ate.
jnii
(Fortsetzung)
Timmins hatte ein kleines Beutel
chen gesunden, das wahrscheinlich um
Ken Hals getragen worden war. Ein
Papier befand sich darin. War es der
Trauschein? Nein, es war Leutnant
Guido Earlscourts Adresse, welche
et Alicen am Abend ihrer Ankunft in
Dilberts Garden gegeben, damit sie in
bet Stunde der Not zu ihm ihre Zu
flucht nehn^en -könne. In dankbarer
Erinnerung hatte sie dieselbe immer
behalten und nun zeugte sie stumm
gegen ihn.
Timmins trug die Kiste mit ihrem
schrecklichen Inhalt sort. Tie Männer
standen bald wieder im hellen Son
nenlicht das dunkle Geheimnis der
Aden Höhle war entschleiert.
Düster und ernst schritten sie zu dem
wartenden Wagen. Nur Inspektor
Burn ham befand sich in lebhafter
Stimmung er hatte nun einen Fall
in Händen, der Sensation erregen
mußte durch ganz England.
„Ich habe noch eine Frage an S«
Al stellen, Herr Mason," wandte er
|ich an diesen. „Können Sie mir sagen.
Unter welchem Namen Fräulein War
ren in ihrer Wohnung auftrat?"
„Man kannte sie als Brown."
„Aha! Herr Earlscourt teilte das
wahrscheinlich Fräulein Lisle mit?"
„Ja."
„Frau Brown —wieder nahm er
sein Notizbuch zur Hand. „Und wie
heißt die betreffende Hausfrau?"
„Das habe ich vergessen. Holmes,
Hayes ober dergleichen."
„Fräulein Lisle erinnert sich viel
leicht."
„Fräulein Lisle liegt an Typhus
krank."
Ter Inspektor trat zu Saunders.
„Wo soll ich Sie finden, falls ich
Ihrer bedarf, mein Freund? Sie sind
Her wichtigste Zeuge und müssen er
icheinen, wenn gerufen."
„Ich werde in London, bleiben, bis
die 'Sache erledigt ist."
Er gab ihm seine Adresse dann
fuhren sie schweigend zur Stadt.
Herr Lisle und Ulrich Mason
kamen spät nachhause. Olivia eilte
ihrem Gatten entgegen, wie sie immer
tat, und vergaß momentan alles über
das Entzücken, ihn wieder zu sehen.
Paulinens Befinden war sich gleich
geblieben. Sie kannte niemand und
rief im Fieberdelirium immer:
„Alice.' Alice!"
Inspektor Burnham machte sich so
fort ans Werk. Seine erste Aufgabe
war, das Kosthaus in Tottenham
Court Roda zu finden, in das Herr
Earlscourt Alice Warren gebracht
hatte.
Für einen Mann seines Berufes
war das nicht schwer. Frau Howe
wohnte noch da sie erinnerte sich so
fort an Frau Brown.
„Hab' nie eine stillere, ruhigere
Mieterin gehabt," sprach sie „leider
hörte ich seit sechs Jahren nichts mehr
voll ihr. Hoffentlich befindet sie sich
Vöhl und glücklich als sie meine
Wohnung verließ, war sie's sicherlich
nicht."
„Wirklich? Hat Herr Brown sie
nicht freundlich behandelt?"
„Brown? Der Mann hieß so wenig
Brown wie ich. Er war ein Offizier
und weiß am besten, ob sie seine Frau
war. Sie hielt sich ganz entschieden da
für es ist wohl nie ein schuldloseres
Geschöpf nach London und ins Ver
herben gegangen. Ja, er behandelte
sie schlecht. Sie härmte sich ab, bis sie
nur ein Schatten des früheren Selbst
war."
„Ein Offizier?" wiederholte Burn
ham. „Und wie sah er aus, Frau
Howe?"
„Groß und hübsch, mit schwarzlocki
gem, glänzendem Haar und dunklen
Augen. Eigentlich sah ich ihn nur ein
einziges Mal, und zwar am Abend,
da er sie brachte später kam er stets
vermummt."
„Sah er etwa so aus?" fragte der
Inspektor und zeigte ihr Guido Earls
courts Photographie.
„Ja, das ist er!" rief Frau Howe.
„Das ist Frau Browns Mann ich
würde ihn überall erkennen."
„Gut, Frau Brown nun will ich
Ihnen sagen, daß ich der Inspektor
Burnham von der Geheimpolizei bin."
Die Frau erschrak.
„Sie haben nichts zu fürchten, Frau
Howe Ihre ehemalige Mietfrau wird
vermißt, und ich soll sie finden. Wol
len Sie mir sagen, was Sie wissen
von der Stunde, da Frau Brown Ihr
Haus betrat, bis sie es verließ?"
In Angst und Schrecken begann
Frau Howe von dem Tag, da August
Stedman gekommen war, um das
Zimmer zu mieten für ein Pärchen
vom Lande, das am Tag nach «der An
kunft getraut werden sollte.
Vertchlungene Made
Frei bearbeitet »ach eiee« amerikanische» Roma«
e i i s e e s
ö A
„Kennen Sie des Herrn Namen?"
„Nein ich sah ihn auch nicht wieder,
obgleich er die Dame am Tag ihrer
Ankunft besuchte."
„Beschreiben Sie ihn."
Diese Aufgabe war weniger leicht,
und doch gelang es Frau Howe ziem
lich gut.
„Wir' werden ihn schon finden,
wenil wir ihn brauchen," bemerkte der
Inspektor.
Nun erwähnte Frau Howe die An
kunft des junges Paares und wieder
zeigte Herr Burnham eine Photogra
phie.
„Ist das die Dame?"
„Ja, das ist die Frau Brown, wie
ich sie zuerst sah freilich blieb sie nicht
lange so hübsch."
„War des Herrn Benehmen zärt
lich?"
„Nun, er behandelte sie aufmerk
sam, nannte sie Alice und kehrte noch
einmal zurück, nachdem er das Zim
mer bereits verlassen hatte."
„Hörten Sie, daß sie ihn beim
Taufnamen nannte?"
„Nein, Herr, das tat sie nicht sonst
hätte ich's auch nicht vergessen. Am
folgenden Abend gegen sechs Uhr fuhr
ein Wageil vor ein Herr stieg aus
und eilte die Treppe hinauf. Ich trat
ans Fenster, das Brautpaar abfahren
zu sehen. Des Mannes Gesicht aber
vermochte ich nicht zu erblicken er
hatte den Rockkragen aufgeschlagen,
trug einen schwarzen, breitkrämpigen
Hlit. Als sie zurückkamen, war es
Nacht geworden. Und sooft er später
auch kam, es geschah immer ver
mummt, so daß ich nur an jenem
ersten Abend Frau Browns Mann
sah. Mein Tienstmädchen Sarah
sagte mir freilich, daß der Offizier am
Tag vor Frau Browns Abreise offen
und unvermuttttnt gekommen sei und
ihr einen Rosenstrauch gebracht habe.
Am gleichen Abend erschien ihr Mann
vermummt wie immer. Ob er es ge
wesen, der die Rosen gebracht, weiß ich
nicht. An diesem Abend zankten sich die
Eheleute: die Frau weinte, der Mann
zürnte. Beim Fortgehen ließ er mich
in den Korridor hinausrufen, bezahlte
die Miete und sagte, daß Frau Brown
morgen abreisen werde. Wirklich er
schien ein Wagen im Laufe des Tages
die arme Frau sah aus, als ob ihr
Herz gebrochen sei. Von der Stunde
an habe ich nichts mehr von ihr gehört
und gesehen Sarah aber sagte, der
große dunkle Herr sei noch einmal ge
kommen und erstaunt und erschrocken
gewesen, zu hören, daß Frau Brown
abgereist wäre. Das war wohl nur
eine Komödie, um glauben zu machen,
er habe sie nicht selbst fortgebracht."
Herr Burnham fragte nach Sarah.
Frau Howe schüttelte traurig das
Haupt. Sarah war vor zwei Jahren
einem Lungenleiden erlegen und konn
te nichts mehr aussagen. Was aber sie
gesagt habe, sei sie bereit, vor jedem
Gerichtshof zu wiederholen.
„Ich danke für Ihre Güte, Frau
Howe meine nächste Aufgabe ist nun,
zu erfahren, wohin Herr Brown seine
Frau brachte. Einstweilen "empfehle
ich mich Ihnen."
Zwei Tage später stand Unser alter
Freund Ralf Fane vor seiner Staf
felei. Das Atelier war ein kleines, ele
gantes Gemach.
Diese Jahre, so voll von Ereignis
sen, waren nicht spurlos an Ralf Fane
vorübergegangen. Er ist nicht mehr
der weichliche, schwache, selbstische
Jüngling, der vor acht Jahren Polly
Mason liebte und sie Diana Hautton
opferte er ist ein ernster Mann ge
worden, aus dessen Augen geistige
Kraft und Genius leuchten. Aus eige
ner Kraft hat er Ruhm und Reichtum
errungen der ehrsame Schneidermei
ster mag stolz sein auf den Sohn, der
sich nun nicht mehr der niederen Ab
kunft schämt.
Einen Monat nach jenem Oktober
Tag, da er Pauline nach deren Rück
kehr von Frankreich getroffen, war
seilte Frau gestorben. Mit ihr starb ihr
Vermögen, um das er, schwach genug,
sich selbst verkauft.
Männlich kämpfte er das Gefühl
der Erleichterung nieder, das unwill
kürlich sich erhob. Sein eheliches Leben
war sehr trüb gewesen acht Monate
nach der Trauung trennten sich die
Gatten. Nun war er frei.
Er kehrte zu Pinsel und Palette zu
rück, arbeitete, wie er nie gearbeitet
im Leben. Den ganzen Winter weilte
er in Montalieu Priort) und malte
das Bild, von dem er so lange ge
träumt, so viel gesprochen: „Rosa
munde und Eleanor".
Die Rosamunde malte er aus der
Erinnerung.
Im Frühling gelangte das Kunst
werk zu'r Ausstellung und feierte un
geheueren Triumph. Die Zeitungen
priesen es, das Publikum umdrängte'
es ein Herzog kaufte es um einen
fabelhaften Preis. Es regnete Bestel
lungen, und des Künstlers Glück war
genmcht.
Damals hatte die Welt Pauline
Lisle noch nicht gesehen bald aber be
gann man von der wunderbaren Ähn
lichkeit zwischen Sir Hugos Mündel
und der schönen Rosamunde zu spre
chen.
In diesem Jahre besuchte Ralf Fane
die Gesellschaft nicht, aber er hörte
immer wieder von Paulinens Schön
heit. In der zweiten Saison sah er sie
wieder die alte Liebe loderte auf.
Nun war er berühmt und wurde
schnell reich. Er legte seine Lorbeeren
ihr zu Füßen.
„Diese Zeiten sind vorüber, Herr
Fane," sprach sie ruhig „lassen Sie
mich Ihre Freundin bleiben, Ihre
Frau kann ich nicht werden. Es ist zu
spät."
Zu spät. Der alte Refrain. Einst
war ihre Liebe ihm erreichbar gewesen.
Er hatte sich davon abgewendet, nun
war es zu spät. Er nahm sein Geschick
mit einer mutigen Resignation hin,
die ihm ihre freundschaftliche Neigung
mehr gewann, als irgend etwas ande
res vermocht hätte. Und Freunde sind
sie geblieben.
Nicht viele Männer bleiben dem
Weibe, das sie zurückgewiesen, treue
Freunde Zeit und Leiden aber hat
ten Ralf Fane geläutert, und groß"
angelegte Charaktere wissen zu ver
gessen.
All diesem Nachmittag malte er
emsig. Er ist nicht allein. Guido
Earlscourt liegt auf dem Diwan und
raucht. Es ist der letzte Tag seines
Aufenthaltes in England. Stille
herrscht in dem kleinen Gemach. Guido
betrachtet ein ihm gegenüber hängen
des Bild: Polly Masons Porträt.
„Hältst du es für gelungen?"
fragte der Künstler. „Ich denke, so
war sie, als wir sie zum erstenmal
sahen."
Noch nie hatte er Guido gegenüber
sie erwähnt. Wohl ahnte er des jungen
Autors Geheimnis nicht, aber der
beiden auffallende Zurückhaltung, das
sichtliche Vermeiden, sich zu treffen,
ließ ihn vermuten, daß ein Geheimnis
obwalte.
„Sehr gelungen," entgegnete Gui
do „es ist so ähnlich, daß es mir jenes
Fest vor die Seele zaubert und ich sie
wieder im Sonnenschein tanzen sehe.
Ich möchte eine Kopie dieses Bildes
haben, Ralf."
„Tu sollst sie bekommen. Welch
eigentümliche Geschicke! Wer hätte da
mals geahnt, daß Polly Mason eines
Herzogs Werbung ablehnen würde?
Und warum tat sie's wohl? Es sieht
ihr nicht gleich."
Bevor Guido antworten konnte, er
schien Robert Lisle auf der Schwelle.
Guido sprang auf.
„Sie hier, lieber Oberst? Ich
glaubte, Sie hätten England schon vor
acht Tagen verlassen. Ist irgend etwas
vorgefallen?"
Er gab Herrn Lisle noch immer
gern den Titel, der ihm gebührte, als
er ihn kennenlernte.
„Pauline ist schwer krank."
„Seit wann
„Seit dem Abend, da sie uns besuch
ten. Die Kunde von dem Tod einer
Freundin und eine Erkältung führten
Gehirntyphus herbei. Seitdem liegt
sie im Delirium Gott weiß, wie es
enden mag."
Er trat ans Fenster. Tiefes Schwei
gen folgte. Ein Bedienter kam mit
einer Karte.
„Inspektor Burnham von der Ge
heimpolizei," las Herr Fane laut.
„Wer ist das und was will er hier?"
Robert Lisle wandte sich mit er
schrecktem Ausdruck um.
„Er sagt, er habe Her?n Earlscourt
in wichtiger Angelegenheit zu spre
chen." meldete der Bediente.
„Ich weiß nicht, was er will. Aber
wenn du's erlaubst. Falle, will ich ihn
sehen."
Inspektor Burnham erschien.
„Habe ich die Ehre, Herrn GuÄs
Earlscourt zu sehen?"
„Ja."
„Sie beabsichtigen morgen nach
New ?Jorf abzureisen?"
„Allerdings aber ich sehe nicht ein,
was das Sie interessieren kann."
..Tie Abveije mich aufgeschoben
werden."
„Warum?"
Mit einem entschuldigenden Blick
auf Robert Lisle trat Inspektor Burn
ham näher.
„Meine Aufgabe ist nicht ange
nehm, aber ich muß sie erfüllen."
Er legte plätzlich die Hand auf
Guido Earlscourts Schulter. „Herr
Earlscourt, ich verhafte sie im Namen
des Gesetzes wegen Verdachts des
Mordes, verübt an Alice Warren am
Morgen des Christabends 1862."
Ralf Fane stieß einen Ruf des Ent
setzens aus. Robert Lisle wurde im
mer bleicher. Guido machte sich frei
von des Polizisten Hand und starrte
ihn an in wortlosem Staunen.
„Alice Warren ermordet?" rief er
endlich. „Wollen Sie wirklich sagen,
daß Alice Warren ermordet sei?"
„Ganz entschieden."
„Großer Gott!"
Guidos Gedanken flogen zu dem
Bruder, und die furchtbare Möglich
keit ließ ihn erbleichen. Er erinnerte
OHIO WAISENFREUND
sich des Moments, da er sie zuletzt ge
sehen, allein im wilden Wintersturm,
erinnerte sich des Ausdrucks, den er
wenige Stunden später in Emils
Zügen bemerkt hatte. Wer außer die
sem hatte Interesse an Alicens To-d?
Aus Guidos Zügen war jede Spur
von Farbe gewichen. Burnham sah
das Erbleichen. War es ein Zeichen
der Schuld?
„Wollen Sie mir gefälligst sagen,"
sprach Guido Earlscourt nach kurzer
Pause, „welche Beweise Sie haben,
daß Alice überhaupt tot ist, und wie
Sie dazu kommen, mich &u verdächti
gen?"
Robert Lisle trat vor.
„Lasfell Sie mich das erklären ich
wollte Ihnen eben die Sache mitteilen,
als Mr. Burnham kam."
Und er erzählte die Ereignisse von
dem Augenblick, wo der Matrose Pau
line zu sprechen verlangt hatte, bis zur
Entdeckung in Batterjea.
„Von uns erfuhr Burnham, daß
Sie mit Alice nach London reisten und
sie ans Ziel ihrer Fahrt geleiteten.
Sie würden selbst die Tatsachen an
gegeben haben, wären sie gegenwärtig
gewesen. Nie aber glaubten wir
Guido ergriff feine Hand. „Nicht
weiter. Herr Oberst! Sie handelten
vollkommen richtig. Alle Welt mag
wissen, wie ich mit der Geschichte des
unglücklichen Mädchens verflochten
war. Aber ermordet! Ter Gedanke ist
gräßlich! Und wann geschah es?"
„Am Morgen des Christabends
1862 zwischen acht und neun Uhr. Sie
werden natürlich den Verdacht sofort
hillfällig machen und ein Alibi nach
weisen können. Denken Sie nach. Es
war um die Zeit, da Sie England ver
ließen. Wo und bei wem befanden Sie
sich am Christabend 1862 vormittags
zwischen acht und neun Uhr?"
Robert Lisle legte die Hand auf des
jungeil Mannes Arm und blickte ihm
fragend ins Auge.
Guido erinnerte sich.
Am Christabend 1862 vormittags
zwischen acht und neun Uhr hatte eine
seltsame Trauung stattgefunden.
Welch unseliges Zusammentreffen
der Umstände! Tun kies Rot überzog
seine Züge: dann wurde er sehr bleich
und wandte sich ruhig zu Inspektor
Burnbam.
„vsch stehe zu Ihren Diensten. Es
ist das ein großer Irrtum, Herr
Oberst. Meine Reise muß ich nun wohl
aufschieben aber hoffentlich klärt sich
die Sache schnell auf. Leben Sie wohl,
meine Herren!"
„Aber Guido, um Himmels wil
len!" rief der Künstler. „Du wirst dich
doch erinnern können, was du um jene
Zeit tatest und wo du warst?"
„Ich weiß es aber ich halte es nicht
für angezeigt, Herrn Burnham vor
erst ins Vertrauen zu ziehen, und bin
bereit, ihn zu begleiten."
„Aber Sie werden ein Alibi nach
weisen?" fragte Lisle ängstlich.
Guido lächelte ein Lächeln, das
verborgenen tiefen Sinn zu haben
schien.
„Und wenn ich nichts vermöchte,
Herr Oberst, wenn ich nicht sagen
könnte oder wollte, wo und bei wem
ich zu jener Stunde war, würden Sie
mich für schuldig halten?"
„Nie!" entgegnete Robert Lisle fest.
„Aber das können Sie doch nicht be
absichtigen."
„vch beabsichtige es zweifellos zer
fällt die Anklage in sich selbst. Aber
was auch immer geschehe, ich werde
kein Alibi nachweisen. Adieu, meine
Herren! Tie Untersuchung wird meine
Unschuld zutage bringen."
Cr war fort, bevor sie antworten!
konnten Herrn Burnhams Gefan
gener.
„vich werde meinen Eid halten, was
auch immer geschehe."
Cr erinnerte sich der Worte, die er
einst zu Pauline gesprochen. Und was
iiuch geschehen mochte, das Geheimnis
r'nes Christabends konnte und wollte
er nicht ent'd)
leiern.
S i e e n e s K a i e
Die Poruntersnchnnft
Es war spät am Abend des gleichen
Tages. Guido Earlscourt war nicht
allein itt feiner Gefängniszelle: Ro
bert Lisle schritt in dent engen Raunt
gleich einem Löwen im Käfig auf und
nieder.
..Und Sie bleiben wirklich bei dem
verrückten Entschluß, nicht sagen zu
•wollen, wo Sie sich am 24. Tezember
1862 vormittags zwischen acht und
nenn Uhr befanden?"
..Wie oft muß ich wiederholen, lie
er Oberst, daß es außer meiner Macht
liegt, ein Alibi nachzuweisen. Ich
glaube, ich fuhr in den Morgenstun
den des betreffenden Christabends in
einer Droschke durch die Straßen Lon
dons, aber ich kann die Nummer des
betreffenden Wagens nicht angeben.
Es war unmittelbar vor meiner Ab
reise, und ich hatte selbstverständlich
viel zu tun. Kümmern Sie sitf) nicht
unr mich die Beweiskette, welche Herr
Inspektor Burnham gegen mich ge
schmiedet, mag ihm und selbst dem
Untersuchungsrichter überwältigend
erscheinen, das Schwurgericht aber
wird einen anderen Maßstab on-
fegen."
Lisle legte die Hand auf des jun
gen Mannes Schulter.
„Wer ist sie, Guido, wer ist das
Weib, das' Sie schonen wollen?"
„Also auch Sie huldigen der zyni
schen Ansicht, daß ein Weib die Grund
ursache aller liebet sein müsse? Ich
habe Ihnen die Wahrheit gesagt, daß
id) mich in jener verhängnisvollen
Stunde itt einer Droschke in den Stra
ßen Londons befand. Warum glauben
Sie mir nicht?"
„Ich glaube, daß Sie jemand, höchst
wahrseinlich eine T-ame. schonen wal
len, daß törichte Großmut Ihren
Untergang bedingt. Des Mannes erste
Pflicht gehört Gott und dem Vater
land. die zweite sich selbst. Sie sind
sicherlich imstande, zu sagen, wo und
bei wem Sie sich an jenem Morgen be
fanden, wenn Sie nur wollten."
Das Lächeln schwand von Guidos
Zügen, und ein Ausdruck edler Wil
lenskraft und Entschlossenheit breitete
sich über dieselben.
„Nein, ich will nicht," sprach er fest
„nicht wenn das Leben auf dent Spiel
stünde. Lassen wir die Sache ruhen,
lieber Freund. Was zu meiner Ret
tung geschehen kann, wird geschehen
ein Alibi aber kann id) nicht nachwei
sen, oder will es nicht. Uebrigens hoffe
id), daß
s
ben n.4,t für icfjutoig halten roertet. i^,, g,,.
eines Peers, bei
sei, verursachte grenzenlose Sensation.
Der Matrofe William Saunders
war der erste Zeuge, und wiederholte
Robert Lisle, Inspektor Burnham
und Herr Timmins gaben ihre Seit
genfchaft in gedrängter Kürze und
identifizierten die zu Batterfea gefun
denen Ueberreste.
Ihnen folgte Matthias Warren,
und ein Gemurmel der Teilnahme
und des Interesses machte sich hörbar,
als sein Name gerufen wurde.
Ernst und aufrecht schritt der Greis
vor. Tas Verhör begann. Alice War
ren war seine Tochter feine einzige
Am Abend des 27. September 1862
fei sie ohne Lebewohl von den Ihrigen
gegangen und habe fein Lebenszeichen
mehr gegeben. Er selbst hatte keine
Nachforschungen veranlaßt, hätte sie
nicht mehr aufgenommen, wäre sie je
zurückgekommen. Ob sie Verehrer ge
habt habe? Ja, sie hatte deren mehr,
als ihm lieb war. Leichtsinnig war sie
aber nicht sie war sonst ein vernünf
tiges und gefetztes Mädchen und dem
Müller Peter Jenkins so gut wie ver
lobt. Alle Herren, die sich in jenem
Jahre in der Priort) aufhielten, be
suchten fein Hans, nur Herr Fane
nicht. Wie oft sie kanten? Tas ver
mochte er mit Bestimmtheit nicht an
zugeben sein Beruf hielt ihn des
Tages über meist vom Hause fern,
abends duldete er überhaupt feine Be
suche. Seine Fanlilie begab fid) mit
neun Uhr zur Ruhe. Er hatte die Her-
am
Es wurde ihm das Haar vorgezeigt.
Ja, das war die Farbe ihres Haares,
nur war es glänzend, während dieses
trüb und schmutzig aussehe. Ter Klei
dung könne er sich nicht mehr er
innern. Ein Medaillon trug sie sie
hatte es von Fräulein Lisle erhalten.
Es enthielt deren Photographie und
Haar sowie die Inschrift: „Pauline
ihrer Alice." Ja, das war das Me
daillon.
Solange die Zeugenjchaft dauerte,
war Matthias Warren ernst geblie
ben kein Beben der Stimme verriet,
daß er von dem eigenen Kinde sprach.
Nachdem er verhört worden war.
wurde seine Frau aufgerufen. Sie
kam weinend und bebend. Alle An
wesenden waren bewegt beim Anblick
der Mutter des ermordeten Mädchens.
Jnt folgenden Tag begann die Vor- chen sie miteinander auf dem Perron.
Untersuchung. Die Kunde, daß ein be-Z Er habe Herrn Earlscourt gesagt,
ruhntter Schriftsteller, der Bruder daß die Zeit dränge. Dieser habe sei
hps Mordes angeklagt ner Gefährtin zugerufen: „Hierher,
seine Angaben mit ruhiger Einfachheit worauf die beiden eine Droschke ge
llild Gradheit, die keine Kreuzfrage zu nommen hätten.
erschütternd vermochte. Mit unbeug-1
sanier Bestimmtheit blieb er bei seiner
Aussage bezüglich des Tages, der
Stunde, ja beinahe der Minute, in
weld)er das Verbrechen geschehen.
Tochter. Zur Zeit, da sie die Heimat sie begleitende Herr der Gefangene
verließ, zählte sie zwanzig Jahre und
sieben Monate.
rrtt zu verschiedenen Zeiten mit feiner Ion. Solange sie im Hause weilte, be
kochter sprechen sehen, wußte aber jQ^ sie nur zwei Kleider: eines von
I'r'i' ^C-r
Ter Richter sprach mild und freund
lich mit ihr. Sie bestätigte die An
gaben ihres Mannes. Alle Herren, die
sich in jenem Jahre in der Priort) auf
hielten. hatten ihr Haus besucht, nur
,verr Fane nicht. Sie glaube, Herr
Stedman und Lord Montalieu wären
öfter gefommeit als Herr Guido: be
schwören möchte sie's nicht. Letzterer
kam manchmal mit Sir Henry Gor
don oder Hauptmann Villiers. Herr
Stedman kam immer allein. Lord
Montalieu ebenfalls. Keiner blieb
lange, keiner huldigte, soweit sie es
hören oder sehen konnte, ihrer Toch
ter. Alice und Herr Guido sprachen
meist von Fräulein Liste, die sich da
mals in Frankreich aufhielt, und Alice
zeigte ihm stets deren Briefe. Vorliebe
hatte sie feine verraten Herrn Sted
man mochte sie nicht und verbarg sich
gelegentlich, wenn er kam. Manchmal
machte sie lange Spaziergänge. Arn*
Abend vor ihrem Weggang war sie
später als gewöhnlich nachhause ge
kommen ihr Benehmen am folgenden
Tag sei eigentümlich gewesen. Beim
Fortgehen habe sie die Mutter geküßt,
diese aber ihr nachgeschaut und ge
glaubt. sie gebe nach Speckhaven, um
etwas zu holen.
Tie Zeugin war so aufgeregt und
erschüttert, daß sie eine Zeitlang nicht
zu sprechen vermochte.
An jenem Abend trug sie ein brau
nes Merinokleid und einen blau und
weißen Schal. Sie hielt eine Tasche
in der Hand, itt der sich ihr Sonntags
kleid von blau und weißem Wollstoff
befunden haben mußte.
Tie Reste des Kleides, obgleich
schmutzig und verblichen, ein Brief an
Fräulein Lisle und das Haar ihrer
Tochter wurden von Frau Warte»
identifiziert.
Beim Anblick des letzteren brad) sie
in solches Weinen aus, daß sie abtre
ten mußte.
John Smith, ein Bahnkondnkteur,
folgte ihr. Er erinnerte sich genau, daß
am Abend des 27. September 1862
sich auf der Station Speckhavens nur
,, .... zwei Passagiere befunden hätten: der
n fi(f jpm-
Alice!" Sie hatten ein Coupe erster
Klasse bestiegen. Der Zug sei um elf
Uhr nachts nach London gekommen.
Die nächste Zeugin, Frau Martha
Howe, erschien in heftiger Aufregung
und Tränen.
Ein großer blonder Herr, dessen
Namen sie nicht kannte, war früh am
Morgen des 27. September bei ihr er
schienen und hatte ein Zimmer gemie
tet für ein Pärchen vom Lande, das
behufs heimlicher Trauung noch am
gleichen Abend ankommen werde.
Gegen Mitternacht fuhr ein Wagen
vor. Ein Herr fragte, ob hier eine
Tante erwartet würde? Die Betref
fende trug ein braunes Merinokleid,
einen blau und weißen Schal, einen
schwarzen Hut und Schleier. Sie war
mittelgroß und sehr hübsch. Taß der
war, könne sie beschwören sie babe ihn
augenblicklich wiedererkannt. Damals
blieb er nur wenige Minuten, ent
fernte sich, kehrte auf der Treppe noch
einmal um, als ob er etwas vergessen.
Was die beiden gesprochen, wisse sie
nicht. Sie habe die Dame gefragt, ob
das ihr Bräutigam fei, und keine Ant
wort erhalten. Am folgenden Morgen
kam der blonde Herr wieder. Abends
gegen sechs Uhr hielt ein Wagen vor
der Tür. und als sie ans Fenster eilte,
iah sie, daß ein Herr ihre Mieterin
zum Wagen geleitete. Sein Gesicht sah
sie nicht. Von da ab fattt er häufiger
und blieb immer längere Zeit. So
ging es etwa vierzehn Tage er hatte
den Hausschlüssel und schien es so ein
zurichten. daß er nie gesehen wurde.
Tie Mieterin nannte sich Frau Brown
und teilte ihr mit, sie habe in eine
heimliche Ehe mit einem 'bedeutend
höherstehenden Mann gewilligt. Sie
trug einen Ehering und ein Medail-
^aufl9sivn.^am» lange braunem Merino, eines von blau und
blieb fetner Herr Guido erschien weißem Plaidstoff. Das vorgezeigte
gleich den anderen allein oder in Ge- Haar gleiche dem der Frau Brown.
I ell) chart, wie stch s eben rügte. Lord Nach den ersten vierzehn Tagen sei
Jioittalieit und Herr arisen urt aber Herr Brown immer seltener gekom
hatten inne Familie bei jedem Auf- men und habe meist nur kurze Zeit
enthalt besucht, .llice hatte beide gern, verweilt. Seine Frau wurde immer
sprach aber mehr von Herrn Guido, bleicher und weinte viel. Bei diesen
Besuchen sei er stets vermummt ge
Wesen und in der Dämmerstunde er
schienen. Es mochte der Herr gewesen
sein, der sie ant ersten Tag gebracht,
und auch nicht. Größe und Erschei
nung waren gleich. Sie könne weder
das eine noch das andere beschwören.
Eines Tages im November sagte ihr
Tienstmädchen, ein Offizier habe
Frau Brown besucht und ihr Rosen
gebracht. Er sei etwa eine Stunde ge
blieben. Am folgenden Abend erschien
Herr Brown es entstand eine Lzene.
2ie meinte und er zankte. Was vor
gefallen sei, wußte sie nicht sie habe
nicht gehorcht. Beim Fortgehen habe
er sie in den Korridor gerufen, habe
die Pension bezahlt und gesagt, Frau
Brown werde am folgenden Tag das
Haus verlassen. Er sei, wie gewöhn
lich. vermumm« gewesen der Korri
dor war dunkel. Wirklich sei die Tarne
am nächsten Tag abgeholt worden,
und seitdem habe sie nicht wieder von
ihr gehört.
Helene Noung. die Tochter der
Frau Sarah Noung, Kosthausbesitze
rin aus der Barton Straße. Strand,
wurde zunächst gerufen. Ihr Zeugnis
lautete bestimmt und klar. Tie Mut
ter sei schwer krank, dem Tod nahe,
wie sie glaube, und folglich unfähig.
Zeugenschaft zu leisten. Im November
1862 sei ein Mann gekommen und
babe für eine Frau Brown ein Zim
nter_ gemietet. Tie Zeugin hatte ihn
selbst nicht gesehen die Mutter hatte
ihr nur gesagt, er sehe wie ein Gentle
man aus. Frau Brown sei allein er
schienen, eine hübsche, bleiche, kränk
liehe Frau.
^Fortsetzung folgt)
U s a t- e a n e n e u n e i n e v e s e i e e