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Ohio Waisenfreund. [volume] (Pomeroy, O. [Ohio]) 1874-1953, September 18, 1948, Ausgabe der 'Wanderer', Image 1

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Jahrgang 76
Wie Geschichte gemacht wird
Nächsten Dienstag tritt in Paris
Hie Vollversammlung der Vereinten
Rationen zur dritten ordnungsgemä
tzen Tagung zusammen. Es ist nicht
anzunehmen, daß sie einen ersprieß
licheren Verlauf nehmen wird als die
zweite, die auf amerikanischem Boden
stattfand. Tie Weltlage ist beute noch
"Verworrener und gespannter als da
tu als, und die Bedürfnisse der Rus
fett an beschönigender und demagogi
scher Propaganda sind noch größer ge
worden. Es wird darum ungeheuer
viel debattiert werden, und in den
Galavorstellungen werden die geris
fettsten Schöllschwätzer und Propa
gandisten die Weltmeinung zu bear
-Seiten sich bemühen.
Tas Gesamtergebnis der Tagung
dieses Weltparlaments aber, von dem
.sich die doktrinären Lobredner der
„Einen Welt" Wunderdinge verspro
chen hatten, wird recht kläglich sein.
Tenn hinter all den von Moral nur
Jp triefenden Paradereden stehen die
Klbstfüchtigen Bestrebungen der Ge
waltpolitik, die ihren Ausdruck zum
Steil in den Abmachungen der Ge
Heimkonferenzen der „Großen Drei"
gefunden haben, zum Teil mit den
O brutalsten Mitteln der Verschwörung
^egen jegliches Völkerrecht nun schon
seit drei Jahren noch über Jalta und
Potsdam hinaus um die Beute sich
streiten.
Man hat die beiden Weltkriege ein.
heitlich zusammengefaßt als Dreißig
jahrigen Krieg unserer Tage. Diese
Bezeichnung fängt an euphemistisch zu
werden, denn es ist kaum noch zwei
,Helhaft, daß die Schreckenszeit des
Zwanzigsten Jahrhunderts die Dauer
Hes Dreißigjährigen Krieges des sieb
Dehnten Jahrhunderts weit überschrei
im wird wie dessen Ausdehnung
Und Verheerung jetzt schon gewaltig
Übertreffen sind. Aber gerade wie vor
dreihundert Jahren aus der Habgier
«nd Machtsucht immer wieder neue
Probleme aus den alten sich entwik
feiten und die Völker Europas immer
tiefer ins Elend führten, so geschieht
es auch heute nur in viel größeren
Ausmaßen, da es heute nicht um die
Pormachtstellung dieses und jenes
Staates in einem Kontinent geht, son
dern um die Beherrschung der Welt.
Es ist die große Tragik der Ge
schichte unserer Tage, daß Hitlers
wahnsinnige und verbrecherische Polt
tik das von Versailles geschaffene Pro
visorium, welches im Bewußtsein der
Staatsmänner und Völker sich immer
mehr als unzulänglich und ungerecht
darstellte, gewaltsam zerschlug, um an
..Heine Stelle noch größeres Unrecht zu
fetzen. Damit wurde der ganze Fra
genkomplex, der sich aus der Pariser
Konferenz ergeben hatte und, entge
gen den vagen Hoffnungen Wilsons,
durch den alten Völkerbund einer Lö
sung nicht nähergeführt worden war,
tzon neuem in den Streit der Völker
tzeworfen unter denen aber jetzt
das machtgierige Niesenreich im Osten
eine ausschlaggebende Rolle spielte.
Während vor dreißig Iahren auf der
Pariser Konferenz noch immerhin ei
ne wenigstens äußerliche Achtung vor
der Geschichte und dem Völkerrecht be
stand und sich den extremsten Forde
tungen der Machtpolitik entgegen
stellte, fielen nach dem zweiten Welt
krieg alle Hemmungen dieser Art.
Wer die Geschichte der Pariser Kon
ferenz aus den historischen Dokumen
ten und den Aufzeichnungen intimer
Teilnehmer und Beobachter kennt,
weiß, wie nach dem zweiten Weltkrieg
unter der Führung Rußlands For
derungen 3. B. über Deutschlands
Ostgrenze aus den geheimen Ver
handlungen von« 1918—19 glatt
«bernommen und dieses Mal, da die
Vertreter des Westens noch weit
schwächer waren als die angelsächsi
fchen Wortführer von damals, restlos
durchgefetzt wurden.
Zwischen Krieg und Frieden
Renen Konferenzen entgegen
Abgesehen von der heutigen Rolle
fRußlands
weicht das Bild, das heute
ie Komventikel der Staatsmänner
Steten, wenig ab von dem der Ver
handlungen vor dreißig Jahren. Es
ist der gleiche Faden, nur eine andere
fhmtmer. Heute wie damals spielen
... selbstsüchtige parteipolitische Berech
nungen in wichtigste Entschlüsse über
hedeutungsvolle weltgeschichtliche Fra­
5m Familienblatt für Wahrheit und
HeranSgegeben vom Päpstlichen Sol eginm Josephinum zum Beste« der Priesterzöglinge.
gen Hinein. Heute wie damals stellen
sich wirtschaftliche und machtpolitische
Kalkulationen sachlicher Einsicht und
sittlichen Erwägungen hinderlich in
den Weg. Heute wie damals schleichen
sich Engherzigkeit und religiöse Into
leranz in die gewichtigsten Entschei
dungen. Und was insbesondere unsere
amerikanischen Vertreter anbelangt,
so gilt zweifellos, was vor achtzehn
Jahren Rene Martel von Woodrow
Wilson zu sagen Hotte:
„Sosnowski wie später Dmowski
erkannte alsbald, daß Präsident
Wilson auch die elementarsten Tat
fachen der Geschichte und Geographie
des alten Europa nicht kannte. M.
Nitti hat das so ausgedrückt: ,Er war
unbeständig in seiner Unfehlbarkeit,
aber er befaß den unerschütterlichen
Glauben, daß er für den Weltfrieden
und vor allem für den Ruhm der
Ver. Staaten arbeite. In europäischen
Angelegenheiten besaß er eine gera
dezu souveräne Unwissenheit.'.
Auch Lansing erkannte seinen ,unent
rinnbaren Wissensmangel in Einzel
Heiten mancher der einfachsten sowohl
als auch der Verwickelsten Probleme,
die zu lösen waren (Martel,
^THe Eastern Frontiers of Ger
many", S. 23//., London 1930.)
Ganz ähnliche Dinge und noch
weit schlimmere haben die Staats
sekretäre Byrnes und Cordell Hull,
Premierminister Churchill und andere
aus dem zweiten Weltkrieg und den
Verhandlungen der führenden
Staatsmänner ausgeplaudert. Aber
das ist ja schließlich flicht zu verwun
dern. Die Geschichte weist wenige
wirklich große Staatsmänner auf.
Selbst aus Zeiten, in denen die Ge
schichte im. Vergleich zu heute einen
viel einfacheren Verlauf nahm, erzäh
len Historiker über schwere Fehlurteile
und Fehlgriffe selbst bedeutender
Staatsmänner. Es müssen geradezu
überragende Geister sein, die sich in
dem Labyrinth der unübersehbaren
politischen, wirtschaftlichen und sozia
len Probleme unserer Zeit zurecht
finden. Dabei handelt es sich nicht
mehr um einen geographisch begrenz
ten Jnteressenkreis wie bei einem
Souverän vergangener Jahrhunderte
und seinen vielseitig geschulten Mini
stern und Räten, sondern um ganze
Kontinente und die gesamte Weltlage.
Man nenne doch aus der ganzen Schar
von Politikern und Staatsmännern,
die sich in den letzten Jahren auf der
Weltbühne tummelten, einen einzigen,
der den Ruf eines großen Staats
mannes verdiente! Es ist genau so
wie auf den meisten andern Gebieten,
wo der Mensch titanenhaft Riesenauf
gäben zu meistern fit cht und den über
menschlichen Anforderungen unter
liegt. Wo sind die genialen Städte
Verwalter unserer Riesenstädte, wo die
genialen Parteiführer unserer Mil
lioneit umfassenden Parteien, wo die
genialen Heerführer unserer Riesen
armeen? Ueberau bestenfalls eine ge
niale Mittelmäßigkeit, und gewalti
ger Einsatz physischer und mechanischer
Kräfte, eine ins Ungeheure gewachse
ne Bürokratie, unwirtschaftliche Ver
geudung von Energien müssen die
Mängel verhüllen, müssen durch eine
glänzende Fassade über die innere
Schwäche hinwegtäuschen, bis der
morsche Bau zusammenbricht, wie es
1945 in Deutschland geschah.
Von der Weltpolitik kann ntan
nicht einmal behaupten, daß sie eine
imposante Fassade aufweise. Was sich
heute auf internationalen Tagungen
als Staatskunst darstellt, müßte die
Vertreter der älteren Diplomatie,
würden sie unversehens wiederkehren,
mit Schaudern erfüllen. Das Auftre
ten der Wisck^insky, der Molotow, der
Gromyko und anderer Repräsentanten
der heutigen Machtpolitik auf inter
nationalen Zusammenkünften würde
bei älteren Generationen selbst Bal
kan-Politiker in Verruf gebracht ha
ben.
An all dent wird sich in absehbarer
Zeit wenig oder gar nichts ändern.
Die Materie herrscht, der Geist ist nur
Trabant, ist Hausknecht der Gewalt.
„Das Jahrhundert gar erleuchtet ist
.. Man wollte den Materialismus,
nun hat man ihn in seiner ganzen un
geschlachten Unkultur, und man darf
sich nicht beschweren, wenn er sich grob
und unflätig spreizt und der ganzen
Welt in die gute Stube spuckt.
Auf der Völkerbundversammlung
in Paris wird wieder viel Stroh ge
droschen und geschimpft und gelästert
werden. Das entspricht zum Teil dem
russischen Propagandabedürfnis, zum
Teil der verbissenen Erkenntnis, daß
die Welt heute schlechter dran ist als
nach dem Sieg vor drei Jahren. Ue
berau herrschen Not und Elend und
Unzufriedenheit und Verbitterung.
Tie Beziehungen zwischen Westen und
Osten sind die denkbar schlechtesten. In
England weiß man nicht, ob der Nie
dergang des Landes als Weltmacht
oder die politische und wirtschaftliche
Unsicherheit daheim größere Sorge
schafft. Frankreich fällt von einer Re
gierungskrise in die andere und die
Bourgeoisie fragt sich voll Bangen,
ob dem Land die Diktatur des Pro
letariats oder der Reaktion beschieden
sein wird. Ter Gedanke eines geein
ten Europas verflüchtigt sich ange
sichts der allgemeinen Ungewißheit.
Eine Vorbedingung seiner Verwirk
lichung ist die ehrliche Eingliederung
Teutschlands in die Struktur des
künftigen Europa. Tagegen aber
sträubt sich Polen, das nicht erkennen
will, daß die nach Westen orientierte
Politik seines Marschalls Pilsudsky
klüger und staatsmännischer war als
die Haltung der heutigen Marionet
ten Moskaus in Warschau. Tagegen
sträubt sich Frankreich, das sich aus
der Verkeilung in die Rhein-Politik
Richelieu» und der korrupten Lud
wige, des Dreizehnten und des Vier
zehnten, nicht lösen kann. Dagegen
sträubt sich England, das sich seiner
zeit in Quebec, wie Cordell Hull er
zählt, den nichtswürdigen Morgen
thau-Plan aufschwätzen ließ mit der
Begründung, daß es durch die wirt
schaftliche Zerschlagung Deutschlands
von einem unbequemen Nebenbuhler
werde befreit werden, und das, nach
dem der Morgenthau-Plan in Miß
kredit geraten, aus dessen Geist her
aus den Abbruch der deutschen Fabrt
ken fortsetzen möchte. Und dag eg et
sträubt sich Rußland, das in den euro
päifchen Bündnisplänen, auch wenn
sie sich auf England, Frankreich und
die Benelur-Länder beschränken, eine
unerwünschte Konkurrenz erblickt und
die Gestaltung des zukünftigen
Deutschland dem Willen des Kremls
vorbehält.
lieber die Aufbauversucye, die
Moskau als Intrigen anschwärzt,
wird es in Paris zu bittern Ausein
andersetzungen kommen. Tie West
mächte werden mit Gegenklagen emt
chorten: über die Bekämpfung des
Marshall-Plans, die Blockade von
Berlin, die vertragswidrige Monopo
lisierung der Donau-Schiffahrt.
Wahrscheinlich wird auch die Frage
der italienischen Kolonien Staub auf
wirbeln. In Washington war matt
verstimmt über die in elfter Stunde
gestellte Forderung nach einer Mini*
sterbesprechung über die italienischen
Kolonien vor der Tagung der Ver
einten Nationen. Man fügte sich der
russischen Forderung, nachdem Eng
land und Frankreich ihre Verhäng
lungsbereitsckMft erklärt hatten, aber
die Beratungen wurden lässig betrie
ben, und der Völkerbund selber wird
die Erledigung der Frage versuchen
müssen. Er wird außerdem endgültige
Beschlüsse über Palästina fassen müs
sen, wenn ihm dazu die neuesten
Entwicklungen in Asien Zeit lassen.
Dort sind die Inder in Hyderabad
eingezogen, und der ganze reiche Süd
osten befindet sich, von Kommunisten
wohl im Einverständnis mit Ruß
land durchwühlt, in bedenklicher
Gärung. Was aus China wird, ist
heute so ungewiß wie je.
Tie ganze Weltlage ist gerade wie
geschaffen für die russischen Welt
machtspläne. Denn der revolutionäre
Kommunismus gedeiht am besten in
der Atmosphäre der Unzufriedenheit
und der Verbitterung und der politi
schen Zerrüttung. Aber auch Ruß
lands Bäume werden nicht in den
Himmel wachsen. Neben großen Er
folgen seiner Machtpolitik hat es auch
ernste Rückschläge erlebt. Eine starke
Reaktion hat gegen seine Diktatur
eingesetzt. Die Staaten, die durch den
Krieg profitiert und durch Rußlands
Protektion Weltgeltung erlangt ha
ben, sind zum Teil stark nationali
stisch eingestellt. Ihre Regierungen,
Kreaturen Moskaus, sind kommuni
stisch, in den Ländern herrschen starke
panslawistische Strömungen, aber ab
gesehen von fanatischen Parteigängern
haben die Völker feine Lust, lediglich
Lakaien Moskaus zu sein. Tito von
Jugoslawien hat mit seiner Aufleh
nung gegen die Kominform Schule
gemacht. In Polen zeigen sich ähnliche
'1' *2.
Recht
Ausgabe des ^Wanderer*
:h
Die Pariser Tagung
[Strömungen. Allerdings antwortete
die Partei mit fcfiarfeji Maßnahmen
und Mang die Führer der Wider
fpeitslnchett, zu Kreuze zu kriechen.
Aber es herrscht große Unzufrieden
heit im Lande, besonders gegen die
von der Regierung betriebene Ver
staatlichung der Bauerngüter. Daß
gleichzeitig eine Verfolgung katholi
scher Organisationen und Zeitungen
eingesetzt hat, scheint erbitterte Kam
pfe in Aussicht zu stellen.
4
Die russische Politik
ks wäre etbef verfehlt, daraus oh
ne weiteres den Schluß ziehen zu wol
len, daß die Moskau'er Gewaltmen
schen angesichts des sich verschärfenden
Widerstandes in den Vasallenstaaten
und wahrscheinlich in Rußland sel
ber den Konflikt mit dem Westen
zeitweilig abblasen werden. Das wtir
de mir dann geschehen, wenn Stalin
und Genossen es für zweckmäßig er
achteten, den Kampf vorläufig an eine
andere Front China, Südost-Asien
zu verlegen. Wir glauben nicht,
daß die beginnenden Widerstände
stark genug sind, die Eroberungspläne
Mo* a us ernstlich zu stören. Im Ge
genteil, gerade die Schwierigkeiten in
ihrem Machtbereich könnten die Mos
fotoitcr veranlassen, in Verwicklungen
nach außen eine Lösung in inneren
Schwierigkeiten zu suchen. Die Poli
tik Moskaus ist ja schon seit ^ahr und
Tag durch den Vorwand bestimmt,
daß Nußland und seine Vasallen be
droht werden durch den kapitalisti
fchen Westen und nur in schärfstem
Abwe!irkamps gegen die westliche Ge
fahr sich behaupten können. Die mos
kowitischen Gedankengänge sind ja im
mer schwer zu ergründen. Aber es ist
nicht unwahrscheinlich, daß Stalin
und Genossen den Konflikt mit dem
Westen auf die Spitze treiben, in der
Erwartung einerseits, daß der Westen
einen xirieg unter allen Umständen zu
vermeiden suchen wird, und anderer
fei#, daß die von ihrer Propaganda
Mutiert betonte angebliche Gefahr
außen ihnen die Ueberwindung
ber inneren Schwierigkeiten erleich
tern werde. Allzu viel zu riskieren ha
e n s i e a e i n i e n n s e s w e n n
schließlich das verwegene Spiel zum
Krieg führen würde, hätte Rußland
bei seiner militärischen Stärke und
seiner günstigen geographischen Lage
schwerlich mit einer Invasion vom
Umfang der von 1941 zu rechnen,
könnte vielmehr mit ziemlicher Sicher
heit erhebliche Anfangserfolge erwar
ten, wie im Westen freimütig zugege
ben wird. Wenn aber erst der Westen
militärisch zurückweichen müßte, wie
er es politisch seit Jahr und Tag ge
tan hat, dann könnte in dem verzwei
felnden Europa eine Wendung von
unberechenbarer Tragweite eintreten.
Sera de darum ist die Haltung der
großen Mehrheit des deutschen Volkes
in der nun schon seit Wochen andau
ernden Krise von so großer Bedeu
tung. Und durch feine Haltung hat
das deutsche Volk unzweideutig be
kündet, daß es in dem Ringen an der
Seite des Westens steht. Zwar ist es
Rußland, durch die Abmachungen von
Jalta und Potsdam begünstigt und
gestützt auf deutsche Kommunisten, ge
llingen, Ost-Teutschland und selbst die
Ostzone Berlins in seinen Machtbe
reich einzubeziehen. Aber die große
Mehrheit des deutschen Volkes lehnt
ein Zusammengehen mit Rußland ab.
Tas hat sie durch die Mitarbeit an
der Errichtung eines neuen Deutsch
land, vorläufig eines westdeutschen
Staates, gezeigt und in den letzten
Tagen durch ihre entschlossene Stel
lungnahme in dem Konflikt zwischen
Osten und Westen. Allerdings ändert
das nichts an der Tatsache, daß ein
tiefer Riß mitten durch das deutsche
Volk geht und daß, wie in den trau
rigsten Zeiten deutscher Geschichte,
Deutsche gegen Teutsche stehen.
Rußland spielt in dieser Krise eine
nichts weniger als glänzende Rolle.
Tie Westmächte suchten vor sechs Wo
chett eine Lösung des Konflikts herbei
zuführen durch eine Demarche in
Moskau. Es kam zu langen Besprech
ungen im Kreml, zu denen sich selbst
Stalin herabließ. Eine tentative Ver
ständigung war erzielt worden, und
die Militärgouverneure, einschließlich
des russischen, konferierten in Berlin
über die technischen Einzelheiten der
Aufhebung der Blockade. Aber die
Russen setzten die Schickanen fort, und
das wiederholt als unmittelbar be
vorstehend angekündigte Ende der
Blockade kam nicht. Es lag auf der
Hand, daß die Russen Zeit zu gewin
tten trachteten, um auf anderem als
j§?,
zur Belehrung und Unterhaltung
16 fit ein Jahr in bee Ber. Staaten $3.00, in Kanada nnd allen anderen Ländern $3.50.
Kaltrr Kulturkampf in der
$fd?edro-61oüakrt?
Bon
Dr.
R. N., vormals in der
Tschecho-Slowakei
Dem Außenstehenden muß so man
ches an der jüngsten kirchlichen Ent
Wicklung in der Tschecho-Slowakei un
begreiflich und voller innerer Wider
sprüche erscheinen. Der Prager Erzbi
fchof Dr. Bereut läßt einerseits die
Wahl des Kommunistenführers Kle
ntens Gottwald mit Glockengeläut
und feierlichem Te Teunt begehen,
nicht mir im Veits-Tom zu Prag,
wohin sich das neue Staatsoberhaupt
mit feilten Ministem unmittelbar
nach der Wahl begab, sondern auch im
ganzen Lande und zur gleichen
Zeit wird dein katholischen Geistlichen,
der als Mitglied der Regierung Gott
Wald angehört, dem Gesundheitsmi
nister Joses Plojhar, von den Bischö
sen der Tschecho-Slowakei die Geneh
migung zur politischen Betätigung
abgesprochen
Kulturkampf oder nicht?
Dieses merkwürdige Widerspiel,
das offenbar auch manchen treuen
Katholiken in der Tschecho-Slowakei
verwirrte, bietet den Politikern aller
Richtungen der Tschecho-Slowakei und
ihrer Presse und diese ist ja bis auf
wenige Ausnahmen heute ganz regie
rungshörig reichlich Anlaß zu er
weisen, daß es in der Tschecho-Slowa
kei keinen Kulturkampf gibt, ja keinen
geben kann: Tenn wenn hohe und
höchste kommunistische Regierungs
mitglieder an kirchlichen Feiern offe
ziell teilnehmen, wenn die Religions
freiheit verfassungsmäßig garantiert
ist, wenn nach den Febrttar-Ereignis
sen eine eigene Kommission für reli
giöse und kirchliche Fragen beim Zen
tralen Aktionsausschuß geschossen
wurde, wenn sie den Geistlichen Be
soldung wie anderen Kulturtätigen
im Staatsdienst verspricht, kann
da von Kirchenfeindschaft, von Kul
turkampf die Rede fein? Und den
Mißtrauischen, die hinter all dem auch
noch immer taktische Schachzüge zur
Beruhigung des Opfers vor dem
Hauptstreich befürchten, wird bedeu
tet so etwa selbst in der nichtkom
munistischen .Lidova Temokracie' 14.
V.
von ihrem Chefredakteur Karel
Horalik —, daß dies unmöglich eine
zeitweiliche, taktische Sache sein kann:
denn „Kulturkampf" ist ja eine Iibe
raliftische Einstellung zu Religion und
Kirche und für den heutigen Sozia
lismus überholt! Aber gerade diese
ostentative Betonung nach außen und
innen, daß es keinen Kulturkampf
gibt, beweist doch indirekt, daß es viele
Leute gibt, denen man diese Meinung
ausreden oder die gegenteilige Mei
nung beibringen möchte.
Tatsächlich ist nun. wenn man eine
Bilanz für die Stellung der katholi
schen Kirche in der T'checho-Slowakei
im letzten halben Jahre zieht, eine
gewaltige Einbuße auf ver
schiedenen eristenzwichtigen Lebensbe
reichen unverkennbar. Tie Kirche hat
die materielle Grundlage ihrer Selbst
ständigkeit weithin eingebüßt, hat ihre
eigenen Jugendorganisationen, ihre
Turn- und anderen Verein und einen
guten Teil der spärlichen Reste ihrer
katholischen Presse verloren aber
all das nicht etwa infolge von Son
dermaßnahmen. die sie allein getrof
fen hätten, sondern im Rahmen ge
schickt regissierter allgemeiner Aktio
nen. Also wirklich kein Kulturkampf,
wohl aber feine vollen Ergebnisse,
kein Krieg, aber eine fühlbare Nieder
lage, nicht die Turbulenz einer offe
nett Bilderstürmerei, sondern eine
saubere, einwandfreie Juristenarbeit
nach „humanen" Rezepten wie
matt sie 1945 bei der „korrekten"
Aussiedlung der Deutschen erstmals
so gründlich lernte
Als Borspiel die „große Landnahme"
Dieser kalte Krieg begann schon
vor dem schicksalhaften Februar. Sein
erster Haupitschlag fiel zu Anfang
1948, als die Kommunisten gegen
den schwächlichen Widerstand der an
deren Parteien eine umfassende „R e
V i s i o n e e s e n o e n e
form" int Parlament durchsetzten.
Schon 1920 war unter dem Titel
..Bodenreform" vor allem dem alt
österreichischen, deutschsprachigen Adel,
aber auch sudetendeutschen kirchlichen
Institutionen ein Großteil- ihres
Grundbesitzes enteignet worden
der Fall des Klosters Tepl machte
wegen der mitbetroffenen Kurstadt
Nr. 24»
Marienbad schon damals internatio
nale» Aussehen. Nun abet, 1948, soll
te ausnahmslos aller Großgrundbe
sitz verschwinden und bestenfalls fünf
stig Hektar dem bisherigen Eigentü
mer belassen bleiben. Ein praktisches
Bedürfnis für diese völlige Beseiti
gung des Großgrundbesitzes bestand
nicht denn allein der 1945 „beschlag
nahmte" Boden der Sudetendeutschen,
Ungarn und tschechischen Kollaboran
ten umfaßte in den Sudetenländern
(500,000 Hektar und 250,000 in der
Slowakei: der Bestand an siedelwilli
gen Kräften der Tschechen aber reichte
keineswegs aus. die zur Weiterbe
si editing vorgesehenen Flächen aufzu
füllen (beträchtliche Komplere behielt
der Staat ohnehin). Obwohl also ein
Bodenliunger nicht vorhanden sein
konnte oder nur propagatorisch vorge
täuscht werden konnte, wurden in die
ser zweiten Bodenreform nochmals
etwa 870.000 Hektar konfisziert.
Ungefähr ein Fünftel davon war
bisher Besitz der katholischen Kirche
und ihrer Institutionen: 100,000
Hektar Wälder und 65,000 Hektar
landwirtschaftlicher Boden, davon et
wa 40.000 in der Slowakei. Vergeb
lich wurde von tatholt'cher Seite auf
die gewaltigen sozialen Lerpflichtun
gen verwiesen, die auf diesem Besitze
lasten: neben den höheren und Hiebe
ren Pfründen die Erhaltung von
5000—(1OOO Pfarr- und Filialkirchen
(auf zweieinhalb Milliarden KCS
jährlich geschätzt), die riesigen Mittel
für kirchliche Schulen und Pflege
anstalten vergeblich waren juristische
Einwendungen wie die des Brtitmer
Kirchenrechtlers Pros. Kop, daß die
Kirchengüter nicht dem Privatbesitz
gleich zu achten seien und daß man
mit gleichem Rechte auch die Parzel
lierung der staatlichen Güter verlan
gen müßte vergeblich war der Hin
weis, daß sie durch den modus vivendi
mit dem Hl. Stuhl vom 2. November
1928 geschützt seien. Der kirchliche
Bodenbesitz wurde enteignet, darunter
Komplexe wie die 35,772 Hektar des
Erzbistums Olmütz oder die in der
Tschecho-Slowakei liegenden Güter
des Erzbistums Breslau mit über
33.000 Hektar oder die Klosterbesitze
von Tepl (8000 Hektar) oder Braun
au (5500 Hektar). Geistlichkeit und
katholische Anstalten waren damit auf
das mehr oder weniger Verständnis»
volle Entgegenkommen der staatlichen
oder örtlichen Stellen angewiesen.
Das Schicksalsdrama vom 85.
Februar
Noch war diese gewaltige Boden
konfiskation, bei der erstmals die
Schärfe der seinerzeit gegen die Deut-'
[chett geschmiedeten Enteignungswaf
fe an deit tschechischen und slowaki
schen Mitspielern von 1945 selbst aus
probiert wurde, erst so recht in Gang
gekommen, als die hochpolitischen Er
eignis vom 13.—25. Februar 1948
das öffentliche Interesse von ihr ab
zogen. Minister gingen, Gesandte ta
rnen, Massen marschierten auf, dem
zögernden Präsidenten wurde eine
neue Regierung abgerungen, große
Männer stürzten, flohen, das große
„Säubern" begann die Kirche war
bei all den „Aktionen" nicht aktiv be
teiligt, aber sie entging dem Schicksal
nicht, passiv die Folgen mittragen zu
müssen. Ihre bisherigen Jugendorga
nisationen wurden mit allen anderen
dent offiziellen Jugendverband einge
fügt, der katholische Turnerbund Orel
ging im Sokol mit auf die Caritas
zentrale erhielt wie alle Betriebe
mit mehr als fünfzig Beschäftigten
eine Nationalverwaltung und, wenn
diese auch zwei Geistlichen übertragen
wurde, so mußten sie doch dem Für
forgeiniitister geloben, im Geiste des
neuen Regimes zu arbeiten und die
mit der christlichen Lehre angeblich
gleichlautenden volksdemokratischen
Prinzipien zu verbreiten (In der
rar is sieht das so aus, daß diese
Caritas aus den Spenden der ame
rikanischen Katholiken die griechischen
Kinder versorgen muß, welche die
Markos-Leute aus der griechischen
Heimat weggeführt und an die Volks
demokratischen Freunde verteilt ha
bett!) Tie katholische Presse wurde bis
auf zwei Wochenblätter in Olmütz und
Preßburg wegen antikommunistischer
und sowjetfeindlicher Schreibweise
verboten. Was sonst einzeln und ört
lich an Ausschreitungen gegen die
Kirche vorkam, wurde in der Presse
weislich verschwiegen nur ein Brief
von Erzbischos Beran an den Justiz
minister Dr. Cepicka verrät einiges
wie Wegnahme von kirchlichen Gebäu
den und Einrichtungen, VerdränguM
(8ettfetmne auf CMd '$2*

Samstag, den 18. September 194g
Der Kamps um Berlin

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