' Maria Theresia." Dar-
nach kam Joseph der Zweite nach Mai
land. Im Jahre 1790 kam Leopold
der Zweite in jene Stadt und die Mai
länder prägten eine Medaille zu seiner
Ehre. Dann kamen die Franzosen die
bald abziehen mußten um den Oester
reichern und Russen Platz zu machen. Im
Jahre 18Ö5 kamen die Franzosen aber
mals und Napoleon mit Josephine zogen
triumphirend in Mailand ein. Wie bei
diesem Einzüge in Mailand das Gebet
eines Kindes mehr Macht hatte, als der
große Napoleon mit all' seinen Soldaten
erzählt die nachfolgende Geschichte. Im
Jahre 1815 kamen die Öesterreicher wie
der nach Mailand und Franz der Erste
zog triumphirend dort ein. Im Jahre
1818 kam Rainer als Vicekönig dorthin
und im Jahre 1838 wurde Kaiser Ferdi
nand als König in der Cathedrale von
Mailand gekrönt. Später war Carl
Albert der Held und im Jahre 1859 zog
der letzte Napoleon an der Seite des
Räuberkönigs in die Lombardenstadt.
Und nun im Jubeljahre 1875, da Napo
leon längst im fremden Lande gestorben
ist, geschlagen und besiegt vom Kaiser
Wilhelm, nun kommt dieser selbe Kaiser
zum Besuch desselben Räuberkönigs nach
der Stadt Mailand. Wer wird später
kommen und was wird das Schicksal der
jetzigen gekrönten Gäste Mailands sein
Nach dieser Einleitung fangen wir unsere
Geschichte an.
I.
E i n e a e a i i e
Die milde Nacht des Südens hatte
ihren Sternenmantel ausgebreitet. Ein
weiches duftiges Licht des Vollmondes
lag über den Dörfern und jenen Hügeln
mit den prächtigen Villen, welche sich
zwischen zahllosen Gärten in der Gegend
von Brianza an der Straße von Bella
gia nach Mailand emporheben. Dort
wimmelte es, trotz der späten Stunde von
Menschen. Thieren und Fuhrwerken aller
Art, welche langen Reihen von den
rückwärts glänzenden Alpen bis zu den
Finthen des Comer-Sees herab in das
Paradies der Lombardei vorüberzogen,
in das Land herab dessen Hanptstadt
eben ein Fest sehen sollte, wie sie seit
langer Zeit keines mehr gesehen hatte.
Es war die Nacht vor dem 26. Mai
des Jahres 1805.
Alle Corsas der großen Hauptstadt
der Lombardei wimmelten von Menschen
und Fuhrwerken das Wunderwerk der
Welt, der prächtige Dom war Hnnen
und Außen mit verschwenderischer Pracht
geschmückt, denn es galt am nächsten Tage
großes Fest in demselben und in der
Hauptstadt Mailand zu feiern, dessen
Bedentung für alle Bewohner der Lom
'bardei wie für ganz »Europa eine hohe
war denn am Tage des hl. Philipp
sollte der Kardinal Monsigniore Eaprera
die eiserne Krone von Monza auf das
lorbeerumschlungene Haupt des Mannes
setzen, der, wie seine damaligen Lobredner
sagten, sein Genie und seinen Ruhm auf
bot, um der Halbinsel Italien eine große
Zukunft zu bereiten des Mannes, dessen
Namen damals ganz Europa erfüllte und
auch im fernenAfrika, Asien und Amerika
mit Bedentung genannt wurde, weil er
mit starker Hand in die Geschicke der
Staaten dieser Erdtheile eingriff:
des mächtigen Kaisers.her Franzosen
N a Po
I
eon Bo no a r.t e.
Während auf den öffentlichen Plätzen
und Gassen Mailands sich die wogende
Menge drängte und die Nacht voll Leben
und Lärmen zum Tage geworden zu sein
schien, saß in einer der entlegensten
Stadtgegend vor einem kleinen Häus
chen, "welches an den prachtvollen Lust
garten einer Villa stieß und mit seinen
verwitterten und bemoosten Mauern gar
sonderbar gegen das mit Marmorbüsten
aller Art verzierte Säulenwerk des er
wähnten großen Landhauses abstach, ein
kleines blasses Mädchen von etwa sieben
Jahren mit einem Lockenköpfchen und
schönen blauen Augen welche wie vom
anften Thane befeuchtet schienen denn
)os liebliche Kind blickte gar traurig vor
ich nieder und hielt die weißen Hände
im Schooße gefaltet, während ein Bolog
tiefer Hündchen zu den Füßen des Kin
des spielte und schmeichelnd emporzuklet'
tern suchte.
Das bleiche Kind merkte Nicht, daß sie
schon eine geraume Weile von zwei Män
nern aufmerksam betrachtet würbe. Der
eine voN kleiner Statur, in einen grauen
Soldatenmontel gehüllt, hatte ein fahles
ausdrucksvolles fast viereckiges Gesicht,
aus welchem ein Paar schöne, helle Augen
blitzten, aus seinem Haupte saß ein kleiner
einfacher Soldatenhut der andere trug
gleichfalls einen dunklen jedoch blauen
Mantel, zwischen dessen rothen Aufschlä
gen ein fast noch jugendliches Gesicht
hervorblickte. Auch seine feurigen Augen
ruhte» auf dem Kinde.
„Ein liebliches Kind," sagte jetzt der
Erstbezeichnete dieser Männer. „Was
machst Du hier Kleine fragte er in
wohlklingendem italienischem Accente.
Das Mädchen blickte fast erschrocken
empor.
„Gebetet habe ich", erwiderte sie ', die
frommen blauen Augxn auf die Frager
richtend.
„Und für wen" fragten diese.
„Nun für wen Andern", entgegnete
die Kleine, „als für die Eltern die Ge
schwister Und
Hier stockte das Kind.
„Nun für wen denn noch?" fragte der
Mann im grauen Mantel.'
„Für den König", war dje Antwort.
„Für welchen König?" forschte der
Graue weiter, und die fast mit Stolj
sprochene Antwort erfolgte rasch
„Für den König, für welchen der Va
ter uns beten gelehrt! der morgen in
unserem großen Dome gekrönt werden
wird."
„Wer ist Dein Vater, und.wie nennst
Du Dich, mein liebes Kind?", fragte der
Graue jetzt mit erhöhtem Interesse.
„Ich bin das Kind des Malers Giu
seppe Falconiere" entgegnete das Mäd
chen, „wir wohnen im Häuschen hier^"
„Und seid wohl arme Leute
tolz ge-
V,
meinte
der Graue, „das scheint Dein fadenschei
niges Röcklein und Dein bleichesGesicht
chen, mein liebes Kind, auszudrücken."
„Ach ja/' erwiderte die Kleine, das
Köpfchen senkend, „wir stNd 'VeH!
„Nun," sagte der Graue, „da Du aber
so fromm bist und täglich für den König
Seiest, den sie morgen krönen werden so
will ich Dir als Belohnung für Deinen
frommen Sinn und für Dein Gebet ein
kleines Geschenk machen."
Der Graue zog bei diesen Worten ein
Goldstück aus feiner Tasche und hielt es
dem Mädchen vor aber die Kleine machte
jetzt ein ernstes Gesicht und schüttelte das
Köpfchen.
„Wir sind keine Bettler, ©ignore",
sagte sie, indnn eine hohe Röihe über ihr
blasses Wtlitz fuhr, „nur die Bettler an
den Kirchthoren lassen sich ihr Gebet be
zahlen wir beten aus gutem Herzen für
unsere Wohlthäter und mnsern
und nur ein solches Gebet kann ihm «ü^
tzen!"
Nach diesen Worten stand die Kleine
rasch auf und verschwand mit einer Ver
beugung im Innern des Häuschens.
Der Mann im grauen Mantel und sein
Begleiter blickten einander aber höchst
überrascht an. Lächelnd sagte der Erstere
in französischer Sprache: „Hat man
ein stolzeres Kind der Armuth gesehen?
par Dieu! diese Klein« könnte den
Großalmosenier manches Kronenträgers
beschämen. Sie will für den König beten
aber sich ihr Gebet nicht bezahlen lassen.
Eh bien vorwärts! treten' wir dem
Kinde nach in dies Häuschen, wir müssen
diese arme Familie näher kennen lernen."
Aber der junge Begleiter des Granen
zog jetzt seine Uhr hervor „Wir müssen,
wenn wir unerkannt bleiben wollen, un
fern geheimen Spaziergang durch die
Straßen abkürzen, Onkel" sagte er mit
halbleiser Stimme, „sehen Sie, daß man
uns bereits beobachtet."
Wirklich naht? sich von der entgegen
gesetzten Seite eine größere Patrouille
von französischen Gensdarmes. Ihr rasch
entweichend
y
waren die beiden Männer
im nächsten Augenblicke hinter den nahen
Rosenhecken verschwunden.
In dem ärmlichen Häuschen aber, in
welches das kleine bleiche Mädchen ge
schlüpft wax, saß das liebliche Kind jetzt
auf dem Schooße feiner Mutter neben
dem Vater, dem armen Maler Giuseppe
Falconieri, welcher, ein Corsikaner von
Geburt, früher in besseren Verhältnissen
gelebt hatte, durch die Kriege in Italien
alier um seine wenigen Ersparnisse ge
kommen war und nun außer seiner treuen
Gattin Clara und seinen drei Kindern
keinen andern Schatz in seiner Familie
zählte, als seinen Glauben, seinen schönen
seligen Glauben an die allwaltende Vor
sehung an die erbarmende Liebe des
allerheiligsten Erlösers der Menschheit,
dessen Bildniß auch an diesem Abende
vor der kleinen Familie hing, als diese,
fern vom Getöse der bereits im festlichen
Schmucke prangenden Hauptstadt, nun
den Abendsegen betete.
Es war ein schönes rührendes Bild,
wie der arme und doch so reiche Vater
neben seiner Lebensgefährtin im Kreise
seiner Kinder saß und mit ihnen von der
Macht und Güte deff Erlösers sprach, sie
d/nselben verehren lehrte, und Wie das
jüngste rer Kinder, die eben in's Häus
chen zurückgekommene, liebe, blande Cä
cilie, mit gefalteten Händchen auf dem
Schooße ihrer Mutter faß und den Seh«
ren des Vaters zuhorchte, der das Kind
das schöne Gebet des, Herrn beten ließ
und die Gebote Gottes hersagen lehrte.
Dann erzählte der gute Vater seinen
Kindern die schöne biblische Begebenheit,
wie der Heiland am Oelberge in der
Stunde vor seinen Leiden auch auf feinen
hirnrnlifchenVater vertraute und zu feinen
Jüngern, die ernsten Worte sprach:
„Wachet und betet!"
Die Kleinen hörten dem theueren Va
ter aufmerksam zu bis allmälig: der
Schlummer jie begleichen begann.
i U i 5.
So war.die Nacht'vollends herabge
sunken und die ganze Familie begab sich
zur Ruhe.
Cäcilie lag in der Nebenkammer und
lauschte noch mit kindlicher Freude den
Worten der Mutter, welche dem geliebten
Kinde von dem heiligen Schutzengel er
zählte, der an dem Bettlein frommer
Kinder Wache halte und sie beschütze tför
allen Gefahren. Al£ die Kleine von öeW
süßen Worten eingewiegt, endlich in den
Schlaf sank, da drückte ihre Mutter noch
einen sanften Kuß auf des Kindes Lippen
und schritt nun nach dem eigenen Lager
zu um nach des Tages Mühen die ex^
quickende Ruhe zn .genießen.
Draußen aber vor dem offenen Fenster
flötete eine Nachtigall ihr sanftes Abend
lied in dem anstoßenden Lorbeerhaine,
.der zu einem großen Garten' des Cardi
nals Caprera gehörte, zu einem Gartenj.
d.er ein zweites Paradies: zu sein schiert.
Jetzt schwebte gleich einem riesenhaften,
zitternden Rubin der volle Mond am
hohen Himmel, streute fein Silberlicht
über die reizende Flur und blickte recht
freundlich auch durch das offene Fenster^
auf die kleine Schlafstätte,beleuchtete min
mit seinem vollsten Glänze das rosige
Gesichtchen der Kleinen und schien an
der niedlichen Schläferitt einen solchen
Gefallen zu haben daß er mit seinem
vollen Lichtstrahle endlich dem Kinde die
lieben Augen öffnete. Das gute'Kind
zählte wohl erst das siebente Lebensjahr
aber es hatte bereits das volle Verständ
niß der traurigen Lage seiner Eltern und'
da der verscheuchte Schlaf nicht mehr
kommen wollte erhob er sich von seinech'
Lager, schlich auf den Zehen zum offenen
Fenster, kniete im weißen Nachtkleidchen,
lieblich wie ein kleiner Engel nieder, hob,
während der sanfte Nachtwind mit seinen'
goldenen Ringellocken spielte, seine klarin'
blauen Augen und die gefalteten feinen
Hände zum sternvollen Himmel empor
und begann mit halblauter, lieblicher
Stimme das Vater Unser zu beten. Im
mer inbrünstiger wurde ihr kindlich^
Gebet während der strahlende Mond sein
Silberlicht- fote einen Heiligenschein um
das Lockenhaupt der Kleinen legte.
U n v e i u n s u n s e e
Schulden ", betete sie, „u n e
u n s n i ch in V er fit ch u n g, son
dern erlöse uns von dem Uebel—"
Horch ein tiefer banger Seufzer, der
aus dem innersten Herzen zu kommen
schien, antwortete dem Gebete des Kindes.
Cäcilie hielt iime. W(ü war das
hatte ihre liebe Mutter im tiefen
Schlafe aufgeseufzt?— Doch nein, die
arme gute Frau lag sanft und ruhig, auf
ihrem Lager und träumte vielleicht von
dem künftigen Glücke ihrer theuren Kin
der. Es war wohl das Rauschen des
Blattgeflechtes der fichtenähnlichen Pen
dane, welche mit ihren schilfartigen Blät
terbüscheln und der pyramidalen Kroni
wohl an dreißig Fuß boch zwischen den
zierlichen Pitangosträuchen mit den klei*
nen, weißlichen Blüthen und den dunkel-'
rothen, säuerlich-süßen Beeren neben der
lieblichen Myrthe und dem wunderlichen
Perrückenbaume aus Madeira als eine
seltene Zierde dieses Lustgartens vor dem
Fenster emporragte.
Die Kleine beruhigte sich wieder und,
begann jetzt, da der Schlaf nun einmal
von ihren Augen gewichen war, das, to(i§
sie der gute Vater eben eine Stunde vor
dem Schlafengehen gelehrt hatte, herzu
lagen, um sich Alles noch einmal recht.uffi '...
Gedächtnis einzuprägen." Cäcilie machte
den Anfang mit den zehn Geboten Got
tes und sie wiederholte mit lauter S^Mme'
das erste und zweite Herselben-, und. so fort'...
bis zuln. fünften *,$) u s o II st Ii
i ch
tödten und „D u s o st n i ch i
tödten erschallte es mit Heller, fast
weinerlich und grausenhäft klingender
Hümme unten, im Gebüsche des Gar»

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