OCR Interpretation


Ohio Waisenfreund. [volume] (Pomeroy, O. [Ohio]) 1874-1953, June 27, 1953, Ausgabe der 'Wanderer', Image 1

Image and text provided by Ohio History Connection, Columbus, OH

Persistent link: https://chroniclingamerica.loc.gov/lccn/sn91069201/1953-06-27/ed-1/seq-1/

What is OCR?


Thumbnail for

if-
fr r"
N.«*®e,.tW,. a..
r$.
kv
81. Jahrgang
Eine ereignisvolle Woche
Die verflossene Woche brachte in
der Weltpolitik eine Reihe von Ereig
nissen und Entwicklungen, deren End
Wirkungen noch nicht abzusehen sind.
Demonstrationen in Osk-Berlin, die
sich anfangs ausnahmen wie eine von
der kommunistischen ostdeutschen „Re
gierung" und ihren Moskau'er Hin
termännern inszenierte Propaganda
Veranstaltung und wohl zum Teil
als solche auch «gedacht waren —, wuch
sen sich zu einer machwollen Kuudge
bung gegen den kommunistischen Ter
TOT und für die Wiedervereinigung
Deutschlands aus. Tie enthüllten die
Verlogenheit der Politik Moskaus
und ihrer ostdeutschen Marionetten
und demonstrierten die unabweisbare
Notwendigkeit einer vernünftigen Re
gelung der deutschen Frage.
In Korea wurde gleichzeitig das
Versagen der unter Truck stehenden
Kriegspolitik der Vereinten Nationen
und die Notwendigkeit eines klaren
und einheitlichen Programms darge
tan, soll der Westen in Asien nicht
vollends isoliert werden. Jedenfalls
birgt der zwischen Süd-Korea und
dem Völkerbund, besonders den Ver.
Staaten, ausgebrochene Konflikt ern
ste Gefahren in sich.
Es ist hohe Zeit, daß es unter den
Westmächten zu einer Verständigung
kommt. Es bleibt abzuwarten, ob die
erreicht werden kann in der Bermuda
Konferenz, deren Beginn jetzt von
Washington und London auf den 8.
Juli angesetzt wurde auch wenn
Paris bis dahin noch immer kein Ka
Billett hat.
Adenauers Forderung
Die lähmende Unsicherheit der La
ge, wie sie bis vor zehn Tagen bestand,
wurde beleuchtet durch eine Rede, die
Kanzler Dr. Konrad Adenauer am
vorletzten Sonntag vor seinen Christ
lich-Sozialen Parteigenossen in Augs
bürg hielt. Der Kanzler erklärte,
wenn die Russen wirklich Frieden in
Deutschland schaffen wollten, sollten sie
die 300,000 deutschen Kriegsgefange
nen erst einmal freigeben und zu
freien Wahlen im ganzen Lande ihre
Zustimmung erteilen. Das heiße
nichts anderes, als daß sie den Eiser
nen Vorhang zur russischen Zone auf
ziehen sollen. Alles andere, sagte
Adenauer, sei nur ein fauler und da
zu noch gefährlicher Friede für
Deutschland, und er habe nicht die
geringste Lust, sich ein temporäres
Abkommen zu erkaufen.
Die kommunistischen Versprechun
gen, fuhr er fort, hätten solange nicht
den geringsten Wert, bis sie zur Aus
führung gelangt seien, und eine Vier
mächte-Konferenz könne sogar gefahr
voll sein, wenn der Erfolg nicht von
vornherein feststehe. Denn wenn eine
Viermächte-Konferenz erfolglos ver
laufe, würde die Spannung zwischen
Osten und Westen nur noch verstärkt
werden. Die plötzliche Wendung der
Kommunisten in der russischen Zone
beweise nur den Bankrott ihrer Poli
tik, sagte Adenauer, und die Richtig
feit der Politik seiner Regierung, wie
denn auch die Wendung der Kommu
nisten einen moralischen Tieg für die
Festigkeit der westdeutschen Regietung
bedeute.
-Es war das Adenauers erste Aeu
ßerung auf die aufsehenerregenden
Ankündigungen und Andeutungen,
daß die Kommunisten eine vollständige
Wendung machen und eine Haltung
einnehmen würden, die zu einer Vier
mächte-Konferenz über die Wiederver
einigung von Deutschland, das nun
seit acht Jahren getrennt ist, führen
könne.
Die kommunistischen Versprechun
gen hatten in West-Teutschland wie
eine Bombe eingeschlagen. Kühle Be
obachter sprachen den Verdacht aus,
daß der Kreml auf diese Weise ver
suchen wolle, Kanzler Adenauer bei
den Wahlen im Sommer zu Fall zu
bringen und so viel Verwirrung zu
stiften, daß die Aufrüstung von West
Deutschland unterbleibe und die euro
päische Armee nicht zustande komme.
Adenauers Worte fanden in Bonn
Widerhall bei seinem Minister für ge
samtdeutsche Fragen Jakob Kaiser, der
am Rundfunk eine Rede an die acht
zehn Millionen Deutsche:: in, der rus
sischen Zone hielt. Auch Kaiser for
derte die Freilassung der deutschen
Gefangenen in Rußland und sagte
klar und beutlich, die Russen müßten
erst einmal den Eisernen Vorhang in
Deutschland in die Höhe ziehen, bevor
Jie Glauben finden könnten.
Selbst die Sozialdemokraten ließen
eine Absage an die ostdeutschen Kom
munisten ergehen. Der sozialdemokra­
Her«vßUe»ete» Um WäMiche» Ästest** Assehchi»«»
Wochenühmt
tische Führer Herbert Wehner erklär
te, es könne nicht die Rede sein von
einer Zusammenarbeit mit der Ost
Berliner Regierung, solange die un
durchsichtige Lage fortbestehe.
Die Berliner Tragikomödie
Das unehrliche Spiel, das mit der
„Friedensoffensive" und den Lockun
gen mit Deutschlands „Einigung" ge
trieben worden war, um das Miß
trauen des freien Deutschland gegen
Rußland einzuschläfern, hatte sich als
nicht besonders zugkräftig erwiesen.
Der Verdacht steigerte sich, daß e» sich
un: Potemkin'sche Dörfer handle, um
Versuche, durch Konzessionen, die je
derzeit wieder rückgängig gemacht
werden können, die Westmächte an den
Verhandlungstisch zu locken.
Man erkannte in Moskau, daß
schöne Worte nicht genügten, und die
Freiheit und Zufriedenheit in der Ost
zone sollten durch einen öffentlichen
Aufmarsch vor aller Welt unter Be
weis gestellt werden. Das fing ganz
schön und fast gemütlich an. Dann
aber setzte sich der wirkliche Volkswille
durch. Die Berliner nahmen die erste
Gelegenheit wahr, un: für freie Wah
len im Sinne des Westens zu demon
strieren. Unter den Linden ertönte der
Ruf: „Iwan, geh heim!"
Tie Berichte über diese Vorgänge,
die sich anfangs fast wie eine Köpe
nickiade ausnahmen, lesen sich bei al
ler Tragik beinahe wie ein Lustspiel
e e s e A k e i n a
Dienstag, 16. Juni. Fünftausend
Arbeiter marschierten heute zum ro
ten Hauptquartier in der Sowjet
Zone, um gegen das beschleunigte
Produktionstempo, durch das die
Quoten um zehn Prozent erhöht wer
den sollten, Protest zu erheben, wäh
rend gleichzeitig das Politbüro der
SET diese Dekrete verurteilte und
jenen Arbeitern Lohnerhöhungen ver
sprach, „die ihre normale Quote frei
willig erhöhen". Ter „Protestmarsch",
der anscheinend Dort den Führern der
KP gebilligt wurde, schien mit den
Bemühungen Moskaus im Einklang
zu stehen, die Wiedervereinigung
Teutschlands voranzutreiben und da
durch den guten Willen aller Teut
scheu zu gewinnen und die Niederlage
Adenauers und seiner Politik einzn
leiten.
e z w e i e A k e i n a
Mittwoch, 17. Juni. Ost-Berlin
war in hellem Aufruhr gegen das rote
Regime. Russische Truppen gingen
mit Panzerwagen gegen 50,000 Ar
beiter vor und trieben sie auseinan
der, aber gegen Abend kam es zu
neuen Wirren, während ein General
streik den ganzen Verkehr in der Ost
zone lahmgelegt hat. Am Abend lie
ßen die Russen eine ganze Panzer*
division in die Stadt einrücken
zweihundert schwere Tanks und zehn
tausend Mann die von Lichtenrade
heranrollte.
Tie Wirren in den Straßen dauer
ten fünf Stunden. Schüsse fielen.
Fünf Personen wurden getötet, zu
mindest hundertundfünfzig verletzt.
Tie deutsche Polizei war der Lage
nicht gewachsen. Tie Russen griffen
ein und verhängten den Kriegs
zustand. Tie Arbeiter verbrannten
Schilderhäuser, rissen rote Flaggen
herunter, zertrümmerten Tutzende
von Automobilen der Beamten, grif
fen Parteibeamte an und riefen:
„Iwan, geh heim".
Ter Marsch gegen die rote Diktatur
begann um acht Uhr vormittags, als
die Arbeiter die Fabriken verließen,
um zum Regierungsgebäude zu mar
schieren.
Am Vormittag versuchte die Volks
polizei die Volksmenge zu zerstreuen,
indem sie mit Knüppeln und Wagen
gegen sie vorging, aber es gelang ihr
nicht. Die Menge wurde immer grö
ßer.
Dann kamen die Russen mit Pan
zerwagen und gaben über eine Stunde
lang in der Nähe des Potsdamer
Platzes Salven ab
Der russische General P. T. Dibro
wa, machte Berlin zu einem bewaffne
ten Lager und erließ den Befehl, daß
sich kein Berliner von fünf Uhr nach
mittags bis neun Uhr vormittags auf
der Straße sehen lassen darf. An
iammlurtgert von mehr als drei Per
sonen wurden verboten. Die russischen
Militärgerichte erhielten die Anwei
sung, jeden streng zu bestrafen, der
die Vorschriften verletzt.
Auch die ostdeutsche Regierung
schlug einen scharfen Ton an, aber es
lag auf der Hand, daß sie ohne die
russischen Bajonette nichts ausrichten
k a n n
Während die Russen in Berlin das
Kriegsrecht verhängten, begrüßte der
v-$g
J^
§m
Bundeskanzler im Bundestag die Er
eignisse in Berlin als „eine große
Demonstration des ostdeutschen Vol
kes für die Freiheit".
Er benutzte die gute Gelegenheit,
um von neuem die Forderung zu er
heben, daß die Russen den Eisernen
Vorhang fallen lassen und allgemeine
freie deutsche Wahlen erlauben, aus
denen eine wahre freie deutsche Regie
rung hervorgehen kann.
Das ganze Haus zollte ihm Bei
fall, selbst die Sozialdemokraten, die
in den letzten Wochen gegen ihn getobt
hatten.
Der dritte Akt Demaskierung
Ueber das vorläufige Ergebnis der
Berliner Vorgänge schrieb die ,N. A.
Staatszeitung':
Tie Maske der Freundlichkeit ist
gefallen. In Ost-Berlin, in Branden
bürg, Sachsen und Thüringen regiert
die nackte Gewalt.
Tie sogenannte „Regierung" der
sogenannten „Deutschen Temokrati
schen Republik" hat sich als das erwie
sen, was sie ist, als ein ohnmächtiges,
verächtliches Werkzeug der Fremd
herrschaft. Ihr völliges Versagen hat
das Sowjet-Militär zu Herren der
Lage gemacht. Und das mag Folgen
haben, die weit reichen und lange
dauern werden.
Tie Potsdamer Generale haben mit
beiden Händen zugegriffen. Ihre Pan
zer haben den Sowjet-Sektor Berlins
abgeriegelt und die Jndnstriewerke in
Magdeburg, Jena, Tessau, Leipzig,
Halle umzingelt.
Ihre Hinrichtungskommandos sind
an der Arbeit. Ihr erstes Opfer war
ein arbeitsloser Halbinvalide aus
Reinickendorf, der in Neu Köln ein
paar Mark Unterstützungsgelder ho
len wollte. Ta sein Wohnsitz zum fran
zösischen Sektor gehört, wurde mit
dem armen Teufel „kurzer Prozeß"
gemacht. Ter Panzergeneral Tibrowa
verkündete auf roten Plakaten feine
Hinrichtung, die den Beweis erbrin
gen sollte, daß der Aufruhr das Werk
„westlicher Agenten" gewesen sei. Tas
mag er anderen wiesmachen?
Im freien Berlin wurden zu Ehren
der Opfer die schwarzrotgoldenen
Flaggen auf Halbmast gehißt. Tie
Kommandanten der Westmächte erho
ben Einspruch gegen die Willkürherr
schart der russischen Militärs. Trotz
dem ging die Hetzjagd auf die rebelli
fchen Arbeiter weiter. Gleichzeitig ver
sprach man ihnen goldene Berge,
wenn sie in die Fabriken zurückkeb.
ten. Offenbar sind Hunderttausende
der Streikparole gefolgt.
In der New porker ,Times' wird
die Tatsache unterstrichen, daß die
Russen aus Willi Göttling, einem
harmlosen Familienvater mit zwei
kleinen Kindern, einen Märtyrer ge
macht haben, dem eines Tages von
seinen Arbeitskollegen ein Tenkmal
aufgerichtet werden wird. Man soll
nicht glauben, daß die Moskau'er
Machthaber diese offenkundige Konse
quenz leicht nehmen könnten. Gewiß
haben sie keine Bedenken, auf Berge
von Leichen den Fuß zu setzen. Aber
nur, wenn es in aller Stille geschehen
kann.
Gerade jetzt aber steht Berlin im
schärfsten Scheinwerferlicht. Gerade
jetzt galt die Parole, „Samthand
schuhe" zu verwenden und mit aller
Welt Bruderschaft zu trinken. Was ist
hinter den Kulissen vorgegangen?
Was bedeutet das totale Versagen des
allgegenwärtigen Polizei-Apparats?
Vor einigen Wochen wurde Gene
ral Ehuikow abberufen, der gleichzei
tig der militärische Oberbefehlshaber
und der (5hef des mächtigen Sowjet
Aufsichtsapparats gewesen war. Zwi
scheu dem Potsdamer Militärkoni
mando und dem Karlshorster Kreml
erfolgte eine Trennung von Tisch und
Bett.
Das bedeutete, daß Molotows Aus
wärtiges Amt die Zügel in die Hand
bekam. Seine Sendboten Semyenow
und Judin erhielten den Vorrang
gegenüber den Armeeführern. Wobei
man nicht die dritte Macht vergessen
darf, die eigentliche Macht: die
„MVT", die mit der Gestapo ver
schwisterte russische Staatspolizei, die
unter und mit Lawrenti Berija mehr
als je das letzte Wort hat.
Im Augenblick regiert Mars die
Stunde. Wie das anfing und wie das
endet, vermag vorläufig niemand zu
sagen. Sicher ist nur, daß im Kreml
oder auf dem Weg von: Kreml zur
deutschen Front die Drähte durchein
ander geraten sein müssen.
Das Gericht über Moskaus rote
Handlanger
Die Tausende der Kommunisten
Gegner in Ost-Berlin und Ost
Deutschland sind selbstverständlich den
russischen Panzer-Divisionen nicht ge­
j~&r~",jr-Y^
OUo A aiseufveuutl.
Ein Familienblatt für Wahrheit und Recht zur Belehrung und Unterhaltung
Ausgabe dos »Wanderer'
Samstag, den 27. Juni 1953
wachsen. Ter Terror geht um hinter
dem Eisernen Vorhang, und niemand
weiß die Zahl tier Opfer, die bereits
gefallen sind und noch im Kerker ver
schwinden werden. Aber die Tage vom
16. Juni an mögen von weitgehender
Bedeutung für die Geschichte Deutsch
lands und die russische Zwingherr
schaft werden. Eines scheint gewiß:
Tie .Moskau'er Filiale in Ost-Berlin
hat ihre besten Tage gesehen. In einer
Meldung der „Ass. Preß" aus Bonn
heißt es:
Tic antikommunistischen Wirren in
Ost-Berlin scheinen der neuen rnssi
schen „Friedensoffensive" einen läh
Menden Schlag Hersetzt zu haben. He
ber die Frage, ob die Russen die ge
gen das ostdeutsche Regime gerichte
ten Demonstrationen nicht ungern ge
sehen haben, sind hier die Meinungen
geteilt, aber daß Moskau keinen
Grund hat, mit diesem Regime zu frie
den zu fein, sondern es für unfähig
und bankrott hält, ist kaum zu bezwei
fein.
Allgemein wird die Ansicht geteilt,
daß die Ereignisse in Berlin dem We
sten die Möglichkeit verschaffen könn
ten, die diplomatische Offensive an die
ser wichtigen Front des Kalten Krie
ges wieder an sich zu reißen.
Und viele erblicken in den Ereig
nissen einen Beweis für die Schwäche
des roten Blocks, die sich auch in der
Tschecho-Slowakei gezeigt hat und mit
den in Oesterreich gemachten Konu's
onen in Verbindung stehen dürfte.
Fünfzigtausend Arbeiter reißen
nicht rote Flaggen herunter, verhol?
nen die roten Führer und verlangen
die Freiheit, wenn sie nicht überzeug!
sind, daß das Regime versagt bat, und
fraß die russischen Truppen es retten
mußten, hat es natürlich auch das
Vertrauen Moskaus gekostet.
Es ist im Volk verhaßt. Der alte
Uebermut ist gebrochen. Die Minister
verkrochen sich im Regierungsgebäude
an der Wilhelm-Straße, das einst das
Hauptquartier der Luftwaffe mar.
Nachdem die Russen die Straßen
gesäubert hatten, erließ Prewier Otto
Grotewohl die Erklärung, „daß Pro
'vokatcure und faschistische Agenten
fremder Mächte und ihre deutschen
Mitläufer die Wirren angezettelt ha
ben", und drohte mit schweren Stra
fen.
Die drei i
Ii tärkc in a 11 dan
te it der
Westmächte gaben darauf die (irflä
rung ab, „daß weder die alliierten
Behörden noch die Behörden von West
Berlin in irgendeiner Weise, weder
direkt noch indirekt, derartige Demon
strationen gefördert haben". Auch
erklärten sie, sie seien übereingekom
men, „daß die Ordnung in den west
lichen Sektoren der Stadt aufrecht
erhalten werden muß", und daß eine
ruhige und kühle Haltung geraten
sei
Die Erhebung im kommunistisch re
gierten Cst Berlin bat die Propagan
da der Russen in Europa erschüttert,
und irgend jemand wird dafür zu be
zahlen haben, vielleicht Walter III
bricht, der gefürchtete Vorkämpfer des
Kommunismus in Qst-Teutschland.
der das Amt des Generalsekretärs der
von Moskau geleiteten Sozialistischen
Einheitspartei bekleidet.
Tie lange unterdrückte Bitterkeit
gegen die kommunistische Herrschaft
brach auf einmal alle Tämnie, die
anläßlich der russischen Frieden sänge
bote theatermäßig angesetzte Szene
mißlang, und der Aufstand der Ar
beiter gegen die „Arbeiter-Regie
rung" deckte den Betrug der kom
munistischen Versprechungen auf.
Ihren deutschen Mitarbeitern ha
ben die Russen nie getraut und von
jetzt an werden sie ihnen noch weniger
trauen. Was sich in den Straßen von
Ost-Berlin zugetragen hat, entzieht
der russischen Propaganda für dent
sche Einheit zu russischen Bedingun
gen den Boden, und diejenigen West
Deutschen, die durch die Propaganda
schwankend geworden waren, wissen
jetzt besser Bescheid
Die Berliner Ereignisse in deutschem
Urteil
Zu den Vorgängen in Ost-Berlin
hat Botschaftsrat Dr. Leo Federer,
der amtierende Leiter der deutschen
diplomatischen Mission, in Vertretung
des augenblicklich in Deutschland wei
lenden Geschäftsträgers Dr. Heinz
Krekeler die folgende Erklärung ab
gegeben:
»Zu einem Zeitpunkt, in welchem
die verschiedenen russischen Friedens
angebote die freie Welt in ein falsches
Gefühl der Sicherheit zu wiegen schei
nen, zeigen die Arbeiter von Ost-Ber
litt und der russischen Zone von
Deutschland der Welt, was sie von der
Aufrichtigkeit und Wirklichkeit der
russischen Taten denken.
wA
«Ket
mtoam
„Es begann damit, daß fünftausend
Arbeiter nach wohlbekanntem russi
schen Muster angewiesen wurden, ei
nen Protestmarsch zu veranstalten,
aber die Berliner waren hell genug,
um dieses Schauspiel in die Tat um
zusetzen. Kann: war ihnen die Mög
lichkeit geboten, für die Freiheit eine
Szene aufzuführen, als sie auch schon
diese Gelegenheit mit beiden Händen
ergriffen und den Schleier des Be
trugs und der Propaganda entzwei
rissen.
„Es ist von größter Bedeutung, daß
gerade die Arbeiter sich aufbäumten,
dieselben Arbeiter, die angeblich von
den Kommunisten vertreten werden.
Wir begrüßen jede Erleichterung, die
die gegenwärtigen Herren der russi
schen 3onc unseren unfreien Brüdern
und Schwestern gewähren mögen.
Wir beklagen den Verlust an Men
schenleben und die neuen Leiden, die
zweifellos der Kundgebung auf dem
Fuße folgen werden.
„Es würde natürlich eine Selbst
täuschung sein, anzunehmen, daß
Kundgebungen dieser Art imstande
sein würden, eine totalitäre Herr
schaft zu Fall zu bringen, auf alle
Fälle beweist aber der Aufstand der
Ost Berliner, daß der Bevölkerung
der russischen }oiie eine Möglichkeit
gegeben werden muß, ihren Gefühlen
in gesetzlicher und ordentlicher Form
Ausdruck zu verleihen. Hieraus er
wächst die Notwendigkeit freier Wah
len, auf die sowohl die deutsche Re
gierung als auch die demokratischen
Mächte als erste Bedingung zu einer
Lösung der deutschen Frage bestehen."
Antifommuniftischc Blätter in
Teutschland zur t'agc
Tie Berliner Ausgabe der ameri
kanischen ,Neuen Leitung' wertet die
Demonstrationen in Qst-Berlin als
ein Sturmzeichen und eine offene Em
pörung der Oft-Berliner Arbeiter
schaft gegen den alten und neuen
Kurs der Sowjet- -jonenregieruug.
„Tie Bevölkerung hat begriffen,
daß nicht nur dieser und jener Mini
ster oder SET=Fui:ftiouär die Schuld
trägt, sondern daß das ganze System
der sowjetzonalen Parteiherrschaft der
SET für die gegenwärtigen Verhält
nisse verantwortlich ist. Und gegen
dieses System haben sich die Ost-Ber
liner empört und werden sich so lange
weiter emvören, bis wirklich freie
Verhältnisse auf allen Gebieten des
privaten und gesellschaftlichen Lebens
geschaffen find."
Tie .Berliner Morgenpost': „Tie
Tatsache, daß sich die unerhörte Ver
bitterung einer unterdrückten Bevöl
kerung endlich einmal Luft machte, ist
eine Tat der inneren Befreiung, die
weder in dem durch die Prager Arbei
terrebeflion gewarnten Moskau noch
im freien Westen überhört werden
kann. Allerdings werden erst die näch
sten Tage erweisen, wie der Kreml
und seine Pankower Handlanger auf
den Freiheitsmarsch in Qst-Berlin re
agieren."
Amerikanische stimmen über Berlin
Führende New Yorker Blätter wid
meten den Berliner Kundgebungen
Leitartikel. ,Herald Tribune' jagte
voraus, daß in ihrem Gefolge West
Euiopa und die gesamte internatio
nale Welt wesentlich anders aussehen
werden als bisher.
„Zum erstenmal hat es sich inner
halb des schweigenden Bereichs des
monolithischen Sowjet-Empires er
eignet, daß eine echte Volkserhebung
die roten Flaggen herunterholte, die
Stalin-Bilder verbrannte und gegen
die Zustände im .Völker Paradies' öf
fentlich protestierte. ]imt erstenmal
wurden die harten Krusten des Poli
zeiregimes, der Propaganda und der
Parteidisziplin durch Kräfte von un
ten her aufgebrochen."
Tie Sowjet-Politik werde in
Teutschland, so schließt .Herald Trib
une', entweder mehr Freiheit gewäh
ren müssen oder den Truck weiter zu
verhärten suchen. Ter ostdeutsche Auf
ruhr sei ein schwerer Schlag für Ruß
lands Nach-Stalin Taktik. Alle Reak
tionen der Außenwelt werden unter
den: Eindruck dieser gewaltigen Ge
schehnisse eine andere Farbe anneh
men. So könne man wohl sagen, daß
eine neue Periode der Weltgeschichte
auf den Straßen Berlins eröffnet
worden fei.
Ter Leitartikel der .Times' trägt
die Ueberschrift: „Berlins glorreicher
Tag". Tic Deutschen Ost-Berlins hät
ten sich blindlings, hoffnungslos, hel
denmütig in den Kampf für Freiheit
gegen Tyrannei geworfen. Sie haben
dabei den Kommunismus mit glühen
dem Eisen gebrandmarkt. Tie So
wjets können deutsche Männer und
Frauen niederschießen, aber sie können
Stete» f&M.
Nr. 9
nicht die Tatsache auslöschen, daß im
deutschen Volk ein Mut und ein Geist
leben, die nicht dauernd niedergehal
ten werden können.
Taß Berlin der Schauplatz dieser
Ereignisse gewesen sei, treffe sich Be
sonders glücklich. Tort bestehe ein
Guckloch) im Eisernen Vorhang, durch
das wir alle die mutige Kundgebung
gegen die Sowjets beobachten konn
ten. Sie bedeute einen mächtigen
Schlag für 'die deutsche Einigung, und
zwar nicht für die Sorte von Einheit
wie sie die Roten suchen. Kanzler
Adenauer könne jetzt auf die flam
mende Talsache hinweisen, daß das
Herz Qst-Teutschlands ebenso frei sei,
wie das des Westens.
Für die Welt bedeute dieser Auf
marsch waffenloser Massen, daß der
Freiheitsdrang, der tief im mensch
lichen Herzen wurzelt, nicht ausgerot
tet werden kann. An diesem 2rang
werde jedes Gewaltsystem schließlich
scheitern. Für diese Wahrheit legten
die Ost-Berliner Zeugnis ab. Sie ha
ben für uns alle gelitten und gestrit
ten. Und so sagen wir denen, die sich
in den Straßen Berlins erhoben:
..Gut gemacht! Ihr habt nicht verge
bens gekämpft."
Forderung der Seftmächtc
Tie Ver. Staaten, England und
Frankreich verlangten am Tonner»
tag in einer gemeinsamen den russi
schen Behörden iibergebenen Note die
Zurücknahme der „harten Maßnah
men", die der Bevölkerung in Ost
Berlin auferlegt wurden, und brand
markten die Hinrichtung eines Deut
schen als „brutale Tat, die 'das Ge
wissen der Welt erregen wird".
Sie verurteilten „den unverant
wortlichen Griff zur militärischen Ge
walt, der zur Tötung oder Verletzung
einer beträchtlichen Anzahl von Ber
liner Bürgern geführt hat, darunter
von einigen aus unseren eigenen Sek
toren", und sagten: „Wir erheben
Protest gegen die willkürlichen Maß
nahmen der Sowjet Behörden, die zur
Unterbrechung 'de* Verkehrs zwischen
den Sektoren und des freien Verkehrs
in ganz Berlin geführt haben."
Die drei Mächte bestritten die rus
sische Behauptung, daß der von den
Russen hingerichtete Deutsche, der be
schuldigt wurde, antikommunistische
Wirren gestiftet zu haben, Agent einer
fremden Macht gewesen sei, und sag
ten „Seine Verurteilung zum To'd
und seine Hinrichtung unter einem
leeren Vorwand erscheinen uns als
Akt der Brutalität, die das Gewissen
der Welt schockieren werden."
Es handelt sich um den Fall von
Willi Göttling, der von den Russen
erschossen wurde.
Kanzler Adenauers Appell
Der 'deutsche Kanzler richtete am
Montag einen Appell an Präsident
Eisenhower, Premierminister Ehurch
ill und den bisherigen französischen
Premier Mayer, alles zu tun zur Be
freiung von Ost-Teutschland durch
Wiedervereinigung der Deutschen
Bundesrepublik. Tie Ost-Teutschen
hätten das durch ihren tapferen Wi
derstand gegen die Gewalten des
Kommunismus verdient. Ter Kanzler
bat die drei Westmächte um die Förde
rung des soeben von: westdeutschen
Bundestag angenommenen Pro
gramms für die Einigung Deutsch
lands in „Frieden und Freiheit". Das
Programm umfaßt freie Wahlen im
gesamten Teutschland, die Schaffung
einer gesamtdeutschen freien Regie
rung, den Abschluß eines Friedens
vertrags mit dieser gesamtdeutschen
Regierung, die Festsetzung von
Teutschlands neuen Grenzen in einem
in freien Verhandlungen zustande ge
kommenen Friedensvertrag, Garan
tien diplomatischer Freiheit für
Teutschland im Rahmen der Verein
ten Nationen. Nur so könne der Frie
de in Europa hergestellt werden. Diese
Vorschläge, die durch die Berliner
Geschehnisse stark unterstrichen wer
den, werden in Bermuda schwerlich
unter den Tisch fallen.
Während die Ereignisse in Osl
Teutschland und ihre möglichen Fol
gen auf Äer Gewinnfeite des Westens
verbucht werden können, läßt sich ein
Gleiches von der Lage in Korea nicht
sagen. Tort bedeuteten die für den
Waffenstillstand vereinbarten Bedin
gungen einen Rückzug des Westens,
angesichts der ernsten Differenzen un
ter den führenden Staaten des „We
stens" ein vielleicht gebotenes Kom
promiß, aber immerhin einen Rück
zug, besonders in den Augen der Süd
Koreaner, die ihren Zorn unverhüllt
zum Ausdruck brachten und das Was
(Fortsetzung auf S. 8)

Vest«, let PriesterzSglwge. Prei» fit ew J«hr is bei Der. Ctocte» SfcOO, to Imk

xml | txt