OCR Interpretation


Ohio Waisenfreund. [volume] (Pomeroy, O. [Ohio]) 1874-1953, October 09, 1940, Image 10

Image and text provided by Ohio History Connection, Columbus, OH

Persistent link: https://chroniclingamerica.loc.gov/lccn/sn91069201/1940-10-09/ed-1/seq-10/

What is OCR?


Thumbnail for

10
(Schluß)
„Ich komme nur auf eiuen Eugeiv
BTidE im Vorbeifahren herein, Frau
Professor, um Sie zu bitten, Eva Ma
ries Zimmer instand setzet! zu lassen.
Me kehrt in nächster Zeit zurück."
Frau Delius taumelte einige Schrit
te zurück. Ihr Gesicht verzog sich zu
einem freudigen Grinsen.
,,'D mein Gott, mein Gott! Haben
.We das liebe Kind gefunden? Wird
mm alles wieder gut? O du lieber
Himmel, die Freude macht mich ganz
taumelig! Also gefunden, gefunden!
Ach, doch endlich wieder eine frohe
Nachricht, Herr von Lehden! Sie ah
ttett nicht, was ich gelitten Habe, ich
bin ganz elend."
Armin Ivor kaum imstande, feine
Möschen zu verbergen.
„Sie können vielleicht zur Erholung
Me Kur gebrauchen, Frau Professor.
Sobald Eva Marie zurückkehrt, wird
unsere Hochzeit stattfinden. Und dann
hält Sie ja nichts mehr hier fest. Un
sere alten Abmachungen bleiben na
türlich bestehen. Jetzt muß ich aber
gehen, die Pferde vertragen langes
Warten nicht. Adieu, und bitte, for
gen Sie, daß Eva Marie alles bereit
findet."
„Gewiß, gewiß! Ach die^ Freude!
Das gute Kind! Adieu, mein lieber,
lieber Herr von Lehden, adieu!"
Armin eilte hinaus und schüttelte
sich förmlich. Als er wieder im (Schiit*
ten saß und mit Scheveking davon
fuhr, sagte er mit finsterer Miene:
„Haben Sie jemals gemerkt, daß
daß diese Frau trinkt?"
Er zeigte mit der Hand über die
Schulter zurück. Scheveking zog die
buschigen Brauen düster zusammen.
„Ja, Herr, dies Weib besitzt wohl
alle Laster. Mein alter Freund, der
Professor, hat mir mal sein Herz aus
geschüttet. Mit dem Trinken hat sie
angefangen, als sie das Vermögen in
alle Winde zerstreut hatte. Na da
ist bald nichts mehr von der früheren
Schönheit übergeblieben, und den Pro
fessor hat mehr der Grant und der
Ekel umgebracht, als seine Krankheit."
Armin seufzte.
„Arme Eva Marie! Was mag sie
dabei empfunden haben! Kein Wim
der, daß sie sich mit jeden Preis von
dieser Frau lösen wollte."
„Sie hat es ja auch Ihrem Bater
in die Hand versprechen müssen, nach
seinem Tode sich von der Alten zu
trennen", brummte Scheveking. Nach
einer Weile aber knallte er mit der
Peitsche/.
„Weg mit dem Bilde, Herr! ßofjcr
wir uns die schöne Gotteswelt nicht
durch solch ein Greuelweib vergällen.
Sehen Sie, da oben guckt unser Burg
werben wie ein alter grauer Riese aus
dem weißen Schnee heraus. Dillen
berger wird gut, für warme Zimmer
gesorgt haben und Mamsell für ein
gutes Essen."
Eine Viertelstunde später fuhren sie
Ipjt Schloßhof ein.
Als Scheveking seinen Pelz abge
legt und die schweren Stiefel gegen
leichtere eingetauscht hatte, ging er
hinunter und klopfte an die Küchen
tür. Mamsell fuhr mit dem Kopf her-
V „Was gibt'S, Inspektor!"
„Na, man dalli, dalli, Mamsell!
Der Herr hat Hunger, das können
Sie sich wohl an den Fingern abkla
vieren."
Mamsell nahm ihre herausfordern
de Lieblingsstellung, die Arme itf die
Hüften gestemmt, ein.
„Auf Sie habe ich gerade noch ge
wartet, um das zu erfahren! Mischen
Sie sich man bloß nicht in meine Kit
chenangelegenheiten, ich bekümmere
mich um Ihre Ställe auch nicht! Das
Essen ist längst aufgetragen. Nun ma
chen (sie man fchnell, dann kriegen
Sie auch noch was ab!"
Und knall flog die Tür zu.
Scheveking trollte breitbeinig, aber
seelenvergnügt davon, mit seinem
Herrn bei Tische, wie immer. Gesell
schaft zu leisten. Als er am Küchen
feilster vorbeiging, öffnete es Mamsell
halb.
„Essen Sie nicht zuviel von dem
Schmorkohl, Inspektor, sonst wird es
Ihnen wieder fladderig ßW Magen",
rief sie hinaus. •,
„Dann setze ich einen Pomeranzlikör
darauf, Mamsell. Sie sind ja froh,
wenn einer von dem Zeug trinkt."
„Sie sind 'n altes Kamel, Jnfpek
tor."
„Und Sie sind*« junge Karnickel,
Mamsells"
Das Fenster wurde geschlossen, und
Scheveking durchquerte im schönsten
seelischen Gleichgewicht den Hof. Marn
sell sah ihm vergnügt nach, bis er ver
schwunden war. Dann trat sie an den
Schrank, in dem sie den Likör aufbe
wahrte, nahm eine Flasche heraus,
schüttelte sie und hielt sie gegen das
Licht.
„Heute reicht es noch aus, morgen
muß ich eine frische Flasche aufrna
chen", dachte sie friedlich, im Geiste
mit dem leiblichen Wohl ihres Fj^un
des Scheveking beschäftigt.
s
Mehr als vierzehn Tage waren ver
strichen-fett jener Unterredung zwischen
Armin und Eva Marie. Das junge
Mädchen nahm jetzt eilte ganz andere
Stellung im Hause des Herrn von
Soltenau ein. Dora war ihr mit of
fenem Werben um ihre Freundschaft
begegnet, der Hausherr kam ihr mit
jovialer Freundlichkeit entgegen, und
die Kinder geizten mit jeder Stunde
des Beisammenseins, seit sie voll
Schrecken vernolnmen hatten, daß Eva
Metrie fortgehen wollte.
Ein sehr herzliches Verhältnis hatte
sich zwischen Frau von Soltenau und
Eva Marie herausgebildet. Die kluge
und gütige Frau hatte es verstanden,
sich das Vertrauen des jungen Mäd
chens zu erwerben. Und Eva Marie
-empfand es als etwas Köstliches, die
ser mütterlichen Freundin das ganze
Innere erschließen/zu dürfen. Ihr
ganzes Leben entrollte sich vor ')cr
vornehmen Weltdame, die sich die
Klugheit und Herzlichkeit eines guten
Menschen im Gesellschaftstrubel und
in ihren kleinlichen Sorgen bewahrt
hatte. Von ihrem geliebten Vater
sprach sie mit inniger Verehrung. Von
der Stiefmutter mit Grauen und Ab
neigung. Und dann beichtete sie die
Geschichte ihrer Liebe und ihrer
Flucht. Und feilt und verständnisvoll
wußte Frau von Soltenau den wieder
gefundenen Glauben an Armins Liebe
in ihr.zu stärken.
Eva Marie war entschlossen, nach
Burgwerben zurückzukehren, sobald
Ohio Waife«fre»«d Mittwoch, be» A. 0ft»6cr1940
für sie Ersatz gefunden war/ Frau v.
Soltenau erbot sich vergebens, sie schon
früher zu entlassen. Eva Marie wollte
nicht fahnenflüchtig werden. Erst soll
te eine neue Erzieherin für die Kinder
ins Haus kommen, dann wollte sie
heimkehren.
Als Dora ihr vorstellte, wie sehn
süchtig und unruhig Armin auf sie
warten würde, lächelte sie errötend.
„Wenn er mich liebt, wie ich ihn,
dann ist er nicht in Unruhe, dann weiß
er, daß ich komme", sagte sie fest.
Dieselbe Antwort erhielt auch Rip
pach auf fein Drängen. Er kam fast
täglich, seifte Braut zu besuchen. Daß
er sich nicht versagen konnte, seinem
Freunde die tröstliche Kunde zu senden,
daß Eva Maries Heimkehr nur eine
Frage der Zeit sei, ist selbstverständ
lich.
Die beiden Kinder hatten nun auch
erfahren daß der ,Onkel Lehdens liebe
Braut' war. Das gab einen Jubel oh
ne Ende. Und Eva Marie mußte im
mer wieder von Burgwerben erzählen.
Daß sie nun jeden Sommer ihre ge
liebte Eva Marie besuchen würden,
wurde ganz fest ausgemacht, und Rip
Pach machte anch schon jetzt für Dora
und sich Quartier fiir die Ferienzeit.
Frau von Soltenau suchte eifrig
nach einem Ersatz für Eva Marie, die
unbeirrt trotz aller gebotenen Freund'
schaft und Vertraulichkeit ihren einmal
übernommenen Pflichten nachkam.
Endlich war eine Dame gefunden,
die leidlich den gestellten Anforderun
gen entsprach, und Eva Marie rüstete
zur Heimreise.
Rippach und Dorch sowie die 6ci
den Kinder gaben ihr das Geleite
nach dem Bahnhof. Der Abschied von
den beiden dunkellockigen Mädchen fiel
ihr sehr schwer, hatte sie doch die Liebe
der beiden Mädchen als einen Trost
in kummervollen Stunden empfun
den. Die weichherzige Elfriede weinte
leise in sich hinein, und Margarete
biß die Zähne auf ein Taschentuch,
als der Zug davonfuhr. Eva Marie
sah mit feuchten Augen auf die Kinder
zurück und winkte. Döra und Rippach
herzlich zu..
Auf Eva Maries ausgesprochene
Bitte hatte es Rippach unterlassen,
Armin den Tag ihrer Abreise mitzu
teilen. Um den Jammer seiner klei
nen Schwägerinnen 311 mildern, ließ
er bei Josti halten und besuchte mit
ihnen das Cafe. Da wurde der Kumv
mer mit Schlagsahne betäubt.
Armin hatte mit Frau Professor De
lhis vereinbart, daß sie sofort die
Magd nach dem Schlosse schicken solle,
wenn Eva Marie eingetroffen sei.
Trotzdem fuhr er fast täglich am Häus
chen vorbei, um sich selbst zu überzeu
gen. Der erste Schnee war zur Hälfte
wieder weggetaut. Darauf hatte sich
Kälte eingestellt, und der Nacht
war frischer Schnee gefallen. Nun
gab es von neuem herrliche Schlitten
bahn. Armin fuhr allein im Schlit
ten den Schloßberg hinab. Er hielt
die Zügel lässig in der Hand und ließ
die Pferde gemächlich traben. Dann
ging's in den verschneiten Wald hin
ein. Eine Weile fuhr er fo dahin.
Da plötzlich stutzte er. Dort auf dem
Waldweg kam ihm eine schlanke,
schwarzgekleidete Frauengestalt entge
gen. Als sie den Schlitten herankom
men sah, blieb sie stehen und lehnte
sich an einen Baum, als versagten ihr
die Kräfte. Da hatte er sie schon er
kannt.
„Eva Marie!"
Wie ein klingender Jauchzer scholl
es durch den.winterstillen Wald. Mit
einem Satz war er aus dem Schlitten 1
und stand in wenigen Sekunden vor
ihr. Mit starken Armen zog er das
vor Aufregung zitternde Mädchen an
sich.
„Eva Marie, meine süße Eva Ma
rie, habe ich dich endlich wieder!" rief
er mit solchem Jubel in der Stimme,
daß das Mädchen die Gewalt seiner
Liebe fühlte.
Und da lag sie nun an seinem Her»
zen und fühlte seinen lauten, starken
Schlag. Stumm hielt er sie umschlos
sen, stumm schmiegte sie sich in seine
Arme, und die Augen tauchten in seli
ger Wonne ineinander. Die Küsse,
die jetzt auf ihre Lippen niederbrann
ten, waren andere als jene vor ihrer
Flucht. Aber kein Bangen kam in
ihr Herz bei seiner heißen Glitt. Stark
und gewaltig war seine Liebe, das
fühlte sie, und mit dieser innigen Glut
vernichtete er die Demütigung, die er
vorhes/dM Abgeliebten Weib zpge»
fügt. r"
Lange hielten sie sich umschlungen.
Da fühlte er, lvi$, sie im Frost leicht
zusammenschauerte. Er hob sie empor
und trug sie zu dem Schlitten. Dort
packte er sie warm in Pelzdecken ein
und setzte sich zu ihr. Ganz andäch
tig schaute er in ihr Gesicht, denn ihre
schönen» Augen blickten ihn mit dem
alten lieben Vertrauen an. Das war
wieder das zärtliche Leuchten vergan
gener Tage.
y
Noch lange hielten die zwei im
Schlitten nebeneinander, und die sü
ßen, törichten Worte, die er ihr zu
flüsterte, fanden alle den Weg zu ih
rem Herzen.
„Bist du nchl glücklich, mein ge
liebtes Mädchen? Glaubst du nun,
daß ich dich liebe über alle Maßen?"
Sie schloß die Augen und lehnte
sich an feine Schulter.
„Ja, ich bin glücklich, wie ich es
nie vorher gewesen ich habe nicht ge
glaubt, daß ein Menschenherz solch
tiefes Glück zu fassen vermag. Und
an deine Liebe glaube ich, sonst'wäre
ich nicht heimgekehrt."
Er küßte ihre Augen und-umschlang
sie von neuem in innigem Entzücken.
Und dann, als die Pferde ungeduldig
wurden, nahm er die Zügel und ließ
die Pferde im Schritt gehen.
„Ist dir sehr kalt, oder darf ich dich
noch ein Weilchen bei mir behalten?"
Sie huschelte sich wohlig i« die
Pelze. •.
„Ganz heiß ist Mir, ich friere nicht."
Da nickte er glückstrahlend, und sei
ne dunklen Augen umfaßten das lieb
liche Gesicht mit Entzücken. Er lenkte
plötzlich den Schlitten nach dem Dorf.
„Laß uns doch lieber im Walde
bleiben, Armin", bat sie leise.
„Wir kehren gleich- zurück. Lieb-s
ling. Jetzt fahre ich dich erst zum
Pfarrer, um das Aufgebot zu bestel
len. Ich brauche so schnell als mög
lich eine liebe, herzliebe Burgfrau.
Allein haust sich's nicht halb so gut da
oben."
Da widersprach sie ihm nicht mehr.
Vier Wochen später in den erstell
Tagen des Januar, wurde Armin von
Lehden mit Eva Marie Delius in al
ler Stille in dem kleinen Dorfkirchlein
getraut. Scheveking und Rippach fun
gierten als Trauzeugen. Die Dorf
e w o n e u n a s S o e s i n e l
ten die Kirche. Es war eine schlichte,
ernste Feier, aber das junge Paar
sah mit strahlenden Augen in die
Welt.
Armin hatte mit Abficht vermiche«»

xml | txt