w I i (Fortsetzung) Tie späten Gäste waren nicht sonderlicher Laune, wie man sich denken kann. „Alles war diesmal so gut vorbereitet," klagte Batz. den ich zum erstenmal entmutigt sah, „und nun muß uns dieser schöne Sieg unse rer Freunde einen Strich durch die Rechnung inachen! Das doch diese freudige Meldung vom Anmarsch der Verbündeten nicht ein paar Stunden später kam! Jetzt wären der Dauphin und Marie Antoinette in Sicherheit!" „Ma foi, 's ist ärgerlich!" stimmte Rougeville bei. „Ich hatte eben meine Kutscheruniform angezogen, den Wa gen untersucht, die Räder neu schmie ren lassen und war in aller stille hinter dem Hoftor mit den: Anspan nen beschäftigt vier Prachtpferde, mein Kompliment, Baron, und auch sonst war alles klug angeordnet: ich konnte in einer Minute aus der Rue Phelippeaux vor dem Tor des Temple halten —, da ums} der dumme Rum mel losgehen mit Sturmläuten und General marsch usw. Es ist zum Hirn wütigwerden!" „Nun, bei allem Unglück hatten wir außerordentliches Glück," sagte mit seiner gewohnten Ruhe Michonis. „Nehmen wir an, man hätte General marsch geschlagen, nachdem wir schon im Temple und mitten in der Aus führung des Anschlages waren. Ter Plan wäre unwiderbringlich geschei tert' wir jetzt tot oder im Gefängnisse, was ungefähr dasselbe bedeutet, und Gott stehe der armen Königin und ihren Kindern bei! Jetzt aber ist nichts verraten. Wenn morgen oder über morgen die Ruhe in Paris Wiederher gestellt und die Tore wieder geöffnet sind, so tonnen wir unseren Plan mit ebenso guten, ja mit noch besseren Aussichten auf Erfolg versuchen. Tenn die Nachricht vom Anmarsch der Verbündeten wird sich morgen als blinder Lärm herausstellen da will ich meinen Kopf darauf wetten! So rasch sind die Oesterreicher nicht, wenn sie auch Dumouriez eine ordentliche Schlappe beigebracht haben. Ter Auf regung des blinden Lärms aber wird ganz naturgemäß größere Sorglosig feit auf dem Fuße folgen, die uns sehr zustatten kommen muß. Ich halte es daher für gar nicht unwahrscheinlich, daß wir die Königin in der nächsten Nacht schon befreien." Baron Batz umarmte Michonis: „Sie geben uns den Mut wieder und machen uns zu Männern!" rief er. „Sie haben ganz recht: es ist nichts verloren, und morgen werden wir den Dauphin und Frankreich retten." Auch Jarjeayes und alle übrigen waren bald wieder voll Hoffnung. Ich bewunderte Michonis ob seines Mutes und seiner Kaltblütigkeit. Wie ihm recht wohl bewußt war, schwebte er durch diesen Aufschub, wenn der selbe auch nur vierundzwanzig Stun den dauerte, in großer Gefahr. Er war freilich so vorsichtig als möglich gewesen, hatte seinen Namen nir gends verraten und den Gefängnis beamten wegen der Unregelmäßig feiten, bei denen er sie ertappte, einen heilsamen Schrecken eingejagt. Aber würden sie nicht Verrat wittern, wenn morgen die Blätter, die immer so ge treulich über das Revolutionsgericht und dessen Opfer berichten, nichts von der „Rotrübe" und dieser ci-davant Valdouleur brächten? Und würden sie sich nicht erkundigen, wer denn dieser verwünschte Bürger Kommissär ge wesen sei, der ihnen so die Leviten gelesen und Gefangene abgeschwindelt hatte? Ich sprach darüber Michonis meine Befürchtung aus. Er zuckte die Achseln und meinte, man müsse eben abwar ten er glaube aber, die Nachricht von der Niederlage Dumouriez' und dem Anmarsch des Feindes werde morgen auf dem Stadthause noch alle Köpfe fo beherrschen, daß man für nichts anderes Zeit finde. „Nur dieser elende Schuhflicker Simon beunruhigt mich. Der Kerl schleicht mir seit Weihnach ten fast auf Schritt und Tritt nach und spioniert mich aus. Auch gestern abend meine ich ihn in der Nähe von Sainte-Pelagie bemerkt zu haben. Nehmen Sie sich vor diesem Menschen in acht er ist einer der wütendsten Jakobiner!" Michonis empfahl uns dann, noch ein paar Stunden der Ruhe zu pfle gen, damit wir in der nächsten Nacht um so munterer seien. Wir sollten uns auch den folgenden Tag gut ver borgen halten gegen Abend würde er selbst Kunde bringen oder schicken. Damit verließ er unser Haus gegen ein Uhr, um sich seinem Chef auf dem Stadthause zu stellen, wo selbstver ständlich diese Nacht die oberste Poli» beibehörde versammelt blieb. Seinem Rat folgend legten sich meine Gefahr- UM DAS LEBEN EINER KÖNIGIN Historischer Roman aus der franzoesischen Schreckenszeit VON JOSEPH SPILLMANN, S.J. ten auf ein paar Matratzen zur Ruhe auch ich warf mich angekleidet auf mein Lager und schlief bis in den hel len Tag hinein. Als ich erwachte, stand Brunner vor meinem Bett und sagte mir auf gut zugerisch: „Guete Tag! Händer guet g'schlofe?" Ich' gab der treuen Seele herzlich die Hand und fragte ihn, wie er daher komme. Er habe es in Huwilers Haus nicht mehr ausgehalten, lautete seine Ant wort. Alles sei gestern so schön „igfädlet gsi" (eingefädelt gewesen) er sei schon in einen Nationalgardi sten verwandelt gewesen und für mich habe die Uniform bereit gelegen. Mit dem letzten Rest der Flasche in unse rem Schrank habe er sich eben die nötige Courage verschafft und auf guten Erfolg getrunken, als er das Läuten und Trommeln hörte. „To hät's g'lätzet (das ging schief)!" habe er gleich gesagt, und es habe ihn „ganz verfchlepft" (vor Schrecken zusammen gefahren). Tenn er sei einfach der Meinung gewesen, die Pariser hät ten unsertwegen den Generalmarsch „trummlet". „Jetzt haben sie den guten Damian am Kragen," habe er sich gedacht, „und jetzt kann ich allein heimgehen und seiner Mutter und Vreneli er zählen, wie sie Euch mit dem verfluch ten republikanischen Rasiermesser um einen Kopf kürzer gemacht haben. Aber nein, einen solchen Botenlohn holt sich der Brunnerli nit! Lieber lauf' ich nach der Vendee, wo jetzt die Bauern gegen die Pariser Hals abschneider losschlagen, wie ich von Borau Batz gehört." So habe er sich gedacht und meine Uniform beiseite geräumt und in schwerer Angst um mich die ganze Nacht gelauscht und gewartet. Und endlich habe es ihn nicht mehr im Hause geduldet, und so er in der Nachbarschaft auf Kunde herumgestrichen, bis er die Ursache des großen Rummels erfahren. „Da fiel mir ein Stein, fo groß wie der Rigiberg, vom Herzen, und ich sagte mir gleich: ,Wenn der Damian ihnen glücklich entronnen ist, so finde ich ihn entweder bei der alten Rosalie oder bei der schönen Katze in der Lom bardgasse.' So steckte ich den Haus schlüssel in meine Tasche und schlich mich hinter den Häusern her nach dem Boulevard und über die Mauer in des Großrichters Gartenhäuschen und probierte es zunächst hier. Ihr braucht keine Angst zu haben! Es hat mich keiner von den vielen Patrouillen, die umherstrolchen, gesehen. Der Brun nerli hatte seine Augen offen! Und dann habe ich geduldig im Garten Häuschen gewartet, bis die alte Ro falie endlich den Laden des Küchen fenslers öffnete und ich so ins Haus kam, ohne auch nur den geringsten Lärm zu machen. Aber gefroren hat es mich wie einen Schneider. Ich spüre einen großen Eiszapfen im Leibe, und derselbe wird schwerlich schmelzen bei dem dünnen Kaffee, den die Rosalie in der Küche braut, wenn ,nit öbbe es Tröpfli Chriesiebränz nohilft' (wenn nicht etwa ein Tröpf chen Kirsch nachhilft)." Lachend sagte ich ihm, er sei und bleibe der unverbesserlichste Brun nerli er aber zog die Schultern in die Höhe und meinte, das sei nicht feine Schuld er sei eben unter einem hitzigen ^tern geboren. Dann wollte er mir von Charlotte Michonis und Mirzi erzählen. Beide seien wieder „wohl z'wäg" (bei guter Gesundheit) der Schuhflicker habe der Katze mit seiner Ahle nur eine kleine Schramme beigebracht, wogegen Mirzi den Jako biner nicht übel gezeichnet habe. Er gehe wenigstens mit einem starkver bundenen und geschwollenen Kopf umher und werde fuchsteufelswild, wenn man ihn frage, ob er Zahnweh habe. „Auch Frau Michonis hat den Schrecken recht gut überstanden und mir den Auftrag gegeben, Euch bestens zu danken, sobald ihr Sohn Euch aus dem Gefängnisse befreit hätte," sagte er. „Sie ist übrigens ganz überzeugt, daß sie den Jako binern ein andermal doch zum Opfer fallen werde, und zum Sterben bereit. Es sei ein Martertod für den christ lichen Glauben, meint sie." Darin gab ich der guten Frau Michonis recht. Als nun Brunner von Charlotte begann und sie das allerlieblichste und allerlustigste Mädchen von ganz Paris nannte, das ihm schier noch besser ge falle als ein gewisses ebenso hübsches aber viel ernsthafteres Zuger Mäd chen dabei blinzelte er mich ganz spitzbübisch an —, rief uns Rosalie zum Frühstück in den Gartensalon. Bei demselben hörte ich zum ersten mal, daß Michonis im Einverständ OHTO- nis mit Batz unseren ursprünglichen Plan zur Befreiung der Königin be deutend geändert habe. Es handelte sich jetzt nicht mehr darum, die Wache des Temple zu überwältigen. Batz selbst hatte seit seinem Mißerfolg an der Porte Saint-Denis kein großes Vertrauen mehr zu einen derartigen Handstreich. Ein gewisser Cortey, ein Spezerei Händler in der Rue Saint-Honore, bei dem der Baron wohnte, war jetzt mit in die Verschwörung hineinbezogen und sollte bei dem Plan eine Haupt rolle übernehmen. Cortey galt in seiner Sektion noch immer für einen durchaus zuverlässigen Jakobiner und war von derselben zu einem Haupt mann der Bürgerwehr aufgestellt. Tie letzten Ereignisse in Paris und namentlich die Unsicherheit in Han del und Verkehr hatten den ersten republikanischen Feuereifer dieses wohlhabenden Händlers sehr abge kühlt. Baron Batz bemerkte das, und es fiel ihm nicht schwer, den vorsich tigen Mann durch die Erwägung, daß derartige Zustände nicht lange blei ben könnten, zur königlichen Partei herüberzuziehen. Cortey sagte, er kenne wenigstens ein Tutzend Leute in seiner Kompanie, welche sich nach ruhigeren Zeiten sehnten und ganz bereit wären, etwas zum Sieg des Königstum» beizutragen, wenn ihre Hilfe mit keiner zu großen Gefahr verbunden wäre. Als Baron Batz feinen Hauswirt so weit hatte, war er diesmal so vorsichtig, zunächst mit Michonis über die Sache zu reden und das beruhigte mich sehr. Micho nis sprach mit Cortey, und sie be schlossen, daß derselbe in der betref senden Nacht mit einer starken Pa trouille aus den zuverlässigeren seiner Leute, zwischen welche wir gesteckt wer den sollten, die Wache im Temple be suche. Michonis, der mit Toulan den ienst im Vorzimmer haben würde, sollte die Gefangenen in Militärmän tel hüllen, und unsere Patrouille mußte dieselben, von der Dunkelheit begünstigt, durch die Torwache hin aus bringen. Ter Wagen Rougevilles würde sich bei unserem Häuschen in der Vorstadt Saint-Martin absetzen und weitergaloppierend die Verfolger aus eine falsche Fährte locken. Dieser Plan ließ sich hören! A la bonne heitre, so konnte es gehen! Nur im äußersten Notfalle, wenn die Tor wache sich widersetzte, sollte dieselbe mit Gewalt übermannt und die Flucht auf die Straße hinaus bis zum Wa gen erzwungen werden. Ich atmete völlig auf, als Baron Batz und Jar jeayes mir diesen Plan entwickelt hat ten, und war nun wie noch nie voll rosiger Hoffnung. Im Laufe des Vormittags rief mich Martha zu Isabella. „Seien Sie gut mit der armen Kinde, Damian," bat sie. „Der Arzt, der eben fortging, hat gesagt, die ganze Hoffnung auf Ge nesung beruhe auf Ihnen." Das hatte ich mir schon vorgenommen, und so verweilte ich fast den ganzen Tag am Bett der Kranken, ihre fiebernde Hand in der meinigen, und hörte die Kose Worte art, die ihre bleichen Lippen flüsterten, und den leisen Gelang der Arie aus „Kastor und Pollux", in deren süße Melodie sie immer und immer wieder zurücksiel. „Nein, Verena konnte mir ob dieses Werkes der Barmherzigkeit nicht zür nen," sagte ich mir. Und wenn es ge lang, das gute Kind, das mich so innig liebte, aus dem bitteren Meet des Gemütleidens zu retten ...? Doch was mochte ich weiter Pläne schmie den für eine Zukunft, die in fo un gewisser Ferne lag! Kommt Zeit, kommt Rat, sagte ich mir, und redete lieb und traut mit der armen Kran ken wie ein Bräutigam mit seiner Braut, bis Isabella gegen Abend wieder in eine» wohltätigen Schlum mer fiel. Schon im Laufe des Nachmittags hatten Trommler und öffentliche Aus rufer in den Straßen von Paris ver kündet, die Nachricht vom Anmarsch des Feindes sei durchaus salsch es handle sich nur um eine unbedeutende Schlappe Dumouriez', für welche ihn der Konvent allerdings zur Rechen schaft ziehen werde. Sofort würden Kommissäre zur Untersuchung nach Belgien gehen und hunderttausend Mann denselben in den nächsten Ta gen folgen, „um die Satelliten der Tyrannen zu zerschmettern". So hörte ich den Ausrufer unter unseren Fen stern schreien und lachte über die klin genden Phrasen, an denen es den Jakobinern nie fehlte. Für uns war die Hauptsache, daß die Porte Saint Martin sofort wieder geöffnet wurde und das Bataillon Bürgerwehr, das sie die Nacht über mit Vergießen von viel Aquavit heldenmütig verteidigt hatte, samt seinen Kanonen unter Trommelschlag und dem Vivatgeschrei des Straßenpöbels abzog. Nun konnte in der nächsten Nacht unser Versuch gewagt werden, und wir erwarteten jeden Augenblick eine Botschaft von Michonis. Mit Einbruch der Dunkelheit kam er selbst und sagte: „Jetzt oder nie!" Rougeville hatte sich sofort in die Rue Phelippeaux zu begeben und mußte Schlag Mitternacht mit dem ..J& nViffV*-y.*! ,i/ %s' 1 »fc" «"W(? ", rv f\ *«fif Wagen auf dem Boulevard du Temple bereit sein Baron Batz und die übri gen eilten nach der Rue Saint Honore, um in Corteys Patrouille eingereiht zu werden. „Und Sie, Fräulein Martha, haben die Güte, uns in das Häuschen des Faubourg Saint-Martin zu begleiten, wo Sie, wie ich hoffe, bald nach Mitternacht Ihre Majestät empfangen werden. Sie, Damian, und Ihr Freund fol gen uns auf dem Fuße." „Und was soll aus meiner kranken Schwester werden?" fragte Martha. „Wir müssen sie für diese Nacht unter Rosaliens schütz lassen. Wenn der Schlag mißlingt, d. h. wenn wir bis drei Uhr morgens nicht bei Ihnen sind, so werden wir es einrichten kön nen, daß Sie die Kranke abholen." „Wir müssen Isabella und uns in Gottes Hand befehlen," sagte ich. „Selbst sie zu opfern müssen wir be reit sein Um des großen Zweckes wil len." „Recht fo, Damian!" sagte Mar tha, meine Hand drückend. „Und möge Gott unser Opser segnen." Z w e i u n e i i s e s K a i e Im Temple Unbehindert gelangten wir in unser Vorstadthäuschen, welches halb ver steckt hinter seinen freilich noch Blatt losen Sträuchern und Bäumen in Huwilers Garten lag. Als ich das selbe vor vier Jahren zuerst betrat, um Brunner und seine Geißen zu be suchen, hatte ich mir nicht träumen lassen, welche wichtige Rolle dasselbe jetzt w meinem Leben und im Leben der Königin spielen sollte. Michonis erklärte Martha alles. Sie hatte mit einer wohlverschlossenen Blendlaterne im Hausflur zu war teu, bis die Glocken von der Stadt herüber Mitternacht schlügen. Auf den ersten Schlag sollte sie sich hinter den großen Fliederbusch neben das Gar tenpsörtchen stellen, um ohne Aufent halt die Befreiten in Empfang zu nehmen, sobald der Vierspänner sie brächte. Daun geschwind mit ihnen ins Haus, die Tür verrammeln, in den Keller und in das verborgene Gewölbe unter demselben! Wir wür den zu Fuß einzeln nachkommen, durch ein angelehntes Fenster ein steigen, Michonis und ich uns zu den Geretteten begeben. Brunner die Fall tür im Keller über uns mit Holzbün deln und alten Fässern bedecken und auf dem Umwege über Patttin durch die Steinbrüche und den unterirdi ichen Gang uns Meldung Bringen. Das aller erklärte Michonis Martha in seiner kurzen und klaren Weise und führte sie in das tierBorgene Ge wölbe. Ich wunderte mich, wie wohnlich, ja wie hübsch der Polizeioffizier seit meinem letzten Besuch diesen Raunt hergerichtet hatte. Hübsche Hängetape ten verhüllten die kahlen Felswände, Teppiche den Boden. Wandleuchter mit facettierten Spiegeln verbreiteten helles Licht in den Ecken standen hin ter verstellbaren Schirmen zwar ein fache, aber bequeme Betten für die Königin, Madame Elisabeth und die beiden königlichen Kinder. Auch sonst erblickte ich passende Möbel, einen hübschen Tisch mit Polsterstühlen, welche dem Gewölbe ein ganz wohn liches Aussehen gaben. In der Tat, hier konnte Marie Antoinette, wenn es nötig schien, ruhig ein paar Tage verweilen, bis die Flucht über Pantin gesichert war. Martha zündete die Wandleuchter an, untersuchte die Betten und rückte die Toilettentischchen zurecht. Befrie digt umarmte sie Michonis mit den Worten: „Das haben Sie prächtig eingerichtet! In der Tat, Sie zeigen Talent zu einem vortrefflichen Haus wirt und werden mir gewiß ein hüb ich es wohnlichen Nest bauen! Die Königin wird ganz entzückt sein und Sie zu ihrem Haushofmeister ernen nen. Nun gehen Sie in Gottes Namen und bringen Sie mir Marie Antoi nette mit ihren Kindern!" Brunner und ich hatten rasch unsere Uniformen angelegt. Ich zog über die meinige einen großen grauen Mili tärüberrock, der für die Königin be stimmt war, Michonis und Brunner ähnliche für Madame Elisabeth und Madame Royale. So war aller bereit, und Schlag acht Uhr sagten wir Mar tha „Auf Wiedersehen nach etwa vier Stunden wenn alles gut geht", und machten uns auf den Weg nach dem Temple. „Gott und Seine heiligen Engel feiert euer Geleit," sagte sie mit be wegter Stimme zum Abschied. Gewehr auf der Schulter schritten wir eine Weile schweigend neben Mi chonis. Die Nacht war ruhig, der Himmel von dunklen Wolken bedeckt ab und zu fiel ein schwerer Tropfen. Die Straßen waren außergewöhnlich menschenleer. „Die Leute werden gut schlafen," sagte ich. „Ja, die Nacht ist günstig. Nach der Aufregung von gestern wird alles frühzeitig zu Bett sein,"" antwortete Michonis. „Auch die Kommissäre wer den froh sein, daß Toulan und ich 1 ". ''"'4'a :v' •-. J./ .» die schwersten Stunden des Dienstes, auf uns nehmen. Hm, ich habe alles so gut überlegt, und doch beschleicht mich gerade jetzt ein banges Gefühl, das mir sonst ganz fremd ist. Hören Sie, Damian, ich glaube Ihnen bewiesen zu haben, daß Sie sich auf mich verlassen können. Es könnte der Fall eintreten, daß ich Sie zum Schein natürlich! verhaften müßte, um mir das Vertrauen meiner Bor gefetzten zu bewahren." „Um noch einen Versuch zur Be freiung der Königin machen zu kön nen, wenn dieser durch irgendeinen Zufall mißlänge ich verstehe," gab ich ohne Bedenken zur Antwort. „Ganz gut. Verhaften Sie mich, wenn Sie so zum Ziel gelangen. Ich ver traue Ihnen unbedingt! Und wenn Sie mich nicht retten können, so las sen Sie sich darob keine grauen Haare wachsen! Vielleicht ist das die ein fachste Lösung der Kämpfe, in die ich mit oder ohne Schuld gekommen bin. Nur sagen Sie der edlen Marie Antoinette, wenn Sie dieselbe später retten, der lange Schweizer Offizier, den sie in ihrer Güte einst so königlich belohnte, sei ihrer Huld nicht ganz unwürdig gewesen. Und du, Brun ncr, bringst meine letzten Grüße den Lieben in Zug und sagst Zurlauben, ich sei ehrlich gefallen, ob auf dem Schlachtfeld oder auf dem Schafott, habe wenig zu bedeuten, seitdem es ein König mit seinem Blut benetzt hat." „Nun, ich werde alles aufbieten, um den Retter meiner Mutter zu ret ten. Ich danke Ihnen. Ganz gut, Sie haben mich verstanden," sagte Micho nis mit mehr Herz, als er sonst zu verraten pflegte. Brunner aber meinte, er hoffe, sich noch immer einen besseren Botenlohn als durch eine solche Hiobspost zu ver dienen, und fragte, oT6 feine Verhaf tung in den Augen der Jakobiner nicht genügen würde, um deren aller höchstes Wohlgefallen für ewige Zei ten auf Michonis herabzuziehen. „Ma fai," erwiderte dieser, „Sie sind ein ehrlicher und treuer Mensch! Vielleicht nehme ich Ihr Anerbieten an, vielleicht muß ich aber auch alle beide für eine kurze Zeit einsperren lassen." „A la guerre comnie la guerre! Dann sperren Sie mich nur mit Da rnian ein, wenn es sein muß! Zu zweit können wir Mühlettfahren und Mariagen und allerlei Kurzweil trei ben," sagte Brunner lachend. „Und so ettf bißchen Brummen wäre für mich eine kleine Abwechslung mein Gott, als ich noch im Regiment war, ver ging kein Monat ohne ein paar Tage Arrest!" Wir waren inzwischen bei dem Cafe „Zum Dolche des Brutus" angelangt. Früher hatte in goldenen Buchstaben Au plaisir du Roy über der Tür ge glänzt es war das Eckhaus an der Rue du Temple und dem Boulevard. „Hier erwarten mich Toulan, Moelle, Lepitre und noch ein paar Kommis säre," sagte Michonis. „Um neun Uhr zieht die Kompanie Cortey im Temple auf Wache. Zugleich mit ihr und mit uns Kommissären kommt ihr zwei am leichtesten hinein. Sollte man fragen, so seid ihr meine Ordonnanzen." Toulan und Moelle waren wirklich schon da. Michonis setzte sich zu ihnen, während wir in der Nähe der Tür Platz nahmen. Brunner brauchte mir seine Wünsche gar nicht vorzutragen ich bestellte sür ihn auch so seinen Lieblingstropfen. Inzwischen fragte Toulan Micho nis, ob er vom Stadthause komme, und auf dessen Antwort, er habe das selbe um fünf Uhr nachmittags ver lassen, sagte er ihm: „So bin ich der Ueberbringer einer großen Neuigkeit für Sie! Der Konvent hat nämlich beschlossen, drei Kommissäre in das Lager von Dumouriez zu senden. Natürlich faßte die Kommune alsbald den Beschluß, denselben ebenfalls einige Kommissäre mitzugeben, um die Boten des Konvents zu über wachen denn keiner traut dem ande ren. Eh bien, Sie, Bürger Michonis, sind einer der Gewählten! Ich gratu liere zu dem hohen Vertrauen, das die Jakobiner in Ihre Klugheit und Vaterlandsliebe setzen!" „Wie werden die hochweisen Her ren morgen ganz anders über ihn urteilen," dachte ich, „wenn Michonis mitsamt der Königin und dem Dau phin ausgeflogen ist!" „Es war auch die Rede davon, Sie für diese Nacht vom Dienst zu ent binden, da Sie morgen früh mit Extrapost reisen sollen, und es soll mich nicht wundern, wenn Ihnen das Anerbieten noch gemacht wird," sagte Moelle zu Michonis: „Man suchte nach Ihnen. Ich hütete mich wohl, zu sagen, wo Sie heute nacht Dienst haben." „Hoffentlich finden sie es nicht," antwortete unser Führer. „Ich trug Sorge, daß unsere Namen ,zufällig' auf der Liste der Kommissäre fehlen, die heute nacht den Dienst im Temple haben. Wenn sie mich aber fänden, so würde ich natürlich ihr freundliches Anerbieten ablehnen. Doch still! Da treten Gäste ein." Der Saal des Cafe füllte sich jetzt rasch mit Gästen, welche aus der ^7^')? .WT-^kH *wr^v ^s,// t, :?'^i^t s 1 ,*, rf 1 ", S. Jug nahen Oper kamen. Das Spiel toofr zu Ende, vor fast leereck Hause, tote ich aus den Worten der Eintretendes entnahm. „Paris will heute schlafen!"-., sagte ein Stutzer gähnend, indem eO sich zu uns setzte. „Wir aber müssen auf Wache,* antwortete ich. Brunner ein Zeicheft" gebend, daß es Zeit sei. Denn auch die Kommissäre erhoben sich und rückten. ihre dreifarbigen Schärpen zurecht. Wir schritten die äußere Umfas sungsmauer des Temple entlang, unk ich schaute mit klopfendem Herzen nach dem finsteren, massigen Gefängnis» türm, der sich schwarz vom dunklek Nachthimmel abhob. Tie Fenster des drittes Stockes, wo Marie Antoinette gefangen war, zeigten Lichtschein. „Sie ist noch auf," sagte ich mir, „sie betet wohl für ihre armen Kin der!" Jetzt hörte man Trommelschlag und den Schritt einer Abteilung Militär die Straße herauskommen. „Corteys Kompanie," sagte Micho nis, „wir kommen gerade recht!" An der Ecke der Rue Phelippeaux, dem äußeren Tor des Temple schief gegenüber, erwarteten wir ihre An kunft. Tie Wache trat ins Gewehr, und nach den üblichen Formalitäten marschierte Corteys Kompanie in den äußeren Hos und stellte sich auf der einen Seite der Säulenhalle auf, welche denselben im Halbkreis um schließt. Die drei Kommissäre und wir hatten uns den Einziehenden ange schlossen. Cortey, auf den Michonis zutrat, salutierte mit seinem Säbel' vor den Federhüten und Schärpen, und wir schritten unbehelligt mit den Kommissären in den ersten Hof. Sämtliche Wachposten wurden abgelöst und von der y/v 7 A jetzt Neuangekomme­ nen Kompanie bezogen. Wir standen mit den Kommissären etwas zur Seite und beobachteten dieses Manöver zu meiner großen Befriedigung bemerkte ich, daß dasselbe lange nicht mit der Genauigkeit vollführt wurde, wie es bei geschultem Militär geschieht. „Da wird es uns schon gelingen, durchzu schlüpfen," sagte ich mir, und Brun ner spottete halblaut über die Un geschicklichkeit dieser Bürgermilizen. Nun wurde das Hauptdetachement, ein Ossizier und zwanzig Mann, für den dicken Turm abkommandiert. Diesen schlossen wir uns mit den Kom missären an. Wir durch ichritten die Torhalle des Palastes des Groß priors, den zweiten Hof, und kamen an das Pförtchen der inneren Um fassungsmauer des Dicken Turmes. Außer der militärischen Wache, die abgelöst wurde, lagen hier die stän digen Torhüter, die ich schon öfter erwähnte, drei fanatische Jakobiner, auf der Lauer. Mann für Mann mußten wir an "diesem Zerberus vor über, und ich hörte ganz deutlich, wie Mathey zu seinem Gefährten sagte: „Es sind zwei mehr als gewöhnlich," als ich den Schluß bildend an ihm vorbeiging. „Wie soll das gehen," dachte ich mir, „wenn der Bursche be merkt, daß vier mehr heraus wollen als jetzt Heringingen?" Ich nahm mir vor, sobald als möglich Michonis auf diese Schwierigkeit aufmerksam zu machen. Sonst kamen wir, ohne angehalten zu werden, mit 'den übrigen in den Dicken Turm und betraten zu ebener Erde den Saal der Kommissäre. Eine Laterne erhellte die düstere Halle nur dürftig. In dem Vorraum, den wir durchschreiten mußten, um zu dem Eckturm zu gelangen, in welchem die Wendeltreppe zu den oberen Stock werken führte, standen vier Kommis säre. Sie begrüßten Toulan und Moelle. Zu Michonis sagten sie, er könne nachhause gehen ein anderer werde statt seiner Dienst tun und be glückwünschten ihn zu seiner Erwäh lung zum außerordentlichen Kommis sär der Kommune. Michonis dankte kurz und sagte, er werde sich darum die Ehre nicht nehmen lassen, die letzte Nacht im Dienst der Republik auf diesem wichtigen Posten auszuharren. „Wie du wünschest, Bürger Korrt»* missär, das entspricht deinem glühen den Patriotismus," lautete die Ant wort. „So werden wir den Bürger, den uns die Leute vom Stadthause schicken, als überflüssig entlassen." „Oder derselbe könnte an meine Stelle treten," meinte einer der Kom missäre. „So gern ich sonst dem Vater lande diene, würde ich mich heute doch« über einen Ersatz freuen. Ich denke, man wird darum meiner Bürger tugend feine schlechte Note geben sehen Sie, meine Frau ist krank und „Schon gut. So bleibe ich an Ihrer Stelle hier. Die Sache ist abgemacht,"' entgegnete Michonis, froh einen Grund zum Bleiben gefunden zu haben. Freilich, hätte er damals ge* wüßt, wen das Stadthaus als ErsaG schicken würde, so hätte er sich wohl bedacht, so rasch zuzugreifen. Die Soldaten waren inzwischen durch die enge Wendeltreppe hinauf.. in die Wachstube des ersten Stockes' gestiegen und hatten die früher? -t Wachtmannschaft abgelöst, die jetzt froh, vom Dienst entbunden zu sein» lärmend die Treppe herabkam. (Fortsetzung folgt) V ÄW -I •'&*< V ':T''V»