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Jahrgang 73 Zwischen Krieg und Frieden Oxenstierna und unsere Zeit Mit der formellen Kapitulation Japans ist am verflossenen Samstag der zweite Weltkrieg zum Abschluß gekommen. Der fast gleichzeitig 'ver öffentlichte Bericht über die Katastro phe von Pearl Harbor am 7. Dezem ber 1941 beweist, daß auch von ber änderten Verhältnissen und unter den Segnungen der Demokratie heute noch das berühmte Wort des schwedi schen Reichskanzlers Axel Oxenstierna gelten kann: „Du weißt nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird!" Der Bericht ist eine eindringliche Mahnung und Warnung, daß wir in der Freude über den errungenen Sieg nicht vergessen sollen, wie nahe wir, ganz gewiß nicht ohne Schuld, der Niederlage waren. Die Scharte vom 7. Dezember 1941 wurde ausgewetzt, aber hüten wir uns vor eitler Ue berheblichkeit! Was der Befund der Untersuchungskommission feststellte, bezieht sich vornehmlich auf den schwarzen Tag von Pearl Harbor sei ber. Was ihn möglich machte, was ihm vorausging, liegt heute noch, der Öffentlichkeit verborgen, in den tier schwiegenen Geheimarchiven der Re Gerungen. Pearl Harbor war eine der Explosionen aus der muffigen Dunkelkammer einer unheilvollen Di plomatie, in der die Unehrlichkeit und 'Hinterhältigkeit und Utilitätswirt schaft der internationalen Politik ih ren Niederschlag gefunden haben. Und wer glaubt, daß all das einer im Dunst und Grausen des zweiten Weltkrieges versunkenen Vergangen heit angehört und daß wir jetzt aus dem Zwielicht der Drahtzieherei und der Intrigen und geheimen Abmach ungen in den klären Sonnenschein des Zeitalters der Demokratie und des Biedersinns der Humanität und Brü derlichkeit getreten sind, wird noch gar manche Enttäuschung erleben. Schon heute, nachdem der Lärm der internationalen Claque kaum ver klungen ist, erheben sich gewichtige Stimmen, die im Hinblick auf Pots dam von „Absurditäten" reden. Wer nicht absichtlich blind und taub ist, weiß, daß wir einen Kontinent zwar zerschlagen konnten, daß wir aber trotz aller hochtrabenden Phrasen oberflächlicher oder im Dienst der Propaganda stehenden Zeitungs schreiber und Rundfunkschwätzer mit geheimem Grauen vor den Trümmer statten stehen und uns nur zaghaft mit dem Dichterwort zu trösten su chen, daß neues Leben aus den Rui nen blüht. Wenn nur unsere politische Tages presse frei und unbehindert und in voller Wahrheitsliebe die Dinge in Europa schilderte, wie sie tatsächlich sind, statt wichtige Mitteilungen ent weder zu unterschlagen oder mit ei nigen nichtssagenden Worten abzutun oder im redaktionellen Teil mit geist reichenden Phrasen zu verschleiern, was in den Nachrichtenspalten zum Lichte drängt! Vielleicht würde sich dann das Volksgewissen viel schneller regen und den großen Staatsmän nern, die mit Völkerschicksalen umge hen, als ob es sich um ein Bridge oder Pokerspiel handelte, unzweideu tig kund und zu wissen tun, daß es nicht die Meinung und Absicht Ame rikas war, die Jugend und das Na tionalvermögen des Landes einzuset zen, um einen Stalin gegen einen Hitler einzutauschen oder wie es im britischen Parlament mit erfri schender Offenheit ausgesprochen wurde „ein totalitäres System für ein anderes" einzulösen. Die sogenannte Neuordnung Eu ropas ist ganz nach dem Schacher system der alten Beute- und Macht Politik in's Werk gesetzt worden, die seit Oxenstierna nichts gelernt hat. Sie ist auch danach! Sie ist absurd, ein erbärmliches Provisorium, dem Sachverständige keine lange Dauer in Aussicht stellen, das einer gründlichen Revision unterzogen werden muß, wenn Europa nicht zugrunde gehen und nicht volles Chaos hereinbrechen soll. In Asien wird es, wenn es erst an die Befriedigung der verschiedenen nationalen Ambitionen geht, nicht viel besser sein. Und während die Trümmer des furchtbaren Weltkrieges trotz aller Proklamationen unheimlich weiter schwelen, sind Kräfte am Werk, das Internationale Wüstenfeld noch zu er weitern. Oder kann man das Hetzen und Wühlen, um Spanien, das sich von dem grausamen Bürgerkrieg noch nicht erholt hat, von neuem zum Schauplatz gewaltsamer Auseinander setzungen zu machen, anders charak terisieren? Diese Bestrebungen san gen an feste Gestalt anzunehmen, seitdem sich jüngst in dem radikalen Mexiko eine spanische Nebenregie rung, eine „Regierung im Exil" auf getan hat, die sich, ermutigt durch die Potsdamer Erklärung, um die Aner kennung der Mächte bewirbt. Daß Rußland ein großes Interesse an der Radikalisierung der Iberischen Halb insel hat, ist verständlich. Weshalb aber Washingtoner Regierungskreise unter Vorantritt von Präsident Tru man so beharrlich an der Zertrümme rung des gegenwärtigen Regimes ar beiten, läßt die Frage berechtigt er scheinen, wem eigentlich und aus welchen Gründen so ungeheuer viel an der Einbeziehung Spaniens in die höchst fragwürdige „neue Ord nung" Europas gelegen ist. In Spa nien liegt zweifellos vieles im Ar gen. Aber man bringe erst einmal dem übrigen Europa Ruhe und Ord nung, bevor man sich aufregt über spanische Zustände! Die Erfordernisse eines wirklichen Friedens Bei der Ankündigung von Japans Uebergabe erklärte am Sonntag Sta lin dem russischen Volk, die „für den Weltfrieden notwendigen Bedingun gen seien bereits gewonnen". Eine objektive Prüfung der Weltlage wird die Richtigkeit einer so bedingungs losen Behauptung bestreiten müssen. Für Stalin mögen die Voraussetzun gen des Friedens durch den unge heuren Gebietszuwachs Rußlands und dessen Sicherung mit den Mit teln der Gewalt- und Machtpolitik gegeben fein. Papst Pius XII., der mit andern Maßstäben mißt und sich auf das Zeugnis der Geschichte beru fen kann, daß Gewalt und Macht un zuverlässige Fundamente des Frie dens sind, macht den Wert und die Dauer des Friedens von ganz andern Faktoren abhängig. Vor amerikani schen Kongreßabgeordneten, die er in den letzten Tagen in Audienz empfing, nachdem er schon neulich eine ähnliche Delegation begrüßt hatte, führte er aus: Jetzt, da der Krieg militärisch entschieden sei, hänge die Sicherung des Friedens von erleuchteter Staats kunst ab. „Es sind jetzt erst recht Siege zu gewinnen," sagte er u. a„ „bevor die Welt sich in wirklichem Besitz des Friedens fühlen kann." Diese Siege seien die Ueberwindung des Hasses, die Ueberwindung des Mißtrauens und „des verderblichen Prinzips, daß Macht Recht ist. Das bedeutet, daß die schwächeren Staaten nur solche Rechte haben, die ihnen der mächtige Nachbar zuzugestehen gewillt ist". „Am wichtigsten aber," fuhr der Hl. Vater fort, „ist der Sieg über die selbstherrliche, materialistische Welt anschauung, die Gott aus Seiner Welt weifen möchte und so dem Men schen fein Fundament läßt, auf dem sich Ordnung und Gerechtigkeit be gründen ließe." Ordnung und Ge rechtigfeit sind „weit mehr als ein leeres Schemen, das sich lediglich auf die Macht stützt". Es gebe ferner in der Welt „ungleiche Gelegenheiten", unter denen wenige freien Zutritt haben zu den Schätzen der Erde, die von Gott für alle bestimmt wurden. Was der Papst fordert, ist ein ge rechter Friedenszustand für alle Vol ker, eine Verständigung unter den Staaten, welche die Forderungen der sozialen Gerechtigkeit auf das inter nationale Leben überträgt und allen, den Großen und den Kleinen, den Mitgenuß der über Gottes Erde hin» gestreuten Schätze der Natur in ehrli chem und friedlichem Austausch ver bürgt. Sollte der Hl. Vater auch bei die ser Gelegenheit hingewiesen haben auf die in dem grausamen Potsda mer Diktat verhängte Enteignung und gewaltsame Auswanderung von Millionen Menschen aus der ange stammten Heimat, wo ihre Vorfah ren seit Jahrhunderten gesessen, dann dürfte er von neuem das schwere Un recht beklagt haben, das mit dieser in der Geschichte in solchen Ausmaßen nie zuvor verzeichneten Vertreibung vom Heimatboden begangen wird. Diese barbarische Losreißung von der i litt Familienblatt für Wahrheit und Recht zur Belehrung und Unterhaltung Ausgabe des, Wanderer' HerauSgegebe« vom Päpstliche» Kollegium Josephinum zum Besten der PriesterzZglia^e. Preis für em Jahr in de» Ber. Staate» $2, t» Kanada und allen andere» Staate» $2.50. Heimaterde ist nicht weniger unrecht als die von Hitler vorgenommene „Umschichtung". Sie entstammt der Häresie des übertriebenen Nationa lismus, die unter der Nazi-Tyrannei ihr Tun zu rechtfertigen suchte mit dem dunklen Schlagwort von „Blut und Boden". Wenn die Nazis durch die versuchte Vereinheitlichung des Volkstums ihr größenwahnsinniges, verabscheuungswürdiges „Herren menschentum" bekundeten, was ist dann die heutige Ausweisungspolitik Rußlands, Polens, der Tschechoslowa kei und anderer Staaten?! Stellt sich in ihrem Tun nicht in gleicher Weise maßloser nationaler Hochmut dar, der aber zugleich die Habgier und Herrsch sucht zu bemänteln sucht?! Auf solchen Wegen ist der Friede nicht zu erreichen. Mit solcher Barba rei schaden die östlichen Völker nicht allein das am Boden liegende Deutschland, sondern auch sich selber, ganz Europa, der Welt. Mit Recht sagte neulich Papst Pius amerifank scheu Kongreßabgeordneten, nachdem er wie in der oben angeführten Au dienz für einen gerechten Frieden plädiert hatte: „Was der hl. Paulus vom menschlichen Leibe sagt, läßt sich auch anwenden auf die Beziehungen der Völker untereinander: Wenn ein Glied leidet, leiden alle andern Glie der mit ihm. Große Ungerechtigkeiten lassen sich nicht gegen ein Volk bege hen, ohne daß damit auch die Rechte anderer Volker benachteiligt werden. Wenn ein Volk gewaltsam zu Tode gewürgt wird, wer könnte dann der übrigen Welt Sicherheit in einem dauernden Frieden zu versprechen wa gen?" Wachsende Bedenken gegen Rußlands Uebermacht Diese Erkenntnis scheint sich all mählich durchzuringen trotz aller Haßgesänge und trotz des Vernich tungswillens eines verhältnismäßig kleinen, aber einflußreichen Kreises in unserin Lande. Es handelt sich da» bei vielleicht bei den wenigsten uift sittliche Beweggründe, wie sie der Papst in's Feld führt, sondern zu nächst um politische und wirtschaftli che Erwägungen. Daß sich die neue briti|ch£ Regierung so riickhaltsloo für eine vernünftige Politik eingesetzt hat, hat augenscheinlich großen Ein druck gemacht. Und da die Warnun gen nicht von Tories und Vertretern des Kapitalismus ausgingen, fon dem von Leuten, die unter radikale,. Schlagworten in der Downing Stree' und im Parlament einzogen, haben es die Kommunisten und ihre Hand langer und Mitläufer nicht so leicht, den Eindruck zu verwischen. Es isi auch sonnenklar, daß Premier Slttlce und Außenminister Bevin nicht von augenblicklichen Regungen sich fort reißen ließen, als sie sich gegen die russische Politik wandten. Wie der New Aorker.Times' unterm 29. Au gust aus London gemeldet wurde, hat Attlee in einer Bankettrede ausdrück lich wiederholt, daß man die „Totali tät" in jeder Form ablehne. „Der Albdruck des Totalitarianism," sag te er u. a„ „ist von Europa genom men, aber es ist von ungeheurer Wich tigkeit, daß an der Stelle des bejel tigten Systems kein Vakuum bleibt. Wenn nicht etwas anderes an seine Stelle tritt, dann kann es geschehen, daß untz sieben Teufel zu schaffen machen, die fchlimmer sind als der vorige eine Teufel." Nur schade, daß man das nicht schon vor Potsdam einsehen wollte, es nicht begreifen wollte, bevor matt Stalin in allein zu Diensten stand und ihn vertrauensvoll seine Macht weit nach Westen vortragen ließ! Heute hat man allerdings bessere, aus der Er fahrung gewonnene Maßstäbe als noch vor wenigen Wochen. Man weil), mit welcher Rücksichtslosigkeit die Russen beim Abbruch und der Ver schleppung deutscher Fabriken zu Werke gingen. Man hat aus eigener Anschauung die russische Barbarei kennen gelernt, die sich in Berlin, Wien, Budapest und andern Städten austobte. Man kennt die gegen Sitt lichkeit und das Völkerrecht verstoßen den Untaten an deutschen Frauen und Mädchen, den gemeinen Raub in den Häusern und auf der Straße. Die britische Presse und auch amerikani sche Blätter haben über diese Dinge geradezu haarsträubende Berichte ge bracht. Man ist unterrichtet über die politischen Schachzüge Rußlands zur fortschreitenden Erweiterung seiner Einflußsphäre nach Westen und über das Treiben seiner Handlanger aus dem Balkan. In Bulgarien, Rumä nien und Ungarn vollzieht sich ange sichts der sich versteifenden Haltung Englands und Amerikas langsam ei ne Klärung, und selbst Tito in Jugo slawien hat viel von seinem von Churchill künstlich ausgepäpelten Pre stifle verloren und sucht es mit Hilfe seiner russischen Auftraggeber wieder aufzupolieren. Nach der New Aorker ,Times' wird sich die nächstens in London zusammentretende Konferenz der Außenminister der United Na tionS mit diesen und ähnlichen Pro blemen zu befassen haben. Undurchführbar und absurd Was aber in London und Wash ingbn mehr Bedenken erregte als die unerquicklichen Verhältnisse in der russischen und zum Teil auch fran zösischen^— Besatzungszone und in den russischen Vasallenstaaten, das ist die wachsende Erkenntnis, daß die in Potsdam ausgeheckten Wirtschafts pläne für Teutschland undurchführ bar sind. Tie bekannte Londoner Zeitschrift ,The Economist' beschäftigt sich in ei ner ihrer letzten Nummern mit der Lösung der deutschen Frage, wie sie durch die Vereinbarung der Alliier ten in Potsdam vorgezeichnet ist, und prüft in einer gründlichen, illusions freien Analyse die praktische Durch führungsmöglichkeit und politisch wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Abmachungen der „Großen Drei" über Teutschlands Zukunftsentwick lung. Das Ergebnis dieser Untersu chung ist vernichtend für das Werk von Potsdam. Ter /Economist' drückt sich mit äußerster Schärfe folgender maßen aus: „Tie Ueberzeugung. daß der Frie densvorschlag von Potsdam ein von Grund aus schlechter ist, gründet sich nicht aus irgendein Gefühl sentimen taler Schwäche für Teutschland. Es gründet sich auf die Meinung, daß das vorgeschlagene System im voll sten Sinne praktisch undurchführbar ist. Es bietet feine Hoffnung auf eine endgültige Versöhnung mit Teutsch land. Es bietet wenig Hoffnung da raus, daß die Alliierten ihre kompli zierten, schwerfälligen Kontrollen nach den ersten Friedensjahren aufrecht erhalten können, seilte Reparations methoden verstärken die Autarkie in Rußland und vervollständigen den Ruin nicht allein Teutschlands, son dern Europas. Tariiber hinaus ent hält es nicht eine einzige konstruktive Idee, nicht eine einzige hoffnungs volle Perspektive für die Nachkriegs welt. Am Ende eines mächtigen Krie ges zur Niederwerfung des Hitleris mus machen die Alliierten einen Hit ler-Frieden. Dies ist der wirkliche Maßstab für ihren Mißerfolg." In der Erklärung von Potsdam, so heißt es weiter, wird ausdrücklich ein Karthagischer Frieden abgelehnt. Man will ein deutsches Gemeinwesen mit einer Zentralregierung übriglas sen und sogar „den zukünftigen Wie deraufbau eines politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Basis und eine zukünftige Mitarbeit Deutschlands am internationalen Le ben" vorbereiten. Es sei gewiß nach allem, was an Aggressionen vorgefal len sei, ein Friede ohne Entschädigun gen und Annexionen unmöglich. Aber die zu treffenden Vorsichtsmaßregeln dürften nicht im Widerspruch stehen zu dem proklamierten Endzweck der Wiedereingliederung Deutschlands in ein friedliches Europa. Die Ausrecht erhaltung eines politischen oder öko nomischen Kontrollsystems sei so pre kär, daß die öffentliche Meinung in den alliierten Ländern es leicht zu Fall bringen könne. Deswegen müß ten die Friedensbedingungen so sein, daß sie auch wirklich von den Alliier ten durchgesetzt werden können. Sie müßten streng sein, ohne die Möglich keit einer künftigen Rehabilitierung Deutschlands auszuschließen. Gerade dies treffe aber für die ter ritorialen und wirtschaftlichen Be stimmungen von Potsdam nicht zu. Im Gegenteil! Diese Bestimmungen machen die Nichterreichung jenes po litischen Zieles direkt zur Gewißheit, stellt der ,Economist' fest. Die Grenz berichtigungen im Osten seien mit Massenvertreibungen der Bevölke rung aus den von den Polen annek tierten oder vorläufig „verwalteten" Gebieten („Verwaltung" fei aber ein schlecht verschleierter Ausdruck für Annexion, meint der.Economist') und ebenso aus der Tschechoslowakei ver bunden. Polen und Tschechen seien zwar von den Alliierten gebeten wor den, die Ausweisungen zunächst an zuhalten, aber doch nur, um „die Ar beit in größerer Ordnung durchzu führen". Das Blatt erklärt: „Das Endresultat wird sein, daß etwa fünfzig bis sechzig Millionen Deut sche auf einem Territorium werden Y wohnen müssen, das nicht viel größer als Großbritannien ist." Tie Aufrechterhaltung selbst eines bescheidenen Lebensstandards in ei nem so dicht bevölkerten Gebiet wiir de einen hohen Grad von Industria lisierung erfordern. Ta die Politik der Alliierten aber Teutschland nicht nur daran hindern wolle, sein Kriegs potential zu benutzen, sondern überhaupt eins zu haben, so müs se dies bei der heutzutage unausweich lichen Vergtiickung von industrieller Kriegs- und Friedensproduktion ganz einfach zu einer Tesindnstrialisierung des Reiches in großem Stile führen. Tie ökonomischen und Reparations klausein lausen aus die von Morgen them vorgeschlagene Politik der Zwangsagrarisierung Teutschlands hinaus, erklärt der .Economist'. Würde sich aber das deutsche Ge meinwesen je damit aussöhnen kön nen? Tie Zeitschrift verneint dies, aber: „Ein Zustand wirtschaftlicher Verelendung ist nicht die geeignete Grundlage für die organische Ent wicklung von Demokratie und fried licher Einstellung. Eine feindselige, von Rachegefühlen erfüllte und ver armte Nation von fünfzig Millionten Menschen ist auch ohne Waffen eine sichere Quelle der Unruhe." Die Ausführungen des britischen Wirtschaftsorgans werden bestätigt in einer Berliner Meldung der „Ass. Preß", die wir im folgenden in wort getreuer Übersetzung wiedergeben: Tie Verwandlung Teutschlands in ein Volk von Kleinbauern eine Ziikunftsentwicklung. wie sie von den „Großen Trei" vorgesehen worden ist wird jetzt von technischen Beratern der Amerikaner und Engländer als „eine ^politische Notwendigkeit auf kurze ^icht. aber als eine Wirtschaft liche Absurdität auf lange Sicht" be zeichnet. Fast einen Monat nachdem die „Großen Trei" sich auf eine rein agrarische Rolle für die am höchsten industrialisierte Macht aus dem Kon tinent geeinigt haben, ist die Ansicht der Mehrheit der Fachleute, die diese Verwandlung durchzuführen verfu chett: „ES wird nicht gehen." Diese Experten geben in Privatunterhal tungen offen zu, daß das deutsche Problem ihrer Meinung nach in Ber lin nicht gelöst worden ist. Alles sei, so erklärten sie, lediglich mehrjähri gen Versuchen überlassen worden, an deren Ende die Weltöffentlichkeit ei nen neuen Lösungsversuch vornehmen könnte. Von diesen britisch-amerikanischen Kreisen werden Statistiken herange holt, um zu zeigen, was Teutschland als Agrarstaat in Wirklichkeit bedeu tet. Tas gegenwärtige Teutschland im Osten durch die Sowjet-Union und Polen aus die Oder und Neiße zu rückgedrängt ist zwanzig Prozent kleiner als das Deutschland vor 1938. Etwa acht Millionen Deutsche haben sich aus den östlichen Provinzen nach dem Westen begeben oder sind nach dort unterwegs. Außerdem dürsten etwa drei Millionen Deutsche aus der Tschechoslowakei ausgewiesen werden. Trotzdem das Nazi-Regime nichts unversucht gelassen hat, um die land wirtschaftliche Erzeugung durch wis senschaftliche Methoden zu heben, hat Teutschland nur dreiundachtzig Pro zent seines Lebensmittelbedarfs dek ken können. Weitgehende Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen und künstlicher Düngemittel hat bis zur Grenze des Möglichen stattgefunden. Erfahrene alliierte Agranomen Hai ten es nicht für möglich, daß Deutsch land durch den größeren Einsatz von Menschenkräften, durch die Aufteilung von Latifundien und die Umwand lung von Forsten in Felder aus ei nem landwirtschaftlichen Defizitstaat zu einem Ueberschußland gemacht werden kann. „Wir fragen uns, wie lange es dauern wird, bis die Ver. Staaten und Großbritannien es satt werden, Lebensmittel nach Deutsch land zu senden, ohne dafür etwas zu bekommen, da es ohne Rücksicht auf den Erfolg unserer Pläne nötig sein wird, daß jemand Lebensmittel sen den muß." so sagt ein britischer Ex perte. Die Fachleute, die heute den Pots damer Plan als undurchführbar und absurd bezeichnen, standen ja auch vor und während der Konferenz der „Großen Drei" zur Verfügung. Aber die Atmosphäre war vergiftet durch Rachegeschrei und Habgier und Macht gier, und Mergenthau und Stalin bekamen ihren Willen. Wahrscheinlich fielen auch militärische Erwägungen in die Wagschale. Trotz der in Aus sicht stehenden Atombombe wußten auch militärische Sachverständige noch nicht, wie lang sich der japanische Nr. 19 Krieg hinziehen werde, und man wird im Hinblick auf die erwartete mili tärische Hilfe Rußlands Stalin ge genüber willfähriger gewesen sein, als politische und wirtschaftliche Klug heit anriet. Beginn des Wiederaufbaus Tie ruhige Ueberlegung stellte sich später ein, als man sich die Bescherung ansah und die Entwicklung der Tinge immer bedenklicher wurde. Seitdem ist man den Russen gegenüber vor sichtiger und zurückhaltender gewor den, und in der Behandlung der Teut schen macht sich größeres Verständnis für die Realitäten und für die unge heure Not des Volkes geltend. Es scheint uns aber verfrüht, wenn der Korrespondent der National Catholic Welfare Conference mit einem Op timismus, wie er ihn ähnlich seiner zeit dein Nazitum gegenüber bekun dete, die Tinge so darstellt, als ob die Okkupationsbehörden der Kirche volle Beiätiguiigsfreiheit gewährten und sie tatsächlich in ihre früheren Verhältnisse wieder eingesetzt hätten. Wohl hat sich im Vergleich zu den ersten Wochen der Fremdherrschaft vieles gebessert, wofür die taktvolle Behandlung der Fulda'er Bischofs» konferenz einen Beleg bildet. Aber trotzdem ist die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen, daß der Tezernent erster Instanz ein jüdischer Leutnant war und daß man bei allen höflichen Verbeugungen vor der Konferenz und den Bischöfen auf die Formalität ei nes „Beobachters" nicht verzichtete. Nach dem genannten Korresponden ten soll auch die Schulfrage im Sin ne der Katholiken so gut wie geschlich tet sein. Tagegen heißt es in einer Korrespondenz der ,N. Y. Staatszei tung': „Tie Entscheidung über die Frage, ob die Schulen in Teutschland welt lich oder kirchlich sein sollen, bleibt für die Zukunft dem deutschen Volk überlassen. 1941 hatten die National sozialisten die Kontrolle der Kirche über deren Schulen aufgehoben. 1931 waren nur zwanzig v. H. der Volks schulen sogenannte Simultanschulen gewesen, in denen der Religionsun terricht kein Pflichtfach war. Der Vertreter der Kontrollkommission er klärte ,Wir sind für absolute Frei heit der Religionsausübung, aber als Nachfolger der deutschen Regierung behalten wir uns das Recht vor. die politische Tätigkeit auch kirchlicher Persönlichkeiten zu überprüfen.'" Es liegt auf der Hand, daß es bei so vielverschlungenen Problemen, wie sie den Besatzungsbehörden entgegen treten, nicht leicht ist, immer das Richtige zu treffen. Es ist mit Ge nugtuung zu begrüßen, daß wenig stens eine Besserung eingetreten ist und daß man, wie man aus Ernen nungen der jüngsten Zeit schließen kann, bemüht ist, sachverständige und mit der katholischen Denkweife ver traute Militär» und Zivilbeamten heranzuziehen. Eine ähnliche Entwicklung zum Bessern ist in der Haltung zum ge» samten deutschen Problem wahrzu nehmen. Mehr und mehr wird das deutsche Volk herangezogen, selber seine Schwierigkeiten zu überwinden. Man gewährt ihm auf politischem Gebiet größere Freiheit, ohne aber die Zügel schleifen zu lassen. Das frühere Gerede von der Zerstückelung Teutschlands ist ziemlich verstummt. Wohl will man einstweilen und auch nach der Besatzungszeit feine starke Zentralregierung aufkommen lassen und vor allen Dingen Preußen die frühere Bedeutung dauernd nehmen. Aber man gibt doch den langsam wie der erstehenden Parteien ein ziemli ches Maß Freiheit allerdings nur im Rahmen der Kommunal- und Pro ömzialpolitif, von der aus sich die spätere Reichspolitik, möglichst dezen tralisiert, wieder aufbauen soll. Man scheint im amerikanischen Lager mit den bisherigen Entwicklungen zufrie» den zu sein. Tas läßt sich daraus schließen, daß nach einer Erklärung Eisenhowers die amerikanischen Be» satzungstruppen in Deutschland, die heute anderthalb Millionen Mann zählen, noch vor Ende des kommen den Winters auf vierhunderttausend Mann reduziert würden, und daß daraus Amerika in Deutschland mit einer noch geringeren Truppenstärke vertreten sein werde. Das alles sind für die Deutschen ermutigende Anzeichen, daß ihre na tionale Vernichtung wenigstens von Westen her nicht geplant ist. Aber bis zur Freiheit ist noch ein weiter Weg. Rumpfdeutschland liegt Zwischen der sowjetischen und der westlich-demokratischen Einflußsphäre. (Fortsetzung auf Seite 8) \n\n Donnerstag, den 6. September 1945