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(2. Fortsetzung)
Wintersheim war im Grunde ein
herzensguter, ja sogar ein hochherziger
Mensch, der seinem Nächsten gern al
les Gute erwies, was in seiner Macht
lag. Als Lubau bor Jahren als ein
Bittender zu ihm gekommen war, da
chatte er den alten Schulfreund mit
warmer Freude bewillkommnet und
ihm nach Kräften unter die Arme ge
griffen. Geschah es aber, daß er sel
ber einmal in der Klemme saß, dann
ergriff ihn ein wahres Entsetzen bei
dem Gedanken, aus unrechtem Wege
ertappt zu werden, und dann scheute
er sich auch nicht im geringsten, den
ersten besten Andern zu seinem Sün
denbock zu machen. Er war sich dieser
seiner schlimmen Seite wohl bewußt,
allein alle guten Vorsätze hatten ihn
nicht gebessert.
Vergeblich suchte er jetzt sein Ge
wissen dadurch zu beschwichtigen, daß
er sich fortwährend wiederholte: „Es
geschieht ja nur um ihretwillen! Edu
ard will sie glücklich wissen, und das
selbe will auch ich. Sie hat ihm ge
sagt, daß es dafür nur eine einzige
Möglichkeit gibt, und er ist einver
standen. Folglich muß auch ich damit
einverstanden sein." Die Stimme in
seinem Innern aber ließ sich dadurch
nicht zum Schweigen bringen, und
dazu kam jetzt auch noch die Furcht,
daß Eduard, wenn er Zeit zu gründ
licher Ueberlegung gewann, alles auf
bieten werde, um seinen guten Namen
wieder herzustellen.
„Ich habe dir mein Versprechen ge
geben, und das ist mir heilig", beru
higte ihn der letztere. ,Halte nun aber
auch das deine und mache sie glücklich,
dann werde ich den heutigen Tag nie
beklagen!"
„Daran will ich mein Leben setzen,
und es wird mir gelingen, denn sie
liebt mich!"
„So hast du von mir nichts zu be
fürchten. Hast du die Schrift fo auf
gesetzt, von der wir gesprochen?"
„Hier ist sie."
Wintersheim zog ein Papier aus
der Brusttasche und reichte es Lübau.
Dieser schlug es auseinander und
las seinen Inhalt. Seine Züge blieben
dabei unbeweglich.
„Bist du zufrieden?" fragte Win
tersheim mit halber Stimme. „Ist es
nicht klar und unzweideutig?"
„Das ist's ich bin zufrieden. Wenn
dieses Schriftstück in andere Hände
geriete, dann wäre sein Verfasser un=
ter allen Umständen verloren, selbst
wenn er seine Handschrift verleugnen
wollte. Da Paul, nimm es zurück. Ich
will nicht, daß du in steter Furcht leb
test vor der Gewalt, die mir dieses
Dokument über dich verleihen würde.
Dein Geist und dein Gemüt müssen
frei von jeglichem Druck sein, damit
du voll und ungehindert deine Auf
gäbe ihr gegenüber erfüllen kannst.
Bist du nun deinerseits auch mit mir
zufrieden?"
Stumm, überwältigt ergriff Win
tersheim feine Hand. Endlich fand er
wieder Worte.
„Wenn ich mein Gelübde nicht ein
löse, dann möge mir das Schlimmste
widerfahren, was die ewige Gerech
tigkeit auf dieser Welt und im Jen
seits dem Treulosen und Meineidigen
angedroht hat dann verdiene ich
keine Gnade."
Ein schweres Opfer
Deckung deiner Verluste hohe Wechsel
unter dem Namen der Firma ausge
stellt hattest, da hätte es meine Pflicht
erfordert, Herrn Söderland davon un
verzüglich Mitteilung zu machen. Ich
habe dies jedoch unterlassen. Ich sagte
dir meinen Verdacht auf den Kopf zu,
und du gestandest mir alles, weil dir
jeder Ausweg abgeschnitten war. Ich
schuldete dir Dank für die freund
schaftliche Hilfe, die du mir gewährtest,
als ich solcher Hilfe sehr bedürftig
war. Du erinnertest mich an diese Dan
kesschuld und eröffnetest mir dabei zu
"DW BdfesfmaA
wi.iimii.iH...?
imiimmmmimmimimmiimimimmiiimiiiiiimimimi
„So sei es.... Aber nun sage
mir, was für Maßregeln du für meine
Flucht getroffen hast."
Wintersheim atmete auf. Der Wech
sel des Themas gab ihm einen Teil
seiner Festigkeit wieder auch gewährte
ihm die Ruhe, mit welcher Eduard die
Sachlage und seine Zukunft zu be
trachten schien, eine große Erleichte
rung.
„Hat der Chef bereits «die Krimi
nalpolizei in Kenntnis gefetzt?" fragte
Lubau, während Wintersheim die
schmale Tür eines kleinen Kabinets
öffnete, an dessen Wänden allerlei
Röcke, Mäntel und Hüte hingen.
„Noch nicht, so viel ich weiß. Er ist
aber zum Justizrat Merk, dem Rechts
beistand der Firma, gefahren, um die
nächsten Schritte zu besprechen."
„Dann ist es sehr wohl möglich,
daß man die Polizei um diese Zeit
schon benachrichtigt hat."
„Das glaube ich nicht, allerdings
aber ist es möglich. Hier, hänge dir
diesen leichten Mantel über, er ist ein
modernes Stück für die Reife und in
feiner Hinsicht auffällig. Schau her,
hier in dieser Seitentasche findest du
alles, was du Brauchst, Geld Ausweis
papiere und den Ausweis über dein
Eigentumsrecht an dem Schrauben
dampfer ,Albatros', der mit einer
vollen Ladung von Stückgut am
Brooktor im Hafen liegt und nach Rio
de Janeiro bestimmt ist. Er befindet
sich bereits unter Dampf und wird
sogleich nach dem Anbordkommen des
Eigentümers in See gehen. Der Ei
gentümer aber bist du unter dem
Namen Richard Hammer. Mit dem
Gelde dort in der Tasche und mit den
Waren an Bord des Schiffes wirst du
leicht imstande fem, dir eine neue Exi
'tenz in Brasilien zu schaffen außer
dem aber stehe ich dir selbstverständlich
mit allen Mitteln, über die ich Ver
zügen kann, zu Diensten, sobald wie
der eine Verbindung zwischen uns her
gestellt sein wird."
„Deine Maßnahmen lassen nichts zu
wünschen übrig", sagte Lubau ruhig.
„Das will ich meinen, hatte ich sie
doch für mich felber getroffen", erwi
derte Wintersheim mit flüchtigem Lä
cheln. „Du wirst so sicher und wohl
versorgt sein. Auch der Mantel er
füllt feinen Zweck vollkommen er be
deckt deine ganze Gestalt und gibt dir
ein völlig verändertes Aussehen."
„Ich werde Gelegenheit finden, dies
zu erproben", versetzte Lubau. „Ehe
wir aber scheiden, müssen wir einan
der ganz verstehen. Höre mir zu, Paul!
Den einen Grund, warum ich gehe,
weißt du. Aber ich bin auch unserm
Chef gegenüber in gewissem Sinne
dein Mitschuldiger geworden. Als mir
ein Zufall entdeckt hatte, daß du dich
in Spekulation eingelassen und zur
-Tj-TJS
gleich, daß deine Bloßstellung auch
Luise Madwigs Lebensglück vernichten
würde. Ich habe mich von der Richtig
feit dieser Angabe überzeugt. Um ih
retwillen solange als du ihr die
Treue bewahrst soll man mich von
heute ab als einen Toten betrachten.
Das war's. Jetzt haben wir nur noch
die Art und Weise zu arrangieren, wie
ich an Bord zu gelangen habe. Nie
mand wird meinen Weggang, meinen
Tod beklagen", fügte er bitter und
schmerzvoll hinzu. „Denn ich bin von
jetzt ab so gut wie gestorben. Mit dir
wär's anders gewesen, da manches
Herz an dir mit Liebe hängt, es ist
also in joder Hinsicht besser, daß ich
an deiner Stelle gehe."
Wintersheim fuhr sich mit dem Tuch
über die Augen.
„Sprich nicht so, Eduard", sagte er.
„Deine Hand, Freund! Ich werde
dich niemals vergessen! Und mein
Versprechen werde ich halten."
„Das will ich hoffen, deinetwegen
sowohl wie ihretwegen. Wie aber
komme ich an Bord? Wird der Weg
noch für mich frei fein?"
Wintersheim blickte auf die Uhr.
„Ohne Frage", sagte er dann. „Du
verläßt das Haus durch die hintere
Tür dort begegnest du um diese Zeit
feiner Seele. Ich habe dafür gesorgt.
Dann nimmst du eine Drofchfe, gehst
an Bord und dampfst ohne Aufenthalt
nach See zu. Hast du überhaupt erst
die Planken unter den Füßen...
Er hielt plötzlich inne und erbleichte.
„Was ist?" fragte Lubau.
„Mein Onkel ist zurück. Ich hörte
soeben seinen Wagen vorfahren."
Er eilte zum Fenster.
„Er hat den Justizrat mitgebracht
da steigt auch noch ein Anderer
aus, ein Fremder. Das kann nur ein
Polizeibeamter sein."
„So scheitert unser Plan, noch ehe
er ins Werk gesetzt wurde", murmel
te Lubau bitter.
„Das darf nicht fein!" rief Win
tersheim schnell und erregt. „Mein
Onkel wird jetzt die Herren zunächst
in sein Zimmer führen, und dann
wird er mich rufen lassen. Verbirg
dich hier in dem Kabinett, Eduard.
Wenn der Kontorbote hier gewesen ist,
dann wissen wir, daß die Lust rein
ist."
Eduard tat, wie ihm geheißen. Win
tersheim nahm mit klopfendem Her
zen an feinem Schreibtisch Platz. Sei
ne Hände zitterten so heftig, daß er
dieselben fest an die Tischplatte drük
ken mußte.
Nach wenigen Minuten näherte sich
auf dem Korridor ein Schritt, Man
klopfte an die Tür.
„Herein!" rief Wintersheim.
,Herr Söderland läßt Herrn Win
tersheim bitten", meldete der Kon
torßote.
„Ich komme im Augenblick", sagte
Wintersheim, ohne von dem Schrift
stück aufzusehen, das er eifrig zu stu
dieren schien. „Hat mein Onkel den
Justizrat und den anderen Herrn mit
gebracht?"
„Jawohl!"
„Ich danke Ihnen."
Sobald der Mann sich entfernt hat
te, sprang Wintersheim zum Kabinett
und öffnete.
„Schnell, Eduard!" drängte er. „Le
bewohl, Freund! Ich bleibe in deiner
Schuld, fo lange ich atme! Mißglückt
dirss draußen, so rechne auf mich. Le
bewohl, lebewohl!"
Eine Minute später verließ Eduard
Lubau ruhig und ungesehen das Haus
Mttwoch, den 8. März 1944^??T?^
durch die Hintertür. An der nächste»
Ecke bestieg er eine Droschke.
„Nach dem Brooktor!" befahl er
dem Kutscher.
Er schlug den Mantel um sich und
lehnte sich zurück. Das Fuhrwerk ras
selte über das holperige Pflaster.
„Mein Leichenwagen!" murmelte
er mit bitterem Lächeln.
Er hatte recht: alles, was einem
Menschen das Leben teuer macht,
Tag
hinter ihm seine Liebe und sichere
Aussicht auf eine ehrenvolle Lauf
bahn. Was die Zukunft ihm nun noch
bringen mochte, war ihm gleich. Er
leiß sich genügen an dem Bewußtsein,
daß er schuldlos in die Verbannung
ging, und daß er das schwerste aller
Opfer gebracht habe, um die 'Größe
seiner Liebe zu beweisen. Vielleicht er
blühte ihm im Laufe der Zeit aus
solchen Erinnerungen eine neue Freu
de am Leben.
Wintersheim stand nach Lubaus
Weggang noch einige Minuten wie
betäubt. Wenn des Freundes Flucht
gelang, dann war er gerettet dann
brauchte er nicht mehr das Schreckge
penst der Schande und Entehrung zu
ürchten, auch nicht die Verachtung des
Weibes, das er liebte, noch auch den
Zorn und den Schmerz des guten,
alten Onkels, der ihm sein ganzes
Vertrauen geschenkt und ihm so viel
Liebe erwiesen hatte, wie nur immer
ein zärtlicher Vater dem einzigen
Sohne erweisen kann. Dann blieb er
nach wie vor der hochgeachtete Mann,
der zukünftige Chef des großen Hauses
Söderland u. Co., dessen Reichtum
weltbekannt und dessen Ruf unantast
bar war.
Und dennoch mußte nicht von
heute ab für alle Zukunft eine bittere
Reue, ja, auch eine stete Furcht auf ihm
lasten?
Der Kontorbote brachte die Auffor
derung, zu Herrn Söderland zu kom
men, noch einmal. Wintersheim raffte
"ich zusammen und begab sich dann
in das Zimmer, wo der Chef der Fir
ma, der Justizrat und der Kriminal
bectmte ihn erwarteten.
Der Abend war schon vorgerückt,
als Wintersheim endlich dazu gelang
te, im Landhause der Frau Doktor
vorzusprechen. Schon lange vorher
hatte sich Luisens sehnende Ungeduld
in Tränen Luft gemacht, trotz der Be
ruhigungsversuche der Mutter, die im
mer von neuem ihre Ueberzeugung da
hin ausgesprochen hafte, daß er ja
unbedingt kommen müsse, schon aus
Rücksicht für die Aufregung, in welche
Lübaus schlimmer Streich ihre Ge
müter besetzt hatte.
„Da ist er! Sagt' ich's Euch nicht?"
rief sie, als die Gartenpforte zuge
schlagen wurde und ein bekannter, ei
liger Schritt auf dem Kiesweg her
ankam.
Luise eilte dem so schmerzlich Er
sehnten entgegen aber sie erschrak, als
sie ihn so bleich und angegriffen er
blickte.
„Ich wußte, daß Ihr mich heute
noch erwartet", sagte er, „und da Bin
ich trotz der späten Stunde noch ge
kommen. Zeitiger war es mir nnmög
lich. Ihr werdet euch wohl denken
können, daß ein schwerer Tag.hinter
uns liegt."
„Es ist also doch wahr, daß Edu
ard Lübau flüchtig geworden ist,
nicht?" fragte die Doktorin in einem
Tone, als sei sie Mitglied eines Ge
richtshofes, von dem der unglückliche
junge Mann sein Urteil zu erwarten
habe.