(Fortsetzung) Da konnte Lucie nicht widerstreben nur scheinbar widerstrebend fügte sie sich, und bald war Martin samt sei nen Pralines über dem Spiele ver gessen. Als er nach der lateinischen Stunde Lucie wieder aussuchen woll te, war er sür sie nicht mehr vorhan den, und traurig schlich er davon. Für den unglücklichen Vernachläs sigten war es nur gut, daß die Wo chen, welche die Bastinons mit ihrer Truppe in Griesheim spielen wollten, inzwischen ihrem Ende zueilten. Tie Kunstbegeisterung des Städtchens war auch bereits merklich im Sinken, und die Sitzreihen des Stadttheaters wie sen. trotz der Reklametrommel des Griesheimer Boten und der Glocke des Ausrufers Osewald immer bedenkli chere Lücken aus. Darum entschloß sich denn der Herr Direktor, seinen Wanderstab weiter zu setzen. Tie letzte Vorstellung ward an gekündigt, und als diese noch einmal recht glänzende Kassenergebnisse zei tigte. folgte ihr noch eine allerletzte als Benefiz für die Frau Direktor und eine unwiderruflich allerletzte Borstel lung. Ei» Roma» von M. Scharia« Tann aber war der Tag der Ab reise da. Martin konnte trotz seiner getäuschten Gefühle es sich nicht der sagen, Lucien zum letztenmal die Hand zu drücken und ihr ein. letztes Lebe wohl zuzuwinken. Natürlich sehlte auch Alfred nicht. Aber Martin hatte die Taschen voll Süßigkeiten, die er Lucien freigebig spendete. Deshalb machte Alfred, der mit leeren Händen kam, heute keinen Eindruck auf die Dame seines Her zens, die nur für Martin Augen und Chreit zu haben schien Nur Mar tin galt ihr letztes zärtliches Lächeln, galten ihre Tränen, ihr Taschentuch winken. als der Zug, der die Komö diantengesellschaft entführte, sich in Bewegung setzte. Lange sahen die beiden Knaben ihm nach und schwenkten die Tücher, bis er in der Ferne verschwand. „Kommt Lucie wieder?" fragte sich Martin. Bittern Kummer im Herzen, ging er nach Hause und versüßte sich seinen Schmerz mit der Erinnerung an den durch seine süßen Liebesgaben erkaufte:: Triumph über den verhaß ten Nebenbuhler, der rachebrütend hinter ihm her ging. „Na, sind sie endlich fort?" fragte Brigitte, als Martin mit trauriger Miene die Küche betrat. Martin nickte und fühlte, wie die Augen ihm naß wurden. „Gottlob," sagte sie und warf heim lich einen prüfenden Blick auf ihren Jungen, „gottlob, daß die Geschichte ein Ende hat!" I Martin hatte aus der Schule einen Mahnzettel mit nach Hause gebracht. Tie Lehrer beklagten sich über unge nügenden häuslichen Fleiß, über man. gelnde Aufmerksamkeit während des Unterrichts. Er hatte derartig nachge lassen, daß seine Osterversetzung in Frage stand. Monika ahnte den Grund und machte sich die bittersten Vorwürfe. Sie hätte mehr auf Martin achtgeben, sie hätte den Verkehr mit den Schau spielern nicht dulden sollen. Sie hatte ihn viel zu sehr sich selbst überlassen. Oft hörte sie ihn jetzt im Schlafe sprechen, als ängstige ihn etwas. „Wo ist das Billet? Ich muß ins Theater," murmelte er „Lucie, Lucie." Tie bunte Welt, in die er hinein geblickt, hielt seinen Geist noch immer in ihrem Bann. Beim Aufräumen in seiner Stube hatte Monika gereimte Zeilen gefun den, in denen von Lucie viel die Rede war. Tan eben ein kleines Heft, in das er Szenen geschrieben, die er aus der „Anna-Liese" im Gedächtnis behalten hatte. Erst lächelte sie über das kind liche Geschreibsel, doch dann überkam sie bange Sorgen um ihren Jungen. Sollte sie mit Erich darüber spre chen? Sie wagte es nicht. Sie wußte nicht, wie er es auffassen würde, und fürchtete feinen Zorn. Ach, wie trau rig war es doch, daß sie mit ihrem Galten sich nicht eins wußte in der Erziehung ihres Kindes! Aber der Mahnzettel, den Martin heute bekommen hatte, ließ sich nicht vor dem Vater verheimlichen. Aufgeregt über das unglückliche Schriftstück, ging Tr. Fabricius auf und ab in seinem Arbeitszimmer. Ab gespannt war er aus der Praxis nach hause gekommen, war stundenlang herumgelaufen, ohne sich Ruhe zu gönnen, und hatte nun auf ein woh liges Ausruhen gehofft. Vergebens, der verflixte Mahnzettel hatte ihm die ganze Laune verdorben. Konnte der Junge denn nicht feine Gedanken zusammennehmen? Er war doch kein Tnmmkopf! Wenn er nun sitzen blieb? Entrüstet warf der Toktor feine Zi garre in den Aschbecher sie war ihm ausgegangen, weil er vor lauter Em pörung das Rauchen vergessen hatte. Leider hatte er sich in den letzten Jahren wenig mehr um Martin küm mern können. Tie Praxis war immer größer geworden und nahm seine ganze Zeit in Anspruch. Aber es war ihm auch recht so denn in seinem ei genen Hause fühlte er sich ungemüt lich, da er von dem Zusammenleben mit seiner Frau schon lange nichts mehr hatte. Ach, und mit welch glänzenden Hoffnungen hatte ihn die Geburt die ses Kindes erfüllt! Und wie viel Aerger und Verdruß hatte es ihm schon all die Jahre bereitet! Wäre seine Ehe kinderlos geblieben, sie hätte sich wohl für ihn weit friedvoller und glücklicher gestaltet. Toch sein Zorn verrauchte allmäh lich. War es nicht unrecht, sich solcher Verdrießlichkeiten wegen gegen seinen Knaben einnehmen zu lassen? .. Ge wiß, Martin leistete ja nicht, was er sollte, aber er war dennoch glücklich in seinem Besitz. Seine Liebe zu ihm war tief und stark trotz des Fremden, das zwischen ihnen lag Und mußte er nicht doppelt Nachsicht mit Martin haben? Tas arme Kind mußte es ja schon längst gemerkt haben, wie seine Eltern zueinander standen. Mußte sein junges Gemüt nicht darunter lei den? Er war in dem Alter, wo Kin der scharf zu beobachten pflegen Er mußte sich wirklich mehr zusam mennehmen, um das Gemüt seines Kindes nicht vollends zu verwirren. Tr. Fabricius sühlte bei diesem Ge danken etwas wie Scham und nahm sich von neuem vor, sich mehr als bis her der Erziehung des Knaben anzu nehmen. Sogleich wollte er sich nach Martin umsehen. BY DR. THEODORE BRAUER Order from: rifrlT "l aggssgsagsssasasf'pgBSSgsgsr.'a "W11 Er fand ihn in seiner Stube es war lange her, seit er sie zuletzt be treten hatte. Der Knabe lag lang, gestreckt auf seinem Bett und schaute, die Arme um den Kopf geschlungen, mit trübseligem Blick zur Decke hin auf. Aber es mußte in dem Ton der Stimme seines Vaters etwas liegen, das den Knaben aufblicken ließ die dunklen Augen sahen den Vater fra gend und zweifelnd an. Und plötzlich mit einem eigentüm lich milden Gefühl gedachte Tr. Fa bricius der eigenen Knabenzeit. War er nicht auch oft genug mit „Erinne rungen" und schlechten Zeugnissen nachhause gekommen, und hatte es nicht Schelte, Schläge und Tränen gekostet, als er bei der Versetzung in der Quarta kleben blieb? Wunderbar, wie genau er in diesem Augenblick sich jeder einzelnen Strafpredigt erinner te, die ihm der Vater gehalten hatte! Es war ihm, als hörte er die Stimme des Gestrengen: „Junge, aus dir wird im Leben nichts ich werde versuchen, beizeiten für dich einen Nachtwächter posten ausfindig zu machen." Tas waren dazumal recht ungemüt liche Tage gewesen, denn die Hand des Vaters zögerte nicht, ihm eine tüchtige Tracht Prügel zu Verabrei chen, und mehr noch als die Schläge wirkten die Tränen und Seufzer der Mutter, die schier kein Ende nehmen wollten Tr. Fabricius fuhr mit der Hand über die Stirn, als müsse er sich auf den Zweck seines Hierseins erst wieder besinnen. Seine forschenden Blicke hafteten an dem braunlackierten Büchergestell neben der Tür. Unwillkürlich trat er näher und überflog die Titel auf den Rücken der Bücher. Eins und das an dere zog er heraus, es flüchtig durch blätternd: Märchen, Jugenderzählun gen, wie er selbst sie ihm zum Ge burtstag oder zu Weihnachten ge schenkt hatte dazwischen alte Schul bücher, Heiligen legenden und ein Ge betbuch, eine Gabe der Mutter. Gleichgültig tat er sie wieder an ihren Ort. Aber was war das? Halb versteckt durch die Märchenbücher, fiel ihm eine Anzahl gelber Hefte ins Au ge, offenbar Fragmente eines Kolpor tageromans. Haftg zog er eines der Hefte hervor. "Pistole und Feder" stand auf dem Titel. Zornig blickte er Martin an, dessen Wangen ein helles Rot überlief Mein Gott, wie kam der Junge zu dieser Hintertreppenlektüre? "Liest du das Zeug?" fragte er heftig. „Woher hast du die Hefte?" 4W11-' --^wRKj k 1 i^Rm, ODO WAI8ENFKKUND Heftig emporschnellend war er so fort auf den Füßen. Seine Augen senkten sich fcheu, der Ausdruck von iedergefchlagenheit vertiefte sich mb ließ sein frisches Knabengesicht blaß erscheinen. „Nun, Martin, das ist ja eine nette Bescherung?" rief Tr. Fabricius stren ge, indem er ihm den Mahnzettel Vor hielt den er in der Hand hatte. Natürlich von Schulkamera­ den ...£, nun sah er klar, nun war's ihm erklärlich, daß die Lehrer über Martins Zerstreutheit klagten Bei solcher Lektüre war es wohl zu verstehen, warum der Junge in der Schule zurückkam. Tie Zornesader schwoll auf des Doktors Stirn. Doch seine Empörung galt mehr seiner Frau als dem Kna ben. So wenig achtete sie auf ihn, daß er dergleichen Sachen lesen konnte. Es war ja geradezu unglaublich, wie schlecht sie ihn erzog. Sie mußte doch wissen, wie verderblich ungeeignete Lektüre auf das Gehirn eines Kindes wirkt. Und sicher las er auch viel zu lange, womöglich gar heimlich und abends im Bett. Was konnte dabei anders herauskommen, als daß durch solche ungesunde Leserei Martins Ge bauten verwirrt wurden und sein Ge Hirn beim Lernen und Denken in der Schule sich nicht mehr zu konzentrieren vermochte? Unverantwortlich, dieser Mangel an Aufsicht? Aber statt ihr Kind zu hüten, vertrödelte Moni ka ihre Zeit mit Beten und Kirchen gehen. Und der Bengel war schlau genug, daraus für sich Vorteil zu ziehen. Nur gar zu leicht ließ sie sich von ihm hintergehen, und kam es wie jetzt heraus, so fühlte er instinktiv: an der Mutter hatte er Rückhalt Das ging wahrhaftig nicht länger. Hier galt es, fest und kräftig dazwi ichen zu fahren. Vielleicht war es noch »icht zu spät, die eache wieder gut zu machen. Diesem Lesen mußte auf der Stelle ein für allemal ein Ende ge macht werden. Fort mit den sämtlichen Büchern? Auch die Märchen und Hei ligengeschichten taugten jetzt nicht sür ihn und waren für seine Phantasie nur eine allzu gefährliche Nahrung. Toch er bezwang das erregte Blut indem er begann schweigend und lang^ sam ein Buch nach dem andern zu Haureu zusammenzulegen. ..So. mein Junge, diese Bücher nehme ich mit. Tu wirst sie nicht eher wieder bekommen, als bis du gezeigt hast, daß du in der Schule ein anderer geworden. Und geborgte Bücher dulde ich überhaupt nicht ohne meine Er laubnis kommt kein fremdes Buch wieder ins Haus." Wie erstarrt sah Martin dem Be äinnen feines Vaters zu im3 hörte -rw^wmy v v kaum auf seine Worte. Die hellen Tränen schössen ihm aus den Augen. Cr wollte sprechen, aber er wagte es nicht. Er empfand es als eine Schmach, daß er seine geliebten, Bü cher entbehren sollte und jene Hefte, sie gehörten ja gar nicht ihm. Alfred Goedeke hatte sie ihm geliehen, und der mußte sie wieder haben. Es zuckte in Martins Fingern, sie a it sich zu reißen heiß stieg ihm das Blut zu Kopf. Er wollte bitten: „Laß sie mich Alfred Goedeke wiederbrin gen." Da traf ihn seines Vaters zorniger Blick, und keinen Ton ver mochte er hervorzubringen. In hartem Trotz bäumte das Herz des Kindes sich auf gegen den Vater, der mit kaltem Blicke ihn ansah. Martin haßte ihn förmlich in diesem Augenblick. Wußte sein Vater denn nicht, wie sehr er an seinen Büchern hing? Nein, er vermochte die gähnende Leere der Bü dierbretter nicht zu ertragen. Der Bo den brannte ihm unter den Füßen. Nur fort, um jeden Preis fort! rief es in ihm, und ohne recht zu wis sen. was er tat, stürzte er laut auf« fdiluchzend aus dem Zimmer. Draußen auf dem Flur riß er seine Mütze vom Haken und lief, ohne zu sehen, wohin, ins Freie hinaus In feinem Kopf wirbelten die Gedan ken wild durcheinander. Er lief und lief immerfort, bis er plötzlich sah, daß er die Richtung zum Bahnhof genom men hatte. Es war ein herrlicher Tag. Tie sin kende Sonne warf ihre letzten Strah len durch die Wipfel der sich fchon bimt färbenden Lindenallee. Ein röt !icher Schimmer lag auf den alters grauen Stämmen und auf dem vom gefallenen Laub bedeckten Wea Toch der Knabe, ganz von feinem fin flern Grübeln benommen, sah davon nichts. „Guten Tag, Martin," rief da eine Stimme dicht vor ihm. Er sah auf und erschrak. Pfarrer Ambrosius war ihm entgegengekommen. Im ersten Augenblick war es Mar tin zu Mute, als müsse er von neuem davonrennen. Dann aber empfand er diesen Gedanken als eine Feigheit. ~arum hielt er stand und. zog iie Mütze zum Gruß. Der Pfarrer hatte die alte Hilde brandt besucht. In großer Qual harr te die arme, einsame Frau ihrer Erlö sung, und seine Seele lebte noch ganz in der Trübsalsatmosphäre, aus der kam. Ihre Not brannte ihm auf dem Herzen Ach, was beut diefe Erde, dachte er, was ist nur dies Le ben Nach kurzer Blüte langes, lang sames^ Welken, qualvolles Hinsiechen und Sterben Wir Menschen wä ren ja die elendesten Kreaturen, wenn's über uns keinen Himmel gä be, zu dem die arme Seele im Glau ben und Hoffen sich emporschwingen dürfte... Als aber der Priester nun den Kna ben erblickte, ging es wie eine weiche Welle glättend über sein Gesicht. Er hatte ihn lieb und wußte, daß er das Vertrauen des Knaben besaß. Freundlich gab er ihm die Hand. „Nun, Martin, du schaust ja weder nach rechts noch links. Was ist's denn heute mit dir?" Martin wich des Pfarrers forschen den Augen nicht aus, obgleich er das beklmemende Gefühl hatte, daß er wie ein durchsichtiges Glas vor ihnen sei. „Sprich, mein Junge." suhr der Geistliche fort und legte ihm zutrau lich die Hand auf die Schulter. Es lag etwas Gewinnendes in der Art des Pfarrers, dem Martin nicht zu widerstehen vermochte. Er begann seinem Herzen Lust zu machen, und still hörte jener zu. Als aber Martin in seiner* Erre gung jetzt trotzig aufbegehrte: „Es ist unrecht von Vater, mir meine Bücher zu nehmen", da faßte der Pfarrer schnell nach der Hand des Knaben, hielt sie fest und sagte in eindringli chem Ton: „Martin, Martin, was sind das für Reden? Komm, wir ge hen ein Stückchen zusammen, das bringt dich auf andere Gedanken." Martin sah mit forschendem Blick zu dem Mahner empor. Er hatte ge hofft, bei ihm Beistand zu sinden denn er dachte daran, wie gut der Pfarrer stets ihn verstand und wie er stets liebevoll mit ihm gewesen war. Hatte er sich in ihm getäuscht? Ließ er ihn im Stich? Mit langsamen Schritten gingen die beiden Seite an Seite in den schönen Abend hinein. „Sieh mal, mein Junge," begann nach langem Schweigen der Pfarrer, „ist das recht von dir, daß du deinem Vater trotzig weggelaufen bist? Du hättest dir wohl sagen sollen: Mein Vater will nur mein Bestes." „Nein, mein Vater hat mich nicht lieb," sagte der Knabe finster. „Martin, du versündigst dich/ sprach Pfarrer Ambrosius strenge, in dem er stehen blieb und Martin Arm ergriff. „Eher will ich dich fragen Hast du deinen Vater lieb?" Die Frage kam so unerwartet und war mit solchem Ernste gestellt, daß sie den Knaben erschreckte und verwirrte und er nicht imstande wer, zu ant Worten. Und nun redete der Pfarrer ernst auf ihn ein. Mit fester Hand fing er an, das häßliche Unkraut des Trotzes aus dem Herzen des Knaben zu ret im-T *$*.,»^ j* 1 "*'. V "'*0 7?vM 'Tr'I Martin horte aufmerksam zu. Wie ein Freund sprach der Pfarrer zu ihm, und was er sagte, traf ihn im Gewif sen. In ein stummes Ringen mit sich selbst verstrickt, wagte er kein Wort der Verteidigung. Was vermochte er wider die Wahrheit? Und es war die Wahrheit, die Pfarrer Ambrosius zu ihm sprach. Dieser sah, wie es in der Brust des Knaben kämpfte, tote seine ernsten Worte langsam, aber stetig das Eis des knabenhaften Trotzes brachen Aber nachdem das Eis einmal gebro chen war, siagte Martins gute Natur über Verstockung und Trotz. Hastig stieß er die Worte heraus: „Herr Pa stör, ich sehe es ein, ich habe unrecht getan und werde meinen Vater um Verzeihung bitten." „Das wollte ich hören," sagte der Pfarrer, und ein Aufleuchten glitt über fein gutes Gesicht. Langsam strich er ihm mit der Hand über den Kopf, indem er fortfuhr, warm und beweg lich: „Aber sein Unrecht einsehen und Verzeihung erbitten, sind nur die er sten schritte zur Besserung, Martin. Dabei darfst du nicht stehen bleiben. Ich habe mit Bedauern gesehen, daß du schon seit langem in einem ver kehrten Fahrwasser bist. So darf es nicht weiter gehen? Du mußt energisch umkehren und alles, was dich vom Lernen abhält beiseite schieben." Für einen Moment erschrak Mar tin. Wußte der Pfarrer von feinem Erlebnis mit Lucie Horn? Hatten et wa die Mutter oder Brigitte davon mit ihm schon geredet? Mit scheuem Blick sah er ihn an. Er hatte das beängstigende Gefühl, als läge fein Innerstes mit seinen geheim sten Gedanken bloß und offenbar vor den Augen des Pfarrers. Ties glaub te er nicht ertragen zu können es wühlte und brannte in ihm, und glü hende Röte lag auf feinem Gesicht. Aber da schauten ihn des Pfarrers Augen so voll Liebe und Güte an und zugleich so durchdringend, als wollten sie sagen: Schämst du dich nicht, Mar tin, deinem Seelsorger, der dich wie ein Vater liebt, nicht dein Vertrauen zu schenken? Habe ich dich nicht in all den langen Jahren immer merken las sen, daß ich dich liebe? Voller Scham wandte Martin sich ab. Ter Pfarrer follte nicht sehen, daß ihm die Augen feucht wurden. Der Geistliche ließ ihn gewähren und schritt schweigend neben ihm her. Er wußte, die Saat, die er eben gesät hatte, würde nicht ohne Frucht blei ben Nach einiger Zeit Begann der Pfar rer von andern Dingen zu reden aber unter seinen Worten verspürte Martin ein warmes Gefühl, und eine Freude wuchs langsam in ihm empor, gleich beglückend für ihn wie für jenen. In dieser Stunde ward im gehet men ein Bund des Vertrauens zwi schen dem Priester und dem Knaben geschlossen, der, wenn auch spätere Zeiten ihn lockerten, doch niemals sich ganz lösen sollte. Als Pfarrer Ambrosius am Bahn hof Abschied nahm, verspürte Martin einen Drang, ihm die Hand zu küssen. Aber er unterließ es denn so etwas galt als unmännlich unter den Gries heimer Jungen Doch vm seine Weichheit nicht merken zu lassen, be schleunigte er den Abschied und ging eilends nachHaufe. Zu feiner Verwunderung fand er die Haustür offen. Ohne zu klingeln, gelangte er auf die Diele und war int Begriff, in das Zimmer der Matter zu gehen, um ihr das Erlebnis mit dem Pfarrer zu berichten. Da hörte er im Wohnzimmer die laute Stimme feines Vaters. Die Tür stand nur angelehnt. Mit verhaltenem Atem wurde er so Zeuge eines trau rigen Auftritts, der feine junge Seele bis in ihre Tiefen erschütterte. Es war zu dunkel im Zimmer, als daß Monika das Gesicht ihres Gatten noch erkennen konnte, aber aus dem immer lauter klingenden Ton seiner stimme merkte sie, wie zornig er war. Sie schwieg, denn sie wußte, daß jedes Wort von ihr seinen Zorn nur noch steigerte. Da trat er in den Licht schein am Fenster und sah sie mit blit zenden Augen an. ».Dein ist die Schuld," rief er, und sie sah, wie wilde Erregung seine Zü ge verzerrte. „Dein ist die Schuld, du bist's, die unfern Frieden und un ser Glück ^zerstörte! Um deines Fana tismus willen habe ich leiden müssen, jahrelang ... du hast mir auch den Knaben entfremdet ... dich klage ich au." Monika, dunkle Glut auf den Wan gen, rang vergeblich nach Worten. Unaufhaltsam fuhr er fort, ihr Vorwürfe zu machen. „Deine Kon ses sion ist es, die zwischen uns steht, die jedes geistige Band zwischen uns zer reißt, die mich dir entfremdet und dem Jungen dazu ...£), ich Tor, daß ich es zu spät erkannte und nun für im mer gebunden bin!" Erregt stürzte er in sein Zimmer. Montta zuckte zusammen mit lei chenblassem Gesicht starrte sie auf die Tür, die sich krachend hinter ihm ge schlossen hatte. Der Boden begann ihr unter den Füßen zu wanken, und einer Ohnmacht nahe, sank sie auf den Stuhl, der vor ihrem Schreibtisch stand. Da fühlte sie etwas Weiches an ihrer Seite verstört blickte sie um yj'i«*(Xlji ifMiljil' «!?»?Il I flff «A'SLMt^ata^^iiTMfViti'r -ysr 'A*,.v Da umfaßte er sie und küßte sie Wie der und wieder. i! Mit ernsten Gedanken kehrte PM rer Ambrosius von Griesheim nach Altmünster zurück. Wenn er an seine Begegnung mit Martin dachte, so erfüllte inniges Mitleid feme Seele. Was er einst von Monika» Ehe vorausgeahnt, hatte sich langst erfüllt. Schwere Konflikte blie ben in Mischehen nicht aus, und die Kinder hatten darunter zu leiden ^a, die armen Kinder gemischter Ehen, und hier in der Diaspora ganz besonders! Seine Zeit erlaubte ihm nicht, sich so viel, wie er wohl gewollt hätte, um Martin zu kümmern. Alle acht Tage der Gottesdienst und die kurzen Reli gionsstunden einmal in der Woche Und gerade dieser Knabe bedurfte Zwiefach der priesterlichen Fürsorge. Wer weiß, hätte seine Mutter von Kind an unter dem Einfluß geordne ter kirchlicher Gemeindeverhältnisse gestanden, sie hätte wohl Verständnis, voller bei ihrer Verlobung auf seine warnende Stimme gehört. Wieviel schwere Stunden hatte ihm Monikas Ehe bereitet! Und wenn er gerecht fein wollte, konnte er dem Dok tor feinen Unwillen nicht verargen» konnte es ihm nicht verargen, wenn es ihm schwer ward, sein einziges Kind t.n der Konfession der Mutter aufwachsen zu sehen, besonders, da vor ihrer Ehe Monika dem Verlobten so willenlos ergeben gewesen war .. Es war wahrlich kein leichtes Opfer* das der Mann seinem Weibe gebracht hatte. Und so schwer es dem Doktor ossenbar ward, er hielt das Verspre chen, das er im Drange der Not gege ben. Ter Knabe besuchte regelmäßig den Unterricht und den sonntäglichen Gottesdienst. Wenn er so vieler anderer Misch ehen gedachte, in denen bei Eingehung der Ehe der evangelische Teil alles versprochen hatte, was die Kirche tier langte! Und später das Verspre chen ward nicht gehalten die Kinder wurden evangelisch erzogen, und wie oft kam es vor, daß mit der Zeit auch der katholische Ehegatte in seiner Re ligion immer gleichgültiger ward!... Diese Mischehen waren ein großes Unglück für die Kirche! Ungezählte Glieder gingen ihr dadurch verloren. Und dann der Priester fühlte Itch fremd in einem solchen Hause er war den Leuten nur in den seltensten Fallen^ ein willkommener Gast met fienS sah man ihn lieber gehen als kommen, und das erschwerte die Seel-' sorge doppelt. Pfarrer Ambrosius seufzte tief und strich mit der Hand über die gefurchte ^tirn. Er stand jetzt vor feiner Kirche, die, durch ein schmiedeeisernes Gitter von der Straße getrennt, mit seinem -pfarrhauschen daneben einen fried lich anheimelnden Anblick bot. Er trat ins Gotteshaus. Gebeugten Hauptes schritt er durch das Schiff zum Altar. Dann kniete er nieder, barg sein Gesicht in beide Hände und versuchte zu beten. Aber er war zerstreut feine Gedan feit waren noch bei dem Knaben und lösten sich in wunderlichen Empfin düngen. Eine Sorgenfalte grub sich in feine Stirn und gab feinem Geficht etwas Verändertes, Fremdes. Der Herr und alle Seine Heiligen seien gepriesen, der Knabe, um den er sich sorgte, war doch bis jetzt Seiner Kirche erhalten geblieben .... Nicht umsonst hatte er um die Seele dieses Kindes gtfämwt und aiuch heute rang es sich von seinen betenden Lip Pen: „Herr, mein Gott, gib Deinem -uener Weisheit und Geduld, die --eele des Kindes zu schützen! Hilf, day der Knabe sich seinen Glauben bewahre, und laß ihn nicht verloren gehen?" Das Angelus-Läuten traf jetzt des Priesters Ohr und ließ allmählich un ter den feierlichen Klängen den Sor genfchetn ans feinen Augen entwei chen. Etwas Ahnungsvolles erfüllte |ein Innerstes. Als wäre ihm eine Btnde von den Augen genommen, schaute er wie aus weiter Ferne in eine friedliche und selige Zukunft: ein Genchl der Freude überkam ihiL Und was sieht er plötzlich mit fei nen geschlossenen Augen Gerade vor Uch ein schwaches, bläuliches Licht, zit ternd und wie in Nebel gehüllt. Aber es wird heller und heller und füllt bald einen weiten Kreis, in dessen Mitte sich ein Kreuz erhebt, von vio letten Strahlen umwoben. (Fortsetzung folgt) ».•• 4? SM i i n i sich. Zwei Knabenaugen sah sie auf sich gerichtet. Martin! ... ein Gefühl jähen Erschreckens und entsetzlicher Scham zugleich überfiel sie es ging ihr wie ein Stich durch das Herz: ihr Kind war Zeuge des traurigen Auftritts gewesen. Er hatte den Kopf in den Schoß der Mutter gelegt und weinte bitterlich. „Mutter, Vater darf dich nicht schelten," rang es sich schluchzend von seinen zitternden Lippen. „Martin, mein Junge, vergiß, tbaS du eben gehört hast," sagte Monika mit gebrochener Stimme und strich liebkosend mit der Hand über sein Haar. „Es ist dein Vater, denke ti» ran." ?if'| *i V 1 Ay^'t .V'" A .'MSPattern for Reconstruction .... Economy and Society A discussion of the relations between economic and social devel opments. In thirteen briel chapters this learned economist dis cusses the Division of Labor, the Development of a Social Hier archy, Congruity of Economics and Social Life, the Nature of Society, Technology and Its Subversion by Capitalism, Recon struction of the Social Order, the Vocational Group. STUDENTS OF THE SOCIAL QUESTION will find this booklet most useful as a practical guide for the better understanding of the recent Statement of the American Hierarchy on Social Reconstruction. 78 Pages. 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