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II Vh\, Sozmler Roman toon ierre l' Erm te Uebersetznng von F. Mersmann Allen denen, die schon an einer Straßenwendung sinnend den fernen Kirchturm betrachteten, der über den friedlichen Häusern des Dorfes gleich einem Hoffnungsstrahle gen Himmel strebt. Allen denen, welche die väter liche Scholle lieben, diesen Born des Lebens, diese stille Schatzkammer al ler von der Vorsehung aufgespeicher ten Kräfte, diese Hüterin des heimi sehen Herdes, diese geräuschlose Ein geberin hochherziger Taten Allen denen, die schon eine Re- gung des Mitleids empfanden beim Anblick der unzähligen stellenlosen, die sich auf dem Pflaster der großen Städte herumtreiben, während^doch die Heimaterde sie mit lauter stim me zu sich ruft widme ich diese Erzählung. I. Der dicke hellblonde Ingenieur brü stete sich in seinem Lehnsessel und sag te mit der Miene eines selbstzufriede nen Biedermannes: „Kommen wir gleich zur Sache! Ich bin eine Ca naille! Das ist klipp und klar! Noch mehr, ich fühle mich der Großzahl meiner Zeitgenossen unendlich über legen, da ich mich einer von Pascal hochgerühmten Eigenschaft erfreue: ich bin eine denkende Canaille! Was aber Sie betrifft, meine Gnä dige, so will ich mich nicht zu der Be hauptung versteigen, daß Sie in die ser Hinsicht eine Ähnlichkeit mit mir hätten. Das wäre wirklich zu wenig Louis XV." „Oh, nur heraus damitI Keine Komplimente! Uebrigens sind ja ,Gut' und ,Dumm' Wörter von durch aus gleicher Bedeutung. Und wenn Sie erst wüßten, wie sehr mir alles, alles ganz einerlei ist! Um meinen guten Ruf kümmere ich mich nur so viel!" Und Alberte Harmster streift zum Ausdrucke höchster Geringschätzung mit ihrem sorgfältig gepflegten Fin gernagel die graublaue Asche ihrer Zigarette ab. „Dann will ich Ihnen gerne zuge ben," versetzte der Ingenieur, „daß auch Sie ein Canaille „Oh, mehr noch als Siel" „Unterscheiden wir: ungestümer, doch weniger gründlich!" „Was? weniger gründlich?" Und eine boshafte Freude blitzt auf in den Augen der jungen Dame. „Es gibt Stunden, da fühle ich mich zu allem fähig!" „Bei mir ist dies immer der Fall ... Da Sie meinen Plänen dienen können, hege ich wirkliches Interesse für Sie. Ich sehe also in Ihnen eine Geschäststeilhaberin. Wollen Sie mir gütigst gestatten, Sie aus meiner ge ringen Erfahrung Nutzen ziehen zu lassen?" „Nur weiter!" „Das Leben ist entweder ein Hin aufsteigen oder ein Hinabsteigen. Das Hinaufsteigen ist für die Gläubigen, das Hinabsteigen für die Zweifler denn diese wissen, daß die Täler fruchtbarer sind als die Höhen. Die Starken wählen gleich anfangs ihr Ziel, kehren niemals um, fetzen alles auf's Spiel die Schwachen dagegen gehen und kommen, steigen hinauf und hinunter, beunruhigen sich, prü fen ängstlich, trippeln an der gleichen Stelle, wie Gänse auf einem heißen Blech. Wir beide, Fräulein Alberte, gehören weder zu den Schwachen noch zu den Gläubigen, wir wollen also miteinander hinabsteigen. Bei diesem Hinabsteigen aber wäre jede Zöge rung eine Ungeschicklichkeit. Man muß ohne Widerstand abwärts gleiten, im mer schneller und schneller, den Blick fest nach unten gerichtet. Sobald man Furcht bekommt, ist man verloren! ... I ch werde sicherlich niemals Furcht bekommen, S i e aber „Furcht? Vor was denn?" fragt Alberta mit spöttischem Lächeln, in dem sie sich eine neue Zigarette an zündet. „Bah, mit euch Frauen weiß man niemals, woran man ist. Eine Frau ist ein so überaus seltsames Ding Ist nicht vielleicht auf dem tiefsten Grun de Ihrer Seele irgend eine vergessene Wurzel zurückgeblieben, über die mor gen schon Ihre Entschlossenheit stol pern wird? Eine alte Liebe, eine teu re Erinnerung, ein Gefühl des Mit leids, eine Träne könnte wohl Sie auf dem Wege ausgleiten lassen." „Wenn ich wirklich eine Seele ha be," erwiderte mit schleppender Stim me die junge Dame, „so gibt es auf fcem Grunde dieser Seele nichts mehr, Wicht einmal Trümmer eines Glau Ben». Eins nur behält die Ober hand in mir: der feste Wille, aus dem Summen Zufall, den man das Le ben nennt, eine so große Summe von Genüssen herauszupressen, als es mir nur zu gewähren vermag." „In diesem Falle können wir uns leicht verständigen. Sie sind ruiniert, oh, widersprechen Sie nicht! Ich bin es gleichfalls. Doch Geld ist da, lockt uns aus nächster Nähe. Das Spiel läßt sich glänzend an. Es ist eine Schachpartie, bei der wir zwei alte Spieler einen jungen Anfänger vor uns haben. Ich habe den Feldzug schon seit zwei Jahren vorbereitet. Allein wäre ich wohl nicht stark genug gerüstet, und Sie auch nicht. Wenn wir beide aber uns verbünden, Sie zum Sturm auf das Herz, ich zum Angriff auf den Kopf des Fein des wenn wir anfangs in parallelen Linien getrennt warschieren, hierauf allgemach uns einander nähern, so wird gewiß uns nichts widerstehen können. Wollen wir also das Bünd ins schließen?" „Jawohl, vorausgesetzt, daß die Beute ehrlich in zwei Hälften ge teilt wird." „Das Gräflein ist fein so fetter Bissen." „Doch wenigstens eine hübsche Mil lion für mich gerade ein Grund mehr! Aber, merken Sie sich's, klaren Wein eingeschenkt! Keine Winkelzüge! Sonst mache ich plötzlich Kehrt, und dann aufgepaßt!!" „Einverstanden!" Und sie reichten sich die Hände. „Gleich im Augenblicke," fuhr Al berte fort, „müssen wir zum vor aus alle Möglichkeiten in's Auge fassen. Tie alte Baronin-Witwe wird wahr scheinlich alles daran setzen, unsern Plan zu vereiteln." Der Ingenieur nahm eine Gön nermiene an und erwiderte: „Von die fer Seite wird es wohl Tränen geben, aber kein ernstliches Handeln. Diese alten Damen, die kenne ich. Sie schweigen, sie versteifen sich und zerbrechen." „Aber die Nichte .?" „Bah, die Nichte! Ihre Farbe bil det keine Ergänzung zur Farbe des Hrn. de Saint-Agilbert. Was immer die Nichte auch sagen mag, es wäre bloß für ihn ein Grund, gerade das Gegenteil zu tun." „Was für eine Farbe hat er denn, der Herr Graf?" „Das wissen Sie ja besser als ich." Und Dietsch späht im Salon um her, um unter all dem Flitterkram irgend einen Gegenstand zu entdec ken, der ihm zur Veranschaulichung seines Gedankens dienen könnte. Da bemerkt er einen welkenden Strauß mit malvenfarbiger Schleife. „So et was wie das Seidenband dort! Ramschware aus dem Basar vor Hitze und Kalte, Sonne und Feugtig keit zu bewahren!" „Und was für einen Charakter hat die Nichte?" forscht Alberte weiter. „Den gleichen wie Sie aber im guten Sinne." „Tanke! Der Graf ist doch zwan zig Jahre alt?" „Vierundzwanzig. Tas Alter der Tummheiten!" „Wirklich reich?" „Ganz sicheres Vermögen: Gebäu lichkeiten, Landgüter und Staatspa piere." „Viele Blutsauger?" „Gar keine Mama wacht. Also nur jene, die wir ihm ansetzen wol len." „Wie?!" „Nun, zwei solche Tierchen sollten, denke ich, genügen! Sie und ich. Sie, mein Fräulein, beißen doch gut an, nicht wahr?" Alberte öffnet ein wenig die Lip pen und zeigt zwei Reihen zierlicher, blendend weißer Zähne. Es ist das Gebiß einer niedlichen, aber bösarti gen Raubkatze. e i n e e i w e k z e u e s i n w e niger elegant, aber kräftiger." Und das fleischige, blühende Antlitz des Sprechenden, das mit spärlichen, blonden, schon verbleichenden Bart haaren bewachsen ist, klappt auf und läßt unter dem farblosen Schnurrbar te eine Doppelreihe von Zähnen se hen, die gleich den Zähnen einer Sä ge gezackt und durch das Tabakrau chen gelblich geworden sind. „Wann aber soll die Schmauserei beginnen?" fragt Alberte. „Je eher, desto besser! Ich fahre nächste Woche nach Val, um das Wild aufzuspüren. Wünschen Sie mir nur keine glückliche Jagd denn das bringt einem, wie matt sagt, Pech!" Schwerfällig wie ein Bär steht der Ingenieur auf, stellt sich auf den mol IMflrr ligen Fußteppich, reckt und streckt sich ein bißchen und schickt sich zum Fort gehen cm. „Adieu, Sie Erzbösewicht!" scherz te Alberte, indem sie ihm zum Ab schiede ihre Hand reichte. „Halten Sie mich von allem auf dem Laufen den." „Adieu, meine liebe kleine Verbün dete!" jagte Tietsch und küßte unbe holfen die Fingerspitzen der jungen Tame. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, blieb Alberte einen Au genblick nachdenklich inmitten ihres großen, in Schwarz und Grün gehal tenen Salons stehen. Plötzlich schleu derte sie ihre Zigarette in den Ka min und rief aus: „O dieser Dietsch! er ekelt mich an!" II. „Also Blau?" „Ja, bringe mir Blau!" „Was für ein Blau?" „Ultramarin, Kobalt, Lack ... al les!" Und die alte Dame untersuchte mit der Spitze ihres Malermessers ihren Farbenkasten und besichtigte die Tu ben. Einige davon sind noch ganz un berührt, andere sind zerdrückt, verbo gen oder leer und liegen in den Fä ehern wie Leichen in den Vertiefun gen eines Schlachtfeldes. „Es ist mir doch noch einiges geblie bett," sagt endlich die Baronin, indem sie auf den Behälter hinweist, zu dem jungen Mädchen, das, mit der Hand auf das Geländer des Gerüstes ge stützt, auf einen genaueren Befehl wartet. „Dann soll ich also keines mehr ho len?" »Doch, doch, mein Kind! Blau hat man nie zuviel, weder im Malkasten noch im Leben." (Den Franzosen gilt blau als Glücksfarbe.) Diese Begleichung entlockt Lucie ciit Lächeln. „Jawohl du wirst das später fclbsi erfahren, wie auch, daß die blaue Far be eine höchst sonderbare Farbe in. Man glaubt sie überall finden zu kön nett, gerade wie das Glück. In Win lichkeit aber ist sie äußerst selten. An Erden gibt es fein Blau. Suche ein mal eine blaue Blume, du wirst keine finden!" ..Ich glaube doch ..Tie Korn blume." „Tie ist violett, meine Liebe! Vio lett läßt sich bezeichnen als Blau in Trauer. Tas echte Blaue ist ei1"' ätherische, durchsichtige Farbe es die Farbe unermeßlicher Tiefen, d: wahre Farbe der Unendlichkeit, wet die Unendlichkeit sich überhaupt len ließe. Deshalb hat sich Gott da selbe fiir geilten Himmel vorbehc ten und für die Augen unser jungen Mädchen, für die deinen zu Beispiel. Vorhin wollte ich dir nich davon sagen, aber es war für ttii ein wahrer künstlerischer Genuß, zu studieren!" „Aber, liebe Tante, du machst mi ja ganz verlegen." „Warum denn auch? O wenn du wüßtest, welche Freude mir dein An blick gewährt! Nichts ist beruhigen der, nichts tröstlicher als ein schönec Angesicht, besonders wenn es da* -Spiegelbild einer noch schöneren See le ist. Man findet darin etwas von dem_ unaussprechlichen Zauber des Schöpfers wieder, der uns nach Sei nem Ebenbilde gestaltet hat. Ein fd ö nes Angesicht kann zuweilen eine gan ze Gegend erhellen. Darum ist ei nteilt Lieblingswunsch, daß du hier dein Licht strahlen lassest, und die* besonders dann, wenn ich ein Modell fur meine Madonna brauche." Mit der Palette in der Hand tritt die Baronin ewige Schritte zurück .P. Mark Moesleiu, C.I'., der hier mit einigen Mitglieder» seiner Missionsgcmcinde in Washington, 9t. ($., gezeigt ist, ist der älteste Priester in der Kongregation der Passionisten. Eiiinndneiinzin ^nlirc alt, feierte er kürzlich sein fünfundsiebziltjiihriges Prvfcsijiibilätiin. Vor kurzem zog er sich in das Passioni ftenkloster in Baltimore zurück, ist «brr noch immer, trotz seines hohen Alters, fortgesetit tätig. Im leb ten Jahrzehnt wirkte er unter den Negern im Süden des Landes. uiii) mustert ihre junge Nicht mit ttn ^wollendem Blicke. „Lehne dich mal hier an'» Geländer! Stopf ein wi\(iii seitwärts! Prächtig! Mu= rillo würde zufrieden sein!" Tie junge Tame unterzieht sich frobmiitig dieser künstlerischen Prü fung ihrer äußern Persönlichkeit. Tas leiuafte Tageslicht, das durch die ßai'iH'iifeitster einfällt, umflutet die fchlanfe, hohe Mädchengeslalt mit ih ren üppigen braunen, in der Sonne goDiri schimmernden Haaren und dem gruvlu'cheit Profil der Stinte, das feiiiu'itde Willensstärke ahnen läßt. Man möchte wahrhaft glauben, eine Ernlvinung aus einer höhern Welt vor sich zu haben, „och werde dich sicherlich noch hochmütig machen, ar me vueie, will es aber vor dem lie ben Gott schon verantworten Doch jetzt mach dich aus dem Staube! Ick muß heute vormittag noch dies gmue Flächen stück decken." Vncie eilte unter liefern Rauschen ihr.v faltigen SUeides die Treppe des Gerüste« hinunter und würdig ihres Neimens (Lucie Lucia heißt „die Glänzende", „Strahlende"), gleich einer lichten Fee allenthalben von den weißen und violetten, blauen iind griiiten, purpurnen und goldigen ^trahlengarben der farbentiefen Glasfenster umspielt, durchschritt sie die zierliche kleine Kirche. Traußen war's ein köstlicher Herbstmorgen. Auch die liebe Sonne schien auf den grauen Steinsliesen des von hohen Fichten beschatteten Friedhofs eine Melodie von unaufhörlich wechseln den Farbentönen zu spielen, während Die dunkelgrünen Nadelblätter im Morgenwinde leise rauschend die al ien Bleischeiben liebkosten, an denen 1 &ah 15nn ftprben Ter soeben nach zweinndvierzig Monaten japanischer Gefangen schaft zurückgekehrte Arineekaplan, Major John A. Wilson aus der Gesellschaft vom Kostbaren Blute, war Zeuge des Todes von fünf zehnhundert amerikanischen Solda ten, die im Laufe von sechs Wo chen an Unterernährung und Er» ßchöpfung starben. Er selbst wog nnr sicbcnundneunzig Pfund, als er aus der Gefangenschaft befreit wurde. Von sechzehn katholischen Kaplänen, die in den Philippinen gefangen genommen wurden, blie 6c* ««r sechs am Leben. da und dort die Schwalben ihre Ne ster angeklebt hatten. Sobald die Ba ronin wieder allein war, mochte sie sich mit um so größerem Eifer an ihre Arbeit, als sie sich hinsichtlich des Fortgänge» derselben von Vorwürfen nicht frei wußte. Schon feit vierzehn Tagen hatte sie sich müßigen Träumereien hingege ben, die ihrem Werke hinderlich wa ren. Wenn man einmal die Sechzig überschritten, dann heißt es eilig und ohne Umschweife vorwärts streben. Wie leicht kann da der unerbittliche Tod einen inmitten der Arbeit über raschen, besonders wenn diese längere Zeit beansprucht? Und wie höchst be baiicrn»lucrt ist das Geschick des Siiinstlcr», der, wie Moses auf der Schwelle de» Landes der Verheißung, weggerafft wird, ohne seinen Lieb liiig»trautii vollends verwirklicht zu sehen! Nachdem die Baronin bereits das Gewölbe des Kirchenschisfes mit einer ganzen Prozession von Heiligen be völkert hatte, faßte sie trotz ihres vor gerückten Alters den Entschluß, auch noch die Seitenkapellen auszumalen. Tas sollte vor Gott gleichsam der Namenszug ihrer gläubigen Seele am untern Rande ihres Lebensbildes fein. Seit Jahrhunderten lebte ihre Fa milie an diesem Orte und trieb von Geschlecht zu Geschlecht neue lebens kräftige Wurzeln in den alten Bo de», mit diesem immer enger und enger verwachsend. Im Schatten des herrschaftlichen Schlosse» hatte seit den Tagen des Mittelalter» alles ei nen gedeihlichen Aufschwung genom men. Bis zum Jahre 1106 ließ sich die Familie de Saint-Agilbert zurück verfolgen, um dann aus Mangel an i urkundlichen Zeugnissen plötzlich im Tuntel der Geschichte zu verschwin den. Allenthalben fanden sich in der Ge gend bedeutsame Spuren der Vorfah I reu. Auch die greise Edelfrau fühlte sich gedrungen, die ruhmvollen Ue berlieferungen ihrer Familie fortzu I setzen und einen gesegneten Namen i auf die Nachwelt zu vererben. Gleich- 1 fain als ihre pergamentenen Ruhmes bliiter hatte sie sich alle die Nöten und Trangsale auserlesen, die sie in Fleurines antraf. Seit ihrer frühe- 1 steil Jugend wandelte sie mit offenem i Herzen und offener Hand inmitten der Annen. Was Tag für Tag ihren {Mut und ihre Straft heubelebte, das waren die Erinnerungen an die Ver gnngenljeit und die Hoffnungen auf I die Zukunft, die sie alle auf ihr ein» ziges Kind, einen stattlichen jungen Mann von vierundzwanzig Jahren, vereinigte. Es war Graf Brutto de Saint-Agilbert. Jetzt war sie zwar eilte alte Frau, aber sie entfaltete nur eine um so re gere Tätigkeit, weil eben ihre Stun de näher und näher rückte und ihre Zeit immer kostbarer wurde. Aus die sem Grunde hatte sie zu all ihren Werken der christlichen Liebe auch noch die Ausmalung des Gotteshauses hin zugefügt, in der lleberzeugung, daß der Mensch nur dann hienieden sich selbst überleben wird, wenn er gear beitet hat im Schatten desjenigen, welcher die Ewigkeit selbst ist. i Ueberdies war ihr eigener Urah tie der Erbauer dieser Kirche. Er hat te kühn auf dem obersten Teile des Hügels das Bauwerk aus harten Kalk- und Sandsteinen aufgeführt, so daß es gleichsam ein hochragender, vorgeschobener Wachtposten de» Ewi gen zur Abwehr der die Talschaft be drohenden Hebel und Leiden zu fein schien. Als die Baronin sich mit der Er Neuerung des verwitterten Bauwer kes ihres Ahnherrn beschäftigte, be 7 mühte sie sich, dem alten Gotteshaufe ein freundlicheres Gepräge, einen ge wissen Reiz anheimelnder Schönheit zu verleihen denn sie war der An sicht, eine Kirche, der dieser Reiz der Schönheit fehlt, sei keine ganz rich tige und vollständige Kirche. Oft schon hatte sie bei ihrer Rückkehr vom Got tesdienste im stillen einen Vergleich angestellt zwischen der Armseligkeit des Altars und der Pracht des Schlosses, und der schreiende Gegen satz hatte jedesmal in ihrem from men öemiite ein peinliche» Gefühl geweckt. Taher kam sie zu dem Ent schlüsse, das alte Heiligtum, dessen getreuer Hüter der ehrwürdige Pfar rer war, in würdiger Weise zu ver schönern. Gott belohnte die edle Frau schon hienieden für Meie» zu Seiner Ehre unternommene Werk denn sie fand beim Anbruche ihres Lebenswin ters in der Ausführung ihres Planes eine solche innere Befriedigung und solchen Trost, wie sie es vorher kaum geahnt hotte. Wenn sie so ganz allein auf dem Gerüste, das in den Wölbungen der Seitenschiffe befestigt war, arbeitete, roie oft hatte sie da ich ort über die Eitelkeit des Menschenlebens, über Die anscheinenden Widersprüche der Tinge nachgedacht, wie sie es anders wo niemals zustande gebracht hätte. Ach, wie viele ihrem Herzen teuere Gestalten sind hinter ihr schon ent schwnnden! Ueberall in der Schloß kirche schlafen Angehörige ihres Ge schlechtes den letzten Schlaf und har reit in Steinsärgen oder unter den mit golbichitnmernöen Wappenschil dern verzierten, altersgrauen Grab platten der Stimme Gottes, die sie zur letzten Abrechnung rufen wird. Angesichts all dieses Staubes, beson ders aber angesichts des unlängst er richteten Grabmals, das die irdische Hülle ihres auf der Jagd verunglück ten Gemahls birgt, och, wie kurz und flüchtig kommt ihr da dos Menschen leben vor. Es wäre daher gewiß die größte Torheit, sich dieses Leben selbst zu verderben, oder es den unersätt lichen Leidenschaften als Futter hin zuwerfen! Es ist dagegen pflichtge mäß und weise, ernst und besonnen, liebevoll und hilfreich durch das Er benleben zu wandeln, und dabei auch an das andere Leben zu denken an jenes Leben, das als schauerliches Geheimnis in hehrem Schweigen uns überall umgibt das von keinem Ster ben weiß: in welchem die unermeß lichen Wünsche unserer in Hunger und Sehnsucht sich verzehrenden See le endlich eine wirkliche und bleibende Befriedigung finden können. Demzufolge durfte die greise srhloßberriit am Ende ihres schon ziemlich langen Weges heiteren Blik kes das Morgenrot der Ewigkeit auf steigen sehen. Längs des ganzen zu rückgelegten Weges erhoben die guten Werke ihre stimme nnd baten um Verzeihung für die weniger guten oder gar sündhaften Werke, die trotz dem besten Willen so leicht unserer schwachen und zum Bösen geneigten Natur entschlüpfen. Tiefe Gedanken und Überzeugun gen, die in der Stille eines vom Le ben hart geprüften Herzens allmäh lich zur Reife gediehen waren, mach ten die Baronin zu einer Künstlerin, die von einem tiefen religiösen Ge fühle durchdrungen war, und die jede freie stunde ausnützte, um das, was sie innerlich schaute und empfand, auch äußerlich auf dauerhafte Art und Weise auszudrücken. Und so machte sie sich denn, sobald Lucie, eine verwaiste Nichte, die sie an Siindes Statt angenommen, sich entfernt hatte, an ihre Arbeit mit ei nem Feuer, das mau nur einem Wer ke weiht, das schon hienieden unser Schönheitsbedürfnis befriedigt und uns da» Glück des Vergefsens ge währt. Aber es war wohl vom Schicksale bestimmt, daß die Arbeit an diesem Vormittag feine bedeutenden Fort schritte machen sollte. Kaum hatte die Malerin ihre Palette zurechtgemacht, als die alte Tür des SIreuzganges in den Angeln knarrte, und dos Tages licht ein grelles Viereck in das Inne re der Kirche warf, während gleich zeitig auf den Steinplatten feste Schritte ertönten. „Tas kann doch nicht schon Lucie fein," dachte die Baronin, indem sie sich über das Geländer beugte. „Wel che Ueberraschung?! Ja, es ist mein sohtt!" Der Eintretende hat wirklich nichts besonders Frauenhaftes an sich: es ist ein schlanker, hoch gewachsener, mit echt kritischer Sorgfalt gekleideter junger Herr. Kaum hat er etwa den dritten Teil des Raumes durchschrit ten. so hebt er den Kopf gegen das Gewölbe und sucht in augenscheinlich etwas zögernder Haltung in dem Durcheinander der Bretter und Bal ken den Aufstieg zum Gerüste zu ent decken. „Hierher, Bruno!" ruft die Mut ter. „Ah, du hast mich schon Bemerkt?" „Ja freilich!" „Guten Tag, Mutter!" (Fortsetzung folgt) \n\n Photo Features Photo Features