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Ohio Waisenfreund. [volume] (Pomeroy, O. [Ohio]) 1874-1953, April 13, 1946, Ausgabe der 'Wanderer', Image 3

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1
Gerechtigkeit
Die Gedankensünden sind im ge
wissen Sinne die schlimmsten. Denn
vor ihnen wird der Mensch sich weni
|er hüten, da sie seine Schlechtigkeit
ja nicht nach außen offenbaren. Sie
sind es ferner, welche die äußere Tat
begründen, begleiten und vollenden,
ja von ihnen allein erhält die äußere
Handlung den Charakter der Bosheit.
Die äußere Tat kann in manchen Fäl
len beides, gut oder böse sein. Neh
men wir ein Beispiel:
Dort zieht spät abends ein Wan
derer einsam seiner Straße. Da kracht
ein Schuß aus dem fernen Gebüsch.
Der Arme sinkt getroffen nieder.
Welch ein Verbrechen! O nein, gar
nicht. In jenem Gebüsche stand seit
einer halben Stunde ein Vorposten,
der beim unsicher» Mondlicht in dem
Fustaänger einen feindlichen Solda
ten zu erkennen glaubte. Wäre das
nicht der Fall gewesen, hätte er ohne
Kiesen Irrtum auf den Wanderer an
gelegt, dann allerdings könnte ein
arges Verbrechen vorliegen. Was
demnach hier zur Untat fehlte, das
ist nichts anderes als die innere Sün
de, die Absicht, der Gedanke.
Die Gedankenfünden nun, die zahl
reichsten und die verderblichsten von
allen, werden im Reiche der Gottlo
figkeit ungeahndet bleiben. Denn wer
will sie anklagen? Vor dem tiefen
Dunkel, welches sich um die Geheint«
Nisse des Geistes legt, muß schließlich
auch die vortrefflichste Geheimpolizei,
muß der ausgebildetste Spürsinn Halt
machen. Und wüßte man sie, wer
könnte ihre ungeheure Menge vor den
Richter bringen! Welche Unzahl von
Richtern wäre erforderlich, sie abzu
Urteilen? Ja, könnte man überhaupt
die Gedanken zum Gegenstände des
Strafgesetzbuches machen, so hätte es
die Welt sicher schon unternommen.
Daß es nie geschehen ist und nie ge
schehen wird, hat einen durchschlagen
den Grund auch in der völligen Un
Möglichkeit, einer Unmöglichkeit,
welche durch die Leugnung Gottes
wahrhaftig nicht zu beseitigen ist.
Ohnmächtig wird zu allen Zeiten die
menschliche Gerechtigkeit dem Reiche
des Gedankens gegenüberstehen.
Ja Ohnmacht, das ist der eigentli
che Charakter aller menschlichen Ge
rechtig feit. Ohnmacht ist ihr Wesen,
ihr allereigenstes Wesen, sogar da,
wo sie wirklich ihres Amtes walten
kann. Denn wie mancher Verbrecher,
den sie in ihrer Gewalt hat und dessen
Untaten nachgewiesen sind, vermag sie
nicht nach Gebühr zu züchtigen! Wenn
z. B. die rechte Strafe für den Mord
der Tod ist, welche Strafe bleibt dann
für den Doppelmord noch übrig?
Welche für den Massenmord? Und
was soll der erleiden, der die Hand
gar an seinen Vater, an sein Ober
hvupt legt? Sollte nicht eine Süh
nung über sie verhängt werden, wel
che selbst im Verhältnisse zum Tode
noch ebenso exemplarisch ist, wie das
Verbrechen ungeheuer? Allein, mehr
als ein einziges Leben kann man
ihnen nicht nehmen. Oder ist ein sol
cher etwa durch Gefängnis und Geld
büße, oder durch die mittelalterliche
Folter genugsam bestraft? Die Macht
des Strafenden hat ein Ende, wäh
rend die Bosheit, vor allem die in
nere Bosheit, immer noch größer und
schauriger werden kann so groß
und schaurig, daß man beinahe sagen
darf, sie könne ins Unendliche wach
sen. Und doch verlangt unser Gerech
tigkeitsgefühl auch für das allerärg
sie Vergehen eine Strafe, die seine
Größte und Bosheit ebenso entspricht
wie die Sühnung des allerkleinften
Fehltritts.
Diese Halbheit und Ohnmacht klebt
der menschlichen Rechtspflege unzer
trennlich an, selbst dann, wenn es
möglich wäre, alle mildernden und
erschwerenden Umstände richtig ab
zuwägen. Allein, wie oft kann das
mit Sicherheit geschehen?
Es steht also unwiderleglich fest,
daß die Menschheit niemals fähig sein
kann, jene Gerechtigkeit, die unser
^Verstand fordert, in der Welt herzu
stellen. Sie ist dazu in ihren Mitteln
zur Verfolgung wie zur Bestrafung
geradezu armseliger Weise be
schränkt. Erst recht aber ist sie dazu
Nicht fähig im gottlosen Staate.
Wir haben vorausgesetzt, daß die
jenigen, welche die Gerechtigkeit
handhaben, redliche, unbescholtene
Männer sind, denen es nicht um den
eigenen Vorteil, sondern lediglich um
das gemeinsame Wohl zu tun ist.
Wird das aber im gottlosen Staat
der Fall sein? Daran dürfen wir bil
lig schwere Zweifel hegen.
Wir haben die Betrügereien noch
picht vergessen, welche begangen wor
den sind in der Weltgeschichte. Hoch
gestellte Männer, Helden der aller
Modernsten Wissenschaft, rechte groß
jährige Kinder der Gottesleugmmg
i
haben es verstanden, sich das Vermö
gen ihrer Mitmenschen in die Taschen
zu leiten. Man sah es und knirschte.
Aber nicht wenige der Uebeltäter gin
gen straflos aus, weil sie entweder
schlauer waren als die Inhaber öf
fentlicher Gewalt oder weil die Hü
ter der Gerechtigkeit mit ihnen im
Bunde standen. Wenn nun einmal
die ganze Welt gottlos ist, dann wer
den solche Leute das Heft in der Hand
haben Leute, die vor allem auf
die Füllung ihrer eigenen Geldkisten
bedacht sind Leute, die, wie wir vom
Apostel vernommen, ohne Mitleid
sind mit dem Nebenmenschen, ohne
Treue in Handel und Wandel, dage
gen voll Habsucht, Niedrigkeit und
Bosheit. Man braucht wahrhaftig
kein Prophet zu sein, um voraussagen
zu können, daß es.alsdann um die
Handhabung der Gerechtigkeit über
die Maßen traurig bestellt sein wird.
Ein Sprichwort sagt: „Tie eine
Krähe hackt der andern kein Auge
aus." Es steht nur zu erwarten, daß
die Regierung der Gottlosigkeit für
dieses Sprichwort eine Menge Bei
spiele liefert. Das Auge, welches den
Unterschied zwischen Mein und Dein
zu erkennen verlernt hat, wird der
Uebeltat nicht besonders eifrig nach
spüren. Die Hand, die sich schon selbst
nach fremdem Gute auszustrecken
pflegt, wird sich nicht groß rühmen,
wenn es gilt, eine Vergewaltigung
des Mitmenschen zu bestrafen.
Die Bücher der Geschichte sind zum
guten Teile deshalb so dick ange
schwollen, weil sie so viele Greuelta
ten der Mächtigen zu berichten ha
ben. Wie wenige dieser Unmenschen
haben aber auf Erden ihre Strafe
gefunden! So manche große Schurken
sind im ungestörten Besitze der ge
raubten Güter, der geraubten Länder
und Schatzkammern bis an ihr Ende
verblieben. Und wo das nicht der
Fall war, wer möchte da behaupten,
daß etwa eine Verbannung sie
mag noch so hart und unerbittlich
ausgeführt sein eine gebührende
Strafe sei für all das Blut und
Elends für das zertretene Familien
glück, für den gebrochenen Wohlstand
der Nationen, das zum Himmel schrie.
Also jene Uebeltäter haben auf Er
den eine Sühnung nicht erhalten. Jh
re Gegner mögen sich einen Staat
zusammenträumen, so vollkommen sie
wollen: Diese Männer erreicht ihre
Strafgerechtigkeit nicht mehr. Sie
sind menschlichen Mitteln auf immer
und ewig entrückt.
Die menschliche Gerechtigkeit ist
etwas Gutes. Sie stammt von Gott,
denn Gott selbst hat der Obrigkeit
das Wort geredet. Allein, sie ist weder
fähig noch bestimmt, jedem Verbre
chen, jeder lieber tretung die eigent
liche der Natur der Sache entsprechen
de Sühnung zu geben. Nur jene Tor
heit, welche im Altertum Menschen
vergötterte, kann es sich beifallen las
sen, jetzt die menschliche Gerechtigkeit
auf den Thron der göttlichen setzen
zu wollen.
Wenn es wahr ist, daß unser Ver
stand und Gefühl für jedes Verbre
chen eine Strafe verlangt, und zwar
eine gebührende Strafe wenn es
wahr ist, daß auch die allervollkom
mendste menschliche Gerechtigkeit die
se Forderung nie erfüllen kann,
am wenigsten im gottlosen Staate:
dann ist es eben so wahr, daß es
einen Gott gibt, vor dessen Blick auch
das Dunkel der Nacht sich erhellt, des
sen Auge in die Abgründe der Her
zen eindringt einen Gott, dessen
Hand weit genug reicht, den Schuldi
gen überall zu fassen einen Gott,
dessen unerreichte Höhe den Niedrig
sten nicht übersieht und dessen Uner
bittlichkeit vor dem Höchsten nicht er
schrickt einen Gott, der das schwache
Vergehen nicht zu hart, aber auch die
Untat um kein Haar zu gelinde straft
einen Gott, dessen Ewigkeit kein Sün
der entrinnt und entronnen ist. Ja,
einen Gott haben wir, oder unser
Begriff von Gerechtigkeit ist ein tol
les Hirngespinst einen Gott haben
wir, oder unser Verstand ist ein Irr
licht einen Gott haben wir, oder un
sere edelste Fähigkeit ist nur eine
Qual für uns, einzig geeignet, uns
durch unsinnige Forderungen zweck
los und nutzlos zu beunruhigen.
Doch ihr wollt Gerechtigkeit sehen.
Gerechtigkeit auf Erden. Gut! Wenn
die Zeiten der Völker abgelaufen
sind, dann wird das Zeichen des
Menschensohnes am Himmel erschei
nen und alle Völker werden sich vor
dem Throne ihres Richters versam
meln. Ein Strahl Seines Lichtes
reicht hin, die Bücher aller Herzen
vor aller Augen aufzuschlagen. Jetzt
wird der Herr des Ackers kommen,
das Unkraut vom Weizen zu sondern.
„Weichet von Mir ihr Verfluchten!"
So lautet Sein unwiderrufliches Ur
teil. „In das ewige Feuer! Denn
Mich, euren Herrn, habt ihr tödlich
beleidigt, als ihr die Pflichten gegen
euren Nebenmenschen nicht erfülltet."
n i. SJ-tf
Ach, für mich, für meine Sünden
Trägst Du Schmerz und Gram und
Hohn!
Wer kann Deine Lieb ergründen,
Liebevollster Gottessohn!
Ich verdien' die Dornenkrone
llitd der Nägel bittern Schmerz
Schweigen müßt ich vor dem Hohne,
Dulden still den Stich ins Herz.
Liebe, Liebe, laß mich leiden,
Senge, brenne, schneid' an mir,
Hilf mir alles Böse meiden,
Daß ich ähnlich werde Dir!
Mit Dir leidend will ich siegen,
lieber Sünde, Tod und Gran'n,
Will hinauf zum Himmel fliegen
Und Dich ewig, ewig schau'n.
Das ist die Gerechtigkeit unsers
Gottes. Wohl möglich, daß sie kurz
lebigen Naturen, deren Seele gleich
der Affenseele nicht lange warten
kann, etwas spät kommt. Für uns
dagegen, die wir wissen, daß des
Menschengeist ewig ist wie Gott und
daß nach dieser allgemeinen endgülti
gen Abrechnung ein ewiger Freuden
tag dämmert ohne Sonnenuntergang,
ist sie gerade gut genug. Das freilich
muß der Christ wissen: Wenn es ei
nen gerechten Vergelter gibt dann
muß man diesen und diesen allein
fürchten und, wie die Schrift hinzu
fügt, Seine Gebote beobachten.
„Fürchte Gott und halte Seine Ge
bote!"
Wer das nicht will, oder schon oft
nicht gewollt hat, der möchte den ge
strengen Gott mit Seiner Hölle und
Seinem Weltgericht wohl gerne aus
dem Dasein leugnen der möchte es
mit der weltlichen Obrigkeit allein zu
tun haben.
Aber der alte Gott stirbt nicht,
wohl aber sterben die neuheidnischen
Gottesleugner. Hinter der schwarzen
Türe wird ihnen dann entsetzlich klar,
daß sie nicht bloß Toren, sondern auch
Sünder gewesen, und daß ihre itiv
verzeihlichste Sünde die ist, Gottes
allerhöchste Richtergewalt geleugnet
zu haben.
Es verrät in der Tat eine geradezu
unbegreifliche Borniertheit, wenn die
elende Lehmkreatur, welche am Rande
unser» Erdplaneten wimmelt, sich
untersteht, ihrem Schöpfer vorzu
schreiben, unter welchen Bedingun
gen sie Ihn als Herrn des Weltalls
anerkennen will. Ich möchte nur ein
mal wissen, wie denn der gute Gott
es anfangen könnte, die Verbrechen
schon diesseits des Grabes zu ahn
den. Soll etwa jeder, der z. B. einen
Ehebruch oder einen Diebstahl began
gen hat, sofort vom Blitz getroffen
werden? Mein Lieber, abgesehen da
von, daß der Tod allein nicht genügte,
du schreibst ja schon jetzt Gott eine
große Hartherzigkeit zu, wenn aber
erst jedem sofort alle Gelegenheit zur
Besserung abgeschnitten würde, tote
schrieest du alsdann wohl über
ich mag nicht hinsetzen, welche Got
teslästerungen du ausstoßen würdest.
„Aber wenigstens nach einiger Zeit
soll er sterben!" So, du Grausamer!
Und was hast du dann davon? Kannst
du etwa sehen, weshalb er stirbt V
Oder soll Gott vollends noch durch
eine Stimme vom Himmel die Ur
sache seines Todes bekannt geben?
Bist du im Ernste toll genug, das zu
erwarten?
„Aber sicher sollten doch offenkun
dige Verbrecher schon hier ihre Stra
fe finden!" Warum? Gott hat wahr
haftig durch die Natur und die Of
fenbarung Seine Gerechtigkeit mehr
als genug kundgetan. Es weiß schon
jeder, der es wissen will, daß auf die
Sünde unfehlbar die Strafe in ihrer
vollen Strenge folgen wird. Warum
soll Er das also noch jedesmal zei
gen? Er ist doch kein kleines Kind,
welches jedem Besucher zeigen muß,
daß es jetzt die Türe schon selber öff
nen kann.
Die Forderung, alle Verbrechen
schon hier in der Zeitlichkeit bestrast
zu sehen, kann nur einem Hirn ent
springen, das sich bereits mit vielen
Zfsmiltenkreis
Zum leidenden Heiland
3ei gegrüßt, D« Mann der Schmer
zen,
Ausgespannt am Kreuzespfahl!
Mitempfinden tief im Herzen
Möcht' ich Deine Todesqual.
H. H. Mönch
Und sie gehen in die ewige Pein, zu
trinken vom Zorne des Allmachtigen
auf ewig.
Albernheiten vertraut gemacht hat.
Man müßte sich ja darauf gefaßt hal
ten die ganze Ordnung der menschli
chen Verhältnisse, sowie sie nun ein
mal ist, in die abenteuerlichste, grau
enhafteste Verwirrung geraten zu se
hen.
Nein, wir Dummen, wir dünken
uns unsäglich weise, indem wir ver
meinen, der Gott, der das Heer der
Sterne gemacht, der Gott, der das
Wunderwerk des menschlichen Geistes
aus Seinem eigenen Wesen hervor
haucht, der Gott, der die Welt so sehr
geliebt, daß Er Seinen eingeborenen
Sohn für sie in den Kreuzestod da
hingab, dieser Gott werde Seine
triftigen Gründe gehabt haben, alles
so zu machen, wie es ist. Diese Ueber
zeugung ist unsere Weisheit und wir
sprechen voll Herzensinnigkeit mit
dem Psalmisten: Gott anhangen, das
ist mein Glück, auf Gott den Herrn
meine Hoffnung fetzen!
F. L.
Karfreitag
Opfer der Liebe! Ecce Homo!
Dorngefrönt, die von Geißelhieben
zerrissenen Glieder mit dem Spott
mantel bedeckt, steht Er vor der wild
erregten Menge, Er, den sie erst
or wenigen Tagen mit betäubenden
3ubelrufeit empfangen haben. Und
es ist noch nicht genug der Schmach.
Dem Gottmenschen wird der Raub
titörder vorgezogen: „Kreuzige ihn!"
toft es dem Statthalter aus tausend
Kehlen entgegen. Das Kreuz wird
emporgerichtet auf Golgatha, damit
der Gottessohn den schimpflichsten
Tod erleiden sollte, den Sein Zeit
alter kannte. Aber siehe da: obwohl
Golgatha nur ein Zwerg ist unter
den Bergen dieser Erde, so ist doch
über alle irdischen Höhen hinaus bis
in die fernsten Winkel des Erdkrei
ses sichtbar geworden das Kreuz, das
den Gottessohn getragen hat und da
durch ans dem Holze der Schmach das
Zeichen des Triumphes über Tod und
Hölle geworden ist. Woher diese
Wandlung der Begriffe? Woher die
ser Triumphzug des Kreuzes?
Der Riß in dein Vorhang des salo
monischen Tempels, der Abgrund, der
die Felsen spaltete: sie bedeuten die
Trennung zweier Welten, die Treu
nung der erwartenden von der erlö
sten Welt. Mit Seinem Blute und
mit Seinem bitteren Tode hat Gott
selbst der neuen Epoche das Siegel
aufgeprägt, die ungeheuerlichste
Schandtat der Weltgeschichte sollte
nach Gottes unergründlichem Rat
schluß zum unendlichen Segen der
Menschheit ausschlagen. Und die
Weltgeschichte hat von Golgatha aus
ihren Gang genommen, den feiner
der Pharisäer und Schriftgelehrten,
feiner der Heiden, die den Sclnner
zensinann am Kreuze verhöhnten, zu
erfassen vermochte.
Viele und gewaltige Taten sind
seitdem auf der Erde geschehen, große
Umwälzungen hat das Menschenge
schlecht erfahren aber alles das, wie
menschlich klein ist es im Vergleich zu
der Gottestat auf Golgatha, die in
dem einen Satz gezeichnet ist: „Es ist
vollbracht!"
Vollbracht ist die Liebestat, deren
Milliarden Menschenleben nicht fähig
waren, weil nur eine Tat von unend
licher Tragweite die unendliche Schuld
sühnen konnte. Vor dem Strahl der
göttlichen Liebe, der aus der Herzens
wunde des Heilandes am Kreuze
bricht, erblaßt aller Glanz, alle Herr
schermacht des Heidentums. Eine
Kraft ist den Menschen verliehen wor
den, die alle Finsternis überstrahlt:
die Liebe zu Gott und dem Nächsten,
das Opser, das vor nichts zurückscheut,
nachdem Gott Sich selbst als Opser
dargebracht, die Gnade, die als ein
unerschöpflicher Quell die Welt über
strömt aus den Wunden des Welt
erlösers.
Diese Mächte sind es, die das An
gestellt der Erde erneut haben. Sie
waren unfaßbar für die Schriftge
Iehrten der Juden und die Klassiker
der Heiden und haben doch die alte
heidnische Kultur überwunden. Heu
te liegen sie im Kampfe mit denfel
ben finsteren Gewalten. Und sie wer
den diese Mächte ebenso sicher über
winden, wie sie den Aberglauben der
Pharisäer und die Götzen des Heiden
turns gestürzt haben. Sie höhnen
zwar das Kreuz noch immer, die mo
dernen Heiden und Schriftgelehrten
sie bauen an dem babylonischen Turm
einer gottentfremdeten Wissenschaft.
Aber dieses Menschenwerk wird ver
schwinden und das Kreuz wird beste
hen bleiben.
Am Fuße des Kreuzes des Heilan
des auf Golgatha standen gewiß man
che, die im Herzen nicht einverstanden
waren mit der fanatischen Menge der
Feinde Christi. Aber nur der römi­
sche Hauptmann besaß den Mut, es
offen zu bekennen: „Wahrhaftig, das
ist Gottes Sohn!"
An jedem Karfreitag, so viele die
Geschichte kennt, ja an jedem Tage
und zu jeder Stunde wiederholt sich
dieses Schauspiel. Es gibt so viele,
die sich Anhänger Christi nennen,
aber doch nicht den Mut des offenen
Bekenntnisses, den Mut des Handelns
nach Christi Willen besitzen. Tie Lie
bestat auf Golgatha hat die histori
sch en und gesellschaftlichen Begriffe
des heidnischen Altertums von Grund
aus umgestaltet. Nur wenn alle, die
sich noch Christen nennen, die Ge
bote der Liebe erfüllen, zu Opfern
bereit sind, wird das Christentum
abermals die Welt umgestalten.
Wer rechnet heute mit der Liebe
Gottes und des Nächsten? Etwa die
jenigen, die dem Dämon Gold nach
jagen? Tie auf das Zeitliche alles
stellen O nein! Gerade diese sind es,
denen die moralische Verantwortung
zufällt für die heillose Verschärfung
der sozialen Kämpfe der Gegenwart!
Tas Kreuz auf Golgatha bleibt eine
ewige Mahnung für die Mächtigen
dieser Erde. Vergebens wird die
Menschheit nach Befreiung ringen,
wenn sie nicht durchdrungen sein wird
von dem Geiste der Liebe und des
Opfers, der von Golgatha ausge
gangen ist.
Gott hat der Menschheit durch die
ses unendliche Opfer verkündet, daß
es in Seinem Plane liegt, sie mit der
Macht der Liebe, des Opfers und der
Gnade ihrem ewigen Ziele entgegen»
zuführen. Nur nach diesem uner
gründlichen Plane, der das höchste
Opfer nicht verschmähte, wird die
Menschheit den rechten Weg finden.
Tie Gottes- und Nächstenliebe ist uns
nicht verkündet, damit die „Engel
der Barmherzigkeit" oder fromme
Einsiedler sie üben. Sie muß unser
ganzes Leben wie der Sauerteig
durchdringen, jeder an seinem Platze
muß nach ihren Geboten handeln.
Kein anderer Ausweg sonst für die
Lösung aller großen Fragen unserer
Zeit. Mag der Unglaube höhnen, wie
er den Heiland am Kreuze verhöhnt
hat: Nur im Kreuze werden die
Mächte der Zerstörung überwunden
werden, nur im Geiste der Liebe und
des Opfers auf Golgatha!
Fest der schmerzen
2TTariä
Recht passend feiert die Kirche an
dem dem heiligen Karfreitage voran
gehenden Freitage das Fest der
Schmerzen Mariä, welches feit unge
fähr vierhundert Jahren eingeführt
ist. Tie Kirche erinnert uns an diesem
Tage an den innigen Anteil, welchen
die allerjeligste Jungfrau an dem
Leiden ihres göttlichen Sohnes ge
nommen hat. Damals als Simeon im
Tempel zu Jerusalem das Kind Je
su in seinen Armen hielt, pries er
Gott, daß ihm die Gnade zuteil ge
worden, vor seinem Tode noch den
Heiland aller Völker zu erblicken.
Aber damals sprach er auch bereits
ein Wort der Weissagung von Jesu
sowohl als von Seiner Mutter:
„Siehe, dieser gereicht vielen in
Israel zum Falle und zum Ausstehen
an Ihm werden die Gesinnungen vie
ler offenbar werden." Dieses Wort
galt dem göttlichen Kinde. „Deine
eele wird ein Schwert durchdrin
gen" das war für die Mutter des
Erlösers.
Schon in der frühesten Jugend
wurde dieser Ausspruch Simeons er
füllt, als die heilige Mutter mit dem
Kinde nach Aegypten fliehen mußte,
um Es vor den Nachstellungen des
blutdürstigen Königs Herodes zu
sichern ebenso, da sie den verlorenen
zwölfjährigen Jestls in Jerusalem
aufsuchte. Vollends aber ging die
Vorhersagung in Erfüllung, als fie
zusehen mußte, wie man mit den
ausgesuchtesten Qualen und Be
schimpfungen den Heiland marterte,
und als sie unter dem Kreuze stand
und den göttlichen Erlöser unter
furchtbaren Schmerzen mußte sterben
sehen. Diese Marter der gebenedeiten
Jungsrau wollten sich die Christen
ins Gedächtnis rufen, welche zuerst
dieses Fest begingen. Fühlen wir
wirklich Verehrung und Liebe zu der
Mutter Gottes, so müssen wir ge
wiß alle wünschen, diesen Tag in
stiller Trauer mitzufeiern, um dem
Leiden der göttlichen Mutter unsere
Teilnahme zu beweisen. Gerade um
unseretwillen und wegen, unserer
ünden hat ja Christus alle diese
Leiden tragen wollen. Dls war denn
wohl die nächste Ursache, warum die
ses Fest, als man einmal angefan
gen hatte es zu feiern, sich in der
katholischen Kirche allgemein verbrei
tete.
s
F$N
Tie heilige Jungfrau hat sich aber
auch wahrlich den Namen einer
schmerzensreichen mehr verdient als
jemals eine Mutter. Und eben darum
ist sie ein Vorbild und ein Trost nicht
nur für die leidenden Mütter allein,
sondern für alle Leidenden. Konnte
Gott selbst diejenige, welche Er un
ter allen Menschen am würdigsten
fand, Seine Gebärerin zu werden,
und welche Er so innig liebte, nicht
ohne Leiden durch das Leben gehen
lassen: wie sollten wir Sünder mur
ren wider Gott, wenn Er zu unserer
Besserung oder Prüfung manche Lei
den über uns verhängt! In der Tat,
wie herb mußten die Schmerzen der
heiligen Gottesgebärerin bei den Lei
den ihres Sohnes sein! „Wohl hat
dich das Schwert durchbohrt, o selige
Mutter!" so sagt der hl. Bernardus.
„Tenn wie hätte es, ohne deine Seele
zu durchbohren, den Leib deines Soh
nes durchbohren können! Und nach
dem dein Sohn den Geist ausgegeben,
so traf die grausame Lanze, welche
Seine ^Brust durchstieß, wohl nicht
mehr Seine Seele, sondern sie durch
drang dein Herz. Tie Seele Christi
war nicht mehr in Seinem Leibe, aber
deine Seele konnte sich von Ihm nicht
trennen. Wohl mußte ärger als durch
ein Schwert dein Herz durchbohrt
worden sein bei jener Rede: ,Weib,
siehe deinen Sohn!' Welcher Wechsel!
Johannes wird dir statt deines Soh
nes gegeben, der Knecht statt des
Herrn, der Schüler statt des Mei
sters, der Sohn des Zebedäus statt
des Gottessohnes, ein bloßer Mensch
statt des wahrhaftigen Gottes! Wie
hätte nicht das Anhören eines solchen
Wortes deine so zärtlich liebende
Seele durchdringen sollen, da die Er
intterung an dieses Wort unsere ob
gleich harten Herzen zerreißt!" So
redet der heilige, fromme Mann, und
so sollte jeder Christ die Trauer der
hl. Maria mitfühlen.
Unter den mannigfachen Leiden,
welche die allerseligste Jungfrau er
duldet hat, werden sieben der größ
ten unter dem Namen der „sieben
Schmerzen Mariä" hervorgehoben,
nämlich: der Schmerz Mariä bei der
Weissagung Simeons, bei der Flucht
nach Aegypten, bei dem dreitägigen
fruchtlosen Suchen ihres göttlichen
Kindes in Jerusalem, bei dem An
blick des kreuztragenden Jesus, bei
Seiner Kreuzigung, bei der Abnah
me Seines Leichnams vom Kreuze,
bei Seiner Grablegung.
Die geistliche Hebung
Wenn ein Mann, der das ganze
Jahr durch seine Pflichten an einen
Ort gebunden ist, im Sommer oder
im Herbst eine Reife macht, um an
dere Orte und andere Gesichter zu
sehen ultd sich auszulüften und auf
zufrischen, wer hat etwas dagegen?
Und wenn vermögende Leute, die sich
sonst nicht gerade sehr quälen müssen,
eine Reise machen, um schöne Gegen
den zu sehen, merkwürdige Plätze auf
zusuchen und gegenüber dem Einer
lei des alltäglichen Lebens einige Ab
wechslung eintreten zu lassen, wer
hat etwas dagegen? Und wenn ir
gendwo etwas Absonderliches zu se
hen und zu hören ist, hohe Personen
oder Aits stell int gen von Merkwürdig
keiten, oder allerlei wildes Getier,
und viele gehen hin, um zu hören
und zu sehen, was man sonst nicht
alle Tage und nicht aller Orten zu
sehen und zu hören bekoznmt, wer
hat etwas dagegen?
Zu schönen Städten, zu sportlichen
Veranstaltungen, zu Konzerten, zu
Ausstellungen, zu hohen Bergen und
fernen Meeren, zu wilden Tieren und
zu absonderlichen Menschenkindern
darf man wandern, wenn man Zeit
und Geld dazu hat.
Nun sollte man meinen, es dürfte
auch eine fromme und heilige Absicht
einnial einen Christenmenschen vom
Hause locken. Und wie die irdische
Gesinnung und das weltliche Gelü
stett so viele aus dem trauten Heim
auf Reisen jagt, so dürfte doch
sollte man meinen auch einmal
der christliche Mann, die christliche
Frau für wenige Stunden aus dem
Hause gehen, um etwas Besonderes
zu hören und zu sehen, was ihnen
zugleich gut tut für ihre arme Seele,
die sonst in dem Staube und Wüste
des täglichen Treibens verschimmeln
könnte. Teshalb gehe man einmal
besser öfter! in die Retreat und
beteiligte sich an den herzerhebenden
geistlichen Uebnngen. Und das ist gut.
Diejenigen Personen welche den
Herrn am meisten liebten, waren auch
diejenigen, welche Seinem Kreuze zu
nächst standen.
«JLA

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