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•&**: r::V i TTk#' K-, .«•- »T /i'« •. 1 *, .'' 1 ts ,1 Jkl-v .. .ii .^.JjüL. DceemMr i inili'riliiln. geheimnisvolle Schloss (SchwU „Fratttb," sagte er, „man erwartet mich auf dem Markt. Ich verlöre .zwölf Sous, wenn 'im mich aufhältst." Der Mann mit der Maske ging jedoch nicht aus dem Wege er zog einen blanken Taler aus seiner Tasche und antwortete: „Du kannst wohl zwölf Sous der lierm, aim einen Kronentaler zu ber ittenen!" „Und was soll ich tun, um ihn zu verdienen fragte Joujou, durch den großen Gewinn verlockt. „Pst," machte der Fremde, „spreche nicht so laut! Wenn ich in ein Haus einkehre, so hat man Furcht vor mir und man weist mich ab. Tie Händler wollen mir nichts verkaufen. Geh und hole mir einen Spiegel für vierund zwanzig Sous, und ich werde dir diesen Kronentaler geben." „Einverstanden!" rief Joujou er freut. Ganz in der Nähe, und zwar an der Ecke des Palastplatzes, befand sich der Kramladen von Mormichel-Barbe dor. Joujou wan'dte seine Schritte dorthin und trommelte kräftig auf die Läden dieses Hauses. Guilmitte lag noch in guter Ruhe aber wenn es sich darum handelte, ein Geschäft für vierundzwanzig Sous zu machen, so war sie stets schnell bei der Hand. Sie erschien im Morgenkostüm, öffnete ihren Laden und verkaufte Joujou einen hübschen kleinen Spie gel mit gelbem Rahmen. Joujou überbrachte ihn getreulich dem freigebigen Fremden. Letzterer gab ihm nicht allein den versprochenen Kronentaler, sondern er war so zu frieden, daß er Joujou vor Freude umarmte, wobei dieser fast erdrückt word eil wäre. Während der Fremde den Spiegel über seinem Kopf hin und her schwang und wie ein Verrückter Sprünge machte, stieg er hinter der Brücke hinab und verschwand wieder int Schilf des Flusses. Joujou hörte ihn von weitem noch .mit hohler Stimme rufen: „Sie wird sich sehen! Sie wird sich sehen ttrib dann sterben!" 21. Belagerung des Schlosses Blaubarts Aus dem Vorhergehenden kann man schließen, daß es nicht Aann Bolnyi, die „Dogge Blaubarts", ge wesen war. der den armen Fischerjun gen „gebissen" hatte. Der Dragoner befand sich vollständig wohl und konnte somit keinen anderen mit der Pest, die er selbst nicht hatte, an stecken Malbruk dagegen hatte die Pest, und er war es gewesen, der durch seine Berührung den Jungen ange steckt hatte. Wie dem auch sein mochte, für die Bewohner von Rennes galt es als feststehend, daß Joujou durch die Hand des Grafen Heinrich dem Tode überantwortet worden sei. Man wuß te, daß der Finger Blaubarts, dieses Vampyrs, im Spiele war, unb mehr bedurfte man ja nicht! Tie Mutter Joujous erschien mit zerzaustem Haar und ganz trostlos auf dem St.-Anna-Platz. Sie stürzte sich auf den Leichnam ihres Sohnes und schrie um Rache. Wo findet sich auch eilte Mutter, die beim Anblick ihres toten Kindes nicht halb wahn sinnig würde? Tie Feinde, welche Lacuzan in der Stadt hatte und wir wissen, daß deren Zahl eine beträchtliche war —, wußten diesen Vorfall gebührend aus zubeuten. Von dem häßlichen Vive an bis zu Badabreux, von der Guilmitte Barbedor bis zur Vicomtesse Ie Brec im Lartz spie alles Feuer und Flam men. Das Toben dauerte den ganzen Tag über. Gegen Abend rief man in den Straßen zu de« Waffen, um die Belagerung des Schlosses Blaubarts ins Werk zu setzen trotz des starken Nebels trat die Menge sofort den Weg nach dem Sammetgrabe an. Alle Welt wollte an dieser kriegeri schen Expedition teilnehmen. Es war eine massenhafte Erhebung, an der sich selbst Frauen und Kinder beteiligten. Die Mutter Joujous eröffnete den Zug mit einer großen Pechfackel in der Hand. Die verständigeren Leute, wie Badabreux-, Mormichel, Soliment, Vive, marschierten unbewaffnet hin tendrein. Die Morgendämmerung brach über einem großartigen und seltsamen Schauspieu an. Das Schloß du Grail war von allen Seiten umzingelt. Ganz Rennes war ausgewandert. Seine Arbeiter, seine Bürger, seine Portiers, seine Vicomtessen, alles war dem Kreuzzug gefolgt, um bei der Belagerung des Santmetschlosses tätig oder wenigstens Zuschauer zu sein. Iv„, V Die ganze Gesellschaft hatte im Freien biwakiert, selbst die Vicomtes sen, welche in ihren Equipagen er schienen waren. Am Rande des Waldes wurde ein Kriegsrat abgehalten, wobei die He ringsweiber und Wursthändler mit der Miene von Strategen ernsthaft die Ansicht vertraten, daß man ver mittelst einiger Faschinen «den Zweck erreichen werde. Badabreux machte jedoch in seiner Weisheit geltend, daß man, um einen mit Wällen umgebenen festen Platz einzunehmen, zehn Jahre und außer dem vierundzwanzig Gesänge epischer Dichtung nötig habe. Hier könne nur eine Kriegslist helfen, ähnlich der der Griechen von Troja. Und nun war der alte Narr in seinem Fahrwasser: miter großem, mit epischen Tiradeu und Zitaten vermischtem Wortschwall tischte er dem Haufen die Geschichte von der Belagerung Trojas und dessen endlicher Ueberlistung auf und wiederholte den Ratschlag, zur List zu greifen, wozu freilich er selbst gerade so unfähig war als die meisten des Haufens. Mormichel meinte in seiner Hin gebung für die gemeinsame Sache: „Wir haben in unserem Kramladen Pulver aus dein königlichen Magazin zu verkaufen. Wenn man nun Minen anlegen will, so empfehle ich dem Kriegsrat mein Geschäft und werde eventuell selbst Pulver holen, soweit man mir Geld mitgibt." „Wenigstens bedürfen Wir," fuhr Badabreux fort, „einiger Sturmböcke und einer Anzahl Wurfmaschinen, wenngleich es gefährlich ist, mit letz teren zu manövrieren. Denn es ist häufig vorgekommen, daß die mit Ge walt geschleuderten Steine zurück prallten und den Belagerern selbst verderblich wurden." „Hasenfüße, die ihr feid." rief eine der höflichsten unter den Damen Tre coche, „nehmt doch Leitern und klet tert die Wälle hinauf!" Dort oben sah man jedoch die un beweglichen Schatten der Lacuzän Dragoner. Ueberhaupt ließ der ganze Anblick des düsteren und stummen Schlosses selbst bei den Tapfersten den Mut um einige Grad sinken. Zudem meldete sich gegen Mittag bei vielen der Magen. Endlich erschie neu auf dem Wege von Rennes eine Anzahl von Edelleuten, Albert de Coötlogon an der Spitze, und erklär ten, daß sie das Schloß gegen jeden rohen Angriff verteidigen würden. Tiefe Trohung gab zu Bedenken An laß, und schon fürchtete man, daß die Expedition zu Wasser werden würde, als sich plötzlich ein wildes Geschrei im Innern des Waldes erhob. Es waren dies die Bettler von Ren nes. Ein Trupp von vier- bis fünf hundert Lumpen, die sämtlich Faschi neu trugen, font unter Anführung Malbruks aus dem Tickicht des Wal des heraus. Ter Anfang war gemacht. Ein jeder nahm sich ein Bündel, und so rückte die ganze Gesellschaft auf die Gräben los. Tie Laciuzan-Dragoner rührten sich nicht. Man hätte glauben können, daß sie alle schliefen. Hinter den düsteren Mauern herrschte unterdessen Ver zweiflung. All diese ordnungswidrigen Vor gänge. das Geschrei des verblendeten Pöbels, es war eigentlich nichts als eilte Komödie, ein lächerlicher, toller Zugbrücke von Grail, spielte sich ein Drama ab. Hier befand sich ein Mann, den der Schmerz dem Wahnsinn nahe gebracht hatte. Lacuzan hatte Unmögliches zu leisten versucht er sah es nun ein. Einen Augenblick) glaubte er sich stark genug, um Marielic mit einem magi schen Wall um-geben zu können, der ihren Verkehr mit der Welt vollstän dig abschneiden könnte. Er hatte ge träumt. Marielle -auf solche Weise gegen sich selbst und zugleich gegen alle anderen beschützen, sie täuschen und ihr an Stelle ihrer verlorenen Schönheit ein Trugbild bieten zu können, welches ihr diese ersetzen sollte: denn von der Schönheit Ma Miellens hing auch ihr Leben ab. Lacuzan hatte dies erträumt, und er hatte seinem kindischen Unter nehmen die ganze Kraft eines hero ischen Charakters gewidmet: er hatte seinem Abgott in diesem Kerker gleich sam einen Altar errichtet, dessen Kult nicht eine Stunde, nicht einen Tag, sondern seine ganze Zeit beanspruchte. Nun war er müde: denn er sah, daß sein Unternehmen unnütz sei und daß Gott, den er vergessen, ihn nun mehr durch die Verzweiflung strafte. Die Welt, nämlich die Narren und Verrückten sowie die, welche vor dem Schlosse lagerten, diese Fischweiber, diese Bettler, diese Megären, kurz alle, wollten das Geheimnis -des OWO-1 Schlosses, selbst mit Gewalt, enthüllt haben. Das Geheimnisvolle, mit welchem Lacuzan sich und sein Leben umgeben hatte, genierte die vorwitzigen und neugierigen Leute. Daher kamen sie, um den Schleier zu zerreißen und ihre Neugierde zu befriedigen. Wer möchte leugnen, daß das, was sich hier vor dem Schlosse du Grail abspielte, nicht ein -getreues Bild dessen ist, was auch in unserer Zeit so oft wiederkehrt? Wo in aller Welt sollte eilt Ort sein, an welchem sich nicht gleiches schon ereignet hätte? Die Welt ist wie jene vorwitzigen Kinder, die ihre Spielsachen zerbre chen, um zu sehen, was drinnen ist, und die sich bann wundern, wenn sie feinen belebenden Geist darin vor finden. Um die vorwitzige Neugierde zu be friedigen, scheut die Welt kein Mit tel sie ist hart, grausam und unbarm herzig. Tie Welt entehrt und be schimpft, sie lügt und verleumdet die Welt fiihrt Tag für Tag ihre Opfer auf die Richtstätte, da ihr die Ehre und der gute Ruf des Besten nicht zu kostbar sind. Also hütet euch, möget ihr sein, wer ihr wollt, hütet euch wohl, gegen die Welt anzukämpfen? Hätschelt, lieb koset sie vielmehr, wie man ein wildes Tier liebkost, welches man zähmen will! Nur erbittert sie nicht, es sei denn, daß ihr den Mut und die Kraft hättet, euch über sie lustig zu machen, ihr kühn ins Angesicht zu schauen und ihr laut zuzurufen: Ich fürchte dich nicht, denn ich bedarf deiner nicht! Tiefe Kraft aber, ohne welche ihr euch auf Gnade oder Ungnade ergeben müßt, kann nur von Gott kommen. So müßt ihr also zwischen der Welt und Gott wählen! Sobald ihr Gott, der das Leben ist, verlaßt, feid ihr von der Welt voll ständig umgarnt sie hält euch dann ganz in ihren Fesseln, denn alles ist Welt. Eure Tienerschaft ist Welt, ja. die Welt hat euch sogar durch eures Tiener selbst ganz tu ihrer Gewalt. Ihr fennt nicht alle jenes seltsame, geheimnisvolle Band, welches die Ge-, sellschaft der Schwätzer jeden Stan des. jedes Alters, jedes Geschlechts miteinander verbindet ihr glaubt nicht, wie der Bettler, der an irgend einer Straßenecke um ein Almosen bittet wofern er überhaupt zu dieser Klasse von Menschen gehört —, mittels zahlloser Ringe einer geheim nisvollen Kette von Narren, Schwät zern, Spionen die „öffentliche Mei nung" macht, welche uns die Welt in ihrer furchbarsten Entwicklung vor stellt. Ihr wisset nicht, daß die Schwätzer und Verleumder,'so weit sie auch auf der ganzen Welt verstreut sind, nur eine einzige Gesellschaft bilden, daß diese tausendmal mächtiger ist als alle geheimen Gesellschaften zusammenge nommeu, daß sie unüberwindlich ist und daß sie selbst eigentümlicherlveiie niemals von ihrem giftigen Hauch be rührt wird. Nun aber hatte es Lacuzan nur mit einer einzigen Stadt von fünf uiidzwanzigtaufend Einwohnern zu tun. in der allerdings die Pest herrschte, welche aber den Zeitgeist, die wahre Pest, noch nicht kannte. Lacuzan stand, um es mit nackten Worten zu sagen, einer Volksmenge gegenüber, welche er heute wohl leicht verjagen konnte, die aber morgen wieder zurückgekehrt fein würde. Seinen Tegen hatte er bereits ge opfert, weil die Menge es verlangte doch genügte es nicht. Erst in dieser Stunde erkannte er die Macht dieses elenden Volkshau fens eine ungeheure Macht war es, ja sie war unbesiegbar. Im Herzen hatte er die Wut eines Besiegten, der um sich alle noch unverwundeten Krie^ ger sammelt der aber wohl fühlt, daß ein weiteres Kämpfen unnütz ist. Tie Hilfe Gottes fehlte ihm! Außerdem sagten ihm manche An zeichen, wenn sie auch unbestimmt waren, daß sich ein Fremder im Schlosse du Grail aufhalte. Tie Welt war bereits ins Innere seiner Festung eingedrungen, bevor ein Sturmlauf gemacht worden war. Er hatte das Vertrauen in feine Tragoner ver loren. Ja, er fing sogar an, seiner Schwägerin Blanche zu mißtrauen, seiner alten Freundin von sechzehn Jahren. Er war fast von Sinnen. Als Lacuzan daher den Lärm horte, welchen der von den Bettlern versuchte Angriff verursachte, stieg er auf den Wall hinauf. „?)miit," sagte er dem Dragoner Bolnyi, „die Gräfin schläft, diese Menschen werden sie 'wecken!" „Wenn der Herr Graf mir erlauben wollte," antwortete Dann, der sich schon höfliche Manieren angeeignet hatte, „so werde ich zehn meiner Leute auswählen und mit ihnen diese Schur ken zum Teufel jagen!" «Aber fie werden zurückkommen!" erwiderte Lacuzan. „Alsdann beginnen wir von neuem, Herr Graf." Lacuzan gab ein Zeichen, und Dann Bolnyi trat in der Haltung eines Paradesoldaten vor ihn. Er war ein hübscher Mann von etwa dreißig Sohren, kräftig wie ein Herkules und trug einen starken, blonden Schnurr fart. «Höre mich an," sprach Lacuzan langsam, „kannst du dich festauf deine Kameraden verlassen?" „Wie auf mich selbst, Herr Oberst!" „Wenn.unsere letzte Stunde schla gen wird ." fuhr der Graf fort. Bolnyi betrachtete ihn überrascht und mit einem solch langen Gesicht, daß Lacuzan innehielt. «Ich spreche also von der letzten Stunde." begann dieser wiederum „ich weiß, du kannst das nicht begrei fen, Z)ann. Es sind ja nicht jene Leute, die wir befäntpfen müssen, es ist das Schicksal! Ter Augenblick naht herein, ich weiß es, ich fühle es! Wir müssen Sorge tragen, daß es uns nicht un vorbereitet antreffe." Lacuzan hatte recht: Bolnyi ver stand ihn nicht, obschon er aufmerk sam zuhörte. Ter Gedankengang in dein kranken Gehirn des Grafen änderte sich indessen. „Nann," sagte er plötzlich, in mehr traurigem als ernstem Tone, „du hat test unrecht, mich zu täuschen!" »Ich! Sie getäuscht, Herr Oberst?" rief Bolnyi überrascht. „Es befindet sich ein Fremder hier im Schlosse!" Bolnyi schlug die Augen nieder, während sich seine Gesichtsfarbe ver änderte. Ter feurige Blick Lacuzans schien ihm bis in das Innerste seines Herzens zu dringen. „Ein Fremder?" wiederholte end lich der Dragoner. „Ich glaube nicht, daß es ein Mensch ist, Herr Oberst." „Es befindet sich also doch jemand hier?" „Es mag etwa acht Tage her sein," erzählte?jamt, „daß Horresko und ich während einer dunklen Nacht auf der Mauer die Weiche hielten wir sahen plötzlich eilten Schatten von dem Wallgraben her nach dem Gipfel des Tctchwerfes gleiten daselbst ver schwand er sogleich in einem der zahl reichen Kantine." „Und dann?" „Alsdann? Nichts, Herr Oberst!" „Auf dein Gewissen?" „Auf mein Gewissen!" Lacuzan stand einen Augenblick ii ach den fent) da. Dann erhob er sein schönes Gesicht, auf welchem der Schmerz seit einigen Tagen seine düsteren Spuren gezeichnet hatte. „Ach, ich wollte nicht darüber mit dir sprechen!" versetzte er rasch. „Was sagte ich dir noch?" „Der Herr Graf sagte mir," ant wertete Bolnyi mit Widerwillen, „wenn unsere letzte Stunde schlagen w i Lacuzan erzitterte vom Kopf bis zu den Füßen. „Ja, es ist wahr, es ist wahr!" rief ex aus. „Oh, sie wird font men, die letzte Stunde! Und Marielle erst zweiundzwanzig Jahre alt!" Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen ein heftiges Schluchzen über fiel ihn. Ter Tragoner betrachtete ihn mit Ehrfurcht und Teilnahme. „Unter dem Salon der Frau Grä fin." fuhr Lacuzan hastig und mit heiserer Stimme fort, „befindet sich das Badezimmer in demselben wirst du ein Fas Pulver aufstellen." „Jawohl, Herr Oberst!" „Sobald ich dir ein Zeichen gebe, öffnest du sämtliche Türen des Schlos ses alsdann führst im meine Schwä gerin Blanche von Noyal in Sicher heit. Zwei andere tun ein gleiches mit der Kammerfrau und jener armen Frau, die man Ehaumel nennt. Tie Pferde werden im Hofe bereit stehen. Tu legst an eine Zündschnur, welche drei Zoll lang ist und mit dem Faß Pulver in Verbindung steht, Feuer und alsdann kommandierst im Ga lopp!" „Aber .!" versuchte Bolnyi ein zuwenden. „Sei unbesorgt! Tie Tienerschaft ist in Kenntnis gesetzt, und es wird sich niemand mehr in dem Schlosse be finden." „Aber Sie, Herr Graf, und die Frau Gräfin?" „Ich," sagte Lacuzan, dessen Lip pen sich zu einem bitteren Lächeln ver zogen, „ich und die Gräfin werden uns auf einem anderen Wege davon machen?" Ein lautes Geschrei erhob sich drau ßen. Tausende von Stimmen lärm ten: „Blaubart, Blaubart! Nieder mit Blaubart!" Bolnyi zeigte durch eine Schieß scharte auf die Bettlertruppe, welche bereits die Faschinen in Brand steckte. „Mache in der Zwischenzeit, was du willst." sagte Lacuzan gleichgültig. Ter Tragoner grüßte militärisch und entfernte sich. Kurze Zeit nachher erdröhnte die Zugbrücke unter den Hufen von fünf zehn schönen Pferden, die von der gleichen Anzahl Dragoner geritten wurden an ihrer Spitze galoppierte Nann Bolnyi. Tiefe Reiter sprengten nur einmal über -die Fläche, welche sich jenseits der Wälle befand, und nicht ein ein ziger von jener unzählbaren Armee von Schwätzern, die zu Fuß, zu Pferd oder zu Wagen von Rennes heran gekommen waren, hielt stand: alles flüchtete, was nur flüchten konnte. Badabreux verglich öfters diese Tot der Lacuzan-Dragoner mit dem rasen den Nordwind, her alles auf seinem Wege hinwegfegt.. Trei der Fräulein Trecoche wurden ohnmächtig int Schlamme der Gräben aufgefunden. Mormichel, der aus Angst ant liebsten in irgendeine Hohle gekrochen wäre, kletterte aus einen Baum indes auch von dort wurde er vertrieben durch die Angst vor einem Eichhörnchen! Vive sprang in den Wagen der Vicomtesse de Turlataine, worin sich diese bemühte, die Vicomtesse Ie Brec du Lartz von einem Schlaganfall ins Leben zurückzurufen. Bei der wilden Flucht waren alle Stände vertreten. Niemals hat eine angeblich philanthropische Expedition einen kläglicheren Ausgang genom men als diese. Aber ntait hatte weiter nichts er reicht, als daß der lästige Fliegen schwärm, welcher um das Schloß her um summte, gründlich vertrieben war. Lacuzan fühlte dies sehr gut. Um den so dünnen Faden, woran das Leben der armen Marielle hing, zu zerschneiden, genügte ein unbe dachtsamer, neugieriger Blick, noch weniger als dies! Es genügte ein Spiegel von vierundzwanzig Sous, der aus den Wolfen in den blauen Salon herttiedersiele Ter junge Albert de Eovtlogon und feine Gefährten hatten den Augen blick, da die Zugbrücke unbewacht war, benutzt, um in das Schloß eittzutre ten. Albert wollte Lacuzan seine Tienste anbieten, und er ahnte nicht, daß sein Erscheinen im Schlosse dem Grasen höchst ungelegen kam. Als anderseits Bolnyi an der Spitze der siegreichen Tragoner soeben wie der die Brücke passiert hatte, in dem Augenblick, als man die Ketten spannte und die mit den Planken ver bundenen Balken langsam in die Höhe zog, stürzte plötzlich aus dem Walde ein Mann heraus wenigstens ein Wesen in menschlicher Gestalt —, der Sprünge wie ein Orang-Utan machte, sich an den Ketten festhing und an denselben hinauf bis zum Fries der ersten Etage kletterte. Er hatte einen Gegenstand in der Hand, welchen er über seinem Kopf hin und her schwang diese Bewegun gen veranlassten, daß die Strahlen der untergehenden Sonne sich darin widerspiegelten. Man vernahm die Worte aus sei nem Munde: „Sie wird sich sehen! Sie wird sich sehen und dann ster ben!" Tie nun folgenden Vorgänge in dem mit blauen Sammet abgeschla genen Salon glichen einem stummen Tratua, dessen furze, unerwartete Szenen durch einen elektrischen Fun fett hätten erleuchtet werden können. Tas ganze Traum dauerte gerade eilte Minute. Marielle saß schlafend auf dem Sota. Pichenet hatte soeben ihr Ge sicht eingerieben und war im Begriff, ihre Maske wieder zu befestigen. Blanche stand in dem Korridor auf der Lauer, damit Lacuzan den jun gen Arzt nicht überrasche. Ein Fenster knarrte und fiel ent zwei ins Zimmer. Marielle erwachte. plötzlich. Zu gleicher Zeit öffnete sich, die Tür. Durch das Fenster sprang ein Mann mit schwarzem Gesicht Herein,' ganz in Lumpen gefleidet. In dem Eingang erschien int selben Augenblick, Gras von Lacuzan. Er sah Pichenet verwundert an, doch tat er ihfii nichts zuleide, weil er auch Malbruf bemerkte, welcher der Gräfin einen Spiegel Überreichte. Schneller, als ein Augenblick währt. Hatte Marielle die Maske herunter gerissen und betrachtete sich neugierig im Spiegel. Malbruf brach in ein triumphie rendes Brüllen aus, welches sich indes bald in einen Angstschrei verwandelte, denn Lacuzan hatte ihn an der Kehle erfaßt und ihn erwürgt. Ter Graf schleppte ihn an das ge öffnete Fenster und wars ihn hinaus. Und Bolniii, der sich auf seiner Ver folgütig befand, tötete ihn im Flug durch einen Schuß aus seinem Kara titer. Marielle selbst hatte von diesem Zwischenfall nichts wahrgenommen sie hatte weiter nichts gesehen als einen Spiegel und in diesem Spiegel ihr Gesicht. „Ach. wie häßlich bin ich!" rief sie aus. Lacuzan wandte sich um, und fast wäre er vor Erstaunen rückwärts zu Boden gestürzt das Antlitz Ma riellens Hatte die frühere blendende Schönheit wiedererlangt! Tie Worte, welche Marielle in ihrer Koketterie ausgestoßen hatte, waren durch einige rote Flecken im Gesicht sowie infolge der Abspannung, Me sich um ihre schönen Augen be merkbar machte, veranlaßt worden. «Höre einmal," sprach sie leise, sich an Lacuzan wendend, „an manchen tagen glaubte ich wirklich, die Pest '.u haben!" Ter Graf war wie berauscht, blanche hatte Freudentränen in den 'fugen. Marielle war gerettet und so gründlich geheilt, daß fie heute nicht einmal ahnte, tagelang am Rande des Grabes gestanden zu haben. Marielle war dem Glück wiedergegeben! Lacuzan betrachtete Pichenet mit einer gewissen Angst. „Wer sind Sie?" stammelte er. Ter junge Arzt antwortete: „Er innern Sie sich nicht mehr des armen Seiltänzers, dem Sie vor Jahren das Leben retteten?" „Ja, ja," antwortete Lacuzan, „ich. erinnere mich ehedem wagten O 4 4 wie Blanche trat hinzu und erfaßte die beiden Hände Pichenets, während sie auf den Grafen einen vorwurfsvollen Blick richtete. Albert de Eortlogon erschien in der halbgeöffneten Tür in dent Augen blick, als Blanche die Hände Piche nets erhob. „Potztausend, mein Reisegefährte!" rief er. „Sie haben mir doch auf Ehre versprochen, daß Sie mir nicht ins Gehege kommen wollten!" Pichenet erwiderte lächelnd: „Ich verspreche es Ihnen hiermit noch mals." „Aber für wen sind Sie denn hier her gekommen?" fragte Lacuzan. Picheitet schob die Vorhänge zurück, die den Salon von dem Nebenzimmer trennten, und verschwand für einige Augenblicke hierauf erschien er wie der, am Arm eine alte Frau führend, die vor Glück weinte. „Für meine gute Mutter, Herr Graf!" entgegnete er alsdann. Tiefe Worte erklangen vielleicht etwas trau rig. aber Ehaumel küßte ihren Sohn mit zärtlicher Liebe. Tann richtete sich Picheitet stolz auf, und während er die gute Frau zärtlich an sein Herz drückte, sagte er mit fester Stimme: «Ich. meine Herren, liebe nur meine Mutter!" Tie Erzählung konnte hiermit eigentlich schließen, denn der freund liche Leser wird vermuten, daß Lacu zan, Albert wie auch Marielle es sich zur Ehre gereichen ließen, gleichfalls wie Blanche gute Freunde Pichenets zu werden und zu bleiben. Wir haben indes noch einige wich tige Ereignisse mitzuteilen. Als der Marquis von Noyal ver nahm, daß alles aufs beste verlaufen sei, erwiderte er fehr geistreich: „Glauben Sie mir, daß, wenn alles so ernsthaft und bedenklich gewesen wäre, ich mich nicht etwas mehr um meine Töchter befümmert hätte?" Tie vierte der Fräulein Trecoche wurde infolge einer Verrenkung, welche sie sich bei der Belagerung des Sammetgrabes zugezogen hatte, voll ständig lahm. Guilmitte Barbedor, die das irdi sche Dasein ihres schönen kleinen Mor michel dadurch bedeutend abgefürzt hatte, daß sie ihn fleißig durchprü gelte. ließ ihm ein solides Mausoleum errichten. Vive, der Portier, wurde Philo soph und lieferte verschiedene Artifel in ein Konoersation-Mexifoit. Auch wurde er Mitglied mehrerer gelehr ten Gesellschaften. Wenn die Vicomtesse Ie Brec du Lartz jemals in ihrem Leben einige kleine Fehler beging, so hat sie solche auch schwer büßen müssen. Badabreux fand nämlich Gnade bei ihr die Wirklichkeit scheint oft nicht möglich zu sein. Von dem Wunsche beseelt, täglich feilt zu dinieren, heiratete der Junggeselle diese Vicomtesse, die je doch drei Monate später in ein Irren» haus gebracht wurde. Ter schreckliche Badabreux hatte ihr in neunzig Ta gen zwei Millionen tragischer Verse vorgeleiert! Tie Vicomtessen nannten den Gra fen Lacuzan nach wie vor Blaubart. Tie Vicomtesse de Turlutaine erreichte ein Alter von 107 Jahren. Was die anderen Personen unserer Erzählung betrifft, so wüßten wir nichts Romantisches aus ihrem Le benslauf zu berichten. Es fei noch ermähnt, daß der Arzt Adrian Ehaumel eine große Berühmt heit erlangte und später sogar Leib arzt des Königs wurde. Madame de Pompadour liebte ihn Zwar nicht, weil er in das damalige „Remses Vinfame!" nicht mit ein stimmte. (Bcrasez: 1'infame! Ver nichtet die Verruchte! Dieser schänd liche Ausspruch galt der Kirche wie überhaupt der Religion. Er wurde zum Losungswort der Voltairiatter, die mir als die „Kulturkämpfer" des 18. Jahrhunderts betrachten müssen.) De Ehoifeul verwünschte ihn sogar, weil er den ungerechten und in schein heiliger Weise ins Werk gesetzten Krieg der Höflinge, Jansenisten und Freidenker gegen die Jesuitenorden durchaus nicht billigte. Es wird ihm auch nachgerühmt, daß er einmal dem Präsidenten Rolland, als dieser über die Jesttiteit klagte und die Befürch tung aussprach, dieselben würden sich wohl an ihm rächen, freimütig ent gegnet habe: „Mein Herr, Sie irren. Die Patres rächen sich durchaus nicht, aber Gott im Himmel wird sie rächen!" Dieses Wort machte um so größeres Aufsehen, als es Adrian Ehaumel in Gegenwart des Königs ausgesprochen hatte. E n e -1 l** \n\n Roman von PAUL FEVAL